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Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 51

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Viertes Kapitel

Der Hofschulze kommt wieder zu sich und Lisbeth schreibt an den Diakonus

Auf der Kammer, worin er das Schwert Karls des Großen verwahrte, saß oder lag der Hofschulze blaß und halbbetäubt neben der eisenbeschlagenen Kiste. In diesem Zustande war er von einer Magd, die vor der Kammer vorbeiging, gefunden worden, kurz nachdem er sich die Treppe hinauf begeben hatte. Sie war erschreckt hinuntergesprungen und hatte von dem Vorfalle Lärmen gemacht, den einige Vorübergehende weitertrugen.

Die Magd kehrte mit Essig zurück und bestrich ihres Brotherrn Schläfe. Das einfache Mittel brachte ihn auch bald wieder zu sich selbst, denn der Schlagfluß war eine Vergrößerung des Unfalls, der den alten Bauer betroffen hatte. Er war nur von einem Schwindel und von jener Betäubung befallen worden, wie sie die Folgen eines plötzlichen großen Schrecks zu sein pflegen, besonders bei alten Leuten. Als er von dem scharfen Geruche des Essigs wieder erwachte, hob er sich, ohne daß ihn das Mädchen zu unterstützen brauchte, sogleich stracks auf seine Füße, fuhr mit der Hand über die Stirn und warf seinen ersten Blick in die Kiste, deren Deckel aufgeklappt war. Mit einer Mischung von Entsetzen und Kummer kehrte aber der Blick des alten Mannes in sich zurück; er klappte hastig den Deckel zu, als wollte er den Verlust seines Teuersten jedem Auge verbergen und trieb die Magd an, ihn zu verlassen. Diese fragte zwar, was dem Baas zugestoßen sei, erhielt jedoch keine andere Antwort von ihm, als, daß ihn eine plötzliche Schwäche, vielleicht von dem vielen Pläsier, welches gestern und heute gewesen, angewandelt habe.

Als er auf der Kammer allein war, stand der Hofschulze erst eine geraume Zeit mit übereinandergeschlagenen Händen ohne sich zu regen, da. Dann setzte er sich auf die Kiste und nahm seinen Kopf in beide Hände, um alle Winkel des Gedächtnisses zu durchforschen. Darauf erhob er sich, öffnete abermals die Kiste, wie wenn er es nicht für möglich halte, daß das Schwert daraus habe verschwinden können, ließ aber augenblicklich den Deckel zufallen, da er wohl sah, daß er nur in die Leere blicke, und stöhnte wie ein verwundeter Stier.

Nach diesem begann der Alte ein stummes eifriges Suchen in der Kammer. Er kehrte jedes Gerät um, er durchspürte jeden Winkel, er leerte alle Kisten und Kasten aus, welche dort vor und hinter dem Saatlaken umherstanden. Kein Platz blieb undurchforscht, aber alle diese Mühe war vergebens, denn das Schwert zeigte sich nirgends. Indem hörte er unten die Stimme seines Eidams und seiner Tochter, sowie der Freunde und Nachbarn, welche von der Tanzgesellschaft herbeigekommen waren, um nach ihm zu sehen. Rasch verließ er die Kammer, um nicht in seinen Anstrengungen betroffen zu werden und ging hinunter, scheinbar gefaßt. Dort stellte sich alles mit Fragen nach seinem Befinden um ihn, worauf er dieselbe Antwort gab, welche schon die Magd empfangen hatte und hinzufügte, daß ihm wieder ganz wohl sei. Er bat die Leute, sich in ihrer Lustbarkeit nicht stören zu lassen und wieder zum Tanze zurückzukehren; eine Aufforderung, welcher mehrere folgten, andere aber auch nicht. Diese blieben vielmehr im Hofe, weil sie an dem Tanze kein Vergnügen hatten, es kamen noch fortwährend Leute vom Jürgenserbe und so war ein beständiges Ab- und Zugehen von Menschen.

