Kitabı oku: «Im Lande des Mahdi III», sayfa 17
Möge man über mich lachen, ich gestehe es doch aufrichtig, daß mir ganz weh wurde, so wehe, als ob ich alle Zeichen des Grames eines lieben Menschen vor mir hätte. Ich liebte den Rappen; sein Anblick jammerte mich, und dieser Jammer trieb mich zu einem Wagnisse, welches ich eines andern Pferdes wegen gewiß nicht unternommen hätte. Ich nahm mir den Mut, ihm ein Zeichen zu geben, daß ich mich in der Nähe befand, und von dem ich wußte, daß er es sofort verstehen werde. Vorher aber überzeugte ich mich, daß die paar Kelhur, welche bei den Pferden saßen, ihre Aufmerksamkeit nicht nach der Gegend richteten, in welcher ich mich befand. Ich hatte dem Rappen mehrere Zeichen gelehrt, von denen jedes seine bestimmte Bedeutung hatte und die so unauffällig waren, daß sie keine Aufmerksamkeit erregten außer die seinige, Zeichen, die für solche Fälle bestimmt waren, in denen ich mich ihm nicht nähern konnte, wollte oder durfte. Jedes edle arabische Pferd kennt solche Zeichen, die sein Besitzer einem andern Menschen nur aus ganz besonderen Gründen mitteilen würde. Eines dieser meiner Zeichen war ein scharfes, dabei aber dumpfes, sehr kurzes Husten, welches wie die Silbe »kol« klang. Kol heißt »iß!« oder »friß!« Die erwähnten Kurden sprachen laut und angelegentlich mit einander, wahrscheinlich von der Kapelle, wie ich aus ihren lebhaften Gesten schloß, und ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß sie auf den kurzen, rasch verhallenden Klang wohl kaum achten würden. Ich wagte es also, zu husten. Sie rührten sich nicht; sie hatten es nicht gehört. Rih aber hatte ein schärferes Gehör; er richtete den Kopf sofort nach meiner Seite, und seine feinen Ohren legten sich lauschend nach vorn; die Augen standen plötzlich weit geöffnet; die Sehnen spannten sich, und der lange, schwere Schwanz wurde an der Wurzel in elegantem Boden gehoben. Außer seinen Augen war kein anderes zu mir hergerichtet. Da wagte ich noch mehr: Ich richtete mich ganz auf, so daß er mich sehen mußte, und warf mich aber sofort nieder. Er hatte mich erkannt. Ein anderes Pferd hätte nun seine Freude durch Schnauben, Wiehern oder auffällige Bewegungen kundgegeben; Rih aber war zu gut geschult, als daß er in einen solchen Fehler verfallen wäre. Er ließ nur die Ohren ein ganz klein wenig spielen, senkte dann den Kopf, nahm ein Maulvoll Zweige und – – begann zu fressen! Mein Zweck war erreicht; ich blieb zwar nur wenige Augenblicke liegen, aber es war mir doch trotz der Kürze dieser Zeit, als ob der Rappe ein ganz anderes, weit besseres Aussehen bekommen hätte, und ich glaube kaum, daß ich mich darin täuschte.
Nun umkroch ich die Wiesenzunge, um meine unterbrochene Rekognoszierung fortzusetzen. Sie nahm keine lange Zeit in Anspruch, denn ich wurde nicht gestört und hatte in Beziehung auf das Terrain gar keine Hindernisse zu überwinden. Bald kannte ich den geradesten Weg, der von der Wiese hinüber zur Kapelle führte und stieg nun wieder den Berg empor, um zu Halef zurückzukehren. Er hatte eine so schnelle Lösung meiner erst so schwierig erscheinenden Aufgabe nicht erwartet und freute sich um so mehr darüber, als er daraus auf eine günstige Lage der Verhältnisse schließen konnte.
