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Kitabı oku: «Am Jenseits», sayfa 6

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Bis hierher war ich gekommen, doch weiter kam ich nicht. Während ich erzählte, ging mit dem Münedschi eine ungewöhnliche Veränderung vor, ungewöhnlich wenigstens in Beziehung auf seinen Schwächezustand. Es war, als ob seine Adern sich mit neuem Blute füllten und seine Nerven neuen Lebensreiz bekämen. Er richtete seinen Oberkörper auf, höher und immer höher. Seine Augen öffneten sich und richteten ihren strahlenden, unbeschreiblichen Blick auf mich, die Falten seines Gesichtes schienen sich zu füllen, und das Spiel der Mienen wurde von Satz zu Satz, den ich sprach, immer lebhafter, bis er, beide Hände gegen mich ausstreckend, mich mit dem ängstlich abwehrenden Rufe unterbrach:

»Halt ein; halt ein! Ich mag nichts weiter hören! Ich habe mich in dir geirrt. Du bist nicht der, der vorhin noch bei mir war und für den ich dich bis jetzt gehalten habe!«

»So sag, wer du dachtest, daß ich sei!«

»Ben Nur (Sohn des Lichtes), der Bote des Propheten. »

»Der bin ich nicht und kenne ihn auch nicht. Sein Name steht in keinem Buche verzeichnet, welches von dem Propheten handelt.«

»In keinem irdischen Buche, aber im Kitab et Tubanijin (Buch der Seligen) ist er zu finden. Nun weiß ich nicht, wo ich jetzt bin, denn du bist nicht Ben Nur und bist auch nicht El Ghani. Bin ich noch im Lande der Verstorbenen, oder kehrte ich schon wieder auf die Erde zurück?«

Sonderbar, höchst sonderbar! Hatten wir es etwa mit einem Irren, einem Wahnsinnigen zu tun? Er schaute mit weit geöffneten, glänzenden Augen um sich, die unmöglich blind sein konnten, mußte uns also doch sehen. Und im Lande der Verstorbenen wollte er gewesen sein? Er wurde el Münedschi genannt, der Wahrsager. Dieses türkische Wort bedeutet auch Sterndeuter. Wahrsager, Stern und Zeichendeuter, diese Worte haben selbst für jemanden, der sonst nicht nach biblischen Verboten fragt, einen warnenden Beigeschmack. Ich mußte an den Hokuspokus der südafrikanischen Regenmacher, die indianischen Medizinmänner und ähnliche zweideutige Existenzen denken. Einen so tiefen, Ehrfurcht erweckenden Eindruck dieser Mann erst auf mich gemacht hatte, jetzt fühlte ich nur noch die Notwendigkeit, vorsichtig gegen ihn zu sein. Hanneh war weit zurückgetreten; Halef sah ihn mißtrauisch von der Seite an, und die Haddedihn schienen nicht im Klaren darüber zu sein, ob sie sich wundern oder über ihn lachen sollten

»Du bist natürlich auf der Erde«, beantwortete ich seine letzte Frage.

»Wo da?«

»Wo du vorher warst.«

»Ich war bei El Ghani. Wo ist er? Ich höre ihn nicht.«

»Aber du siehst doch uns!«

»Euch? Sehen? Allah w‘Allah! Deine Worte sagen mir, daß ich mich bei Leuten befinde, die mich gar nicht kennen. Seht ihr denn nicht, daß ich blind bin?«

»Nein, das sehen wir nicht. Du scheinst vielmehr ganz vortreffliche Augen zu besitzen.«

»Du irrst. Ich weiß, daß meine Augen glänzen, aber dieser Glanz ist Täuschung. Ich höre deiner Stimme an, wie weit du dich von mir befindest, aber ich kann dich nicht erkennen. Nur wenn du ganz nahe zu mir herankommst, kann ich dich wie die dunkle, verschwimmende Schattengestalt eines bösen Geistes erkennen.«

»Du scheinst solche böse Geister gesehen zu haben?«

»O sehr oft! Aber wo ist El Ghani? Ich bin besorgt um ihn und also auch um mich. Er ist der einzige, der mich verstehen und behandeln kann, er, mein Wohltäter, ohne den ich längst gestorben wäre. Sagt es mir! Ich bitte euch!«

Das schien der Ton wirklicher, ungeheuchelter Angst zu sein. Ich wollte und mußte ihn prüfen. Darum legte ich die Hand um den Griff meines Messers, welches ich im Gürtel stecken hatte, zog es plötzlich heraus und stieß damit nach seinem Gesicht, als ob ich ihn ins Auge stechen wolle. Er zuckte, obgleich dieses letztere fast von der Spitze der Klinge berührt wurde, doch mit keiner Wimper und veränderte auch den Ausdruck des Gesichtes nicht im geringsten. Ein Sehender hätte sich bei dieser meiner plötzlichen Bewegung doch wohl anders verhalten; er schien also doch wirklich blind zu sein. Darum antwortete ich in freundlicherem Tone als zuletzt.

