Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 55
Zwölftes Kapitel
Aus dem Tode Leben
Aber dieser abgeschmackte Vorfall brachte an einer anderen Stelle eine tragische Wirkung hervor.
Lisbeth war auf ihrem Wege gerade dem Spritzenhäuschen gegenüber angekommen, als das Gebrüll des Küsters in demselben erscholl. Was nun die erhitzten Bauern mit ihrem gefährlichen Schießen nicht über sie vermocht hatten, das bewirkte das Geschrei der Feigheit; sie entsetzte sich, floh vor dem Orte, wo jener furchtbare Ton dröhnte, und stürzte, wie von einem dunkelen Triebe geleitet, bewußtlos in die Arme Oswalds, die sich ihr entgegenbreiteten. Er fühlte die Geliebte abermals an sich ruhen, wenn auch nur aus Angst, aber dieser neue plötzliche Übergang von einem zum anderen entfesselte die Dämonen in ihm, die schon seit zwei Tagen an ihrem Gefängnisse gerüttelt hatten. — Das alte Übel, welches Schmerz, Angst, Zorn, körperliche Anstrengungen, selbst das Übermaß der Freude an seinem Liebestage, in ihm emporgewühlt, brach kläglich aus.
Mit einem Schrei faßte er an seine Brust. Mit einem zweiten Schrei stieß er Lisbeth fast zurück. »Ich hab‘s gedacht, mein Blut, da ist es!« ächzte er und ein dunkler Purpurstrom quoll aus seinem Munde. Er taumelte und sank auf eine Rasenerhöhung. »O mir! Ich ersticke« — waren seine letzten Worte, denn es folgte ein zweiter Anfall des grimmigen Übels. Sein Gesicht war wie eines Toten Antlitz.
Im ersten Augenblicke war Lisbeth über das Zurückstoßen erschrocken gewesen. Aber was wollte dieser Schreck gegen das Entsetzen bedeuten, als sie das Blut ihres Lieblings sah? — Ja, ihres Lieblings! Sein Ächzen, sein Blut, sein Totenantlitz gab ihr augenblicklich den Liebling zurück. Vergessen war der Lügner, nur der sterbende Geliebte lag vor ihr. Mit einem Rufe, in dem sich Zärtlichkeit, Jammer und die alleräußerste Besorgnis zum herzzerreißendsten Tone mischten, stürzte sie zu ihm nieder und sah ihm mit dem Blicke der innigsten Verzweiflung in die müden und erloschenen Augen. Weinend und wimmernd legte sie ihre unschuldigen Finger auf seine Lippen, als könne sie damit den furchtbaren Blutstrom hemmen. Noch immer sandte die in ihren Tiefen versehrte Brust einzelne Tropfen nach, obgleich die Gewalt des Übels bereits gebrochen zu sein schien. Keiner Befleckung an Händen und Kleid achtete sie, sie, die Reine, Reinliche. Sie rief heftig und mit lauter Stimme: »Gott! Gott! Gott!« als müsse Gott ihr helfen, denn auf Erden wußte sich das unglückliche Mädchen keinen Rat. Unwillkürlich war sie in die Kniee gesunken. So entstand dem Kranken eine Ruhestätte für sein Haupt auf ihrem Schoße, denn sie hatte sich mit dem Leibe rückwärts gebeugt, um ihm die Lage bequem zu machen. Er lag auf dem Rücken, seine Augen waren geschlossen, seine Wangen völlig farblos. Matt und kalt hingen die Arme in das Gras hinunter; in welchem liebliche Vergißmeinnicht blühten, gleichsam ein Blumenspott über den Jammer der Menschen. Sie aber hatte ihm um Haupt und Brust ihre Arme gebreitet in der allerzärtlichsten und sanftesten Weise. Traurig schaute sie in sein Gesicht, so viel sie vermochte. So ruhte er ganz von ihr umfangen und an sie gelehnt im Heiligtume jungfräulicher Liebe und Bekümmernis! Sie wußte nicht, was sie tun sollte, ihm seinen Schmerz zu erleichtern, sie hätte zur Quelle werden mögen, zum umspülenden Bade, wenn das ihm Linderung zu verschaffen vermocht hätte. Schluchzend fragte sie ihn, ob er auch so bequem ruhe? und bat ihn dann inständigst nicht zu antworten, weil ihm das Sprechen schaden könne.