Als nun der Hofschulze sah, daß er der Zeugen nicht quitt werde, beschloß er alles Fernere auf die Nacht zu versparen. Er setzte sich still in seine Stube und sagte dem Eidam, er möge die Mitgift nach Hause tragen, was dieser auch mit einem Gehülfen tat. Mehrere Nachbarn stellten sich zu ihm und mit diesen sprach er nun so ordentlich und vernünftig, wie immer seine Sitte war. Niemand merkte ihm etwas an, und nur wer gewußt hätte, was vorgefallen war, würde aus seinen geschwollenen Stirnadern, aus den Augen, die zuweilen hervorquollen, und aus den Griffen, die der Alte hin und wieder nach seiner Brust tat, auf das, was in ihm vorging, haben schließen können.

Während ein ungeheurer Verdruß und Schreck unten sich so heimlich hielt, hatte auch oben im Hause ein leidendes Kind seine Entschlüsse reif gedacht. Lisbeth war in schweren Körperschmerzen den ganzen Vormittag über auf ihrem Lager geblieben und hatte sich erst um die Zeit, als ihr alter Gastfreund seine trostlose Entdeckung machte, erhoben und angekleidet. Sie war so ernst, bleich und still, wie am Abend zuvor, da ihre Tränen versiegten. Aber diese hatten den Augen des Mädchens nicht geschadet; sie leuchteten von einem fast überirdischen Glanze. Der hohe Berg, auf dessen Gipfel sie im Jubel ihrer Wonne zu stehen gemeint hatte, war unter ihr eingesunken, und die roten Wolken hatten sich verzogen, aber dennoch kam es ihr vor, als schritte sie eben so hoch und noch höher einher, und es war ihr, als trügen Lüfte ohne Wolken, ätherreine und ätherklare ihre Füße.

Sie setzte sich an ihren Tisch und sagte mit einer himmlischen Zuversicht im Ton: »Ein Findling ist Gottes Kind. Und wen Vater und Mutter in der Irre stehengelassen haben, den wird Gott bei der Hand nehmen und nach Hause führen.« — Die Schmerzen hatten eine wunderbare Verwandelung in ihr gewirkt. Zu ihren sogenannten Pflegern wollte sie nimmer zurückkehren. Denn als sie, von Leiden, wie von zuckenden Blitzen durchwühlt, während der Nacht auch einen Blick auf ihre Vergangenheit warf, so sah sie schaudernd und wie von einem strengen Seher erbarmungslos unterrichtet, in welchen jämmerlichen und lachensdürren Umgebungen sie gelebt hatte. Sie blickte in die traurigen und unreinlichen Trümmer hinein, zwischen denen sie so mutfroh und rein geblieben war, und sie hätte weinen mögen, wenn ihr noch eine Träne übrig gewesen wäre, als sie nun erkannte, daß ein faselnder alter Mann und eine halbverwirrte Törin denn doch die einzigen gewesen waren, die sich ihrer angenommen hatten. In einem Augenblick des äußersten Entsetzens drängte sich eine Ewigkeit von quälenden und widerwärtigen Vorstellungen zusammen — zerrissen und gepeinigt wandte sie den Blick von diesen unheimlichen Gesichten ab und in die Zukunft, worin freilich die Augen Oswalds erloschen waren und nur noch das Auge Gottes durch die Finsternisse strahlte. — So hatte das Unglück die süße Bewußtlosigkeit, worin das Kind Jungfrau geworden war, zerstört, und das Wachen der Wahrheit in der wunden Brust geschaffen.

Sie schrieb einen Brief an den Diakonus. Zu diesem hatte sie großes Vertrauen, und den wollte sie zu ihrem Führer wählen. Nach dem Eingange, in dem sie sagte, daß eine schmerzliche Aufregung sie über ihr Geschick erleuchtet habe, lautete der Brief folgendermaßen:

»Sie hätten wohl nicht gedacht, lieber Herr Prediger, als Sie gestern die Hand auf mein Haupt legten, daß Sie von mir heute so traurige Worte hören würden. Wenn ich es Ihnen nur recht deutlich machen kann, wie mir eigentlich zumute ist! Denn wenn Sie das nicht einsehen, so können Sie mir auch nicht helfen. Es ist aber gewiß recht schwer, sich deutlich zu machen mit verwirrtem Kopfe und klopfendem Herzen und bebender Hand. Sie sind jedoch ein so guter und kluger Mann, daß Sie sich auch vielleicht aus dem Stammeln eines armen Mädchens vernehmen können.

