Kitabı oku: «Der Schatz im Silbersee», sayfa 35
Fünfzehntes Kapitel. Eine Indianerschlacht
Auf den glücklichen Ausgang dieses Abenteuers war niemand stolzer als Droll und Hobble-Frank, deren klugem Eingreifen dieser Erfolg, wenigstens die Schnelligkeit desselben, zu verdanken war. Sie ritten hinter den Gefangenen nebeneinander. Als sie das Lager verlassen hatten, sagte Droll, indem er sein eigentümliches, listiglustiges Kichern hören ließ: »Hihihihi, is das eene Freede für meine alte Seele! Na, werde sich de Indianersch ärgere, daß se uns so fortreite lasse müsse! Meenste nich, Vetter?«
»Freilich!« nickte Frank. »Das war een Genieschtreech, wie er nich besser im Buche schtehen kann. Und weeßte, wer die Hauptmatadoren dabei gewesen sind?«
»Nu?«
»Du und ich, wir zwee beeden. Ohne uns lägen die andern noch in Ketten und Banden, gerade wie Prometheus, der jahraus und ein nur Adlerlebern essen darf.«
»Na, weeßte, Frank, ich denke, daß die sich ooch noch herausgefunde hätte. Leute wie Winnetou, Shatterhand und Firehand lasse sich nich so leicht an de Marterpfähle binde. Die sind schon oft noch schlimmer drangewese und lebe heutigestags noch.«
»Das gloobe ich zwar ooch, aber schwer geworden wäre es ihnen doch. Ohne unsre internationale Schneidigkeet wäre es ihnen zwar nich unmöglich, aber ooch nich so leicht geworden, sich aus dieser verteufelten Falle zu kontrapunktionieren. Ich bin zwar nich schtolz droff, aber es is immerhin eene erhebende Gefühlsempfindung, wenn man sich sagen kann, daß man neben hervorragenden Geistesgaben ooch noch eene Ausdehnung der Intelligenz besitzt, welche selbst das schnellste Pferd nich einzuholen vermag. Wenn ich mich schpäter zur Ruhe gesetzt habe und eemal bei guter Tinte bin, werde ich meine Momoiranden schreiben, was alle berühmten Männer thun. Nachher wird die Welt erscht recht erkennen, zu welchen Hallucinationen een eenziger Menschengeist die kompetenten Fähigkeeten besitzt. Du bist ooch so een hochbegabter Ehrenerdenbürger, und wir können mit dem Schtolze unsres imitierten Selbstbewußtseins uns daran erinnern, daß wir nich nur deutsche Landsleute, sondern sogar konfigurierte Vettern und Verwandte sind.«
Jetzt war der Zug im Nebenkanon angekommen. Er bog nicht links ab nach dem Hauptcanon ein, sondern wendete sich nach rechts, um dem ersteren zu folgen. Winnetou, welcher den Weg am genauesten kannte, ritt wie gewöhnlich an der Spitze. Hinter ihm kamen die Jäger, dann die Rafters, welche die Gefangenen in der Mitte hatten. Diesen folgte die Sänfte, in welcher sich Ellen befand; ihr Vater ritt nebenher, und den Schluß bildeten wieder einige Rafters.
Ellen hatte sich seit gestern außerordentlich brav gehalten; sie war glücklicherweise von den Roten nicht so streng behandelt worden wie die erwachsenen und männlichen Gefangenen. Als diese letzteren sich von ihren Banden befreit hatten und zu den Häuptlingen gesprungen waren, um sich derselben zu bemächtigen, war sie ganz allein an dem von Old Shatterhand ausgelöschten Feuer zurückgeblieben. Ein Glück, daß die Roten nicht daran gedacht hatten, sich ihrer zu bedienen, um die Freiheit der Geiseln zu erzwingen!
Der schmale Canon stieg ziemlich steil empor und mündete nach vielleicht einer Stunde auf die weite, offene Felsenebene, welche von den dunkeln Massen der Rocky-Mountains begrenzt zu werden schien. Hier drehte Winnetou sich um und sagte: »Meine Brüder wissen, daß die Roten uns folgen werden. Wir wollen jetzt Galopp reiten, um eine möglichst große Strecke zwischen sie und uns zu bringen.«
Infolgedessen gab man den Pferden die Sporen und trieb dieselben so sehr an, wie es die Rücksicht auf die Sänfte und die Ponnies, welche dieselbe trugen, erlaubte. Später erlitt diese Schnelligkeit eine Unterbrechung durch einen für die Reiter sehr erfreulichen Umstand. Man erblickte nämlich ein Rudel Gabelantilopen, und es gelang, zwei derselben zu umkreisen und zu erlegen. Das gab hinreichend Proviant für den heutigen Tag.