»Hamdulillah – Preis sei Allah,« sagte er, »daß du schon wieder da bist! Ich dachte schon darüber nach, wen ich zuerst erschießen sollte, wenn du nicht wiederkommen würdest, den Scheik oder seine dreihundert Schufte; am liebsten hätte ich ihn mir bis ganz zuletzt aufgehoben, um ihn so lange wie möglich mit der Angst vor dem Tode zu quälen. Was hast du gesehen und gehört? Wo sind unsere Pferde und wo die Gefangenen? Hast du den Scheik belauscht und wann will er die Bebbeh nach der Musallah schaffen? Sind die zehntausend Piaster schwer zu erlangen und werden wir mit List durchkommen oder zu den Waffen greifen müssen? Hat Rih dich gesehen und – – —«
»Halt ein mit deinen Fragen!« unterbrach ich ihn. »Wir müssen uns beeilen; später wirst du alles erfahren. Jetzt komm!«
Ich nahm meine Gewehre, hing sie über und führte ihn den Berg hinab nach einer Stelle, wo wir, zwischen Büschen gut versteckt, die Kelhur sehen konnten, wenn sie vorübergingen, um die Bebbeh nach der Musallah zu schaffen. Kurz bevor wir diese Stelle erreichten, sahen wir eine Bärenfährte und sprachen sie an. War das ein gewaltiger Petz, der hier herübergewechselt hatte! Die Sohlen waren von einer Stärke, wie ich sie fast noch bei keinem Grizzly bemerkt hatte, doch mit sehr kurzen, stumpfen Krallen; es mußte ein hochbetagter Kerl sein oder vielmehr kein Kerl, sondern eine Lady, denn nicht weit davon stießen wir auf die Tritte einiger Bärenbabies und hatten es also mit der Mama und ihren Kindern zu thun. Leider konnten wir nur wenige Augenblicke auf diese Spuren verwenden, denn grad da, wo sie sich befanden, gab es keine Deckung, und wenn wir uns sehen ließen, riskierten wir nicht nur das Gelingen unserer Pläne, sondern auch das Leben. Wir suchten also die erwähnten Sträucher auf, krochen hinein und zogen die Zweige so über uns zusammen, daß wir zwar hinausblicken, aber von draußen aus nicht gesehen werden konnten. Als wir nun wartend hier nebeneinander lagen, wollte Halef seine Fragen von vorhin wiederholen; ich verwies ihn aber auf später und er mußte sich bescheiden.
Die Sonne war längst hinter den Bergen verschwunden und es begann bereits zu dunkeln, als wir endlich die Kelhur kommen sahen. Es waren bei weitem nicht alle dreihundert, sondern etwa nur zwanzig Mann. Der Scheik schritt voran. Hinter ihm wurden die beiden Bebbeh von je vier Mann getragen; die übrigen folgten neben oder hinter ihnen her. Diejenigen, welche nicht Träger waren, hielten ihre Gewehre ängstlich schußbereit, denn man näherte sich dem Geisterbären, der auch einmal auf den Gedanken kommen konnte, seinen Umgang zu einer früheren Zeit als gewöhnlich zu unternehmen. Man hatte die beiden Gefangenen mit dem Rücken auf die Pfähle gelegt und sie mittels Riemen so sorgfältig daran festgebunden, daß es allerdings der Gewalt von Bärenkrallen bedurfte, um sie ohne Messer davon loszubringen. Dann waren sie so dick mit Honig beschmiert worden, daß wir ihn beim Vorübertransporte heruntertropfen sahen. Einer der Kelhur trug noch Waben nebenher, wozu, das konnten wir bald darauf beobachten.
Wir folgten ihnen mit gespannten Blicken, bis sie alle drüben im Innern der Kapelle verschwunden waren. Nach zehn Minuten kamen sie wieder heraus. Drei liefen, als ob sie einen raschen Botengang zu besorgen hätten, an uns vorüber nach dem Lager zurück, und andere gingen, während die übrigen bei der Musallah warteten, langsam und äußerst vorsichtig von dort aus nach den Felswandtrümmern, wobei sie sich von Zeit zu Zeit zur Erde niederbückten.
