Kitabı oku: «Im Lande des Mahdi III», sayfa 14
Hatten die Kurden bisher alle gangbaren Wege vermieden, so gab es jetzt keine Wege mehr, denen sie sich hätten fernhalten müssen. Wir waren erst über grasige Flächen, dann durch lichten Wald gekommen und ritten jetzt eine nackte, weit ausgedehnte und schräg ansteigende Felsentafel hinan, auf welcher die Pferdehufe keine Stapfen hatten hinterlassen können; ich hatte mich nur an kleine, winzige Zeichen zu halten, leise Schürfungen oder Kratzungen, die einem weniger geübten Auge sicherlich entgangen wären.
Daß die Kurden den gangbaren Wegen ausgewichen waren, sollte jedenfalls eine Vorsichtsmaßregel von ihnen heißen, war aber gar nicht geeignet, der Klugheit ihres Anführers von mir eine gute Censur zu erwirken. Ein harter, festgetretener Weg nimmt die Spuren nicht so auf wie der weiche Grasboden, und wenn ich der Verfolgte gewesen wäre, so hätte ich grad die Wege gewählt, um, von dem einen in den andern einbiegend und also verschiedene oder gar ganz entgegengesetzte Richtungen einschlagend, den Verfolger von mir abzubringen. Schir Samurek hatte pfiffig sein wollen, war aber grad das Gegenteil von klug gewesen.
Als wir den oberen Rand der Felsenplatte erreichten, sahen wir eine weite Heidestrecke vor uns liegen, deren Ende aber nicht ersehen werden konnte, weil sie mit zwar einzeln stehenden doch in ihrer Gesamtheit die Fernsicht hindernden Kiefern bestanden war. Von hier aus gingen die Spuren auseinander; sie führten nach allen Richtungen, natürlich nur nicht rückwärts, in die Heide hinein.
»Allah ‚w Allah!« rief Halef aus. »Das ist ein sehr böser Streich, den die Kurden uns da gespielt haben, ein sehr böser!«
»Wieso?« fragte ich.
»Siehst du denn nicht, daß sie sich getrennt haben, um uns irre zu führen? Dieser Schir Samurek ist doch nicht ganz so dumm, wie er uns bis hierher vorgekommen ist!«
»Er ist im Gegenteile noch viel dümmer, als ich gedacht habe!«
»Wirklich, Sihdi? Ich bitte dich, mir das zu erklären!«
»Das liegt doch so klar auf der Hand, daß es gar keiner Erklärung bedarf. Denkst du etwa, daß die Kurden sich hier für immer voneinander getrennt haben, Halef?«
»Nein; es ist nur eine Finte von ihnen.«
»Die ihnen aber gar nichts nützt, denn ihr Anführer hat jedenfalls den Punkt bestimmt, an welchem sie alle wieder zusammentreffen.«
»Ah, jetzt verstehe ich dich! Da brauchen wir ja nur einer dieser Fährten zu folgen, um den Punkt auch zu erreichen, von welchem du gesprochen hast.«
»Natürlich! Diese Finte ist so dumm, daß ein ganz gewöhnlicher Indianer sich schämen würde, auf sie verfallen zu sein. Wir wählen uns diejenige Fährte aus, welche am stärksten ist, die also von der zahlreichsten Abteilung stammt und – – – schau hier! Da ist der Heideboden aufgewühlt, daß ganze Schollen umhergeflogen sind. Es hat sich eines der Pferde geweigert, weiter zu gehen, und ich müßte mich sehr irren, wenn das nicht mein Rih gewesen wäre. Dieser Fährte und keiner andern folgen wir. Komm!«
Wir gaben unsern Pferden die Sporen und galoppirten auf den erwähnten Spuren hin, denn die weit auseinanderstehenden Kiefern hinderten uns nicht, ein so schnelles Tempo einzuhalten! Unsere Grauschimmel waren jung; der Apotheker, vielleicht kein guter Reiter, hatte sie zwar ziemlich aus der Schule kommen lassen, unter uns aber fanden sie sich leicht zurück, und ich wurde zu meiner Genugthuung überzeugt, daß wir zu unserm Zweck gar keine geeigneteren Tiere hätten bekommen können.