Ach, lieber Herr Diakonus, es ist mir außerordentlich übel gegangen seit gestern. Es hatte wohl gestern den Anschein, als könne ich eine Braut sein, und das will bei einem so armen und verlassenen Mädchen, wie ich bin, noch mehr sagen, als bei anderen, die wissen, woher sie stammen. Heute aber bin ich keine Braut mehr, nein gewiß nicht. Warum ich keine mehr bin, das kann ich Ihnen nicht sagen; ich schäme mich zu sehr. Ihrer lieben Frau werde ich es anvertrauen, wenn ich erst ruhiger geworden bin, ganz in der Stille.

Ein Mädchen, welches kein Kind mehr ist, denkt wohl zuweilen an das Heiraten und so habe ich denn auch hin und wieder daran gedacht, obgleich ich wenig Aussicht dazu hatte. Wenn mir aber die Vorstellungen davon kamen und von der Liebe, so war immer das erste Gefühl, daß die Liebe die ganze Wahrheit und nichts als Wahrheit sei und zwar die Wahrheit in der Brust, und eine solche Offenheit, daß man dem anderen auch nicht das Kleinste verschweigt. Hätte ich eine Sünde begangen, wovor mich freilich Gott geschützt hat, so würde ich meinem Freunde die Sünde haben beichten müssen, ehe ich ihm noch meine Liebe gestand. Denn wenn zwei Menschen, wie es ja lautet, ein Leib und eine Seele werden sollen, so darf doch auch nicht ein Stäubchen zwischen ihnen sein von Verschweigen, Hinterhalt, Verstellung und Künstelei. Ja, noch offener soll man gegen den Liebsten sein, als gegen Gott, denn dieser sieht selbst scharf genug, aber der arme Liebste hat ja nicht so durchdringende Augen und soll uns doch ebenso genau kennen, wie Gott, weil er sich nicht auf dieses und jenes in uns, sondern auf alles in allem zeit seines Lebens verlassen muß. Wer mir also, wenn er sagt, daß er mich liebe, dennoch einen Schein vorweben kann, von dem muß ich glauben, was sie mir wider ihn vorbringen, und möchte es auch das Allerschlimmste sein. Wer mir sagt, Herr Diakonus, er sei ein armer Förster und ist ein großer Graf, der kann auch noch anderen Lug und Trug wider mich vorhaben. — Ach Gott! Ach Gott! Zuweilen denke ich: Es ist gar nicht möglich, daß ein Mensch, der so gut aussieht, so schlimm sein kann! — —

Ich bin eigentlich ganz elend worden, und wäre in den Schmerzen dieser Nacht wohl gestorben, hätte mir nicht mein Stolz geholfen. Weil ich aber tief gedemütigt werden sollte, so hat mich das sehr stolz gemacht, ganz überaus stolz. Nun ist dieser Stolz freilich wohl nur Hülfe in der äußersten ersten Not, und deshalb flüchte ich mich zu Ihnen. Ich bitte Sie, gönnen Sie mir eine Freistatt in Ihrem Hause, Kosten mache ich Ihnen ja nicht viel und Ihrer lieben Frau kann ich doch immer etwas helfen. Sie sind immer sehr gut und freundlich gegen mich gewesen und werden mich gewiß nicht verlassen. Nach dem Schlosse gehe ich auf keinen Fall zurück, mich schaudert davor. Das war wohl bisher gut soweit, aber nun geht es nicht mehr; nein, nein. Ich bin also wie eine Staude, die vom Boden abgeschnitten ist und weiß noch kein Erdreich, worin ich wieder wachsen kann.

