Kitabı oku: «Im Lande des Mahdi III», sayfa 18
»Oh, Sihdi, das ist ein Bär, wirklich einer! So groß habe ich mir die kleinen Kinder der alten Mutter nicht gedacht! Der wird freilich keinen Spaß verstehen! Soll ich hinein zu ihm und ihm sagen, daß ich sein Fell zu einem Teppich brauche?«
»Nein, nein; warte! Der Angriff auf ihn würde die Alte, die jedenfalls auch schon in der Nähe ist, wütend machen. Du darfst auf keinen Fall eher hinein als ich!«
Indem wir diese hastigen Worte schnell miteinander wechselten, war der Bär mit einer Honigwabe beschäftigt, welche die Kelhur nahe der Schwelle hingelegt hatten. Er nahm sie zwischen die Vorderkrallen, richtete sich auf und begann, sie in einer Weise zu verzehren, die man hätte drollig finden müssen, wenn die Situation eine andere gewesen wäre.
Die Bebbeh waren für einige Zeit vor Angst ganz still; dann flossen die Stoßgebete ohne Pause von ihren Lippen, doch gar nicht laut, um nicht den Bären durch die Stimmen aufmerksam zu machen. Plötzlich erhielt er von hinten einen Stoß; er fiel vornüber und trollte, ohne sich nach der Ursache umzusehen, einige Schritte weiter bis dahin, wo wieder ein Stück Honig lag; hinter ihm war ein zweites Junges erschienen, womöglich größer und stärker noch als er. Die Stoßseufzer der Bebbeh wurden lauter und lauter; der Name Muhammeds ertönte von Sekunde zu Sekunde von ihren Lippen, und der Ton dieser Ausrufungen bewies, daß ihre Angst sich ebenso schnell vergrößerte. Als hinter dem zweiten nun gar noch ein dritter Bär, auch ein junger, hereingehumpelt kam, gab es keine Rücksicht mehr darauf, daß sie durch ihre Stimmen die Alte herbeilocken würden; sie schrieen, als ob sie schon angebissen würden. Allerdings stand der erste Petz schon unter Aqil und leckte mit Behagen von dem Honig, der sich dort angesammelt hatte; der zweite leistete ihm einige Augenblicke später Gesellschaft, während der dritte bald bei Ssali stand, um da dieselbe Arbeit vorzunehmen. Das war ein Schlürfen und Schmatzen, fast wie an einer feinen Hoteltafel, wenn die Suppe serviert worden ist und kein Mensch auf den Ekel und Abscheu seines Nachbars Rücksicht nimmt. Bär bleibt eben Bär, im kurdischen Hochgebirge und an der Table d‘hÔte in Cannes, Baden-Baden oder Scheveningen!
Die beiden ersten Gourmands hatten die Pfütze schnell aufgeleckt; sie merkten, daß die Süßigkeit sich nach oben fortsetzte, und richteten sich auf, indem sie ihre Krallen an die Füße und Unterschenkel Aqils legten. Dieser schrie nicht mehr; er brüllte!
»Oh, Effendi, lieber Effendi, wir müssen hinein, sonst sind sie verloren!« forderte mich Halef halblaut auf.
Er wollte wirklich aufstehen; ich drückte ihn fest nieder und antwortete.
»Du bleibst! Ich weiß nicht, wo die alte Bärin bleibt; sie könnte uns von hinten fassen!«
Ich lauschte in die Nacht hinaus, konnte aber nichts von ihr hören, denn die Bebbeh ließen jetzt ihre Stimmen so laut erschallen, daß man sie ganz gewiß drüben im Lager der Kelhur hörte. Das Ausbleiben der Bärin war mir bedenklich; die jungen war zwar ihrer Brust schon längst entwachsen, aber sie so ganz selbständig und ohne Aufsicht in der Nacht herumlaufen lassen, das that sie gewiß nicht, ohne daß ihre Aufmerksamkeit von ihnen ab und auf etwas Wichtiges gelenkt worden war. Sollte ihre Nase auf unsere Spur geraten sein? Oder machten ihr die vielen Spuren der Kurden zu schaffen?
