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Kitabı oku: «Am Jenseits», sayfa 29

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Darum konnte mich der Anblick dieses so ganz und gar aus dein Gleichgewicht gebrachten Mannes nur mit Mitleid erfüllen, mir aber ja nicht imponieren. Die Haddedihu drängten sich drohend zu ihm hin. Der Perser blieb ruhigstehen; aber er schaute außerordentlich finster drein. Halef war dunkler im Gesicht geworden; ich sah, daß er Mühe hatte, sich zu beherrschen. Darum übernahm ich die Antwort, indem ich mich dem Wütenden näherte und zu ihm sagte:

»Du willst wirklich, daß wir dich erschießen?«

»Ja, ich will; ich will!« donnerte er mir zu.

»Mach uns doch nichts weiß! Wir kennen dich da besser! Du bist ein so mutloser, feiger Kerl, wie ich fast noch niemals einen gefunden habe. Es ist dir ja nicht einmal in den Sinn gekommen, dich an dem Zweikampfe um den Kanz al A‘da zu beteiligen, obwohl du ihn für dich haben wolltest und also eigentlich der erste unter den Kämpfern hättest sein sollen! Das hast du nicht getan; ja, du hast es nicht einmal gewußt, daß du es tun solltest, und wer so wenig weiß, was ein mutiger Mann zu tun hat, der darf uns getrost schwach und furchtsam nennen, denn er versteht ja nichts davon! Was du jetzt zeigst, ist nicht Mut, sondern das Gefäß, in dem du Rache gegen den Scheik kochst, ist umgestürzt, und nun zischt und brodelt und dampft und stinkt sie auf und macht einen Lärm, der gar nichts weiter ist als eben bloß nur Lärm! Was du von unserer Liebe denkst, das kann uns ebenso gleichgültig sein, wie überhaupt alles, was du denkst. An dieser Liebe kannst du so wenig rühren, daß sie selbst zu deinem jetzigen Angriffe, so viel Getöse er auch verursacht hat, nur lächelt. Er war noch törichter als ein Knabenstreich; der unerfahrenste Junge hätte ihn unterlassen. Wir erlauben dir, zu gehen, und geben dir unser Mitleid mit. Entferne dich!«

Das Feuer seiner Wut war schon fast niedergebrannt; seine Haltung hatte schon nicht mehr das Herausfordernde wie vorhin. Jedoch bei meinem Worte Mitleid brauste er rasch wieder auf:

»Euer Mitleid brauche ich nicht; behaltet es für euch! Ihr wollt euch also alles, was ich gesagt habe, ruhig gefallen lassen?«

»Ja.«

»Und schämt euch nicht vor euch selbst?«

»Nein, nicht einmal vor dir!«

»So wiederhole ich: Behaltet ja euer Mitleid für euch selbst! Und da ihr davon so sehr viel braucht, so lasse ich euch noch dazu das meinige zurück. Eure »Liebe« macht mir so unendlichen Spaß, daß ich, sooft ich an sie denke, die Tränen des Gelächters über sie vergießen werde!«

»Lach‘ immerhin! Doch will ich dir auch etwas Ernstes mitgeben: Sei ja darauf bedacht, daß aus diesen Lachtränen nicht etwa Tränen der Reue und des Schmerzes werden! Die Liebe, welche dir jetzt so spaßhaft vorkommt, lächelt nicht immerwährend. Sie wohnt in jedem Menschen, auch in dir.

Halte sie ja fest, und lache nicht zu lange über sie, sonst könnte sie sich von dir wenden, und dann, das sage ich dir, ist es mit dem Gelächter aus!«

Er hielt mir seine Hand entgegen, mit der innern Fläche nach oben, als ob etwas darauf liege, und drehte sie schnell um, als ob er es fallen lasse, wie man zu tun pflegt, wenn es etwas abstoßend Häßliches ist. Diese Gebärde bedeutet in der Zeichensprache der Beduinen noch mehr als Nichtbeachtung oder Gleichgültigkeit. Man will damit sagen, daß einem das, was man gehört hat, im höchsten Grade widerwärtig ist. Dazu rief er lachend aus:

»Ich mag nichts von ihr wissen; sie mag sich von mir wenden; ich hasse sie! Desto fester hatte ich dir Rache! Da mir die Beni Khalid nicht mehr helfen werden, so bin ich jetzt zu schwach gegen euch; aber wehe euch »wenn ihr nach Mekka kommt! Kehrt lieber jetzt noch um! Denn sobald ihr mit dem Fuße das Gebiet der heiligen Stadt betretet, habt ihr den ersten Schritt in euer Verderben getan. Ich schwöre es bei Allah und dem Propheten!«

Er erhob die Hand zum Schwure, drehte sich um und ging. Niemand hinderte ihn daran, obgleich es wohl den meisten Haddedihn in den Händen zuckte, ihm eine derbe Erinnerung mitzugeben.