Die Berge traten immer näher. Die Hochebene schien an den Fuß derselben zu stoßen; dies war aber keineswegs der Fall, da das Thal des Grand River dazwischen lag. Gegen Mittag, als die Strahlen der Sonne so heiß herniederbrannten, daß sie Mensch und Tier belästigten, gelangte man an eine schmale Stelle der felsigen Ebene, welche sich abwärts senkte. »Das ist der Anfang eines Canons, welcher uns zum Flusse führen wird,« erklärte Winnetou, indem er dieser Senkung folgte. Es war, als hätte ein Riese hier den Hobel angesetzt, um eine tief und immer tiefer gehende Bahn in den harten Stein zu schneiden. Die Wände rechts und links, erst kaum bemerkbar, dann manns-, nachher haushoch, stiegen immer höher an, bis sie oben scheinbar zusammenstießen. Hier in der Enge wurde es dunkel und kühl. Von den Wänden sickerte Wasser herab, welches sich auf der Sohle sammelte und bald fußtief wurde, so daß die durstigen Pferde trinken konnten. Und eigentümlich, dieser Canon zeigte nicht die leiseste Windung. Er war schnurgerade in den Felsen eingefressen, so daß, lange bevor man sein Ende erreichte, vorn ein heller Strich zu sehen war, welcher desto breiter wurde, je mehr man sich demselben näherte. Das war der Ausgang, das Ende des mehrere Hundert Fuß tiefen Einschnittes.
Als die Reiter bei demselben anlangten, bot sich ihnen ein beinahe überwältigender Anblick dar. Sie befanden sich im Thale des Grand River. Dieses war vielleicht eine halbe englische Meile breit, der Fluß strömte in der Mitte hin und ließ zu seinen beiden Seiten einen Grasstreifen frei, welcher von der senkrecht ansteigenden Canonwand begrenzt wurde. Das Thal lief von Nord nach Süd, gerade wie mit dem Lineal gezogen, und die beiden Felsenwände zeigten nicht den engsten Riß oder den kleinsten Vorsprung. Darüber stand die glühende Sonne, welche hier trotz der Tiefe des Canons das Gras dem Verdorren nahe brachte.
Kein einziger Riß? Und doch! Gerade den Reitern gegenüber gab es am rechten Ufer des Flusses einen ziemlich breiten Einschnitt, aus welchem ein sehr ansehnlicher Bach geflossen kam. Dorthin deutete Winnetou, indem er sagte: »Diesem Bache müssen wir aufwärts folgen; er führt nach dem Thale der Hirsche.«
»Aber wie kommen wir hinüber?« fragte Butler, welchem es um seine Tochter zu thun war. »Der Fluß ist zwar nicht reißend, scheint aber tief zu sein.«
»Oberhalb des Bacheinflusses gibt es eine Furt, welche so seicht ist, daß das Wasser in dieser Jahreszeit die Sänfte nicht berühren wird. Meine Brüder mögen mir folgen!«
Man ritt quer über das Gras bis an die Uferstelle, an welcher sich die Furt befand. Dieselbe lag so, daß man, am jenseitigen Ufer angekommen, auch noch den Bach überschreiten mußte, um an das rechte Ufer desselben zu gelangen, welches breiter und also bequemer zu passieren war als das linke. Winnetou trieb sein Pferd in das Wasser, und die andern folgten ihm. Er hatte recht gehabt; das Wasser reichte ihm lange nicht bis an die Füße. Dennoch blieb er, in der Nähe des andern Ufers angekommen, plötzlich halten und stieß einen halblauten Ruf aus, als ob er eine Gefahr entdeckt habe.
»Was gibt‘s?« fragte Old Shatterhand, welcher hinter ihm ritt. »Hat sich das Flußbett verändert?«
»Nein; aber da drüben sind Männer geritten.«
Er deutete nach dem Ufer. Old Shatterhand trieb sein Pferd mehrere Schritte weiter und sah nun auch die Fährte. Sie war breit, wie von vielen Reitern; das Gras hatte sich noch nicht ganz wieder erhoben.
»Das ist wichtig!« sagte Old Firehand, welcher sich den beiden genähert hatte. »Wir wollen diese Fährte untersuchen; unterdessen müssen die andern im Wasser bleiben.«
Die drei ritten vollends an das Ufer, stiegen dort ab und betrachteten die Eindrücke mit ihren Kenneraugen.
