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Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 56

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Drittes Kapitel

Speisesaal und Krankenzimmer

Das Wiedersehen war sehr freundlich und herzlich gewesen. — Als die beiden Männer das Krankenzimmer verlassen hatten, gingen sie nach dem allgemeinen Versammlungssälchen und dort sagte der Oberamtmann: »Ich habe eigentlich nie ein schöneres Gefühl für einen Freund, als wenn ich ihm wider seinen Willen einen Dienst für das Leben leisten kann. Denn bei Gefälligkeiten, die man den Wünschen des anderen erweiset, ist man nie sicher, daß sich nicht Eitelkeit, weichliches und selbstliebiges Wesen mit einmischt. Wenn man aber gegen die Schoßneigungen des Freundes an ihm seine Schuldigkeit tut, dann hat man die reine Empfindung treuerfüllter Pflicht; wohl die schönste im Leben.«

»Soll das denn auf unseren Freund eine Anwendung finden?« fragte der Diakonus etwas befangen.

»Allerdings«, erwiderte der Oberamtmann, »und Ihren Beistand erbitte ich mir auch, Herr Diakonus, zu dem, was ich vorhabe. Nachdem der Graf nun wiederhergestellt ist, oder wenigstens in ganz kurzer Zeit sein wird, kann ich an mein Geschäft mit ihm oder vielmehr für ihn denken. Meine erste Obsorge muß nämlich jetzt sein, diese unangemessene und fast verrückte Liebschaft zu zerstören.«

Der Diakonus brauste hier, seine geistliche Fassung etwas vergessend, auf und rief in den bestimmtesten Ausdrücken, daß er zur Zerstörung einer solchen Liebe, welche keine Liebschaft sei, nicht die Hand biete, vielmehr sie, solange sie das Gastrecht seiner Schwelle genieße, zu schützen wissen werde. Man wurde hierauf, obgleich man sich in gewissen Grenzen zu halten wußte, gegenseitig sehr warm und erschöpfte alles, was an heftigen und starken Versicherungen und Gegenversicherungen gesagt werden konnte. Endlich fiel dem Diakonus die Frage ein, welche bei dergleichen Gelegenheiten die erste sein müßte, meistenteils aber die letzte zu sein pflegt. Er erkundigte sich nämlich nach den Gründen einer so starken Abneigung gegen diese Verbindung.

»Ihre Frage kann mir auffallend erscheinen, Herr Diakonus, indessen will ich sie beantworten«, erwiderte der Oberamtmann. »Mein Freund ist, wie Sie wissen, aus der ersten Familie des Königreiches, seine Herrschaft gleicht an Umfang manchem Fürstentume; geborener Reichsstand ist er und das Blut unserer Könige hat sich mit seinem Geschlechte mehrere Male vermischt. Wenn er nun den aufgelesenen Findling heiratet, so fallen seine Kinder, wie Bastarde, von der Bank und sind sukzessionsunfähig, darüber verliert er die Freude an seiner Herrschaft, weil er nämlich weiß, daß er sie für die fremde Linie aufhebt. Mit den Anverwandten verhetzt er sich, in seinen Verhältnissen zerrüttet er sich, bei Hofe kehren sie ihm den Rücken, der Gemahlin muß er sich schämen, in der Kammer wird er aus übler Laune ein hohler widersprecherischer Schreier, kurz, er wird auf alle Weise ein elender und verkümmerter Mann. Weil er aber dazu gar keine Anlage hat, sondern vielmehr ungeachtet mancher Torheit bestimmt ist, sich zu einem ganz herrlichen und prächtigen Charakter herauszuarbeiten, zu einer Freude und Zier des Landes, deshalb Herr Diakonus, und deshalb, weil ich seiner sterbenden Mutter mein Wort auf ihn gegeben habe, ist es meine Pflicht, dieses Verhältnis, welches für mich eine Liebschaft bleibt, zu zerstören.«

Die Streitenden gingen mit großen Schritten auf und nieder.