Wir sahen, daß der Münedschi im Sattel festgebunden wurde, eine Vorsichtsmaßregel, welche bei seinem eigenartigen Zustande sehr geboten war. Er schien das gar nicht zu bemerken, doch als sein Kamel sich in Bewegung setzte, wendete er uns sein Gesicht zu, in welchem die Augen geschlossen waren, und rief:

»Lebt wohl für kurze Zeit! El Aschdar hungerte vergeblich nach euch. Nun wird er seine eigenen Kinder verzehren! Das Lächeln der Liebe ist verschwunden; nun wird sie streng und – – – »

Mehr hörten wir nicht, denn der Ghani versetzte dem Blinden mit dem Metrek einen Hieb, daß er schwieg. Es war auch dieses Mal wieder nicht seine Stimme, sondern diejenige Ben Nurs gewesen.

Ich hatte vorhin gesagt, daß unsere Gewehre auf die Abziehenden gerichtet sein würden, denn es war ja doch möglich, daß einer von ihnen auf den Gedanken kommen könne, uns aus der Entfernung einen Schuß zuzusenden. Sie waren aber doch so klug, keinen Versuch dazu, ja nicht einmal eine drohende Bewegung zu machen. Wohin sie ritten, das war uns zunächst gleichgültig, doch wenn die Worte Ben Nurs eintrafen, so wie sie bisher eingetroffen waren, so war uns ein Wiedersehen mit ihnen gewiß, und zwar voraussichtlich ein sehr baldiges.

Nun wendete Halef sich dem Scheik Tawil Ben Schahid zu. Sein Gesicht wurde wieder freundlich, und seine Stimme klang wie diejenige eines besorgten, aufmerksamen Freundes, als er zu ihm sagte:

»Du hast vielleicht geglaubt, daß ich dich ganz vergessen habe. Entschuldige mich! Ich fühlte mich verpflichtet, zunächst meinen lieben, alten Ghani mit der Wonne meiner Freundschaft zu beleuchten. Du hast wohl gehört, was ich zu ihm sagte? Bitte, sprich dich doch aus!«

Der Scheik gab sich Mühe, weder Hoffnung noch Befürchtung in seinem Gesichte sehen zu lassen. Er antwortete möglichst gleichgültig:

»Ich habe alles gehört.«

»Auch daß wir dich erschießen sollen?«

»Ja.«

»Was sich dieser Liebling des Großscherifs‘ nicht alles einbildet. Wir sollten für ihn die Henker sein! Was sagst du denn dazu?«

»Daß es ganz recht war, daß ihr euch nicht dazu hergegeben habt.«

»Ja, richtig! Es ist zwar wahr, daß du erschossen wirst, doch davon braucht der Ghani nichts zu wissen. Wir tun das bloß für uns!«

»Erschossen? – Ich?«

»Ja, du. Wer anders?«

»Ich dachte – – – —dachte – – – dachte —«

»Du dachtest – – —? Ich bitte dich, gewöhne dir das unnötige Denken ab! Es fällt schon schwer genug, wenn es nötig ist. Warum soll man sich da auch noch in überflüssiger Weise damit beschäftigen!«

»Aber ich meinte – – – !«

»Sei still! Das unnütze Meinen ist ebenso zeitraubend wie das vergebliche Denken; es kommt nichts dabei heraus! Da habe ich doch recht?«

»Aber du willst doch mit mir sprechen?!«

»Allerdings!«

»So muß ich auch antworten?!«

»Das wünsche ich sogar!«

»Du lässest mich aber doch nicht dazukommen!«

»Nicht? Tröste dich! Weißt du, wenn es auch nicht gleich auf der Stelle sein muß, im Verlaufe des heutigen Tages oder spätestens morgen kommst du schon noch dazu!«

»So lange soll ich gefesselt sein?«

»Oh, noch viel, viel länger!«

»Warum?«

»Weil du uns sonst fortlaufen würdest. Das siehst du doch wohl ein!«

»So sag doch, was ihr eigentlich mit mir vorhabt!«

»Wir nehmen dich mit nach Mekka.«

»Allah! Warum?«

»Um dich dort dem Pascha auszuliefern.«

Der Scheik erschrak, schwieg eine Weile und sagte dann:

»Das wäre teuflisch von euch!«

»Warum?«

»Ich würde elend aufgehängt werden!«

»Ja, das würdest du, und das freut mich um deinetwillen, denn es ist ja viel ehrenvoller, so hoch da oben, als bloß ganz unten am Erdboden zu sterben. Als Scheik kannst du dir das bieten, und wir werden dir dabei behilflich sein, soviel wir nur können!«

»Und sodann würde er einen Rachezug gegen meinen Stamm unternehmen!«

»Ja, das würde er! Denke nur, wie gut das für die Beni Khalid ist! Wie sie da zeigen und beweisen können, daß sie tapfer sind! Denn, unter uns gesagt, bisher hat man davon noch fast gar nichts gesehen.«

»Hadschi Halef, du treibst dein Spiel mit mir!«

»Wie der Löwe mit der Maus, meinst du?«

»Ja.«

»So wissen wir ja gleich, wer du bist und wer ich bin! Aber da der Löwe großmütig sein soll, will ich es auch sein, indem ich dir verrate, daß wir dich mit nach Mekka nehmen wollen.«

»Ja, so sprich doch endlich! Was wollt ihr mit mir tun?«

»Dich erschießen.«

»Wann?«

»Sofort.«

»Das ist ein Mord!«

»O nein! Es ist nur eine gerechte Strafe. Das Morden überlassen wir euch.«

»Ich bin nicht schuldiger, als die Mekkaner es waren, und die habt ihr entkommen lassen. Meßt ihr mit zweierlei Maß?«

»Nein; aber wenn wir gemessen haben, tun wir dann, was wir wollen. Sag mir doch einmal aufrichtig: Hast du den Tod verdient?«

»Nach den Gesetzen der Wüste, ja.«

»Schau, das ist schön von dir! Das gefällt mir außerordentlich!«

»Aber denke auch an meine Beni Khalid, welche jetzt wieder am Bir Hilu liegen!«

»Du hast ja gehört, daß man nicht überflüssig denken soll!

»Das ist nicht überflüssig. Wenn ihr mich erschießt, so rächen sie mich!«

»Damit hast du uns schon öfters gedroht, ohne daß es ein einziges Mal eingetroffen ist. Woher weißt du übrigens, daß sie dort sind? Sie sind doch, diejenigen abgerechnet, mit denen du hierher geritten bist, vier Stunden hinter dem Braunen an der Hohe zurückgeblieben.«

»Um euch dort zu erwarten. Da ihr, wie ich jetzt höre, dort gewesen und wieder umgekehrt seid, so sind sie euch gefolgt. Ich meinte aber nicht einmal diese große Abteilung, sondern die kleine, welche ich von hier weg nach dem Brunnen geschickt habe.«

»Ja, du wolltest den Kanz el A‘da nicht mit so vielen teilen!«

»Und da nun also mein Haupttrupp wieder zurückgekehrt ist, hat er den kleineren am Brunnen getroffen. Es sind also alle beisammen. Ich mache dich auf diese Gefahr für euch aufmerksam!«

»Das ist sehr freundlich von dir! Ich danke dir, mein Freund«

»Spotte nicht!«

»Wenn du meinst, daß ich spotte, so mußt du annehmen, daß wir uns nicht fürchten. Was sagst du zu dem Einfalle, den ich jetzt habe: Wir erschießen dich und reiten dann gar nicht nach dem Brunnen, wo deine Leute sind! Es ist ja gar nicht notwendig, daß wir sie wieder mit unserer Gegenwart belästigen!

Da konnte der Scheik seinen bisher niedergehaltenen Zorn doch nicht mehr bemeistern. Er schrie Halef zornig an:

»Ihr seid Schurken!«

»Oh! Warum?«

»Weil ihr die Mekkaner, diese Hunde, freigegeben habt, mich aber erschießen wollt! Ihr habt wahrscheinlich schon vergessen, was der alte Münedschi von der Gnade sagte!«

»Hm! Gnade! Ja, denkst du denn, da wärest auch du gemeint!«

»Natürlich!«

»Das ist freilich etwas anderes, etwas ganz, ganz anderes! Du bittest also auch um Gnade?«

»Bitten? Nein! Ich verlange sie!«

Da zeigte Halef schnell wieder sein ernstes Gesicht und warnte.

»Scheik Tawil Ben Schahid, der Ton, in welchem du sprichst, gefällt mir nicht! Höre, was ich dir jetzt sage! Und das gilt!«

Er winkte einen Haddedihn herbei und befahl ihm.