»Hast du eine Ahnung, was diese Leute dort thun, Sihdi?« erkundigte sich Halef.
»Ja. Du hast doch gesehen, daß einer von ihnen Honigwaben in den Händen trug. Das ist die Lockspeise für den Bären, die sie von der Musallah bis in die Nähe seines Lagers legen, um ihm den Weg zu zeigen, der ihn zu seinen Opfern führen soll.«
»Maschallah! Ist es nicht ein Wunder, daß es Menschen giebt, die keine Menschen mehr sind? Wer eine Blutrache ausführen will, der mag dem Feinde eine Kugel in den Kopf geben; aber ihn auf diese Weise quälen und ihn von den wilden Tieren zerreißen lassen, das kann doch nur ein Teufel sich aussinnen!«
»Es ist freilich so unmenschlich, daß man es kaum begreifen kann; aber wer weiß, durch welche Grausamkeit die Bebbeh diese Art der Rache herausgefordert haben; uns werden sie es freilich nicht erzählen. Schau, da kommen die drei Kelhur wieder! Sie haben noch etwas holen müssen.«
Als sie an uns vorübergingen, sahen wir, was sie trugen, nämlich ein Bündel dürre Binsen, mehrere Stücke Talg und einen leeren blechernen Patronenkasten.
»Was sie mit dem Kasten wollen?« meinte Halef.
»Wahrscheinlich eine Lampe anfertigen.«
»Lampe? Wozu?«
»Das Mark der Binsen vertritt den Docht und der Talg die Stelle des Oeles.«
»Ja, aber warum? Wozu brauchen sie eine Lampe herzustellen? Wollen sie sie der Bärin zum Geburtstage für ihr Zimmer des Schlafes schenken?«
»Das weniger, Halef. Es liegt vielmehr ein jedenfalls nicht so liebenswürdiger Grund vor. Sie werden die Kapelle erleuchten wollen, damit der Bär seine Beute leichter findet.«
»Allah! Das ist wieder ein Gedanke aus der Hölle.«
»Und eine Qual, die man nicht bloß fühlt, sondern auch sieht, ist eine doppelte Qual. Diese Kelhur verfahren mit einer so ausgesuchten Bosheit, daß man sie an Stelle der Bebbeh den Bären vorwerfen möchte, ohne sich die geringsten Gewissensbisse darüber zu machen.«
Wir sahen, daß die erwähnten Gegenstände in das Innere der Musallah getragen wurden; inzwischen waren die, welche den süßen Köder gelegt hatten, damit fertig geworden, und als die andern in der Kapelle auch ihren Zweck erreicht hatten, kamen sie alle zurück und wieder an uns vorbei. Sie verhielten sich dabei so schweigsam, daß wir kein Wort von ihnen zu hören bekamen. Nun glaubte Halef endlich die Zeit gekommen, Aufklärung über meine Absichten von mir erhalten zu können. Darum fragte er:
»Dürfen wir jetzt miteinander sprechen, Sihdi?«
»Ja.«
»Warum sprichst du nicht? Du weißt ja wohl ganz gewiß, was ich so gern wissen möchte!«
»Ich kann es mir denken und will vorher einige Fragen an dich richten. Wollen wir nicht nur unsere Pferde wieder holen, sondern auch das Geld des Wirtes und dazu die Bebbeh retten?«
»Ja, Effendi; das wollen wir nicht nur, sondern das müssen wir sogar. Wenn wir die Bebbeh in dieser Weise sterben ließen, würde mir es Zeit meines Lebens sein, als ob ich die Krallen des Bären in meinem Fleische fühlte.«
»Gut! Aber es gilt dabei, unser Leben zu wagen. Bist du damit einverstanden?«
»Warum fragst du mich da erst? Willst du mich, deinen treuen Hadschi Halef Omar, beleidigen und kränken?«
»Nein. Ich frage deshalb, weil es sich um eine Gefahr handelt, in welcher du dich noch niemals befunden hast.«
»Welche ist es?«
»Weil die Kelhur jetzt noch nicht wissen sollen, daß wir hier sind, dürfen wir nicht schießen; dennoch aber müssen wir die Bären töten.«
»Nun, so töten wir sie!« antwortete der kleine, furchtlose Kerl schnell bereit.
