Kitabı oku: «Am Jenseits», sayfa 10
»Ich befleißige mich, keine Ausnahme darin zu machen, daß ich alle Menschen mit meinem Herzen umfange. Ich tue das Gute und verabscheue das Schlechte, aber ich hasse nicht die Person dessen, weicher schlecht handelt. Es ist mein eifrigstes Bestreben, ein Kind Allahs zu sein, und ich hege den aufrichtigen Wunsch, in diesem Sinne alle Menschen als meine Brüder und Schwestern behandeln zu dürfen. Hoffentlich ist das die Liebe, weiche du meinst!«
»Nein, sie ist es nicht. Du sprichst vom Bestreben, vom Befleißigen, vom Wünschen, hast also das noch nicht, was du erstrebst und wünschest. Die wahre Liebe hofft nicht und wünscht nicht, denn sie ist ja an sich schon die Erfüllung, die ausgeführte, volle Tat. Sie ist die einzige Macht, die einzige Kraft im Himmel und auf Erden. Nenne mir die Namen aller scheinbar andern Kräfte, sie sind doch nichts als nur verschiedene Erscheinungs— oder Wirkungsformen von ihr. Die Liebe hört nie auf. Sie hat keinen Anfang und kein Ende, sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Beziehung; also kann es außer ihr nichts anderes geben. Sie erfüllt das Sonnenstäubchen und den Weltenraum, die kurze Sekunde des irdischen Zeitmaßes und auch die ganze Ewigkeit. Sie läßt sich nicht einteilen in Eltern, Kindes, Gatten, Freundes— und allgemeine Menschenliebe. Wer sie so zerstückeln zu können meint, dem ist sie unbekannt. Unser Erkennen und unser Weissagen ist solches Stückwerk, vor der Liebe aber, die das Vollkommene ist, hört jedes Stückwerk auf.«
Das war ja eine fast wörtliche Anführung aus dem herrlichen dreizehnten Kapitel des ersten Korintherbriefes! Daß er, der Moslem, die Heilige Schrift zitierte, durfte ich nicht ohne Bemerkung vorübergehen lassen, sondern ich mußte ihn zwingen, sich zu ihr zu bekennen. Darum fragte ich schnell
»Ist das deine eigene Ansicht oder steht es im Kuran geschrieben? Ich habe es nicht da gefunden.«
»Es ist eine Stelle aus dem heiligen Buche der Christen«, antwortete er.
»So ziehst du also die höchste und schönste aller Lehren nicht aus dem Werke Muhammeds, sondern aus dem Kitab el mukaddas? (Die Bibel)«
»Ja. Doch darf das für dich kein Grund sein, an meiner Rechtgläubigkeit zu zweifeln, denn Muhammed hat selbst oft auch aus diesem Kitab geschöpft, und wenn ich das auch tue, so folge ich nur seinem Beispiele, welches er uns für die Erkenntnis der Vollkommenheit gegeben hat. Für uns, die wir nicht so erleuchtet sind, wie er es war, besitzt sein Kuran zahlreiche Lücken, welche nur mit den Wahrheiten der Bibel auszufüllen sind.«
»So ist also die Vollkommenheit, von welcher du sprichst, nicht aus dem Kuran, sondern aus der Bibel zu schöpfen? Der Wert der letzteren ist folglich größer?«
»Das habe ich nicht gemeint und nicht behaupten wollen. Aus meinen Worten geht nur hervor, daß sie oft deutlicher, also leichter zu verstehen ist als die Suren des Propheten. Ihm war ein anderer Weg vorgeschrieben als dem Stifter der christlichen Religion, nämlich der Kampf, während Jesus der Prediger der Liebe und des Friedens sein durfte. Da Jesus nicht gehört wurde, mußte ihm ein Muhammed folgen. Christus faßte den ganzen Inhalt seiner Lehre in das Gebot zusammen du sollst Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen lieben und deinen Nächsten wie dich selbst‘. Hätte er Gehorsam gefunden, so wäre das Reich des Friedens angebrochen, dessen Verkündigung in den Worten lag den Frieden hinterlasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch!‘ Er, der Friedensfürst, wurde an das Kreuz geschlagen, und wie dabei der Vorhang im Tempel mitten auseinanderriß, so war der Friedensbund zwischen Allah und der Menschheit zerrissen, und es mußte der Prophet kommen, dessen Religion bestimmt war, auf den Spitzen der Schwerter getragen und verbreitet zu werden. Wer den Frieden nicht haben will, der will den Kampf. Da die Menschheit die Lehren Christi verwarf und heut noch verwirft, wird sie sich von der Streitbarkeit des Islam bekehren lassen müssen.«