Als wir eine Viertelstunde so fortgeritten waren, senkte sich die Höhe wieder niederwärts und wir kamen in ein wasserloses, sandiges Thal, in welchem nur Ginsterbüsche und andere anspruchslose, holzige Schmetterlingsblütler ihr Leben fristeten. In diesem Sande war die Fährte so deutlich zu sehen, wie wir nur wünschen konnten, und als wir dem Thale und seinen Windungen vielleicht eine kleine halbe Stunde gefolgt waren, sah ich eine Spur von links herabkommen und sich mit derjenigen, welcher wir folgten, vereinigen. Dann stieß eine zweite, dritte, vierte und fünfte herzu, bis die Hufeindrücke, welche droben an der Felsenplatte auseinander gegangen waren, sich alle wieder vereinigt hatten.
»Sihdi, du hast recht gehabt,« sagte Halef. »Jetzt sind die Kurden wieder beisammen und der Kniff ihres Anführers hat uns nicht eine Minute aufhalten können. Sobald wir ihn gefangen genommen haben, werde ich ihm sagen, daß er, wenn er in der Einbildung lebt, sich mit dir messen zu können, einer alten, dicken, heiseren Batta71 gleicht, welche sich erfrecht, mit den Belabil72 des siebenten Himmels um die Wette zu singen!«
Fast hatte ich wieder gelacht und zwar nicht etwa über den Vergleich zwischen Ente und Nachtigall, sondern über die Sicherheit und Selbstverständlichkeit, mit welcher er annahm, daß wir den Scheik festnehmen würden, wir, zwei fremde, einzelne Männer, den mächtigen Befehlshaber der Kelhurkurden, der auf alle Fälle mehr als die vierzig Krieger befehligte, die ihn zum Raube meines Pferdes nach Khoi begleitet hatten! Aber so war der kleine, kühne Kerl nun einmal. Wir hatten bei unsern Reisen und fast allen unsern Erlebnissen so viel Glück gehabt, daß er verwöhnt worden war und es für ganz ausgeschlossen hielt, daß uns einmal etwas mißlingen könne. Ja, er hatte sich sogar angewöhnt, seine Ansprüche an das Glück viel, viel höher zu spannen, als zum Gelingen unserer jeweiligen Absichten nötig war. So sprach er auch jetzt nicht etwa nur von der Zurückgewinnung unserer Pferde, sondern er wollte sogar den Scheik gefangen nehmen, und es stand bei ihm über allen Zweifel erhaben, daß dies auch wirklich geschehen werde. Es fiel mir gar nicht ein, sein Selbstvertrauen herabzustimmen, denn grad diese seine Zuversichtlichkeit war es, die ihn zu einem brauchbaren Gefährten in jeder Not und Gefahr gemacht hatte. Ich nickte also halb zustimmend und antwortete:
»Wenn wir unsern Zweck auf keine andere Weise erreichen können, wird es freilich notwendig sein, Schir Samurek in unsere Gewalt zu bringen. Dieses Mittel haben wir, wenn alle andern fehlschlagen wollten, schon oft angewendet. Hat man sich des Anführers oder einer sonst hervorragenden Person versichert, so kann man fordern, anstatt bitten zu müssen. Uebrigens denke ich, daß wir nun sehr bald sehen werden, woran wir mit den Kelhur sind, lieber Halef. Wenn das Kismet bestimmt hat, daß du heut ein Heldenstück spielst, so wird in kurzer Zeit der Vorhang sich bewegen.«
»Denkst du?« fragte er geschmeichelt. »Was das Kismet will, soll geschehen. Ich werde als Batal73 alles thun, um mir deine Zufriedenheit und deinen Beifall zu erringen. Doch warum denkst du, daß der Vorhang sich schon so bald heben wird?«
»Die Finte des Scheiks bringt mich auf diesen Gedanken. Warum hat er sie nicht gleich in der Gegend von Khoi ausgeführt? ich vermute doch, daß wir es mit einem ganzen Lager und nicht nur mit einer flüchtigen Abteilung der Kelhur zu thun haben. Den Hauptstreich, uns von diesem Lager abzuhalten, hat er – auch wieder nicht pfiffigerweise – unternommen, als er in der Nähe desselben angekommen war. Paß auf; wir werden gar nicht mehr weit zu reiten haben!«
Das Thal, in welchem wir uns befanden, machte eine so scharfe Biegung nach links, daß sie einen spitzen Winkel bildete. Die Kurden waren dieser Biegung nicht gefolgt, sondern die Seite des Thales, an welche der Winkel stieß, hinaufgeritten. Halef wollte, ohne anzuhalten, weiterreiten, ihnen nach; ich hielt ihn aber zurück und sagte.
