Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 52
Sechstes Kapitel
Suchen und nicht Finden
Er sagte: »Aber erfahren darf sie es nie, nie darf sie nach ihrem Ursprunge forschen. Auf mich allein und in meine Brust muß sie gepflanzt sein.« — Da war nun das Erdreich, in welchem die arme abgeschnittene Staude wieder wachsen sollte, und sie wußte es nicht. Sie war so nahe, daß sie fast seine Stimme hören konnte und doch wußte sie es nicht. — Nichtige Nöte! Ihr gehört zur Liebe, wie Schwindel zum Rausche.
Sie kam aber immer nicht. Er wurde unruhig, ging hinunter und fragte nach ihr. Die eine Magd wollte sie den ganzen Tag über nicht gesehen haben, die andere meinte, sie sei aus dem Hofe gegangen. Er durchstrich die nächsten Umgebungen des Oberhofes, aber da war nichts von Lisbeth zu erblicken. Es fing schon an, düster zu werden.
Sein Herz wurde ihm nach kurzer Freude noch schwerer als früher. Ihr Verschwinden war ihm unerklärbar. Er ging wieder auf ihr Zimmer, worin er wegen der Dunkelheit die Gegenstände nicht mehr unterscheiden konnte. Nach kurzem Verweilen trieb es ihn abermals hinunter, er traf nun den Hofschulzen an und erkundigte sich bei dem, wo sie sei? — »Die wird nach Ihnen nicht viel mehr fragen, junger Herr«, versetzte der Alte. »Sie ist gewitziget.« — »Was!« rief Oswald in äußerster Bestürzung und wollte von dem Hofschulzen nähere Auskunft haben. Diese versagte aber der Alte, denn er hatte zwar seine Pflicht, wie er meinte, gegen das Mädchen üben müssen, aber mit dem jungen verliebten Hitzkopfe mochte er nichts zu tun haben. Liebessachen gehörten überhaupt nicht zu den Gegenständen, die für ihn von Wichtigkeit waren, und worin er Treue und Glauben als Pflichten anerkannte. Um sich des Jünglings durch irgendeinen Vorwand, wahr oder falsch, zu entledigen, setzte er hinzu: »Junge Frauenzimmer sind wetterwendisch; es mag ihr wohl so ernst nicht gewesen sein, nun schämt sie sich und will sich nicht vor Ihnen sehen lassen.«
Ein Weiteres war von dem Alten nicht herauszubringen. Außer sich stürzte Oswald zum dritten Male nach Lisbeths Zimmer, als müsse sie dort sein, wenn er sie suche. Er hatte ein Licht mitgenommen. Lisbeth fand er nicht, wohl aber bei dem Scheine des Lichtes und mit dem Scharfsinn, den der Kummer gibt, die traurigen Zeichen der zerstörten Liebeshuld. Er nahm, was auf dem Kasten lag, hinweg, da sah er drinnen seine Goldrolle und das grüne Särglein liegen, von Lisbeths Busen verstoßen, hinweggeworfen! — Die Stücke des zerschnittenen Tüchleins sah er; der Schnitt ihrer Schere hatte eigentlich dem Bande zwischen ihnen gegolten! — Auch ein halbverbranntes Stückchen Papier erhob er vom Boden, denn alles war ihm wichtig, was sein Elend ihm erleuchten konnte. Noch stand darauf:
»In deinem Ernst, in deinem Lachen
Gehörst du dir —«
Weiter war nichts zu lesen. — »Ja«, rief er, »du gehörst nur dir und keinem anderen, aber das Lachen wird dir wohl eigener sein, als der Ernst!« — Er war böse auf sie, er zürnte ihr ingrimmig, denn auch er glaubte, was der Hofschulze ihm gesagt hatte, und meinte, das Mädchen habe nur in einem Anstoß, der rasch verflogen sei, sich in seinen Arm gelegt. Es war das Unglaublichste, was es nur geben konnte, aber er hätte nicht geliebt, wenn er gezweifelt hätte. — Liebe ist so feige, daß sie vor ihrem eigenen Schatten erschrickt; Liebe ist blind in der Wahl, noch blinder in der Qual.
