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Kitabı oku: «Am Jenseits», sayfa 7

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Es folgte nun ein sehr lebendiger und stellenweise sehr drastischer Bericht über die Begebenheit, von dem Augenblicke, an weichem wir die Geier bemerkt hatten, bis zum gegenwärtigen. Nun erst erfuhr der Blinde in ausführlicher Weise, daß und warum seine Gefährten ihn wirklich verlassen hatten; er sah ein, daß er wirklich begraben gewesen war, und nun stellte sich die Angst nachträglich bei ihm ein. Er holte den bis jetzt versäumten Ausdruck des Dankes in einer Weise nach, weiche selbst den in dieser Beziehung sehr anspruchsvollen Halef befriedigte. Zu der Angst und dem Gefühle der Dankespflicht gesellte sich dann die schwere Sorge wegen seiner Hilflosigkeit. Was sollte nun aus ihm werden? Seine Bekannten hatten ihn begraben, und er befand sich blind und ohne alle Mittel zum Weiterkommen unter fremden Leuten! Da verstand es sich dann ganz von selbst, daß wir ihn unsers gern verliehenen Beistandes versicherten. Wir wollten ja auch nach Mekka, hatten also gleichen Weg mit ihm und brachten gar kein Opfer, wenn wir eines unserer Kamele für ihn bestimmten. Er war, als er dieses hörte, natürlich hoch erfreut und erklärte sich für kräftig genug, gleich mit uns aufzubrechen.

Ich glaubte, Grund zu haben, dieser seiner vermeintlichen Kraft kein allzu großes Vertrauen schenken zu dürfen. Er hatte, seit wir von dem Grabe weggegangen waren und hier auf dem Teppiche saßen, gequalmt wie um mich eines landläufigen Ausdruckes zu bedienen wie ein Stadtsoldat und den Tschibuk achtmal ausgeraucht; ich mußte ihn zu den stärksten Rauchern zählen, die ich kennen gelernt hatte. Wahrscheinlich war sein ganzer Körper vom Gifte des Tabakes durchzogen und sein Magen vollständig verdorben worden. Daher die Behauptung, daß er selbst jetzt, nach so langem Fasten, keinen Hunger habe. Ich erklärte, daß wir den Weiterritt nicht eher antreten würden, als bis er tüchtig gegessen habe, und hielt auch Wort, obwohl es fast des Zwanges bedurfte, die reichliche Portion zu verzehren, welche Hanneh ihm aus unsern Vorratstaschen brachte. Ohne ein Augenarzt zu sein, konnte ich mich der Meinung nicht erwehren, daß auch seine Blindheit in enger Beziehung zu diesem starken Rauchen stehe, und daß ich da recht hatte, bewies mir dann die spätere Zeit.

Übrigens war es mir gar nicht unlieb, diesen Mann hier unterwegs getroffen zu haben. Obgleich blind, kannte er Mekka doch jedenfalls besser als wir und konnte uns also, wenn nicht durch die Tat, so doch durch seinen Rat wohl nützlich werden. Ferner war er an sich eine interessante Persönlichkeit. Und drittens besaß er für mich den Reiz des Geheimnisvollen. Ich hegte die Vermutung, daß er das nicht sei, als was er gelten wollte, und hatte meine Gründe dazu.

Daß er ein Gelehrter, und zwar kein gewöhnlicher, war, hatte er bewiesen. Er kannte sogar die Bibel, ein höchst seltener Fall. Auch in der Theologie der alten Perser war er bewandert! Das mußte mehr als bloß meine Aufmerksamkeit erregen. Sodann hatte er erzählt, daß er als reicher Mann nach Mekka gekommen sei. Das wollte nicht mit den geringen Einnahmen eines morgenländischen Gelehrten stimmen. Auch seine Ausdrucksweise war mir aufgefallen, Sie war nicht die umschreibende, bilderreiche eines geborenen Orientalen, sondern eher diejenige eines Europäers, der sich allerdings schon seit langer Zeit im Morgenlande befunden hat. Er drückte sich bestimmt und ohne Anwendung von Tropen aus. Auch auf seine Aussprache einiger arabischer Laute war ich aufmerksam geworden. Die beiden Ha, das Ain, den Unterschied zwischen dem‘ Sin und Sad, des Rain, Ren oder Ghen, das erste Kaf, das alles brachte er nicht so heraus, wie ein Eingeboreneres bringt. Auch hatte er sich einiger Worte bedient, welche dem Araber zwar auch, aber nicht in dem gebrauchten Zusammenhange geläufig sind. Es ist da wohl kein Wunder, wenn ich sage, daß er mir ein Rätsel war.

Wenn ich weitergehen will, so war mir auch sein Verhältnis zu EI Ghani unklar geblieben, nicht etwa, weil er so wenig darüber gesagt hatte, denn diese Zurückhaltung war Fremden gegenüber wohl begreiflich; aber er schien außer der Dankbarkeit für empfangene Wohltaten noch etwas für oder gegen diesen Mann zu empfinden, was er sich bemühte, zu verheimlichen. Warum hatte der vornehme Mekkaner den Blinden mit nach Meschhed Ali genommen, dem alten, gebrechlichen Manne also einen so weiten, beschwerlichen Weg zugemutet? Um sich seiner als Dolmetscher zu bedienen? Gewiß nicht! Es gibt in Mekka junge, kräftige Leute mehr als genug, welche des Persischen mächtig sind und unter denen er nur zu wählen brauchte. Hatte er das etwa aus Geiz nicht getan, weil er einen Dolmetscher hätte bezahlen müssen? Vielleicht war dies ein Nebengrund, aber der Hauptgrund sicher nicht, denn jeder halbwegs gebildete Perser spricht auch arabisch, und so wäre EI Ghani in Meschhed Ali mit seinem Arabisch ganz gut ausgekommen. Es lag da jedenfalls etwas vor, was niemand, am allerwenigsten ein Fremder, erfahren sollte!

Am meisten interessierte mich natürlich sein krankhafter Zustand, welchen er mit den Worten bezeichnet hatte; »Mein Körper ist es gewöhnt, von der Seele zeitweilig verlassen zu werden«. Tiefe und längere Ohnmachten kommen bei verschiedenen, auch habituellen, Krankheiten vor. War er epileptisch, hysterisch, gar somnambul, oder was sonst? Jedenfalls nervenkrank! Er behauptete, während dieser Ohnmachten in einer andern Weit zu sein und sich dessen ganz genau erinnern zu können. Um meine größte Teilnahme zu gewinnen, hätte er gar nicht mehr zu sagen gebraucht! Ich bin ein sehr nüchterner Mann und jeder Phantasterei abgeneigt, ich nehme nur das als wahr und richtig hin, was ich mit kalten Sinnen geprüft und als echt erkannt habe; aber trotzdem oder vielleicht grad darum »schau ich gern in solche Ecken, wo geheime Sachen stecken«, selbst wenn es geistige Ecken oder Winkel sind, und hinter diesen Ohnmachten des Münedschi war etwas verborgen, was meine Neu oder vielmehr Wißbegierde reizte. Ich gestehe es aufrichtig.

Aus alt diesen verschiedenen Gründen war mir das Zusammentreffen mit ihm ganz recht, und wenn ich auch gar nichts anderes zu erwarten gehabt hätte, er war eine Person, mit welcher ich mich unterhalten konnte. Trotz der scheinbaren Überzeugung, mit welcher er von den Lehren und Satzungen des Islam gesprochen hatte, glaubte ich bemerkt zu haben, daß der Boden, auf weichem er in Beziehung auf den Glauben stand, unter ihm ins Wanken geraten, vielleicht niemals fest und sicher gewesen war. Mit solchen nach der Wahrheit Strebenden verkehre ich gern, denn wer sein höchstes Glück bei Gott gesucht und auch gefunden hat, der möchte auch gern andere glücklich machen!

Was El Ghani betrifft, weicher uns mit Drohungen verlassen hatte, so dachte ich jetzt mit weniger Sorge an ihn als vorher, falls der Ausdruck Sorge da der richtige gewesen wäre. Es war kein klares, bestimmtes, definierbares Gefühl, weiches in mir lag, aber es machte sich doch bemerkbar und wurde auch verstanden, nämlich daß unsere Bekanntschaft mit El Münedschi uns in dieser Beziehung von Nutzen sein werde. Derartige Vorgefühle, und wenn sie sich noch so leise bemerkbar machten, haben mich fast nie getäuscht.

Es wurde dem Alten der bequemste Sattel, den wir hatten, mit Decken und weichen Tüchern so vorgerichtet, daß er da behaglich wie in einem Lehnstuhle sitzen konnte. Ehe er aufstieg, bat er uns, ihn an das Grab zu führen; wenn er es auch nicht sehen könne, so wolle er doch wenigstens mit den Händen einmal nach dem Orte schauen, welcher beinahe sein Grab geworden wäre. Nicht einer von uns, sondern Hanneh nahm ihn bei der Hand, um ihn hinzuleiten, indem sie sagte:

»Diese deine jetzige Kijahma ist eine irdische, bei weicher dir deine Augen nicht den Ort der Auferstehung zeigen; wenn aber einst deine wirkliche, deine himmlische Kijahma kommt, so werden sie geöffnet sein, und du wirst mit ihnen das Land der Herrlichkeit sehen, welches Allah allen denen bereitet hat, die reinen, Herzens sind und ihn und seine Menschenkinder lieben. Allah jekuhn ma‘ak – Gott sei mit dir!«

El Kanz el A‘da

Unser heutiger Ritt hatte den Bir Hilu (süßer Brunnen) zum Ziele, weicher nicht auf dem nordsüdlichen Karawanenwege, sondern weit seitwärts von demselben liegt. Daß er auch von El Ghani genannt worden und ihm also bekannt war, lieferte mir den Beweis, daß dieser Mekkaner sich nicht immer nur in der Stadt des Propheten aufgehalten, sondern auch die Wüste ziemlich genau kennen gelernt haben mußte.

Die Wüste!

Ich habe sie und ihre verschiedenen Arten schon sooft beschrieben, daß ich mich nicht wiederholen darf. Ihre Physiographie ist bekannter als die bisher noch kaum gewürdigte Bedeutung, welche sie als Erzieherin des sie betretenden oder ihre Wahat (Oasen) bewohnenden Menschen besitzt. Wie die Prärie ein nur ihr eigenartiges Leben und die nur auf ihr möglichen Gestalten entwickelt, so hat auch die Wüste ihre besonderen Pflanzen-, Tier-, Menschen— und überhaupt Lebensformen, welche man in anderen Gegenden vergeblich suchen würde. Damit würde Freiligrath, wenn er es mit seinem ,.Wüstenkönig ist der Löwe« ernstgemeint hätte, allerdings nicht einverstanden sein, denn »der Löwe kommt auch in anderen Gegenden als nur in der Wüste vor«, würde er sagen; aber ich habe trotzdem recht, denn wenn der Löwe wirklich einmal in der Wüste vorkommt, so ist es doch nur am Rande derselben, und er hat sich verlaufen. Er braucht als Fleischfresser viel Wasser und ist also nichts weniger als ein Wüstentier, wie ja auch die Giraffe, auf welcher er seinen berühmten »Löwenritt« ausführt, es in der Wüste nicht viel länger als einen Tag aushalten würde.

Der Mensch hat die Gabe, sich den Naturverhältnissen des von ihm zum Aufenthalte gewählten Landes anzubequemen; er wird je länger desto mehr ein Sohn desselben, indem er die Eigenart des Bodens annimmt, der seine Wohnung trägt, mag diese nun eine festgegründete oder ambulante sein. So auch der Wüstenbewohner. Ich gestatte mir nämlich dieses eigentlich grundfalsche Wort, weil es sich nun einmal eingebürgert hat. Die Wüste ist ja unbewohnt, und, wenn sie von Karawanenpfaden durchzogen wird, kann doch nur von Wanderern, nicht aber von Bewohnern gesprochen werden.

Die Wüste liegt weit und flehend ausgebreitet wie ein endloses Gebet zu Gott um Gnade und Barmherzigkeit. Sie ist ein tief ergreifendes Bild irdischer Armut und Hilflosigkeit. Sonnendurchglüht, kahl und nackt ragen ihre Felsen empor, oft grotesk, phantastisch geformt, oft kühn vereinzelt, oft zu gemeinschaftlichen, wilden Zügen vereint, bald in seltsamen Gliederungen aufgebaut, so daß man zerfallene Städte, verödete Schlösser und Burgen oder prächtige Säulenhallen in der Ferne zu erblicken meint, bald wieder wie von der Faust eines unerbittlichen Schicksales niedergeschmettert, breitgedrückt, zerrissen und zerklüftet, von gähnenden Abgründen durchzogen, in deren Tiefe selbst die Glut der äquatorialen Sonne nicht zu dringen vermag. Gleicht dieses Bild nicht ganz genau der Geschichte dieses scheinbar, aber eben auch nur scheinbar von Gott verlassenen Landes?

Diesen oft gen Himmel ragenden Reliefs folgt das Warr, jene von zerstampften, wild durcheinander geworfenen Felsenmassen bedeckte Wüste, welche das Aussehen hat, als ob der Teufel im Zorne über seine Verstoßung hier eine ganze Weit zerschmettert und dann die Trümmerbrocken umhergewirbelt habe. In allen Größen liegen sie da, diese Steinblöcke, hier nur einer, nur zwei oder drei, dort hoch aufeinander getürmt, als ob der Böse dann »Markenumgang« in seinem Innern gehalten und jede einzelne Sünde, jedes einzelne Laster desselben mit einem aus zermalmten Bergen bestehenden Schandmale bezeichnet habe. Rundum bis an den Horizont, so weit das Auge reicht, sind diese Zeichen zu sehen, und je weiter er sich dehnt, desto größer wird ihre Menge. Zwischen ihnen liegen die Felsenbrocken gesäet wie unzählbare Körner von tausend Höllenfrüchten, die in der Wüstensonne nachreifen und sich schwärzen sollen. Den einsamen Wanderer durchschauert es trotz der glühenden Hitze; er treibt sein Kamel an, um schnell weiter zu kommen, und ruft: »Allah beschütze und behüte mich!«

Dann kommt die Wüste, in weicher der Sand sich mit dem Wasser vermählt. Dort im Westen, Tagereisen weit von hier, liegt die glatte Ebene des Sandes. Der stets vorherrschende Westwind streicht über sie und nimmt die feinsten, leichtesten Körnchen mit, um sie an jedem festeren Punkte, an jeder noch so kleinen Erhöhung abzusetzen. Die Erhöhung wird größer; sie wächst von Tag zu Tag. Der West baut höher auf, und die mit der Sonne gehenden Nebenwinde helfen ihm. Der von ihm getriebene Sand wird bis zur Spitze gehoben, und was nicht da liegen bleibt, fällt jenseits herab. Das gibt ein leises, süßes, metallisches Klingen und Tönen. »Die Engel flüstern«, sagt der Beduine, wenn er, halb schlafend und halb wachend, es während der Nacht hört. Das ist die Wüste der Sandhügel. Die feinen, klingenden Körner wandern weiter und immer weiter; sie erreichen das Warr; sie füllen seine Löcher und Vertiefungen, seine Zwischenräume aus; sie steigen an seinen Trümmern empor und hüllen sie, die harten, mit weichem Mantel ein, geben seinen scharfen Linien Milderung und verwandeln die rohen Trümmerhaufen nach und nach in sanfte Hügelwellen: Die flüsternden Engel decken das Teufelswerk in liebevoller, nie ruhender Arbeit zu.

Und weit, weit draußen endlich dehnt sich die von keiner Erhöhung unterbrochene, ewig gleiche Sahar, die Wüste des toten Sandes. Die Tageshitze liegt in sichtbarer Verdichtung manneshoch auf ihr; der Himmel zieht sich wie flüssiges Blei darüber hin und scheint sich am Horizonte mit einem Meere von glühendem Erze zu vereinigen; eine Grenzlinie zwischen beiden gibt es tagelang nicht. Das Auge brennt, der Sehnerv versagt ermüdet seine Tätigkeit, denn der sehnsüchtige Blick findet keinen Punkt, an dem er ruhen könnte. Der Sinn für die Entfernung geht verloren; man glaubt, inmitten einer halt— und gestaltlosen Ewigkeit zu reiten, und verliert in ihr den eigenen Halt. Die Tatkraft schwindet; der Wille wird verzehrt; die Schärfe der Sinne nimmt ab, und an die Stelle fehlender Wahrnehmungen treten Haluzinationen, welche das, was man wünscht, vortäuscht und vorgaukeln. Darum ist diese Wüste das eigentliche Gebiet der Fata morgana, wie sie auch den Hauptbereich der verderblichen Sandstürme bildet, denen schon mancher einzelne Wanderer und manche vollzählige Karawane zum Opfer gefallen ist. Weiches Entzücken dann der Anblick einer wirklichen, nicht vorgespiegelten Oase hervorbringt, das zu beschreiben, fehlen die Worte!

Und genau so, wie die Wüste ist, ist auch ihr Bewohner. In seinem Innern wohnt dieselbe Glut, unter welcher die Gebilde seiner Seele zu seltsamen, oft ungeheuerlichen, oft zauberischen, zuweilen auch wohl anmutigen Formen erstarren. Hilflos, hungrig und dürstend wie das steile Warr und der brennende Sand breitet sich sein Leben vom ersten bis zum letzten Tage dem Himmel entgegen, stets der Barmherzigkeit Allahs gewärtig. Daher seine tiefe Religiosität, deren äußerer Eindruck aber an tote, ermüdende Formeln gebunden ist. Die unerbittliche Strenge der Wüste macht ihn äußerlich ernst und innerlich hart; wie sie grausam ist gegen ihn, so ist auch er rücksichtslos gegen andere, ihm nicht nahestehende Wesen. Genau so unbeugsam, wie ihre Gesetze sind, besteht auch er auf der Unfehlbarkeit seiner Meinungen und auf der Überlegenheit seines Willens. Ihre Temperaturunterschiede sprechen sich in seinen Regungen aus; was ihn am Tage begeisterte, kann er am Abende schon kalt und verächtlich von sich werfen. Das Weib, welches er jetzt glühend liebt, kann er schon nach einigen Stunden durch die gesetzlich gültige Formel »Du bist geschieden« von sich jagen. Liebe, besonders Nächstenliebe, die zweite große Forderung der Christuslehre, kennt er überhaupt nicht, wie ja auch die Wüste nichts weniger als liebreich gegen ihn ist. Wie sie nichts gibt, sondern nur Opfer fordert, so ist auch er nur Egoist und will sogar den Himmel für sich allein haben. Hat sie den ganzen Tag gedürstet, so saugt sie den Tau der Nacht bis auf den letzten Tropfen auf; in derselben Weise unterwirft auch er sich geduldig allen Entbehrungen, um sich dann dem Genusse ohne Maß und Selbstbeherrschung zu ergeben. Da sein ganzes inneres Leben ein, nur von einigen Brunnen unterbrochenes, Wandern durch die Öde ist, schmückt er sich das Jenseits in den glühendsten Farben als paradiesische Oase aus, wo er ununterbrochen in Freuden schwelgt, von denen ihm das irdische Leben nur zuweilen einen leisen, kurzen Vorgeschmack bietet. Wie seine Leiden und Entbehrungen materielle sind, so sind auch die Ziele seiner Wünsche und Bestrebungen meist materieller Art; der Wüstensohn hat kein Gemüt; darum kann er sich weder ein irdisches Glück noch seine einstige Seligkeit rein herzlich denken. Der Boden seiner Seele gleicht der Felsen, der Trümmer und der Tiefsandwüste. Seltsam, verworren, abenteuerlich steigt es, oft mit elementarer Gewalt, von da unten auf; der heiße Samum (Wüstenwind) fegt darüber hin und wirbelt tödliche, wie von höllischem Feuer gefärbte Sandwolken vor sich her. Aber wie die Wüste ist auch diese Seele nicht ohne Tau, und wie sich unter der Wüstendecke genug befruchtendes Wasser befindet, nach weichem man nur zu bohren braucht, um es klar und heil hervorsprudeln zu sehen, so sind auch ihr die geistigen Vorbedingungen der wirtschaftlichen, ethischen und religiösen Gesittung nicht versagt. Wo aber sind die rechten Pioniere, welche den wirklichen, echten, selbstlosen Beruf in sich tragen, nach diesem Wasser zu bohren? Wer hier durch artesische Brunnen helfen will, der darf dies nicht von der Berechnung abhängig machen, zu welchem Prozentsatze sich das dabei angelegte Kapital verzinsen wird, auch muß er zunächst auf diejenige religiöse Aggressivität verzichten, weiche dort den sofortigen, fanatischesten Widerstand hervorrufen und alles verderben, wenigstens das Gelingen auf unabsehbare Zeit hinausschieben würde. Es gibt Kapitalanlagen, welche der Herrgott in sein Buch einträgt, um erst am großen Tage der Abrechnung Soll und Haben zu vergleichen, und derjenige Mann oder dasjenige Volk ist der beste Missionar, weicher den Andersgläubigen mehr durch sein Leben als durch seine Lehren zu überzeugen sucht. Ein Gott wohlgefälliges und den Mitmenschen nützliches Leben ist die einzig richtige Vorbereitung des Bodens zu der Saat, die dann allerdings durch die Predigt in Worten zu geschehen hat.

Komm mit mir im Geiste in die Wüste, lieber Leser! Du hast gelernt, die Bedürfnisse deines Körpers auf das allergeringste Maß herabzumindern. Der Hunger ficht dich nicht mehr an, und auch den Durst hast du bis zum gebotenen Grade zu beherrschen gelernt. Du bist auf Fasten gestellt und wirst nun die Erfahrung machen, daß jetzt die Tätigkeit des Geistes diejenige des Körpers überragt. Das ist der Grund, weshalb selbst bei halb oder gar nicht zivilisierten Völkern vor wichtigen Wendepunkten im Leben des Einzelnen oder auch der Gesamtheit ein Fasten vorgeschrieben ist. Sogar der Indianer fastet längere Zeit vor der Zeremonie des Namengebens oder vor der Wahl der Medizin. Es ist, als ob die Seele freier geworden und in ihren Funktionen weniger gehemmt sei als vorher. Deine geistigen Sinne scheinen doppelte Schärfe und deine Gedanken Flügel bekommen zu haben. Du lebst mehr innerlich als äußerlich. Du hast dich an den schaukelnden Gang des Kamels gewöhnt; er stört dich nicht mehr. Im hohen Sattel des Hedschihn sitzend, achtest du nicht auf die Bewegungen des Tieres, dessen weiche, elastische Schritte nicht bis zu dir heraufwirken . Reitest du durch die Hochfelsenwüste oder durch das Warr, so fühlst du dich als körperliches Individuum so klein, so nichtig, so verlassen in diesem überwältigenden Stein und Trümmermeere; reitest du über den glatten Sandozean, so siehst du ihn nicht hinter dir verschwinden, während er sich aber vor dir immer weiter und weiter ausbreitet. Es gibt keinen Anfang und kein Ende, keine Grenze hier, denn der Horizont ist zur Vermählung des Himmels mit der Erde geworden, die zwischen beiden keine Linie mehr kennt. Du weißt nicht, wo das Unten aufhört und das Oben beginnt, und hast das Gefühl, als ob die über dir glühende Sonne die Erde und dich mit ihr immer auf und stetig aufwärts ziehe. Und wie du Himmel und Erde nicht mehr zu trennen vermagst, so schaust du zu gleicher Zeit nach außen und nach innen. Die Endlosigkeit vor deinem körperlichen Auge ist gleich der unmeßbaren Weite, welche vor deinem geistigen liegt. Dein Leib wird fortgetragen, ohne daß du es fühlst, und deine Seele fliegt. Dein Leib? Du hast keinen Leib mehr; du bist nur Seele, nichts als Seele. Der Leib ist in dieser Grenzenlosigkeit immer leichter und leichter, immer nichtiger und nichtiger geworden, bis er als ein Nichts in der Unendlichkeit dir aus den Gedanken schwand. Aber daß deine Seele besteht, bestehen muß und auch fortbestehen wird, das ist dir zu einer Klarheit geworden, gegen die kein Hauch des Zweifels möglich ist. Du selbst bist ja diese Seele und kannst kein Ende nehmen, wie es hier überhaupt kein Ende gibt! Der Zweifel kann nur auf der Erde wohnen, und du befindest dich ja nicht mehr auf ihr. Du bist jetzt überirdisch und atmest im seligen Reiche der Zuversicht zu dem, der da ist das ewige Leben und dessen Eigentum du bist. Du fühlst es, und du weißt es, daß es von jetzt an keine Macht mehr gibt, der es gelingen kann, dich in der Überzeugung deiner Unsterblichkeit irre zu machen.

Da hörst du Worte; sie klingen wie aus weiter, weiter Ferne zu dir, aber sie rufen dich doch zur Erde zurück. Du bist nicht mehr jenseits, sondern diesseits unserer Grenzen und siehst, daß der Schech el Dschemali (Karawanenführer) es ist, der gesprochen hat. Er deutet vorwärts, und indem du diesem Fingerzeige mit dem Auge folgst, bemerkst du eine Karawane, welche weit draußen in der Wüste vorüberzieht. Ihr Führer trennt sich von ihr und der eurige von euch. Beide reiten einander entgegen, um Frage und Antwort auszutauschen, während beide Karawanen ihres Weges weiterziehen. Du staunst über den Anblick dieser fremden Wanderer; du fragst dich, ob das die Wirklichkeit oder eine Phantasmagorie sei. Die Gestalten sind von zwei horizontalen Linien durchschnitten, zwischen denen sich nichts befindet; unter ihnen siehst du die langen, weiterschreitenden Beine und die halben Leiber der Kamele, während über ihnen die oberen Leibeshälften mit den Reitern in der Luft zu schweben scheinen; der eine Teil des Bildes ist senkrecht; der andere schräg. Die Ursache davon hast du in den von der Erde zurückgeworfenen Sonnenstrahlen zu suchen; das sagt dir das eigentümliche Zittern der zerschnittenen Gestalten. Wer sind sie? Wo kommen sie her, wo gehen sie hin? Der Schech el Dschemali wird es erfahren und euch sagen. Aber wer sie auch sein mögen, sie befinden sich in derselben Wüste und haben ganz dasselbe empfunden und gedacht wie du. Es gibt unter ihnen keinen, der an dem Dasein Gottes und an dem ewigen Leben Zweifel hegt, denn die Seele jedes von ihnen ist da oben gewesen, wo jetzt auch die deine war.

Der Tag vergeht, und um die Zeit des Moghreb wird Halt gemacht. Das Lager wird gebildet und dann das Wasser ausgeteilt. Wie erhebend klingt dann der Ruf:

»Hai‘alas Salah, hai‘alal Felah; Allah akbar; la Ilaha il Allah – – – auf zum Gebete, auf zum Heil; Gott ist sehr groß; es gibt keinen Gott außer Gott!«

Nach dem raschen Hereinbruche der Dunkelheit wird noch das Abendgebet gesprochen; dann hüllt ihr euch in eure Decken; die Beduinen schlafen; du aber hast die Augen offen, denn die Sterne Gottes sind aufgegangen, hier in größerer Pracht und Herrlichkeit als anderswo. Sie ziehen mit magischer Gewalt deinen Blick zu sich hinauf und mit ihm deine Seele mit allen ihren Gedanken.

Du denkst zunächst des heimatlichen Himmels, der andere Bilder hat als dieser südlichere. Das liebe Vaterhaus mit allen, die in ihm wohnen, kommt dir in den Sinn. Dein Herz eilt hin zu ihnen, denen deine Liebe gehört. Du hältst Heimkehr aus der Wüste, aus der fernen Fremde in die Heimat, die dich geboren hat. Aber der Glanz der Sterne zieht dich wieder her, ohne daß du das Gefühl, daheim zu sein, verlierst. Bist du nicht auch hier daheim, an der Seite des himmlischen Vaters, von welchem Jesaias sagt: »Kann denn ein Weib ihres Kindes vergessen, daß sie sich nicht erbarmte des Sohnes ihres Leibes? Und wenn sie es vergäße, so wollte doch ich dich nicht vergessen!« So wird dir selbst die Wüste zum Heim, und auch die Sterne grüßen dich nicht fremd. Es ist, als ob sie liebe, verheißungsvolle Worte herniederflimmerten von den Wohnungen im Hause des Vaters, welche Christus uns bereitet hat. Ist es nicht wunderbar, daß diese Sonnen und Welten, millionenmal größer als unsere winzige Erde, dich nicht erschrecken, sondern vielmehr deinen Glauben und dein Vertrauen stärken? Es drückt dich nicht nieder, daß sie schon Milliarden von Jahren bestanden haben und noch Billionen von Jahren bestehen werden, während dein Leben höchstens siebzig Jahre währt, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre. Und du tust wohl daran, so zuversichtlich zu sein, denn Christus sagt: »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen!« Und diese Worte, welche ewig bleiben, sind die Worte von der Liebe, von der Liebe des Vaters, dessen Kinder wir sind für Zeit und Ewigkeit. Bist du ein guter Mensch, so schau hinauf zum Himmel und sag: Hast du nicht jeden einzelnen dieser lichten Sterne lieb? Sag »Nein«, wenn du es vermagst! Höre die Worte, welche einst nach meinem Tode mit meinen andern Gedichten veröffentlicht werden:

Ich fragte zu den Sternen

Wohl auf in stiller Nacht,

Ob dort in jenen Fernen

Die Liebe mein gedacht.

Da kam ein Strahl hernieder,

Helleuchtend, in mein Herz

Und nahm alle meine Lieder

Zu dir, Gott, himmelwärts.

Ich fragte zu den Sternen

Wohl auf in stiller Nacht,

Warum in jene Fernen

Er sie emporgebracht.

Da kam die Antwort nieder:

»Denk nicht an irdschen Ruhm;

Ich lieh dir diese Lieder;

Sie sind mein Eigentum!«

Ich fragte zu den Sternen

Wohl auf in stiller Nacht:

»Gilt denn in jenen Fernen

Auch mir die Himmelspracht?«

Da klang es heilig wieder:

»Du gingst von mir einst aus

Und kehrst wie deine Lieder

Zurück ins Vaterhaus!«

Schau, so fest und sicher ist mein Glaube, so unerschütterlich und freudig mein Vertrauen, daß diese Sterne wohl leichter ihr Licht verlieren, obgleich ihr Dasein nach Jahrmillionen zählt, als daß ich, das noch nicht sechzig kurze Jahre alte Menschenkind, von meiner Zuversicht zum Vater lassen würde, in dessen Haus auch mir ein Platz bereitet ist, wenn ich mich seiner nicht unwürdig mache!

Sieh die Wüste im Glanze dieser Sterne liegen! Geht er nicht vom Vater aus? Oder denkst du, daß er einen andern Urquell habe, den du mit Hilfe deiner sogenannten Wissenschaft erreichen und chemisch begutächteln kannst, um ihn dann in Flaschen mit patentiertem Gummiverschluß per Reklame zum Verkaufe en gros und en detail auszubieten? Ich sage dir, die einzige, untrügliche, also wahre Wissenschaft ist Gottes Allweisheit, und der Glanz, welcher von dieser Weisheit aus über alle Welten strahlt, kann von keines Menschen Sohn auf dem Wege der Wissenschaft bis an seinen Quell zurückverfolgt werden. Wenn Camille Flammarion, der bekannte französische Astronom, mit Hilfe des elektrischen Lichtes mit den Bewohnern des Mars sprechen will, so sind erst Vorfragen zu erledigen, die vielleicht in Jahrtausenden noch nicht beantwortet sind, und selbst wenn ihm dies gelänge, so hätte die Wissenschaft eine Linie nur bis zum nächsten äußern Planeten gezogen, was den unzählbaren Fixsternen und ihren unmeßbaren Entfernungen gegenüber nicht einmal als Anfang bezeichnet werden könnte. Es würde das ungefähr dasselbe sein, wie wenn der kleine, bewegliche Goldfisch in meinem Aquarium auf den Gedanken käme, den fernen Titicacasee einer ichthyographischen Untersuchung zu unterwerfen. Mein Halef nennt die Sterne am liebsten Ujun es Sema, Himmelsaugen, und als ich ihn einmal nach dem Grunde fragte, antwortete er: »Wenn ich in stiller Nacht unter dem glänzenden Firmamente liege, ist es mir, als schaue Allah mit tausend hellen, lieben, gütigen Sternenaugen aus dem Himmel auf mich hernieder, um mir zu sagen, daß ich in seinem Schutze ruhig und sicher schlafen könne. 0 Sihdi, ich habe diese freundlichen Ujun es Sema so herzlich lieb!«

Wenn dann der Mond erscheint und seinen lichten Schein mit ihren Strahlen vermählt, so liegt es wie ein durchsichtiges Meer von flüssigem Silber, dessen Kräuselungen im herrlichsten Perlmutterglanze flimmern, über die Wüste ausgebreitet. Ein so magisches, zauberisches Licht besitzt der Mond nirgend anderswo. In der bewegten Luft schweben seine Strahlen hin und her. Es geht die Fee der Wüste durch die helle Nacht. Der Saum ihres Gewandes streift leise über den Sand; ein Heer von Elfen fliegt umher, die Mondesstrahlen einzufangen, um die Gebieterin mit ihnen zu schmücken. Da werden spinnenfeine Lamettafäden zu glitzernden Shawls verwoben und mit sternleuchtenden Flimmern besetzt; smaragdene Kette und diamantener Einschlag bilden den Schleier, lang nachwehend wie ein schimmernder Duft. Aus brillantenen Szintillen entsteht das Diadem, funkelnd in märchenhafter Pracht. So schwebt sie dahin über lunarisch mild funkelnden Filigran, schöner noch als Scheheresades herrlichster Traum. Die am Tage so öde, todesstarre Wüste ist jetzt ein herrliches, geheimnisvolles Gedicht, von dessen Versen du nur den immer wiederkehrenden Refrain verstehst: »Lobe den Herrn, meine Seele, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobet den Herrn, ihr seine Engel, all seine Heerscharen, die ihr gewaltig seid an Kraft; vollziehet seinen Willen, die ihr seine Stimme hört!« Vernimmst du die Lobgesänge dieser Engel? Schließe die Augen, und lausche in dein Herz hinab! Auch dort sind leuchtende Sterne aufgegangen, und das Licht der Gottesnähe breitet sich über die erkenntnishungrige Einsamkeit. Es werden Stimmen laut in dir; beachte sie nur! Sie rufen dich von deinem bisherigen Pfade ab zum Karawanenwege der Gläubigen, der nach dem Lande der Verheißung führt. Deine Seele bricht auf, ihnen zu gehorchen; deinen müden Körper aber nimmt der Schlaf in seine Arme. Allah jebarik sik; Allah jatik nuro; leletak sa‘ide —

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
590 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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