»Ist die Lehre Christi wirklich in der Weise abgewiesen worden, wie du sagst? Ich denke, es gibt weit mehr Christen als Muhammedaner, so daß auf fünfzehn Moslemin wenigstens vierzig Christen zu rechnen sind.«
»Wenn du die Köpfe zählst, so hast du recht; Allah aber siehet das Herz an; zähle also die Herzen, nicht die Köpfe! Dann wirst du erkennen, wie wenig wahre Christen und wieviel, viel mehr gläubige Anhänger des Islam es gibt. Ich kenne dieses Namenchristentum leider nur zu gut. Ich habe es studiert und darunter gelitten seit meiner Jugendzeit und – – – »
Er hielt plötzlich in seiner mit großem Eifer vorgetragenen Rede inne und fuhr dann, sich verbessernd, langsam und mit mehr Überlegung fort:
»Ich wollte sagen: Ich habe es aus vielen, vielen Büchern studiert und bin mit manchem sogenannten Christen zusammengetroffen, der grad und genau das Gegenteil von dem war, was ein Anhänger der Messiaslehre sein soll. Ich habe da soviel Trauriges erfahren und erlebt, daß ich nur höchst ungern davon spreche. Schweigen wir also über diesen Gegenstand! Gebt mir lieber Tabak, die Pfeife ist mir wieder ausgegangen!«
Als ihm dieser Wunsch erfüllt worden war, gab er sich seinem Lieblingsgenusse in einer Weise hin, welche, wenn ich die Absicht dazu gehabt hätte, es vollständig ausschloß, das Gespräch mit ihm fortzusetzen. Er sah ein, daß er mehr gesagt hatte, als eigentlich seine Absicht gewesen war; hierin lag der eigentliche Grund des plötzlichen Abbruches seiner Mitteilungen. Was mich betraf, so war ich vollständig zufrieden mit dem, was ich gehört hatte. Ich wußte nun, warum er die Heilige Schrift so gut kannte: Er war früher Christ gewesen und dann Muhammedaner geworden, Weshalb? Diese Frage beschäftigte mich freilich, doch brauchte ich mir nicht den Kopf darüber zu zerbrechen. Er hatte von Namenchristen und von schlimmen Erfahrungen gesprochen, doch war es mir unbegreiflich, daß ein gebildeter Mann aus solchen Gründen zum Renegaten werden kann. Zu der gebildeten Klasse zählte er, denn einige seiner Äußerungen ließen darauf schließen, daß er studiert hatte.
Als die Zeit unserer kurzen Rast vorüber war, halfen wir ihm wieder in den Sattel und ritten dann weiter. Halef gesellte sich mir wie gewöhnlich zu und teilte mir seine Ansichten über den Blinden mit. Auch ihm war es aufgefallen, daß dieser von seinen traurigen Erfahrungen gesprochen und dabei doch erklärt hatte, er habe das Namenchristentum aus vielen, vielen Büchern studiert.
»Weißt du, Sihdi«, sagte der Hadschi, »das mit den vielen Büchern mag wohl wahr sein, denn er ist wirklich ein Gelehrter; aber die Ansichten, welche er uns mitteilte, schienen weniger aus diesen Schriften, als vielmehr aus seinem Leben zu stammen. Ich möchte behaupten, daß er sehr oft mit Christen zusammengetroffen ist, welche sich nicht mit dem Herzen, sondern nur äußerlich zu diesem Glauben bekannten. Was meinst du dazu?«
»Er ist ein Rätsel, dessen Lösung großes Interesse für mich besitzt«, antwortete ich ausweichend. »Eine Meinung kann ich erst dann haben, wenn ich mir über ihn klargeworden bin. Zunächst müssen wir uns mit der Tatsache begnügen, daß er ein verlassener, unglücklicher Mann ist, dem wir unsern Beistand zu widmen haben.«
»Der soll ihm werden, Sihdi, und zwar von Herzen gern. Dieser vom Tode Erstandene hat mein Mitleid, meine ganze Teilnahme in der Weise erweckt, daß ich bereit bin, für ihn alles zu tun, was mir möglich ist. Als diejenigen, die ihm das bereits verschwundene Leben wiedergegeben haben, sind wir verpflichtet, in der Weise und so lange für ihn zu sorgen, wie es in unseren Kräften steht, und das werden wir tun!«
Im Verlauf der nächsten Stunde wurde die Beschaffenheit der Wüste eine andere, als sie bisher gewesen war. Der unsere Tiere so ermüdende Wechsel zwischen Höhen und Tiefen wiederholte sich weniger häufig, die Hügelwellen wurden nach und nach flacher, und die Täler hoben sich, bis sich beide in der Weise ausgeglichen hatten, daß das entstanden war, was man im gewöhnlichen Sinne unter Wüste versteht, nämlich eine vollständig ebene Sandfläche, deren Horizont einen ununterbrochenen Kreis bildet.