Daß Sie sich aber über mich nicht irren, so muß ich Ihnen sagen, daß ich gar kein Verlangen nach der Kirche habe, oder nach der Religion, wenigstens nicht mehr als sonst. Ich habe mir schon Vorwürfe darüber machen wollen, denn man sagt ja immer, daß der Mensch im Unglück hauptsächlich viel beten müsse, aber das muß denn wohl ein anderes Unglück sein, als meines. Ich fühle mich als ein so ordentliches, unschuldiges Mädchen, daß ich nicht begreife, warum ich Gott gerade jetzt besonders bitten sollte, mir beizustehen. Sondern es ist über mich verhängt worden, und nun trage ich es, und er läßt mich gehen in meiner Weise. Auch kann der Gott, von dem gepredigt wird, einem Herzen nicht helfen, welches sich weggegeben hatte und sich nun wieder zurücknehmen muß. Dem hilft sicherlich auch ein Gott, aber er steht in keinem Liede, sondern ganz tief im Herzen selbst ist er verborgen, stumm, und ich glaube, der große Stolz, den ich empfinde, ist sein Kleid.

Haben Sie nur rechte Geduld mit mir, mein lieber, lieber Herr Diakonus, Sie und Ihre Frau; Sie sollen sehen, die Lisbeth hilft sich schon heraus, denn von einem Tage zum anderen kann man doch nicht verloren sein, wenn es gleich den Anschein davon hat. Es ist aber erstaunlich, was für Schmerzen der Mensch aushalten kann. Wäre ich nur katholisch, so ginge ich zu den Barmherzigen Schwestern; es muß eine recht angenehme Beschäftigung sein, zeitlebens die armen Kranken zu pflegen. Und nehmen Sie mir das schlechte Schreiben nicht übel; es wollte aber nicht besser gehen. Durch den Überbringer bitte ich um Antwort.«

Die Entschuldigung wegen der Handschrift wäre nicht nötig gewesen; denn die Züge waren so eben und klar, wie sonst. Keine Träne war auf das Blatt gefallen. Sie sah sogar gleichmütig aus und alle ihre Züge leuchteten wirklich von einem wunderbaren Stolze. Sie rief einen Knaben herbei und schickte ihn mit dem Briefe nach der Stadt.

Fünftes Kapitel

Lisbeth und Oswald

Aber ihre ganze Fassung war hin, als sie gedankenvoll durch das Fenster nach den Hügeln blickend, durch die Nebel einen Mann herankommen sah, eine bekannte Gestalt. Heftig bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen und noch einmal brach ein Strom der bittersten Tränen aus den schon erschöpft gewesenen Augen. Ihre Wangen wurden eiskalt und ihre Hände starben ab — »Ach! Ach! Ach!« war alles, was die Brust, die sich so grimmig beraubt wähnte, zu ächzen vermochte. Was sollte sie tun? Ihre Seele wurde von der Verzweiflung in zwei Hälften gespalten. Ach, das war er ja immer noch, der da so langsam herbeigeschritten kam, »gewiß«, dachte sie blitzschnell, »geht er so langsam, weil ihn die Schuld drückt; wie würde er sonst fliegen! Das ist seine Kleidung, das ist sein Gang, das ist sein Antlitz, und nur er ist es nicht, nur er nicht!«

Sie strich über ihre Schläfe, die ein kalter Schweiß bedeckte. — Dann sah sie sich im Zimmer um, wo noch manches vom vorigen Abend die Verwirrung ihrer Sinne bezeugte. Auch in dieser gramvollen Not schämte sie sich, daß er etwas unordentlich bei ihr finden könnte. Sorgfältig verbarg sie ihre Nachtkleider unter der Decke des Bettes und sah nach, ob auch dieses recht in Ordnung und überall von der Decke überhüllt wäre, denn gemacht hatte sie es freilich gleich, nachdem sie aufgestanden war. Sie rückte den Tisch am Fenster gerade und stellte die Stühle an ihre Plätze, auch den Zunder von dem verbrannten Gedichte kehrte sie sauber beiseite, und die Stücke des zerschnittenen Tuches, welche auch noch am Boden lagen, erhob sie und legte sie auf den Tisch. Sie tat das alles so emsig, wie wenn das glücklichste Mädchen den Bräutigam erwartet, und doch stockte ihr der Tod im Herzen.

