Kitabı oku: «Der Schatz im Silbersee», sayfa 33
»Wer soll die Wunderbüchse des weißen Jägers anrühren?« fragte einer. »Sie geht von selber los und tötet denjenigen, welcher sie angreift, und noch viele andre dazu.«
»Wir lassen sie liegen und errichten auf ihr einen Steinhaufen, damit kein roter Mann die Hand an sie legt. Wo ist sie?«
Man suchte nach ihr, ohne sie zu finden; sie war verschwunden. Als der »große Wolf« Old Shatterhand nach ihr fragte, gab dieser keine Antwort. Als er vorhin im Kampfgewühle erwacht und aufgesprungen war, hatte man ihm den Stutzen aus der Hand gerissen und fortgeschleudert. Der Häuptling ließ Feuerbrände nehmen, um das klare, durchsichtige Wasser des Baches zu beleuchten. Derselbe war so seicht, daß man jedes auf seinem Grunde liegende Steinchen erkennen konnte, aber der Stutzen wurde nicht gesehen. Die Yampa-Utahs hatten das Gewehr am Tage in den Händen Old Shatterhands gesehen und konnten das Verschwinden desselben nicht begreifen. Vielleicht lag es in der Felsenspalte. Man untersuchte diese eine weite Strecke hinein, natürlich mit Hilfe von Bränden, doch auch vergeblich. Die Folge war, daß selbst diejenigen Roten, welche bisher noch gezweifelt hatten, daß das Gewehr Old Shatterhands übernatürliche Eigenschaften besitze, sich jetzt der Meinung der andern anschlossen. Die Zauberbüchse konnte, solange man hier verweilte, ihre unbegreiflichen Kräfte zur Geltung bringen, darum gebot der »große Wolf«, welchem es selbst unheimlich wurde: »Bindet die Gefangenen an die Pferde, und dann fort von hier! Ein böser Geist hat das Zaubergewehr verfertigt. Wir dürfen nicht hier bleiben, bis es uns seine Kugeln sendet.«
Diesem Befehle wurde augenblicklich Folge geleistet, und als die Roten aufbrachen, war seit dem Beginn des Kampfes nicht viel über eine Stunde vergangen.
»Nicht einer von ihnen wird die Sterne des morgenden Abends schauen,« hatte der Häuptling gesagt. Er glaubte, daß alle Weißen in seine Hände geraten seien, und doch war dies nicht der Fall. Es wurde bereits gesagt, daß Old Firehand einen Wachtposten in den Felsenspalt beordert habe, um einen Überfall durch die etwa zurückkehrenden Yampa-Utahs zu verhüten. Dieser Posten war – Droll, welcher erst nach zwei Stunden abgelöst werden sollte. Der Hobble-Frank hatte sich ihm freiwillig angeschlossen, um mit ihm von der lieben Heimat zu plaudern. Sie saßen, natürlich mit allen ihren Waffen versehen, in tiefer Finsternis, unterhielten sich flüsternd und lauschten zuweilen in den Felsenriß zurück, ob sich dort etwas hören lasse. Sie fühlten nicht die mindeste Müdigkeit, und es gab so viel zu erzählen, daß ihnen der Stoff gar nicht ausgehen konnte.
Da plötzlich hörten sie am Ausgange des Spaltes ein Geräusch, welches sehr geeignet war, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
»Horch!« flüsterte Frank dem »Vetter« zu. »Hast du was gehört?«
»Ja, ich hab‘s gehört,« antwortete die Tante ebenso leise. »Was is das gewesen?«
»Es müssen mehrere von unsern Leuten offgeschtanden sein.«
»Nee, das is es nich. Das müsse viele, viele Menschen sein. Das is ee Fußgeschtrampel von wenigstens zweehundert – – —«
Er hielt erschrocken inne, denn jetzt waren die Überfallenen erwacht und erhoben ihre Stimme.
»Donner und‘s Messer, das is Kampf!« fuhr der Hobble-Frank auf. »Ich gloobe, wir sind mehrschtenteels überfallen worden!«
»Ja, überfalle sind wir worde!« stimmte Droll bei. »Das müsse rote Halunke sein, wenn‘s nötig is!«
Der nächste Augenblick bewies, daß diese Vermutung die richtige war, denn es erscholl das Kampfgeheul der Indianer.