Er stellte sich an die Türe des Zimmers und rief mit sanfter Stimme über den Gang: »Lisbeth!« — Sie hörte ihn wohl, aber sie antwortete ihm nicht, denn sie war entschlossen, lieber zu verhungern und zu verdursten, als sich zu zeigen, solange er im Oberhofe sei. Fest hielt sie ihre Hand auf die Lippen gedrückt und wimmerte leise wie ein blutendes Kind, daß sie nicht hinaus und an seine Brust fliegen dürfe. — Er suchte in mehreren Gemächern nach ihr, aber das übersah er, worin sie sich befand. Nun ging er nach dem Zimmer und sah die Goldlocke und das grüne Särglein abermals an, und wollte das Särglein zu sich stecken, denn was ging ihn das Gold an? aber er nahm die Rolle und ließ das Särglein liegen, so verwirrt waren seine Gedanken. Die Blumen riß er aus dem Glase und warf sie heftig zu Boden, aber dann tat ihm dieser Zorn doch leid, und er hob sie wieder auf, wenigstens die Lilie, weil er wußte, daß diese der Lisbeth besonders gefallen hatte.
Fast wahnsinnig vor Leid machte er einen neuen Gang in die Dunkelheit und als auch der vergebens war, blieb er erschöpft vor dem Hofe stehen und jeder Windstoß, jeder ferne Ruf mußte ihm Lisbeths Gang oder Stimme bedeuten. Aber sie kam nicht. — Zornig trat er in das Haus zurück und fragte jeden wild, ob er nicht Lisbeth gesehen habe? und dann vertauschte er wieder das Haus mit dem Platze vor dem Hofe, dort immer von neuem horchend.
So trieb es Liebesmühe umsonst bis spät abends. Mit der verzweiflungsvollen Unruhe des Jünglings bildete die unzerstörliche äußere Fassung des Hofschulzen einen merkwürdigen Gegensatz. Während der junge Graf wie ein verwundeter Löwe umhertosete, saß der alte Bauer gleich einem Bilde aus Stein an seinem Tische, die entsetzlichste Aufregung zurückhaltend im verschwiegenen Herzen.
Siebentes Kapitel
Ein Trauerspiel im Oberhofe
Melpomene hat zwei Dolche. Der eine ist blank, haarscharf geschliffen, schneidet schnell und gräbt glatte, rein ausblutende Wunden. Der andere rostig, voll Scharten, reißt in das Fleisch unselige Zerstörung. Mit dem einen tritt sie Könige und Helden an, mit dem anderen pflegt sie sich öfter bei Bauern und Bürgern einzuschleichen. Der eine trifft um große, unleugbare Güter, um Krone, Reich, Leben, der andere quält um Nichtigkeiten, um einen Schall, um des Schalles Widerhall. Denn die Menschen werden nicht von den Dingen, sondern von den Meinungen über die Dinge gepeiniget.
Der Palast ist nicht der einzige Schauplatz der Tragödie. — Wer jetzt bei den Schatten der Nacht unter das Dach des Oberhofes hätte blicken können, würde haben zugestehen müssen, daß dort die leidenschaftlichste Tragödie im Gange sei.
