Sadece LitRes`te okuyun

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Am Jenseits», sayfa 30

Yazı tipi:

»Ihr werdet es behalten?«

Der Scheik tat, als ob er diese Frage gar nicht gehört habe und sprach weiter:

»Abadilah el Waraka, den man El Ghani nennt, trat vor einigen Monaten eine Reise an, welche von Mekka nach Meschhed Ali gehen sollte. Auf dieser Reise kam er auch nach Oneizeh, der großen Stadt. Er hatte seinen Sohn mit, drei andere Begleiter und auch einen alten Mann, den man El Münedschi nennt, weil er die Gabe der Weissagung besitzt. Dieser Münedschi verkehrt mit einem Engel des Himmels, weicher Ben Nur heißt und ihm alle Geheimnisse des Lebens entdeckt. Darum ist alles, alles wahr, was der Münedschi sagt, und wenn er etwas verkündet, so geht es in Erfüllung. Er muß sehr, sehr reich sein, denn es kommen Tausende von Pilgern zu ihm, welche ihn sehen und hören wollen und dann nicht gehen, ohne eine Gabe der Dankbarkeit zurückzulassen. Zu derselben Zeit war auch ein junger Krieger unseres Stammes in Oneizeh, um Blei und Pulver für uns einzukaufen. Er hieß Ibn Kurban (Sohn des Opfers) und war der einzige Sohn von Abu Kurbart (Vater des Opfers), des reichsten Mannes unseres Stammes. Er hatte diamantene Ringe an den Fingern, und seine Waffen waren mit edlen Steinen besetzt, deren Wert ein Vermögen betrug. Als er mit seinen drei Begleitern die Stadt verließ, schloß er sich dem Ghani an, weil er eine Zeitlang den gleichen Weg mit diesem hatte; aber er ist nicht heimgekehrt, und auch seine Gefährten hat man nicht wieder gesehen. Abu Kurban reiste nach Oneizeh, um nachzuforschen. Er erfuhr, daß die Verschwundenen mit dem Ghani fortgeritten seien. Der Weg war gegen El Kasab gegangen. Er ritt dorthin und erfuhr, daß weder sein Sohn noch der Ghani hier gewesen sei; aber es war ein junger Mann mit drei älteren Männern gekommen, welche folgendes verkauft hatten: drei Reit und vier Lastkamele, viel Pulver und auch Waffen, denen man ansah, daß sie mit Steinen verziert gewesen waren, die man aber ausgebrochen hatte. Diese Waffen besaß der Händler noch; auch zwei von den Kamelen waren noch vorhanden, und Abij Kurban überzeugte sich, daß sie seinem Sohne gehört hatten. Wer die vier Fremden gewesen seien, das wußte man nicht. Der jüngere Mann hatte zwar einen Namen nennen müssen, doch war anzunehmen, daß er sich eines falschen bedient habe. Der Händler konnte sich nur noch erinnern, daß dieser Mann eine gewöhnliche und eine stärkere, buschige Hadschib (Augenbraue) gehabt habe. Weiter konnte er nichts sagen. Es stand fest, daß die vier Beni Lam ermordet worden seien; aber wer die Mörder seien, das konnte man zwar vermuten, doch nicht eher beweisen, als bis es möglich war, sie den Personen zu zeigen, von denen sie in El Kasab gesehen worden waren.«

»O nein, nein!« rief da Halef aus. »Ihr braucht nicht so lange zu warten. Ich weiß schon jetzt, wer sie waren!«

»Nun, wer?« fragte der Scheik.

»Der Sohn des Ghani hat zwei solche Brauen. Ihr Unterschied ist so groß, daß er mir sogleich aufgefallen ist. Diese Kerle haben den Kanz el A‘da beraubt, und so ist es ihnen auch zuzutrauen, daß sie diesen Raubmord begangen haben! Sie sind allein nach El Kasab gegangen; der Ghani, hat mit dein Münedschi einstweilen gewartet, denn wenn diese beiden auch mitgegangen wären, hätten sie dadurch die Entdeckung sehr erleichtert. Diese Mekkaner sind gestern nach Mittag von uns fort. Sie können sich noch nicht weit von hier entfernt haben, und wenn du dich beeilst, so kannst du sie wahrscheinlich noch einholen!«

Da rief der Scheik einem seiner Leute einige Worte zu, worauf dieser sich entfernte, und zwar nach rechts hin, wo in der Enge unser Posten gestanden hatte. Als dieser Ben Lam fort war, sprach der Scheik:

»Ich werde euch etwas zeigen, doch müßt ihr eine kleine Weile warten. Inzwischen will ich euch eine Frage beantworten, weiche euch wahrscheinlich auf den Lippen liegt, nämlich die Frage, wie es uns möglich gewesen ist, euch zu überraschen, obgleich ihr drei Wachen ausgestellt hattet.«

»Ja«, stimmte Halef bei, »wir bitten dich, uns das zu sagen!«

»Wir haben in unserem Stamme einige vorzügliche Läufer, welche ich dann, wenn es der größten Vorsicht bedarf, als Späher verwende. Sie laufen ebenso schnell wie die Kamele und sind aber nicht so leicht und so weit zu sehen wie diese. Diese Läufer sind dem Scheik Tawil gefolgt, als er mit vierzig seiner Leute wieder nach Norden ritt, um euch einen Hinterhalt zu legen. Sie haben die nördliche Grenzhöhe des Tales erstiegen und sich dort so in den Sand eingegraben, daß sie nicht bemerkt werden, aber selbst alles beobachten konnten. Sie sind Zeugen alles dessen gewesen, was dort geschehen ist; auch haben sie das meiste von dem verstanden, was gesprochen wurde. Zuerst waren die Beni Khalid allein da; sie sprachen davon, daß sie auf den Perser und seine Soldaten warteten, um ihm den Kanz el A‘da abzunehmen. Da ich aber diesen Schatz auch haben wollte, so machte sich einer der Läufer sofort auf, um mich zu benachrichtigen. Der Weg zu mir war sehr weit, und so bekam ich diese Kunde so spät, daß es mir unmöglich war, zur rechten Zeit zu kommen. Sosehr ich mich auch beeilte. ich kam doch erst dann dort an, als ihr euch schon entfernt hattet. Aber ein zweiter Läufer war euch gefolgt, und der dritte und letzte hatte gewartet, bis ich eintraf. Er erzählte mir alles und nannte mir auch die Zeit und den Ort, wann und wo der zweite wieder zu uns stoßen wollte, um mir zu sagen, wo wir euch während der Nacht finden würden. Dorthin ritten wir natürlich und trafen dabei auf die Fährte von sechs Kamelen, welche genau in unserer Richtung lief.«

»Maschallah!« rief Halef aus. »Gewiß die Spur des Ghani!«

»Ja, sie war es.«

»Habt ihr diese Halunken eingeholt?«

»Davon später. Als es dunkel geworden war, stieß der zweite Läufer zu uns und beschrieb mir euern Lagerplatz, den also, auf welchem wir uns jetzt befinden. Ihr seid sehr vorsichtig gewesen, er aber auch. Er ist stets hinter euch her und hat sich so eingerichtet, daß er stets erst dann eine Höhe erklommen hat, wenn ihr euch im übernächsten Tale befandet. Darum wäre er unentdeckt geblieben, selbst wenn ihr euch noch so oft umgeschaut hättet. »

»Das war ungeheuer klug von ihm!« lobte Halef. »Dieser Krieger wäre wirklich wert, ein Haddedihn zu sein!«

»Ich kann ihn auch brauchen!« lachte der Scheik in gütiger Weise. »Dieser Läufer führte uns später bis in die Nähe eures Lagers hier, und ich gab meinen zwei gewandtesten Kundschaftern, nämlich denen, welche bei euch am Bir Hilu waren, den Auftrag, sich das Lager anzusehen.«

»Aber unsere Posten?« fragte Halef.

»Es handelt sich bloß um den von ihnen, bei welchem sie vorüberkamen, und der hat nichts gesehen.«

»Welcher war es? Ich werde ihn so bestrafen, daß —«

»Sei still!« unterbrach ihn der Scheik. »Grad weil du ihn bestrafen willst, werde ich dir nicht sagen, welcher es gewesen ist. Du selbst würdest auch nichts bemerkt haben!«

»Ich ?« fragte der Hadschi, sich gekränkt fühlend.

»Ja, du! – Wenn du des Abends oder Nachts kundschaften gehst, so kommt es auf die Farbe des Sandes an. Leg also möglichst viele Haiks ausgebreitet in den Sand. Denjenigen, den du am schwersten vom Sande unterscheiden kannst, weil seine Farbe am meisten mit derjenigen des Sandes stimmt, den nimmst du um, in den hüllst du dich ein. Wenn du dann recht leise, so daß man dich nicht hört, am Boden hinkriechst und dabei den Hai so weit wie möglich ausbreitest, kann man dich nur sehr schwer oder wohl auch gar nicht bemerken. Begreifst du das?«

»Gewiß begreife ich es, denn ich muß dir sagen, daß mein Verstand kein Haik ist, den man nicht entdecken kann!«

