Kitabı oku: «Am Jenseits», sayfa 11
»Ein Tachtirwan mit einem Weibe!« rief Tawil aus. »Zu wem gehört diese Frau?«
»Zu uns«, antwortete ich.
»Warum ist sie nicht gleich mitgekommen, sondern zurückgeblieben?«
»Frage sie selbst! Oder, wenn du das für besser hältst, frag ihre Kamele, die es wahrscheinlich grad so und nicht anders gewollt haben!«
»Erlaube dir keinen solchen Scherz!« wies er meine Aufforderung zurück.«
»Fragen, ein Weib fragen!« Er deutete mit der Hand auf Hanneh, die inzwischen so weit herangekommen war, daß ihre Tiere in ganz geringer Entfernung von uns stehenblieben, und fuhr fort: »Seht diese alte, häßliche Büjüdschih! (Hexe) So ein Gesicht kann nur die Urahne eines Solaib besitzen; bei uns dürfte sie sich gar nicht sehen lassen! Dreht euch auf die Seite, sonst macht sie euch mit ihren triefenden Augen zauberkrank!«
Hanneh hörte diese höhnischen Worte, verhielt sich aber still. Halef war zunächst ebenso still. Wer da weiß, mit welcher fast beispiellosen Liebe er an seiner »herrlichsten Blume der Frauenzelte« hing und daß er sie für die »Schönste aller Schönen« hielt, der kann sich, aber auch nur annähernd, denken, weichen Eindruck diese Beschimpfung seiner Liebe und seiner Ehre auf ihn machte. So etwas war ihm noch nie vorgekommen. Wenn ich gesagt habe: er war still, so ist das nicht das richtige Wort gewesen, denn er war nicht nur still, sondern starr, geradezu starr. Aber wie ihm eine solche Beleidigung noch nicht vorgekommen war, so hatte der Scheik der Beni Khalid das, was ihm jetzt geschah, jedenfalls auch noch nicht erlebt. Ich glaubte, Halef werde nun mit einer Flut von Schimpfworten gegen ihn losbrechen, sah aber bald, daß dies ein Irrtum von mir war. Der kleine Hadschi sprang, als habe er seine Starrheit mit einem einzigen Rucke überwunden, aus seinem hohen Sattel auf die Erde herab, schnellte zum Kamele Tawils hin, ergriff mit beiden Händen das eine Bein des Reiters und riß ihn mit einer Kraft herunter, über weiche sogar ich erstaunte. Im nächsten Augenblicke hatte er seine Peitsche aus dem Gürtel gerissen und schlug nun in einer Weise auf den am Boden Liegenden ein, daß dieser weder aufspringen noch etwas anderes tun als nur durch die vorgehaltenen Vorderarme sein Gesicht gegen die hageldicht fallenden Hiebe schützen konnte. Dabei ließ Halef kein einziges Wort hören; seine Wut war so groß, daß er sie nicht durch die Zunge auszudrücken, sondern nur mit der Peitsche zu betätigen vermochte. Desto mehr brüllte der Gezüchtigte. Er rief, nein, er schrie seinen Gefährten zu, ihm zu helfen. Sie wollten das auch tun; da zog ich den Revolver und gab einen Schuß ab, das verabredete Zeichen für unsere Haddedihn, weiche sofort herbeigeeilt kamen und durch ihr unerwartetes Erscheinen die Aufmerksamkeit der zwei darüber bestürzten Beni Khalid so in Anspruch nahmen, daß diese gar nicht daran denken konnten, sich um ihren Scheik zu bekümmern. Sie wurden umringt und von den Kamelen gerissen, wobei man dem Hadschi Platz ließ, seine Züchtigung fortzusetzen, was er auch so lange tat, bis er den Arm nicht mehr bewegen konnte. Da warf er die Peitsche von sich, trat zu mir heran und rief, vor Anstrengung atemlos, aber blitzenden Auges und mit noch vor Wut bebender Stimme:
»Sihdi, ich bitte dich um Allahs willen, sprich mir jetzt ja nicht darein, sonst platze ich! Dieses Mal darfst nicht du bestimmen, was geschehen soll, sondern ich bin es, dem man zu gehorchen hat. Dieser Hund hat mein Weib begeifert, meine Hanneh, das schönste, reinste und beste aller Wesen, die auf der Erde wandeln; er hat ihr nicht nur einen verachteten Namen, sondern auch triefende Augen gegeben, und wenn du mich hinderst, ihm diese Lästerung heimzuzahlen, so schwöre ich dir zu, daß ich die Freundschaft zu dir sofort aus meinem Herzen reiße! Ich verspreche dir, als Mensch mit ihm zu verfahren; mehr aber kannst du nicht von mir verlangen! Bist du einverstanden?«