Es war so spät geworden, daß die Nachbarn sich zurückgezogen, die Knechte und Mägde sich schlafen gelegt hatten und das Feuer auf dem Herde erloschen war. Der Hofschulze verschloß darnach alle Türen des Hauses und bereitete sich zu seinem Werke, welches er für die Nacht verspart hatte. Für ganz einsam hielt er sich, aber er war belauscht. Als die Türen abgeschlossen wurden, schlich sich eine dunkele Gestalt zu der Spähestelle im Eichenkamp und setzte sich dort nieder, das Gesicht nach dem Oberhofe gewendet. Es war der einäugige Spielmann, welcher inzwischen gehört hatte, daß sein Feind nicht am Schlage gestorben sei und nun sehen wollte, ob ihm nicht wenigstens die Qual anfliege, welche der Rachsüchtige ihm in heißem Grimme anwünschte. Nicht lange durfte er auf die Freude dieses Anblicks warten. Denn bald leuchtete in dem dunkelgewordenen Oberhofe ein Licht auf. — »Aha«, sagte der Spielmann, »jetzt gibt er sich ans Suchen.« — Das Licht begann eine Wanderung, jetzt erschien es hier, dann zeigte es sich da. — »Nun sucht er in den Stuben«, sagte der Spielmann. Zuweilen verschwand es. — »Hinten hinaus liegt auch nichts!« frohlockte der Spielmann. Plötzlich kam es wieder rasch zum Vorschein. — »Da bist du ja schon gewesen!« murmelte der Feind voll ingrimmiger Lust. So begleitete er jeden Schritt des verräterischen Lichtes mit seinem Hohne. Wie das Licht nicht müde ward zu wandern und der Reiche in seiner verzweiflungsvollen Anstrengung mit ihm, so ward der Bettler draußen im Dunkel nicht müde, das Licht und den Reichen zu verspotten. Endlich als es auf Mitternacht ging, und der Schein noch immer da und dort flammte, konnte er sich nicht mäßigen, sondern er feierte seinen nächtlichen Triumph durch ein Lied, welches er auf dem Leierkasten tönen ließ. Es war eins der sanften, stillen Lieder, welche das Volk auf den Gassen zu hören bekommt, er aber riß an dem Griff, daß die Walze, heftig umgeschwungen, die langsame Weise in das wildeste Allegro trieb.
Damals um diese Mitternachtstunde saß auf dem Flure im Oberhofe der alte Bauer und ruhte eine kurze Zeitlang von seinem Suchen aus. Das Licht stand neben ihm und in dessen mattem Scheine glichen die gefurchten Züge des Antlitzes tiefen Gräben, die sich durch ein graues Feld ziehen, denn seine Gesichtsfarbe war von Schmerz und Gram um den ihm unbegreiflichen Verlust aschfahl. Die Augen waren fast aus ihren Höhlen getreten und er sah starr mit ihnen auf den Boden. Alles hatte er unten durchsucht, selbst das Stroh in dem Stalle umgewendet und nichts gefunden.
Jetzt erhob er sich, um in dem ersten Stock des Hauses nachzusehen. Das Licht vor sich hinhaltend, ging er zitternd und gebeugt langsam die Treppe hinauf und hielt sich am Geländer. Oben stand er still und überschlug, wo er seine Forschungen anstellen müsse. Denn auch in dieser verzweiflungsvollen Seelenstimmung verließ ihn seine Bedächtigkeit nicht. Er erinnerte sich, daß er in der Kammer, worin die Kiste stand, schon gleich nach dem Wahrnehmen des Raubes nichts undurchstöbert gelassen hatte; dort also wäre jede erneute Mühe umsonst gewesen. Aber alle anderen Gemächer, Gelasse, Ecken und Winkel durchspähte er. Er rückte die Schränke ab, wo dergleichen standen, und blickte hinter jede Kiste. Er öffnete die Schränke und Kisten, bückte sich über sie und leuchtete hinein. Jedes Gerät, welches einen Gegenstand verbergen konnte, nahm er auch hier von seinem Platze und sah nach, ob das Schwert nicht dahinter liege. Über diesem stillen und vergeblichen Suchen gingen wieder mehrere Stunden hin. Der Morgen begann schon zu dämmern.