»Auf diese Weise erfuhr ich,« erklärte der Scheik weiter, »daß auf der hinter dem Tachtirwan aufsteigenden Steilung, wo die beiden Talwände zusammenstoßen, keine Wache stehe, und entschloß mich also, auf dieser Stelle herunterzukommen.«

»Aber die fällt ja zu jäh ab!«

»Wo man nicht klettern kann, da rutscht man; der Sand eignet sich dazu ganz vortrefflich, und das geht auch so schnell, daß wir unten waren, ehe das Geräusch des mit abstürzenden Sandes euch aufgeweckt hatte.«

»Erlaube mir, dir in der aufrichtigsten Höflichkeit mitzuteilen, daß es mir, wenn nicht ihres gewesen wäret, unendlich lieb sein würde, wenn ihr alle die Hälse gebrochen hättet!«

Da aber reichte ich dem Scheik die Hand hin und bat:

»Gib mir deine Hand; ich muß sie drücken! Das ist eine Kühnheit gewesen, welche mich zur Hochachtung zwingt!«

Ich mußte diesen Mann wirklich achten, daß er den Kampf in die Wüste verlegt hatte, um die Bewohner der bebauten Gegend zu schonen, und daß er den nachlässigen Posten nicht verraten hatte, das waren zwei Züge von ihm, die ihm meine Zuneigung gewannen, obwohl er nach dem Kanz el A‘da trachtete.

»Ich danke dir, Effendi!« antwortete er. »Du wirst noch weiter hören, daß ich nicht so schlimm bin, wie ich euch erscheine. Doch still! Da kommen sie. Schaut hin, denn das ist etwas für euch!«

Es nahte nämlich von der Talenge her ein kleiner Zug. Voran gingen zwei Beni Lam, hinterher auch zwei. Zwischen ihnen sahen wir zwei Kamele. Auf dem ersten saß ein einzelner Mann; das zweite aber schien zwei Personen zu tragen. Man konnte das noch nicht deutlich erkennen, weil sie noch nicht nahe genug waren. Der erste Reiter saß zusammengedrückt im Sattel. Da aber richtete er seinen Oberkörper gerade auf, breitete die Arme aus und rief:

»Seid mir gegrüßt, ihr Folgsamen der Liebe! Hier bring ich euch den Mann, den sie gerichtet hat, die höhnisch er verlachte! Ihr habt das gute Teil erwählt und er für sich die Strafe!«

Welche Überraschung für uns! Ja, er war es, der alte Münedschi, der auch jetzt wieder mit der Stimme Ben Nurs gesprochen hatte! Die Kamele knieten nieder; er wurde abgebunden und auf eine ausgebreitete Decke gesetzt. Der andere, oder die andern, denn es waren wirklich zwei, waren auch angebunden. Auch sie wurden losgemacht, und da sahen wir, daß nur einer von ihnen sich bewegte; der andere hing unbeweglich auf seinem Rücken.

»Wer sind diese zwei?« fragte Halef.

»Geh hin, und schau sie an!« antwortete der Scheik.

Der Hadschi tat es. Kaum war er dort, so rief er aus: »Der Ghani, der Ghani! Und der andere ist sein Sohn! Er trieft von Blut und ist an ihm festgebunden! Oh, Sihdi, Sihdi, ich glaube, er ist tot!«

Es war mir, als ob jemand mir mit einer in kaltes Wasser getauchten Hand über den Rücken streiche! Das war ja entsetzlich, entsetzlich! Das war im wahrsten und zugleich im überzeugendsten Sinne ein Gottesgericht. Wer da noch von Zufall sprechen kann, an den ist jedes weitere Wort Verschwendung!

Der »Liebling des Großscherifs« mußte sich auch setzen, und zwar zwischen zwei Beni Lam, weiche seine Wächter waren. Und das tat er mit der hinter ihm festgebundenen Leiche seines Sohnes! Es war so grauenhaft anzusehen, daß ich mich abwendete. Er sagte kein Wort; keinen Laut ließ er hören! Sein Gesicht konnte ich der Dunkelheit wegen von meinem Platze aus nicht sehen oder doch nicht erkennen. Halef kam wieder her und sagte in bewegtem Töne:

»Wie mich das gepackt hat, Effendi, das kann ich dir gar nicht sagen! Es ist mir, als ob ich an der Waage der Gerechtigkeit stände und selbst gewogen werden sollte! Nichts Böses tun, nur nichts Böses tun! Ich wollte, tausend Menschen, Millionen Menschen, alle Menschen, die ganze Menschheit ständen hier, um diesen niederschmetternden Beweis zu sehen, daß Allah sich nicht spotten läßt! Horch! Was war das? Hast du es gehört?«

»Ja.«

Es war vom Tachtirwan her ein Schluchzen geklungen, dem man anhörte, daß es zurückgehalten werden sollte, aber doch nicht unterdrückt werden konnte.