»Ducke dich ganz nieder, und rühr dich nicht!« forderte ich Halef auf. »Die Alte kann jeden Augenblick da um die Ecke kommen!«
Das Messer halb aus dem Gürtel gezogen, hielt ich den schweren Bärentöter bei den Läufen zum Hiebe bereit. Meine Befürchtung hatte mich nicht getäuscht: eine in der nächtlichen Finsternis helldunkel scheinende Gestalt von riesigen Umrissen schob sich langsam hinter der Mauer hervor. Schon glaubte ich, der Augenblick sei da, an dem es heißen würde: die Bärin oder ich! Da wurde das Geschrei der Bebbeh von einem Laute übertönt, der weder Brummen noch Winseln, weder Pfeifen noch Kreischen und doch alles dieses war, und sofort sah ich die Gestalt wieder verschwinden. Ein schneller Blick in das Innere der Musallah zeigte mir die Ursache: die beiden Bären, welche sich an Aqil aufgerichtet hatten, waren in Streit miteinander geraten und bearbeiteten sich mit den Krallen, wobei auch Aqils Beine nicht verschont blieben, was sein Gebrüll verdoppelte. Die Bärin hatte wirklich zu mir und Halef gewollt, war aber aus Sorge um ihre Jungen rasch wieder umgekehrt und erschien nun in der Thür.
Fast hätte ich sie für eine Eisbärin halten können, wenn ihr Kopf länger und die Schnauze spitzer gewesen wäre. Sie war fast reinweiß bei weit über zwei Meter Länge und anderthalb Meter Schulterhöhe, ein außerordentlich und selten großes und starkes Tier. Das eine Ohr fehlte ihr; sie mochte es im Kampfe mit dem Herrn Ehegemahl oder einem andern nicht gentlemanliken Signor verloren haben. Sie stand nur einen Augenblick still unter der Thür; das war aber ganz genügend, zu zeigen, daß ein kleiner Hieb ihrer Vordertatze genügte, den stärksten Mann niederzuschlagen. Während der Hälfte dieses Augenblickes herrschte lautloses Schweigen; ihr Anblick raubte den beiden Bebbeh den Atem; dann brachen sie aber um so lauter los.
»Allah, Allah!« schrie Aqil. »Jetzt ist es da, das Ungeheuer; jetzt ist er da, der Tod! Nun giebt es keine Rettung mehr!«
Und zu gleicher Zeit heulte sein Sohn:
»Das ist der Geist des Priesters, der uns fressen wird! Das ist der Rachen des Todes, in dem wir verschwinden werden! Hilf uns, oh Allah! Hilf uns, oh Prophet aller Gläubigen! Errette uns, oh – – —«
»Schweig!« donnerte ihn da sein Vater an. »Mit der Macht des Propheten ist‘s zu Ende. Bedenke – – —«
Ich horchte nicht weiter auf sie, denn der Augenblick war für uns gekommen.
»Laß mich erst allein hinein; du bist mir sonst im Wege, Halef!« befahl ich dem Hadschi, indem ich aufstand.
Den Stutzen ließ ich fallen; er war im Wege. Dafür nahm ich das Messer zwischen die Zähne und den Bärentöter hoch, nicht zum Hiebe, sondern zunächst zum Stoße, denn ich wußte, wie es nun kommen mußte. Die Bärin war mit zwei, drei raschen Bewegungen zu den zankenden jungen gekommen und warf sie beide mit einem vorsichtigen Tatzenhiebe auf die Seite. Dann richtete sie sich langsam und drohend vor Aqil auf, welcher voller Entsetzen zeterte:
»Hilf, oh Gott der Christen! Hilf, oh Isa Ben Marryam, da uns kein anderer helfen kann!«
Und in derselben Todesangst wimmerte Ssali Ben Aqil:
»Rette uns, oh Gekreuzigter; rette uns! Es ist keine Macht im Himmel und auf Erden als bei dir allein – – —«
Mehr hörte ich nicht, denn in diesem Momente lag mein ganzes Leben in meinen Augen und in meinen Fäusten. Ich schnellte mich über die schon erwähnten Steine hinein und rannte der Bärin den schweren Kolben unter den erhobenen Vorderpranken gegen die Rippen, daß sie lang auf die Seite niederfiel. Das hatte ich beabsichtigt, denn nur in dieser Lage bot sie mir die Schnauze zum betäubenden Hiebe; der Schädel war zu dick dazu. Noch war sie im Stürzen, da hob ich den Kolben schon hoch; er sauste nieder und traf so gut, daß das Ungetüm alle vier Beine steif von sich streckte. Ich wußte gar wohl, daß diese Betäubung eine schnell vorübergehende sei. Das Gewehr wegwerfend, nahm ich das Messer aus dem Munde – – zwei, drei rasche Stiche bis an das Heft zwischen die bewußten zwei Rippen; dann sprang ich auf die Seite und stürzte dabei über den jungen Bär, der noch bei Ssali Ben Aqil stand. Ich hatte nicht anders weichen können, raffte mich wieder auf und sah da, daß Halef mir rascher gefolgt war, als er sollte. Er hatte nahe der Bärin ein junges gepackt, welches nach ihm schlug und biß, so daß er keinen sichern Stoß für sein Messer fand. Ich eilte zu ihm hin und riß ihn zurück.