Wie der alte Mann so, unaufhörlich gehend, sich bückend, spähend, nie übereilt in seinen Bewegungen, aber auch nimmer rastend, umherwanderte, gewährte diese unablässige, stumme, stete, gleichmäßige Mühe einen peinlichen und fast schauerlichen Anblick. Wäre er rascher in seinen Bewegungen gewesen, so würde man ihn haben einem Raubtiere vergleichen können, welches nach seinen Jungen sucht; so aber, wie er sich verhielt, glich er einer ewigen, toten, stillwühlenden Naturkraft.
Das letzte Gemach, welches er durchforschte, war Lisbeths Zimmer. Er dachte nicht daran, daß er ein entkleidetes und schlafendes Mädchen dort hätte finden können. Er verwunderte sich auch nicht, daß er Lisbeth nicht darin fand, daß ein anderer es und in solcher Art, wie er sah, innehatte, denn er hätte sich über nichts verwundert, seine Seele war gleichgültig gegen alles, außer gegen den einen Gegenstand, der sie erfüllte. — Nun hatte sich die Sache gewendet. Der Alte war in Bewegung und der junge Mann ruhte, oder regte sich wenigstens nicht, erschöpft von Anstrengung und Leiden. Er hatte sich, nachdem er der Hoffnung leer geworden war, Lisbeth heute wiederzusehen, über ihr Bette geworfen, um etwas zu berühren, was ihr Körper berührt hatte. So lag er, die Arme über das Kissen gebreitet, und dieses an seine Wangen drückend. Leise stöhnte er und rief zuweilen schluchzend den schwäbischen Schmerzenswunsch: »Ich wollt‘, ich wär‘ bei meiner Mutter!« — Die Mutter, nach der er hinverlangte, lag aber im Grabe, und die Geliebte, um die er bekümmert war, saß wenige Türen von ihm, in der Nachtkälte frierend, ein erstarrtes Vöglein, welches Tages zuvor so lieblich gesungen hatte.
Der Hofschulze bekümmerte sich nicht um Oswald und der Jüngling hörte nicht, daß der Hofschulze in das Zimmer getreten war. Auch hier tat und vollbrachte nun der Alte sein mühevoll vergebliches Werk. Der Schweiß troff ihm von der Stirne. Er seufzte tief und machte sich jetzt auf den Weg nach dem Söller, dem letzten noch undurchforschten Raume des Hauses. Als er in die Nähe der Söllertreppe kam, stand er jedoch plötzlich still und ein Schauder schüttelte seine Glieder. Nachdem dieser Schauder vorüber war, hatten seine Züge ein verändertes Ansehen gewonnen. Die Muskeln des Antlitzes spannten sich straff an, die Augenhöhlen wurden weiter, in seine Augen trat ein seherischer Glanz, sie blickten unbeweglich mit geisterhaftem Blicke vor sich hin, als schaue er etwas, ein Ding oder einen Ort, und plötzlich griff er mit der Hand nach der Luftgestalt, die ihm der auf der Höhe seiner Anstrengungen gewordene ekstatische Zustand vorspiegelte. Jene Handbewegung brachte ihn zu sich selbst zurück. Er blickte nun mit seiner gewöhnlichen Art um sich her, strich sich über die Stirne, die Anspannung der Muskeln ließ nach, die Brauen sanken herunter, die Augenhöhlen nahmen ihre gewöhnliche Größe an, er sah aus, wie zuvor. Der ganze Paroxysmus hatte nur wenige Sekunden gedauert. Aber ohne Zweifel war während desselben etwas Außerordentliches in ihm vorgegangen. — »Also da liegt es!« murmelte er froh und beruhigt, und stieg raschen Schrittes die Söllertreppe hinauf.
Oben achtete er dessen nicht, daß er mit dem brennenden Lichte neben Stroh und Heu vorbeiging; eine Unvorsichtigkeit, wofür jeder Knecht ohnfehlbar den Dienst bei ihm verwirkt haben würde. Geraden Schrittes ging er auf den Verschlag zu, worin Oswald so unbequeme und doch so glückselige Nachtstunden zugebracht hatte. Mit der Sicherheit eines, der weiß, daß ihn seine Vermutung nicht täuscht, machte er die Türe auf und sah sich im Verschlage um.