»Halt! Wenn wir uns, wie ich vermute, in der Nähe des Lagers befinden, und wenn der Scheik annimmt, daß wir ihn verfolgen, so steht zu erwarten, daß er hier Wachen ausgestellt hat, die uns entweder kurz wegputzen oder ihm unsere Annäherung melden sollen. Wir müssen also vorsichtig sein. Du bleibst also hier zurück und hältst mein Pferd, während ich mich zu Fuße weiterschleiche, um die Sicherheit des weiteren Weges zu erkunden. Du verlässest die Stelle hier auf keinen Fall eher, als bis ich wiederkomme oder dich dort von der Höhe aus zu mir rufe!«
Ich stieg vom Pferde, übergab ihm die Zügel und klomm an der Lehne des Thales empor, wo es wieder Bäume und Sträucher gab, die ich als Deckung benutzen konnte. Indem ich dabei die Fährte der Kurden im Auge behielt, konnte ich keine einzelne Spur entdecken, die von derselben abgewichen war. Droben gab es Felsen mit Fichtenwald, in welchem einzelne Eichen eine freund- liche [freundliche] Abwechslung hervorbrachten. Da folgte ich der Fährte wohl über eine Viertelstunde lang; sie blieb ungeteilt, und es wich auch hier kein Stapfen von ihr ab. Schon wollte ich nun umkehren, da bemerkte ich, daß der Wald sich abwärts zu senken begann. Die Fährte führte links nach einer Bodenrinne; rechts stieg ein Felsstück wie ein halb eingefallener Wartturm aus den Büschen auf; zu diesem ging ich hin und kletterte hinauf. Hatte ich erwartet, von da aus einen Ausblick zu gewinnen, so sah ich mich nicht getäuscht. Der Fuß des Berges ging in eine grüne Ebene über, durch welche ein Bach floß, der in der erwähnten Rinne zu entspringen schien. Ziemlich weit draußen in dieser Ebene befand sich, vom Bache durchflossen, das Kurdenlager, oder vielmehr, es hatte sich dort befunden, denn ich sah beim ersten Blicke, daß es aufgehoben worden war. Es bewegte sich dort alles geschäftig, ja eilig durcheinander. Ich sah ledige Menschen und Pferde; ich sah Reiter, welche bereits im Sattel saßen; Frauen gab es nicht und andere Tiere als Pferde auch nicht. Es handelte sich also nicht um ein gewöhnliches Wohnlager, an welchem die Frauen und Herden teilnehmen, sondern es hatten nur Männer hier gewohnt, und zwar nicht in Zelten, sondern unter leicht zu errichtenden Zweig- und Blätterdächern, die auf je vier Pfählen ruhten. Um einen Jagdzug konnte es sich nicht handeln, um einen Kriegszug, welcher die hiesige Gegend betraf, auch nicht; für jetzt war mir der Aufenthalt der Kelhur hier ein Rätsel, bis ich dann erfuhr, daß sie einen Raubzug nach jenseits der Masaraberge beabsichtigt hatten, um die Bewohner der persischen Grenze zu brandschatzen. Es waren ganz gewiß dreihundert Krieger beisammen, welche außer ihren Reitpferden wenigstens fünfzig Maultiere bei sich hatten, die mit Packsätteln versehen waren.
Die großen, hellen, oft vier Fuß im Durchmesser haltenden Turbane gaben diesen Leuten das Aussehen, als ob sie Kürbisse auf den Köpfen trügen. Ich versuchte, mein Pferd zu entdecken, was aber bei dem Gedränge, welches es dort gab, unmöglich war.