»Das waren Bleichgesichter,« sagte Winnetou.
»Ja,« stimmte Old Shatterhand bei. »Indianer wären hintereinander geritten und hätten keine so breite, augenfällige Spur verursacht. Ich möchte behaupten, daß diese Leute keine echten Westmänner sind. Ein Jäger, welcher Erfahrung besitzt, ist weit vorsichtiger. Ich schätze den Trupp auf dreißig bis vierzig Personen.«
»Ich ebenso,« meinte Old Firehand. »Aber Weiße, hier, unter den gegenwärtigen Verhältnissen! Das müssen Neulinge sein, unvorsichtige Menschen, welche es sehr notwendig haben müssen, hinauf in die Berge zu kommen.«
»Hm!« brummte Old Shatterhand. »Ich glaube, zu erraten, wen wir da vor uns haben.«
»Nun, wen?«
»Den roten Cornel mit seiner Abteilung.«
»Alle Wetter! Möglich ist‘s. Meiner Berechnung nach können die Kerle hier sein. Und das stimmt auch mit dem, was du von Knox und Hilton erfahren hast. Wir müssen die Spur – – —«
Er wurde von Winnetou unterbrochen, welcher an den Bach gegangen war und, in das Uferwasser zeigend, sagte: »Meine Brüder mögen hierherkommen. Es ist der rote Cornel gewesen.«
Sie gingen hin und sahen in das Wasser. Dieses war brunnenhell; man konnte den Grund ganz deutlich erkennen und sah eine Reihe von Eindrücken, welche neben der Stelle, an welcher die Reiter den Bach überschritten hatten, von dem einen Ufer nach dem andern führte.
»Ehe die Reiter hinüber sind,« erklärte der Apache, »ist einer von ihnen abgestiegen, um die Tiefe des Wassers zu untersuchen. Es sind also dumme Menschen gewesen, denn jedes offene Auge sieht, daß das Wasser niemand bis über die Beine reicht. Und womit hat der Mann den Bach untersucht? Meine Brüder mögen es mir sagen.«
»Mit einer Hacke, deren Stiel er in der Hand gehabt hat. Das ist aus dem Eindrucke deutlich zu erkennen,« antwortete Old Firehand.
»Ja, mit einer Hacke. Diese Leute wollen also nicht jagen, sondern graben. Es war der rote Cornel.«
»Ich bin ganz derselben Meinung; dennoch aber müssen wir es für möglich halten, daß es auch andre gewesen sein können.«
»Dann könnten nur Goldgräber hier vorbei sein,« sagte Old Shatterhand. »Und das bestreite ich.«
»Aus welchen Gründen?«
»Erstens sind Goldgräber erfahrene Leute, welche nicht so unvorsichtig sind, und zweitens können wir bei den Spuren von vierzig Pferden auf vielleicht zehn Packpferde rechnen; bleiben dreißig Reiter; Goldgräber aber wandern nicht in so bedeutenden Trupps in den Bergen und Canons umher. Nein, es ist der rote Cornel mit seinen Leuten. Ich möchte es beschwören.«
»Auch ich bezweifle es nicht. Wo aber sind sie hin? Da drüben rechts abgebogen, also nicht weiter den Grand River hinab, sondern am Bache empor nach dem Thale der Hirsche. Sie reiten also den Utahs gerade in die Arme.«
»Das ist ihr Schicksal, welches sie sich selbst bereitet haben. Wir können es nicht ändern.«
»Oho!« rief Old Firehand. »Wir müssen es ändern.«
»Müssen? Warum? Haben sie es verdient?«
»Nein. Aber wir müssen den Plan, die Zeichnung haben, welche der Cornel gestohlen hat. Wenn wir diese Zeichnung nicht bekommen, erfahren wir nie, wo die Schätze des Silbersees liegen.«
»Das ist wahr. Du willst diesen Halunken nachreiten, um Sie zu warnen?«
»Um sie nicht zu warnen, sondern um sie selbst niederzuschlagen.«
»Das ist unmöglich. Bedenke, welchen Vorsprung sie haben!«