Aber als er nun das Lagerstroh umgekehrt und die wenigen Sachen, welche der enge, kahle Raum enthielt, hinweggetan hatte, brach er gewaltsam zusammen. Denn zwischen diesen vier leeren Bretterwänden war das Schwert Karls des Großen auch nicht zu finden. Das brennende Licht entsank seiner Hand, er setzte sich oder fiel vielmehr auf einen dort stehenden Kasten und stieß einen furchtbaren Schrei aus, einen von den Lauten, die sich nicht beschreiben lassen, weil die Natur in ihnen ihre eigensten, nur sich selbst vorbehaltenen Rechte übt.
Das Licht schwelte mit seiner Flamme auf dem Fußboden in der Nähe des umherzerstreuten Strohes. Der Hofschulze aber hatte kein Auge für diese Feuersgefahr. Er blieb auf dem Kasten sitzen. Die Kniee hatte er zum Haupte emporgezogen, die Arme auf die Kniee gestemmt und mit seinem Munde nagte er an den Händen. So blieb er, ohne daß er sein Lager aufgesucht hätte, oben, bis es heller Tag geworden war.
Achtes Kapitel
Wie der einäugige Spielmann seine Absicht bei einem leidenschaftlichen Juristen erreicht
Am folgenden Morgen zwischen zehn und eilf Uhr hielt ungefähr eine halbe Stunde vom Oberhofe ein kleiner leichter Wagen vor einem einzeln stehenden Hause. Den Schlag des Wagens öffnete der alte Jochem, welcher auch das Pferd — denn der Wagen war ein Einspänner — gelenkt hatte, und half dem darin sitzenden Manne heraus. Dieser war der Mann im graubraunen Mackintosh, der Oberamtmann Ernst.
»Ihr bleibt nun hier, Jochem«, sagte der Oberamtmann, »ich aber will das Geschäft in der Bauerkate, in dem sogenannten Oberhofe besorgen.«
»Warum fahren Sie nicht vor, Herr Oberamtmann«, fragte der alte Jochem.
»Weil ich alles Aufsehen vermeiden will«, versetzte der Geschäftsmann. »Wie Ihr mir Euren Herrn beschreibt, Jochem, ist er in einer etwas erhöhten Stimmung. Unterhandlungen aber mit Leuten in solcher Stimmung wollen ganz besonders vorsichtig angefaßt sein, sonst mißlingen sie leicht. Ich würde mit dem Wagen die Leute im Hofe aufmerksam machen, der Graf könnte vielleicht durch die Anwesenheit von Zeugen gereizt werden, und was dergleichen mehr sein dürfte. Deshalb ziehe ich es vor, allein, gleichsam schleichend, nach der Kate zu gehen, ihn so zu überraschen und sacht mit fortzunehmen. — Eine Liebschaft, Jochem, sagt Ihr?«
»So sagt‘ ich, Herr Oberamtmann«, versetzte der alte Jochem. »Aber er wollt‘ nichts mehr damit zu tun haben und weinte dabei erbärmlich.«
»Kenne das, Jochem«, sagte der Oberamtmann. »Rixae amantium u.s.w.« — Er schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, daß der Mackintosh wie das Segel eines Hamburger Evers flog und rauschte und rief: »Großer Gott, so behielte ja der »Merkur« recht mit der Reise nach dem aufgelesenen Schätzchen!«
»Herr Oberamtmann«, sagte der alte Jochem, »wenn ich Ihnen raten soll, so schicken Sie mich nach dem Hofe, denn ich weiß doch allein meinen Herrn zu behandeln.« — Der Oberamtmann maß den Alten mit einem geringschätzigen Blicke und schüttelte das Haupt. Der Alte, den dieser Blick etwas verdroß, und der die Eigenheit hatte, daß er zuweilen laut dachte, murmelte, daß jeder es verstehen konnte: »Wenn der ihn mit seiner Unterhandlung aus dem Oberhofe fortbringt, so will ich nicht Jochem heißen.«