»Aber womit?«
»Womit du willst, Effendi.«
»Wir können sie nur entweder erstechen oder erschlagen.«
»Gut, so thun wir es!«
»Halef, erst überlegen, dann beschließen und nachher handeln! Hast du schon einmal einen Bären erschlagen oder erstochen?«
»Noch nie. Aber eben deshalb freue ich mich unendlich darauf, es heut einmal thun zu dürfen.«
»Lieber Hadschi, zwischen wollen und vollbringen ist ein großer Unterschied! Hier handelt es sich um eine alte, ungeheuer große Bärin; sie zu erschlagen, dazu gehört eine Körperkraft, die du nicht besitzest, und ein Gewehrkolben, welcher nicht zerspringt.«
»Einen solchen Kolben hat dein Bärentöter; also sind die Rollen gleich verteilt: du erschlägst sie und ich ersteche sie, ob vorher oder nachher, das ist mir gleich!«
»Langsam, langsam! Weißt du, wohin man stechen muß, nämlich zwischen welche Rippen?«
»Nein. Bleibt denn eine Bärin so lange ruhig stehen, bis man ihre Rippen vorwärts und rückwärts abgezählt hat, Effendi?«
»Nein; aber dem Geübten genügt ein einziger Blick. Das Messer muß mit einem einzigen Stoße bis an das Heft eindringen; man kann es auch zurückziehen und mehrere Male stoßen müssen. Ein Bär scheint ungeheuer tölpelhaft zu sein, ist aber, besonders wenn er angegriffen wird, außerordentlich schnell und gewandt; wenn du nicht ganz richtige Stellung nimmst und den Augenblick ganz genau berechnest, kann er dich gepackt und zerfleischt haben, ehe du nur das Messer zückst. Wehe dir, wenn deine Klinge an dem dichten Felle abgleitet! Wehe dir, wenn – – —«
»Oh, Effendi,« unterbrach er mich, »ich höre schon, was du willst! Du willst die Bärin selbst erstechen und erschlagen!«
»Ob erschlagen oder erstechen, das kommt ganz auf die augenblicklichen Umstände an; aber ich beabsichtige allerdings, sie nur auf mich allein zu nehmen.«
»So willst du mir von dem Ruhme des heutigen Tages gar nichts überlassen? Soll ich, wenn wir zu unserm Stamm der Haddedihn zurückgekehrt sind, den dortigen Kriegern erzählen müssen, daß ich hier an der Musallah el Amwat ruhig zugesehen habe, daß du alle Gefahren allein auf dich genommen hast, während ich die Hände in den Schoß legte wie ein altes Weib, welches schon ausreißt, wenn ihr ein Bär bloß im Traume erscheint? Was würde mein Weib Hanneh, die schönste und lieblichste Blüte unter allen Blumen des Landes, dazu sagen? Müßte sie nicht denken, daß der Geist der Tapferkeit von mir gewichen sei und ich nun einer Kaffeemühle gleiche, von welcher der Drehling verloren worden ist?«
»Beruhige dich, lieber Halef! Du sollst dich keineswegs so ruhig und unbeteiligt verhalten, wie du anzunehmen scheinst. Wir werden uns vielmehr die Arbeit teilen. Wenn ich die Bärin auf mich nehme, fallen dir die jungen zu.«
»Die Jungen! Als ob das eines Kriegers, wie ich bin, würdig wäre! Was für ein Ruhm kann für mich davon abfallen, daß ich einem oder zwei jungen Bären die Hälse umdrehe! Das ist ja eine Arbeit, welche jeder Knabe leicht verrichten kann.«
»Da irrst du dich. Wie groß stellst du dir die jungen Bären vor?«
»Nun, sie werden wohl nicht viel größer als eine Katze sein.«