»Das ist Hanneh, die weichherzigste aller gütigen Frauen! Sie fühlt sich auch ergriffen, tief ergriffen. Oh, Effendi, und früher habe ich mich oft mit ihr gestritten, weil ich als Moslem behauptete, daß die Frauen keine Seelen haben! Und jetzt geht mir nicht nur die meinige, sondern noch viel, viel mehr die ihrige über alle irdischen Vorzüge und alle Reichtümer dieser Welt! Wenn ich mir den Mann dort vorstelle, wie er geifernd vor uns stand, um unsere Liebe zu schmähen und zu verlachen, wie er lästernd sie herausforderte, ihn zu strafen, und ihn nun zusammengebrochen unter der fürchterlichen Last der Leiche seines Sohnes dort hocken sehe, so habe ich das Gefühl, als ob mir alle meine Nerven einzeln aus dem Leibe gezogen werden sollen! Ich möchte es hinausschreien über die Wüste, die Städte und Dörfer, über die Flüsse und Ströme, über alle Länder und alle Meere, daß es außer dem Glauben für die Seele keine andere Luft zum Atmen gibt, und daß die Liebe das einzige Licht, die einzige Wärme im Himmel und auf Erden ist!«

Scheik Abd el Idrak saß noch neben uns. Er hörte Halefs Worte, machte eine Bewegung der Hände, um unsere Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen, und sagte dann:

»Es hat auch für mich stille und einsame Stunden gegeben, in denen ich hinabgetaucht bin in die Fluten meines Innern, um zu sehen, was ich da unten finden werde, ob Perlen oder häßliches Getier. Meist war es das letztere. Und es hat wieder Stunden gegeben, in denen ich hinausgeschaut habe auf die Fluten des Lebens, auf die Segel, weiche den heimatlichen Hafen verlassen, uni nach der fremden Stätte getrieben zu werden. Ich sah die Güter, die sie trugen, vor Allah wertlose Lasten, und wunderte mich nicht, daß sie im Sturme dann sanken oder an Riffen zerschellten. Ich bin ein Bewohner der Wüste, und diese scheinbar so öde Wüste ist voller Gedanken. Ich erhielt meinen Teil davon, doch machten sie mich nicht glücklich. Es wohnte ein Verlangen in mir, eine oft laut aufschreiende Sehnsucht, die keine Erhörung fand, so weit die einsame Wüste, so weit das bewohnte Land und so weit mein Leben reicht. Ich wußte nicht i was das war; es machte mich elend und krank. Da, da hörte ich es heut, heut zum erstenmale, das große, das herrliche Wort von der Liebe! Nicht von der Liebe, wie ich sie bisher gekannt habe, sondern von einer höheren, reineren, edleren Liebe, von der Liebe, die Himmel und Erde verbindet und die Menschen zu Brüdern, zu Kindern Gottes macht. Das ist es, wonach ich suchte, ohne es zu kennen; das ist es, wonach sich meine Seele sehnt; das ist es, dem sich mein leeres Innere schon längst öffnen wollte, um von ihm ganz, ja ganz erfüllt zu werden! Ich will es haben; ich muß es haben, darum bin ich hierhergekommen, denn ihr habt es; ihr habt diese Liebe; ihr übt diese Liebe, und nur von euch, von euch kann ich sie bekommen. Darum, nur darum habe ich euch überrumpelt und überfallen! Nichtden Kanz el A‘da will ich nun. Erst, ja erst wollte ich ihn, und ich hätte ihn mir geholt, und wenn ich alle Beni Khalid und alle Haddedihn hätte erschießen müssen. Nun ich aber von eurer Liebe gehört habe, verzichte ich auf diesen armseligen Schatz der Glieder‘ und will nur sie, nur sie! Sagt, kann ich sie bekommen? Wollt ihr sie mir geben?«