»Um Gotteswillen, fort von der Alten!« rief ich ihm zu. »Noch wissen wir nicht, ob ihr mein Messer wirklich ins Leben gefahren ist!«
Der kleine Kerl sah mir lächelnd in das Gesicht und antwortete, auf die Bärin deutend:
»Dein Messer, und nicht richtig treffen! Das kann gar nie geschehen! Sieh den Strom des Blutes, der ihr aus dem Herzen rinnt! Schau, daß sie nicht mehr zucken kann! Es ist nur noch das letzte Zittern des Scheidens von der Erde, welches leise ihr Fell bewegt. Ihre Seele hat den Leib bereits verlassen, und ihr Geist schweift nun ohne Wohnung über die Wälder des Gebirges hin. Dein erster Stoß hat sie niedergeworfen; dein Kolbenschlag hat ihr das Gebiß und die ganze Zierde des Angesichtes zerschmettert, und die Spitze deiner Klinge hat die Musallah el Amwat von dem Gespenste befreit, welches in ein lebendiges Bärenfell gewickelt war. Dein Werk ist vollbracht; nun mag das meinige beginnen. Ich bitte dich, o Effendi, mir deinen Katil ed Dubeb99 zu leihen, weil die Kinder in ganz genau derselben Weise aus dem Dasein wandeln sollen, wie ihre Mutter es verlassen hat!«
Während er dies sagte, hielt ich den Blick scharf auf die Bärin gerichtet, bereit, ihr schnell, wenn nötig, noch einen Messerstoß zu geben; es war überflüssig; die Klinge hatte das Herz durchbohrt. Indem ich nun die Aufmerksamkeit eines jungen auf mich lenkte, schlug Halef es mit dem Bärentöter nieder und gab ihm dann den richtigen Messerstoß. So machten wir es auch mit den beiden andern, und als wir dann vor den vier Tierleichen standen, waren seit dem Augenblicke meines Einschreitens wohl kaum mehr als zwei Minuten vergangen, ein über alles Erwarten glückliches Gelingen, welches wir nicht mit dem kleinsten Hautritz zu bezahlen hatten.
Nun konnten wir unsere Aufmerksamkeit den Bebbeh schenken. Sie hielten beide die Augen geschlossen und gaben, als ob sie nicht mehr am Leben seien, keinen Laut von sich. Das ärgerte meinen kleinen Hadschi, welcher glaubte, ihren lauten Dank verdient zu haben. Er rief sie an:
»So öffnet doch eure Augen, ihr großen Helden vom Stamme der Bebbeh! Oder meint ihr, daß ihr mit zu den Bären gehört, die wir erschlagen haben? Da müßten wir euch auch noch unsere Messer zu fühlen geben!«
Da schlugen sie die Augen auf.
»Kara Ben Nemsi!« rief Aqil.
»Ja, er ist‘s; er ist es wirklich, der Hadschi Emir Kara Ben Nemsi Effendi!« stimmte Ssali bei. »Und hier steht auch der kleine, tapfere Hadschi Halef Omar! Sehe ich euch in Wirklichkeit, oder ist‘s ein Traum, in den ich durch den Tod versetzt worden bin?«
»Maschallah! Kann man nach dem Tode auch noch träumen?« lachte Halef. »Ihr seht uns hier in voller Wirklichkeit, denn ich sage euch, wir haben keine Lust, nichts als nur Traumgestalten zu sein!«
»Also wirklich, wirklich! Wie aber seid ihr hierher nach der Musallah el Amwat gekommen?«
»Ganz so, wie ihr es vorhin zu einander sagtet: Wir ritten den Hunden der Kelhur nach, um ihnen unsere Pferde wieder abzunehmen und euch zu befreien.«
»Uns befreien?« fragte er in zweifelndem Tone. »Uns zu befreien! Scherzest du vielleicht, Hadschi Halef Omar?«
»Wie kannst du diese Frage aussprechen! Schau die gewaltigen Glieder dieser Bärin an und die zwölf Krallenfüße ihrer Jungen! Sieht das so aus, als ob wir hier einen Scherz getrieben hätten?«
»Allah ‚l Allah! So ist es wirklich euer Ernst gewesen, uns zu retten?«
»Ja.«
»Dann ist unser Gebet zu dem Gekreuzigten das richtige gewesen! Aber, verzeiht! Wir haben euch beleidigt, euch um die Pferde gebracht und euch nach dem Leben getrachtet. Wir können darum nicht eher an eure Güte glauben, als bis ihr uns hier losgebunden habt!«
»Wir haben beschlossen, dies zu thun, doch nur unter der Bedingung, daß ihr ein Verlangen nicht an uns stellt, welches wir nicht befriedigen könnten.