Old Firehand bückte sich nieder, um das Gras nochmals zu untersuchen und sagte dann im Tone der Enttäuschung: »Leider! Sie sind vor fünf Stunden hier gewesen. Wie weit ist es bis nach dem Hirschthale?«
»Vor Abend können wir es nicht erreichen.«
»So muß ich meine Absicht aufgeben. Sie befinden sich in der Gewalt der Roten, noch ehe wir die Hälfte des Weges zurückgelegt haben. Wie aber steht es mit den Boten, welche von den Yampa-Utahs nach diesem Thale geschickt werden sollten? Sie sind jedenfalls noch vor uns aufgebrochen, und wir haben doch keine Fährte von ihnen gesehen.«
»Diese Männer sind wohl nicht geritten, sondern gelaufen,« erklärte Winnetou. »Zu Fuß ist der Weg viel kürzer, da ein Mokassin über Stellen gelangen kann, an denen Pferd und Reiter die Hälse brechen würden. Meine Brüder mögen nicht an den Cornel denken, sondern daran, daß wir diese Spuren verwischen müssen.«
»Warum verwischen?«
»Wir wissen, daß die Yampa-Utahs uns folgen. Wir gehen später von dem Wege ab, von welchem sie denken, daß wir ihm folgen werden. Wir müssen uns Mühe geben, sie zu täuschen, wenn wir entkommen wollen. Sie müssen die Fährte des Cornels, welcher direkt nach dem Hirschthale geht, für die unsrige halten; dann werden sie derselben folgen und es nicht für möglich halten, daß wir zur Seite gegangen und ihnen entwichen sind. Darum dürfen sie nicht sehen und nicht wissen, daß bereits vor uns Reiter hier gewesen sind. Meine beiden weißen Brüder verstehen es, eine Fährte auszulöschen. Der Hobble-Frank und Droll, der Humply-Bill und der Gunstick-Uncle haben es auch gelernt, Watson und der schwarze Tom ebenso. Diese Männer mögen das Gras aufheben und aus ihren Hüten mit Wasser begießen, denn wenn es naß ist, wird die Sonne es aufwärts ziehen. Das muß auf einer Strecke geschehen, von hier an bis so weit das Auge reicht. Wenn dann die Yampa- Utahs kommen, steht das Gras hoch, und nur da, wo wir geritten sind, ist es niedergetreten.«
Dieser Plan war ausgezeichnet. Die Genannten mußten herbei und, während die andern mit allen Pferden die Furt vollends passierten, über den Bach gingen und drüben warteten, denselben ausführen. Sie gingen auf der Fährte des Cornels wohl gegen hundert Schritte zurück, besprengten das Gras mit Wasser und richteten es auf, indem sie, langsam rückwärts schreitend, ihre Decken auf dem Boden hinter sich herzogen. Das übrige mußte die Sonne thun, und daß sie es thun werde, war ganz zweifellos. Wer nicht Zeuge dieses Vorganges gewesen war, mußte, wenn er eine halbe Stunde später kam, annehmen, nur die Fährte Old Firehands und seiner Begleiter vor sich zu haben. Diejenigen, welche die Fährte vertilgt hatten, sprangen über den Bach und stiegen wieder in den Sattel.
Die gefangenen Roten hatten schweigend zugeschaut. Seit dem Aufbruche hatte überhaupt keiner von ihnen ein Wort gesprochen. Was sie jetzt gesehen hatten, kam ihnen verdächtig vor. Warum löschten die Bleichgesichter diese fremde Fährte aus? Warum verschwendeten sie mit dieser Arbeit die kostbare Zeit, anstatt der Spur so rasch wie möglich zu folgen? Feuerherz konnte es nicht über sich gewinnen, länger zu schweigen; er wendete sich an Old Firehand: »Wer sind die Männer, welche vorher hier geritten sind?«
»Reiter,« antwortete der Gefragte kurz.