Halb befriedigt und halb enttäuscht, kehrte ich nun zurück, doch nicht ganz zu Halef; ich blieb vielmehr oben auf der Seite des Sandthales stehen und rief ihm zu, heraufzukommen. Er folgte diesem Rufe und erkundigte sich, als er bei mir ankam und mir das Pferd übergab:
»Hast du Wachen entdeckt, Sihdi?«
»Nein.«
»Aber wohl das Lager?«
»Ja.«
»Welch eine Unvorsichtigkeit von Schir Samurek! Er mußte doch unbedingt durch Wächter dafür sorgen, daß wir uns seinem Lager nicht so leicht und unbemerkt nähern können!«
»Er hat das nicht für nötig gehalten, weil das Lager abgebrochen wird.«
»Was? Abgebrochen? Sie wollen fort?«
»Ja. Er scheint gleich bei seiner Ankunft den Befehl zum Aufbruch gegeben zu haben.«
»Wohin wollen sie?«
»Das kann ich natürlich nicht wissen; wir werden es aber erfahren, denn wir folgen ihnen so lange, bis wir unsere Pferde wieder haben.«
»Ich hoffe zu ihrem Wohle, daß dies noch heut geschieht, denn wenn ich länger warten muß und mir die Geduld vergeht, so schieße ich sie alle über den Haufen. Wenn sie Pferde stehlen wollen, so habe ich nichts dagegen, denn der Pferderaub gilt bei ihnen für eine mutige und lobenswerte That; aber wenn sie, obgleich es auf der Erde Millionen von Pferden zu stehlen giebt, grad nur nach den unserigen verlangen, so habe ich sehr viel dagegen und werde ihnen zeigen, was es für schlimme Folgen hat, wenn man mich zwingt, mich auf den Rücken eines At el Attar74 zu setzen!«
»Sei doch froh, daß wir diese Grauschimmel bekommen haben; wir hätten viel schlechtere erwischen können!«
»Ist das ein Trost? Wir haben sie zwar nicht gestohlen, sondern nur geliehen; aber bis wir sie dem Giftmischer zurückgegeben haben, werde ich mich als Spitzbube fühlen, und daran sind diese Kelhur schuld. Mögen sie dafür in der Hölle und in alle Ewigkeit Besitzer von Pferdeherden sein, die ihnen täglich zehnmal gestohlen und nie wieder zurückgegeben werden!«
Wir ritten nun bis zu dem Felsen, von welchem aus ich vorhin meine Beobachtungen gemacht hatte, banden unten unsere Pferde an und stiegen hinauf, um das Kurdenlager zu überblicken. Wir waren grad zur rechten Zeit gekommen, um noch zu sehen, daß die Kelhur fortzogen. Sie bildeten, zu zweien oder dreien nebeneinander reitend, ein langes, schmales Band, das sich über den grünen Plan bewegte und dessen Spitze schon fast den Horizont erreicht hatte.
»Da ziehen sie hin, die Schurken, die Schufte,« grollte Halef zornig, »und wir stehen hier und gucken hinter ihnen her, den Schnurrbart leckend wie hungrige Hunde, denen der lebendige Braten auf vier Beinen davongelaufen ist! Aber wartet nur eine kleine Weile; dann werden wir über euch kommen wie zwei grimmige Löwen über die Mäuse und euch so in den Rachen nehmen, daß euch die Rippen krachen und die Arme und Beine hüben und drüben abgebissen herunterfallen! Ich bin ein guter Mensch, ein seelensguter Mensch; ich bin so gut, daß ich sogar die Diebe noch für Menschen halte; aber ist das etwa ein Grund, mich selbst auch zu bestehlen? Grad diese meine Milde und Güte sollten jeden Spitzbuben abhalten, sich an meinem Eigentume zu vergreifen! Aber ganz im Gegenteile, diese Halunken haben sich grad die zwei besten Menschen ausgewählt, um ihnen die Pferde zu rauben. Fordert das nicht die doppelte, die dreifache Rache heraus, Effendi? Schau, dort schlängeln sie sich fort und zwingen unsere Lieblinge, mit ihnen zu laufen! Wer weiß, was für ein stinkiger Kerl nun auf dem meinigen sitzt! Du freilich kannst das süße Gefühl der wohlthuenden Ueberzeugung haben, daß der Rücken deines Rih von keiner kurdischen Fortsetzung des menschlichen Rückgrates berührt werden kann; denn wer da wagen wollte, dies zu versuchen, der müßte, um sie später wiederzufinden, seine Glieder vorher im Buche des Lebens verzeichnen lassen. Der Zorn kocht in meiner Seele, und der Grimm dampft in meinem Herzen. Wenn ich den Kerl erfahre und erwische, der auf meinem Pferde gesessen hat, den zerschneide ich von oben herab in zwei ganz gleiche Hälften, so daß er niemals wieder reiten kann, sondern sobald er aufgestiegen ist, zu beiden Seiten wieder herunterfällt! Bei Muhammed, dem Propheten, das werde ich thun, das werde ich ganz genierlich thun!«
Es läßt sich denken, daß auch ich nicht gut auf die Pferderäuber zu sprechen war; aber der Zorn Halefs wirkte komisch auf mich, und seine Ausdrucksweise war so drollig, daß ich mir wieder einmal Mühe geben mußte, das Lachen zu verbeißen. Und im Arabischen war seine Rede noch bedeutend wirkungsvoller, als ich sie hier im Deutschen wiedergeben kann. Und dabei hatte er nicht einmal eine Ahnung, daß mir das Lachen näher stand als das Räsonnieren! Neben seinen vielen guten, ja vortrefflichen Eigenschaften war es nicht zum geringsten auch diese seine Drolerie, die ihn mir so lieb und wert gemacht hatte. Es ist ja überhaupt keine Frage, daß orginelle Charaktere stets und überall einen tiefern Eindruck machen als gewöhnliche Dutzendmenschen.