»Welches Verlangen meinst du?«
Halef, der stets den Schalk im Nacken hatte und selbst der ernstesten Situation eine heitere Seite abzugewinnen wußte, antwortete in hoheitsvollem Tone:
»Wir werden euch nur dann losbinden, wenn ihr nicht etwa verlangt, daß wir euch auch noch ablecken sollen! Unser Kismet sagt nichts davon, daß wir diese Arbeit da fortsetzen sollen, wo die Bären darin unterbrochen worden sind.«
Ssali wußte nicht, was er hierauf sagen sollte. Ich überhob ihn der Antwort, indem ich begann, seinen Pfahl zu lockern, um ihn mit demselben umzulegen, wo dann das Losmachen leichter und bequemer als im Hängen war. Bald waren wir fertig damit, und als sie nun mit freien Gliedern vor uns standen und aus nicht mehr beengter Brust tief Atem holten, geschah etwas, oder vielmehr, geschah zweierlei, was ich beiden nicht zugetraut hätte. Aqil nämlich, der Räuber und Mörder, der bisher so gefühls- und gewissenlose Mensch, warf sich auf den Boden nieder und begann, laut wie ein Kind zu weinen. Die ausgestandene, furchtbare Todesangst hatte ihn so tief erschüttert, daß er sich nicht halten konnte. Und Ssali, sein Sohn, ergriff meine beiden Hände, sank vor mir in die Kniee und sagte:
»Du hast gesiegt, Emir, wie so oft über deine Feinde; aber diesen Sieg hast du nicht für dich errungen, sondern für einen, der weit höher steht als du. Gott ist die Liebe; du hast es gesagt, und ich glaubte es nicht; nun aber wäre ich blind, wenn ich nicht sähe, daß du die Wahrheit besitzest, während ich im Irrtum wandelte. Du hast uns, deine Feinde, aus den Krallen des Todes befreit; wir sind dein Eigentum und legen unser Schicksal in deine Hände.«
Ich zog ihn empor und antwortete:
»Knie nicht vor einem Menschen! Nur vor Gott und seinen Stellvertretern soll man sich beugen; ich aber bin ein Sünder so wie du. Seid ihr wirklich bereit, euer Schicksal ganz in meine Hände zu legen?«
»Ja. Ohne euch wären wir zerrissen und aufgefressen worden. Mach mit uns, was du willst! Wirst du uns den Kelhur wieder ausliefern?«
»Nein. Ihr seid frei.«
»Allah! Das wäre zu viel! Mußt du nicht wenigstens meinen Vater nach Khoi bringen, um ihn für den Raub der zehntausend Piaster bestrafen zu lassen?«
»Ich bin nicht Polizist von Khoi. Was ihr gegen uns begangen habt, das haben wir euch vergeben, und die Händel, welche ihr mit andern hattet, die gehen uns nichts an. Wir haben kein Recht über euch; mag Allah euer Richter sein! Ihr seid also frei und könntet eigentlich jetzt gehen, wohin ihr wollt, aber ich bitte euch, wenigstens noch bis morgen früh bei uns zu bleiben, weil wir sonst wahrscheinlich verhindert sein würden, das zu thun, was wir zu thun versprochen haben.«
»Oh, Emir, du hast nicht zu bitten, sondern nur zu befehlen! Unsere Herzen sind voller Dankbarkeit für euch; alle Feindschaft, die wir gegen euch hegten, ist zu Ende, und wir werden alles, alles thun, was du von uns nur fordern kannst.«
»Was ich von euch wünsche, ist nur, daß ihr bei uns bleibt und euch ruhig verhaltet. Ich will den Kelhur noch heut in der Nacht unsere Pferde entführen, und ich will Schir Samurek, ihren Scheik, ohne daß sie es merken, aus ihrem Lager holen; ihr aber sollt euch ruhig verhalten, bis dieses beides geschehen ist. Dies ist es, was ich von euch verlange.«
»Was sagst du da, Effendi? Was willst du thun? Eure Pferde entführen, das ist schwer, sehr schwer, aber doch nicht unmöglich. Aber den Scheik auch entführen, das kannst selbst du nicht fertig bringen!«
Da fiel Halef eifrig ein:
»Wie darfst du meinem Sihdi solche Worte sagen! Er thut stets das, was er sich vorgenommen hat, und für ihn ist das oft leicht, was andere für unmöglich halten. Wenn er Schir Samurek herausholen will, so holt er ihn; darauf kannst du dich verlassen! Siehst du denn nicht, daß ich auch da bin, der ich mit ihm schon so viel vollbracht habe? Was wir durchführen wollen, das führen wir durch, und dabei bleibt es sich ganz gleich, ob er bei mir ist oder ob ich bei ihm bin; die Hauptsache ist ja, daß wir beisammen sind! Wir haben die Bären der Unsterblichkeit erlegt und euch aus ihren Tatzen befreit. Ist das nicht schwerer, viel schwerer, als zwei Pferde und einen Scheik aus dem Lager zu entführen?«
»Für mich würde beides unmöglich sein; ihr aber seid Männer, deren Pläne und Thaten man nicht hindern kann, und darum darf ich euch nicht entgegenreden. Welchen Grund aber habt ihr denn, den Scheik gefangen zu nehmen?«
»Wir wollen ihn dadurch zwingen, das Geld herauszugeben, welches dem Wirte von Khoi gehört.«
»Werdet ihr ihn dann gefangen halten und nach Khoi schaffen, um ihn dort des Brandes wegen bestrafen zu lassen?«
»Nein,« antwortete ich jetzt an Halefs Stelle. »Ich habe dir schon gesagt, daß ich kein Polizist bin. Sobald ich meinen Zweck erreicht habe, lasse ich ihn frei.«
»Frei willst du ihn lassen, Effendi? Diesen Räuber und Mörder, der uns von den Bären zerreißen lassen wollte? Der euch die Pferde gestohlen hat und, wenn ihr ihm in die Hände gefallen wäret, euch auch den Bären vorgeworfen haben würde? Denke doch, was das zu bedeuten hätte! So eine Nachsicht und Milde könntet ihr weder vor Allah noch vor den Menschen verantworten, und alle Sünden, welche dieser Schir Samurek in seinem Leben noch begehen würde, müßten auf euer Gewissen fallen! Kannst du dich wirklich entschließen, eine solche Last auf dich zu nehmen, Emir?«
»Ja.«
»So begreife ich dich nicht!«
»Oh, ich habe soeben erst eine ganz gleichgroße Last auf mich genommen!«
»Wann und wie?«
»Vorhin, als ich euch verzieh. Schir Samurek ist ein Räuber und Mörder. Was seid ihr gewesen? Er wollte mich töten, falls ich in seine Hände fiele. Ihr habt uns nach dem Leben getrachtet. Euch haben wir zur Freiheit verholfen. Ihm wollen wir sie auch wiedergeben. Steht da nicht beides gleich? Ja, für euch haben wir mehr, viel mehr gethan, als wir für ihn thun wollen, denn wir haben, obgleich ihr unsere Todfeinde waret, unser Leben gewagt, um euch von den Bären zu befreien; für ihn aber werden wir nichts, gar nichts wagen.«
»Aber die Kelhur sind unsere Feinde, mit denen wir in Blutrache stehen!«
»Was geht das mich an? Nanntet ihr euch nicht auch unsere Todfeinde? Und doch haben wir euch vergeben! Du hast erst vorhin so schön und mit solcher Ueberzeugung von der Liebe gesprochen, und jetzt brütest du Rache gegen die Kelhur. Meinst du, daß dies Liebe sei, die richtige Liebe, die Gott von uns verlangt? Ist es etwa ein Verdienst, diejenigen, welche dich lieben, wieder zu lieben? Das ist nicht Liebe, sondern Selbstsucht von dir. Nur wer gelernt hat, zu verzeihen, kann richtig und kann wirklich lieben; die Liebe aber, die neben sich die Rache kennt und duldet, verdient den Namen nicht, den du ihr giebst. Du bist noch neu und unerfahren in der wahren Liebe. Bitte Allah täglich, daß du sie besser kennen lernst. Ich habe sie dir gezeigt. Nun werbe um sie fort und immerfort, damit sie deine Freundin werde. Ich sage dir, es giebt kein Glück und keine Seligkeit ohne sie, im Leben und im Sterben. Doch jetzt dürfen wir uns nicht länger mit Worten, sondern wir müssen uns mit Thaten beschäftigen. Kannst du dich auf die Worte besinnen, welche Schir Samurek zu dir sagte, als du behauptetest, daß ich euch retten würde, obgleich ihr meine Todfeinde seid?«
»Welche Worte meinst du?«
»Bei Allah und bei meiner Seele, wenn er es dennoch thäte, ich würde selbst auch am Islam irre werden und meine Augen auf den Gott richten, der am Kreuz gestorben sein soll, um die Sünder zu erretten und die Verlorenen wiederzufinden!«