Der Sand war zunächst tief und fein. Die Füße der Kamele und Pferde »mahlten« förmlich im Mehle. Später wurde er seichter und gröber; der Untergrund war hart. Es traten von Zeit zu Zeit und dann immer mehr steinige Stellen hervor, welche an Größe zunahmen und in ihrer schließlichen Vereinigung den Sand verschwinden ließen. Wir befanden uns im Serir, der Wüste des glatten Steines. Der Boden war von den Winden kahlgefegt worden und zuweilen so glatt, daß die Kamele ausrutschten. Hier mußte man sehr gut aufpassen, wenn die Spuren, denen wir folgten, nicht verloren werden sollten. In dieser Art von Wüste pflegen die Temperaturunterschiede am größten zu sein, weil der am Tage in der Sonne fast glühende Stein seine Wärme des Abends schneller ausstrahlt als der Sand und dann erkaltet. Der Europäer hat sich vor solchen Gegenden sehr zu hüten, weil Fieber und Erkältungskrankheiten die unausbleiblichen Folgen sind.
Nach einiger Zeit änderte sich die Szene abermals. Der Steinboden wurde uneben. Er schlug zunächst flache und dann höhere Wellen, deren Zwischenräume, je weiter wir kamen und je tiefer sie waren, sich um so mehr mit Sand gefüllt zeigten, den der Wind hineingeweht hatte. Die wie glatt polierten Erhöhungen verwandelten sich in scharfgeschnittene Hügel, welche in dem weiten, ebenen Serir als einzelne, inselartige Gruppen aufragten und sich dem Blicke in die Ferne hindernd entgegenstellten. Ein solches Terrain ist für Leute, weiche eine Begegnung zu scheuen haben, natürlich gefährlicher als die offene Wüste, welche Umschau nach allen Richtungen gewährt. Da muß auch derjenige, der keinen Feind zu haben glaubt, vorsichtig sein, weil grad die Arabische Wüste eine Stätte nie aufhörender, blutiger Befehdungen ist.
Übrigens teilte uns der Ben Harb, unser Führer, mit, daß der Bir Hilu an den größten und zerklüftetsten der hier umhergestreuten Felseninseln liege, und zwar in der Entfernung von vielleicht einer halben Reitstunde von uns.
»Da müssen wir sofort unsere Richtung ändern!« sagte Halef.
»Warum?« fragte ich, obwohl ich wußte, was er meinte. »Welchen Grund könnte es wohl geben, von der geraden und darum auch kürzesten Linie abzuweichen?«
Da machte er eins seiner allerliebsten, pfiffigen Gesichter und antwortete:
»Du betest täglich das christliche Vaterunser und handelst jetzt doch selbst gegen den Teil desselben, welcher führe uns nicht in Versuchung!‘ lautet. Du weißt gar wohl, was ich will, denn ich habe es ja erst von dir gelernt. Man glaubt am. Brunnen, daß wir von Norden kommen werden, und darum machen wir einen Umweg, um ihn aus einer andern Richtung zu erreichen.«
»Hältst du diese Vorsichtsmaßregel heut für notwendig, Halef?«.