»Wohin sind sie?«
»Weiß ich es?«
»Warum vertilgst du ihre Spur?«
»Deiner Krieger wegen.«
»Ihretwegen? Was haben sie mit dieser Fährte zu schaffen?«
»Sie werden sie nicht sehen.«
»Sie werden sie ja nicht sehen, denn die Spur befindet sich hier, und meine Krieger lagern im Walde des Wassers.«
»Sie lagern nicht dort, sondern sie sind hinter uns her.«
»Glaube das nicht!«
»Ich glaube es nicht nur, sondern ich weiß es sogar.«
»Du irrst. Zu welchem Zwecke sollten meine Leute euch folgen?«
»Um uns zwischen sich und diejenigen Utahs zu nehmen, welche im Thale der Hirsche lagern.«
Man sah, daß Feuerherz erschrak. Er faßte sich aber schnell und sagte: »Meinem weißen Bruder hat wohl geträumt? Ich weiß nichts von allem, was er sagt.«
»Lüge nicht! Wir haben wohl die Zeichen gesehen, welche die beiden jungen Häuptlinge dir mit der Decke gaben. Wir haben diese Zeichen ebensogut verstanden wie du selbst und wissen, daß du uns mit dem Calumet belogen hast.«
»Uff! Meine Worte waren ohne Falsch!«
»Das wird sich zeigen. Wehe euch, wenn uns die Yampa-Utahs folgen! Weiter habe ich dir nichts zu sagen. Wir müssen weiter.«
Der unterbrochene Ritt wurde fortgesetzt, jetzt am Bache hinauf. Die Fährte, welcher man folgte, war breit, und also mußte ebenso breit geritten werden, damit es den Verfolgern nicht möglich war, zu erkennen, daß sie zwei Fährten vor sich hatten. Waren die Roten schon vorher schweigsam gewesen, so senkten sie jetzt erst recht die Köpfe. Sie sahen sich durchschaut und erkannten, daß ihr Leben nun keinen Pfifferling mehr wert sei. Wie gern wären sie entflohen, aber von einem Entkommen war keine Rede; ihre Banden waren unzerreißbar fest, und zudem wurden sie von den Weißen so eng umgeben, daß ein Durchbrechen derselben die reine Unmöglichkeit genannt werden mußte.
Der Bach wand sich in vielen Krümmungen allmählich aufwärts. Das Thal wurde breiter und war weiter oben mit Büschen und Bäumen bestanden. Er verzweigte sich endlich in mehrere Nebenthäler, aus denen kleine Wasser kamen, um den Bach, welcher hier seinen Ursprung nahm, zu bilden. Winnetou folgte der stärksten dieser Quellen, deren Thal wohl eine Viertelstunde ziemlich breit war und dann plötzlich eine Felsenenge bildete, hinter welcher es wieder auseinander ging, um eine saftig grüne Matte zu bilden. Als die Enge passiert war, hielt er an und sagte: »Das ist ein vortrefflicher Platz zum Ruhen und Essen. Unsre Pferde sind müde und hungrig, und auch wir bedürfen der Erholung. Meine Brüder mögen absteigen und die Antilopen braten.«
»Dann aber ereilen uns die Utahs!« bemerkte Old Firehand.
»Was schadet das? Sie sollen sehen, daß wir wissen, was sie beabsichtigen. Sie können uns nichts thun, denn wenn wir nur einen Mann an die Enge der Felsen stellen, wird er sie schon von weitem kommen sehen und uns benachrichtigen. Sie können diesen Ort nicht erstürmen und müssen sich zurückziehen.«
»Aber wir versäumen hier viel Zeit!«
»Wir versäumen nicht eine Minute. Wenn wir essen und trinken, wächst unsre Kraft, die wir vielleicht brauchen werden. Und wenn wir unsern Pferden Gras und Wasser geben, können sie später schneller laufen. Ich habe diesen Platz auserwählt. Mein Bruder mag thun, um was ich ihn gebeten habe.«
Der Apache hatte recht, und die andern waren auch einverstanden, daß hier Rast gemacht werde. Da, wo die Felsen das Thal verschlossen, wurde ein Wächter ausgestellt. Die Gefangenen band man an Bäume; die Pferde ließ man grasen, und bald brannten zwei Feuer, über denen das Wild briet. In kurzem konnte man es genießen. Auch die Indianer bekamen ihren Teil, auch Wasser aus dem Becher zu trinken, welchen der Lord bei sich hatte.
Dieser letztere war bei ausgezeichneter Laune. Er war in das Land gekommen, um Abenteuer zu suchen, und hatte mehr gefunden, als er für möglich gehalten. Jetzt hatte er sein Buch hervorgezogen, um die Beiträge zu summieren, welche er Bill und dem Uncle schuldete.
»Wollen wir wetten?« fragte er den ersteren.
»Welche Wette?«
»Daß ich Euch schon tausend Dollar schulde, und sogar noch mehr?«
»Ich wette nicht.«
»Jammerschade! Diese Wette hätte ich gewonnen.«
»Ist mir lieb. Übrigens werdet Ihr heute wohl noch mehr eintragen müssen, Sir, denn es ist möglich, daß wir etwas erleben.«
»Schön! Wenn wir es nur überleben, so mag es kommen. Seht, es geht schon los!«
Der Wachtposten hatte nämlich einen halblauten Pfiff ausgestoßen. Er winkte. Die Anführer eilten zu ihm hin. Als sie, hinter den Felsen versteckt, durch die Enge blickten, sahen sie die Utahs im Thale aufwärts kommen; sie waren noch gegen tausend Schritte entfernt.