»Maschallah – Wunder Gottes! Du kennst seine Worte so genau, als ob du dabei gewesen wärest, als er sie sprach! Bist du allwissend, Effendi?«
»Nein. Weißt du auch noch, was er von dem Kreuze und von diesen Bären sagte?«
»Ja.«
»So hilf uns, dafür zu sorgen, daß seine Worte in Erfüllung gehen! Hat euch die Liebe, welche in meinem Herzen wohnt, also das Kreuz, welches das Zeichen meines Glaubens ist, Errettung vom Tode gebracht, so mag es auch den Kelhur die Erkenntnis bringen, daß der Haß und die Rache immer wieder nur Haß und Rache erzeugt, während die Liebe die Mutter der Erlösung und des Glückes ist.«
»Wie sollen wir dazu mithelfen, Effendi?«
»Wenn morgen früh Scheik Samurek den ersten Blick zur Musallah hebt, soll er die Erfüllung dessen sehen, was er im Hohne zur Bedingung machte: der Bär soll mit dem Kreuze in den Pranken hier unter der Thüre stehen.«
Seine dunkeln Augen bohrten sich mit forschendem Blicke und doch wie staunend in die meinigen, indem er ausrief:
»Welch ein Gedanke! Welch eine Idee! Effendi, ich beginne zu ahnen, wo die Quelle deiner Erfolge sprudelt. Du bist nicht ein Sklave des Kismet, sondern hast dich von ihm frei gemacht und leitest es nach deinem Willen!«
»Das kannst du auch!«
»Nein; ich kann es nicht, und kein andrer Mensch kann es außer dir. Wer hat dir die Macht dazu gegeben?«
»Die Liebe. Habe ich dir nicht gesagt, daß die Liebe die Mutter der Erlösung ist? Dein Kismet ist ein Tyrann, vor dem du wie ein Wurm, den es jederzeit zertreten kann, im Staube kriechst; er lebt von dem Marke deiner Knochen und mästet sich an dem Willen deiner Seele; er macht dich taub, daß du das Klirren deiner Ketten nicht vernimmst, und macht dich blind, daß du die Herrlichkeit der Freiheit nicht erblickst. Er schreibt seine Gesetze mit dem Blute deiner Adern und erteilt dir seine Befehle durch die Stimme der Leidenschaften, welche dich gleich dem Gifte des Haschisch verzehren, während sie dich zu erquicken scheinen. Dir ist jeder, wenn auch noch so leise Entschluß verboten; du darfst keinen Wunsch und keine Hoffnung haben, denn das Kismet hat jeden Hauch, der eines deiner Haare bewegt, schon im vorher bestimmt. Die Gewalt ist dieses Tyrannen Scepter, und der Islam ist die Lehre, die er predigt. Ist doch eure heilige Kamara100 nicht auf den Mond zurückzuführen, sondern auf den krummen, blutigen Säbel Muhammeds, den er, um seine Scharen anzufeuern, während der Schlacht an seine Lanze steckte! Mit dem Worte Kismet hat er und haben seine Nachfolger ihre Streiter in den Tod getrieben; an dem wasserlosen Brunnen des Kismet hat die Liebe unter euch verschmachten und verdürsten müssen, und während ihr euch für die bevorzugten Kinder Allahs haltet, seid ihr die Leibeigenen des Hasses, der Rache und der Unversöhnlichkeit geworden. So hat euch das Kismet um alle Freiheit, um alle Energie gebracht. Ihr müßt euch ohne Kraft und Licht durch euer Leben schleppen, wie das finstre, ungerechte und unerbittliche Fatum es euch vorgeschrieben hat, und wenn ihr dann einen Christen kennen lernt, dem der Gott der Liebe, der Weisheit und Gerechtigkeit die Fähigkeit verliehen hat, bestimmend, schaffend und gestaltend nicht nur in den Lauf seines eigenen Lebens, sondern auch in das Schicksal anderer Menschen einzugreifen, so ruft ihr ein Maschallah über das andere aus und könnt es nicht begreifen, daß er mit leichter Mühe etwas fertig bringt, was bei euch in das Bereich der Unmöglichkeit gehört. Das Kismet hat Schir Samurek befohlen, uns unsere Pferde zu stehlen; ich aber verlache dies Kismet und hole sie mir wieder. Dieses, euer Kismet hat ihm geboten, euch den Bären zu überantworten, und ihr wäret ihnen verfallen gewesen; ich aber bin ein freier Mann und habe die Vorbestimmung zu schanden gemacht, indem ich euch errettete. So werde ich auch, ohne euer Kismet um Erlaubnis zu fragen, auf Schir Samurek wirken, und ich bin überzeugt, daß dies nicht ohne Folgen für sein ganzes späteres Leben sein wird.«