»Du zielst jetzt auf das Herz dieses Mörders, welcher glaubt, die Gnade müsse ihm gehorchen. Sobald ich die Hand hebe, gibst du ihm eine Kugel in den Kopf, genau in die Stirn. Paß auf!«

Der Krieger hielt den Lauf auf den Scheik, zielte und legte den Finger an den Drücker. Hierauf richtete der Hadschi sein Wort wieder an Tawil:

»Du siehst die Folgen deines Verhaltens. Ich gebe dir zwei Minuten Zeit. Hast du bis dahin noch nicht gesprochen, so hebe ich die Hand.«

Es trat eine tiefe Stille der Erwartung ein. Die Hälfte der Frist verlief; dann aber wirkte die Drohung.

»Nehmt die Flinte weg!« bat der Scheik.

»Du willst Gnade?« fragte Halef.

»Ja.«

»Du willst?«

»Ja.«

»Das Wollen ist noch kein Bitten!«

»Allah zerschmettere euch mitsamt dieser Flinte! So sei es denn: Ich bitte um Gnade!«

Da senkte der Haddedihn das Gewehr, und der Hadschi lachte:

»So war es recht, o Scheik der Beni Khalid! Aber ich will dir trotzdem mitteilen, daß ich das Zeichen auf keinen Fall gegeben hätte. Es war ja beschlossene Sache, auch dich laufen zu lassen. Ich wollte nur hören, wie es klingt, wenn ein Scheik um Gnade bittet.«

Tawil antwortete hierauf kein Wort und schenkte von jetzt an keinem einzigen von uns einen Blick. Als er losgebunden worden war, stand er auf, ging nach der Stelle, wo sein Gewehr lag, hob es auf, schritt zu seinem Kamele hin, setzte sich in den Sattel, gab ihm das Zeichen, sich zu erheben, und ritt fort. Wir sahen ihm ebenso still nach. Fast war er so weit gekommen, daß er um den Fuß der Düne biegen und dann verschwinden mußte, da lenkte er um, kam im schnellen Laufe wieder hergeritten, hielt vor uns an, maß uns mit stolzen, grausam kalt blickenden Augen und sage, indem er seine Hand zum Schwure hoch erhob:

»Auch ich habe über eure Liebe gelacht und lache jetzt noch über sie. Zwischen mir und euch gibt es nichts als nur die Rache! Ich schwöre bei Allah, beim Propheten, bei den Khalifen und bei der heiligen Kaaba Die Wüste, welche hier uni uns liegt, richtet zwischen mir und euch. Entweder verlaßt ihr oder verlasse ich sie nicht! Ihr seid fünfzig und ich bin nur einer; aber in den Augen der Rache zähle ich ebensoviel wie ihr. Ich rufe die Wüste auf, sich entweder für euch oder für mich zu öffnen! Von diesem Augenblicke an gähnt zwischen uns ein Grab. Wen es aufnehmen soll, ob mich oder euch, das mögen die entscheiden, bei denen ich geschworen habe!«

Schon stand er im Begriff, sein Kamel zu wenden, da stieß er noch ein spöttisches Lachen aus und fügte hinzu:

»Oder mag das auch die Liebe entscheiden, die eure angebetete Götzin ist; ich habe nichts dagegen!«

Hierauf ritt er fort, ohne sich noch einmal umzusehen.

Wir blickten ebenso wortlos wie vorhin hinter ihm drein. So ein Schwur ist eine eigene Sache! Es wäre einem jeden von uns jetzt unmöglich gewesen, die eingetretene Stille durch ein alltägliches Wort zu unterbrechen. Man hatte da eine so unbeschreibliche, andachtsähnliche Empfindung, daß ich, wenn ich Muhammedaner gewesen wäre, gesagt hätte:

»Die angerufenen Geister von Muhammed und seinen Nachfolgern stehen unsichtbar um uns her, um zwischen uns und ihm zu entscheiden!«