In der Tiefe dieser Not empfand sie den heißesten Drang, sich mit ihm zu verständigen. »Ach«, schluchzte sie, »mein Oswald, vergib mir doch nur und fühle, daß du nicht sterben darfst! O mein Gott, du mußt ja nicht sterben, mußt‘s nicht, denn was sollte dann aus mir werden, wenn du stürbest?
Nicht wahr, Oswald, du stirbst nicht, du tust mir das nicht zuleide? Ach, kannst du es mir denn so übelnehmen, daß ich ein ordentliches Mädchen bleiben will? Siehst du, mein Oswald, deine Frau mußte ich werden, deine ehrliche Frau und sonst nichts weiter! Denn wäre ich auf deine Schlechtigkeit eingegangen, Oswald, da hätte ich mich auch an dir versündigt und hätte dich mit zum Bösewicht werden lassen, und das darf die Geliebte nicht; nicht einen Flecken darf sie auf ihren Freund kommen lassen. Denn das ist eine schlechte Liebe, die nur den anderen herzen und küssen will, wie es auch sei, nein, daß das Leben des Liebsten rein bleibe und unbefleckt und unverworren, das ist die wahre Liebe, und die habe und hege ich im Herzen zu dir, mein Oswald, wie sie nur ein Mädchen haben und hegen kann, ja gewiß, so ist es. Und habe sie gehabt und gehegt immerdar, wie ich nun wohl fühle, obgleich ich mich vor dir versteckte. Stürbest du hier auf der Stelle, Oswald, und ich könnte dich retten durch Unrecht, doch täte ich es nicht, das sage ich dir frei heraus. Denn meine Schande könnte ich noch allenfalls überstehen, Oswald, aber nicht deine; nein, wahrhaftig nicht. Deine Ehre sitzt mir tiefer im Herzen, als meine. Und so mußt du mir auch von Herzen vergeben, Oswald, daß ich nicht dein Liebchen, wie du wolltest, werden mochte, und ich weiß auch gar nicht, wie der böse Gedanke in dein gutes Herz gekommen ist. Ich hätt‘ es auch nimmer geglaubt, aber du hattest gelogen, Oswald, und die Lüge ist aller Laster Siegel. Wer unter der Heimlichkeit einhergeht, der hat, was er verbergen muß, und wer seinem Mädchen etwas vorlügen kann, der will sie auch nicht in Wahrheit zu seiner Frau nehmen. Deshalb glaubte ich dem alten Bauer, was er mir von dir sagte, und wäre beinahe gestorben an dem Glauben. Es soll dir nun alles vergeben sein, alles, von meiner Seite ganz von Herzensgrunde, und wir wollen einander recht, recht freundlich Adieu sagen, wenn du wieder gesund bist, und wenn du stirbst, so will ich dir einen Busch Goldlack auf das Grab setzen und mich totweinen darauf. Ach, wie hast du mich so betrüben können? wenn ich dich ansehe, ist es mir noch immer unbegreiflich. Aber ich zürne dir nicht, zürne du mir nun aber auch nicht! Wie gerne wäre ich deine Gräfin geworden, und dann hättest du mich ja am dritten Tage nach der Hochzeit verstoßen können, so hätte ich doch an deinem Herzen geruht, und hätte in Ehren dran geruhet, Oswald!«
Die innerste Seele des Mädchens schwatzte in diesem Geplauder, welches zuweilen von schweren Seufzern und heftigem Schluchzen und Erkundigungen nach seinem Befinden unterbrochen wurde.
Aber wie stand es um Oswald? Glücklich. Er horchte auf, er ahnete, er schloß den Zusammenhang; durch alle Schmerzen seiner wunden Brust ging ein himmlisches Erkennen. Er wußte nun, daß er nur verleumdet worden war, daß die keuscheste und ehrenzarteste Liebe nicht einen Augenblick aufgehört hatte, ihm anzugehören. Um seine Wangen begann ein seliges Lächeln zu spielen, die Augen öffneten sich und helle Zähren der Wonne blinkten darin. Lisbeths liebliches Antlitz schwamm vor diesen schwimmenden Blicken, sie kam ihm leuchtend, wie eine Heilige kam sie ihm vor. Er konnte nicht sprechen, aber ein Zeichen mußte er ihr geben. Er hob seinen rechten Arm auf, zeigte Lisbeth mit einer freundlich-schmerzlichen Miene den Ring, den er noch an einem Finger der rechten Hand trug von der Dorfkirche her, legte sie auf sein Herz, führte dann den Ring zum Munde, und streckte die Hand gen Himmel, dann ließ er sie wieder auf seine Brust sinken und zog dann ihre Hand herbei, sie in die seinige zu legen, und sie mit ihr vereinigt auf seiner Brust ruhen zu lassen. Dazu sah er sie mit einem Blicke an, daß, wenn zwölf Zeugen von ihr vor dem Richter ausgesagt hätten: Diesen haben wir morden sehen, und er mit einem solchen Blicke seine Unschuld versichert hätte, der Richter ihm und nicht den zwölf Zeugen geglaubt haben würde.