Nicht weit von dem Platze, auf welchem dieses Gespräch vorfiel, torkelte unter den Tannen ein Mensch umher, dessen Gebärden einen Betrunkenen verrieten. Was diesen Betrunkenen vor anderen seines Zustandes auszeichnete, war, daß er nicht fiel, obgleich ein Leierkasten, den er auf dem Rücken trug, hin und her rutschend das Gewicht auf der Seite vermehrte, auf welche er sich gerade neigte. So aber mit dem bald links bald rechts fliegenden Leierkasten gewährte der Patriotenkaspar — denn dieser war der Betrunkene — das Schauspiel eines auf hohen Wellen treibenden Schiffes, welches gleichwohl nicht untergeht. Er hatte sich von dem Erlöse des Silberringes, den er an einen Hausierer verkauft, auf das Rachegefühl der Nacht in dem kalten Morgennebel gütlich getan, und war so in diese Verfassung geraten, welche ihn jedoch nicht hinderte, zwar heftige aber doch völlig zusammenhängende Reden zu führen, die er unaufhörlich hervorsprudelte.
Der Weg nach dem Oberhofe lief durch die Tannen. — »Das Pferd bleibt wohl ruhig hier stehen«, sagte der Oberamtmann. »Geht doch etwas voran, Jochem, und haltet mir den Menschen da seitab; Ihr wißt, daß ich mit Betrunkenen nicht gern zu schaffen habe.«
Jochem ging voran und der Oberamtmann folgte in gemessener Entfernung. Er sah, daß der Alte mit dem Betrunkenen sich in ein Gespräch gab, und rief, was da vor sei? Jochem kam zurück und meinte, das sei der kurioseste Fuselichte, der ihm jemals vorgekommen. »Bloß die Beine sind benebelt«, sagte er; »im übrigen ist der wüste Kerl vernünftig und spricht verständlich wie ein nüchterner Mensch von Protokoll und Mord und Totschlag.«
Als der Oberamtmann diese Worte hörte, horchte er hoch auf. »Was gibt es denn damit?« fragte er sehr gespannt. Sein Widerwille gegen den Betrunkenen war viel kleiner als seine Neugier nach dem Protokolle und nach dem Mord und Totschlag. Er ging daher zu dem Patriotenkaspar, der wirklich einen eigenen Rausch hatte, von dem sozusagen nur die Extremitäten angegangen waren, das Gehirn aber unversehrt geblieben war. Ein nicht seltener Fall bei erschöpften Körpern. Der betrunkene Spielmann rief dem Oberamtmanne gleich entgegen: »Könnt Ihr mir ein Protokoll machen, he?«
»Mein Freund, das könnte ich allerdings wohl«, versetzte der Oberamtmann mit einem juristischen Lächeln.
»Nun denn, so kommt Ihr mir ja wie ein wahrer Retter in der Not entgegen«, rief der Spielmann und wollte den Oberamtmann umarmen. Dieser wich zurück, darüber verlor Kaspar das Gleichgewicht und fiel mit der Nase auf die Erde. Er raffte sich aber gleich wieder empor, ließ den Fall sich nicht anfechten und fuhr fort: »Macht mir ein Protokoll, und ich will Euch zeitlebens dankbar sein.«
»Aber was soll denn in dem Protokolle stehen?« fragte der Oberamtmann. — »Herr«, sagte der alte Jochem, »wollen Sie nicht weiter nach dem Oberhofe?« — »Ich bitte Euch, Jochem, laßt mich doch; man muß jeden Menschen anhören«, versetzte ungeduldig der Oberamtmann, dessen Teilnahme an diesem nach einem Protokolle durstigen Trunkenen sichtlich wuchs.