So war es nicht nur mir, sondern den andern auch. Einige der Haddedihn nahmen sich der verwundeten Militärkamele an, und die andern taten, was an den Leichen der Soldaten zu tun war, und das alles geschah, ohne daß man ein lautes Wort hörte. Diese Heiligkeit der Situation, möchte ich es nennen, hatte ihren obersten Grund natürlich in dem Umstande, daß überall, wo der Tod einzieht, sich mit ihm auch jene fromme Scheu, jenes andächtige Grauen einfindet, über dessen Ursache sich so wenige Menschen klar werden. Und doch ist es etwas so sehr Einfaches! Der Mensch scheint, solange er lebt, sein eigener Herr zu sein. Er kann tun und lassen, was ihm beliebt, er kann glauben oder bezweifeln, was er will; er kann gut oder böse handeln, ganz, wie er sich entschließt; er ist ja überhaupt derjenige, auf den alles ankommt. Da plötzlich streckt sich die Hand des Todes nach ihm aus, und der Tod ist das Gericht. Der »Herr und Gebieter« liegt im Staube vor Gott, dem einzigen Herrn, außer dem es keinen andern gibt. Er hat nun plötzlich Rechenschaft abzulegen über sein ganzes Leben. Er besitzt nicht die Spur eines Willens mehr; er muß sich fügen. Jede Sekunde seines Lebens tritt als Zeugin für oder gegen ihn auf, und er muß das ruhig geschehen lassen. Der Herrgott hält Gericht; zu seinen Seiten sitzen die Gerechtigkeit und die Gnade. Tief vor ihm hingestreckt liegt auf seinem Gesichte der zu Richtende, am ganzen Leibe zitternd im Gefühle seiner Ohnmächtigkeit. Er kann nichts, nichts mehr für sich tun. Wer wird nun das entscheidende Wort sprechen, die Gnade oder die Gerechtigkeit? Gehe während der Verhandlung in einen Gerichtssaal! Du wirst unwillkürlich leise auftreten und auch leise sprechen. Warum? Du kannst nicht anders; die Ehrfurcht vor dem Gerichte dämpft deine Schritte und deine Stimme. So trittst du auch in das Sterbezimmer. Ob du es ahnst oder nicht, du hast den Ort des ewigen Gerichtes betreten, weiches mit dem Augenblicke des Todes seinen Anfang nimmt. Es ist der unsichtbare Richter, welcher hier waltet; du siehst ihn nicht und trittst aber doch so unhörbar wie möglich auf. Es ist die Ehrfurcht vor dem Gesetze des Ewigen, nach welchem hier über dem Dahingeschiedenen das Urteil gesprochen wird; es ist diese Ehrerbietung, welche dich zwingt, dein Haupt zu entblößen, das mehr oder weniger deutliche Bewußtsein, daß auch du selbst über kurz oder lang so ohnmächtig daliegen wirst, um auf der Waage der Gerechtigkeit gewogen zu werden. Das, das ist die Ursache des Grauens, welches jeder nicht ganz verdorbene Mensch in der Nähe einer Leiche empfindet und nicht von sich abzuwehren vermag!

Und wir hatten zwanzig Tote hier, und diese Toten waren ermordet worden, was noch viel, viel mehr sagen will! Es wurde ihnen ein möglichst tiefes und großes, gemeinsames Grab bereitet.. Dahinein legten wir sie, einen neben den andern, in ihren Uniformen und mit den Seitengewehren, die Flinten neben sich. Als wir die Sterbegebete über sie gesprochen hatten, gaben wir eine dreimalige Salve ab, legten einem jeden seinen kleinen Gebetsteppich auf das Gesicht und warfen das Grab zu. Während dieser ganzen Handlung weinte Khutub Agha, der Ernste, immerfort still vor sich hin. Da tauchte wohl in manchem von uns die Frage auf, ob wir nicht mit den Mördem denn doch wohl zu mild verfahren seien, und es gesellte sich der feste Vorsatz hinzu, nun aber streng zu sein, wenn wir wieder in Konflikt mit ihnen kommen sollten. Und daß dies geschehen werde, das hatte uns der Scheik der Beni Khalid ja schon angedroht.

Darüber waren wieder mehrere Stunden vergangen, und als wir nun diesen für uns unvergeßlichen Ort verlassen konnten, war die großte Hälfte des Nachmittages vorüber. Aber wohin jetzt? Weit konnten wir für heute nicht. Zum Glück waren wir mit Wasser versehen, und so beschlossen wir, den Weg der Sanddünen, den wir nun schon einmal hin und einmal her geritten waren, zum drittenmal zurückzulegen und dann im Tale zwischen der letzten und vorletzten Düne zu übernachten. So ein Tal war mit wenigen Posten am leichtesten zu bewachen und gewährte uns den besten Schutz. Morgen früh wollten wir uns dann nach den Umständen richten.

Dies wurde ausgeführt. Der Weg wurde sehr langsam und vorsichtig, indem eine Vorhut voranritt, zurückgelegt, und wir erreichten die betref, fende Stelle, als es eben dunkel werden wollte.

Wenn ich von der letzten und vorletzten Düne sprach, so meinte ich die letzten bedeutenden Höhen, nicht die kleineren, die dann, nach und nach immer niedriger werdend, in die flache Sandwüste übergingen, in welcher unsere Kamele »gemahlen« hatten. Das Tal war außerordentlich passend zum Lagerplatz. Die Höhen, zwischen denen es lag, vereinigten sich auf der einen Seite, während sie auf der andern so nahe nebeneinander herliefen, daß ein Einzelposten genügte, diesen Zugang zu bewachen. Eine vortrefflichere Stelle konnten wir gar nicht finden.