Er war aufgesprungen und hatte nach und nach immer lauter und lauter gesprochen, als ob er seine Sehnsucht über alte Höhen und über alle Berge und Täler, über die ganze Wüste hinausschreien wolle. Das war jener Schrei, von welchem die heilige Schrift sagt: »Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so verlangt meine Seele, o Gott, nach dir!« Diese Sehnsucht geht durch die ganze Schöpfung, durch die ganze Erdenwelt, durch die ganze Menschheit. Grad in der heutigen Zeit ist es lautes Schreien nach Liebe; aber die, denen es gilt, die wollen es nicht hören! Nicht nur aus menschlichem Munde, sondern auch von den Lippen des unter dem unbarmherzigen Messer gemarterten Tieres ertönt dieser Jammerschrei. Nicht nur der Mensch, sondern auch die fälschlicherweise »leblos« genannte Kreatur wartet auf die Erlösung. Gebt sie ihr; o gebt sie ihr! Gebt ihr Liebe, Liebe, Liebe! Lacht um Gottes willen nicht, wie der Ghani, über diese Liebe, denn was ihm gesagt wurde, das sage ich auch hier: Die Liebe lächelt nicht immer! Sie bittet, und was man ihr versagt, was man ihr von ihren Rechten vorenthält, das holt und nimmt sie sich mit unwiderstehlicher Gewalt, nachdem sich ihre linde, milde Hand in die strafende Faust des Zorns verwandelt hat! Gebt also Liebe aus Liebe, und wartet nicht, bis ihr aus Zwang geben müßt, was mit eiserner Strenge von euch gefordert wird!

Die Worte des Scheikes Abd el Idrak hatten uns so ergriffen, daß keiner ,von uns sogleich die doch so leichte Antwort gab. Da wiederholte er mit derselben lauten Stimme seine Frage:

»Sagt, kann ich sie bekommen? Wollt ihr sie mir geben?«

»Ja, von Herzen gern!« antwortete ich nun.

Da drehte er sich um und warf seinen Leuten den Befehl zu:

»Macht sie frei! Bindet sie alle los, sofort, augenblicklich!«

Es war gewiß nicht vorher besprochen worden, aber ganz so schnell und einmütig, als ob es so verabredet worden sei, beeilten sich die Beni Lam, dieser Weisung nachzukommen. Im Handumwenden, wie man zu sagen pflegt, waren alle unsere Haddedihn ihrer Fesseln wieder los. Dann rief der Scheik:

»Diese tapferen und ehrlichen Krieger der Haddedihn sind von diesem Augenblicke an die Brüder und Gäste unseres ganzen Stammes! Ihre Freunde gelten als unsere Freunde, und ihre Feinde werden als die unsrigen behandelt. Ich habe es gesagt, Abd el Idrak, der Scheik der Beni Lam!«

Er reichte uns seine Hand, die wir ihm recht herzlich, aber auch ganz und gar herzlich schüttelten! Wer solche Szenen nicht erlebt hat, der ahnt gar nicht, welche Reichtümer ein Menschenherz in sich trägt! Und seine Leute taten mit. Das war ein Drücken und Schütteln der Hände, welches kein Ende nehmen zu wollen schien. Als sich die frühere Ruhe einigermaßen, wenn auch nicht ganz, wieder eingestellt hatte, ergriff unser Gastfreund, der Scheik, von neuem das Wort:

»Ihr werdet die Ursachen meines Verhaltens jetzt nur halb verstehen; ich will es euch nun aber ganz erklären! Ihr wißt, daß wir die Spur des Ghani fanden und ihr folgten. Dort sitzt er und hört alles, was ich sage; das mag eine Verschärfung seiner Strafe sein, und Allah gebe, daß die Härte seines Herzens unter ihr nun endlich einmal zu schmelzen beginne! Nach längerer Zeit führte diese Fährte zwar von unserer Richtung ab, aber so wenig, daß wir auf ,ihr blieben. Schaut hinüber zu dem Liebling‘ des Großscherifs! Der alte Mann, der eng an seiner Seite sitzt, ist Abu Kurban, der Vater des Ermordeten, und der fast ebenso alte Krieger an der andern Seite ist der Oheim der drei Brüder, welche mit ermordet wurden. Es ist dunkel; darum könnt ihr nicht sehen, wie tief der Gram um den Verlust des einzigen Kindes sich in das Gesicht Abu Kurbans eingefressen hat, und wie sehr ihn der Gedanke quälte, daß diese Missetat von ihm im Buche der Rache noch zu durchstreichen sei. Als beide hörten, wen wir vor uns hatten, taten sie den Schwur, sich Blut für Blut zu nehmen, falls es ihnen gelingen sollte, sich von der Schuld zu überzeugen. Sie haben diesen Schwur gehalten, denn sie mußten es. Der Ghani hatte sich mit seinen Begleitern zwischen zwei niedrigen Ausläufern der Dünenwüste gelagert. Sie erschraken, als sie uns erblickten, denn wir waren über sie gekommen, ehe sie die Anwesenheit einer solchen großen Schar nur ahnen konnten. Wir umringten sie. Wir sahen den Sohn des Ghani; er besaß die Verschiedenheit der Brauen, und so stand es fest, daß er und die drei andern es gewesen sind. Ich zögerte nicht, ihnen das Verbrechen sofort in die Gesichter zu werfen. Sie erbleichten vor Angst, leugneten aber. Da sahen wir einen Ring am Finger des Sohnes. Abu Kurban betrachtete ihn und tat einen Eid. daß er Ibn Kurbans Eigentum gewesen sei. Wir durchsuchten die Mörder und fanden die andern Ringe und Steine. Da glaubte einer der drei, er könne sich durch den Verrat der andern retten. Er erzählte, wie die Tat sich zugetragen hatte. Die vier Mörder hatten zunächst ohne das Wissen des Ghani gehandelt, ihm aber nach dem Morde gleich alles mitgeteilt. Auf seinen Rat waren sie dann nach EI Kasab geritten, in dessen Nähe der Alte mit dem Münedschi auf sie wartete. Was hatten die Mörder verdient? Sag es mir, Scheik Hadschi Halef!«