Ein zärtliches Mädchen ist ein gläubiger Richter in solchen Dingen. — Lisbeth folgte seinen Gebärden mit der Aufmerksamkeit bräutlicher Liebe und als sie den Sinn gefaßt hatte, da sagte sie weiter nichts als: »Ah!« — Aber in diesem Laute war alle Wonne, die seit dem Anfang der Zeiten in menschlichen Herzen gewallt hatte. Es war ihr, als sei sie auf dem Hochgerichte, wo man sie unschuldig hinrichten wollen, begnadiget worden; bei lebendigem Leibe war sie in den Himmel erhoben worden, in den Himmel seiner unbeflecktgebliebenen Liebe. — »O mein Gott!« sagte sie und konnte sonst nichts vorbringen. Ein Zittern der Entzückung durchflog ihren Körper, sie meinte zu sinken und den geliebten Freund aus ihren Armen zu verlieren. Da nahm sie sich zusammen, um nicht durch ihre Unruhe ihm zu schaden. Nun wußte sie, daß sie seine Frau Gräfin werde, wenn er nicht sterbe und Oswald hatte recht gehabt, sie machte sich nicht sonderlich viel aus der Frau Gräfin, sie wollte es eben so gern sein, wie sie Frau Försterin geworden wäre.
So fanden Lisbeth und Oswald einander wieder. Stumm ruhte ihr Auge an seinem und seines an ihrem und die herzlichsten Tränen flossen von den Wimpern. Die Hände blieben auf seiner Brust vereinigt, sanft streichelte sie seine Finger, zumal den, an welchem er den Ring trug, den Dolmetsch des hergestellten süßesten Einverständnisses. — Ein Jüngling lag, vom heftigsten Blutsturze erschöpft, dem Tode nahe und sein Mädchen war bei ihm und wußte das, und Jüngling und Mädchen waren dennoch beide glückselig.
Achtes Buch. Weltdame und Jungfrau
Erstes Kapitel
Worin der Diakonus vom Zufall und von der wahren Liebe spricht
Mehrere Wochen nach jenem glücklichen Unglück ging die junge Dame Clelia mit dem Diakonus in seinem Garten auf und nieder. Der Oberamtmann Ernst, der die dunkleren Stellen des württembergischen Gesetzbuches doch endlich ergründet hatte und daran vor der Hand nichts weiter zu studieren fand, saß gelangweilt in einer Jelängerjelieber-Laube, und ihr Gemahl schoß mit einer Windbüchse, die er irgendwo aufgetrieben, hinter dem Garten unter Bäumen nach Sperlingen. Es war ganz still in dem Predigerhause. Die Fenster eines Zimmers, welche nach dem Hofe hinausgingen, waren grün verhangen und unter diesen Fenstern saß Lisbeth mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt.
Die junge Dame Clelia, welche ein leichtes Gähnen nicht verbergen konnte, sprach zum Diakonus: »Lieber Herr Prediger, sagen Sie mir, was dünkt Ihnen vom menschlichen Leben? Denn ich habe Lust mit Ihnen etwas zu philosophieren.«
»Das tut mir sehr leid, gnädige Frau«, versetzte der Diakonus. »Es beweiset, wie ermüdend Ihnen der Aufenthalt in meinem Hause sein muß. Wenn so schöne Lippen sich zur Philosophie bequemen, so müssen wirklich alle Ressourcen der Unterhaltung versiegt sein.«
Clelia lachte und sagte: »Zu galant für einen Kanzelredner und für einen Lehrer der Moral viel zu bösartig.« — In ihrer raschen Weise faßte sie die Hand des Geistlichen und rief: »Wie wir Ihnen alle dankbar sein müssen für das Übermaß von Gastfreundschaft, womit Sie uns aus der abscheulichen Kneipe erlösten und bei sich in Ihrem beschränkten Häuslein aufnahmen, mich samt Jungfer und Gemahl;« (sie bediente sich dieser Reihenfolge ganz naiv) »und jenem meinem Geschäftsanbeter dort in der Laube, das fühlen Sie wohl ohne Versicherung von meiner Seite, und Sie müssen mir, wenn wir scheiden, unter Ihrem Amtseide versichern, uns künftiges Jahr in Wien Revanche zu geben. Daß man aber, wenn man gern mit seinem jungen Manne ins Weite möchte, ungern zu lange bei einem kranken Vetter bleibt, der sein Tage nicht vernünftig werden wird —«
»Er leidet noch sehr«, sagte der Diakonus ernst.