»Du wirst die gewünschte Auskunft erhalten, wenn du vorher uns welche über dich gegeben hast. Vor allen Dingen will ich dir sagen, daß du dich um dich nicht zu ängstigen brauchst. Du befindest dich bei guten Menschen, weiche dich als Freund und Hilfsbedürftigen behandeln werden. El Ghani ist ein Mekkaner?«

ja; wir alle sind aus Mekka. Aber ich bin blind und sehe euch nicht; ich weiß also nicht, ob und wie ich euch antworten soll und darf. Ich bitte euch also, nachsichtig gegen meine Unbehilflichkeit zu sein und mir zuerst zu sagen, wer ihr seid!«

»Komm erst zu unserem Lagerplatz! Du hast nur höchstens fünfzig Schritte weit zu gehen.«

»So führe mich!«

Ehe ich ihn bei der Hand nahm, wiederholte Halef mein voriges Experiment mit seinem Messer. Der Blinde bemerkte es wirklich nicht., Dann, als wir gingen, nahm ich ihn so, daß das Grab grad vor ihm lag. Drei Schritte, und dann wäre er unbedingt hineingelaufen, wenn ich ihn nicht auf die Seite gezogen hätte. Der Ortswechsel wäre gar nicht notwendig gewesen, wenn ich ihn nicht vorgeschlagen hätte, um den Gang dieses Mannes zu prüfen. Er bewegte sich mit einer Unsicherheit, welche gewiß nicht bloß eine Folge der ausgestandenen Anstrengungen und Entbehrungen war. Obgleich er von mir geführt wurde, waren seine Schritte so vorsichtig suchend, wie man es nur bei Blinden beobachtet und ein Sehender es nicht nachmachen kann. Wir hatten es also nicht mit einem Simulanten zu tun.

Die guten Folgen dieser bestandenen Prüfung gaben sich sofort im Verhalten der Haddedihn zu erkennen, die nun nicht mehr Mißtrauen gegen, sondern herzliches Mitleid für ihn fühlten. Sie reiteten ihm einen weichen Sitz und fragten ihn nach Wünschen, die sie vielleicht erfüllen könnten. Er bat wieder um Wasser. Als er nun zum dritten Male seinen immer wiederkehrenden Durst gelöscht hatte und wir ihn fragten, ob er nicht auch Hunger habe, antwortete er:

»Ich weiß nicht, wie lange ich nicht gegessen habe, denn ich war nicht in meinem Körper und habe keine Augen für den Unterschied zwischen Tag und Nacht. Der Morgen ist für mich grad wie der Abend, und nur wenn von einem mir ganz nahen Gegenstande der Sonnenstrahl in das Auge zurückgebrochen wird, kann ich ihn als Schatten mit verschwommenen Umrissen erkennen. Als ich zum letztenmale aß, wird es am Jom el Guma (Freitag) früh gewesen sein.«

»Und heute ist Jom el Itnehn (Montag), rief Halef. »Du hast also drei volle Tage nichts genossen!«

»Ich habe doch noch keinen Hunger. Aber Tabak, Tabak, den gebt mir, wenn ich euch darum bitten darf!«

Da hatte er auch schon eine alte Pfeife mit kurzem Rohre und ungewöhnlich großem Kopfe aus der Tasche seiner weiten Hosen gezogen und steckte sie in den Mund. Seine Bitte wurde in, ich möchte sagen, inbrünstigem Tone ausgesprochen, und in seinem Gesichte drückte sich dabei eine Sehnsucht, ja fast eine Gier aus, welche die Erfüllung des Wunsches kaum erwarten konnte. Und als dies geschehen war, rauchte, nein, qualmte er mit einem. Eifer, als ob sein Leben daran hänge, die Pfeife so bald wie möglich wieder stopfen zu können. Eine solche Leidenschaftlichkeit hätte ich einem Blinden niemals zugemutet. Sie würde mich wahrscheinlich auf den Gedanken gebracht haben, daß die Blindheit doch und doch erdichtet sei, aber ich hatte nun trotz der Kürze der Zeit die Beobachtung gemacht, daß der Blick dieser schönen Augen leer und seelenlos war und die Wimpern fast unbeweglich blieben.