»Oh, viel, viel größer! Sie sind jetzt gegen sechs Monate alt und also schon so herangewachsen, daß sie dir sehr zu schaffen machen können. Ein junger, halbjähriger Bär, der in der Wildnis, nicht in der Gefangenschaft geboren worden ist, kann unter Umständen die ganze Kraft eines Mannes in Anspruch nehmen, und hier haben wir es höchst wahrscheinlich nicht bloß mit einem, sondern mit mehreren zu thun.«
Ich war gezwungen, die alte Bärin auf mich allein zu nehmen, denn Halef war kein Bärenjäger und hätte nicht nur sich und mich in große Gefahr bringen, sondern auch in Beziehung auf die Kelhur unsere Pläne vollständig zunichte machen können. Damit er sich aber nicht dadurch zurückgesetzt fühle, bedurfte es eines Hinweises darauf, daß die Rolle, welche ihm zufiel, auch schon den ganzen Mut eines Mannes erfordere. Daher meine letzten Worte, durch welche ich auch meine Absicht zu erreichen schien, denn er sagte in beruhigtem Tone:
»So meinst du also, daß es nicht so sehr leicht ist, es mit solchen Abkömmlingen einer Bärin der Unsterblichkeit aufzunehmen?«
»Ganz und gar nicht leicht. Dazu kommt die große Liebe, welche so ein Tier für seine jungen hegt. Wer sich gegen diese feindlich zeigt, auf den stürzt sie sich mit einer Wut, die keine Grenzen kennt; sie wendet sich in diesem Falle, um nur ihre jungen zu verteidigen, von ihren eigenen Angreifern ab. Du siehst also, daß du nicht weniger Mut als ich zu zeigen haben wirst; ja, es ist sogar möglich, daß du dich beim Angriffe auf die jungen in viel größerer Gefahr befindest als ich, weil du dadurch sehr leicht zwischen die Tatzen und Zähne der Alten geraten kannst.«
»Das macht mich glücklich, Effendi, sehr glücklich! Ich sehe jetzt ein, daß du mich nicht für so eine alte Tahunet el Bunn95 hältst, wie ich vorhin dachte, und darum bin ich damit einverstanden, daß mir die Söhne und Töchter der Bärin zufallen sollen.«
»Schön! Aber vergiß nicht, daß wir nicht schießen dürfen!«
»Oh, ich werde nichts als mein Messer brauchen, und die jungen Abkömmlinge der vermeintlichen alten Unsterblichkeit werden aus dem Leben scheiden, ohne daß darüber in der Welt ein großer Lärm entsteht. Dann werde ich zum Andenken an den heutigen Tag aus den Fellen ein Zini ed Delul96 anfertigen lassen oder einen weichen Sidschschadi es Ssiwan97 für die kleinen, süßen Füßchen meiner Hanneh, die mit so kleinen, allerliebsten Pantöffelchen bekleidet sind, daß man sie fast nur mit dem Glase der Vergrößerung erkennen kann. Doch schau, es ist dunkel geworden, und der Schein der Binsendochte erleuchtet das Innere der Musallah. Wird es nun nicht Zeit für uns, hinüberzugehen und die armen Teufel von ihrer Todesangst zu befreien?«
»Was diese Angst betrifft, so ist sie ihnen zu gönnen. Diese Bebbeh sind Menschen, und also dürfen wir nicht zugeben, daß sie ermordet werden, daß sie zumal eines solchen Todes sterben, wie der ist, den man ihnen zugedacht hat; aber sie sind auch nicht besser als die Kelhur, ihre Feinde; sie haben uns bestohlen und nach dem Leben getrachtet, und wenn ich auch fest entschlossen bin, sie zu retten, so haben sie es doch verdient, vorher ein wenig Todesangst auszustehen.«