»Bin ich denn gefühllos für sein Leiden?« warf Clelia kurz ein. »Hätte ich noch Vergnügen in Holland und England, wenn ich sein krankes Bild mit mir nähme? Bin ich ihm nicht herzlich gut? Sehne ich mich nicht, ihm zwanzig Küsse auf die dummen Lippen zu geben, zwischen denen sein Blut hervorstürzte? Aber ist deshalb ein solcher Wachtposten bei einem Siechenbette, zu dem einen der Arzt nicht einmal hinzuläßt, etwas Angenehmes? — Und sein Sie nur ganz aufrichtig, lieber Herr Pastor, Ihre kleine Frau sähe auch nicht ungern einen gewissen Reisewagen anspannen.«
»Wie können Sie nur so etwas denken, meine Gnädige!« rief der Diakonus etwas verlegen, denn er erinnerte sich an den Text einiger Gardinenpredigten.
Schelmisch fuhr Clelia fort: »Ich müßte mich auf hochrote Wangen und auf einen gewissen Glanz in den Augen der Hausfrauen nicht verstehen! Es ist auch gar keine Kleinigkeit, fünf Menschen mehr im Hause zu haben, die man eigentlich nicht kennt, und die einem allen Platz wegnehmen. Der Herr Gemahl laden in liebenswürdiger männlicher Unbekümmertheit ein und die arme Frau hat nachher die Sorge. Aber lassen Sie das nur gut sein. Trotz der roten Wangen und der glänzenden Augen bleibt sie eine liebe, charmante Frau und soll in Wien willkommen sein. Dort ist Raum im Hause und der Haushofmeister sorgt für alles.«
Der Diakonus, der sein Zartgefühl durch dieses Gespräch unangenehm berührt fand, sagte, um es zu unterbrechen: »Sie wollten mit mir über das menschliche Leben philosophieren, gnädige Frau.«
»Eigentlich wollte ich Sie nur fragen, ob das menschliche Leben nicht ein Ding ohne Sinn und Verstand sei?« sagte Clelia. »Ein junger Mann läuft aus Schwaben weg, um mich an einem Menschen zu rächen, der seine Persiflage über mich getrieben; er rächt mich aber nicht, sondern schießt ein junges Mädchen und verliebt sich in sie. Dann quälen die beiden Leutchen (wie wir nun nach und nach herausgebracht haben, Ihre Frau und ich) einander bis auf den Tod um nichts, und das Ende dieser höchst lächerlichen Geschichte ist ein furchtbarer Blutsturz, der leicht einen Toten in die Komödie hätte liefern können. — Wo ist da vernünftiger Zusammenhang?«
»Sie lassen etwas aus in der Geschichte«, sagte der Diakonus.
»Nun ja. Ich schrieb, als ich überall hören mußte, ich sei bescholten, an meinen Bräutigam nach Wien und erklärte ihm höchst edel, eine Bescholtene dürfe nicht seine Gemahlin werden; er sei frei und des gegebenen Wortes ledig. Dieser affektvolle Brief wirkte denn dermaßen auf ihn, daß er sich in kürzester Frist zum Herrn aller Schwierigkeiten machte, die unserer Verbindung entgegengestanden hatten und, so rasch die Pferde Tag und Nacht laufen wollten, nach Stuttgart eilte.«
»Und aus solchen offenbaren Zeichen erkennen Sie den Gott nicht, der in Ihrem und Ihres Vetters Schicksale waltete«, fragte der Diakonus mit komischem Ernst.
»Welcher Gott?«
»Der Zufall!« rief der Diakonus feierlich.
»Das ist ein schöner Gott«, versetzte Clelia und lachte.