Ach, er kam immer näher! — Was — was sollte sie tun? Wie gern wäre sie in seine Arme gestürzt und hätte sich in diesen süß-giftigen Schlingen mit ihren Schmerzen ersticken lassen! Und doch mußte sie vor ihm fliehen, unerreichbar weg, denn trat er in das Zimmer und heftete er seinen Blick auf sie, so war es um sie geschehen, das fühlte sie wohl. Kaum den Boden unter ihren Füßen sehend, schwankte sie aus dem Zimmer und wählte den Versteck, der sich ihren irren Sinnen zunächst darbot. Kein Gedanke, keine Überlegung, daß er ja nicht zu ihren Pflegern gegangen sein würde, wenn er es übel mit ihr meinte, kam in die gestörte Seele.

Denn die Liebe ist, ungerüttelt, göttlicher Scharfsinn. Die Blitze ihrer Ahnung sehen das Verborgenste, sie gleicht dem Wunderrosse, welches Mahomet zwischen dem Umstürzen und Auslaufen eines Wasserkruges durch alle sieben Himmel trug und ihm die Herrlichkeiten eines jeden zeigte — verstört, in falsche Bahnen gelenkt, ist sie Wahnsinn, der bei Domen vorübergeht, ohne sie wahrzunehmen, und Maulwurfshügel für Alpengipfel ansieht.

Oswald betrat unten das Haus. Er hätte nie gedacht, daß er über eine Schwelle so scheu wie ein Sünder würde schreiten müssen. Ein grimmiger Verdruß über die ekelhaften Schlangenknäuel des Lebens, über den plumpen Spaß des Daseins, welcher oft Spülicht und die Blume des Weines zusammenmischt, saß ihm am Herzen. Immer kränker fühlte sich dieses Herz. Noch hingen die Locken des Jünglings verwirrt vor seinem Antlitz, um welches zuweilen eine fliegende Röte ergossen war, und seine Augen sprangen unstet zwischen den Gegenständen hin und her, ohne einen derselben mit ihren Blicken zu treffen. Er schritt an den Leuten vorüber, die im Flur waren und an dem Hofschulzen, ohne jemand zu grüßen.

Sein Herz war voll von Gram aber auch voll von Entschluß. Zu Lisbeth ging er, zu der Lisbeth, welche ihn gestern mit dem Wiesenkrönchen als ihren König und Herrn gekrönt hatte, und die er nun der süßen Dienstbarkeit entlassen wollte. Denn ihr Bild war ihm besudelt worden; freilich ohne Schuld der Unschuldigsten. Aber ist das Liebesgefühl, stark wie der Tod, nicht auch verletzlich, gleich den Hörnern der Schnecke? — »Es muß mir das nicht bei ihr einfallen«, hatte Oswald unaufhörlich auf dem Wege zu sich gesagt. — »Sie wird zwar unglücklich, aber werde ich‘s nicht auch? Nicht tief, tief unglücklich? — Ach, wie wollte ich an ihrer Seite daheime werden in meinem Herzen, daheim und selig zu Hause sein bei mir, und jedes Winkelchen kennenlernen, darin lieblich Geräte steht und Krüge würzig duften voll sanften Weines und Öles, und muß nun doch wieder mich selber draußen suchen gehen! Aber die Braut des Grafen Waldburg darf nicht —«

Er tat die Türe des Zimmers mit dem gewaltigsten Herzpochen auf. »Sie« wollte er sie nennen und zu ihr sagen, daß er komme, um von ihr Abschied zu nehmen, sie solle ihn aber nicht fragen, was sich so plötzlich zwischen sie beide gedrängt habe. Mit diesen Gedanken trat er in das Stübchen, vernichtet fast von dem bevorstehenden Augenblicke und als er sie nicht fand, da — rief er: »Sie ist nicht hier!« mit eben dem Entzücken, mit welchem er gestern die verschlossene Türe der Dorfkirche begrüßt hatte. Denn nun hatte er sie ja noch, vielleicht zwei, vielleicht gar drei Minuten, bis sie wieder in das Zimmer trat.