Draußen vor den Felsen wucherte Gesträuch. Dahinein postierte Old Shatterhand schnell seine besten Schützen und beorderte sie, zu schießen, sobald sein erster Schuß falle, doch sollten sie nur auf die Pferde, nicht auf die Reiter zielen.
Die Roten kamen schnell näher, die Augen auf die Spur geheftet. Sie glaubten, die Weißen seien ganz glücklich, entkommen zu sein, und wußten sich so sicher, daß sie nicht einmal Späher vorausgesandt hatten. Da krachte vor ihnen ein Schuß; zehn, zwanzig folgten, noch mehr. Die getroffenen Pferde brachen zusammen oder bäumten sich und rannten, ihre Reiter abwerfend und den Zug in Unordnung bringend, zurück. Ein durchdringendes Geheul, dann verschwanden die Indianer; der Platz war leer.
»So!« meinte Old Shatterhand. »Die wissen nun, daß wir auf unsrer Hut sind und ihre Gedanken kennen. Aber wir müssen aufbrechen, da sie uns doch vielleicht von der Seite beschleichen können. Vorwärts also!«
In wenigen Minuten war der Zug wieder beritten und setzte sich in Bewegung. Es war anzunehmen, daß die Roten nur langsam, weil mit äußerster Vorsicht, vordringen würden; darum konnte man überzeugt sein, einen mehr als genügenden Vorsprung zu bekommen.
Es ging die Matte hinauf, über die Lehne des Berges hinüber, und dann erreichte man ein Labyrinth von Schluchten und Thälern, welche aus verschiedenen Richtungen kommend, alle nach einem und demselben Punkte zu streben schienen. Dieser Punkt war der Eingang einer breiten, öden, stundenlangen Felsenklüftung, in welcher nicht ein einziger Grashalm Nahrung zu finden schien. Felsenstücke von jeder Form und Größe lagen hoch aufgetürmt übereinander oder zerstreut umher. Es war, als sei hier in der Urzeit ein riesiger Naturtunnel eingestürzt.
In diesem Steinschutte war es schwer, eine zusammenhängende Spur ausfindig zu machen. Nur hie und da zeigte ein aus seiner Lage gestoßener oder von einem Pferdehufe geritzter Stein, daß die Tramps hier geritten seien. Winnetou deutete mit der Hand vorwärts und sagte: »In zwei Stunden senkt sich dieses Steingewirr in das große, grüne Thal der Hirsche nieder. Wir aber werden hier links abreiten. Old Shatterhand und Old Firehand mögen absteigen, ihre Pferde führen lassen und hinterher gehen, um etwaige Spuren sofort zu vertilgen, damit die Yampa-Utahs nicht bemerken, daß wir zur Seite gewichen sind!«
Er wendete sich nach links in die Trümmer hinein. Die beiden Genannten gehorchten seiner Anweisung und stiegen erst dann, als man weit genug entfernt vom Wege war, wieder auf ihre Pferde. Der Apache bewies, daß er ein ganz unvergleichliches Ortsgedächtnis besaß. Es schien, als ob kein Mensch sich in diesem Wirrsal zurechtfinden könne; es waren seit seinem letzten Hiersein Jahre vergangen, und doch kannte er jeden Stein, jeden Fels, jede Steigung und Biegung, so daß er sich nicht einen Augenblick lang über die einzuhaltende Richtung im unklaren befand.
Es ging sehr steil bergan, bis eine weite, öde Hochfläche erreicht wurde. Über dieselbe flog man im Galopp. Schon war die Sonne hinter den Rockybergen verschwunden, als man das Ende dieses Plateaus erreichte oder doch vor sich liegen sah, denn der Apache hielt an, deutete nach vorn und erklärte: »Noch fünfhundert Schritte weiter fällt der Stein so gerade wie ein Wassertropfen zur Tiefe; jenseits ebenso; dazwischen aber liegt unten das Thal der Hirsche mit gutem Wasser und vielem Wald. Es hat nur einen bekannten Eingang, nämlich den, von welchem wir abgewichen sind, und auch nur einen Ausgang, welcher hinauf nach dem Silbersee führt. Ich und Old Shatterhand sind die einzigen, welche einen weiteren Zugang kennen, den wir, als wir uns in Gefahr befanden, durch Zufall entdeckten. Ich werde ihn euch zeigen.«
Er näherte sich dem Rande des Plateaus. Dort lagen Felstrümmer, wie eine Schutzmauer, damit man nicht in die grausige Tiefe stürzen möge, nebeneinander geschichtet. Er verschwand zwischen zwei solchen Trümmerstücken, und die andern folgten ihm einzeln.