»Gnädige Frau«, sagte der Diakonus, »glauben Sie mir sicherlich, die Welt wird erst wieder anfangen zu leben, wenn die Menschen sich erst wieder vom Zufall hin und her stoßen lassen, wenn man z. B. ausgeht, um Rache zu nehmen, und sich nicht darüber verwundert, findet man statt der Rache eine Braut, wenn man (Sie verzeihen meine Freimütigkeit) in einer zufälligen allerliebsten Aufwallung entsagende Briefe nach Wien schreibt, und ebenso zufällig von der Entsagung zum Häubchen abfällt. Unsere Zeit ist so mit Planen, Tendenzen, Bewußtheiten überdeckt, daß das Leben gleichsam wie in einem zugesetzten Meiler nur verkohlt, und nie an der freien Luft zur lustigen Flamme aufschlagen kann. Die Lebensweisheit der wenigen Vernünftigen heutzutage besteht folglich darin, sich von der Stunde und von dem Ungefähr führen zu lassen, nach Launen und Anstößen des Augenblicks zu handeln.«
»Bravo!« rief Clelia. »Sie sind ein wahrer Priester für uns Weltkinder. Und das sagt er alles so ernsthaft, als sei es ihm damit bitterer Ernst.«
»Ich predige ja nur über ein christliches Gebot«, sprach der Diakonus lächelnd.
»Wie lautet dieses sogenannte christliche Gebot?«
»Sorge nicht um den anderen Tag«, versetzte der Diakonus.
Die junge Dame begehrte jetzt auch seine Exegese über die leeren Nöte des Liebespaares. Er bedachte sich etwas und sagte dann: »Ich muß hier schwerfälliger werden als bei dem anderen Thema. Zuvörderst sei Ihnen gesagt, daß diese Liebe mich rührt, die Liebe meines Freundes und des guten Mädchens, welches er auf so ungewöhnliche Weise kennengelernt hat. Ich meine, in ihnen ein vom Schicksal bezeichnetes Paar zu sehen und ein völliges Aufgehen zweier Seelen ineinander. Die Liebe ist nun Leid, wie alle Dichter singen, sie ist der Herzen selige Not und ein rührender Gram. Wer von der Liebe Tränen scheidet, der scheidet sie von ihrem Lebensquell; eine lachende Liebe ist keine.
Wahrlich, die echte Liebe ist ein Ungeheures!« fuhr er mit Wärme fort. »Nicht in tauber Redeblume, sondern wesentlich, wirklich und wahrhaftig gibt der Liebende seine Seele weg! Diese also weggegebene und der Hut berechnenden Verstandes entlassene Seele ist aus den Fugen, unbeschützt liegt sie da und ohne Verteidigung durch irgendeine Selbstsucht, welche unsere nüchternen Tage schirmt. In dieser ihrer göttlichen Schwäche ist sie nun eine Beute für jedes Raubtier von grimmigem Zweifel, fürchterlichem Argwohn, zerfleischendem Verdacht. Aber im Kampf mit diesen Raubtieren erstarkt sie. Aus ihren tiefsten und noch nie bis dahin entdeckten Abgründen holt sie neue Waffen und eine ungebrauchte Rüstung hervor; sie lernt sich in ihren verborgenen Reichtümern begreifen, sie vollzieht eine Art von herrlicher Wiedergeburt und feiert nun auf dieser Stufe die wahre, die himmlische Hochzeit, von welcher die andere nur das vergröberte irdische Abbild ist. Unverwelklich ist der Kranz, der auf jenem Siegesfeste der liebenden Seele getragen wird, und er verschwindet nicht in den Schatten der Brautnacht.
Darum zwingt eine ewige Notwendigkeit die wahre Liebe, sich Not zu schaffen, wenn sie keine Not hat. Denn nicht träge genießen will sie, sondern kämpfen und siegen. Trübsal ist ihr Orden und Jammer ihr geheimes Zeichen. Traun, ein Kind kann über die Leiden Oswalds und Lisbeths lachen, die nicht kindischer erfunden werden mochten! Aber ohne diese kindischen Leiden wären zwei Seelen von solcher Tiefe, Schwere, Süße und Feurigkeit wohl wieder voneinander gekommen, statt daß sie in den Qualen der Einbildung sich das rechte Wort und den wahren Gruß gegeben haben, an dem sie einander über alle Zeit hinaus erkennen werden.«
Die junge Dame Clelia war durch diese Rede des Diakonus in ein Gebiet geführt worden, in welchem ihr nicht heimisch zumute sein konnte. Anfangs meinte sie für sich, sie müsse sich etwas schämen, denn mit ihrem Kavalier aus den österreichischen Erblanden hatte sie freilich während des Brautstandes mehr gelacht als geweint. Nachher meinte sie, die Gelehrten sprächen zuweilen nur, um etwas zu sagen; und endlich verstand sie den Geistlichen gar nicht mehr. — Als er mit seiner Auseinandersetzung zu Ende war, rief sie: »Schade, daß die beiden lieben Leute einander nicht heiraten können!«
»Wie?« rief der Diakonus voll äußersten Erstaunens. Denn auf diese Wendung war er bei der jungen, gutmütigen Frau nicht im Traume gefaßt gewesen, zumal nach solchem Gespräche.