»Gott schteh uns bei; sie sind‘s wirklich!« rief Frank. »Droff, off sie! Komm rasch hinaus!«
Er ergriff den Arm Drolls, um ihn mit sich fortzuziehen; aber dieser wegen seiner Pfiffigkeit bekannte Jäger hielt ihn zurück und sagte, vor Aufregung allerdings beinahe zitternd:
»Bleib da! Nich so schnell hinaus! Wenn die Indianersch itzt bei Nacht eenen Überfall unternehme, so sind ihrer so viele beisamme, daß mer so vorsichtig wie möglich zu sein hat. Wolle erscht sehe, wie de Sache schteht. Nachher wisse mer, was mer zu mache habe. Mer müsse uns niederlege und vorwärts krieche.«
Dies thaten sie. Sie schoben sich an Händen und Füßen bis zum Ausgang hin. Da erkannten sie trotz der Dunkelheit, daß ihre Gefährten verloren seien. Die Übermacht der Roten war zu groß. Links von ihnen war der Kampf entbrannt. Die Schüsse Firehands, Shatterhands und Winnetous knallten, aber nicht lange Zeit, dann ertönte der hundertstimmige Siegesruf der Roten. Gerade vor dem Ausgange der Spalte war freie Bahn.
»Rasch hinter mir her und übersch Wasser nüber!« raunte Droll dem Vetter zu.
Er kroch so schnell und vorsichtig wie möglich auf der Erde hin. Frank folgte ihm. Dabei berührte die Hand des letzteren einen harten, langen Gegenstand; dieser war ein Gewehr mit Kugelschloß. »Old Shatterhands Henrystutzen!« durchzuckte es ihn. Er nahm das Gewehr mit. Die beiden kamen glücklich an das Wasser und dann an das andre Ufer desselben. Dort ergriff Droll den Hobble-Frank bei der Hand und zog ihn fort, abwärts, in südlicher Richtung. Die Flucht gelang ihnen, weil es so finster war und weil ihre Schritte bei dem Geschrei der Indianer nicht gehört werden konnten. Bald aber wurde der Raum zwischen Wasser und Felsen so enge, daß Droll riet: »Mer müsse wieder nüber ans linke Ufer. Da wird die Bahn wohl breeter sein.«
Sie wateten hinüber. Zu ihrem Glücke befanden sie sich schon weit unterhalb der Stelle, wo der Posten gestanden hatte. Sie gingen oder vielmehr sie rannten weiter, bald an die Felsenwand, bald an im Wege liegende Steine stoßend, bis sie die Stimmen der Indianer nicht mehr hörten; da hielt der Hobble-Frank seinen Gefährten an und sagte in vorwurfsvollem Tone: »Nun halte endlich mal schtille, du Tausendsapperlot! Warum biste denn eegentlich fortgerannt und hast mich schmählich verführt, mitzuloofen! Das is doch gegen alle Pflicht und Kameradschaftlichkeet! Haste denn gar keene Ambition im Leibe?«
»Ambition?« antwortete Droll, wegen seines Körperumfanges vom Laufen beinahe atemlos. »Die habe mer wohl im Leib, aber wer de Ambition behalte will, der muß vor alle Dinge den Leib ze rette suche. Darum bin ich fortgerannt.«
»Aber das war doch eegentlich gar nich erlaubt!«
»So? Warum soll das nicht erlaubt gewese sein?«
»Weil es unsre Pflicht war, unsre Freunde zu retten.«
»So! Und off welche Weise hättest se denne rette wolle?«
»Wir hätten uns off diese Roten werfen müssen, um sie zusammenzuhauen und niederzuschtechen.«
»Hihihihi! Zusammenhaue und niederschteche!« lachte Droll in seiner eigenartigen Weise. »Da hätte mer weiter nischt erreicht, als daß mer ooch mit gefange worde wäre.«
»Gefangen. Meenste etwa, daß unsre Gefährten nur gefangen worden sind, nicht erschossen, erschtochen und erschlagen?«
»Nee, umgebrunge hat mer se nich, das schteht fest. Ich weeß es genau.«
»Das könnte mich beruhigen!«
»Gut, so beruhige dich. Haste denn Schüsse gehört?«
»Ja.«
»Und wer is es denn, der geschosse hat? Etwa de Indianersch?«
»Nee, denn was ich hörte, das waren Revolverschüsse.«
»Also! De Indianersch habe ihre Gewehre gar nich gebraucht; es is also ihre Absicht gewest, de Bleichgesichter bei lebendige Leibe gefange ze nehme, um se schpäter desto mehr martern ze könne. Darum bin ich fort. Jetzt sind wir zwee beede gerettet und könne für unsre Leute mehr thun, als wenn mer mit gefange genomme worde wäre.«
»Da haste recht, Vetter, da haste recht! Es fällt mir een gewaltiger Schteen vom Herzen. Soll es etwa von dem weltberühmten Hobble-Frank heeßen, daß er, während seine Kameraden sich in Lebensgefahr befanden, das Hasenpanier angegriffen habe! Bei Leibe nich! Lieber schtürze ich mich ins dickste Kampfgewühl und haue um mich wie een rasender Hufeland. Es is geradezu gräßlich. Wer hätte in seinem schtillen, friedfertigen Temparamente ahnen können, daß so etwas geschehen werde! Ich bin ganz außer mir!«
»Ooch ich bin ganz ergriffe und erschrocke; aber verblüffe laß ich mich dennoch nich. Solche Leute wie Winnetou, Firehand und Shatterhand darf mer nich eher verlore gebe, als bis se in Wirklichkeet verlore sind. Und die sind doch ooch nich mal alleene, sondern es befinde sich Kerle bei ihnen, die Haare off de Zähne habe. Warte mersch also nur ruhig ab!«
»Das is sehre leicht gesagt. Was für Indianer mögen es nur gewesen sein?«
»Utahs natürlich. Der »große Wolf« is nich in sein Lager zurückgekehrt, sondern er hat gewußt, daß noch andre Utahs sich in der Nähe befinde, und diese herbeigeschafft.«
»Der Halunke! Und vorher hat er mit uns die Friedenspfeife geraucht! Von welcher Seite mag er wohl gekommen sein?«
»Ja, wenn ich das wüßte, dann wäre ich gescheiter, als ich jetzt bin. Da oben am Lagerplatze hält er sich gewiß nich off, sondern er läßt de Gefangene fortschaffe. Da wir nicht wisse, nach welcher Richtung er sich wende wird, so dürfe mer hier nich schtehe bleibe; mer müsse fort, viel weiter fort, bis mer eenen Ort finde, wo mer uns gut verschtecke könne.«
»Und dann?«
»Dann? Nun, mer werde warte, bis es Tag geworde is; dann untersuche mer de Schpure und loofe so lange hinter de Indianersch her, bis mer wisse, was mer für unsre Freunde thun könne. Jetzt aber fort. Komm!«
Er nahm Frank wieder beim Arme und berührte dabei den Stutzen.
»Was?« fragte er. »Zwee Gewehre haste?«
»Ja. Ich fand, als wir nach dem Wasser krochen, Old Shatterhands Henrystutzen.«
»Das is gut; das is ausgezeichnet. Der kann uns viel Nutze bringe. Aber verschtehste denn ooch, dermit ze schieße?«
»Natürlich! Ich bin so lange bei Old Shatterhand, daß ich sein Gewehr genau so kenne, wie er selbst. Aber jetzt vorwärts! Wenn‘s den Roten einfällt, flußab zu reiten, so holen sie uns ein, und wir sind perdüh. Ich aber muß mein teures Leben in acht nehmen, um es für die Rettung meiner Freunde offzuopfern. Wehe den Indianern, und wehe dem ganzen wilden Westen, wenn eenem von unsern Leuten een falsches Haar gekrümmt wird! Ich bin een guter Mensch; ich bin so zu sagen zwee Seelen und een Gedanke; aber wenn ich rabbiat werde, so haue ich die ganze formidable Weltgeschichte in die Pfanne. Du wirst mich schon noch kennen lernen. Ich bin een Sachse. Verschtehste mich! Wir Sachsen sind schtets een schtrategisch amüsantes Volk gewesen und haben in allen Kriegen und diatonischen Schtreitigkeeten die schwersten Prügel ausgeteelt.«
»Oder gekriegt!« versetzte Droll, indem er den Gefährten fortzog.
»Schweig!« antwortete dieser. »Ihr Altenburger seid nur Käsesachsen; wir aber an der Elbe sind die richtigen. So lange die menschliche Lippe von Kulturereignissen spricht, sind Moritzburg und Perne die symplegaden Mittelpunkte aller kalospinthechromokrenen Größe und Anschtändigkeet gewesen. Bei Leipzig wurde Napoleon geschlagen, und in Räcknitz bei Dresden is Moreau um seine zwee eenzigen beeden Beene gekommen; an der Weißeritz liegt die Pflanzschtätte der Kühnheet und der Tapferkeet, die ich in meinem Busen konsumiere, und so will ich den Roten nich raten, es bei mir bis zur Berserkerwut kommen zu lassen. Ich bin adstringiert in meinem Zorne und incapabel in meinem Grimme. Morgen, morgen schpreche ich weiter mit euch, morgen, wenn der Schtrahl der erschten Sonne dos à dos mit dem letzten Scheine der Finsternis ins blutige Gefilde schtürzt!« Er ballte die Faust und schüttelte sie drohend hinter sich. Noch nie im Leben war er so aufgeregt und wütend gewesen wie jetzt; das zeigte sich nicht bloß in seinen Worten, sondern auch in der Weise, wie er jetzt trotz der Finsternis vorwärts stürmte, als gelte es, die Feinde zu ereilen, welche er doch hinter sich hatte.
Und doch war die Richtung, welche die beiden eingeschlagen hatten, die richtige und für sie am besten geeignete, an die Roten zu kommen, wie sie zu ihrer Überraschung später erkennen sollten. Um ja nicht von den Indianern eingeholt zu werden, beschleunigten sie ihre Schritte so sehr, wie es bei der herrschenden Dunkelheit möglich war. Das Wasser rechts und die Felsenwand zur linken Hand, gingen sie immer südwärts, bis nach ungefähr einer Stunde der Canon eine Wendung nach Osten machte. Über dem dadurch gebildeten Winkel erschien zu ihrer rechten Hand und zu ihrer Überraschung der Mond am Himmel, nach welchem empor sich ein freier Blick dadurch öffnete, daß von dieser Seite ein Neben- in den Hauptcanon mündete. Droll blieb stehen und sagte: »Halt! Hier müsse mer überlege, wohin mer uns wende wolle, nach ‚rebber oder nach ‚nebber.«
»Darüber kann‘s gar keenen Zweifel geben,« meinte Frank. »Wir müssen in das Nebenthal.«
»Warum?«
»Weil mit absoluter Konsekration anzunehmen is, daß die Roten im Hauptcanon bleiben werden. Verschtecken wir uns in den Nebencanon, so ziehen sie an uns vorüber, und wir können uns dann früh mit obligatorischer Hypnologie an ihre hintersten Fersen heften. Meenste nich?«
»Hm, der Gedanke is nich übel, zumal der Mond grad über dem Seitenthale schteht und uns den Weg beleuchtet.«
»Ja, Luna schtrahlt mir Trost ins Herz und küßt mir die brausenden Schtröme meiner Thränen aus dem vor Wut vertrockneten Gemüte. Folgen wir ihrem süßen Schtrahle! Vielleicht führt uns der traute Schein an eenen Ort, wo wir uns gut verschtecken können, was in unsrer imponderabeln Situation die Hauptsache is.«
Sie sprangen über das Wasser und drangen in den Seitencanon ein, in welchem jetzt kein Wasser floß, doch gab es Anzeichen genug, daß zu einer andern Jahreszeit die ganze Sohle des schmalen Thales ein Wasserbett bildete. Ihre Richtung war jetzt genau westlich. Sie mußten tief in den Canon eindringen, um nicht von den Indianern doch entdeckt zu werden. Wohl eine halbe Stunde lang waren sie demselben gefolgt, als sie plötzlich, auf das angenehmste überrascht, stehen blieben. Die Felswand zu ihrer Rechten hörte nämlich plötzlich auf, um mit einer von Norden kommenden Wand eine scharfe Ecke zu bilden. Da lag nun vor ihnen nicht etwa freies Terrain, sondern Wald, ein wirklicher Wald, wie kein Fremder ihn hier hatte ahnen können. Über nur wenigem Unterholz wölbten sich die Wipfel so dicht, daß das Licht des Mondes nur an einzelnen Stellen durchzudringen vermochte. Es war der Wald des Wassers, in welchem die Utahs ihr Kriegslager aufgeschlagen hatten.
Die Senkung, welche er füllte, zog sich genau von Norden nach Süden, parallel mit dem nicht viel über eine halbe Stunde entfernten Hauptcanon. Zwischen diesem letzteren und dem Walde gab es zwei Verbindungswege, zwei Seitenthäler, ein nördliches, welches der »große Wolf« benutzt hatte, und ein südliches, durch welches Droll und Frank jetzt gekommen waren. Diese beiden von Osten nach Westen gehenden Nebenthäler bildeten mit dem Hauptcanon und dem Walde ein Rechteck, dessen innere Fläche aus dem hohen, stundenlangen Felsenblocke bestand, in welchen die Gewässer sich ihre senkrechten und mehrere hundert Fuß tiefen Wege eingefressen hatten. »Een Wald, een Forscht, mit richtigen Büschen und Beemen, als ob er von eenem königlich sächsischen Oberförschter angelegt worden wäre!« sagte Frank. »Besser konnten mersch gar nich treffen, denn das gibt een Verschteck, wie‘s im Hauptbuche schteht. Meenste nich?«
»Nee,« antwortete die Tante Droll. »Dieser Wald kommt mer verdächtig oder gar beinahe färchterbar vor. Ich trau‘ ihm nich.«
»Wieso denn und warum denn? Denkste etwa, daß da Bären ihr nächtliches Difficil offgeschlagen haben?«
»Das weniger. Bären sind grad nich ze färchte, sondern andre Kreature, welche aber genau ebenso gefährlich sind.«
»Was denn für welche?«
»Indianersch.«
»Das wäre dumm; das wäre freilich dumm!«
»Es sollt mich freue, wenn ich mich irre thät‘, aber meine Gedanke werde wohl de richtige sein.«
»Willste wohl die Gewogenheet haben, mir diese Gedanken logisch zu perturbieren?«
Die beiden standen an der Felsenecke, wo es Schatten gab, und hielten die Augen scharf auf den vom Monde beschienenen Waldesrand gerichtet. Dabei fragte Droll: »Wer wird wohl besser wisse, daß hier een Wald is, wir oder die rote Kerls?«
»Die Indianer.«
»Werde se ebensogut wisse wie wir, daß mer sich im Walde am beste verschtecke kann?«
»Natürlich.«
»Habe ich dir nich schon erklärt, daß Indianer in der Nähe sein müsse?«
»Ja, denn bei ihnen hat der »große Wolf« sich Hilfe geholt.«
»Wo werde nun diese Leute schtecke? Im öden, nackten Canon oder im bequemen Walde?«
»In dem letzteren.«
»Gut, also müsse mer uns hier sehr in acht nehme. Ich bin überzeugt, daß mer Grund habe, sehr vorsichtig zu sein.«
»So meenste wohl, daß wir den Wald vermeiden müssen?«
»Nee, aber offpasse müsse mer. Siehste vielleicht was Verdächtiges?«
»Nee, gar nischt.«
»Ich ooch nich. So wolle mersch also versuche. Rasch ‚nüber, und dann unter de Schträucher niedergeduckt und gehorcht, ob sich was regt. Vorwärts!«
Sie sprangen über die lichte, vom Monde beschienene Stelle hinüber. Bei den Bäumen angekommen, kauerten sie sich nieder, um zu lauschen. Sie hörten nichts; kein Blättchen regte sich; aber Droll sog die Luft ein und fragte leise: »Frank, schnuppere mal! Es riecht nach Rooch. Denkste nich?«
»Ja,« antwortete der Gefragte; »aber der Geruch is kaum zu bemerken. Es is nur eene halbe Ahnung von eener Viertelschpur von Rooch.«
»Weil‘s weit herkommt. Mer müsse de Sache untersuche und uns näher schleiche.«
Sie nahmen sich bei den Händen und schritten langsam und leise vorwärts. Es war dunkel unter dem Kronendache, und sie mußten sich also mehr auf ihren Tastsinn als auf ihr Gesicht verlassen. Je weiter sie vorwärts kamen, desto bemerkbarer wurde der Rauchgeruch: freilich avancierten sie nur langsam. Dem Hobble-Frank mochte doch ein Bedenken gegen ihr gefährliches Unternehmen kommen, denn er fragte flüsternd: »Wär‘s nich besser, wir ließen den Rooch Rooch sein? Wir begeben uns ganz nutzlos in eene Gefahr, die mir nicht komprimieren kann.«
»Eene Gefahr is es freilich,« antwortete Droll, »aber mer müsse es wage. Vielleicht könne mer unsre Freunde rette.«
»Hier?«
»Ja. Falls der »große Wolf« nich an unserm Lagerplatz bleibe will, wird er grad hierher komme.«
»Das wäre famos!«
»Famos? Na, na, es kann uns das Lebe koste!«
»Das schadet nischt, wenn wir nur unsre Gefährten retten. Jetzt kann es mir nich einfallen, umzukehren.«
»Recht so, Vetter; bist een tüchtiger Kerl. Aber List is besser als Gewalt. Also nur vorsichtig, nur vorsichtig!«
Sie schlichen weiter, bis sie stehen bleiben mußten, weil der Schein eines Feuers zu sehen war. Auch waren unbestimmte Töne, wie ferne Menschenstimmen, zu vernehmen. Der Wald schien sich nun mehr nach rechts auszubreiten. Sie folgten dieser Richtung und erblickten bald noch mehrere Feuer.
»Een großes, großes Lager,« flüsterte Droll. »Das werde de Utahkrieger sein, welche sich zum Zuge gegen de Navajos versammle. Da sind jedenfalls viele hundert beisamme.«
»Schadet nischt. Wir müssen näher. Ich will wissen, was mit Old Shatterhand und den andern wird. Ich muß – – —«
Er wurde unterbrochen, denn vor ihnen ertönte jetzt plötzlich ein viel-, vielstimmiges Geheul, nicht des Schmerzes oder der Wut, sondern des Jubels.
»Ach! Jetzt bringe se de Gefangene,« meinte Droll. »Der »große Wolf« kommt von Nord, und wir komme von Süd. Nun müsse mer unbedingt erfahre, was mer mit ihne anfange will.«
Bis jetzt waren sie in aufrechter Stellung vorwärts geschritten; jetzt mußten sie sich anschleichen. Sie legten sich also auf den Boden nieder und krochen weiter. Nach kurzer Zeit erreichten sie die himmelhoch scheinende Felsenwand, welche die östliche Grenze des Waldes bildete. Ihr entlang schlichen sie sich weiter, indem sie sich nebeneinander hielten. Sie hatten jetzt die Feuer zu ihrer linken Hand und erblickten sehr bald den kleinen See, an dessen Ufer das Feuer der Häuptlinge brannte. »Een Teich oder een See!« meinte Droll. »Das habe ich geahnt. Wo Wald is, muß ooch Wasser sein. Mer könne nich mehr weiter, weil das Wasser bis an den Felsen geht. Mer müsse also wieder nach links nebber.«
Sie befanden sich am südlichen Ende des Sees, an dessen westlichem Ufer das Feuer brannte, an welchem die Häuptlinge gesessen hatten. Sie krochen am Ufer hin, bis sie einen hohen Baum erreichten, dessen untere Äste man leicht mit den Händen erlangen konnte. Da wurde neue Nahrung in das erwähnte Feuer geworfen; die Flamme loderte hoch empor und beleuchtete die gefangenen Bleichgesichter, welche jetzt gebracht wurden.
»Jetzt müsse mer genau offpasse,« sagte Droll. »Kannste klettere, Vetter?«
»Wie een Eechhörnchen!«
»Dann roff off den Boom. Von da oben aus habe mer eene viel freiere und schönere Aussicht als hier unten.«
Sie schwangen sich hinauf und saßen dann oben im Laube, so daß selbst der scharfäugigste Indianer sie nicht hätte bemerken können.
Die Gefangenen hatten laufen müssen; also waren sie an den Füßen nicht gefesselt. Sie wurden an das Feuer geführt, wo sich die Häuptlinge, der »große Wolf« natürlich bei ihnen, wieder niedergelassen hatten. Dieser Indianer hatte die im Gürtel verborgenen Adlerfedern hervorgeholt und wieder in den Schopf gesteckt. Er war Sieger und durfte also sein Abzeichen wieder tragen. Sein Auge ruhte mit dem Ausdrucke eines hungrigen Panthers auf den Weißen, doch sagte er jetzt noch nichts, da der älteste Häuptling das Recht besaß, zuerst das Wort zu ergreifen.
Der Blick Nanap neavs, des Alten, flog von einem Weißen zum andern, bis er zuletzt an Winnetou halten blieb.
»Wer bist du?« fragte er ihn. »Hast du einen Namen, und wie heißt der räudige Hund, den du deinen Vater nennst?«
Jedenfalls hatte er erwartet, daß der stolze Apache ihm gar nicht antworten werde; aber Winnetou sagte in ruhigem Tone: »Wer mich nicht kennt, ist ein blinder Wurm, der vom Schmutze lebt. Ich bin Winnetou, der Häuptling der Apachen.«
»Du bist kein Häuptling, kein Krieger, sondern das Aas einer toten Ratte!« verhöhnte ihn der Alte. »Diese Bleichgesichter alle sollen den Tod der Ehre am Marterpfahle sterben; dich aber werden wir hier in das Wasser werfen, daß dich die Frösche und Krebse verzehren.«
»Nanap neav ist ein alter Mann. Er hat viele Sommer und Winter gesehen und große Erfahrungen gemacht; aber dennoch scheint er noch nicht erfahren zu haben, daß Winnetou sich nicht ungerächt verhöhnen läßt. Der Häuptling der Apachen ist bereit, alle Qualen zu leiden, aber beleidigen läßt er sich von einem Utah nicht.«
»Was willst du mir thun?« lachte der Alte auf. »Deine Glieder sind gebunden.«
»Nanap neav mag bedenken, daß es für einen freien, bewaffneten Mann leicht ist, grob gegen einen gefesselten Gefangenen zu sein! Aber würdig ist es nicht. Ein stolzer Krieger verschmäht es, solche Worte zu sagen, und wenn Nanap neav dies nicht beherzigen will, so mag er die Folgen tragen.«
»Welche Folgen? Hat deine Nase einmal den stinkigen Schakal gerochen, von dem selbst der Aasgeier nichts wissen will? So ein Schakal bist du. Der Gestank, den du – – —«
Er kam nicht weiter. Es ertönte ein Schrei des Schreckens aus den Kehlen aller Utahs, welche in der Nähe standen. Winnetou war dem Alten mit einem gewaltigen Satze gegen den Leib gesprungen, hatte ihn dadurch hintenüber geworfen, versetzte ihm mit der Ferse einige Hiebe und Tritte auf die Brust und gegen den Kopf und kehrte wieder nach seinem Platze zurück.
Auf den allgemeinen Schrei trat für einen Augenblick eine tiefe Stille ein, so daß man die laute Stimme des Apachen hörte: »Winnetou hat ihn gewarnt. Nanap neav hörte nicht und wird nun nie wieder einen Apachen beleidigen.«
Die andern Häuptlinge waren aufgesprungen, um den Alten zu untersuchen. Die Hirnschale war ihm an der rechten Seite des Kopfes eingetreten und ebenso ein Teil des Brustkastens. Er war tot. Die roten Krieger drängten heran, die Hände an den Messern und blutgierige Blicke auf Winnetou werfend. Man sollte meinen, daß die That des Apachen die Utahs zur heulenden Wut aufgestachelt hätte; dem war aber nicht so. Ihr Grimm blieb stumm, zumal der »große Wolf« die Hand zurückweisend erhob und dabei gebot: »Zurück! Der Apache hat den alten Häuptling umgebracht, um schnell und ohne Qual zu sterben. Er dachte, ihr würdet nun über ihn herfallen und ihn rasch töten. Aber er hat sich verrechnet. Er soll eines Todes sterben, den noch kein Mensch erlitten hat. Wir werden darüber beraten. Schafft den alten Häuptling in seiner Decke fort, damit die Augen dieser weißen Hunde sich nicht an seiner Leiche weiden! Sie sollen alle an seinem Grabe geopfert werden. Wir werden Old Firehand und Old Shatterhand lebendig mit ihm begraben.«
»Du lebst nicht lange genug, um mich begraben zu können!« antwortete Old Shatterhand.
»Schweig, Hund, bis du gefragt wirst! Wie willst du die Tage kennen, welche ich noch zu leben habe?«
»Ich kenne sie. Es ist kein einziger mehr, denn morgen um diese Zeit wird deine Seele aus dem Körper gewichen sein.«
»Sind deine Augen so scharf, daß du in die Zukunft zu blicken vermagst? Ich werde sie dir ausstechen lassen!«
»Um zu wissen, wann du stirbst, bedarf es keiner scharfen Augen. Hast du jemals gehört, daß Old Shatterhand die Unwahrheit gesprochen hat?«
»Alle Bleichgesichter lügen, und du bist auch eins.«
»Die Roten lügen; das hast du bewiesen. Wir waren vier Weiße und kämpften mit vier Roten um unser Leben. Im Falle des Sieges sollten wir unsre Gegner töten dürfen und dann frei sein. Wir siegten und schenkten euch das Leben. Dennoch wolltet ihr uns nicht die Freiheit geben. Ihr verfolgtet uns und fielet in unsre Hände. Wir konnten euch das Leben nehmen. Ihr hattet es verdient; wir thaten es doch nicht, weil wir Christen sind. Wir rauchten mit euch die Pfeife des Friedens, und ihr gelobtet uns, bis zum Tode unsre Freunde und Brüder zu sein. Wir ließen euch frei, und zum Dank dafür habt ihr uns überfallen und hierher geschleppt. Wer lügt, ihr oder wir? Aber weißt du, was ich dir sagte, bevor wir gegen Abend im Canon voneinander schieden?«
»Der »große Wolf« ist ein stolzer Krieger; er merkt sich nie die Worte eines Bleichgesichtes.«
»So will ich sie dir in das Gedächtnis zurückrufen. Ich warnte dich und sagte dir, wenn du dein Wort abermals nicht halten solltest, so werde es dein Tod sein. Du hast dein Versprechen gebrochen und wirst also sterben.«
»Wann?« grinste der Wolf.
»Morgen.«
»Durch wessen Hand?«
»Durch die meinige.«
»Du hast ein Loch im Kopfe, aus welchem dir das Hirn gelaufen ist!«
»Ich hab‘s gesagt, und so wird es geschehen. Zweimal lag dein Leben in meiner Hand; ich schenkte es dir, und du belogst mich trotzdem. Zum drittenmal wird das nicht geschehen. Die roten Männer sollen erfahren, daß Old Shatterhand wohl nachsichtig ist, aber auch zu strafen weiß.«
»Hund, du wirst keinen Menschen mehr bestrafen. Ihr werdet jetzt umzingelt und während der Nacht bewacht. Wir aber werden jetzt über euch beraten, und sobald der Tag anbricht, beginnen eure Todesqualen, welche mehrere Tage währen werden.«
Die Gefangenen wurden nach einer kleinen offenen Stelle des Waldes gebracht, auf welcher ein Feuer brannte; ein Indianer saß dabei, um es zu unterhalten. Man band ihnen nun auch die Füße zusammen und legte sie nieder. Zwölf bewaffnete Krieger standen rundum unter den Bäumen, um den Ort zu bewachen. Eine Flucht war unmöglich oder schien wenigstens ganz und gar unmöglich zu sein.
Droll und Frank hatten von ihrem hohen Sitze aus alles deutlich gesehen. Der Baum, auf welchem sie sich befanden, stand vielleicht hundertfünfzig Schritte weit von dem Feuer der Häuptlinge entfernt, so daß sie auch den größten Teil der Worte, welche gesprochen worden waren, hatten verstehen können. Jetzt nun galt es, die Stelle, nach welcher die Gefangenen geschafft werden sollten, ausfindig zu machen und sich derselben zu nähern.
Eben, als sie von dem Baume stiegen, wurden die erbeuteten Waffen und andern Gegenstände zu den Häuptlingen an das Feuer gebracht und dort niedergelegt. Da diese Sachen keine große Beachtung fanden, so war zu schließen, daß man erst am Tage über die Verteilung derselben entscheiden werde, ein Umstand, welcher der Tante Droll zu großer Beruhigung diente. Am Feuer des Ufers sah man nun nur noch die Anführer. Es mußte irgend einen Grund geben, welcher die andern Krieger nach einer andern Stelle zog. Welcher Grund das war, das sollten Frank und Droll sehr bald erfahren. Es ließen sich eigentümliche, klagende Töne hören. Man vernahm eine Zeitlang eine Solostimme, welcher dann ein Chorus folgte. Das ging ohne Unterbrechung, bald schwächer und bald lauter fort.
»Weeßte, was das is?« fragte Droll seinen Moritzburger Vetter.
»Das soll wohl die tote Leichenarie für den alten Häuptling sein?«
»Ja. Bei de Utahs beginnen de Gesänge noch ehe de Leiche erkaltet is.«
»Das is uns von Wichtigkeet, denn bei diesem Jammern wird es den Kerls schwer sein, uns zu hören. Wir müssen die Unsrigen unbedingt offsuchen.«
»Was aber dann, wenn mer se gefunde habe? Heraushole könne mer se doch nich!«
»Das is ooch gar nicht nötig, denn sie werden schon selber gehen. Die Hauptsache is, daß wir sie losbinden oder ihre Riemen durchschneiden. Is der Platz, an welchem sie sich befinden, nich weit vom Feuer der Häuptlinge entfernt, wo die Waffen liegen, so haben wir dann gewonnenes Spiel. Een wahres Glück is es, daß es hier unter den Beemen so dunkel is. Die Feuer sind uns nich etwa schädlich, sondern nur nützlich, weil wir da die Geschtalten der Roten leicht erkennen und ihnen aus dem Wege gehen können.«
»Das hat seine Richtigkeet. Also jetzt wieder nieder off de Erde, und dann weiter fort! Ich krieche voran.«
»Warum denn du?«
»Weil ich länger im Westen gewesen bin und mich offs Anschleichen besser verschtehe als du.«
»Ach, rede nich! Bilde dir nur nich solche große Rosinen ein! Ich bin erfahren in allen kontrapretiosen Angelegenheeten des westlichen Daseins. Die ungeheure Anbequemlichkeet, mit welcher ich selbst den schwierigsten Gegenschtand als reenes Kinderspiel begreife, hat mein Offfassungsvermögen zu eener solchen Terpsichorität gebracht, daß es überhaupt gar nischt geben kann, worin ich nich sofort Meester bin. Aber weil du mein geliebter Vetter bist, will ich dir den Vortritt lassen. Aber paß nur genau off! Will dich vorn eener totschtechen, so sag nur eenen Mux, damit ich dir von hinten beischtehen kann. Ich laß dich nich im Schtich!«
Der kleine Sachse bewies jetzt wirklich, daß er bei Old Shatterhand in einer vortrefflichen Schule gewesen war. Er machte seine Sache ausgezeichnet. Trotzdem er zwei Gewehre zu tragen hatte, bewegte er sich gewandt und geräuschlos vorwärts. Sein Vordermann hatte freilich den schwierigeren Teil der Aufgabe zu überwinden, welcher darin bestand, jeden Gegenstand, welcher zur Deckung geeignet war, zu benutzen.