Sonderbar, es gab da einen Weg. Rechts gähnte die Tiefe, in welche man hinab wollte; er führte aber links in den Felsenstock hinein und zwar so steil abwärts, daß man vorzog, abzusteigen und die Pferde zu führen. Der ungeheure, meilenlange und breite Felsenkoloß hatte einen Riß bekommen, welcher in verschiedenen Krümmungen, von oben nach unten ging.
Nachrollendes Steinwerk hatte diesen Riß in der Weise ausgefüllt, daß ein fester Boden gebildet worden war, dem man sich getrost anvertrauen konnte. Die Pferde konnten trotz der Steilheit dieses Weges nicht stürzen, da er nicht aus glattem Gestein, sondern aus ziemlich festem Geröll bestand, welches das Ausgleiten verhinderte. Je tiefer man kam, desto finsterer wurde es. Old Firehand hatte Ellen Butler auf sein Pferd gesetzt und ging, sie stützend und haltend, neben demselben her. Es war, als ob man stundenlang zur Tiefe gestiegen sei, bis plötzlich die Senkung aufhörte, der Boden sich ebnete und der Felsenriß so breit wurde, daß er einen großen Saal, aber ohne Decke, bildete. Hier hielt Winnetou an und sagte: »Wir sind beinahe im Thale. Hier werden wir bleiben, bis die Dunkelheit uns gestattet, an den Utahs vorüberzukommen. Schafft die Pferde nach hinten, wo sie trinken können, und gebt den Gefangenen Knebel, damit sie nicht laut werden!«
Die Roten hatten natürlich auch abwärts steigen müssen; darum hatte man ihnen die Beine freigegeben. Nun fesselte man sie wieder und verschloß ihnen auch den Mund, um sie am Rufen zu verhindern. Es herrschte tiefe Dämmerung in diesem Raume, aber die Männer, welche geübt waren, des Nachts fast wie die Katzen zu sehen, fanden sich dennoch leicht zurecht. Im hintern Teile sammelte sich die Feuchtigkeit des Felsens in einem kleinen Tümpel, aus welchem ein Wässerlein vorn abfloß; wohin, das sah man noch nicht.
Winnetou nahm einige der Jäger mit sich, um ihnen die Örtlichkeit zu zeigen. Was sie sahen, setzte sie nicht wenig in Verwunderung. Vorn, wo der Saal sich wieder verengte, gab es einen Ausgang, so schmal, daß kaum zwei Männer nebeneinander gehen konnten. Dieser Gang führte auch abwärts, aber nicht sehr weit. Nach einigen Krümmungen standen die Männer vor einem dichten, natürlichen Vorhang von Schlingpflanzen, unter welchem das Wasser verschwand. Winnetou schob diese Gardine ein wenig zur Seite, und da sahen sie vor sich Wald, Baum an Baum, hoch und kräftig gewachsen und so dicht belaubt, daß das letzte Licht, des Tages nicht durch die Wipfel zu dringen vermochte.
Der Apache trat hinaus, um zu rekognoszieren. Als er wieder hereinkam, meldete er: »Rechts von uns, im Norden, also thalaufwärts, brennen viele Feuer unter den Bäumen; dort lagern also die Utahs. Thalabwärts ist es finster. Dort hinab müssen wir. Vielleicht stehen keine Roten dort. Höchstens hat man zwei oder drei Mann an den Ausgang des Hirschthales gestellt; diese sind sehr leicht unschädlich zu machen, und wir könnten also das Thal ohne große Gefahr verlassen, wenn sich nicht der rote Cornel in demselben befände. Wir müssen unbedingt erfahren, wie es um ihn steht. Darum werde ich mich, sobald es noch dunkler geworden ist, zu den Feuern schleichen, um zu lauschen. Bevor das geschehen ist, können wir nicht fort; bis dahin aber müssen wir uns vollständig lautlos verhalten.«
Er führte die Männer wieder zurück, um nach ihnen auch den andern die Örtlichkeit zu zeigen. Das war notwendig, da im Falle der Not und Gefahr ein jeder wissen mußte, wo er sich befand und wo es einen Ausweg gab. Die Gefangenen waren sehr gut gefesselt, dennoch erhielt jeder von ihnen einen besonderen Wächter. Hatten die Weißen gestern und auch schon früher ihre Banden zu lösen vermocht, so konnte auch den Roten dasselbe gelingen. Winnetou war der Meinung gewesen, daß er allein rekognoszieren gehen werde, dem stimmten aber weder Old Shatterhand noch Old Firehand bei. Das Unternehmen war hier so gefährlich, daß ein einzelner leicht nicht wiederkehrte, und dann wußte man nicht, was ihm geschehen war und auf welche Weise man ihm Hilfe bringen konnte. Darum wollten die Genannten mit ihm gehen.