»Der arme, blinde Mann!« raunte Hanneh mir mitleidig zu. »Soeben erst vom Tode erstanden, von seinen Freunden verlassen, mitten in der Wüste! Sihdi, was hast du über ihn beschlossen?«

Ich winkte ihr beruhigend zu und öffnete schon den Mund zum Sprechen, als Halef, welcher meine Absicht erriet, mir schnell die leise Frage vorlegte:

»Effendi, du willst ihm sagen, wer wir sind?«

»Ja«, antwortete ich ebenso leise.

»Erlaube, daß ich dies tue! Ich kenne uns ja ebenso gut, wie du uns kennst!«

Er setzte sich an die andere Seite des Blinden, zu dessen Linken ich saß, nieder und erklärte ihm:

»Du wirst jetzt zwei sehr berühmte Männer kennen lernen, höre also mit Aufmerksamkeit, was ich dir sagen werde! Ich bin nämlich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, der oberste Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar. Und der Mann an deiner andern Seite ist der größte Gelehrte des Morgen und des Abendlandes. Er ist eigentlich der Alim el Ulema‘ (Gelehrter aller Gelehrten), denn in seinem Kopfe befinden sich tausend Fächer, und in jedem Fache stecken über hundert vollständige Wissenschaften, die er auf zweihundertsechzig Medahris (Universitäten) studiert und überwunden hat. Er stammt aus dem Lande des äußersten Moghreb, denn er ist im Wadi Draha geboren, woher bekanntlich die klügsten Leute kommen, und sein Name

»Kutub!« unterbrach ich ihn.

»Was? Was meinst du?« fragte er mich, in seinem Eifer nicht an die zwischen uns vereinbarte Bedeutung dieses Wortes denkend.

»Kutub, Kutub!« wiederholte ich.

»Wahajahti!« rief er aus, sich jetzt besinnend. »Bei meinem Leben, jetzt habe ich mich versprochen gehabt! Ich hätte mich hinterher und dann dich voransetzen sollen!«

»Das hast du ja schon getan!«

»Was? Nein!«

»Doch! Du hast dann mich vorangesetzt, nämlich dann!«

»Wallahi fasl – das ist eine sonderbare Geschichte, bei Allah! Verzeihe mir, Effendi! Ich werde es sofort besser machen und wieder von vorn anfangen, indem ich zunächst deinen Namen und dann erst den meinigen nenne!«

»Das ist nun nicht nötig. Nenne zuerst meinen, und dann lässest du deinen weg, weil du ihn schon genannt hast!«

»Aber er muß doch unbedingt hinterherkommen, sonst beleidigt es dich!«

»Aber wenn du ihn noch einmal sagst, so hast du den meinigen nur einmal und den deinigen aber zweimal genannt, was doch noch viel beleidigender ist!«

»Gut, du sollst deinen Willen haben, weil du aus dem äußersten Moghreb stammst und im Wadi Draha das erste Licht der Welt erblickt hast! Also dein hochberühmter Name lautet Hadschi Akir Schatir el Megarrib Ben Hadschi Alim Schadschi er Rani Ibn Hadschi Dajim Maschhur el Azami Ben Hadschi Taki Abu Fadl el Mukarram.«

Es war wirklich lustig anzuhören, wie schnell und fehlerlos er diese lange Schlange herunterleierte. Und ebensoviel Spaß machte mir dabei der Anblick der fünfzig Haddedihn, welche die zwei Dutzend Worte leise mitsagten und dabei die Lippen wie kauende Kaninchen bewegten. Da der Münedschi ein Beduine war, hatte ich nicht zu befürchten, daß der Name und die vorhergehende Zurechtweisung ihm lächerlich vorkommen würden. Er hatte mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit zugehört und fragte nun:

»Bist du vielleicht derselbe Scheik Halef Omar der Haddedihn, welcher vor einigen Jahren den Schatz der Schmuggler in den Ruinen des Birs Nimrud im alten Babylon entdeckt hat?«

»Ja, der bin ich allerdings!« antwortete der kleine Hadschi mit großem Selbstbewußtsein. »Du weißt also von dieser meiner Ruhmestat? Wo hast du denn davon gehört?«

»In Meschhed Ali, der heiligen Stätte der Schiiten.«

»Wann?«

»Jetzt, als wir dort waren.«

»Du und El Ghani?«

»Ja!«

»Aber ihr seid doch nicht Schiiten!«

»Nein. El Ghani ging als Gesandter des Großscherifs hin und nahm mich mit.«

»Darf ich fragen, was er dort sollte?«

»Das weiß ich nicht; er hat es mir nicht gesagt. Es scheint eine religiöse Angelegenheit gewesen zu sein, von welcher nur der Großscherif und sein Bote wissen durften.«