»Das ist wahr, Sihdi; diese Angst kann ihnen gar nichts schaden; aber wenn wir lange zögern, so kommen die Bären und fressen sie auf, ohne daß wir uns dabei beteiligen können.«
»Beim Auffressen?«
»Scherze nicht, Sihdi! Nennst du es etwa Rettung, wenn wir die Bebbeh aus dem Magen der Bärin schneiden? Wir müssen sie befreien, ehe sie sich gezwungen fühlen, durch den Schlund dieses Raubtieres zu wandern. Und darum denke ich, wir gehen jetzt hinüber. Oder meinst du, daß wir nicht so sehr zu eilen brauchen?«
»Eigentlich haben wir noch Zeit, denn der Bär des Gebirges pflegt sein Lager nicht so zeitig zu verlassen; aber der Geruch des Honigs, welcher bis nahe an das Gestrüpp gelegt worden ist, kann die Bestien schon früher hervorlocken, und außerdem möchte ich gern wissen, was die Bebbeh in der fast hoffnungslosen Lage, in welcher sie sich befinden, miteinander reden. Darum bin ich damit einverstanden, daß wir uns jetzt hinüberschleichen.«
»Schleichen? Warum uns solche Mühe geben? Es ist ja so dunkel, daß uns niemand sehen kann; wir brauchen also nicht zu kriechen, sondern können gehen.«
»Allerdings, doch nur mit Anwendung der nötigen Vorsicht. Die Musallah ist vom Lagerplatze der Kelhur aus zu sehen, und du kannst dir denken, daß sie von ihnen im Auge behalten wird. Die Thor- und Fenster- öffnungen [Fensteröffnungen] sind im Scheine der drinnen brennenden Lichter hell zu sehen, und die Kelhur müßten uns, sobald wir ihre Gesichtslinie durchschnitten, unbedingt bemerken, denn unsere Gestalten würden sich in diesem Lichte scharf abzeichnen. Du wirst dich also hinter mir halten und ganz genau das machen, was ich thue.«
»Das werde ich, Sihdi. Also, brechen wir jetzt auf?«
»Ja.«
»So wollen wir Allah bitten, daß er uns ein gutes Gelingen dieses gefährlichen Werkes beschere! Du weißt, Effendi, daß ich mich nicht fürchte; mein Herz klopft ruhig wie immer, und meine Hand wird das Messer so sicher führen, als ob es nur gelte, einen gebratenen Hammel zu zerteilen; aber ein Bär ist doch noch etwas anderes als ein Hammel, zumal wenn er nicht gebraten ist, und so wünsche ich, daß, wenn wir nachher von da drüben zurückkehren, weder meine Haut noch die deinige mehr Löcher hat als jetzt. Also beten wir! A‘ uhdu billah min esch Schejtan er ragihm – ich suche Zuflucht bei Allah vor dem bösen Teufel; er wird mir beistehen, Effendi, und auch dir!«
Ich wußte gar wohl, daß es nicht die Angst, sondern die Frömmigkeit war, die ihn zu diesem Stoßseufzer veranlaßte, und wenn ich auch nicht laut in seine Bitte einstimmte, so befahl ich mich doch im stillen auch dem Schutze dessen, der Leben und Tod in seinen allmächtigen Händen hält, denn es war trotz meiner Erfahrenheit auch für mich kein Spaß, unter den gegenwärtigen Verhältnissen mit einem so riesenhaften Vertreter der Familie Ursus anzubinden. Der kurdische Bär kommt in Beziehung auf seine Gefährlichkeit gleich nach dem Grizzly des amerikanischen Felsengebirges, und das will wohl etwas sagen, zumal es uns verboten war, uns unserer Gewehre zu bedienen.