Ich hatte gemäß der Denk- und Anschauungsweise Ssali Ben Aqils gesprochen, und er war meinen Worten mit Aufmerksamkeit gefolgt, ohne mich einmal zu unterbrechen. Aus seinen Augen blickte mir ein heißer Wunsch nach Verständnis entgegen. Als ich geendet hatte, hielt er mir die Hand entgegen und sagte:
»Ich danke dir, Effendi! So lange ich nur denken kann, hat meine Seele nach Licht gestrebt und doch nur Schatten oder Dämmerung gefunden. Ich kann deine Worte nicht so schnell begreifen, wie ich möchte; aber sie werden in mir haften bleiben, und ich hoffe, daß sie einen Funken enthalten, der später zur hellen Flamme wird. Ich bin ein Prediger des Islam und dennoch bereit gewesen, die Blutrache auszuführen. Du bist kein Lehrer deines Glaubens und hast doch deinen Feinden Gutes erwiesen. Das ist mir eine Aufforderung zum Vergleich. Ich werde darüber nachdenken und dann thun, was Allah wohlgefällt.«
»Woher wirst du wissen, was ihm wohlgefällt?«
»Die Stimme meines Herzens wird es mir sagen.«
»Ist das dieselbe Stimme, welche dir mitgeteilt hat, daß der Mahdi bald erscheinen wird?«
»Ja.«
»So prüfe dein Herz genauer als bisher, ehe du auf seine Stimme hörst! Ein alter Lehrer des Christentumes sagt: »Des Menschen Herz ist ruhelos, bis es ruhet in Gott!« Laß dein Herz im Schoße der ewigen Liebe und Wahrhaftigkeit ruhen, so brauchst du keinen Mahdi, den du erst mühevoll entdecken mußt.«
»Auch diese Worte werde ich überlegen, Effendi. Wie deine Barmherzigkeit auf mich eingewirkt hat, das wirst du wohl bemerken. Gestern hast du mich als Eiferer für den Islam kennen gelernt, und heut höre ich nicht nur deine Reden an, ohne mich darüber zu erzürnen, sondern ich verspreche dir auch, sie in meinem Innern zu erwägen, und nehme sogar ohne den Grimm eines wahren Gläubigen deine Aufforderung hin, dir bei der Herstellung des Kreuzes mitzuhelfen. Ist dir das für jetzt genug?«
»Ja. Du wirst also mithelfen?«
»Ich werde es. Und wenn der Prophet darüber zürnt, so will ich hoffen, daß sein Grimm nicht ewig währt.«
»An deiner Stelle würde ich mich um Muhammed und seinen Zorn ebensowenig kümmern, wie er sich um euch bekümmert hat, als der Rachen der Bärin vor euch offen stand!«
Da rief Aqil, welcher bis jetzt, still zuhörend, noch immer am Boden gesessen hatte, halb erschrocken und halb zustimmend aus:
»Welche Reden muß ich da vernehmen, ohne daß ich, wie ich eigentlich müßte, dich dafür anspucken darf! Du lästerst den Propheten, Effendi. Wie wird er dich dafür bestrafen!«
»Ganz so, wie er euch auch bestrafen würde, wenn er überhaupt bestrafen könnte.«
»Uns auch? – Wofür?«
»War es von euch als Moslemim nicht viel, viel mehr als eine solche Lästerung, daß ihr vorhin in der größten Not nicht Muhammed, sondern den Gott der Christen und den Gekreuzigten um Hilfe batet? Habt ihr da nicht beide gerufen, daß kein anderer als Isa Ben Marryam euch helfen könne? Ich habe gesagt, daß Muhammed euch nicht geholfen habe; ihr aber sagtet, daß er euch nicht helfen könne; von wem ist er da mehr gelästert worden, von mir oder von euch?«
»Sei still, Effendi! Es waren gräßliche Augenblicke, in denen kein Mensch auf die Worte achtet, die er spricht. Die Hilfe war ein wahres Wunder; sie kam, als wir zu dem Gekreuzigten flehten; warum half Muhammed nicht, als wir ihn anriefen? Dein Isa Ben Marryam war also mächtiger als unser Prophet. Das ist wahr; wir haben es erfahren, und so dürfen wir es sagen, ohne befürchten zu müssen, daß wir damit eine Sünde begehen. Und wenn mein Sohn, der alle Satzungen des Islam kennt, bereit ist, das Kreuz mit euch zusammenzusetzen, so ist es mir, der ich kein‚ Alim101 bin, wohl ebenso erlaubt, euch mitzuhelfen. Ich fühle noch jetzt die Nähe des Todes in allen meinen Gliedern; du hast uns das Leben gebracht, und wenn ich dir dafür einen Dank erweisen kann, so frage ich keinen Menschen danach, ob mir Muhammed das übelnehmen wird. Sag‘ uns also jetzt, Effendi, was wir machen sollen!«