»Den Tod«, antwortete Halef.

»Hättest du sie begnadigt?«

»Nein.«

»Trotz der Liebe, deren Kinder und Söhne ihr seid?«

»Nicht nur trotz, sondern sogar infolge dieser Liebe. Du darfst ja nicht glauben, daß sie eine Beschützerin der Sünde sei. Kann sie nicht durch Güte wirken, so greift sie zur Rettung durch die Strenge. Sie ist nachsichtig und barmherzig, solange sie glauben darf, daß dies zum Ziele führt; zwingst du sie aber zum Gegenteile, so wird sie zur Mutter, weiche ihr Kind straft, nicht obgleich, sondern weil sie es liebt!«

Das hatte der Hadschi vortrefflich gesagt; aber weil er weggelassen hatte, was hier für diesen Fall die Hauptsache war, fügte ich hinzu.

»Und hat sie ein Kind, welches auch der Strenge nicht gehorcht, so trennt sie es von den andern, damit diese nicht auch verderben. Das ist die Strafe des Todes, die hart erscheint, aber als Folge einer gebieterischen Ursache entspringt.«

»Also auch du hättest für den Tod dieser Mörder gestimmt«, fragte mich der Scheik.

»Ja.«

»Aber ihr habt doch heute Mörder begnadigt!«

»Sie standen uns nicht so nahe, daß die Rache unsere Pflicht gewesen wäre. Und, was wichtiger ist, es wurde uns der Befehl, Liebe walten zu lassen.«

»Ja, ich weiß es, denn meine Späher haben es gehört und mir dann erzählt. Ben Nur sprach zu euch. Er hat dann auch zu mir, zu uns gesprochen.«

»Vor dem Urteile?«

»Nein, sondern nach der Vollstreckung desselben. Bis dahin war der Münedschi still, ganz so in sich versunken, wie er jetzt dort sitzt, als ob er schlafe. Desto mehr aber sprach der Ghani. Er schwor alle Himmel auf die Erde herab; er wollte Allah zwingen, die Lüge zu beglaubigen; er zog alles, was heilig ist, herbei auf seinen falschen Eid, und als er sah, daß diese Lästerungen keinen Erfolg hatten, wurde er zum Rasenden. Dieser verlorene Mensch hat nur sich selbst und seinen Sohn geliebt, aber nie ein anderes Wesen. Wir hörten das aus seinen verzweiflungsvollen Reden. Er hielt ihn fest; er umklammerte ihn, und als wir beide auseinanderrissen, heulte er auf wie ein Tier, verfluchte sich, verfluchte die Menschheit, verfluchte die Himmel und schwor, wenn sein Sohn schuldig sei, so wolle er die Schuld desselben auf sich nehmen und tragen in alle Ewigkeit. Das war so schrecklich, daß ein heiliger Grimm über mich, über uns alle kam. In diesem Zorne verurteilte ich ihn, den Sohn diese Nacht tragen zu müssen, um nur eine Ahnung davon zu bekommen, was es heiße, ihn und seine Schuld durch die endlose Nacht der Ewigkeit zu schleppen. Die Mörder sind erschossen worden, kurz, schnell, ohne sie zu quälen. Drei von ihnen haben wir begraben; den vierten seht ihr dort, wie ich euch sagte. Der Alte hat alle seine Sünden nur für den Sohn begangen; nun liegen sie, und nun liegt auch der Sohn auf ihm. So will es die Gerechtigkeit. Vielleicht hätte ich ihm das nicht angetan, denn Grausamkeit wohnt nicht in meinem Herzen; aber meine Kundschafter, welche heimlich Zeugen seiner letzten Tat waren, haben ihn auf die Asaker schießen sehen und dann gehört, wie er gegen euch und gegen eure Liebe wütete. Das hat mich gegen ihn unerbittlich gemacht. Es war heut überhaupt ein Tag der Abrechnung, ein Tag, an weichem wir Gericht gehalten haben. Ihr sollt jetzt noch nichts wissen, doch wenn es Tag geworden ist, so werdet ihr es sehen.«

»Bist du etwa mit den Beni Khalid zusammengestoßen?« fragte Halef.