Da wir das Terrain bei Tage überschaut hatten, so kannten wir es genau; es bot uns keine Schwierigkeiten, außer an denjenigen Stellen, wo wir die Gesichtslinie der Kurden berührten. Da mußten wir uns platt niederlegen und uns möglichst so in den vorhandenen Bodenvertiefungen bewegen, daß wir nicht zwischen die Augen der Kelhur und die erleuchteten Maueröffnungen der Musallah kamen.
Aus diesem Grunde dauerte es wohl eine Viertelstunde, ehe wir die Kapelle erreichten, und zwar nicht an ihrer vordern und auch nicht an der nach dem Felssturze liegenden, sondern an der dritten Seite, welche wir bisher noch nicht gesehen hatten und die, zu meiner großen Befriedigung, auch jetzt von den Feinden nicht gesehen werden konnte. Die vierte Seite stieß an den Felsen, kam also gar nicht in Betracht. Wir befanden uns also auf der von den Bären abgelegenen Flanke der Ruine, was uns nur zum Vorteile gereichen konnte, und zu meiner noch größeren Genugthuung bemerkte ich da, daß es hier auch ein Fenster gab, dessen Brüstung so tief eingefallen war, daß man nur über einige Steine zu springen brauchte, uni in das Innere zu gelangen.
Im Schatten dieser Steine legten wir uns nieder und brauchten nur die Köpfe zu erheben, um den ganzen Innenraum der Musallah zu überblicken. Wir sahen nichts als Trümmer, Schutt und Mauern; es gab nichts, auch nicht den kleinsten, geringsten Gegenstand, der auf den einstigen Zweck des Bauwerkes hätte schließen lassen. Große Steine und kleineres Geröll lagen über den Boden hin verstreut, und nur an der hintern Seite, der Felsenwand, bemerkte ich verbröckelte Linien, die wahrscheinlich einst eingemeißelt worden waren und, wenn der fahle, ungewisse Lichtschein mich nicht täuschte, in kufischer Schrift als »Kyrie« gelesen werden mußten. Kyrie eleison – Herr erbarme dich! Keine Inschrift konnte besser passen für diesen Schauplatz der Zerfleischung glaubenstreuer Christen! Und nicht weniger eignete es sich für die Scene, welche jetzt vor unsern Augen lag!
Die Kelhur hatten die Pfähle, an welche die beiden Bebbeh gebunden worden waren, im Hintergrunde in die Erde gerammt und unten mit angelegten, schweren Steinen so befestigt, daß sie nicht wanken konnten. Dies war jedenfalls geschehen, um eine Verlängerung der Todesqualen zu erzielen; die Bären sollten dadurch gezwungen werden, ihr grauenhaftes Werk an den Füßen ihrer Opfer zu beginnen. Diese befanden sich in ihren Kleidern und waren mit Riemen und Stricken fest umwickelt, eine weitere Verschärfung der Grausamkeit, weil die Krallen der Raubtiere dadurch verhindert wurden, mit ihnen schnell ein Ende zu machen. Ihre mit Honig beschmierten Gesichter waren kaum zu erkennen; er lief und tropfte an ihnen nieder und bildete unter ihnen kleine Lachen, welche ihre Anziehung auf die Bären nicht verfehlen konnten. Da sie nicht im stande waren, auch nur ein Glied zu bewegen, erinnerten sie mich an die Art und Weise, wie gewisse Puebloindianer ihre verstorbenen Angehörigen zu beerdigen oder vielmehr nicht zu beerdigen pflegen, indem sie sie an Pfähle binden, die an hochgelegenen Punkten in die Erde gesteckt werden. Es ist schauerlich, solche Leichen hoch oben auf Felsenspitzen zu erblicken, umschwebt von Geiern, welche ihr grausiges Mahl davon halten. Hier aber in der Musallah sollten nicht Leichen, sondern lebende Menschen aufgefressen werden!