Die beiden waren heut ganz andere Menschen, als sie gestern gegen uns gewesen waren, und ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß diese Aenderung nicht nur für heut und morgen dauern werde. Wir löschten zunächst die Lichter aus, daß die Kelhur weder uns noch unsere Schatten sehen konnten; sie mochten denken, daß sie von den Bären umgerissen worden seien. Hierauf machten wir mit Hilfe unserer Messer den einen Pfahl, welcher den Querbalken bilden sollte, kürzer als den andern, und banden dann beide in der Weise zusammen, daß sie ein aufrechtstehendes Kreuz bildeten. Als wir damit fertig waren, zogen wir die Bärin bis ganz vor an die Thüröffnung und bauten schwere Steine aufeinander, woran sie aufgerichtet und so angelehnt wurde, daß es von weitem aussah, als ob sie auf den Hinterpranken stehe; dann gaben wir ihr das Kreuz in die Vordertatzen und banden Kreuz und Bärin so fest an die Steine, daß keines von beiden umfallen konnte. Nun gelüstete es keinen von uns, länger in der Musallah zu bleiben. Wir schafften die drei jungen Bären nach dem Hintergrunde derselben, und verließen dann, nachdem ich den weggeworfenen Henrystutzen wieder zu mir genommen hatte, den Ort, der uns, wenn wir nicht so sehr vom Glücke begünstigt gewesen wären, leicht ebenso verhängnisvoll hätte werden können, wie er es den beiden Bebbeh hatte werden sollen.
Ich wollte nach der Stelle oberhalb des Kelhurlagers hinauf, wo Halef am Nachmittage auf mich gewartet hatte, und traf grad diese Wahl, weil der Ort und der Weg von da herab mir bekannt geworden waren. Wir bewegten uns leise und sehr vorsichtig in der Weise, daß ich ein Stück voranschlich, denn die Neugierde konnte, seit die Lichter verlöscht waren, die Kurden näher zur Musallah herangetrieben haben. Es kam uns aber glücklicherweise keiner von ihnen in den Weg, und so langten wir oben an, ohne von jemand bemerkt worden zu sein.
Nun galt es, noch vor dem Grauen des Morgens eine höchst schwierige Doppelaufgabe zu lösen: ich wollte erstens unsere Pferde haben und zweitens auch den Scheik dazu. Beides mußte ich allein ausführen, weil mir weder Halef noch gar einer der Bebbeh dabei helfen konnte. Bei Halef war trotz seiner sonstigen Zuverlässigkeit doch die Möglichkeit, einen Fehler zu begehen, nicht ausgeschlossen, und der Bebbeh war ich so wenig sicher, daß ich, doch ohne daß sie es hörten, sie der Aufsicht des Hadschi übergab. Sie waren ganz natürlich so voller Grimm auf die Kelhur, daß ich ihnen einen unvorsichtigen Akt der Rache, der leicht alles verderben konnte, gar wohl zutrauen mußte. ich ermahnte alle drei, sich bis zu meiner Rückkehr unbedingt vollständig still zu verhalten, übergab Halef meine beiden Gewehre, die ich aus leicht begreiflichen Gründen nicht mitnehmen konnte, und trat dann den Abstieg an, der jetzt im Dunkel der Nacht zehnmal schwieriger als am Tage war.
Ich konnte, wie man sich auszudrücken pflegt, die Hand nicht vor Augen sehen und mußte mich also auf den Tastsinn verlassen. Darum stieg ich rückwärts hinab, Schritt für Schritt und mit dem Rücken vorwärts gerichtet, wie man von einer Leiter zu steigen pflegt. Mein Ziel war natürlich zunächst der schmale Einschnitt, von dessen Rande aus ich am Nachmittage Schir Samurek belauscht hatte; ich mußte vor allen Dingen wissen, wo er sich befand und was er machte.