»Ja«, antwortete ich, »denn ich weiß, daß du nichts tun wirst, was mich zwingen würde, dann meinerseits die Freundschaft zu dir aus dem Herzen zu reißen! Also abgestiegen, wer noch im Sattel sitzt! Wir bleiben einstweilen hier!«
Dieser Weisung wurde Folge geleistet. Man half Hanneh und dem Münedschi herab. Dieser letztere war wach und munter; er wollte wissen, was geschehen sei und noch geschehen werde, mußte sich aber mit einer ganz kurzen Auskunft begnügen. Die Beni Khalid waren gebunden worden. Das Gesicht und die Hände ihres Scheikes zeigte Spur an Spur der ihm gewordenen Züchtigung. Er brüllte in einem fort und rief Allah, den Himmel, Muhammed und alle Kalifen zu Zeugen an, daß er sich fürchterlich und blutig rächen werde an den Solaib Hunden«, wie er sich ausdrückte. Er war also, obgleich Halef ihn doch eines ganz andern belehrt hatte, selbst jetzt noch der Meinung, daß wir feige Angehörige des genannten Stammes seien. Da nahm Halef seine Kurbadsch wieder in die Hand, trat zu ihm hin und drohte:
»Schweig, du Sohn aller Hundeväter und Ahne aller Hundesöhne, sonst beginne ich von neuem! Du sagtest, Allah habe die Haddedihn ohne Hirn geschaffen, wo aber hast du das deinige? Du weißt, daß Hadschi Halef Omar mit fünfzig Haddedihn kommen werde, und nennst uns noch immer Solaib. Hast du keine Augen? Zähle uns doch! Hast du nicht gehört, daß auch die Gebieterin seines Harems sich bei dem Scheik der Haddedihn befindet? Wo ist dir der Verstand verlorengegangen, der dir doch sagen müßte, daß wir nicht Solaib, sondern diejenigen sind, welche du erkundschaften und dann am Bir Hilu angreifen willst? Nun zwinge uns doch, mit dir zu reiten, du Wurm der Ohnmacht und des Unvermögens! Hast du dich wirklich vor hundert Leuten unserer Sorte nicht zu fürchten? Sind die Haddedihn wirklich die Wasserfrösche, als welche du sie bezeichnet hast? Da liegst du nun, bedeckt von den Hieben meiner Peitsche! Deine Gestalt ist fast doppelt so lang wie die meinige; aber wenn Allah sie noch hunderttausendmal längergezogen hätte, wäre sie doch ein Zwerg gegen die endlose Riesenhaftigkeit der Dummheit, weiche das einzige, dir hinterlassene Erbe aller deiner ohne Verstand geborenen und ohne Vernunft gestorbenen Ahnen ist. Wer nur einen einzigen Blick auf dich wirft, der muß sich sofort abwenden, sonst löst er sich so in Tränen der Trostlosigkeit auf, daß nichts, aber auch gar nichts von ihm übrigbleibt!«
Um diese seine Worte zu verdeutlichen, wendete er sich ab und zufällig seinem Sohne zu, der hinter ihm stand. Er nahm ihn bei der Hand, zog ihn vor, deutete auf Tawil und fuhr fort:
»Da siehst du ihn liegen, der deine Mutter, in welcher alle weiblichen und mütterlichen Vorzüglichkeiten in größter Vollkommenheit vereinigt sind, eine triefäugige Büjüdscheh genannt hat! Nun sag du mir, was ihm dafür geschehen soll!«
Kara Ben Halef, welcher seinen Namen Kara bekanntlich von mir bekommen hatte, machte eine abwehrende Handbewegung und sagte nur das eine Wort:
»Nichts!«
»Nichts?« fragte sein Vater ebenso erstaunt wie unbefriedigt. »Nichts soll ihm geschehen?«
»Nichts! Auf eine solche Frechheit kann nur die Peitsche antworten; das ist geschehen. Jede weitere Beachtung würde nur eine Ehre für ihn sein, und die darf ihm nicht werden!«
Der brave Jüngling wendete sich ab und ging zu seiner Mutter. Halef sah ihm nach, blickte einige Zeit sinnend vor sich nieder, hob dann sein Gesicht und rief mir in entzücktem Tone und strahlenden Auges zu:
»Sihdi, hast du gehört, was Kara Ben Halef, der Sohn meines Herzens, soeben sagte? Was sagst du dazu?«
»Er hat recht«, antwortete ich.