Heut mußten die Militärkamele von den Haddedihn mit bedient werden, weiche also mehr als bisher zu tun hatten. Was den Perser betraf, so konnte er natürlich nicht daran denken, den Rückweg nach Meschhed Ali allein anzutreten. Er mußte bei uns bleiben und einstweilen mit uns weiterreiten, bis wir auf einem der Hauptwege eine Karawane treffen würden, der er sich heimwärts anschließen konnte. Er war außergewöhnlich still und beteiligte sich nicht an unserm Gespräche. Wenn ja einmal eine Frage an ihn gerichtet wurde, so beantwortete er sie so kurz wie möglich, oft nur mit einem einzigen Worte. Das war so auffällig, daß ich ihn nach dem Grunde dieser Einsilbigkeit fragte.

»Meine Asaker!« seufzte er. »Ich muß nur immer an sie denken!«

»Ich tue das auch; aber kannst du es vielleicht dadurch anders machen?«

»Nein. Ja, du Effendi! Dich braucht das nicht zu bedrücken!«

»Etwa dich mehr als mich?«

»Ja, denn ich bin schuld an ihrem Tode. Zwanzig, zwanzig Seelen, die nun durch meine Schuld ganz unvorbereitet an die Waage der Gerechtigkeit treten! Dieser Gedanke ist unerträglich schwer!«

»Wieso trägst du die Schuld?«

»Weil ich deine heutige Warnung ebensowenig beachtet habe wie deinen gestrigen Rat. Du sagtest, ich solle sofort heimkehren; ich blieb aber trotzdem. Wenn wir gestern gleich nach dem Zweikampfe fortgeritten wären, so hätten die Beni Khalid keine Zeit gehabt, mir einen solchen Hinterhalt zu legen. Ich habe also die Schuld zu tragen, ich ganz allein! Denn ich bin nicht nur einmal, sondern wiederholt gewarnt worden und habe nicht darauf geachtet. Wie schwer, wie unendlich schwer wird mich das dereinst belasten. wenn für mich die Zeit da ist, Rechenschaft abzulegen!«

Die Vorwürfe, weiche er sich machte, waren leider nicht unbegründet, doch tat und sagte ich alles, was ich tun und sagen konnte, ihm das Herz leichter zu machen; es gelang mir aber nicht so, wie ich wollte.

Wir hatten die Kamele nach dem Hintergrunde geschafft, dahin, wo die beiden Höhen zusammenstießen. Dort war nicht ein besonderer Wächter für sie nötig. Wir lagerten so vor ihnen, daß sie eingeschlossen waren. Zu unserer Sicherheit waren drei Posten erforderlich, welche wir ausstellten, nämlich auf die vor uns und auf die hinter uns liegende Höhe und den dritten rechts in die schon erwähnte Enge unsers Tales. Es schien also eine Überrumpelung ganz unmöglich zu sein, und in diesem Gefühle legten wir uns sehr zeitig schlafen, um früh gut ausgeruht zu haben, denn infolge der Drohung des Scheikes hatten wir anzunehmen, daß der morgige Tag ein anstrengender und gefährlicher für uns sein werde. Dieser Mann tat jedenfalls alles mögliche, seinen Schwur ganz und baldigst in Erfüllung gehen zu lassen!

Während uns dies natürlich Sorgen machen mußte, waren wir heut in Beziehung auf die Sicherheit unseres Lagerplatzes vollständig beruhigt. Wir hatten einen wunderbaren Sternenhimmel; es war bedeutend heller als gestern und vorgestern abend, und so hätten unsere Wächter blind oder sehr nachlässig sein müssen, um den Beni Khalid einen Überfall zu ermöglichen. Überhaupt war diesen letzteren die Stelle, an weicher wir lagen, höchst wahrscheinlich nicht bekannt.

Ich schlief sehr tief und traumlos, bis ein Ruf erscholl, der mich weckte. Noch aber hatte ich die Augen nicht geöffnet, so vervielfältigte sich dieser Ruf zu einem vielstimmigen Geschrei, weiches von den Lippen sämtlicher Haddedihn kam. Ich wollte aufspringen, konnte aber nicht, denn es hatten sich zwei, drei, vier Gestalten auf mich gestürzt, welche alle ihre Kräfte anwendeten, mich niederzuhalten.