Das Nächste, was wir zu thun hatten, war natürlich, den Lagerplatz der Kurden zu untersuchen; das konnten wir aber nicht eher vornehmen, als bis die Kelhur jenseits des Horizontes verschwunden waren. Die Linie, welche sie eingeschlagen hatten, lag gegen Südost; wenn wir ihnen folgten, mußten wir also wieder nach dem Zabflusse, der uns aus dem Grenzgebirge herab nach Khoi geführt hatte. Wir waren also, wenn wir ihn wieder erreichten, die Kanten eines Dreieckes geritten, was einen Zeitverlust ergab, den wir nur diesen Kelhurkurden zu verdanken hatten; dies gab einen weiteren Grund, ihnen mit keinen freundlichen Gesinnungen zu folgen.
Endlich waren die letzten von ihnen im Südosten verschwunden; wir stiegen von dem Felsen herab und wieder auf unsere Pferde, die wir nach der Bodenrinne lenkten, welche ich schon bezeichnet habe und nach der die Fährte der Kelhur führte. Die Rinne war schmal und tief, aber doch leidlich wegsam. Je weiter wir ihr abwärts folgten, desto feuchter wurde sie, und bald brachen rechts und links kleine Wässerchen aus den Wänden, die sich miteinander vereinigten und tiefer unten ganz so, wie ich vermutet hatte, den Bach bildeten, der von mir vom Felsen aus gesehen worden war.
Als wir am Fuße des Berges anlangten, lief die Rinne breit in die Ebene aus und wir ritten im Galoppe dem Bache entlang, bis wir die Stelle erreichten, wo die Kurden gelagert hatten. Während Halef die Pferde hier erst trinken und dann grasen ließ, untersuchte ich sehr sorgfältig den ganzen Platz, indem ich hoffte, vielleicht etwas zu entdecken, was unserm Vorhaben förderlich sein könnte. Ich hatte mich aber getäuscht, denn nach einem ziemlich langen Forschen hatte ich weiter nichts gefunden und erfahren, als daß das Lager vielleicht eine Woche lang benutzt worden war. Dies erfahren zu haben, hatte für uns gar keinen Wert. Wertvoller war der Schluß, den ich aus der schnellen Entfernung der Kurden zog. Sie hatten sehr wahrscheinlich vorher nicht die Absicht gehabt, heut das Lager zu verlassen, denn ich sah, daß einige der bereits erwähnten Schutzdächer erst gestern neu gedeckt worden waren, was man jedenfalls unterlassen hätte, wenn der heutige Aufbruch schon gestern beschlossen gewesen wäre. Da war gegen Abend Aqil hier angekommen, um wegen des Blutpreises zu verhandeln, zu seinem und unserm großen Schaden, denn sie hatten ihn festgenommen, später auch durch Zufall seinen Sohn ergriffen und dann unsere Pferde gestohlen. Aqil und sein Sohn Ssali Ben Aqil befanden sich jetzt noch in ihren Händen; sie waren der Blutrache, also einem jedenfalls nicht leichten Tode verfallen. Hatten die Kelhur wegen dieser beiden Gefangenen den Lagerplatz so schnell verlassen? Oder vielleicht, weil sie dachten, daß ich mit Halef hierherkommen werde? Vielleicht hatten beide Gründe zusammengewirkt.