Zweites Kapitel
Worin ein humoristischer Arzt nützliche Wahrheiten über die Behandlung kranker Personen vorträgt
Das Nahen des Arztes, welcher von dem Krankenzimmer herunter in den Garten kam, schnitt weitere Erörterungen vorläufig ab. — Der Doktor war ein überaus dicker Mann, der voll guter Einfälle steckte und diese mit der größten Trockenheit herauszubringen wußte. Clelia, die mit solchen Leuten eine natürliche Wahlverwandtschaft hatte, pflegte in seiner Gegenwart zu sprechen, als sei er nicht zugegen. Und so sagte sie auch jetzt, als der Arzt langsam über den Hof gewatschelt kam, ganz laut: »Da kommt der Doktor und wird uns nun sagen, daß es mit Oswald anfange, besser zu gehen. Das heißt, vierzehn Tage lang mag er allenfalls einen oder den anderen von uns eine Viertelstunde annehmen, vierzehn Tage darauf können die Besuche länger werden, und nach sechs Wochen werden wir hoffentlich so weit sein, daß der Rekonvaleszent in der Mittagssonne eine halbe Stunde spazierengehen darf. Dies nennen die Ärzte Herstellung.«
Wirklich hatte der Arzt noch bis gestern den Zustand des Kranken als bedenklich und der höchsten Schonung bedürftig dargestellt. Streng war jeder Verkehr zwischen ihm und der Außenwelt untersagt gewesen; niemand, weder die Frauen, noch selbst der Diakonus und sein neuer Vetter aus Österreich hatten ihn besuchen dürfen. Nur dem alten Jochem war er zur Obhut und Pflege von dem unnachsichtigen Arzte anvertraut worden, die jener denn auch in aller Treue ausgeübt hatte.
Ängstliche Sorge und Spannung, die in dem kleinen mit Gästen plötzlich so angefüllten Hause alle, besonders in den ersten Tagen der Krankheit, bewegte, konnte sich daher nur durch eifriges Fragen und Nachfragen und durch jede Liebesgefälligkeit, die von draußen nach dem Krankenzimmer hinein zu leisten war, geltend machen. Am unruhigsten war Clelia gewesen, welche ihren Vetter wahrhaft lieb hatte. Auch der Oberamtmann, der in seinem Wagen den Leidenden nach der Stadt befördert hatte, zeigte eine große Anhänglichkeit. Tief betroffen waren der Diakonus und seine Frau gewesen. Lisbeth hatte anfangs viel geweint. Dann fiel es den anderen auf, daß sie plötzlich die Gefaßteste, und wie es schien, Gleichgültigste von allen wurde. Diese Verwandelung geschah nach einer Unterredung, die sie mit dem Arzte gehabt hatte. — Sie wurde der Frau des Diakonus bei deren vermehrten Haussorgen sehr nützlich, und ein Geschäft hatte sie seit ihrem Eintritte in das Haus ausschließlich für sich in Anspruch genommen, die Bereitung alles dessen, was Oswald bedurfte. Ein zarter und stiller Verkehr waltete zwischen beiden, ungeachtet daß Lisbeth, wie sich von selbst versteht, unter dem strengsten Banne des ärztlichen Verbotes befangen war. Sie sandte ihm mit dem leichten und kühlenden Tranke, welchen er genießen durfte, jederzeit die schönsten Blumen, die sie im Garten fand. Er hielt diese sanften Boten in seiner Hand des Tages, und bei Nacht ruhten sie an seinem Herzen und von dieser Ruhestätte empfing Lisbeth sie am anderen Morgen wieder. — Wenn die Hausfrau sie nicht beschäftigte, pflegte sie im Hofe unter den Fenstern des Krankenzimmers zu sitzen. Dort verweilte sie, bis es völlig dunkel geworden war, ihre stille Mädchenarbeit verrichtend. Sie war gegen jedermann sanft und freundlich, ließ sich aber mit niemand ein, sondern blieb sehr für sich. Ein Vorfall hatte sich während jener Tage ereignet, der die Gäste etwas wider sie einnahm, den Oberamtmann sogar in Zorn versetzte.