»Ja«, antwortete der Scheik.

»Ihr habt mit ihnen gekämpft?«

»Nur kurze Zeit. In wenigen Minuten war es aus!« klang es in verächtlichem Tone.

»Allah ‚w Allah! Ihr habt gesiegt?«

»Mein Freund, säßen wir hier, wenn wir nicht Sieger wären. Es währt nicht lange mehr, so wird es Tag. Dann werdet ihr die Spuren des Kampfes an uns sehen. Den Platz des Sieges zeige ich euch.«

»Wo liegt er?«

»Da, wo ihr gelegen habt, am Bir Hilu. Diese Beni Khalid haben seit dem Tage, an welchem Tawil Ben Schahid ihr Gebieter wurde, niemals Ruhe gehalten. Der Stamm der Beni Lam litt unter ihren Raubzügen so, daß ihm die Armut drohte. Da faßte ich endlich den Entschluß, daß es mit einem Male, mit einem großen Schlage zwischen uns und ihnen zur Entscheidung kommen solle. Ich bereitete mich vor und wartete nur auf den nächsten Angriff ihrerseits: Da wurde mir vor kurzer Zeit die Kunde, daß sie sich wieder zu einem Oberfalle rüsteten; sie wollten ihren Weg über den Bir Hilu nehmen, um, wenn wir ja etwas erfahren sollten, uns glauben zu machen, daß dieser Zug nicht uns gelte. Es wurde mir auch die Anzahl ihrer Krieger gesagt. Um es kurz mit ihnen machen zu können, zog ich ihnen mit einer bedeutend größern Schar entgegen, die ich des Wassers wegen teilen mußte. Drei Brunnen waren es, westlich vom Bir Hilu die wir besetzten. Ich schickte dem Feinde meine Läufer entgegen, die nicht leicht zu entdecken sind. Als diese mir das Nahen der Beni Khalid melten, zog ich die drei Scharen zusammen. Dann lagen die Läufer in der Nähe des Brunnens, tief im Sande eingewühlt und beobachteten euch alle. Nach dem Zweikampfe schickte ich zwei Kundschafter zu euch, nicht etwa, um zu erfahren, ob ihr euch noch am Brunnen befändet, sondern ich wollte wissen, wie ich euch zu behandeln hätte. Euer Kanz el A‘da sollte unser werden; ich fragte mich, ob ich euch dabei schonen solle oder nicht. Da hörte ich, daß ihr eure Feinde nicht verraten hättet. Ich traute meinen Ohren nicht, denn ein solcher Edelmut war mir noch nicht vorgekommen. Als ihr dann nach Süden rittet, wurdet ihr von den Beni Khalid erwartet. Ich wollte dies benutzen, um sie und euch zugleich zu fassen. Sie sollten geschlagen, ihr aber mit Zurücklassung des Schatzes wieder freigelassen werden. Ich wußte nicht, daß die Soldaten mit ihm nach Norden reiten sollten. Da kehrte Scheik Tawil mit einer kleinen Schar zurück. Ich schickte ihm meine Läufer nach, und so entging es mir, daß sich der Perser von euch trennte. Dann rittet ihr auch nach Süden, kehrtet aber ebenso wieder um; die Beni Khalid folgten euch. Was nun geschah, wißt ihr zum kleinen Teile; das andere sollt ihr erst dann erfahren, nachdem ihr es gesehen habt. Der Osten scheint sich schon lichten zu wollen. Sobald es hell wird, brechen wir auf von hier.«

»Wohin?« fragte Halef.