»Ja, er hat recht. Der Beleidigung der besten aller Frauen ist Genüge geschehen, und so soll in Beziehung auf sie dieses Hundes nicht wieder gedacht werden. Aber ich habe wegen anderer Dinge weiter mit ihm zu sprechen und hoffe, daß ich auch da das Richtige treffen werde. Bindet ihm seine Flinte lang an die Seite und den Arm so fest daran, daß er ihn und die Hand nicht bewegen kann!«
Während Omar Ben Sadek mit zwei Haddedihn diesem Befehle nachkam, trat Halef zu mir, hielt mir seine Hand hin und bat:
»Effendi, zeige mir, wo die Fingerschlagadern liegen; ich muß das wissen!«
Ich ahnte, was er wollte, und stimmte ihm vollständig bei, ohne ihm dies aber zu sagen. Ich hätte das, was er jetzt vorhatte, wahrscheinlich auch getan, weil es das beste, einfachste und für uns ungefährlichste Mittel war, den Perser zu retten. Darum zeigte und erklärte ich ihm in kurzen Worten die Lage und die Tätigkeit der betreffenden Adern. Als dies geschehen war, ging er nach dem Tachtirwan, um sich Hannehs kleines, scharfes Näh oder vielmehr Trennmesser zu holen. Dann kehrte er zu dem Scheik der Beni Khalid zurück, welchen, obgleich er gebunden war, drei oder vier Haddedihn halten mußten. Ich stand entfernt davon und sah nur, daß Halef sich über ihn niederbeugte. Dann erscholl ein Schrei, und ich hörte Tawil brüllen:
»Was tatest du mit meiner Hand? Du hast mich gestochen. Da spritzt das Blut empor!«
»Ja, ich habe dich gestochen«, antwortete Halef. »Es geschieht dir nach dem Gesetze der Wüste: Blut um Blut, Leben um Leben. Du lässest den Perser am Aderlasse sterben und teilst nun mit ihm dasselbe Geschick. Morgen früh wirst du mit ihm aus dem Lande der Lebenden gehen und mit ihm zu gleicher Zeit es Sfiret, die Brücke des Todes, erreichen. Allah weiß, wer glücklich hinüberkommt, er oder du!«
»So hast du mir die Faßada gegeben?«
»Ich habe dir nur zwei Fingerschlagadern geöffnet, ganz genau das, was du mit ihm getan hast.«
»Allah verdamme dich! Wie kannst du es wagen, mein Blut zu vergießen?!«
»So, wie du es gewagt hast, das seinige zu vergießen.«
»Das war der Beschluß des Gerichtes!«
»Hier auch, denn ich bin der oberste Richter des Stammes der Haddedihn.«
»Dieser Schiit soll an der Faßada sterben, weil er die Mekkaner, unsere Gastfreunde, beleidigt hat!«
»Und du sollst ebenso an der Faßada sterben, weil du ihn, der unser Gastfreund ist, beleidigt und sein Blut vergossen hast und auch noch weiter vergießen und ihn dadurch töten willst. Du siehst, ich tue ganz genau dieselbe Tat aus ganz genau demselben Grund wie du.«
»Es ist doch nicht dasselbe, denn dieser Schiit hat nicht bloß die Mekkaner, sondern auch mich und meinen ganzen Stamm beleidigt!«
»Und du hast dich nicht nur an ihm vergriffen, sondern auch mich und den ganzen Stamm der Haddedihn mit dem Schmutze deines Mundes besudelt.
»Du darfst dir also nicht einbilden, etwas vor ihm vorauszuhaben!«
»Aber woher nimmst du das Recht, Richter über mich zu sein?«
»Daher, woher du dir die Befugnis genommen hast, über ihn abzuurteilen. Du siehst, es gibt für dich keine Tür, durch welche du mir entschlüpfen kannst. Stirbt er, so stirbst auch du; willst du leben bleiben, so muß auch er gerettet werden. Deine Lage ist genau dieselbe, wie die seinige, und ich sorge dafür, daß sie sich in jeder Beziehung auch weiter nach ihr richtet.«
»So ist es dein Ernst, daß ich mich hier verbluten soll?«
»Ja, natürlich! Wenn du geglaubt hast, daß ich scherze, so befindet sich in deinem Kopfe noch weniger Denkkraft, als ich dachte. Menschenblut ist eine sehr teure und ernste Sache, mit welcher man keinen Scherz treiben darf, zumal hier in der Wüste, wo strenger als sonstwo Blut mit Blut zu bezahlen ist. Überlege dir das. Du hast Zeit dazu. Jetzt bin ich einstweilen mit dir fertig.«
Er wendete sich von ihm ab und kam zu mir.