»Mord und Totschlag soll darin stehen!« rief der Patriotenkaspar. — »Ich habe einen Menschen totgeschlagen und keiner will mir ein Protokoll darüber machen, auf daß ich mein Recht und meine Strafe empfange, wie sich gebührt.«
Die Gestalt des Oberamtmanns verwandelte sich bei dieser unerwarteten Nachricht zu der hölzernen Säule, an welcher er seine Inkulpaten züchtigen ließ. Ein solcher Fall war ihm nie vorgekommen. Auch der alte Diener zeigte sich erstaunt und rief: »Ich sag‘s ja immer, wenn man aus Schwabenland heraus ist unter die Franken und Sachsen und Polacken gekommen, hört Recht und Gerechtigkeit auf. ‚s ist a wüst Volk haußen.«
»Ihr habt einen totgeschlagen und sie wollen kein Protokoll darüber aufnehmen?« fragte der Oberamtmann einigermaßen entsetzt.
»Richtig einen totgeschlagen und keine Möglichkeit, mein Protokoll darüber gemacht zu kriegen!« erwiderte der Spielmann.
Der Oberamtmann bedachte sich, senkte das Haupt, spannte in dieser denkenden Stellung den Mackintosh wie einen Wandschirm aus, und sagte dann: »Dieser Mensch ist entweder verrückt, denn der Trunk hat ihn, wie augenscheinlich, nicht um seinen Verstand gebracht, oder es herrscht eine Nachlässigkeit der Behörden hier, die ohne Beispiel sein dürfte.« — Er hielt dem Patriotenkaspar die fünf Finger seiner rechten Hand vor die Augen und fragte: »Was seht Ihr da?«
»Fünf Finger«, versetzte der Spielmann.
»Guckt einmal da oben hinauf. Was seht Ihr über Euch?«
»Den Himmel. Es ist aber noch Haarrauch, deshalb sieht man nicht viel vom Himmel.«
»Sagt mir die Wochentage her.« — Der Spielmann nannte alle Tage vom Sonntag bis zum Samstag in ihrer gehörigen Reihenfolge.
»Welches sind die Zehn Gebote?« — Der Spielmann hob von dem »nicht andere Götter haben neben mir« an und ließ keins aus.
Nach dieser Geisteserforschung sprach der Oberamtmann: »Dieser Mensch ist so wenig irr als ich oder Ihr, Jochem. Folglich ein geständiger Totschläger, der von Reue und Gewissensbissen zerfleischt, sich angibt, dennoch nicht eingezogen, ja nicht einmal zur Anzeige gelassen wird. Schöne Wirtschaft! Was für ein Staat! — Kommt mit hinein in jenes Haus«, sagte er zum Patriotenkaspar, »es wird ja wohl ein Bogen Papier nebst Feder und Dinte darin zu haben sein. Ich will etwas kurzes Schriftliches von Euch aufnehmen und mir währenddessen überlegen, was weiter in der Sache zu tun ist.«
»Aber Herr Oberamtmann, der Oberhof —« sagte der alte Jochem.
»Der Oberhof läuft uns ja nicht fort«, versetzte der Jurist, »und Euren Herrn werde ich eine Stunde später auch noch finden. Diese Sache geht vor, man soll von mir nicht sagen, daß ich von einem Kapitalverbrechen gehört habe und meiner Wege dabei vorübergegangen sei. Bleibt Ihr bei dem Pferde, Jochem, und Ihr, Mensch, folgt mir.«
Man sieht, daß der Oberamtmann kurz vor der Fahrt im württembergischen Landrechte gelesen hatte. Er ging voran in das einsam liegende Haus; der Patriotenkaspar torkelte nach, sehr vergnügt, ein Protokoll gemacht zu bekommen, und der alte Jochem blieb kopfschüttelnd bei dem Pferde stehen, welches eine Art von Krippenbeißer war, denn es stieß beständig mit dem Kopfe nach vorn hinunter.