Man braucht mich nicht für einen eingebildeten Menschen zu halten, weil ich es für möglich hielt, daß dreihundert Kurden wegen uns zwei Menschen sich aus ihrem Lager entfernt hatten. Im Oriente fällt es der Mücke gar nicht schwer, in kurzer Zeit ein Elefant zu werden; ja, sie kann sogar ganz ohne ihr Zuthun sehr leicht zum Dickhäuter werden. Ich hatte Gelegenheit gefunden, mich mit einigem Geschick aus bösen Lagen zu ziehen. Mit Hilfe einiger Kenntnisse, die jeder gebildete Europäer besitzt, und den im wilden Westen gesammelten Erfahrungen war es mir gelungen, einigen Stämmen der Dschesireh hier und da einen kleinen Dienst zu erweisen. Das war erzählt und von Mund zu Mund weitergetragen worden. Weil nun jeder Erzähler seiner Phantasie dabei freien Raum gelassen hatte, war eine Sagen- und Legendenbildung entstanden, durch welche mein Bild und auch Halefs kleine Figur wie auf der Leinwandfläche eines Hydro-Oxygengas-Mikroskopes erschienen. Die Legende hatte meine Kenntnisse und Geschicklichkeiten in das Ungeheure vergrößert; noch berühmter aber als ich selbst waren meine beiden Gewehre. Man erzählte sich, daß die Kugel meines Bärentöters durch Stahl und Mauern dringe und daß ich mit dem »Zaubergewehre«, nämlich dem Henrystutzen mit fünfundzwanzig Schüssen, in alle Ewigkeit und ohne Aufhören schießen könne, ohne einmal laden zu müssen. Dazu kam freilich, daß ein Fehlschuß bei solchen Gewehren nicht leicht vorkommen kann und daß die indianische Art, zu reiten, selbst jedem Beduinen imponieren muß. Ferner war ich im Anschleichen und Auskundschaften beobachtet worden, und da auch in dieser Beziehung der Asiate nicht den zehnten Teil dessen leistet, was der Indianer mit Leichtigkeit vollbringt, so war es gar kein Wunder, daß eben Wunder von mir erzählt wurden und daß auch hier die Kelhurkurden ihr Lager lieber aufgaben als sich, wie sie dachten, von mir beschleichen und von meiner Zauberflinte niederpaffen zu lassen. Wenn trotz dieser Angst Schir Samurek den Fehler begangen hatte, mich durch seinen Hohn hinter sich her zu locken, so war es eben ein Fehler gewesen, den er jetzt wahrscheinlich bereute. Also es war keineswegs Ueberhebung von mir, sondern eine ganz objektive Beurteilung der Umstände, wenn ich annahm, daß die Kurden mit wegen mir von hier fortgezogen seien.
Selbstverständlich mußten wir ihnen nachreiten; aber das hatte nun keine große Eile, weil wir uns doch erst abends an sie schleichen konnten und ihnen nicht so Knall und Fall folgen durften; wir mußten ihnen vielmehr, wenn wir nicht von ihnen entdeckt sein wollten, Zeit lassen, einen auch für uns vorteilhaften Raum zwischen sich und uns zu legen. Verschwinden konnten sie uns auf keinen Fall; dafür sorgte schon ihre Fährte, welche unsichtbar zu machen, sie nicht die Uebung und das Geschick besaßen. Darum ließen wir unsere Pferde fast zwei Stunden lang grasen und brachen erst dann auf, als wir grad ebenso weit vom Mittag waren, also gegen zehn Uhr vormittags.
Als die Sonne am höchsten stand, befanden wir uns zwischen den Bergen, wo ich in einem Walde von Balamut-Eichen – von denen die dortigen weltbekannten Galläpfel kommen – ein Wildschwein schoß, welches uns den notwendigen Proviant lieferte. Wir saßen da für kurze Zeit ab, um einige gute Stücke davon anzubraten und mitzunehmen; denn so lange wir uns den Kurden von jetzt an auf den Fersen befanden, und das konnte mehrere Tage dauern, durften wir auf kein Wild mehr schießen, weil der Schuß uns ihnen verraten konnte. Eigentlich war es dem Hadschi als Muhammedaner verboten, Schweinefleisch zu essen; aber der Umgang mit mir hatte ihn in der Weise emancipiert, und sein Gaumen war so empfindlich für den Wohlgeschmack des Schwarzwildes, daß er lieber das Mißfallen des Propheten und aller toten Kalifen riskierte, als auf einen Genuß verzichtete, auf den ich ihn durch Wort und That erst vergeblich und dann mit immer größerem Erfolge aufmerksam gemacht hatte. Hier bekenne ich mich leider ohne alle Reue als den Verführer einer Menschenseele!
Nun war aber doch so viel Zeit vergangen, daß wir einen größeren Vorsprung einholen mußten, als erst in unserer Absicht gelegen hatte. Wir folgten der Fährte darum mit größerer Eile als vorher.
Am Nachmittage lag die Südbiegung des kleinen Zab zu unserer Rechten hinter den steilen, waldigen Höhen, an deren Fuß wir uns befanden. Wir ritten längs eines kleinen Flüßchens, welches im Frühjahre höchst wahrscheinlich hoch angeschwollen war, jetzt aber kaum soviel Wasser hatte, daß es unsern Pferden bis über die Hufe reichte. Es gab hier außerordentlich viel lockeres Geröll, welches bei jedem Schritte unter den Pferden wich; zahlreiche freigespülte Wurzeln wurden uns hinderlich, und die vielen, kurzen Krümmungen des Flußbettes ließen uns nicht von der Stelle kommen.