»Sihdi, habe ich einen Fehler gemacht?« fragte er mich.
»Nein«, antwortete ich.
»So bist du also mit mir zufrieden?«
»Ja, sogar sehr.«
»Wie mich das freut, lieber Effendi! Du weißt, wie ich dich liebe und daß dein Wohlgefallen das Endziel meines ganzen Strebens ist. Du bist so schwer zu befriedigen; um so größer ist mein Entzücken darüber, daß es mir hier gelungen ist, mich der ganzen Fülle deines Beifalles zu erfreuen. Nun wollte ich dich fragen, ob ich diesem Menschen jetzt die Bedingungen mitteilen soll, unter welchen er sich sein Leben erhalten kann.«
»Jetzt noch nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil er noch nicht überzeugt ist, daß du es mit dem Aderlasse ernst meinst. Er muß erst Angst, wirkliche Angst bekommen. Sorge also dafür, daß die Blutung nicht aufhört!«
»Kann das der Fall sein?«
»Ja, weil es sich nur um schwache Nebenadern handelt. Weiche Bedingungen willst du stellen?«
»Ich gebe ihn nur gegen den Perser und die Soldaten frei. Bist du damit einverstanden?«
»Ja.«
»Ich dachte auch an die Mekkaner und wollte verlangen, daß er sie dem Perser ausliefere. Aber er hat sie als seine Gastfreunde bezeichnet, und da verlangt die Wüstenregel von ihm, daß er lieber stirbt, anstatt auf diese meine Forderung einzugehen.«
»Das ist richtig, und bei seinem Charakter bin ich überzeugt, daß er auch gar nicht anders handeln würde. Laß ihm also diese Leute; wir bekommen sie doch!«
»Wann?«
»Heute am Abend oder in der Nacht.«
»Wieso?«
»Denke an das, was nun kommen wird, nachdem er in unsere Hände gefallen ist! Du willst doch seine Beni Khalid benachrichtigen lassen, wo er sich befindet?«
»Natürlich!«
»Und daß er sterben muß, wenn sie den Perser sich verbluten lassen?«
»Ja. Ich schicke einen seiner Begleiter fort, der ihnen zu sagen hat, daß ihr Häuptling solange bluten wird, bis der Perser sich bei uns einfindet. Wie meinst du, werden sie ihn schicken?«
»Jedenfalls.«
»Auch die Soldaten?«
»Auch diese. Es wird ihnen zwar schwer ankommen, aber um ihren Häuptling, ihren Scheik zu retten, bleibt ihnen ja nichts anderes übrig. Nun frage dich einmal, was die Mekkaner tun werden, sobald sie sehen, daß ihre Verfolger wieder freigelassen werden!«
»Sie werden sich schleunigst aus dem Staube machen.«
»In welcher Richtung‘?«
»Nach Mekka zu; das ist doch selbstverständlich.«
»Ja; aber ebenso selbstverständlich ist es, daß wir sie dort erwarten und abfangen, um sie dem Perser auszuliefern. Freilich müssen wir auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß sie sich bei den Beni Khalid sicherer fühlen als anderswo und also bei ihnen bleiben wollen, bis wir und der Perser fort sind. Dies müssen wir zu verhüten suchen, denn diese mekkanischen Diebe haben sich so zu uns verhalten, daß es uns gar nicht einfallen kann, ihnen das Entkommen zu erleichtern. Es liegt vielmehr so eine Ahnung in mir, daß wir auch für uns ein kluges Werk vollbringen, wenn wir dafür sorgen, daß sie den Diebstahl eingestehen müssen. Wir haben dann eine Waffe gegen El Ghani in der Hand, falls es ihm einfallen sollte, sich in der heiligen Stadt feindlich gegen uns zu verhalten.«
»Das begreife ich gar wohl, Sihdi; aber du befindest dich da mit dir selbst im Widerspruch!«
»Wieso?«
»Erst sagst du, daß wir ihre Auslieferung von Tawil nicht verlangen dürfen, weil sie seine Gäste sind und er also lieber sterben als auf unsere Forderung eingehen wird, und nun bestimmst du, daß wir sie dennoch haben müssen, selbst wenn sie nicht fortgehen, sondern bei ihm bleiben, um unsere Entfernung abzuwarten. Wie sind diese verschiedenen Dinge zu vereinigen?«
»Durch ein allerdings sehr kriegerisches Mittel, bei welchem man das Leben auf das Spiel zu setzen hat.«
»Allah w‘Allah! Du meinst den Zweikampf?«
»Ja. Den Perser und die Soldaten gibt er gegen seine eigene Freiheit heraus; das schändet ihn nicht, die Auslieferung der Gäste aber können wir nach dem Gesetze der Wüste nur durch die Entscheidung der Waffen, durch einen Zweikampf erzwingen. Es kann ihm dann niemand einen Vorwurf machen. Sage ihm also, daß ich bereit bin, mit jedem Gegner, den er mir stellt, und in jeder Waffe und Weise, die ihm beliebt, die Entscheidung herbeizuführen!«
»Du also, Sihdi, du?«
»Ja.«
»Du selbst?« wiederholte er.