Er setzte sich am Bette nieder und streichelte die Decke, als streichle er ihre Hand. Dann schob er die Hand unter die Decke am Fußende, wo er ihre Nachtkleider vermutete, und da geriet ihm ihr Mützchen zwischen die Finger. Er drückte das Mützchen mit seinen Fingern, denn er wollte Abschied nehmen von allem, was sie berührt hatte.

Dann legte er die Hände in den Schoß und sah vor sich hin und um sich her, lange. Ach, alles war reinlich und sauber umher und der Hauch ihrer Nähe webte noch in dem kleinen Zimmer. Es kam ihm vor, als sei es darin golden helle, als scheine die Sonne draußen und doch dunstete der graue, häßliche Nebel auch um dieses Haus. — Nach einem langen Schweigen sagte er beklommen: »Ich hätte nicht hieher kommen, ich hätte ihr schreiben sollen; so schwere Dinge soll man schriftlich abmachen.«

Sie blieb immer aus. Er begann, sich nach ihrer Erscheinung zu sehnen, stand auf und ging unruhig hin und her. »Was?« rief er, indem er sich plötzlich über dieser Sehnsucht ertappte, »du verlangst danach, von ihr Abschied zu nehmen?« — Sein Blick fiel in den kleinen Spiegel an der Wand, er sah seine Locken in greulicher Verwirrung, schämte sich dieses Anblickes, strich sie in Ordnung, und ein Gesicht sah dahinter hervor, welches zwar bleich war, aber sich doch nicht so übel ausnahm, wie er noch vor wenigen Augenblicken gemeint hatte, daß es sich ausnehmen müsse.

Denn eine sanfte Wärme hatte sein ganzes Inneres durchdrungen, welches seit einigen Stunden wie erfroren gewesen war. Es hob sich eine Last von seinem Herzen, es trat wie ein schwerer Fluch von seiner Seele zurück. Mit jedem Augenblicke wurde ihm freier und freier; ihm ward zumute, wie dem begnadigten Sünder, wie dem verlorenen Sohne, da der Vater ihm ein köstliches Mahl anrichten ließ. Ganz und voll durchdrang ihn eine unaussprechliche Empfindung, die aus hülfreichem Mitleid und schöpferischer Zärtlichkeit gemischt war; ein herzliches Wollen, ein tiefes Entschließen und eine göttliche Geburtswehe des Gemütes. Alles das wallte wie ein Meer in ihm empor und in die Fluten dieses Meeres sanken die Fratzen des sogenannten Schlosses hinab und wurden nicht mehr gesehen.

Ja, er hatte sie wieder, die zufällig Gefundene, rasch Geliebte, für die Ewigkeit Erkannte! — Er hatte sein Reh wieder, sein Mädchen, sein Herz, und was gestern noch Glück war, das war heute eine schwere, süße Eroberung durch die Tapferkeit seiner wärmsten Blutstropfen geworden. Er rieb sich vor Vergnügen die Hände; jauchzend rief er: »Bin ich nicht frei, bin ich nicht zu meinem allergrößten Glücke ganz frei?« — Und dann setzte er sich auf den Stuhl am Fenster, auf dem sie zu sitzen pflegte, nahm die Feder, mit der sie eben den traurigen Brief an den Geistlichen geschrieben hatte und focht damit in der Luft hin und her, fröhlich wie ein Junker, der seinen ersten Degen erhalten hat. Er schrieb nicht mit der Feder auf dem Papiere, nein in den Lüften zog er einen schönen Schnörkel aus L. und O. geschlungen und freute sich über die gefällige Form dieser Buchstaben und um dieselben zog er ein lateinisches W. Ihm dünkte das ein trefflicher Namenszug zu sein. Mutig rief er: »Und wäre sie von Räubern und Mördern entsprossen und wäre sie unter dem Hochgerichte geboren, sie bliebe doch die Lisbeth und doch würde sie mein!« —

Wer von der Geliebten Abschied nehmen will, gehe nicht in ihr Zimmer, sondern schreibe an sie, obgleich auch dann wohl manches Billett zerrissen werden und statt des Billetts der Liebende sich auf den Weg machen möchte.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
1010 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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