Der Schlaf war mir da so vollständig aus den Augen vertrieben, daß er sie nicht mehr trübte. Ich schnellte mich empor, um um mich blicken zu können, wurde zwar sofort wieder niedergerissen, hatte aber doch genug gesehen. Es wimmelte von Beduinen rund um uns her; es waren ihrer so viele, daß jetzt, da sie uns einmal hatten, der Widerstand gradezu Wahnsinn gewesen wäre und uns nur zum Untergange hätte führen müssen. Darum schrie ich so laut wie möglich:

»Ergebt euch, ihr Haddedihn! Ich, Akil Schatir Effendi, sage es euch. Ich ergebe mich auch!«

»Ich auch!« erschallte hierauf Halefs Stimme. »Wehrt euch nicht! Ich befehle es euch!«

Hierauf streckte ich mich aus und ließ mich binden. Es gab noch ein nur kurzes Durcheinander rund umher, dann war es still. Diejenigen Haddedihn, weiche der Widerstand von ihren Plätzen getrieben hatte, wurden wiedergebracht. Wir lagen alle, alle beisammen, und unsere Sieger setzten sich so, daß sie uns in ihrer Mitte hatten. Nun, da ich ungehindert Umschau halten konnte, sah ich, daß bei dem Tachtirwan, welcher sich natürlich an einer von uns abseits liegenden Stelle befand, drei Beduinen standen, welche ihn in Schutz genommen hatten. Das war eine Rücksicht, welche man den Beni Khalid, besonders aber ihrem Scheik, gar nicht hätte zutrauen sollen! Ich bemerkte ihn. Er bewegte sich die Reihe seiner Leute entlang hin nach der Sänfte, um sich dort nach irgend etwas zu erkundigen. Dann kam er auch zu uns.

»Welcher von euch ist der Scheik der Haddedihn?« fragte er.

»Ich bin es« antwortete Halef.

»Welcher ist der fremde Effendi?«

»Ich«, sagte ich.

Seine Stimme klang ganz anders als die Stimme Tawil Ben Schahids! Er fuhr fort:

»Welcher ist der Basch Nazyr aus Meschhed Ali?«

»Hier liege ich«, rief der Perser.

»Hört, was ich euch sage: Wenn ihr drei mir euer Ehrenwort gebt, nichts ohne meine Erlaubnis zu unternehmen, so lasse ich euch wieder losbinden. Antwortet mir!«

Das war ja wunderbar! Dieser Mann hatte nicht Tawils Stimme und das bemerkte ich erst jetzt auch nicht ganz seine Gestalt. Wer war er? Ich dachte bei dieser Frage an die Kundschafter, weiche für kurze Zeit bei uns am Brunnen gewesen waren.

»Sprich du zuerst, Sihdi!« forderte mich Halef auf.

Ich antwortete:

»Ich gebe mein Ehrenwort, doch einstweilen nur für so lange, wie wir uns an diesem Orte befinden. Für länger können wir uns nicht verpflichten, weil wir nicht wissen, wer diese Leute sind, warum sie uns überfallen haben und was sie mit uns beabsichtigen. Verhalte dich also wie ich!«

»Gut! Auch ich gebe mein Ehrenwort, aber auch nur für die Zeit, welche der Effendi jetzt angedeutet hat!« erklärte Halef.

Und der Perser folgte diesem Beispiele.

»Ich ebenso!«

»Das genügt mir vollständig«, sprach der Anführer. »Bindet also diese drei Männer wieder los!«

Ertatesnichtselbst;seinBefehlwurdevondreienseinerLeuteausgeführt, während er unbeweglich vor uns stand. Als es geschehen war und wir uns zum Sitzen aufgerichtet hatten, setzte er sich uns gegenüber nieder und machte uns die Mitteilung:

»Ich bin Abd el Idrak (Diener der Einsicht, des Verständnisses, der Intelligenz), der Scheik der Beni Lam.«

Er machte das, was man eine Kunstpause nennt, um seinen Worten Zeit zu lassen, die beabsichtigte Wirkung auf uns auszuüben. Diese Wirkung blieb auch gar nicht aus. Also mit den Beni Khalid hatten wir es nicht zu tun! Aber konnten wir nicht dadurch aus dem Regen in die Traufe gekommen sein? Die Beni Khalid hatten wir kennen gelernt, die Beni Lam aber noch nicht! Aber daß grad uns dreien, den Anführern, die Fesseln gleich wieder abgenommen worden waren, das gab uns doch wohl die Berechtigung, unsere jetzige Lage für keine allzu schlimme zu halten. Diese Beni Lam befanden sich in einer so bedeutenden Anzahl hier, daß wir uns bei ihnen, den Feinden der Beni Khalid, gegen diese im vortrefflichsten Schutz befanden, den wir uns nur wünschen konnten. Das war auch sehr viel wert! Übrigens hatte Abd el Idrak die Absicht, jetzt mit uns zu sprechen, und da mußte es sich ja zeigen, weichen Zweck er mit dem ihm so wohlgelungenen Überfalle verfolgte.