»Der Scheitan muß den Kurden diesen Weg gezeigt haben!« klagte Halef. »So ähnlich wie dieser muß der Pfad beschaffen sein, der vom Tode hinab in die Verdammnis geht, nur daß dieser hier nicht ab-, sondern aufwärts führt.«
»Auch ich begreife nicht,« stimmte ich bei, »warum die Kelhur grad diese Steinrinne aufgesucht haben.«
»Ah, giebt es endlich einmal etwas, was du auch nicht begreifst, Sihdi?«
»Habe nur keine Sorge! Das Begreifen wird sich schon zur rechten Zeit einstellen.«
»Wo sie nur hinwollen? Von hier aus führt doch kein Paß über diese Bergkette hinüber!«
»Nein. Wenn ich mich nicht ganz irre, haben wir zwei Berge vor uns, die wir von unsern früheren Ritten her noch kennen, nämlich rechts den Meqilik und links den sonderbar gestalteten Nekuhl. Zwischen ihnen führt kein Paß hinauf. Schir Samurek will also nicht über die Berge, sondern sein Ziel liegt diesseits von ihnen. Was er aber da zu suchen hat, das ist mir ein Rätsel.«
»Allah! Sollte hier die Gegend sein, in welcher die Musallah el Amwat75 liegt?«
»Die Musallah el Amwat? Von der habe ich noch nie gehört. Was ist das für ein Ort?«
»Ein Ort, den jeder Mensch meidet, mag er nun Sunnit oder Schiit, Christ oder Jude sein. Du weißt, daß ich vorgestern im Khan, wo wir blieben, mit einigen Mazydschilar76 beisammensaß und mich mit ihnen unterhielt. Sie waren in dieser Gegend bekannt, hatten viel erlebt und erzählten davon. Die schönsten und besten Galläpfel wachsen bei der Musallah el Amwat in Menge; aber niemand getraut sich hin, sie zu sammeln, denn die Geister der Toten gehen dort um. Es ist vor mehreren hundert Jahren gewesen, da kamen Christen in das Land und bauten sich die Musallah in den Bergen, um Allah nach ihrer Weise zu verehren. Sie waren gute und fleißige Leute, die jedermann zur Liebe lebten; aber die Schiiten beschlossen dennoch, sie von der Erde auszurotten. Sie zogen hinauf, umstellten die Christen bei der Musallah und metzelten sie alle, alle nieder, Männer, Greise, Jünglinge, Weiber, Jungfrauen und Kinder. Der Priester war der letzte, welcher starb; noch im Niederfallen betete er für die Feinde. Da rissen sie das Kreuz von der Musallah und warfen es ins Feuer. Als er das mit brechendem Auge sah, verwandelte er sein Gebet in einen Fluch, den er auf sie und auf die Stätte des Todes vom Himmel herniederrief. Seitdem trifft Unheil jeden, der es wagt, die Musallah aufzusuchen. Dennoch waren die Mazydschilar kürzlich so verwegen, hinaufzusteigen, denn sie sind arm und wußten, daß es da oben eine reiche Ernte giebt. Sie baten Allah, sie zu beschützen, und machten sich auf den Weg. Sie kamen auch glücklich hinauf und sahen die Musallah stehen; aber als sie sich ihr näherten, trat der Geist des ermordeten Priesters in der Gestalt eines riesigen Bären heraus, der sich mit offenem Rachen auf sie stürzen wollte; da flohen sie schreiend und betend von dannen und dankten dann, unten wieder angekommen, Allah, der sie errettet hatte durch die Schnelligkeit ihrer Beine. Sie werden niemals wieder so tollkühn sein, die Musallah aufzusuchen. Das erzählten sie mir. Was sagst du dazu, Effendi?«
»Daß der Bär kein Geist, sondern ein gewöhnlicher Bär gewesen ist. Jedermann weiß, daß es da oben im Gebirge Bären giebt.«
»Ja, das weiß ich auch; aber so ganz riesengroß, wie dieser gewesen ist, sind sie nicht.«
»Die Angst vergrößert alles; sie kann selbst einen Bären doppelt groß erscheinen lassen.«
»Das sagst du, weil du nicht an Geister glaubst!«
»Ich bin ganz im Gegenteile fest davon überzeugt, daß es Geister giebt; aber Gespenster giebt es nicht, die in Bärengestalt erscheinen.«