Auf heute hatte der Arzt den Eintritt einer entscheidenden Krisis vorherverkündiget. Der Diakonus, Clelia und der Oberamtmann gingen ihm daher gespannt entgegen, während Lisbeth ruhig unter dem Fenster sitzen blieb. Der Arzt hatte die Worte Clelias gehört, wandte sich daher an diese, und sagte: »Gnädige Frau, ich darf Ihnen etwas kürzere Fristen versprechen. Unser Patient ist hergestellt, und wenn allerseits verehrte Anwesende heute und etwa morgen und etwannest übermorgen noch einige Rücksicht auf seinen Zustand nehmen, so wird er wohl überübermorgen ausgehen dürfen, als ein zwar noch etwas blasser aber doch durchaus geheilter Mann.«
»Wie?« riefen alle wie aus einem Munde. »Und Sie erklärten ihn noch gestern für nicht außer Gefahr?«
Der Arzt zog sein breites und fettes Gesicht in solche Falten, daß er wie ein Silen aussah und sagte: »Eine Notlüge, gnädige Frau und liebe Herren, eine Notlüge, ohne welche der rechtschaffenste Mann, absonderlich aber der Arzt, nicht durch dieses Jammertal kommt. Denn wollte der Arzt immer die Wahrheit sagen, so würfen sie ihn zum Hause hinaus.«
»O Sie Schelm! Gewiß haben Sie wieder einen Ihrer Streiche auslaufen lassen!« sagte der Diakonus lächelnd. Clelia drang in den Arzt, um den Zusammenhang zu erfahren, und er fuhr folgendermaßen fort. »Wenn man«, sagte er, »wie ich, eine Reihe von Jahren doktert, wenn man seine von vielen Rezepten nicht mehr abhangende Praxis hat, so beginnt man ohne Scheu einzugestehen, daß die Natur doch zuletzt der Geheime Medizinalrat oder Obermedizinalrat ist. Wir Ärzte sind nur schärfere Zeugen der Natur, hören feiner, was sie flüstert und wispert, als andere Menschen, sonst aber sind wir keine Hexenmeister. Der Natur, wenn sie leise sagt: »Bitte! bitte!« die Bitte zu gewähren, alles fernzuhalten, was sie in ihrem Gange stört, das ist unsere ganze Kunst. Die Krankheiten werden meistenteils nur gefährlich durch Gelegenheitsursachen, welche das Walten der Natur stören. Auch dieser Blutsturz wäre bei der vortrefflichen Konstitution des Herrn Grafen wahrscheinlich ganz von selbst geheilt, das Blutgefäß, welches sich ergossen hatte, hätte sich mit Ruhe und höchstens etwas zusammenziehend Säuerlichem von Natur geschlossen. — Meine Weisheit hat nur darin bestanden, daß ich die der Natur feindliche Gelegenheitsursache entfernt zu halten wußte.«
»Ich sehe einmal wieder nicht, wohin dieses Kauffahrteischiff steuert«, sagte Clelia. »Welche Gelegenheitsursache meinen Sie?«
»Ihre und der übrigen verehrten Anwesenden Liebe, Freundlichkeit, Besorgnis und Teilnahme an meinem Patienten«, versetzte der Arzt trocken. »O meine geschätzten Freunde, Sie glauben nicht, wie viele Kranke dem Arzte durch Liebe und Teilnahme der Angehörigen zugrunde gerichtet werden! Zwar in den ersten Tagen läßt man den Leidenden wohl ruhig liegen und behandelt ihn vernünftig, aber späterhin, wenn es nun heißt, er bessere sich, oder er sei Rekonvaleszent, da beginnt ein wahrer Kultus des Krankenzimmers, in den Augen des gewissenhaften Arztes der schlimmste Teufelsdienst. Vergebens rufen die müden und zitternden Nerven: »Laßt uns in Frieden!« Umsonst sehnt sich das in Unordnung gebrachte Blut nach Stille, fruchtlos ist es, daß die letzten Kohlen der Entzündung in sich verglimmen möchten — es hilft alles nichts, besucht wird, gefragt wird nach dem Befinden, unterhalten wird, vorgelesen wird, sogenannte kleine Freuden werden bereitet und voll Verzweiflung sieht man das Schlachtopfer der Liebe, was man gestern voll guter Hoffnung verließ, heute elend wieder. Deshalb sterben auch in Privathäusern verhältnismäßig mehr Menschen als in wohlbeaufsichtigten Lazaretten. Und darum pflege ich auf Kranke mit Umgebungen voll Liebe und Teilnahme, die ich nicht abhalten kann, von vorne herein doppelt soviel Zeit zu rechnen, als auf Kranke ohne liebevolle Umgebungen. Hier nun —«
»Es ist doch abscheulich, über die edelsten Empfindungen so zu spotten!« rief Clelia heftig.