»Vorsicht ist stets notwendig, das mußt du dir merken, Effendi. Selbst dann, wenn gar keine Veranlassung dazu vorzuliegen scheint, ist Vorsicht immer besser als Unvorsichtigkeit. Besonders auf einer Reise wie die unserige ist, kann man nie wissen, was die nächste Minute bringen wird.«
Wir hatten einen Augenblick angehalten; unser Trupp war beisammen, und so konnten alle diese seine Worte hören. Es machte ihn nicht wenig stolz, jetzt einmal Prediger der Bedachtsamkeit sein zu können, und so fuhr er in belehrendem und sehr nachdrücklichem Tone fort:
»Die Tapferkeit ist die erste und vorzüglichste Eigenschaft, welche ein Krieger besitzen muß; gleich nach ihr aber ist die Vorsicht nötig. Ein nur tapferer Mann kann sehr leicht tollkühn werden, und ein nur vorsichtiger kommt leicht in die Gefahr, daß man ihn der Feigheit zeiht. Ist aber die Tapferkeit mit der Vorsicht gepaart, so können Unbesonnenheiten ebenso wenig wie Bezweifelungen des Mutes vorkommen. Die Tapferkeit ist nur im Kampfe, die Vorsicht aber zu jeder Zeit und an allen Orten nötig, zum Beispiel jetzt und hier. Wir wissen, daß die wenigen Mekkaner nach dem Dir Hilu geritten sind und daß der ihnen vierfach überlegene Basch Nazyr ihnen nachgeritten ist; wir sind überzeugt, daß sie vollständig ohnmächtig gegen ihn sind und noch weniger uns zu schaden vermögen; darum könnten wir den geraden Weg nach dem Brunnen getrost beibehalten. Ich schlage aber trotzdem vor, dies nicht zu tun, denn ich habe bereits gesagt, daß man auf einem solchen Ritte niemals weiß, was der nächste Augenblick bringen wird. Es können ja schon andere Leute am Brunnen gewesen sein, in weichem Falle sich das Zusammentreffen des Persers mit dem Liebling des Großscherifs gewiß ganz anders abgespielt hätte, als wir bisher angenommen haben. Wir müssen also vorsichtig sein und, ehe wir uns am Brunnen zeigen, zunächst zu erfahren suchen, wie es dort steht. Darum werden wir nicht direkt hinreiten, sondern uns ihm von einer andern Seite vorsichtig nähern. Sehen wir dann ein, daß dies nicht nötig gewesen wäre, so ist das um so besser, wir haben für den Verlust einer Viertelstunde das Bewußtsein eingetauscht, vorsichtig und also klug und weise gewesen zu sein. Nach welcher Seite reiten wir ab, rechts oder links, Sihdi?«
»Der Führer kennt die Gegend; also mag er entscheiden«, antwortete ich.
Der Ben Harb hielt es für geraten, den Umweg nach Osten zu machen, weil es dort die größere Anzahl hoher Felsen gab und wir also mehr Deckung hatten als auf dem westlichen Bogen. Es zeigte sich dann, daß diese Wahl die richtige gewesen war, und daß wir allerdings sehr wohlgetan hatten, vorsichtig zu sein.
Wir ritten südöstlich, teils über offene Flächen, teils an wie senkrecht aus dem Boden emporgetriebenen Felsengruppen vorbei, bis der Führer annahm, daß der Brunnen nun fast westlich von uns liege. Eben wollten wir in diese Richtung einbiegen, nachdem wir eine wirre Steinaufhäufung passiert hatten, als der uns jetzt voranreitende Ben Harb sein Pferd wendete und uns aufforderte:
»Zurück, schnell hinter die Felsen! Es kommen Reiter!«
»Wie viele?« fragte Halef, als wir diesem Rufe Folge geleistet hatten und nun von den Nahenden nicht gesehen werden konnten.
»Es sind nur drei«, lautete die Antwort.
»So brauchen wir uns doch nicht zu fürchten. Warum hälst du uns also zurück?«
»Weil du von der Vorsicht gesprochen hast.«
»Drei Personen, und wir sind über fünfzig, da brauchen wir doch nicht vorsichtig zu sein!«
»Es handelt sich nicht um die Zahl der Personen«, warf ich ein. »Woher kommen sie?
»Aus Westen«, belehrte mich der Führer.
»Also vom Brunnen. Gehören sie zu den Leuten des Persers?«
»Nein, Soldaten sind sie nicht.«
»So haben wir allerdings Grund, zurückhaltend zu sein. Wie nahe sind sie uns?«
»Nur zwei Minuten, dann sind sie da.«
»Wir drei reiten ihnen entgegen, du, Hadschi Halef und ich. Die andern bleiben hier und folgen uns nur dann, wenn sie schießen hören. Ihre Fragen beantwortest du. Sag, was du willst, nur nicht, was wir sind, woher wir kommen und wohin wir wollen. Vorwärts!«
Wir bogen um die Steine und sahen die Reiter in einer Entfernung von vielleicht zweihundert Metern vor uns. Sie stutzten; wir ahmten das nach; dann ritten wir gegenseitig in sehr langsamem Schritte aufeinander zu. Da sagte der Führer im Tone der Überraschung:
»Maschallah! Den langen Bedawi (Beduinen) in der Mitte kenne ich. Es ist Tawil, der Scheik der Beni Khalid.«
»Kennt er dich?« fragte ich. »Nein. Ich habe ihn nur einmal gesehen, er mich aber nicht.«
»Wie ist sein Charakter?«
»Roh, grausam, rachsüchtig, aber ohne Falsch; er ist stolz darauf, nie eine Lüge zu sagen.«
»So werden wir bald mit ihm fertig sein!«
»Denke das nicht, sondern nimm dich in acht, Sihdi! Er ist jedenfalls nicht allein in dieser Gegend. Furcht kennt er nicht. Er ist ehrlich wie der Löwe, weicher durch sein Brüllen anzeigt, daß er kommt; aber gleich nach dem Donner seiner Stimme folgt der tödliche Sprung!«
Zu weiteren Worten war keine Zeit, denn wir waren dem Beni Khalid jetzt so nahe gekommen, daß die Begrüßung vor sich gehen mußte, nur fragte es sich, wer damit beginnen sollte, sie oder wir. Ich fand nur noch Zeit, dem Führer zu sagen, daß nicht er das erste Sallam sagen möge, da hielten die drei Reiter auch schon ihre Pferde vor uns an.