»Ich selbst!«
»Maschallah! Nach der strengen Regel müßte da El Ghani mit dir kämpfen, weil es sich ja um ihn handelt. Der wird sich aber wohl hüten, sein teures Leben auf das Spiel zu setzen. Man wird also gezwungen sein, ihm aus der Schar der Beni Khalid einen Stellvertreter zu wählen.«
»Das setze ich voraus!«
»Aber, Sihdi, bedenke, daß man da nicht etwa einen Schwächling auslesen wird!«
»Eine solche Schande würde ich zurückweisen! Zur Besprechung dieser Angelegenheit ist noch Zeit. Es gilt mir zunächst, zu wissen, wo die Beni Khalid lagern, und da ihr Scheik uns das nicht sagen wird, so werde ich jetzt fortreiten, um es zu erkunden.«
»Ich reite mit!«
»Nein! Die Lage hier ist eine kritische; es kann sich von Augenblick zu Augenblick etwas Wichtiges ereignen, und da darfst du als Scheik und Anführer dich nicht entfernen; aber ich werde Kara Ben Halef mitnehmen.«
»Meinen Sohn? Ich danke dir, Effendi! Ich hätte mich nicht zurückweisen lassen; aber da es Kara Ben Halef und kein anderer ist, den du wählst, so stimme ich freudig bei und bleibe sehr gern hier, denn er findet da Gelegenheit, dir zu beweisen, daß er von mir gelernt hat, sich sogar am Tage unbemerkt anzuschleichen. Was reitet ihr? Kamele oder Pferde?«
»Unsere Pferde natürlich. Wer setzt sich, wenn er die Wahl hat, bei einem unter Umständen gefährlichen Späherritte auf unzuverlässige Kamele!«
»Gut! Ich werde sofort satteln lassen.«
»Ist nicht notwendig; wir reiten nur mit Zügel. Es dauert ja nicht lange. In einer kleinen Stunde ist es Nacht; da müssen wir wieder hier sein.«
Wenige Minuten später bestieg ich meinen Assil Ben Rih und Kara Ben Halef den Rappen seines Vaters, den er an Stelle seiner Schimmelstute nahm, weil die weiße Farbe derselben uns verraten hätte. Aus eben demselben Grunde hatten wir unsere hellen Haiks abgelegt und trugen also nur die Anzüge, deren Farbe nicht von der Umgebung abstach. Eine kurze, unauffällige Erkundigung bei dem Führer klärte mich über die genaue Lage des Brunnens und über seine Umgebung auf, so daß wir uns nicht irren konnten; dann ritten wir fort, erst langsam, dann aber schnell, um die uns gegebene Zeit recht auszunützen.
Wir hielten uns natürlich nicht auf der geraden Linie nach dem Brunnen, sondern etwas südlicher und kamen an mehreren der erwähnten Felseninseln vorüber. Wir ritten hinter keiner derselben hervor, ohne uns vorher überzeugt zu haben, daß die offene Strecke bis zur nächsten unbeobachtet sei. So ging es weiter und weiter, bis wir von weitem auf einem jener freien Zwischenräume helle Punkte bemerkten, welche sich bewegten. Das waren Beni Khalid-Beduinen, die ihren Pferden Bewegung machten. Sie ritten eine sogenannte Phantasia, ein wohlgeordnetes Figurenstück, woraus wir schließen konnten, daß sie es nicht für nötig hielten, da, wo sie sich befanden, vorsichtig zu sein und sich nicht sehen zu lassen. Sie waren ja weit genug vom Bir Hilu entfernt, um von dort aus nicht bemerkt zu werden, und verließen sich überhaupt ganz auf ihren Scheik, von welchem sie wußten, daß er auf Kundschaft geritten sei und sie von der Annäherung der Haddedihn rechtzeitig benachrichtigen werde. Sie waren ihrer Sache so sicher, daß sie die Möglichkeit, ihm könne etwas zustoßen, für ganz ausgeschlossen hielten.
Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, sobald wir sie erblicken würden, von den Pferden zu steigen, um uns möglichst nahe an sie zu schleichen; das war nun aber, da sie nicht lagerten, sondern sich in solcher Bewegung befanden, unmöglich auszuführen. Wir mußten also wohl oder übel darauf verzichten, über die Soldaten und die Mekkaner vielleicht etwas für uns Nützliches zu erfahren. Das Einzige, was wir tun konnten, war, den Brunnen aufzusuchen, wo sie alle bis vor kurzem gewesen waren. Günstigen Falles gab es dort eine Entdeckung, weiche geeignet war, uns die späteren Verhandlungen mit diesen Leuten zu erleichtern. Wir bogen also im rechten Winkel nach Norden ab und erreichten, da wir galoppierten, schon nach zehn Minuten die Gegend, in welcher der Beschreibung des Führers nach der Brunnen liegen mußte.
Vier ziemlich hohe und steil aufsteigende Felsenmassen bildeten die Winkelpunkte eines unregelmäßigen Viereckes, dessen längste Seite vielleicht achthundert, die kürzeste fünfhundert Meter messen mochte. Da, wo diese beiden Seiten zusammenstießen, befanden wir uns, und in der uns gegenüberliegenden Ecke trat aus dem Felsen ein schutzdachähnliches Gemäuer hervor, welches jedenfalls den Bir bezeichnete. Der Boden des Vierecks bestand aus Sand, und wenn Tawil auch gesagt hatte, daß die Spuren alle ausgelöscht worden seien, so kam mir jetzt die Uberzeugung, mit welcher uns diese Mitteilung von ihm gemacht worden war, im höchsten Grade lächerlich vor. Der Boden war nämlich so zerstampft, daß man hätte gradezu blind sein müssen, um nicht zu sehen, daß eine ungewöhnlich große Reiterschar sich hier befunden habe. Freilich, die einzelnen Fährten auseinander zu halten, das war selbst für meine geübten Augen eine absolute Unmöglichkeit.
Der Fährtenleser sucht beim Vorhandensein so massenhafter Fuß und Hufeindrücke ganz unwillkürlich nach einer Einzelspur, oft ohne eine andere Absicht dabei zu haben, als die, den eigenen Blick zu prüfen. So tat ich auch hier. Es war aber keine einzige herauszubringen und doch, grad da beim Vorderfuße meines Pferdes lag ein höchstens zwei Hände großes Steinstück, welches, sobald ich es erblickte, meine Aufmerksamkeit auf sich zog, weil die eine, glatte Seite desselben ein ganz sauberes, neues Aussehen hatte, während die andern Seiten schmutzig und verwittert waren. Ganz gewiß war dieses Stück erst vor kurzer Zeit von dem neben uns aufsteigenden Felsen abgebrochen worden und heruntergefallen. Höchstwahrscheinlich war das ein für uns ganz gleichgültiger Vorgang gewesen; ich sah aber doch nach oben und gewahrte da auch die Stelle, an welche die Bruchfläche des Steines ganz genau paßte. Damit hätte ich mich wohl zufriedengegeben, aber ich sah noch mehr. Nicht weit von der erwähnten Stelle gab es nämlich eine mit Sand gefüllte Ritze und in diesem Sande vier senkrechte, halb wieder zugekörnelte Striche. Da hatte jemand sich festhalten wollen, war aber ab und mit den vier Handfingern durch den Sand geglitten. Was hatte der Betreffende da oben gewollt?
Das war eigentlich eine ganz nichtige Frage; aber gewohnt, selbst auf Kleinigkeiten und scheinbar bedeutungslose Dinge stets auch zu achten, forderte ich Kara Ben Halef auf, einmal vom Pferde zu steigen und da hinaufzuklettern. Ich hätte das wohl selbst getan, wollte aber meinem Schützlinge Gelegenheit geben, seinen Scharfsinn zu zeigen. Der Beduine klettert nicht gern; wenn er es doch einmal tut, so muß immerhin eine nicht ganz gewöhnliche Ursache dazu vorhanden sein. Und grad hier an dieser Stelle war es gar nicht bequem gewesen, hinaufzukommen. Hatte etwa einer der Beni Khalid da oben etwas versteckt? Ah, es waren sogar zwei gewesen, denn jetzt, da ich nun genauer hinschaute, sah ich ganz unten und hart am Felsen die tiefen Eindrücke zweier Fußspitzen, aus denen ich schloß, daß der eine hier gestanden und sich angestrengt hatte, den andern emporzuschieben. Dieser andere mußte entweder unbehilflich oder alt gewesen sein, sonst hätte er dieser Hilfe nicht bedurft. Ich weiß nicht, warum und wie es kam, aber ich mußte dabei an EI Ghani denken, hielt dies jedoch für sehr erklärlich, weil ich mich in der letzten Zeit mit diesem Manne so viel in Gedanken und Worten beschäftigt hatte.