»... sah ich einen ganzen Herd von Liebe und Teilnahme, als ich zum Grafen berufen wurde«, fuhr der Arzt, ohne sich erregen zu lassen, fort. — »Edle Empfindungen, über die mir nicht einfällt zu spotten, welche mir aber als Arzt nur als ebenso viele widrige Gelegenheitsursachen und Indikationen erscheinen mußten, daß der Patient, befragt, besprochen, unterhalten, durch Vorlesungen aufgeregt und durch kleine Freuden im entzündlichen Stadio verzögert, leicht seine paar Monate abliegen könne. Deshalb griff ich zu der Notlüge, daß er in großer Gefahr sei, dann folgte die einfache Gefahr, dann der bedenkliche Zustand, dann die langsame Hebung der Kräfte, und auf heute endlich wurde die Wirkung einer entscheidenden Krise versprochen. Er war aber nie, verehrte Anwesende, in großer Gefahr und kehrte nach den ersten zehn Tagen schon mächtig zu. Einem Kranken tut niemand not, als einer, der ihm zu den bestimmten Stunden die Arzenei reicht und allenfalls ein verschobenes Kissen zurechtlegt; und dann Langeweile, o du nicht genug zu preisende Göttin des Siechenbettes! Man sollte Hygieen gähnend darstellen, denn es ist nicht auszusagen, welche Riesenschritte die Besserung macht, wenn der Leidende weiter gar nichts zu tun hat als zu gähnen. Darum setzte ich unseren Grafen auf die wenig aufregende Gesellschaft seines alten Dieners und dann auf Langeweile und habe ihn durch diese beiden Potenzen in kurzer Zeit wieder auf die Füße gebracht und wenn ich ihn noch ferner besuche, so besuche ich ihn jetzt mehr als Freund denn als Arzt.«
»Schade«, rief Clelia nach dieser Erörterung spitz, »daß Sie sich nicht selbst als niederschlagendes Pulver verschreiben können. — So dürfen wir ihn denn also heute sehen?«
Der Arzt schaute rund im Kreise um und warf dabei auch seinen Blick in den Hof, wo Lisbeth noch immer saß. »Ich unterscheide«, sagte er nach einer Pause bedächtig. »Sie, gnädige Frau und der Herr Oberamtmann und der Pastor dürfen ihn ohne Schaden schon heute besuchen, mein Kind Lisbeth dort muß aber bis morgen warten.«
Er empfahl sich. Clelias muntere Seele war durch die letzte Rede des alten Silen doch etwas empfindlich gemacht; sie stand einige Augenblicke schweigend, nagte an ihrer schönen Lippe und rief dann: »Fancy!«
Fancy, die Kammerjungfer ließ sich hören und wurde gleich darauf sichtbar. »Fancy, bringe mir meine Crespine und setz‘ deinen Hut auf, wir wollen noch etwas spazierengehen«, sagte ihre junge Gebieterin.
»Dürfen wir Sie nicht zu unserem Freunde begleiten?« fragten der Diakonus und der Oberamtmann.
»Nein«, versetzte die schöne Empfindliche mit kurzem Ton, »zu den ganz unschädlichen Besuchern mag ich mich denn doch nicht gern zählen lassen.«
Sie verschwand mit Fancy. Die Männer gingen nach dem Krankenzimmer. Als der Diakonus bei Lisbeth vorbeiging, sagte er erstaunt und halb leise zu ihr: »Sie scheinen sich über des Doktors Nachricht wenig gefreut zu haben.«
»Ich wußte schon lange die Wahrheit«, versetzte Lisbeth mit niedergeschlagenen Augen. »Der Arzt hatte meine Angst gesehen und mir entdeckt, wie die Sache stand.«
»Und Sie konnten sich überwinden, Oswald nicht zu besuchen?«
»Warum nicht? Wenn er nur gesund wird! Kam ich und meine Sehnsucht da in Betracht?«