Der mittlere von ihnen, also Scheik Tawil, war, ganz seinem Namen gemäß, welcher »groß von Gestalt« bedeutet, ein außerordentlich langgewachsener Mann mit einem sonnverbrannten Gesichte, dessen Züge allerdings nichts weniger als Liebenswürdigkeit verrieten. Er erwartete sichtlich, daß wir zuerst grüßen würden, und als wir das nicht taten, ließ er seinen Blick zornig lodernd über uns gleiten und fuhr uns streng an:
»Nun? Habt ihr keine Mäuler? Oder wißt ihr, trotzdem ihr erwachsene Männer seid, noch nicht, daß man ein Sallam zu sagen hat, wenn man sich begegnet?«
Ich sah meinem kleinen Halef an, daß es ihm Anstrengung verursachte, auf diese Anrede still zu sein. Doch machte unser Ben Harb seine Sache auch nicht ganz übel, indem er antwortete:
»Zu jeder Begegnung gehören zwei. Sag deine Worte also nicht bloß zu uns, sondern auch zu dir, zu euch!«
»Allah lasse dich an deiner Rede ersticken! Nur Narren sprechen mit sich selbst. Ich verlange den Gruß von euch. Wollt ihr es wagen, uns durch die Verweigerung zu beleidigen, so bedenkt die Folgen!«
»Auch dazu gehören zwei! Warten wir also ab, wen die Folgen treffen werden, uns oder euch!«
Tawil fuhr mit seiner Hand drohend nach dem Gürtel, aus welchem der Griff eines Messers und der sonderbar gestaltete Knauf einer alten Pistole hervorragten, besann sich aber eines andern und wendete sich in verächtlichem Tone an seine Begleiter:
»Diese Menschen scheinen von Allah ganz verlassen zu sein oder aus einer Gegend zu kommen, wo die Grobheit für Höflichkeit gehalten wird; ihre Unwissenheit kann uns also nicht beleidigen, sondern nur erbarmen. Haben wir also Mitleid mit ihnen!«
Hierauf richtete er seine Worte wieder an den Ben Harb:
»Ich bin Tawil Ben Schahid, der berühmte Scheik der Beni Khalid, deren Zahl ohne Ende ist. Meine Macht reicht über die ganze Wüste und alle ihre Grenzen, und kein Feind kann sagen, daß er den Sieg über mich gewonnen habe. Nun ich in meiner Güte euch dieses mitgeteilt habe, wirst du mir wohl sagen, wer ihr seid. Soviel wenigstens hast du doch gelernt, daß sich dies schickt und gehört?«
»Ich habe gelernt, höflich gegen Höfliche zu sein und mich überhaupt gegen andere genauso zu verhalten, wie sie sich gegen mich benehmen. Also werde ich, nachdem du uns gesagt hast, wer du bist, deine Wißbegierde auch befriedigen. Wir gehören zum Stamme der Beni Arab Solaib und kommen also aus der Dschesireh.«
Es muß bemerkt werden, daß die Solaib-Beduinen infolge abgeschlossener Verträge niemals von andern Stämmen angegriffen werden, dafür aber natürlich verpflichtet sind, sich stets friedlich zu verhalten. Sie stehen deshalb nicht im Rufe der Tapferkeit, und so brauchte ich mich jetzt nicht darüber zu wundern, daß Tawil die Brauen hochzog und mit geringschätzigem Lächeln erwiderte:
»Solaib, ah, Solaib! Damit ist eure Dummheit allerdings vollständig erklärt! Ich kenne euch. Hundert Männer eures Stammes ergeben, obgleich ihr ganz gut bewaffnet zu sein scheint, noch nicht einmal den tausendsten Teil eines Kriegers. Ihr genießt auf Grund eurer Feigheit die Nachsicht aller Stämme und sollt also auch die unserige haben. Wo wollt ihr hin?«
»Wir sind nach Schakra abgeschickt, um einige Zuchtkamele zu kaufen. »
»So habt ihr Geld bei euch?«
»Ja, natürlich!«
Es ging ein freudiges Aufleuchten, welches sich auf dieses Geld bezog, über sein Gesicht und daß er sich nicht scheute, dies und den bezeichnenden Blick, den er dabei seinen Gefährten zuwarf, sehen zu lassen, war ein Beweis, daß er uns wirklich für ganz harmlose, ungefährliche Menschen hielt, gegen die es nicht einmal nötig war, seine Absichten zu verbergen. Sein Plan, zu unserm Gelde zu kommen, schien auch sofort fertig zu sein, denn er sprach:
»Wenn ihr von hier nach Schakra wollt, so müßt ihr durch das Gebiet der Beni Lam, mit denen wir in Fehde liegen. Sie dürfen es nicht erfahren, wo ich mich jetzt befinde, und da alle Solaib-Araber alte, schwatzhafte Weiber sind, so werden wir euch bei uns zurückhalten, bis unser Streit mit den Beni Lam ausgeglichen ist.«
Unser Führer war so klug, diese Ankündigung der Gewalttätigkeit vollständig zu übergehen und anstatt einer Weigerung die unbefangene Frage auszusprechen:
»Wir wollen nach dem Bir Hilu. Befinden wir uns auf dem richtigen Weg dorthin?«
»Ja; aber ihr werdet einstweilen auf ihn verzichten und jetzt mit uns reiten.«
»Wohin?«
»Auf Kundschaft.«
»Warum? Gegen wen? Kundschafterritte pflegen gefährlich zu sein!«
»Da ist ja schon die Angst!« lachte er. »Man erkennt sofort den Solaib an deiner Furcht. Aber grad weil ihr zu diesem Stamme gehört, kann ich euch ohne Befürchtung sagen, was ihr in einiger Zeit doch erfahren würdet. Ich lag mit einer großen Schar von Kriegern am Bir Hilu, um uns mit Wasser für den Zug gegen die Beni Lam zu versehen; da kamen Bekannte von uns, Männer aus Mekka, welche wir gastlich aufnahmen. Ihnen folgten Soldaten des Sultans. Die bezahlten Kriegssklaven des Großherrn werden nie bei uns geduldet, und diese machten sich außerdem des Verbrechens schuldig, unsere mekkanischen Freunde dadurch tödlich zu beleidigen, daß sie sie des Diebstahles beschuldigten. Sie wurden also festgenommen und entwaffnet. Nun kommen aber noch andere Leute, eine Schar von fünfzig Männern. Sie sind Haddedihn vom Stamme der Schammar, mit dem wir auch im Kampfe liegen, obgleich wir eigentlich mit ihm verwandt sind. Schon aus diesem Grunde müßten wir uns dieser bemächtigen; aber es kommt als weitere Veranlassung noch dazu, daß auch sie sich gegen die Mekkaner in einer Weise benommen haben, weiche streng bestraft werden muß. Da sie sich uns nicht ohne Gegenwehr ergeben würden, habe ich einen listigen Plan ersonnen. Sie sollen glauben, ganz allein am Brunnen zu sein und darum von den gebotenen Vorsichtsmaßregeln absehen; dann fallen wir über sie her. Wir haben uns also so weit vom Brunnen zurückgezogen, daß sie uns nicht bemerken können; wenn sie dann sorglos lagern, kehren wir zurück.«
»Werden sie nicht eure Spuren sehen?«
»Die haben wir ausgelöscht.«
»Aber wenn ihr eine so große Schar seid, werdet ihr das Wasser des Bir so weit verbraucht haben, daß dieser Umstand ihnen auffallen muß!«
»Auffallen? Diesen Haddedihn, denen Allah wohl Köpfe, aber kein Gehirn hinein gab? Diesen Menschen würde selbst im Traume nicht der Gedanke kommen, daß ein ausgeschöpfter Brunnen auf Leute deutet, von denen er geleert worden ist! Sie wohnen zwischen den Flüssen und verstehen von dem Leben der Wüste grad so viel, wie der Wasserfrosch von den Eigenschaften eines Vollblutpferdes versteht! Wir drei sind jetzt auf einem Umwege von dem Bir fortgeritten, ihnen entgegen, um von weitem zu beobachten, was sie tun und wie sie sich verhalten werden. Ihr kommt mit! Es ist keine Gefahr dabei, denn wir haben uns von ihnen fernzuhalten, weil sie uns nicht sehen dürfen. Ihr habt also keine Veranlassung, euch zu ängstigen.«
»Aber auch keine, mitzureiten. Wir wollen nach dem Bir Hilu, an andern Orten haben wir nichts zu suchen.«
»Aber wir! Und da ich euch ohne uns nicht nach dem Brunnen lassen darf, so reitet ihr mit uns. Ich wiederhole, daß eure Furcht, uns zu begleiten, ganz unbegründet ist; es wird euch nichts, gar nichts geschehen. Die Haddedihn sind ja als Feiglinge bekannt, und von ihrem Anführer, welcher Hadschi Halef Omar heißt und mit bei diesen fünfzig ist, weiß man allüberall, daß er, wenn es einen Kampf gibt, gleich beim ersten Schusse auszureißen pflegt. Er ist eine Memme sondergleichen, von der ihr nicht die geringste Gefahr für euch erwarten dürft.«