»Zum Bir Hilu.«

»Nehmt ihr den Ghani mit?«

»Ja.«

»Und was geschieht dann mit ihm?«

»Wir jagen ihn fort.«

»Allah! Ihr werdet ihn nicht auch erschießen?«

»Nein. Er ist an dem Morde, den wir zu rächen hatten, nicht beteiligt, sondern nur später der Verhehler gewesen, hat also nicht das Blut eines Ben Lam vergossen; wir dürfen ihm also auch nicht das seinige nehmen. Was er gegen euch und die Asaker getan hat, das ist nicht unsere, sondern eure Sache. Auch ist ein einsames Alter ohne seinen Sohn für ihn eine größere Strafe, als es ein rascher Tod sein würde.«

»Das ist wahr. Er hat die Liebe von sich gestoßen; sie ist von ihm gegangen; nun muß er ohne Liebe dem Grabe entgegenwanken. Er hat es grad so und nicht anders gewollt.«

»Um so fester werden wir sie, und besonders werde ich sie halten«, sagte Abd el Idrak sehr ernst. Schon aus den Beobachtungen, welche ich am Bir Hilu an euch machen ließ, ergab sich ein Verhalten, welches mich zunächst befremdete. Ihr wenigen Leute fürchtet euch nicht vor einer großen Übermacht von Feinden, die ihr sogar noch schontet! Dann hattet ihr für die Mörder der Soldaten Gnade anstatt Rache. Eure Reden wurden mir berichtet, auch wie ihr die Toten bestattet und über ihrem Grabe geschossen habt. Das tut kein Ibn Arab (Araber) und ist so tief ergreifend! Dazu kommt etwas, was ich euch doch sagen will, obgleich ich mir vorgenommen hatte, darüber zu schweigen. Als einer meiner Läufer beim Brunnen tief im Sande steckte, um euch zu beobachten, entfernten sich von dort vier Männer, die nahe an ihm vorübergingen. Er schlich ihnen nach. Sie stiegen auf einen Felsen. Der Münedschi ist bei ihnen gewesen. Er sprach lange Zeit mit lauter Stimme. Mein Späher hat zugehört und mir alles berichtet, auch das, was ihm zu schwer gewesen ist, es zu begreifen. Sein Bericht ist unvollständig›und wohl auch in vielem falsch gewesen; aber ich habe doch so manches davon tief in mein Herz geschlossen, wo es mir die Ahnung dessen brachte, was ich im Leben besitzen muß, um den Tod in Leben zu verwandeln. Wißt ihr, wer die andern drei gewesen sind?«

»Der Effendi, Khutub Agha und ich«, antwortete Halef.

»Könnte ich diese Reden von euch ausführlicher erfahren?«

»Ja. Wir sind sehr gern bereit dazu.«

»Ich danke dir schon jetzt!«

Er gab dem Hadschi die Hand und sprach dann weiter:

»Ich habe euch schon gesagt, daß der Münedschi still war, bis das Urteil an den vier Mördern vollzogen worden war. Gleich nach dem letzten Schusse aber stand er auf und sprach mit geschlossenen Augen längere Zeit so ernste und tiefsinnige Worte von dem Leben und dem Tode, von der Liebe und der Gerechtigkeit, daß wir alle so andächtig lauschten, wie ich in meinem ganzen Leben noch keinen Chatib (Muhammedanischer Prediger) zugehört habe. Es war, als ob der Engel, der durch ihn sprach, die Absicht hätte, alles aus meinem Herzen zu treiben, was sich gegen euch noch darinnen befand. Ich beschloß, auf den Kanz el A‘da zu verzichten, auch auf eure Pferde und auf das Hedschihn, auf welche ich es noch mehr als auf den Schatz der Glieder‘ abgesehen hatte. Ich kann das, was in mir vorging, nicht beschreiben; ich weiß, daß dies kein Mensch zuwege gebracht hätte, und bin überzeugt, daß es der Einfluß dieses unsichtbaren Ben Nur gewesen ist. Es wuchs und wuchs, es wallte und wallte ein Gefühl, doch nein, kein Gefühl bloß, sondern eine Überzeugung in mir auf, daß ich euch bitten müsse, mich mit meinen Armen an euch festhalten zu dürfen, daß über mich und mein Leben von euch eine Kraft ausgehen würde, die mir segensreicher sei als der Schatz und die Tiere, welche ich euch hatte nehmen wollen. Und ganz sonderbarerweise gab es eine Stimme in mir, welche mir riet, euch zu zeigen, daß wir Krieger sind, weiche eure Achtung verdienen. Darum nahm ich mir vor, euch zum Scheine zu überfallen, und zwar so, daß ich euch überwältigte, ohne daß einem von euch ein Leid geschehen durfte. Das war freilich nur dadurch möglich, daß wir den gefährlichen Abstieg dort von der Sandwand herunter wagten. Es ist niemand von uns dabei verunglückt, und ihr werdet zugeben, daß auch das übrige gelungen ist. Den Ghani und den Münedschi ließen wir mit ihren Wächtern natürlich einstweilen in der Nähe zurück, und dort stehen auch unsere Kamele, auf denen wir hergeritten sind. Nun wird es hell. Wir werden aufbrechen können. Ihr reitet doch mit?«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
590 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu