Kitabı oku: «Der Schatz im Silbersee», sayfa 36
Nach dieser Seite hin konnten sie gut sehen; nach vorn war es dunkel; da galt es also, vorsichtig zu sein. Wo das Auge nicht ausreichte, mußte die tastende Hand gebraucht werden. Winnetou huschte, wie gewöhnlich, voran. Plötzlich blieb er stehen und ließ ein fast zu lautes, erschrockenes »Uff!« hören. Die andern beiden hielten ihre Schritte auch an und lauschten gespannt. Als alles ruhig blieb, fragte Old Shatterhand leise: »Was gibt es?«
»Ein Mensch,« antwortete der Apache.
»Wo?«
»Hier bei mir, vor mir, in meiner Hand.«
»Halte ihn fest! Laß ihn nicht schreien!«
»Nein. Er kann nicht schreien; er ist tot.«
»So hast du ihn erdrosselt?«
»Er war schon tot; er hängt an dem Pfahle.«
»Herrgott! Wohl am Marterpfahle?«
»Ja. Sein Skalp fehlt; sein Leib ist voller Wunden. Er ist kalt, und meine Hände sind naß vom Blute.«
»So sind die Weißen schon tot, und hier ist der Marterplatz. Suchen wir einmal!«
Sie tasteten um sich und fanden binnen zehn Minuten gegen zwanzig schauderhaft verstümmelte Leichen, welche an Pfähle und Bäume gebunden waren.
»Entsetzlich!« stöhnte Old Shatterhand. »Ich glaubte, diese Leute noch retten zu können, wenigstens vor solchen Qualen! Gewöhnlich warten die Roten bis zum nächsten Tage; hier aber haben sie sich keine Zeit gelassen.«
»Und der Plan, die Zeichnung!« meine Old Firehand. »Die ist nun verloren.«
»Noch nicht. Wir haben die gefangenen Häuptlinge. Vielleicht können wir diese gegen die Zeichnung austauschen.«
»Wenn sie noch da und nicht etwa vernichtet ist.«
»Vernichtet? Schwerlich! Die Roten haben gelernt, die Wichtigkeit solcher Papiere einzusehen. Ein Indianer vernichtet jetzt eher alles andre als ein Papier, welches er bei einem Weißen findet, zumal wenn es nicht bedruckt, sondern beschrieben ist. Laß dir also noch nicht bange sein. Übrigens leuchtet mir ein, aus welchem Grunde man diese Kerle hier so schnell ermordet hat.«
»Nun, warum?«
»Um Platz für uns zu bekommen. Unsre Ankunft ist gemeldet worden. Wir sind noch nicht da; folglich erwartet man uns für morgen früh ganz gewiß, und kommen wir da noch nicht, so sendet man Späher nach uns aus.«
»Die Boten, welche abgesendet wurden, um unsre Ankunft zu melden, werden da sein, die Yampa-Utahs aber noch nicht,« meinte Winnetou.
»Nein, die sind noch nicht da. Es hat wohl Stunden gedauert, ehe sie es gewagt haben, unsern Rastort zu passieren und in die Felsenenge einzudringen. Vielleicht kommen sie erst morgen früh, da der letzte Teil des Weges so schlecht ist, daß er des Nachts nicht – – – horchen! Wahrhaftig, sie kommen; sie sind da!«
Oberhalb der Stelle, an welcher die drei standen, ließ sich plötzlich ein lautes, fröhliches Geschrei hören, welches von unten her sofort beantwortet wurde. Die Yampa-Utahs kamen trotz der Finsternis der Nacht und trotz des schlechten Weges, welcher ihnen sehr bekannt sein mußte. Das war ein Gebrüll und Geheul, daß man sich hätte die Ohren verstopfen mögen. Es wurden Brände aus den Feuern gerissen, mit denen die bereits hier Lagernden den Ankömmlingen entgegenliefen. Der Wald wurde hell und lebendig, so daß die drei in die größte Gefahr, bemerkt zu werden, gerieten.
»Wir müssen fort,« sagte Old Firehand. »Aber wohin? Vor und hinter uns ist alles voller Menschen.«
»Auf die Bäume,« antwortete Old Shatterhand. »In dem dichten Gezweig können wir warten, bis die Aufregung sich gelegt hat.«
»Gut, also hinauf! Ah, Winnetou ist schon oben!«
Ja, der Apache hatte gar nicht lange erst gefragt. Er schwang sich hinauf und versteckte sich im Blätterdach. Die beiden andern folgten seinem Beispiele, indem sie die nächsten Bäume erstiegen. Es ist keine Schande, sich gegen eine solche Übermacht zu verbergen.
Jetzt sah man beim Scheine der Feuer und der Fackeln die Yampa mit ihren Genossen kommen. Sie stiegen von den Pferden, welche fortgeführt wurden, und fragten, ob Winnetou und die Weißen angekommen und ergriffen worden seien. Diese Frage wurde mit der größten Verwunderung aufgenommen. Die Yampa wollten nicht glauben, daß die Genannten nicht angekommen seien, denn sie waren ja der Fährte derselben gefolgt. Es wurde hin und her gefragt; hundert Vermutungen tauchten auf, doch der wahre Sachverhalt blieb ein Rätsel.
Es war für die andern Utahs eine hochwichtige Nachricht, zu hören, daß Old Firehand, Old Shatterhand und Winnetou sich in der Nähe befänden. Aus den verschiedenen Ausrufungen, aus der ungeheuern Wirkung, welche diese Nachricht hervorbrachte, konnten diese drei Männer ersehen, in welch einem Rufe sie bei diesen Roten standen.
Als die Yampa erfuhren, daß über zwanzig Weiße zu Tode gemartert worden seien, glaubten sie, daß es die von ihnen Gesuchten seien, und verlangten, sie zu sehen. Man kam mit Fackeln herbei, um sie ihnen zu zeigen, und nun bot sich den drei im Laube versteckten ein Anblick, welcher bei der ungewissen, flackernden Beleuchtung ein doppelt gräßlicher war. Die Yampas erkannten, daß diese Leichen nicht die richtigen seien, und kühlten ihre Wut auf ganz unbeschreibliche Weise an denselben. Glücklicherweise war diese Scene nicht von langer Dauer; sie erlitt ein Ende, welches kein Utah für möglich gehalten hatte.
Nämlich vom untern Ende des Thales ertönte ein langgezogener Schrei, ein Schrei, den niemand, der ihn einmal gehört hat, jemals wieder zu vergessen vermag, nämlich der Todesschrei eines Menschen.
»Uff!« rief einer der unter den Bäumen stehenden Häuptlinge erschrocken. »Was war das? Die »gelbe Sonne« und »vier Büffel« sind dort unten!«
Ein zweiter, ähnlicher Schrei erscholl, und dann krachten mehrere Schüsse.
»Die Navajos, die Navajos!« schrie der Häuptling. »Winnetou, Shatterhand und Firehand haben sie herbeigeholt, um sich zu rächen. Auf, ihr Krieger; werft euch auf die Hunde! Vernichtet sie! Laßt die Pferde zurück, und kämpft zu Fuße hinter den Bäumen!«
Einige Augenblicke lang rannte alles durcheinander. Man holte die Waffen; man warf Holz in die Feuer, um das nötige Licht zum Kampfe zu bekommen. Man rief und brüllte; der Wald hallte wieder vom Kriegsgeheul. Schüsse krachten, näher und immer näher. Fremde, dunkle Gestalten huschten von Baum zu Baum und ließen ihre Gewehre blitzen.
Die Utahs antworteten, erst einzeln, hie und da, dann zu widerstandsfähigen Gruppen vereinigt. Es gab keinen eigentlichen, allgemeinen Kampfplatz, wenn man nicht dem ganzen Thale diese Bezeichnung geben wollte, sondern um jedes Feuer entspann sich ein Kampf im besonderen.
Ja, es waren die Navajos; sie hatten die Utahs überrumpeln wollen, hatten es aber nicht verstanden, die am Ausgange des Thales stehenden Wachen lautlos zu überwältigen. Die Todesschreie derselben hatten Alarm gemacht, und nun galt es, Mann gegen Mann zu kämpfen und nicht der Überraschung, sondern der Tapferkeit und Überzahl die Entscheidung zu überlassen. Der rote Mann greift am liebsten gegen Morgen an, wo der Schlaf, wenigstens bei den dortigen Verhältnissen, bekanntlich am tiefsten ist. Warum die Navajos von dieser Regel abwichen, war schwer zu ersehen. Vielleicht hatten sie geglaubt, unbemerkt eindringen und dann die von den Feuern beschienenen Feinde schnell niederschießen zu können. Als das nicht gelungen war, hatte ihre Tapferkeit ihnen nicht gestattet, zurückzuweichen; sie waren dennoch vorgedrungen und kämpften nun mit viel Verlust.
Es stellte sich heraus, daß die Utahs in der Überzahl waren; überdies kannten sie das Terrain besser als die Feinde, und so wurden diese, obgleich sie sich außerordentlich wacker hielten, nach und nach zurückgedrängt. Man kämpfte aus der Ferne und in der Nähe, mit der Schießwaffe und mit Messer oder Tomahawk. Es war für die drei verborgenen Zuschauer eine höchst aufregende Scene, Wilde gegen Wilde in der wildesten Manier! Hier kämpften zwei unter brutalstem Geheul; dort schlachteten sich einige in teuflischer Lautlosigkeit ab. Wo einer fiel, war sofort der Sieger über ihn her, um ihm den Skalp zu nehmen, vielleicht um in dem nächsten Augenblicke seinen eigenen zu verlieren.
Von den drei Häuptlingen, welche noch am Feuer gesessen hatten, kämpften zwei eigenhändig mit, um die Ihrigen durch ihr Beispiel anzufeuern. Der dritte lehnte in der Nähe des Feuers an einem Baume, verfolgte den Verlauf des Kampfes mit scharfem Blicke und erteilte nach rechts und links seine laut gebrüllten Befehle. Er war der Feldherr, bei welchem die Fäden der Verteidigung sich vereinigten. Selbst als die Navajos weiter und weiter zurückgedrängt wurden, blieb er stehen, ohne mit zu avancieren. Er wollte seinem Platze stolz treu bleiben und überließ den andern Häuptlingen die Leitung der Verfolgung der Feinde.
Der Kampf entfernte sich mehr und mehr. Jetzt war es für die drei unfreiwilligen Zeugen Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Der Weg nach ihrem Asyle war frei. Später, falls der Kampf vielleicht eine Gegenrichtung nahm, oder wenn die Utahs als Sieger zurückkehrten, war es wohl unmöglich, unbemerkt nach dem Verstecke zu gelangen.
Winnetou stieg vom Baume. Die beiden andern sahen es trotz der Dunkelheit und kamen auch herab. Noch immer stand der Häuptling an seiner Stelle. Das Getöse des Kampfes erscholl aus weiter Ferne.
»Jetzt zurück!« sagte Winnetou. »Später werden Freudenfeuer angebrannt, und dann ist‘s zu spät für uns.«
»Nehmen wir diesen Häuptling mit,« fragte Old Shatterhand.
»Ja. Wir werden ihn leicht ergreifen, denn er ist allein. Ich will mich zu – – —«
Er hielt inne. Und was er sah, das war auch ganz geeignet, ihn in das größte Erstaunen zu versetzen und ihm die Worte im Munde stecken bleiben zu lassen. Es kam nämlich aus dem Dunkel schnell wie der Blitz ein kleines, schmächtiges, hinkendes Kerlchen gesprungen, schwang die Flinte und schlug den Häuptling mit einem wohlgezielten Kolbenhiebe zu Boden. Dann ergriff er den Roten beim Genick und zerrte ihn schnell fort, in das Dunkel hinein. Dabei hörte man die nicht sehr lauten, aber dennoch verständlichen Worte aus seinem Munde: »Was Old Shatterhand und Old Firehand kann, das können und verschtehen wir Sachsen mehrschtenteels ooch!«
»Der Hobble-Frank!« meinte Old Shatterhand erstaunt.
»Ja, der Frank!« stimmte Old Firehand ein. »Das Kerlchen ist verrückt! Wir müssen ihm schleunigst nach, damit er keine Dummheiten macht!«
»Verrückt? Gewiß nicht! Ein possierlicher Knirps ist er; das ist wahr; aber das Herz hat er gerade da, wo es hingehört, und leichtsinnig ist er gar nicht. Ich habe ihn in die Schule genommen und kann sagen, daß ich meine Freude an ihm habe. Dennoch aber wollen wir ihm nach, da sein Weg auch der unsrige ist.«
Sie eilten fort, hinter dem Kleinen her, in das Dunkel hinein. Schon hatten sie den Eingang zum Verstecke fast erreicht; da fiel gerade vor ihnen ein Schuß.
»Ein Roter ist auf ihn getroffen. Schnell drauf auf – – —« wollte Old Shatterhand sagen, aber er schwieg, denn es ertönte die lachende Stimme des Kleinen: »Dummkopp, so paß doch off, wo du hinzielst! Wennste mich treffen willst, darfste doch nicht in den Mond schießen! Da haste dein Teel, und nun gute Nacht!«
Ein Krach wie von einem schweren Hiebe, dann war es still. Die drei drangen vor und stießen auf den Kleinen.
»Zurück!« gebot er. »Hier wird geschossen und geschtochen!«
»Halt, schieß nicht!« warnte Old Shatterhand. »Was hast du denn hier zu suchen?«
»Zu suchen? Nischt und gar nischt. Ich brauch‘ nich zu suchen, denn ich hab‘s ja schon bis zum doppelten Findling gebracht. Danken Sie Gott, daß Sie den Mund geöffnet haben! Hätte ich Sie nich an Ihrer konglomeraten Schtimme erkannt, meiner Treu, ich hätte Sie kurz und kleen geschossen. Ich habe zwee Kugeln in der Büchse, was bei meiner Geistesgegenwart und Konsubschtanz fürwahr keen Schpaß nich is. Ich warne Sie allen Ernstes, sich nich wieder so blindlings erschtens in die Gefahr und zweetens mir entgegenzuschtürzen, denn sonst werden Sie drittens wie der Wind zu Ihren Vätern und Patriarchen versammelt!«
Die beiden weißen Jäger mußten trotz des Ernstes der gegenwärtigen Situation über diese Strafrede lachen. Es war augenblicklich kein Feind in der Nähe, und so konnte sich Old Shatterhand ohne Besorgnis erkundigen: »Aber wer hat dir denn die Erlaubnis gegeben, das Versteck zu verlassen?«
»Erlaubnis? Mir hat keen Mensch was zu erlauben. Ich bin mein eegner Herr und Fideikommißbesitzer. Nur die Sorge um Sie hat mir den Küraß umgeschnallt. Kaum waren Sie fort, so ging een Geschrei los, als ob die Cimbern mitten in die Teutonen eingebrochen wären. Das wäre noch auszuhalten gewesen, denn meine Nerven sind mit Teer und Fischthran eingerieben. Aber nachher ging das Geschieße los, und es wurde mir um Sie angst und bange. Mein kindliches Gemüt hängt mit väterlicher Anhänglichkeit an Ihrer seelischen Daseinsexistenz, und ich kann es mir unmöglich ruhig gefallen lassen, wenn Sie von den Roten um Ihr schönes Leben gebracht werden. Darum nahm ich das Gewehr und huschte fort, ohne daß die andern es in der ägyptischen Verfinsterung bemerkten. Links wurde geschossen; nach rechts hatten Sie gewollt; ich ging also nach rechts. Da schtand der Häuptling am Boome wie een marinierter Ölgötze. Das ärgerte mich, und so versetzte ich ihm eenen vertikalen Klaps, daß er horizontal zu Boden kam. Natürlich wollte ich ihn schnell in successive Sicherheet bringen und zerrte ihn fort; aber er war mir doch zu schwer, und ich setzte mich een Weilchen off sein Corpus juris, um een bißchen auszuruhen. Da kam so een roter Franctireur geschlichen und sah mich gegen das Licht. Er legte die Flinte an; ich schlug sie zur Seite, und sein Kugel flog in die Milchschtraße empor; ich aber setzte mich mit Hilfe meines Kolbens mit ihm in solche Konfexion, daß er neben dem Häuptling niederknickte. Nun liegen die beeden Kerle da, ganz ohne Sinn und Verschtand, und wissen nich, woran sie denken sollen. Es is doch een Mallör off dieser Welt!«
»Sei froh, daß es kein größeres Unglück gegeben hat! Wenn du eher kamst, warst du verloren!«
»Haben Sie keene Sorge! Der Hobble-Frank kommt niemals eher, als bis er den Sieg in beeden Händen hat. Was soll nun mit den Kerles geschehen? Ich alleene kann sie nich bewältigen.«
»Wir werden dir helfen. Jetzt rasch hinein! Da unten hat das Schießen aufgehört, und es steht zu erwarten, daß die Utahs nun zurückkehren.«
Die beiden besinnungslosen Indianer wurden in das Versteck gebracht und ebenso gebunden und geknebelt wie die andern. Dann postierte sich Winnetou mit Old Firehand an den Vorhang, um die Vorgänge draußen zu beobachten.
Ja, die Utahs kehrten zurück, und zwar als Sieger. Es wurde eine doppelte Anzahl Feuer angebrannt, mit deren Bränden man den Wald nach den Toten und Verwundeten durchsuchte. Die Navajos hatten die ihrigen mitgenommen, wie es bei den Indianern Sitte ist.
Bei jedem Toten, den man fand, erhob sich ein Klage- und Wutgeheul. Die Leichen wurden zusammengetragen, um ehrenvoll begraben zu werden. Man vermißte mehrere Personen, welche gefangen sein mußten. Unter diesen dachte man sich auch die drei Häuptlinge, welche verschwunden waren, ohne daß eine Spur von ihnen zu finden war. Bei dieser Entdeckung hallte der Wald wieder vom Gebrüll der ergrimmten Krieger. Die zwei noch übrigen Anführer riefen die hervorragenden Krieger zu einer Beratung, bei welcher laute, zornige Reden gehalten wurden.
Das brachte Winnetou auf den Gedanken, sich hinauszuschleichen, um vielleicht zu erfahren, was die Utahs beschließen würden. Dies wurde ihm gar nicht schwer. Die Roten waren überzeugt, ganz allein zu sein, und hielten also jede Vorsicht für überflüssig. Die zurückgeschlagenen Navajos kamen gewiß nicht wieder, und wenn dies auch geschah, so waren unten am Ausgange des Thales Wachen ausgestellt. Daß sich mitten im Thale noch viel gefährlichere Feinde als die Navajos befanden, davon hatte man ja keine Ahnung. So hörte Winnetou also alles, was vorgenommen werden sollte. Man wollte noch während der Nacht die Toten begraben; die Klaggesänge konnten für später aufgeschoben werden. Jetzt galt es, vor allen Dingen die gefangenen Häuptlinge zu befreien. Das war sogar noch notwendiger, als morgen die Ankunft Winnetous und seiner berühmten weißen Gefährten abzuwarten. Da diese hinauf nach dem Silbersee wollten, mußten sie unbedingt und auf alle Fälle in die Hände der Utahs fallen. Der Häuptlinge wegen mußte so schnell wie möglich aufgebrochen werden, um dieselben zu befreien. Darum sollten alle nötigen Vorbereitungen getroffen werden, um beim Grauen des Tages den Verfolgungsritt antreten zu können.
Jetzt zog Winnetou sich langsam und vorsichtig zurück. In der Nähe des Versteckes angekommen, sah er mehrere Pferde stehen. Diese Tiere waren während des Kampfes scheu geworden und hatten sich von den andern getrennt; es waren ihrer fünf. Da fiel dem Apachen ein, daß die Gefangenen doch transportiert werden müßten, drei Häuptlinge und ein Krieger. Dazu waren vier Pferde nötig. Kein Mensch befand sich in der Nähe. Die Tiere scheuten vor ihm nicht, weil er ein Indianer war. Er nahm eins derselben am Halfter und führte es nach dem Verstecke. Dort saß Old Firehand hinter dem Vorhange und nahm es in Empfang. Auf diese Weise wurden noch drei andre hineingeschafft; sie schnaubten zwar ein wenig, wurden aber von Winnetou sehr bald beruhigt.
Im Innern des Versteckes wurde niemand die Zeit lang. Es gab so viel zu erzählen, zu hören und – zu lauschen. Der Hobble-Frank hatte sich, natürlich in völliger Dunkelheit, an der Seite seines Freundes und Vetters niedergelassen. Früher war er nicht von dem dicken Jemmy gewichen und trotz aller scheinbaren Zerwürfnisse mit ihm stets ein Herz und eine Seele gewesen; seit er aber den Altenburger gefunden hatte, war das anders geworden. Droll wollte nicht gelehrt sein und ließ den Kleinen sprechen, ohne ihn jemals zu verbessern; das band den Hobble mit mächtiger Gewalt an ihn. Übrigens dachte Droll, der erfahrene Westmann, nicht etwa gering von dem Kleinen; er schätzte im Gegenteile dessen gute Eigenschaften in vollem Maße und freute sich auch jetzt aufrichtig über seine Heldenthat. Denn daß Frank erst den Häuptling und dann auch den andern Indianer niedergeschlagen hatte, war kein Werk etwa der Tolldreistigkeit, sondern der Überlegung und Geistesgegenwart. Diese That fand allgemeine Anerkennung, und alle hatten sich lobend ausgesprochen, nur einer noch nicht, nämlich der Lord. Jetzt aber holte er das Versäumte nach. Er saß an der andern Seite des Kleinen und fragte diesen: »Frank, wollen wir wetten?«
»Ich wette nich,« antwortete der Gefragte.
»Warum nicht?«
»Ich habe keen Geld dazu.«
»Ich borge es Ihnen.«
»Borgen macht Sorgen, sagen wir in Sachsen. Übrigens is es nich etwa christlich und kontributär-sozial, eenem armen Menschen Geld zu borgen, um es ihm durchs Wetten wieder abzuluxen. Da kommen Sie bei mir schief an die Ecke. Ich behalte mein Geld, ooch wenn ich keens habe.«
»Aber Sie würden vielleicht gewinnen!«
»Fällt mir gar nich ein! Durchs Wetten mag ich nich reich werden. Es ruht kein Segen drauf. Ich habe meine prinzipiellen Grund- und Gegensätze, in denen ich mich nun eenmal nich irre machen lasse.«
»Das ist schade. Ich wollte dieses Mal mit aller Absicht verlieren, als eine Art Belohnung für Ihre Heldenthat.«
»Een jedes Heldentum belohnt sich in seinem Innern ganz von selbst. Man trägt die accusative Anerkennung in seinen eegenen und heiligsten Herzenslokalitäten mit sich herum. Dem Verdienste seine Krone, und den andern nich die Bohne! Übrigens is es doch wohl een wenigstens multiplizierter Gebrauch, Fürschten und Helden durch eene Wette zu belohnen. Wer geben will, der mag doch geben, und zwar nich indirekt durch eine falsche Wette, sondern gleich direkt mit der Hand in den Mund. Das is in allen höheren Kulturschtaaten so Sitte, und darum wird‘s auch im Umkreise meiner Persönlichkeet nich andersch eingeführt.«
»So würden Sie es mir also nicht übelnehmen, wenn ich Ihnen ein Geschenk machte?«
»Sogar sehr! Schenken läßt sich der Hobble-Frank nischt; dazu hat er eene viel zu majestätische Ambition; aber een Andenken, so was der gewissenhafte Franzose een Subenir und Kataplasma nennt, das darf man mir schon reichen, ohne befürchten zu müssen, die Lyrasaiten meines Gemütes in mißgestimmte Nebenklänge zu komponieren.«
»Nun, dann haben Sie – ein Andenken also. Ich hoffe, daß Sie sich darüber freuen. Ich habe zwei und kann also eins entbehren.«
Er schob ihm eins seiner Prachtgewehre in die Hände. Frank aber schob es ihm zurück und sagte: »Hörnse, Mylord, Schpaß beiseite! Greifen Sie mich nich off demjenigen Punkte an, wo ich verderblich werden kann! Ich lächle gern und innig, aber ich kann ooch Kanonengesichter schneiden, wenn man meiner unbewachten Interferenz zu nahe tritt. Een kleener Scherz is gut und ooch für die Gesundheet leicht verdaulich; aber an der Nase zupfen, das kann ich mir nich gefallen lassen und laß ich mir nich gefallen; da denk‘ ich viel zu hoch und diagonal von mir!«
»Aber ich scherze ja nicht; es ist mein völliger Ernst!«
»Was? Sie wollen dieses Gewehr wirklich aus Ihrem Besitztum entlassen?«
»Ja,« entgegnete der Engländer.
»Und mir als bona immobilia schenken?«
»So ist es.«
»Dann her damit, nur rasch her damit, ehe die Reue kommt! Der Wahn is kurz wie Jemmy, aber die Reue lang wie Davy, singt Freiligrath. Dieses Gewehr mein Eegentum, mein unumschtößliches und konzentrirtes Eegentum. Das is ja grad, als ob heut‘ Christbescherung wär‘! Ich bin ganz außer mir vor Freede! Ich bin ganz komplexiert und überwältigt! Mylord, brauchen Sie mal eenen guten Freund, der für Sie durch dick und dünne geht, so pfeifen Sie mir nur; ich werde sofort apräsang sein! Wie bedanke ich mich nur? Wollen Sie eenen freundlichen Händedruck, eenen lukrativen Kuß oder eene interimistische Umarmung vor der ganzen Welt?«
»Ein Händedruck genügt.«
»Gut! Tü lah wolüh, Anton. Hier is meine Hand. Drücken Sie sie; immer drücken Sie sie, solange es Ihnen Freede und Vergnügen macht. Ich schtelle sie Ihnen von jetzt an täglich zur Verfügung, so oft ich sie nich selber brauche, denn Dankbarkeet is eene Zier, und finden thut man sie bei mir. Droll, Vetter aus Altenburg, hast du gehört, was mir das Glück dieses Tages in aller Hochachtung beschieden hat?«
»Ja,« antwortete der Altenburger. »Wennste een andrer wärst, so thät‘ ich dich beneide, weilste aber mein Freund und Vetter bist, gönn‘ ich dersch aus Herzegrund. Ich gratuliere!«
»Danke, wünsch‘ gleichfalls! Hurrje, wird‘s von jetzt an an een Schießen gehen! Mit diesem Gewehre fordre ich mein Jahrtausend in die Schranken, ohne Advokat und Protokoll. Hier, Mylord, is meine Hand noch eenmal; drücken Sie; drücken Sie nur immer zu; ich will mirsch gern gefallen lassen. Ihr Engländer seid doch schtets prächtige Kerle; das konschtatiere ich, wenn‘s verlangt wird, sehr gern mit meiner eegenhändigen Namensunterschrift. Zählen Sie mich von heute an zu Ihren intimsten Haus- und Familienfreunden. Sobald ich mal nach London offs Newskij-Prospekt komme, besuche ich Sie. Sie brauchen sich nich zu schenieren; ich bin die reene Bescheidenheet und nehme mit allem fürlieb.«
Er war über das Geschenk unendlich glücklich und erging sich darum noch weiter in Redensarten, durch welche die andern sich höchst belustigt fühlten. Ein Glück, daß es so dunkel war und er also die Gesichter der Gefährten nicht erkennen konnte.
Da für den andern Tag bedeutende Anstrengungen zu erwarten waren, so wurden Wachen ausgelost, und dann versuchte man, zu schlafen, was aber lange nicht gelingen wollte. Man schlief erst nach Mitternacht ein, wurde aber schon beim Grauen des Morgens wieder munter, da der Abzug der Indianer unter bedeutendem Lärm vor sich ging.
Als es dann draußen ruhig geworden war, schlüpfte der Apache hinaus, um zu sehen, ob man das Versteck verlassen könne. Als er zurückkehrte, brachte er einen befriedigenden Bescheid. Es war kein einziger Utah mehr im Thale. Man konnte also das Versteck verlassen, welches zwar Raum genug geboten hatte, aber wegen der Anwesenheit der Pferde unbequem gewesen war. Zunächst wurde der Sicherheit wegen der Ein- und Ausgang des Thales mit je einem Posten besetzt und dann das letztere selbst genauer untersucht. Man fand ein Massengrab, welches einfach aus einem über den Leichen errichteten Steinhaufen bestand. Auch gab es einige tote Pferde, welche von irregegangenen Kugeln getroffen worden waren. Die Roten hatten sie unbenutzt liegen lassen; die Weißen waren klüger. Der Weg nach dem Silbersee führte, wenn man den Utahs ausweichen wollte, durch wüste Gegenden, die alles pflanzlichen und also auch animalischen Lebens entbehren. Es war da nicht leicht, hinreichend Nahrung zu finden. Da kamen die Pferde sehr gelegen. Der Westmann ist nicht wählerisch; er sättigt sich auch mit Pferdefleisch, wenn er nichts andres und besseres hat. Wird ihm doch, wenn er Gast der Indianer ist, sehr oft gemästeter Hund als Festbraten vorgesetzt! Man nahm also die besten Stücke, verteilte sie und brannte einige Feuer an, an denen sich jeder seinen Anteil braten konnte, um ihn zu konservieren.
Das war kein Zeitverlust, da man den Roten nicht sofort folgen durfte. Auch war es besser, jetzt für fertige Portionen zu sorgen, als später die dann kostbar gewordene Zeit damit zu verschwenden. Daß die Pferde trinken und grasen durften, um sich für den heutigen Ritt zu stärken, versteht sich ganz von selbst.
Nach der Entfernung der Utahs waren den Gefangenen die Knebel abgenommen worden. Sie konnten also wieder frei Atem holen und sprechen. Die »gelbe Sonne« war die erste, welcher von diesem letzteren Umstande Gebrauch machte. Er hatte lange still dagelegen, das Treiben der Weißen beobachtet und jeden einzelnen genau und mit finstern Blicken betrachtet. Jetzt wendete er sich an Old Shatterhand: »Welcher von euch ist es, der mich niedergeschlagen hat? Wie könnt ihr es wagen, uns gefangen zu nehmen und zu binden, da wir euch nichts gethan haben!«
»Weißt du, wer wir sind?« fragte der Jäger entgegen.
»Ich kenne Winnetou, den Apachen, und weiß, daß Old Shatterhand und Firehand sich bei ihm befinden.«
»Ich bin Shatterhand, und mein Arm war es, der dich zu Boden schlug.«
»Warum?«
»Um dich unschädlich zu machen.«
»Willst du behaupten, daß ich dir schaden wollte?«
»Ja.«
»Das ist eine Lüge!«
»Gib dir keine Mühe, mich zu täuschen! Ich weiß alles. Wir sollten hier getötet werden, obgleich wir mit den Utahs die Pfeife des Friedens geraucht haben. Die Yampas haben euch gestern Boten geschickt und sind dann selbst gekommen. Jede Unwahrheit, welche du sagst, ist umsonst gesprochen. Wir wissen, woran wir sind, und glauben euch kein Wort.«
Der Häuptling wendete das Gesicht ab und schwieg. An seiner Stelle ergriff der einfache Krieger, welchen der Hobble-Frank an dem Verstecke niedergeschlagen hatte, das Wort: »Die Bleichgesichter sind jetzt Feinde der Utahs?«
»Wir sind Freunde aller roten Männer; aber wir wehren uns, wenn wir von ihnen feindlich behandelt werden.«
»Die Utahs haben die Kriegsbeile gegen die Bleichgesichter ausgegraben. Ihr seid berühmte Krieger und fürchtet sie nicht. Weißt du aber, daß die Navajoes ausgezogen sind, den Bleichgesichtern zu helfen?«
»Ja.«
»Die Navajoes sind Apachen, und der berühmteste Häuptling dieses Volkes, Winnetou, ist euer Freund und Gefährte; er befindet sich bei euch. Ich sehe ihn dort bei seinem Pferde stehen. Warum schlagt ihr einen Krieger der Navajoes nieder und bindet ihm die Arme und die Beine?«
»Meinst du dich selbst?«
»Ja. Ich bin ein Navajo.«
»Warum hast du dich dann nicht mit den Farben deines Stammes bemalt?«
»Um mich zu rächen.«
»Und worum ließest du dich hier noch treffen, als die Deinen schon gewichen waren?«
»Eben wegen meiner Rache. Mein Bruder kämpfte an meiner Seite und wurde von einem Häuptling dieser Hunde erschlagen. Ich brachte seinen Körper in Sicherheit, damit die Utahs ihm nicht die Skalplocke nehmen könnten, und kehrte dann, obgleich meine Krieger schon gewichen waren, zurück, um seinen Tod zu rächen. Ich schlich an den Feinden vorüber, ohne von ihnen gesehen zu werden. Ein Häuptling hatte meinen Bruder erschlagen; ein Häuptling sollte mir dafür seinen Skalp geben. Ich, wußte, daß ein solcher im Thale zurückgeblieben war, und wollte ihn suchen. Da sah ich zwei Männer in meinem Wege, einen toten und einen lebendigen. Dieser letztere sah auch mich; ich war verrathen und wollte ihn erschießen; er war schneller als ich und schlug mich nieder. Als ich erwachte, lag ich in Finsternis und war gefangen. Rufe Winnetou! Er kennt mich nicht; aber wenn ich mit ihm sprechen darf, werde ich beweisen können, daß ich kein Utah, sondern ein Najavo bin. Als ich den Bruder den Gefährten übergeben hatte, entfernte ich die Kriegsfarben aus meinem Gesichte, um von den Utahs nicht sogleich als Feind erkannt zu werden.«
»Ich glaube dir; du bist ein Navajo und sollst frei sein.«
Da fuhr die »gelbe Sonne« auf: »Er ist ein Utah, einer meiner Krieger, ein Feigling, der sich durch eine Lüge retten will!«
»Schweig!« gebot Old Shatterhand. »Wäre es wirklich ein Gefährte von dir, so würdest du ihn nicht verraten. Daß du ihn verderben willst, beweist, daß er die Wahrheit gesprochen hat. Du bist ein Häuptling, aber deine Seele ist diejenige eines gemeinen Feiglings, den man verachten muß!«
»Beleidige mich nicht!« brauste der andre auf. »Ich habe die Macht, euch alle zu verderben. Nimmst du uns die Bande ab, so soll euch verziehen werden. Thust du es aber nicht, so werdet ihr von tausend unbeschreiblichen Qualen erwartet!«
»Ich verlache deine Drohung; du befindest dich in unsrer Gewalt, und wir werden mit dir thun, was uns beliebt. Je ruhiger du dich in deine Lage fügst, desto erträglicher wird sie sein. Wir sind Christen und erfreuen uns nicht daran, unsern Feinden Schmerzen zu bereiten.«
Indem er dies sagte, befreite er den Navajo, welcher ein noch junger Mann war, von seinen Fesseln. Dieser sprang auf, reckte und dehnte seine Glieder und bat: »Gib diese Hunde in meine Hand, damit ich mir ihre Skalpe nehmen kann! Je milder du mit ihnen bist, desto mehr werden sie dich betrügen.«
»Du hast keinen Teil an ihnen,« antwortete Old Shatterhand »Du wirst vielleicht mit uns ziehen; aber wenn du es wagst, sie auch nur mit dem Finger zu berühren, würde ich dich mit meinen eigenen Händen töten, Nur wenn wir sie leben lassen, können sie uns Nutzen bringen; ihr Tod aber würde uns schaden.«