Der Diakonus pries die Unschuld und den Schwung der Neigung, welche so entgegengesetzte Gefühle aufregte. Allein der hartnäckige Geschäftsmann ließ sich dadurch nicht rühren, sondern sagte: »Ich will ihn auch gar nicht daran hindern, das Mädchen geliebt zu haben. Er feire sie in seiner Erinnerung, er mache Gedichte der Wehmut an sie, Sonette und Terzinen soviel er will, er trage ihre Locke oder ihren Schattenriß, was er nun von ihr besitzt, auf dem Herzen, immerhin! Liebe ist Liebe, aber Ehe ist Ehe. Die Ehe ist ein Geschäft, ein höchst wichtiges Geschäft. Nicht umsonst handelt ein Abschnitt in allen Landrechten von der Ehe und vom Eingebrachten und von der Gütergemeinschaft. Die Ehe soll dem Menschen einen Boden unter die Füße geben, nicht den Boden unter den Füßen wegziehen. Ein Geschäft muß ein Objekt haben, Liebe ist aber kein Objekt. Liebe gehört zur Ehe, wie der fröhliche Trunk zum Abschluß eines guten Kaufes; aber über das Glas Wein schließt man den Handel nicht. Er braucht noch gar nicht zu heiraten, denn er ist noch sehr jung, will er es aber tun, so gibt es unter unseren Gräfinnen und Fürstinnen und unter denen nebenan in Baden und Bayern auch schöne, blühende, gute Mädchen, darunter soll er sich auslesen, die Bettlerin aber soll er lassen.

Ich weiß wohl, daß jedes mißgefügte Liebespaar von seiner Torheit einen neuen Himmel und eine neue Erde datiert und die erste probehaltige Ausnahme. Wenn man aber nach wenigen Jahren die sogenannten Ausnahmen wiedersieht mit hangenden Flügeln, den Schmetterlingsstaub jämmerlich von den Schwingen gerieben, vernützt, abgeblaßt, so wendet sich einem das Herz im Leibe bei dem Anblicke von so trübseligen Bestätigungen der allgemeinen Regel um.«

Der Diakonus, dessen Verstand unwillig manches zugeben mußte, was der andere vorbrachte, bediente sich jetzt der Wendung, welche bei einem Streite so ziemlich klar die Niederlage anzeigt. Er sagte nämlich, daß diese Drohungen wohl nicht ganz der Ernst des Oberamtmanns sein möchten, daß er gewiß Bedenken tragen werde, sie in ihrem vollen Umfange auszuführen.

Darauf versetzte der Amtmann sehr kalt und fest: »Sie würden im Irrtume sein, wenn Sie diese Meinung wirklich hegten. Ich bemerke wohl, daß die Scherze, welche die junge Baronesse in ihrer liebenswürdigen Laune zuweilen über mich macht, Sie zum Lachen über mich anreizen, und es mag auch wahr sein, daß ich eine ziemlich sonderbare und graue Aktenfigur bin. — Ich habe neulich den sogenannten Patriotenkaspar verhört, darüber den Grafen vergessen, kam zu spät auf den Oberhof und fand meinen Freund, der vielleicht gesund mit mir gefahren wäre, erst wieder, als er blutend am Wege lag. Das war ein Schwabenstreich. — Indessen kann man solche begehen und doch bei manchem Punkte unbesieglich sein. — Glauben Sie mir, daß, wo ich mich in meinem Amte und Rechte fühle, alles von mir abgleitet, wie von einem Felsen und daß ich dann fest zu stehen weiß, wie ein Fels. Meinen liebsten Freund aber vor einem unsäglichen Elende zu bewahren, wie ich es nun einmal ansehe, das ist recht eigentlich meine Amtspflicht und mein Recht. Ich werde demnach, was ich angekündiget habe, durchzuführen wissen.«

»Aber was wollen Sie denn mit ihm beginnen? Er ist doch mündig!« rief der Diakonus ereifert.

»Leider!« versetzte der Oberamtmann. »Es gibt Leute, die wenigstens bis zum dreißigsten Jahre unter Kuratel stehen sollten. Indessen ist auch ein Mündiger anzufassen. Was ich beginnen will? Ihm jeden nur möglichen Grund vortragen, die Verbindung ihm unleidlich machen; Urlaub mir verlängern lassen, mit ihm auf sein Schloß reisen, Oheime, Vettern und Basen in Bewegung setzen, die Sache vor den König bringen, seine Standesgenossen aufregen, es darauf ankommen lassen, daß er mir die Türe weiset, dann doch nicht gehen, immerfort einsprechen, den Einspruch noch zwischen die Verlobung werfen, ja selbst am Altare, wenn es notwendig ist, einen Skandal bereiten. O ein Mann und Freund kann viel, wenn er nur beharrlich will. So wahr ich der Oberamtmann Ernst vom Schwarzwalde bin, mit meiner Zustimmung wird sie nicht Gräfin Waldburg-Bergheim.«