Da fuhr Halef mit der rechten Hand nach dem Griffe seiner Peitsche und öffnete schon den Mund, um zornig loszuplatzen; ich warf ihm schnell das Wort »Kutub!« zweimal zu, und er war zum Glücke so klug, infolge der Bedeutung desselben seinen Grimm zu bemeistern und zu schweigen. Für mich aber war die Zeit gekommen, an dem Gespräche teilzunehmen. Die Aufrichigkeit des Scheikes der Beni Khalid war zwar ein Zeichen seiner Geringschätzung, ein Beweis, daß er uns für vollständig geistig arme Menschen hielt, sie konnte uns aber nicht beleidigen, sondern mußte von uns ausgenutzt werden, und dazu besaß unser Führer nicht die nötige Einsicht und Selbständigkeit, da er nicht wissen konnte, was Halef und ich erfahren wollten und wie dann unsere Entschlüsse ausfallen würden. Darum richtete ich an Tawil die Frage:
»Du bist also wirklich überzeugt, daß es uns nichts schaden wird, wenn wir jetzt mit euch reiten?«
Er ließ seinen Blick langsam und mit dem Ausdrucke unendlicher Verachtung an mir niedergleiten und antwortete:
»Ich kann dir versichern, daß eure teuren Körper nicht verletzt und eure schönen, reinlichen Anzüge nicht beschmutzt werden. Ihr werdet genau so heil und sauber bleiben, wie ihr jetzt seid.«
»Später aber wirst du uns zum Brunnen lassen?«
»Ja, sofort nachdem wir mit den Haddedihn fertiggeworden sind; jetzt aber darf niemand hin.«
»Sind denn eure Mekkaner nicht dort geblieben?«
»Nein, die sind auch bei uns.«
»Und die Soldaten?«
»Die haben wir natürlich auch mit fortgenommen. Sie sind, um uns die Bewachung zu erleichtern, in eine Seitenschlucht gesperrt worden, deren Steinwände so hoch sind, daß man sie nicht erklettern kann; vorn können sie auch nicht heraus, weil da ein Posten von uns steht. Ich sage das zu deiner Beruhigung, um euch zu überzeugen, daß auch diese Leute euch nichts tun können!«
»Hatten diese Soldaten denn keinen Offizier bei sich, der sie kommandierte? Ich denke nämlich, daß es euch bei der geübten Umsicht eines solchen Vorgesetzten wohl nicht so leicht geworden wäre, sie an euch zu locken und dann zwischen Felsen einzusperren.«
»Offizier! Geübte Umsicht!« lachte er, und seine beiden Begleiter stimmten in das Gelächter ein. »Du bist ein Solaib, und darum hat man dir diese Dummheit zu verzeihen! Du scheinst noch nicht dabei gewesen zu sein, wenn Soldaten exerzieren. Sie drehen sich nach rechts; sie drehen sich nach links; sie drehen sich ganz um; sie laufen bald vorwärts, bald schief, bald rückwärts; sie tun das Gewehr ganz herunter; sie nehmen es bis zur Brust empor; sie werfen es auf die Achsel; sie heben das rechte Bein und bleiben auf dem linken stehen; sie heben das linke Bein und bleiben auf dem rechten stehen; sie bücken sich nieder, sie springen wieder auf; sie rennen auseinander und laufen dann wieder zusammen; sie legen die Finger an die Stirn; sie drücken die Waden aneinander; sie pressen die Brust heraus, und das alles tun sie, weil der dabeistehende Offizier diese lächerlichen Verrücktheiten von ihnen verlangt! Und da meinst du, daß so ein Karagöz (Lustigmacher, Hanswurst) uns hätte hindern können, das zu tun, was wir getan haben? Das kann eben nur ein Solaib denken, der von kriegerischen Angelegenheiten kein Wort, keinen Laut, keinen Hauch versteht! Aber es war kein Offizier bei ihnen, sondern ein verdammter Schiit, den Allah verurteilt hat, im tiefsten Pfuhle der Hölle zu wohnen. Dieser Schurke war so frech gewesen, unsern Mekkaner Freunden zu folgen, um sie zu beschimpfen und als Diebe, als Räuber zu bezeichnen. Er wagte es sogar, dies in unserer Gegenwart zu tun und uns zuzumuten, sie ihm auszuliefern. Als wir uns weigerten, einen solchen Befehl von ihm anzunehmen, und gar auch auszuführen, besudelte er uns mit Vorwürfen und Beleidigungen, auf welche wir nur mit dem Tode dieses Mißgläubigen antworten konnten.«
»Er lebt also nicht mehr?« fragte ich, indem ich mir Mühe gab, den Eindruck zu verbergen, den diese Mitteilung auf mich machte.