»Ja, du bist mutig, Sihdi, du wärst gewiß nicht geflohen, sondern dem Bären kühn entgegengegangen. Doch ich, ich weiß, daß du alles kannst und verstehst, und ich glaube dir auch jedes Wort, welches aus deinem Munde kommt, aber ich würde doch lieber auch nicht die Probe machen, ob der Bär ein Geist oder der Geist ein Bär ist. Wir haben Bären mit einander erlegt, weißt du, drüben in den Schluchten des Balkan, wo es keine Musallah el Amwat giebt; hier aber liegt der Fluch des Priesters auf der Gegend, also auch mit auf dem Bären, und mit einem verfluchten Bären mag ich nichts zu thun haben, gleichviel, ob er ein wirklicher Bär ist oder ein verkappter Geist!«
»Hast du eine Ahnung, in welcher Gegend die Musallah liegt?«
»Die Mazydschilar haben sie mir beschrieben. Sie liegt zwischen dem Nekuhl und dem Meqilik, und man kommt hinauf, indem man einem vielgewundenen, steinigten Flußbette folgt, welches von sehr engen Ufern eingefaßt ist und – – —«
Er hielt mitten in der Rede inne, sah mir eine halbe Minute lang ganz betroffen in das Gesicht und fuhr dann rasch fort:
»Allah akbar – Gott ist groß! Das paßt ja ganz genau auf unsern Weg!«
»Ja, wie es scheint!«
»Der Nekuhl und der Meqilik sind die beiden Berge, welche du vorhin erwähntest; im steinigten, engen und vielgewundenen Flußlaufe befinden wir uns, also – – Maschallah! – – – wir befinden uns auf dem Wege zur Musallah el Amwat, zur Kapelle der Toten, von welcher ich dir erzählt habe.«
»Das ist allerdings sehr leicht möglich. Aber mach den Mund wieder zu, lieber Halef, sonst kommt der Bär und springt hinein. Weit genug dazu hast du ihn offen.«
»Spotte nicht auch noch, Sihdi! Warum soll mir der Mund nicht offen stehen, wenn ich staune? Wenn ich nicht mehr staune, fällt er ganz von selbst wieder zu. Oh Wunder, o Fügung! Wir befinden uns auf dem Wege nach der Kapelle der Toten! Das scheint unser Kismet, unser Fatum zu sein. Wenn ich nur wüßte, was wir dort oben sollen!«
»Das fragst du noch?«
»Natürlich! Weißt du es denn?«
»Ja.«
»Nun, was?«
»Wir sollen das Gespenst von seinem Bärenfell erlösen.«
»Oh Verwegenheit, oh Hohn! Du spottest noch immer, Effendi! Mir aber ist es auf dem Rücken kalt wie Eis, und ich weiß wahrhaftig nicht, wozu ich mich entschließen werde.«
»Entschließen? Wie meinst du das?«
»Nun, wenn der Bär gelaufen kommt, ob ich da fliehen oder auf ihn schießen soll. Ist er wirklich ein Bär und ich laufe fort, so lachst du mich aus, und ich habe mich bis zum Tode meiner Angst zu schämen. Ist er aber ein Geist und ich schieße auf ihn, so geht ihm die Kugel durch den Leib, ohne ihn zu verletzen, und was dann aus mir werden wird, das weiß nur Allah allein.«
»Halef, Halef! Wenn du auf den Geist schießest, geht ihm die Kugel durch den Leib! Geist und Leib! Welch ein Widerspruch das ist! Bin ich denn so lange ganz umsonst dein Lehrer und Berater gewesen? Hast du nichts von mir gelernt? Wohnt wirklich noch der dumme Aberglaube der früheren Zeit in dir? Sag mir doch, für wen der Priester damals gestorben ist!«
»Für seinen Gott und für seinen Glauben, Effendi.«
»Wie nennt man solche Leute?«
»Schuhada77.«
»Was sagt der Kuran, von unserer heiligen Schrift gar nicht zu sprechen, von diesen Schuhada?«
»Daß sie direkt vom Tode in den Himmel eingehen.«
»Verstehe mich wohl! Ich spreche, um dir das Verständnis zu erleichtern, wie ein Moslem zu dir. Sogar nach der Ansicht der Mohammedaner geht ein Schahid direkt in den Himmel ein, zur Belohnung für die Leiden und Martern, die er ausgestanden hat. Diesen frommen Priester aber soll Gott für seinen Märtyrertod in den Pelz eines Bären verbannt haben! Würde das nicht anstatt eines Lohnes eine fürchterliche Strafe, anstatt des Himmels eine Hölle sein?«