Der gewandte und sehr kräftige Kara schwang sich, ohne einer Hilfe zu bedürfen, schnell hinauf, bis dahin, wo ich ihn nicht mehr sehen konnte, und es verging einige Zeit, ehe er wieder erschien und, den Kopf vorbeugend, mir zurief:
»Sihdi, ich habe es gefunden.«
»Was ist‘s?«
»Ein Paket, in einen Gebetsteppich gewickelt und mit einer Burnusschnur umwunden.«
»Ist es groß?«
»Nein, aber schwer. Willst du es haben, Sihdi?«
»Nein, wenigstens jetzt noch nicht. Ich komme hinauf, um es selbst zu sehen.«
Ich sprang vom Pferde und kletterte an dem hier vielleicht acht Meter hohen Gestein empor. Oben angekommen, stand ich nicht etwa schon auf der Höhe der Felseninsel, sondern erst auf einem beinahe rundherumlaufenden Absatze derselben, welcher den Fußrand mehrerer kahl und nackt aufstarrenden Spitzen bildete. Ich sah, daß es zwar keine einzige Stelle gab, an welcher man bequem hier heraufkommen konnte, aber diejenige, welche wir erklettert hatten, war grad die schwierigste von allen. Daraus war zu schließen, daß diejenigen, welche das Paket nach oben brachten, sehr große Eile und darum keine Zeit gehabt hatten, sich eine zugänglichere Stelle zu wählen. Die erwähnten Spitzen waren mehrfach von Spalten zerrissen, und in einem dieser Einschnitte steckte das Paket, welches, damit man es nicht sehen solle, mit Steinen zugedeckt gewesen war, welche Kara jetzt weggenommen hatte.
»War der Pack gut versteckt?« fragte ich ihn.
»Nein«, antwortete er. »Der, welcher es hier verbarg, hatte sich fast gar keine Mühe gegeben, dies so zu tun, daß es nicht zu finden war. Die Stelle ist ja ganz gut ausgewählt, denn unter tausend Beduinen wird es wohl kaum einem einfallen, ohne besonderen Grund hier heraufzuklettern; aber das Zudecken mit den Steinen hat man mit sehr wenig Sorgfalt ausgeführt.«
»Weil die Zeit dazu gefehlt hat, lieber Kara. Nicht der Leichtsinn, sondern die Eile ist schuld daran. Ah, kennst du diesen Sidschdschadi (Gebetsteppich)?«
»Nein.«
»So hast du nicht auf ihn geachtet. Mir fiel er wegen seines eigentümlichen Musters auf, welches aus einem Fe und einem verkehrt darüberliegenden Khaf besteht. Dieser Teppich ist El Ghanis Eigentum,
»So wäre es dieser Alte, der da heraufgeklettert ist?«
»Wahrscheinlich.«
»Was mag in dem Pakete stecken?«
»Ich vermute, daß es die in Meschhed Ali gestohlenen Gegenstände sind. Wir werden nachsehen, müssen aber dafür sorgen, daß es ganz genau wieder so zugebunden wird und zu liegen kommt wie vorher.«
Die Umschlingung des Teppichs bestand, wie Kara gesagt hatte, in einer Burnusschnur, weil nichts anderes dazu passendes augenblicklich dagewesen war. Wir entfernten sie und öffneten das Paket. Es enthielt über zwanzig Beutel, aus Leder gefertigt und von verschiedener Größe, welche mit goldenen Ouasten verziert und mit farbigen, seidenen Schnüren zugebunden waren. An jedem hing ein künstlerisch geschnittenes Elfenbeinblättchen, welches eine Buchstabennummer und die persische Bezeichnung des Inhaltes trug. Das machte den Eindruck des Wertes, des Reichtums. Ich las einige der Aufschriften; sie lauteten:
»Sih ängust = drei Finger, pänj tschasm = fünf Augen, du bini = zwei Nasen, tschähar dil = vier Herzen, nuh pah = neun Füße, sih zäbahn = drei Zungen, du kahm = zwei Gaumen.«