»Jetzt ist er noch nicht tot, wird es aber morgen früh, wenn wir den Brunnen verlassen, gewißlich sein. Als wir mit unsern Mekkaner Freunden über ihn zu Gerichte saßen, wurde er zur Faßada (Aderlaß) verurteilt. Wäre er ein Christ, ein Jude oder sonst ein Heide gewesen, so hätten wir ihn ohne Gnade erschossen, aber da er zwar ein mißgläubiger Schiit, aber doch ein Moslem ist, haben wir ihm nur einige kleine Adern geöffnet, welche bis morgen zum Tagesanbruche auslaufen werden. So bleibt ihm also Zeit, seine Rechnung mit Allah und dem Engel des Todes in Ordnung zu bringen. Habt ihr schon einmal von der Strafe der Faßada gehört?«
»Ja. Es gibt Stämme, bei denen sie aus demselben Grunde angewendet wird, den du soeben bezeichnet hast: Der Tod ist bei ihr unvermeidlich, doch bietet die Langsamkeit des Sterbens dem Verurteilten die notwendige Zeit, sich auf den Schritt in das Jenseits vorzubereiten. Welche Ader habt ihr ihm geöffnet?«
»Zunächst nur zwei Fingerschlagadern; das ist für jetzt genug.«
»Die Soldaten, bei denen er liegt, werden aber die Verblutung dadurch zu verhindern suchen, daß sie ihn verbinden.«
»Das kann wieder nur ein Solaib sagen! Der Schiit ist ja gar nicht bei ihnen, sondern er liegt bei meinen Kriegern, welche streng darüber wachen, daß der Ausfluß des Blutes ein stetiger bleibt. Er ist so gebunden, daß er sich, und besonders den betreffenden Arm, gar nicht bewegen kann. Wenn ihr euch etwa darüber wundert, daß ich euch das alles so unbedenklich sage, so wiederhole ich, daß ihr es doch in kurzer Zeit erfahren und sogar sehen würdet, weil wir euch jetzt mit uns nehmen und dann nach unserm Lager bringen.«
»Werdet ihr das wirklich tun? Mein Gefährte hat euch ja gesagt, daß wir nach dem Brunnen wollen und diesen Vorsatz auch ausführen werden.«
»Was ihr beabsichtigt, das ist uns gleichgültig, denn hier geschieht nur das, was wir wollen!«
»Aber wenn wir uns weigern?«
»So zwingen wir euch!«
»Und wenn wir uns wehren?«
»Wehren? Lächerlich! Drei Solaib-Feiglinge gegen uns!«
»Er lachte dabei wieder hellauf.
»Ihr seid ja auch nur drei!« warf ich ein.
»Das würde gegen zehn, ja gegen hundert von eurer Sorte genügen! Versucht ja keinen Widerstand, denn ich schwöre euch bei Allah und all sei – – —«
Er hielt mitten in der Rede inne und blickte mit dem Ausdrucke des größten Erstaunens an uns vorüber nach der Felsenecke, hinter weicher wir hervorgekommen waren. Als ich mich umdrehte, um zu erfahren, was seine Aufmerksamkeit in dieser Weise und so plötzlich in Anspruch nahm, sah ich die beiden Kamele, weiche den großen Tachtirwan (Sänfte) trugen, auf dessen Kissen Hanneh thronte. Sie waren, wie das bei diesen widerspenstigen Tieren sehr oft vorkommt, aus irgendeinem Grunde unruhig geworden und kamen uns nun nach. In für uns erfreulicher Weise war keiner der Haddedihn so unklug, der Sänfte zu folgen. Sie hegten keine Sorge, weder um uns noch um Hanneh, weil sie wußten, daß wir es nur mit drei Personen zu tun hatten, und blieben also hinter ihrer Ecke stehen. Es war für uns köstlich, die erstaunten Gesichter der Beni Khalid zu sehen.