»Ihr werdet keine Ahnung davon gehabt haben, daß sich eine so große Schar der Beni Lam in der Nähe des Brunnens Hilu befand«, begann er.

»Oh, doch«, antwortete ich.

»Also ist es trotzdem so, wie ich dachte! Dieser Tawil Ben Schahid hat euch gesagt, daß er es auf uns abgesehen hatte?«

»Ja.«

»Ich sandte zwei Kundschafter nach dem Brunnen; sie haben mit euch gesprochen. Für wen oder was habt ihr sie gehalten?

»Für das, was sie waren, für deine Späher.«

»Warum gabt ihr ihnen keine Auskunft über die Beni Khalid, an denen ihr euch dadurch nicht nur hättet so schön rächen, sondern von denen ihr euch dadurch auch hättet befreien können?

»Wir sind ehrliche Krieger, also keine Verräter! Wir handeln schon überhaupt nach dem Grundsatze, daß Allah den Frieden, nicht aber den Krieg zwischen seinen Kindern will, und jetzt befinden wir uns als Pilger auf dem Wege nach der heiligen Stadt und sind als solche verpflichtet, uns bei keiner Gelegenheit von der Hand der Unfriedfertigkeit leiten zu lassen.«

»Ja«, nickte er nachdenklich, »du überhaupt bist ein Abd el Musalaha (Diener der Versöhnlichkeit)!«

»Wie kommst du dazu, mich so zu nennen?« fragte ich verwundert.

»Du hast bewiesen, daß du es bis!«

»Weißt du das?«

»Ja. Ich weiß mehr von euch, als ihr denkt. Es gibt mehrere Personen, welche mir von euch erzählt haben.«

»Darf ich fragen, wer diese Personen sind?«

»Zunächst meine beiden Kundschafter. Es hat mich sehr von euch gefreut, daß ihr eure Feinde nicht verraten habt! Ich sage euch, wenn ihr das getan hättet, wäre euch dasselbe Los wie ihnen beschieden gewesen, denn der Verräter ist ein stinkender Dib (Wolf), den man nicht schonen darf, sondern vernichten muß!«

Da stieß mich Halef mit dem Ellbogen an. Ich wußte, was er meinte. Er hatte mir Vorwürfe darüber gemacht, daß ich gegen die beiden Späher so verschwiegen gewesen war. Nun sah er ein, wie richtig dieses Verhalten von mir gewesen war. Dieser Abd el Idrak war ein ganz, ganz anderer Mann als der Scheik der Beni Khalid, ein bei aller Barschheit des hiesigen Lebens edel angelegter und edel handelnder Charakter; das sollten wir später noch deutlicher erkennen als jetzt. Er trug seinen Namen Abd el Idrak, Diener der Einsicht, mit vollem Rechte! Er fuhr fort:

Der Scheik der Beni Khalid glaubte, uns ganz unvorbereitet zu finden; aber Allah schützt die Guten und verdunkelt die Augen der Bösen. Er fügte es, daß ich das Unternehmen unserer Feinde zur rechten Zeit erfuhr. Ich rüstete meine Krieger und zog den Beni Khalid entgegen, um die Entscheidung zwischen uns und ihnen in die Wüste zu legen, damit nicht die Wohnungen friedlicher Leute dabei verwüstet würden. Meine Späher standen von ferne und lauschten. Ich hörte, daß sie nach Süden gezogen seien, und folgte ihnen. Sie waren von dort zurückgekehrt, hatten aber einen Mann zur Beobachtung zurückgelassen, den wir festnahmen. Er mußte uns alles erzählen, was am Brunnen geschehen war. So erfuhren wir von euch, von dem Kanz el A‘da, von seinen Dieben und von dem Kampf um ihn. Der Schatz hat einen großen, großen Wert; ich beschloß, ihn in meine Hände zu bringen und euch zu überfallen. Darum ließ ich euch genau beobachten, ohne daß ihr eine Ahnung davon hattet. Auch die Beni Khalid merkten nichts davon.«

»Bi Khatir-i-Khudah – um Gottes willen«, rief da der Perser aus. »Nun soll ich den Kanz el A‘da schon wieder hergeben!«

»Das sollst du nicht«, lachte der Scheik, doch es war ein freundlich klingendes Lachen. »Wir haben ihn doch schon!«

»Ja, das Paket ist fort!«

»Dort liegt es bei dem Tachtirwan und wird mit dem Harem des Scheikes der Haddedihn sehr gut bewacht, wie du siehst!«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
590 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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