»Und mit meiner auch nicht«, sprach hier eine dritte Stimme. Die schöne Clelia war, von ihrem Spaziergange zurückgekehrt, in den Saal getreten, und hatte unbemerkt von den Männern, gehört, wovon die Rede war. »Nein, Herr Diakonus«, sagte sie, »Sie sehen die Sache doch etwas zu sehr von Ihrem Standpunkte an. Ich bin gewiß gut und freundlich gegen jeden und wünsche allen ein solches Lebensglück, wie ich es erlangt habe, aber auch meine Erfahrung hat mich gelehrt, daß Mißbündnisse nie zum Heile führen, und da es sich hier um das Los meines teuersten Anverwandten handelt, so stelle ich mich ganz auf die Seite des Oberamtmannes.«

Die schöne junge Frau sagte dies so feierlich, als hätte sie in ihrem zwanzigjährigen Leben schon wenigstens hundert üble Erfahrungen von Mißbündnissen vor Augen gehabt. Der Oberamtmann küßte ihr dankbar und gerührt die Hand und der Diakonus schwieg.

Es war inzwischen im Nebenzimmer gedeckt worden und man setzte sich zu Tische. Auch der junge Gemahl hatte sich nach seiner Sperlingsjagd, die nicht sehr ergiebig gewesen war, zur Gesellschaft gefunden und nur Lisbeth fehlte. Der Diakonus suchte, so gut es ihm gelingen wollte, der vorhergegangenen Szenen ungeachtet den beredten Wirt zu machen. Es glückte ihm aber nicht ganz, denn seine Seele war abwesend und in Bekümmernis bei dem Paare, über dessen Häuptern sich nach manchem Leiden noch zuletzt so schwere Wolken anhäuften.

Die ganze Gesellschaft war eigentlich verstimmt und redete wenig. Der Oberamtmann fühlte die Schwierigkeit seiner Aufgabe, zwei Herzen zu trennen, die einen geistlichen Beistand hatten, und dachte über die Mittel nach, diesem Einflusse entgegenzuarbeiten. Zwischen dem jungen Ehepaare aber hatte sich der erste Streit erhoben und zwar auch über das Liebespaar. Der Gemahl war nämlich nach seiner Rückkehr von dem Windbüchsenvergnügen unterrichtet worden, daß der Vetter hergestellt sei und hatte, als er seine Gemahlin von dem Spaziergange heimkommend gesprochen, ihr in aller Freundlichkeit aber mit bestimmtem Tone den Entschluß eröffnet, nunmehr abreisen zu wollen, da sie unmöglich jetzt noch eine Sorge um Oswald mit auf die Reise nehmen könne. Schon daß er so bestimmt sprach, regte ihren Widerspruch auf und sie fühlte wohl, daß wenn sie den Anfängen solcher Emanzipation nicht entgegentrete, es leicht um die ganze Zukunft ihres Regiments geschehen sein dürfte. Sie erklärte daher ebenso bestimmt, daß sie noch bleiben und so lange bleiben werde, bis sie ihren geliebtesten Anverwandten von einem schlimmeren Übel befreit sehe, als dem Blutsturze, nämlich von seinem verkehrten Heiratsvorsatze. Der Oberamtmann fasse alles zu rauh an, sie als Frau wisse allein in solcher Verwickelung das Richtige zu treffen und den Knäuel mit Feinheit zu entwirren. — »Du kennst meine Festigkeit, Edmund«, sagte sie zuletzt; »ich bin ganz fest in dieser Sache, zu deren Behandlung mich der Himmel selbst offenbar hieher hat kommen lassen, also stehe ab von dem Vorsatze, mich nach deinen Wünschen bewegen zu wollen.« Er erwiderte ihr darauf höflich, daß er an ihrer Festigkeit nie gezweifelt habe, daß sie ihm aber unter solchen Umständen verzeihen möge, wenn er, solange ihr Geschäft hier daure, einen Besuch bei seinem Oheim im Osnabrückschen abstatte, denn an diesem elenden Orte könne er es nicht länger aushalten.

So endete demnach der süße Friede der Flitterwochen und es war noch keine Versöhnung erfolgt, als man sich zu Tische setzte. Gemahl und Gemahlin sprachen daher auch nicht, sondern sahen stumm auf ihre Teller. Was endlich die Hausfrau betrifft, so hatte diese wirklich das hochrote Antlitz und die glänzenden Augen, von welchen Clelia gesprochen hatte, und welche unwiderleglich anzeigen, daß eine Wirtin sich sehnt, wieder ungestört in ihrer stillen Häuslichkeit zu leben. Sie war die gastfreiste Frau von der Welt, aber die Einladungen des Diakonus, die von ihm ohne Rücksicht auf Raum und Grenzen des kleinen Hauswesens ausgegangen waren, hatten ihr eine Last aufgebürdet, unter welcher sich selbst der Sinn einer Baucis geheimen Mißgefühls nicht würde haben enthalten können.

Man stand auf und wünschte einander gute Nacht. Vor dem Fortgehen sagte aber der Oberamtmann zum Diakonus: »Unbegreiflich ist es mir, wie Sie, Herr Pastor, die Partei eines Mädchens nehmen können, welches nach allen Anzeigen zu schließen, eine sehr gefühllose Seele hat.«

»Gefühllose Seele?«

»Ist sie, als sie von dem Unfalle ihres alten Pflegevaters hörte, zu ihm geeilt, wie es einem dankbaren Kinde eignete? Hat sie sich nicht begnügt, zu fragen, ob er wohl aufgehoben sei? und als sie erfuhr, daß gute Leute sich seiner angenommen hätten, tat sie da etwas anderes, als ihm das Geld schicken, welches sie für ihn verwahrte?«

»Herr Oberamtmann«, versetzte der Diakonus, »die Lisbeth hat den Spruch im Herzen empfangen und ausgetragen: »Du sollst Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen.« Es tut wohl, endlich einmal auch auf eine Natur zu stoßen, wenn man so viele Puppen gesehen hat. Ich habe da die Unterscheidungen und Bezeichnungen aufgestellt, welche, wie wir vernehmen, unser großer Dichter von weiblichen Wesen zu gebrauchen pflegte. Mir will es so vorkommen als ob Goethe, wenn er noch lebte und die Lisbeth sähe, sie eine Natur nennen würde.«

An diesem Abende ereignete sich, was hin und wieder in Liebesschicksalen vorkommt. Die Umherstehenden streiten gewaltig miteinander und regen eine wahre Ilias auf über die Frage, ob zwei Menschen verbunden bleiben sollen oder nicht! und die Liebe ruht während des Kampfes seitwärts unter Rosenbüschen in holder Eintracht. Lisbeth und Oswald wußten nicht, welche Schlachten um ihr Geschick ausgefochten wurden oder sich vorbereiteten. Lisbeth hatte eine heimliche liebliche Freude sich zugedacht. Sie pflückte die schönsten Astern im Garten und wand sie zum Kranze. Mit dem Kranze schlich sie, als es dunkelte, leise an die Türe des Krankenzimmers, horchte dort klopfenden Herzens und pochte, als sie im Zimmer nicht reden hörte, so sacht an, daß nur ein feines Gehör, wie es der alte Jochem besaß, den fast unhörbaren Schall vernehmen konnte. Auch er kam in seinen Socken an die Türe geschlichen und öffnete sie ohne Geräusch.

»Wacht der Graf?« flüsterte Lisbeth.

»Nein«, versetzte ebenso leise der Alte. »Er schlummert im Lehnsessel, das Gespräch mit den beiden Herren hat ihn etwas matt gemacht. Kommen‘s nur herein!«

Kaum den Boden mit ihren Fußsohlen berührend schritt Lisbeth durch das Krankenzimmer. Im Lehnstuhle saß Oswald und schlief. Sein Antlitz war so weiß wie Marmor, er sah vornehmer und prächtiger aus als je. Die schöne Stirn zeigte noch klarer als sonst die lichten, innigen Gedanken, welche hinter ihrer Wölbung wohnten. Leicht gerötet waren die vollen, gutmütigen Lippen, und um sie und um die reinen Wangen schwebte das friedlichste Lächeln. Er träumte vielleicht, und mochte wohl von seiner Liebe träumen. So saß er da, ein reizendes, hohes Jünglingsbild; eine Mischung von siegfreudigem Apoll und schwärmendem gefühlstrunkenem Bacchus, noch nie so klar in dieser seiner Grundform ausgeprägt, als heute, wo die geschlossenen Wimpern allen Zügen etwas Festes und Ewiges gaben.

Lisbeth näherte sich dem Schlafenden und beugte sich über sein Haupt. Aber sie rührte ihn nicht an und ließ kaum ihren Atem um seine Wangen spielen, um ihn nicht aufzuwecken. Dann legte sie leicht und leise wie eine beschenkende Himmelsgestalt ihren schönen Kranz von roten, gelben und blauen Astern in seinen Schoß. Und dann setzte sie sich ihm gegenüber in einen Sessel und sah ihn, die Hände über der Brust gekreuzt, lange an.

Nachdem sie so lange stumm gesessen, wendete sie ihr Antlitz. Der Alte stand ihr zur Seite und empfing ihren ersten Blick. Von diesem Blicke erschüttert, sank er leise auf das Knie und küßte ihre Hand.

Die Gnostiker erzählen, daß die Engel einst eine unaussprechlich schöne Gestalt flüchtig an sich vorüberschweben sahen, die sie nachmals nie wieder erblickten, obgleich sie Äonen lang mit heißer Sehnsucht einer zweiten Erscheinung harrten. Sie schufen dann endlich, sagen die Gnostiker, in Nacherinnerung an die Geschaute, ein schwaches Abbild jenes himmlischen Urbildes. Dieses Abbild war der Mensch. Es kann sein, daß in Lisbeths Zügen etwas von dem Ausdrucke der den Engeln einst erschienenen Schönheit schimmerte. Der Alte stammelte flüsternd: »O liebe, liebe, junge gnädige Gräfin.«

Lisbeth errötete. »Warum nennst du mich immer schon so?« fragte sie leise.

»Weil ich mir Sie gar nicht als Liebste oder Braut denken kann, sondern Frau sind Sie, liebe Frau von meinem jungen Herrn, gar kein‘ Sehnsucht nicht und kein Verlangen, sondern schon ganz eins mit ihm und herzenseinig.«

»Nun sage mir, wie geht es ihm und wovon hat er heute gesprochen?« fragte Lisbeth.

»Ach«, sagte der Alte, »Kranke haben so ihre wehmütigen und zaghaften Stunden. Mein Herr sagte heut‘, das Glück, was er mit Ihnen haben würd‘, käm‘ ihm gar zu schön und herrlich vor, er könnt‘ nicht aussprechen, wie unsäglich lieb er Sie haben tät‘ und deshalb fürchtete er, die wüste Welt würd‘ sich drein legen zwischen ihn und sein Glück, und der Damon würde drauf treten —«

»Dämon sagte er wohl«, sprach Lisbeth.

»Dämon oder Damon, ‚s kommt alles auf eins heraus, er meinte aber gewiß den Teufel«; fuhr Jochem fort. — »Er sagte diese trübseligen Sachen viel schöner und besser, als ich sie hervorbringen kann, indessen hatt‘ ich rechte Müh‘ ihm Trost einzusprechen.«

Lisbeth nahm die Hand des Alten und lispelte: »Wenn er erwacht, so sage ihm, ich sei hier gewesen und habe mich an ihm gefreut. Sage ihm dann auch, er solle mir nicht übelnehmen, besuche ich ihn morgen und auch vielleicht noch übermorgen nicht, denn ganz gesund müsse er erst sein, wenn er mich sehen solle, und ich sei ohnedies doch immer und ewig bei ihm.« — Tief atmend, aber so leise, daß der Alte sein Ohr ihren Lippen nähern mußte, setzte sie hinzu: »Und weiter sollst du ihm sagen, er müsse sich nicht vor der Welt und dem Dämon fürchten, denn er sei mein Oswald und ich sei seine Lisbeth, und die Welt und der Dämon hätten keine Macht über zwei Menschen, die einander von Grund des Herzens gut seien. Er solle nur ganz getrost an mich denken, denn ich sei Er, und er sei Ich, und wir seien Eins und zwischen uns könne nichts kommen.«

»Werd‘ alles genau ausrichten und bestellen«, antwortete der Alte. »Und ‚s ist gut, daß mein Herr es nicht von Ihnen hört, denn mit Ihrer Stimm‘ und dem ganzen Ton vorgetragen, möcht‘s ihn doch unruhig machen und der Brust noch schaden. Aber wenn ich‘s ihm in meiner groben Manier erst zuricht‘ und hinterbring‘, so überwindet er‘s schon eher.«

Lisbeth erhob sich und ging. Bald nachher erwachte Oswald und hörte vom Alten, welche liebliche Zuversicht seinem Schlummer nahe gewesen sei.

Viertes Kapitel

Die Leiden einer jungen Strohwitwe

Indessen schien wirklich die idyllische Liebe bei ihrem Zusammentreffen mit der Außenwelt bösen Geschicken entgegenzugehen. Denn der Oberamtmann wiederholte am folgenden Tage in einem zweiten ruhigeren Gespräche dem Diakonus seine unerschütterlichen Vorsätze. Die schöne Clelia, welche bei der höchsten Gutmütigkeit doch alle Meinungen einer vornehm erzogenen Dame hegte, sprach während einer Morgenunterhaltung ihm ebenfalls wieder ihre Überzeugung gegen ein Ehebündnis aus.

Seine Seele war bekümmert und erschüttert. Auf der Seite der Gegner stand die Vernunft mit hundert Gründen in Reihe und Glied, und er war selbst ein zu ruhiger und besonnener Mann, als daß er nicht insgeheim mancher Stimme im feindlichen Lager beigefallen wäre. Das zerschnitt ihm aber das Herz, welches den beiden Liebenden mit Innigkeit zugetan war und sich schon an der Aussicht geweidet hatte, durch sie die Anschauung eines seltenen Glückes zu gewinnen. Indessen hatte er nur noch wenig Hoffnung darauf, denn er meinte auch wie jeder dritte Zeuge eines Verhältnisses, daß keine Leidenschaft den Angriffen des Verstandes auf die Länge gewachsen sei. So befürchtete er denn von der Herstellung Oswalds nichts als Einbuße, tiefes Leid und Zerstörung.

Die schöne Clelia hatte übrigens beim Erwachen eine unerwartete Nachricht empfangen. Als sie nämlich in das Morgengewand geschlüpft war und sich nach ihrem Gemahle erkundigte, brachte ihr Fancy ein Billett von ihm, aus dem sie sah, daß er wirklich in der Nacht Extrapost genommen hatte und zum Besuche bei dem Oheim im Osnabrückschen abgereiset war. Das Billett sagte ihr das zärtlichste Lebewohl, sagte ihr, daß er ihren Morgenschlummer nicht habe stören wollen und sprach den empfundensten Wunsch aus, daß eine baldige Schlichtung der Verwirrung, wie sie sich dieselbe vorgenommen, die Dauer dieser ersten ihm so schmerzlichen Trennung abkürzen möge. Selbst eine Locke von seinem Haare hatte er beigelegt, Nachschrift über Nachschrift hinzugefügt und eine Stelle im Briefe bezeichnet, welcher von ihm ein Kuß aufgedrückt worden sei, wie er sagte.

Nachdem die schöne Verlassene diesen Brief gelesen hatte, schwieg sie eine Zeitlang und sah das feine rosenrote Papier so an, als ob es die Absage einer Soirée bei dem Fürsten, wie er nun heißen mochte, enthalte, auf welche sich die ganze feine Welt Wiens schon seit vierzehn Tagen gefreut hatte. Fancy mußte sie erinnern, daß die Schokolade kalt werde; sie versetzte, daß sie keinen Appetit habe und befahl dem Mädchen, die Tasse wegzutragen. Fancy gehorchte.

Sie saß hierauf etwa eine Viertelstunde im Sofa und stützte das Haupt gedankenvoll auf den schönen Arm. Dann ging sie eine halbe Stunde im Zimmer auf und nieder und dann klingelte sie. Fancy kam. Ihre Gebieterin stand mitten im Zimmer und sagte zu der Jungfer, die zugleich Schatzmeisterin und Vertraute war: »Fancy, es freut mich, daß mein Mann so fest ist. Ich bin fest, er ist fest, dieses gegenseitige Festsein verbürgt mir eine geordnete Zukunft. Nichts Unangenehmeres als zwei Gatten, die einander mit weichen Nachgiebigkeiten quälen. Jeder muß seinen Willen haben und den durchzuführen wissen, dann findet man sich gegenseitig zurecht und es entsteht ein heiterer geregelter Lebensgang. Es freut mich, daß mein Mann abgereist ist.«

»Warum sollten Sie sich auch darüber nicht freuen, gnädige Frau?« erwiderte Fancy, die der Gebieterin nie widersprach.

»Ich werde ungestörter, in größerer Ruhe meine Aufgabe hier lösen, die ich mir gestellt habe, so allein und für mich«, sagte Clelia.

Fancy erwiderte hierauf nichts, sondern nickte nur zuversichtlich beistimmend mit dem Kopfe. — »Aber dennoch bleibt es auffallend«, fing die Baronesse nach einer Pause an, »daß mein Mann abreisen konnte.«

»Auffallend bleibt es allerdings«, sagte Fancy. — »Unterhalte mich«, sprach Clelia. Fancy unterhielt hierauf die Gebieterin so gut sie konnte und erzählte ihr von allen Bekanntschaften, die sie rasch nach Art der Kammerjungfern im Städtchen gemacht hatte; von der Frau des Steuereinnehmers, von der Tochter eines Assistenten und auch vom Küster, der ihr mit seiner barocken Weise aufgefallen war, und über den sie bei der und der Gelegenheit herzlich hatte lachen müssen, so komisch war sein Betragen gewesen.

Der Stoff dieser Mitteilungen hatte sich noch lange nicht erschöpft, als die Dame sie unterbrach und sie um Gottes willen bat aufzuhören mit dem albernen Zeuge von Steuereinnehmerfrauen und Assistententöchtern und Küstern, denn sie habe entsetzliches Kopfweh. Fancy verstummte auf der Stelle, holte Kölnisches Wasser und rieb ihrer leidenden Herrin die Schläfe damit ein. — »Du bist ein gutes Mädchen, Fancy«, sagte Clelia sanft während dieser Mühwaltung zu der Dienerin, »aber sehr langweilig kannst du mitunter sein.«

»Gnädige Frau«, antwortete Fancy schüchtern und doch mit einem gewissen Pathos, »all mein Verdienst ist, Ihnen treu zu sein und Ihnen zu gehorchen wie eine Sklavin. Unterhaltung kann freilich ein so beschränktes Mädchen, wie ich bin, nicht haben.«

Clelia ließ sich darauf bei ihrem Vetter anmelden. Die Begrüßung beider Verwandten war sehr liebevoll, denn sie waren einander gut wie Bruder und Schwester. Dennoch empfand Clelia nach den ersten Reden einen gewissen Zwang, denn sie war sich ja geheimer Absichten gegen seine Wünsche bewußt. Sie kürzte daher den Besuch unter dem Vorwande, daß viel Sprechen ihm noch schädlich sein möchte, ab. Dann hatte sie die Unterredung mit dem Diakonus. Darauf wollte sie die Hausfrau sprechen, aber diese hatte in ihrer Wirtschaft die Hände voll zu tun. Sie verlangte daher nach dem Oberamtmanne. Der war jedoch auf dem Gerichte und sprach mit einem Beamten über Dienstsachen. Nun begehrte sie wieder den Diakonus zu sprechen, welcher sich indessen zu einer Synode hinbegeben hatte.

Die Toilettenstunde war hierüber herangekommen und diese gab nun einige Zerstreuung. Während Fancy das Haar ihrer Dame ordnete, erfuhr sie das Projekt, welches diese beschäftigte. Sie faßte ihre eigenen verschwiegenen Gedanken. Diese halten wir uns nicht für berechtigt zu offenbaren, denn auch gegen Kammerjungfern soll man diskret sein. Nur soviel: Wie alle ihre Schwestern war Fancy eine geschworene Freundin von Mesalliancen. Zwar hätte sie auf Lisbeth neidisch sein dürfen, dagegen aber stritt ihr Gemüt. Bei aller Schlauheit hatte das Mädchen ein dankbares Herz. Der junge Graf Oswald hatte einst ihrem alten invaliden Vater eine Versorgung als Kastellan ausgemacht, ihn dadurch vom Hungertode gerettet. — »Man muß hübsch erkenntlich sein«, dachte Fancy und entwarf ihren Soubrettenplan.

Sie legte etwas boshaft das schöne, noch nie getragene blaue Mousseline-de-Laine-Kleid heraus und kleidete überhaupt ihre Herrin heute mit besonderer Sorgfalt. Als Clelia sich im Spiegel so schön geschmückt sah, seufzte sie und sagte: »Schade, daß man das für die Tauben und Sperlinge im Hofe angezogen hat.«

»Recht schade!« versetzte Fancy. »Der Herr hatten sich so sehr darauf gefreut die gnädige Frau in dem neuen Kleide zu sehen.«

»Nun, es wird ja hier keine Ewigkeit währen«, warf die schöne Frau leicht hin.

»Die Ewigkeit ist lang«, versetzte die gefällige und nachgiebige Fancy. »Nein, eine Ewigkeit wird es wohl nicht währen.«

Nach Tische (sie speiste nur mit der Hausfrau, denn die Männer hatten absagen lassen, und das Mahl war deshalb etwas einsilbig, wie alle Diners zweier Damen und von sehr kurzer Dauer) ließ die junge Baronesse ihre Uhr repetieren und sagte: »Halb drei. Das wird ein langer Nachmittag werden.« — Sie las etwas, aber das Buch zog sie nicht an, dann sang sie etwas zur Gitarre, aber sie hörte bald auf, denn sie behauptete, heiser zu sein. — »Fancy, meine Crespine!« rief sie. Fancy brachte die schwarzseidene Crespine. Clelia ging etwas in den Garten, aber die Mücken schwärmten ihr dort zu wild, und deshalb kehrte sie bald wieder in ihr Zimmer zurück.