Nachdem man fast zwei Stunden gewartet hatte, brachen die drei auf. Sie schlichen hinaus in den Wald und blieben da zunächst stehen, um zu lauschen, ob sich vielleicht jemand in ihrer Nähe befinde. Es war nichts zu sehen und zu hören. Die Feuer brannten in ziemlicher Ferne; es waren ihrer sehr viele; aus dieser Anzahl ließ sich schließen, daß eine ganz ungewöhnliche Menge Utahs hier lagerten.
Die drei schlichen nun vorwärts, von Baum zu Baum, Winnetou voran. Je weiter sie sich den Feuern näherten, desto leichter wurde ihnen die Lösung ihrer Aufgabe, denn gegen die Flammen blickend, konnten sie jeden Gegenstand sehen, welcher vor ihnen stand oder lag.
Sie bewegten sich am linken Rande des Thales. Die Feuer lagen mehr gegen die Mitte. Vielleicht hatten die Roten der Felswand nicht getraut. Daß sich von derselben leicht ein Stück lösen konnte, bewiesen die Trümmer, welche, Bäume zerschmetternd, herniedergestürzt waren und sich tief in die Erde eingewühlt hatten. Die drei Männer kamen rasch vorwärts. Schon befanden sie sich parallel den vordersten Feuern. Links von ihnen, und noch weiter zurück, brannte eine sehr helle, hohe Flamme abgesondert von den andern. An derselben saßen fünf Häuptlinge, wie aus den Adlerfedern, welche ihre Schöpfe schmückten, zu erkennen war.
Eben erhob sich einer von ihnen. Er hatte den Kriegsmantel abgeworfen. Sein nackter Oberleib war, wie Gesicht und Arme, mit dicker, grellgelber Farbe bestrichen. »T‘ab-wahgare!« flüsterte Winnetou. »Er ist der Häuptling der Capote-Utahs und besitzt die Stärke eines Bären. Seht seinen Leib! Welch dicke, starke Muskeln, und welch eine breite Brust!«
Der Utah winkte einem zweiten Häuptlinge, welcher auch aufstand. Dieser war länger als der vorige und wohl nicht weniger stark.
»Das ist Tsu-in-kuts«, erklärte Old Shatterhand. »Er trägt diesen Namen, weil er einst vier Büffelstiere mit vier Pfeilschüssen getötet hat.«
Die beiden Häuptlinge wechselten einige Worte miteinander und entfernten sich dann vom Feuer. Vielleicht wollten sie Wachen inspizieren. Sie vermieden die andern Feuer und näherten sich infolge dessen mehr der Felsenwand.
»Ah!« meinte Old Shatterhand. »Sie kommen hier nahe vorüber. Was meinst du, Firehand? Wollen wir sie nehmen?«
»Bei lebendigem Leibe?«
»Natürlich!«
»Das wäre ein Coup! Schnell nieder auf die Erde; du den ersten und ich den zweiten!«
Die beiden Utahs kamen näher. Der eine ging hinter dem andern. Da tauchten plötzlich zwei Gestalten hinter ihnen auf – zwei gewaltige Fausthiebe, und die Getroffenen stürzten zu Boden.
»Gut so!« flüsterte Old Firehand. »Die haben wir. Nun schnell in unser Versteck mit ihnen!«
Jeder nahm den seinigen auf. Winnetou erhielt die Weisung, zu warten, und dann eilten die beiden dem verborgenen Felsensaale zu. Dort lieferten sie die neuen Gefangenen ab, ließen sie binden und knebeln und kehrten dann zu Winnetou zurück, nicht aber ohne zuvor den Befehl zu geben, daß keiner der Gefährten das Versteck verlassen dürfe, bevor sie zurückgekehrt seien, möge auch geschehen, was da wolle.
Winnetou stand noch an derselben Stelle. Es war jetzt weniger nötig, die drei Häuptlinge zu belauschen, als vielmehr den Ort ausfindig zu machen, an welchem sich der rote Cornel mit seiner Sippe befand. Um zu diesem Ziele zu gelangen, mußte das ganze Lager umschlichen werden. Die drei kühnen Männer schritten also immer weiter an der Felsenwand hin, die Feuer alle zu ihrer Linken lassend.