Diese Inhaltserklärungen kamen mir keineswegs verwunderlich vor, denn ich kannte den Brauch, der ihm zu Grunde lag. Es kommt nämlich unter den Schiiten besonders bei langwierigen Krankheiten und schwer heilenden Verletzungen sehr häufig vor, daß der Patient an den heiligen Stätten die Hilfe sucht, die er bei den Ärzten nicht gefunden hat. Dies geschieht, wenn es ermöglicht werden kann, durch die persönliche Wanderung nach Meschhed Ali oder Kerbelah; im andern Falle sendet man eine Ab oder Nachbildung des betreffenden Gliedes oder Körperteiles nach einem dieser Orte und dazu ein Geldgeschenk, weiches die »Heiligen der Stätte« veranlassen soll, sich des Absenders im Gebete anzunehmen. Dies ist das letzte und, wie man meint, zugleich sicherste Heilmittel, zu welchem man greift. Der Arme kann es nur zu einer Nachbildung aus Holz, aus Ton, aus Blei, Zinn oder sonst einem billigen Stoffe bringen und hat also nur wenig Hoffnung, von Allah geheilt zu werden. Der Reiche ist viel besser daran, weil er die Mittel besitzt, ein wertvolleres Material zu bezahlen. Er wählt Silber, Gold und sogar edle Steine. Auf diese Weise gelangen Kostbarkeiten nach den Pilgerstätten, mit denen man selbst den berühmtesten Arzt nicht honorieren würde. Es kommt vor, daß Fürsten oder sonstige Geldleute wahre Schätze schicken, die in den unterirdischen Kammern von Kerbelah und Meschhed Ali aufgehäuft werden und einen immer wachsenden Wert von vielen Millionen besitzen. Daß da Allah nicht der einzige Empfänger ist, versteht sich ganz von selbst. Auch ist es dagewesen, daß Eroberer sich dieser Schätze bemächtigt haben, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Aber sie wachsen immer wieder und immer weiter an, so daß man eben jetzt, in gegenwärtiger Zeit, behauptet, daß man mit den an den beiden genannten Orten angehäuften Vermögen ganz Persien aufkaufen und bezahlen könne.
Unser neuer Bekannter Khutub Agha war in Meschhed Ali als Basch Nazyr, als Oberaufseher der dortigen Schatzkammer angestellt, also einer der hervorragendsten Beamten dieser Stadt. Wenn so ein Mann die Verfolgung eines Diebes persönlich unternahm und sich dabei den Gefahren eines weiten Rittes durch die für ihn als Schiit doppelt gefährliche arabische Wüste aussetzte, so konnte es sich nicht um unbedeutende Objekte handeln. Ich öffnete den kleinen Beutel, welcher mit »Sih ängust = drei Finger bezeichnet war. Er enthielt drei Finger, wie zu erwarten war, aus purem Golde und mit den erkrankten Stellen nachgebildet; an jedem steckte ein Ring mit Edelsteinen. Wenn der Inhalt der andern Beutel ein gleich oder auch nur ähnlich kostbarer war, so verlohnte es sich für einen Dieb gar wohl des allerdings großen Wagnisses, nach Meschhed Ali zu gehen und dort in den Kanz el A‘da einzudringen. Kanz el A‘da, Schatz der Glieder, heißt nämlich dort diejenige Abteilung der tief unter der Erde liegenden Räume, in weicher die aus edlen Metallen und Steinen bestehenden Nachbildungen menschlicher Körperteile aufbewahrt werden.
Wir banden den Beutel wieder zu und verzichteten darauf, noch andere zu öffnen, denn erstens fehlte uns die Zeit dazu, zweitens war eine Überraschung durch die Beni Khalid möglich, und drittens durften wir annehmen, daß wir den Inhalt der übrigen auch noch sehen würden. Wir wickelten den Teppich wieder zusammen und banden die Schnur genau wieder so um ihn, wie sie vorher um ihn geschlungen gewesen war.
»Nehmen wir das Paket mit, Sihdi?« fragte Kara, dem das, was er gesehen hatte, gewaltig imponierte, was bei seiner Jugend ja auch sehr begreiflich war.
»Nein«, erwiderte ich. »Nicht? Warum nicht, Effendi? Dieses Gold und diese Diamanten sollen hier liegen bleiben?«
»Ja, und zwar weil sie uns überhaupt nicht gehören und wir sie doch nicht stehlen werden, und weil wir El Ghani nur dann des Raubes überführen können, wenn er glaubt, daß niemand das Paket gesehen hat.«