»Wenn mein Vetter erfährt, welcher Langenweile ich mich um sein wahres Heil ausgesetzt habe, so müßte er der undankbarste Mensch sein, sagte er mir nicht zeitlebens Dank«, sprach sie zu Fancy, die ihr die Crespine abgenommen hatte und in den verknitterten Spitzen um den vollen Nacken Ordnung stiftete.

»Er müßte der undankbarste Mensch sein«, erwiderte Fancy.

Sie nahm Stramin zur Hand und fing etwas an zu sticken. Inzwischen war der Oberamtmann zurückgekommen und ließ anfragen, ob er aufwarten dürfe. In der Dürre dieses Tages erschien ihr der Geschäftsmann wie ein Retter aus der Not; gern wurde er angenommen. Als er seine verehrte Schöne in dem neuen, reizenden Anzuge sah, begannen seine Augen wacker zu werden, er sah ganz verklärt aus. — Das Sticken aus freier Hand schien ihr einige Beschwerde zu verursachen. Er fragte sie lebhaft, ob er ihr den Stramin halten dürfe? Sie bejahte im schmeichelndsten Tone. Mit leuchtenden Blicken setzte sich nun der Oberamtmann zum Dienste der Galanterie auf ein Fußbänkchen zu den Füßen der jungen Dame nieder, nahm den Stramin fest in seine beiden Hände und sah so ernsthaft auf die Rosen, die unter Clelias Nadel entstanden, als habe er ein Todesurteil vor Augen. Auch Clelia stickte eifrig, als arbeite sie um das tägliche Brot, und Fancy saß im Fenster, mit einer Beeiferung ohnegleichen nähend.

Die Spannung der nächsten Augenblicke war nicht gering. Endlich fragte Clelia ihren grauen Verehrer, wie er die Sache mit dem Vetter anzugreifen gedenke? worauf er ihr ungefähr die nämliche Auskunft gab, wie dem Diakonus. Clelia fuhr aber heftig auf und erklärte, daß sie ein solches Verfahren durchaus nicht zugeben werde, daß das ein rauhes und unmenschliches Verfahren sei, welches ohnehin nicht einmal einen günstigen Erfolg zusichere, weil die Liebe durch so unmittelbaren Widerspruch nur wachse, und was dergleichen mehr war, geeignet, den ganzen Plan des Oberamtmanns umzuwerfen. Sie hatte den Stramin aus ihren Händen entlassen und der Oberamtmann hielt ihn sonach bestürzt und gedankenlos allein in den seinigen.

»Aber mein Gott«, sagte er traurig, »was wollen Sie denn, daß geschehen soll?«

»Darüber habe ich meinen Entschluß gefaßt«, erwiderte Clelia ernst. — »Er ist auf die Kenntnis des weiblichen Herzens gegründet. Kurz, wenn ich irgend etwas auf Sie vermag, wenn Sie wirklich mir in dem Maße vertrauen, wie es den Anschein hat, so überlassen Sie mir die Leitung der Sache, denn von solchen Dingen begreift Ihr Männer überhaupt nichts.«

Der Geschäftsmann wollte Widerspruch erheben, aber sie sah ihn so bestimmt an, er fürchtete so sehr von ihr verabschiedet zu werden, sie kam ihm heute in dem blauen Mousseline-de-Laine-Kleide reizender als je vor, er hatte sich so glücklich gefühlt, als er ihr den Stramin gehalten — genug, er gab wehmütig und kleinlaut nach. Unter der Türe aber wendete er sich nochmals um, ging zu ihr, faßte ihre beiden Hände, drückte sie gegen seine Brust, seufzte und sagte: »Das ganze Geschick unseres Freundes steht auf dem Spiele. Nur Kälte und Konsequenz kann ihn retten. Wird Ihnen Ihre weibliche Gutmütigkeit nicht einen Streich spielen? Wenn sich nun Stöhnen und Wehklagen erhebt, werden Sie dann standhalten?«

»Darüber sein Sie ganz ruhig«, versetzte Clelia. »Fancy, du kennst meine Festigkeit.«

»Ich kenne die Festigkeit der gnädigen Frau«, sagte Fancy.

Nach der Entfernung des Oberamtmanns fragte die Baronesse ihre Zofe: Ob sie wohl ihren Plan errate? Die Zofe versetzte, daß sie ein zu dummes Mädchen sei, um so kluge Pläne erraten zu können. »Ich werde«, sagte darauf die Baronesse, indem sie sich von Fancy die seidenen Schuhe, welche sie etwas drückten, ausziehen ließ und ihre kleinen Füße in rote goldgestickte Pantöffelchen steckte, »ich werde auf weibliche Art die Sache ordnen, Fancy.«