»Und dort habt ihr von mir gehört?«

»Ja. Es waren Perser da, welche euer damaliges Erlebnis ganz genau kannten. Die Schmuggler, weiche von euch ergriffen wurden, sind, anstatt Strafe zu bekommen, mit der Anstellung als Zollbeamte begnadigt worden. Darum verkünden sie euern Ruhm, so oft und so weit sie nur können. So haben auch wir davon erfahren.«

»Du sagst euer, sprichst also nicht von mir allein?«

»Weil noch jemand bei dir gewesen ist, ein Effendi aus dem Abendlande. Er war ein Christ und hat Emir Kara Ben Nemsi geheißen. Ist das richtig?«

»Ja. «

»In welchem Reiche des Abendlandes ist er geboren?«

»In Dschermanistan.«

»Das dachte ich mir allerdings, denn Ben Nemsi ist ja dasselbe wie Sohn von Dschermanistan. War er auch wirklich ein Christ?«

»Der beste, den es geben kann!«

»Es wird von ihm erzählt, daß er, obgleich er ein Christ ist, den ganzen Kuran auswendig könne. Ist das wahr?«

»Ja. »

»Auch sollen ihm alle Auslegungen desselben besser und vollständiger bekannt sein als muhammedanischen Gelehrten. »

»Auch das ist richtig.«

»Ich bin ein armer Mann und habe keinen Besitz; aber wenn ich reich wäre, ich würde gern die Hälfte meines Vermögens dafür geben, wenn ich ihn einmal einige Tage bei mir haben und mit ihm sprechen könnte!

»Warum?«

»Weil ich die heilige Schrift der Christen so kenne, wie er den Kuran kennt. Es würde mir eine Wonne sein, mit so einem Manne, wie er zu sein scheint, die wirkliche Wahrheit zu ergründen und ihn zu den Lehren des Islam zu bekehren.«

Als er dies sagte, holte er tief, sehr tief Atem wie einer, dem die Sache, von weicherer spricht, außerordentlich am Herzen liegt und schon viele Sorgen bereitet hat. Schon das war für seinen Kuran glauben kein günstiges Zeichen, Dazu kam, daß er erst mit mir .,die wirkliche Wahrheit zu erforschen wünschte, sich also noch nicht im Besitze derselben wußte. Wenn er trotzdem davon sprach, mich zum Islam bekehren zu wollen, so war das wohl nur eine Redensart und dazu bestimmt, seine eigene Unsicherheit zu verhüllen. Dieser Mann schien zu den vielen Dürstenden zu gehören, welche die Quelle niemals finden, weil sie blind an ihr vorübergehen. Er kannte ja nach seiner eigenen Behauptung die heilige Schrift und also auch das Wort .Ich bin die Wahrheit und das Leben«, und doch war er bei diesem Brunnen der wahren Weisheit nicht geblieben! Diese meine Folgerungen und Schlüsse zog Halef jedenfalls nicht; er handelte und sprach ja meist nach seinem Gefühle, dies tat er auch jetzt, und zwar in einer Weise, die außerordentlich charakteristisch für ihn war.

»Wünsche das nicht, ja nicht!« warnte er.

»Warum nicht?« erkundigte sich der Münedschi.

»Du würdest von dem, was du hoffest, grad das Gegenteil erreichen.«

»Wieso?«

»Ich bitte dich, es dir durch ein Beispiel erklären zu dürfen. Wir waren in Erbil, einer in der Dschesireh liegenden Stadt, die du vielleicht nicht kennst, und gingen in die Moschee, um zu beten. Kara Ben Nemsi Effendi hält es nämlich für keine Sünde, auch in einem muhammedanischen Gotteshause ein christliches Gebet zu sprechen; er meint sogar, daß die Moschee dadurch nicht geschändet, sondern geheiligt werde. Niemand kannte ihn, auch der Mufti nicht, welcher neben uns kniete. Später erfuhr dieser aber, daß der Effendi ein Christ sei, und zeigte ihn wegen Entweihung des Heiligtums an. Wir wurden vor das Gericht beordert, wo der Kadi sich bemühte, das Verbrechen so streng wie möglich zu nehmen. Aber Kara Ben Nemsi gab solche Antworten, daß der Richter immer mehr in Zorn geriet und ihn endlich grimmig andonnerte: Du hast dich wohl vor keinem Kadi zu fürchten?‘ Der Effendi antwortete ruhig: Nein, sondern der Kadi hat sich vor mir zu fürchten!‘ Hierauf berief er sich auf eine vor kurzem erlassene Fetwa (Entscheidung) des Scheik ul Islam (Oberste geistliche Behörde), nach welcher studierte Christen die Moscheen betreten dürfen, wenn es in frommer, andachtsvoller Weise geschieht, um die nachzueifernden Gebräuche unserer Anbetung kennen zu lernen. Als man uns infolgedessen sagte, daß wir gehen könnten, erklärte er, daß er noch bleiben müsse, um den Kadi wegen Schändung des Heiligtums anzuzeigen, weil er ihn jetzt als die Person erkannt habe, die mit uns zu gleicher Zeit in der Moschee gewesen sei, ohne die Pantoffel auszuziehen, wie es vorgeschrieben ist. Der Kadi war erschrocken und entrüstet, mußte aber die Wahrheit der Anzeige zugeben und entschuldigte sich damit, daß er die Dah ilmafasil (Rheumatismus) in den Füßen habe und darum den kalten Steinboden nicht ohne Pantoffel betreten dürfe. Der Effendi riet ihm lachend, das nächste Mal sogar die Stiefel anzuziehen, und dann entfernten wir uns. Du ersiehst aus diesem Beispiele, daß es nicht geraten ist, mit ihm etwas vorzunehmen, was ihm nicht behagt; er pflegt es in das Gegenteil zu wenden. Ich kenne Moslemin, welche ihn zum Islam bekehren wollten. aber damit nur erreicht haben, daß sie selbst ihren Glauben geändert haben und Christen geworden sind.«

»Ist das wirklich möglich?!«

»Nicht nur möglich, sondern wahr! Wünsche also ja nicht, in dieselbe Gefahr zu kommen!«

»Diese Gefahr würde es für mich nicht geben, selbst wenn seine Gelehrsamkeit noch größer wäre, als sie ist.«

»Du würdest sie gar nicht bemerken; er sagt, Gott wohlgefällig zu leben, das sei seine Wissenschaft, und er höre ein frohes Lachen viel lieber als die trockenen Chitabat (Vorträge) aller Ulama (Gelehrten) des ganzen Morgenlandes.«

»Dann ist es ja sehr gut, daß er sich nicht hier befindet!«

»Warum?«

»Weil du mir gesagt hast, daß dein hier neben mir sitzender Gefährte Hadschi Akil Schatir der größte Gelehrte des Morgen und sogar auch des Abendlandes ist.«

»Oh, sie würden sich sehr gut zusammen vertragen, denn trotz der unzähligen Wissenschaften, weiche im Kopfe dieses meines Freundes Unterkunft gefunden haben, ist ihm niemals etwas davon anzumerken.«

»Ich habe es aber vorhin bemerkt, als er die Erklärungen zu dem Spruche Alis, des Kalifen, gab.«

ja, so eine Erklärung entschlüpft ihm wohl zuweilen, gewöhnlich aber behält er sie für sich, und das ist sehr lobenswert von ihm, weil es so viele Erklärungen gibt, die man, um sie zu begreifen, sich wieder erklären lassen muß. Jetzt weißt du nun wohl, wer und was wir beide sind. Allah ist dir wohlgeneigt gewesen, indem er dich mit uns zusammenführte. Wir haben fünfzig tapfere Krieger der Haddedihn bei uns, und außerdem wirst du zuweilen auch eine weibliche Stimme vernehmen. Die, welche du da sprechen hörst, ist Hanneh, die wohlerzogene Gebieterin meines Frauenzeites, deren Schönheit und Leutseligkeit zu den größten Vorzügen der Türkei und aller persischen Provinzen gehört. Allah gebe ihr ewige Jugend und hierauf dann ein mir und ihr gefälliges Alter! Was du sonst noch wissen willst, können wir dir später sagen. Jetzt nun sprich auch du! Oder soll ich lieber fragen?«

Der Münedschi zögerte eine ganze Weile mit der Antwort. Dann, als er an einem wiederholten Husten des Hadschi hörte, daß dieser ungeduldig zu werden begann, sagte er:

»Meine Rede über mich kann sehr kurz sein. Man zählt mich auch zu den gelehrten Leuten. Ich war ein gesunder und wohlhabender Mann, als ich vor mehreren Jahren nach Mekka kam. Mein Vermögen wurde mir von fremden Pilgern gestohlen. Ich wohnte bei EI Ghani. Er nahm sich meiner an und behielt mich selbst dann bei sich, als ich erblindete. Jetzt lebe ich nur allein von seiner Güte. Als er vor zwei Monaten nach Meschhed Ali mußte, nahm er mich mit, weil dort meist Perser sind, deren Sprache er weder spricht noch versteht. Jetzt befanden wir uns auf dem Rückwege. Das Wasser ging uns aus, und fast verschmachtet mußten wir mitten in der Wüste halten bleiben. Wir waren überzeugt, daß Allah unsern Tod beschlossen habe. Mehr weiß ich nicht zu sagen; das andere wißt nur ihr.«

Das war die ganze Auskunft, welche er uns erteilte. Ich sah Halef an, daß er wieder fragen wollte, winkte ihm aber ab. Es gab einige Punkte, über weiche ich trotz der Schweigsamkeit und Zurückhaltung des Mekkaners gern Auskunft haben wollte. Er war unser Gast und dabei ein unglücklicher, blinder Mann, wahrscheinlich auch noch sonst beklagenswert, und gegen solche Leute ist man nicht gern zudringlich; aber wenn man bei Wohltaten auch nicht grad zu wissen braucht, wem man sie erweist, so gab es hier doch andere, sehr triftige Gründe, es nicht bei dem bisherigen, ganz unzureichenden Aufschlusse bewenden zu lassen. Ich erkundigte mich also, jedoch in rücksichtsvollem Torte:

»Möchtest du uns wohl sagen, welchem Berufe El Ghani angehört?«

»Er ist Schech el Harah (Oberster eines Stadtviertels)«, antwortete er.

»Und wie ist sein eigentlicher Name?«

»Habt ihr ihn gesehen?«

»Ja. »

»Auch mit ihm gesprochen?«

»Ja.«

»Hat er euch seinen Namen nicht gesagt?«

»Nein.«

»So erlaube, daß ich ihn auch zurückbehalte! Er ist mein Wohltäter, dem ich zur Dankbarkeit verpflichtet bin; ich habe also kein Recht, das zu sagen, worüber zu schweigen er seine Gründe gehabt haben wird.«

»Ich achte diese deine Dankbarkeit, obwohl ich der Ansicht bin, daß ein ehrlicher Mann seinen Namen nicht zu verschweigen braucht. Du hast den deinen auch noch nicht genannt!«

»Effendi, willst du mich der Unehrlichkeit zeihen?«

»Nein. Es genügt mir, von Ei Ghani erfahren zu haben. daß man dich Ei Mönedschi nennt. Aber wann ihr hier mitten in der Wüste Halt gemacht habt, das darf ich wohl erfahren?«

»Es war am Jom es Sabt (Samstag) früh.«

»Also vorgestern. Wann bist du da eingeschlafen?«

»Sofort, als ich vom Kamele gefallen war; zum Absteigen fehlte mir die Kraft.«

»Während dieses Schlafes hat dir von einem andern Leben, von einer andern Weit geträumt?«

»Effendi. darüber laß mich schweigen! Ich träume nicht. Was du für Traum hältst, ist etwas ganz anderes. Du bist ein berühmter Gelehrter; aber alle deine Gelehrsamkeit reicht nicht aus, das zu begreifen, was ich dir darum lieber verschweige.«

»Ich meine im Gegenteile, daß ich als Gelehrter es leichter begreifen würde als ein Ungelehrter.«

»Nein. Du würdest es für eine Krankheit halten, während es doch grad ein Beweis der höchsten geistigen Gesundheit ist. Ich bitte dich, nicht in mich zu dringen, und mich jetzt wieder mit El Ghani zu vereinigen!«

»Die Erfüllung dieses Wunsches ist leider jetzt nicht möglich. El Ghani ist fort.«

»Fort? Wohin?«

»Nach Mekka.«

»Ohne mich?!«

»Ja. Er hielt dich für tot und hatte dich schon eingescharrt. Als er mit seinen Leuten fortgeritten war, nahm ich dich aus dem Grabe und fand, daß du noch lebtest. »

»Tot? Begraben schon?« fragte er entsetzt. »Allah sei mir gnädig! El Ghani weiß doch, daß ich stets sehr bald wieder zu mir zurückkehre!«

Mit diesen Worten hatte er mir sein Geheimnis schon halb verraten, ohne es in seiner Aufregung zu bemerken; die andere Hälfte dachte ich mir hinzu. Darum fragte, wie man sich auszudrücken pflegt, ich ihn grad auf den Kopf:

»Wie lange pflegtest du in solchen Fällen gewöhnlich nicht bei dir zu sein?«

»Nur einige Stunden«, antwortete er prompt.

»Du wußtest dann, wo du gewesen warst?«

»Ja, ganz genau.«

»Und dieses Mal hat es länger als zwei volle Tage gedauert. Es handelte sich auch nicht bloß um den bei dir üblichen Zustand, sondern du warst scheintot. Die Anstrengungen des langen Rittes und die Entbehrung des Wassers, der Einfluß deiner Nervenkrankheit, die ich allerdings nicht wie du als den ,Beweis der höchsten geistigen Gesundheit‘ bezeichne, und dazu der Umstand, daß du ein außerordentlich starker, mit Tabak durch und durch vergifteter Raucher zu sein und darum sehr wenig zu essen scheinst, diese und vielleicht auch noch andere Gründe, welche ich nicht kenne, haben zusammengewirkt, den Zustand herbeizuführen, den wir als scheintot bezeichnen.«

»Scheintot!« sagte er. »Zwei volle Tage habe ich gelegen! Solltest du recht haben. Es wäre entsetzlich gewesen, wenn ich begraben worden wäre, ohne wirklich tot zu sein! Scheintot! Es gibt ja überhaupt keinen wirklichen Tod, denn das, was ihr so nennt, das ist eben nichts anderes als scheinbarer Tod. Es ist das Ablegendes irdischen Kleides, welches wir unter dem Namen ,Körper‘ hier getragen haben, aber niemals wieder tragen werden. Dieser Körper bleibt zurück, um sich in seine Grundbestandteile wieder aufzulösen, die Seele aber, die in ihn gekleidet war, wird auf ewig frei von ihm, der sie beengte.«

Diese Weise, sich auszudrücken, machte mich stutzig. Er sprach da nicht wie ein frommer, gläubiger Muhammedaner; darum konnte ich es nicht unterlassen, einzufallen:

»Damit befindest du dich mit den Lehren Muhammeds und allen Auslegungen des Kuran in direktem Widerspruch.«

»Nein«, antwortete er. »Bedenke, daß der Prophet und seine Nachfolger nicht nüchterne Abendländer, sondern Orientalen waren und als solche die Gewohnheit hatten, sich nicht streng treffend, sondern bildlich auszudrücken! Wenn Hadschi Halef dich den größten Gelehrten des Morgen und des Abendlandes nennt, so habe ich das nicht wörtlich, sondern nur in dem Sinne zu nehmen, daß du mehr gelernt hast und mehr weißt als viele andere gewöhnliche Gelehrten. Sogar die christliche Bibel hat man von diesem Gesichtspunkte aus zu lesen und zu beurteilen, weil die Verfasser der in ihr enthaltenen Bücher auch Orientalen waren.«

»Damit leugnest du also, daß diese Bücher von dem Geiste Gottes eingegeben worden sind?«

»Nein; aber er hat durch orientalische Zungen gesprochen, falls die Annahme dieser Eingebung nämlich nicht eine irrtümliche ist. Gottes Geist kann natürlich nicht ein spezifisch morgenländischer sein.«

»So nennst du es also bildlich gemeint, daß die Elemente die aufgelösten und zerstreuten Körperteile bei der Auferstehung nicht zurückgeben werden? Daß der Auferstehende seine Gebeine von der Erde, sein Blut von dem Wasser, sein Fleisch und sein Haar von der Pflanze und sein Leben von dem Feuer zurückerhalte?«

»Das ist eine altpersische Lehre, du kennst also den Parsismus?« fragte er erstaunt. »Warum nimmst du dein Beispiel nicht aus der Bibel, von weicher wir doch sprechen? Doch« fuhr er schnell fort »ich vergesse, daß du ja gar nichts aus ihr beweisen kannst, weil sie dir unbekannt ist!«

Da fuhr ich fort:

»Ich weiß, daß sie von der Auferstehung des Fleisches spricht.«

Stellen anzugeben, glaubte ich, unterlassen zu müssen, weil es verheimlicht werden sollte, daß ich Christ war. Zu meiner Verwunderung antwortete er mir:

»Der Apostel Paulus sagt: Es wird gesäet ein irdischer Leib, und auferstehen wird ein geistiger Leib; gibt es einen irdischen Leib, so gibt es auch einen geistigen Leib.

Jetzt war die Reihe, zu erstaunen, an mir. Dieser Muhammedaner kannte die Briefe an die Korinther! Er fuhr gleich fort:

»Durch das Zusammenwirken der Seele und des Leibes in diesem Leben bildet sich ein zweiter, für uns unsichtbarer Leib, welcher, für uns unbemerkbar, die Poren des irdischen durchdringt und die Verbindung zwischen ihm und der Seele herstellt; er entsteht aus den unwägbaren Stoffen des sterblichen Leibes und geht nicht mit diesem verloren, sondern begleitet die Seele in die Ewigkeit. Dieser für unser Auge nicht erkennbare Leib ist es, welchen der Apostel, also auch die Bibel meint, wenn von der Kijahma des Leibes die Rede ist.«

»Das war so ungefähr die Ansicht des Abu en Nasranija (Kirchenvater) Origenes.«

Jetzt wunderte wieder er sich über mich.

»Du kennst Origenes?« rief er aus. »So bist du ja noch unterrichteter, als ich dachte! So wirst du mich also vielleicht verstehen, wenn ich sage, daß ich den Tod nicht fürchte, weil er nichts weiter ist als die Ablegung des groben Kleides, weiches hier die Seele und den geistigen Leib zu schützen hatte. Beide bedürfen nach dem Tode dieses Schutzes nicht mehr. Freilich ist das Ablegen dieses groben Leibes, also der Tod, nicht so leicht und so schmerzlos wie das Entfernen eines gewöhnlichen Gewandes, und darum erschrak ich vorhin, als du sagtest, daß ich scheintot gewesen sei. Ich kann nicht glauben, daß dies richtig ist, sondern nehme vielmehr an, daß du dich geirrt hast. Mein Körper ist es gewöhnt, von der Seele zeitweilig verlassen zu werden, und wenn sie in diesem Falle zwei Tage abwesend gewesen ist, also viel länger als es sonst der Fall zu sein pflegte, so darf man dies doch noch nicht als Scheintod bezeichnen, von weichem es nur ein kleiner Schritt ins Grab hinunter ist.«

Bei dieser Äußerung, die geeignet war, unser um die Errettung des Müned‘schi wohlerworbenes Verdienst zu schmälern, nahm Halef das Wort. Der letzte Teil des Gespräches hatte ihm schon nicht gefallen, und nun er glaubte, um den Dank, welchen er beanspruchte, gebracht werden zu sollen, fuhr er in beinahe zornigem Tone auf:

»Noch ein Schritt? Also denkst du, dich noch außerhalb desselben befunden zu haben? Du lagst ja schon drin, vollständig drin im Grabe, und es war auch schon fast ganz zugeworfen; nur dein Gesicht war noch frei! Wenn deine Seele die üble Angewohnheit hat, den Körper öfters zu verlassen, um neugierig in der Weit herumspazieren zu gehen, so kann ich nichts dagegen haben, denn sie ist nicht meine Seele, welcher ich solche Unbedachtsamkeiten freilich nicht gestatten würde, denn wenn sie einmal den Rückweg verlieren oder gar vielleicht vergessen sollte, wem sie angehört, so irrt sie dann als unernährte, gattenlose Witwe im Weltall herum, und ich liege da, ohne zu wissen, wo ich sie zu suchen habe und wen ich nach ihr schicken soll! Daß mir das, und warum es mir im höchsten Grade unangenehm sein würde, das brauche ich dir wohl nicht erst lange zu erklären! Es will doch jeder vernünftige Mensch im faktischen Besitze seiner rechtmäßigen Seele sein, ohne ihr gestatten zu müssen, mit freundlichem Lächeln wie die Frauen und Töchter des Abendlandes auf den Eisenbahnen herumzufahren. Beliebt es dir, von dieser vorsichtigen Behandlung der Bewohnerin deines Körpers eine Ausnahme zu machen, so habe ich, wie bereits gesagt, nichts dagegen einzuwenden, zumal du uns mitgeteilt hast, daß sie bisher stets schon nach kurzer Zeit und pünktlich wieder zurückgekehrt ist, obwohl für eine leichtsinnige Seele auch das schon vollständig genügt, verschiedene Allotria und sonstige Dinge zu treiben, die ihr eigentlich verboten sind. Aber bedenklich, höchst bedenklich wird die Sache, wenn sie auf einmal anfängt, gleich zwei volle Tage wegzubleiben! Das ist doch unbedingt gegen den inzwischen leblosen Körper eine Rücksichtslosigkeit, die er sich unmöglich gefallen lassen kann, zumal es ihm in seiner Pflichttreue und Ordnungsliebe niemals eingefallen ist, auch einmal ohne sie spazieren zu gehen und sie einsam und ohne Subsistenzmittel zu Hause sitzen zu lassen! Daß du dir auch das gefallen lassen willst, nun, ich kann es ja nicht ändern, sondern nur sagen, daß ich an deiner Stelle sehr energische Maßregeln ergreifen und ihr den Standpunkt so klar machen würde, wie es einer solchen, gern aussichtslos herumstreifenden Seele gegenüber nur immer möglich ist. Das Schlimmste aber, ja das Allerschlimmste, was dabei zum Vorschein kommt, ist die Täuschung, in weicher du dich in Beziehung auf deinen von ihr so leichtfertig verlassenen Leib befindest! Du scheinst nämlich zu glauben, daß ihm diese ihre Flatterhaftigkeit nichts schaden könnte; ja, du stellst sogar die Behauptung auf, daß du gar nicht scheintot gewesen seiest. O Münedschi, auf deine Seele ist selbst dann kein Verlaß, wenn sie sich daheim in deinem Körper befindet, denn sonst würdest du ganz gewiß anders sprechen! Ich sehe ein, daß ich dir zu Hilfe kommen muß, indem ich dir der Wahrheit nach berichte, wann, wo und wie wir dich gefunden und dann ausgegraben haben. Höre mich also an!

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
590 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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