Die Bebbeh schienen alle ihre Kräfte angestrengt zu haben, ihre Fesseln zu zersprengen, natürlich vergeblich; sie waren davon so ermattet, daß wir zunächst nur müde Seufzer hörten. Dann erklang aus Aqils Munde ein schwerer, hier unmöglich wiederzugebender Fluch, dessen Erfüllung den Kelhur den sofortigen Sturz in die tiefsten Qualen der Hölle gebracht haben würde.
»Verdamme sie nicht, sondern klage nur dich selbst an!« sagte da sein Sohn. »Sie üben nur die Rache aus, zu welcher du sie herausgefordert hast.«
»Müssen sie sich aber in dieser fürchterlichen Weise rächen?« entgegnete der erstere. »War es nicht Strafe genug, wenn sie uns einfach erschossen?«
»Nein! Hast du etwa vor zwei Jahren den Kelhur auch nur erschossen, oder hast du ihn in die Grube gesperrt und langsam verhungern lassen? Er mußte verhungern und wir werden gefressen; das ist die Rache Schir Samureks, gerecht gegen dich, aber ungerecht gegen mich, denn ich bin nicht schuld am Tode jenes Mannes; als er starb, war ich in Kahira und also fern von Kurdistan. Warum hat Allah es gefügt, daß ich dein Sohn wurde und nun an den Folgen deiner Thaten und deiner Thorheiten zu Grunde gehen muß!«
»Die Blutrache geht von Glied zu Glied; sie ist Allahs Gesetz, und du darfst dich also nicht beschweren.«
»Ich habe nicht von der Blutrache, sondern von deinen Thorheiten gesprochen!«
»Thorheiten! Wie darf ein Sohn es wagen, dieses Wort gegen seinen Erzeuger auszusprechen!«
»Er darf, wenn es die Wahrheit enthält! War es nicht mehr, viel mehr als Thorheit, daß du trotz der Blutrache, die zwischen euch schwebte, zu den Kelhur gingst, um ihnen ein Pferd anzubieten, welches weder dir gehörte, noch sich in deinen Händen befand? Mußtest du es nicht voraussehen, daß sie dich festhalten und dann das Pferd stehlen würden? Durch dich, nur durch dich allein sind sie auf den Gedanken gekommen, nach Khoi zu reiten, und auf dir allein liegt die Schuld, daß ich ihnen dabei in die Hände gefallen bin!«
Sein Vater beantwortete diesen berechtigten Vorwurf durch ein tiefes, schmerzvolles Stöhnen, versuchte dann aber doch, ihn durch eine Gegenanklage zu entkräften:
»Du sprichst von meinen Thorheiten, nicht aber von den deinigen! Den größten Fehler, der gemacht worden ist, hast du begangen!«
»Wodurch?«
»Dadurch, daß du auf den Gedanken kamst, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar zu erstechen. Obgleich ich wünsche, daß Allah sie verfluchen möge, muß ich doch zugeben, daß sie Männer sind, die ihr Gegner zehnmal mehr zu fürchten hat, als jeden andern Feind. Der Hengst des Effendi hat einen unschätzbaren Wert, und darum bin ich bereit, die heiligsten Eide darauf abzulegen, daß er den Kelhur folgt, um das Pferd wieder zu bekommen. Wenn ich an die Thaten denke, die man sich von ihm erzählt, möchte ich darauf schwören, daß er hier in der Nähe ist und alles gesehen hat, was die Kelhur gethan haben.«
»Diese Ueberzeugung habe ich auch,« stimmte Ssali bei.
»Vielleicht weiß er sogar schon, daß wir hier in der Musallah angebunden worden sind, um von den Bären gefressen zu werden. Darauf beruht die einzige Hoffnung, die uns übrig bleibt!«
»Du hoffst vergebens! Seit die Kelhur uns vorhin verlassen haben, denke ich an keine Rettung mehr. Erst dachte ich, daß sie uns mit den Bären nur erschrecken wollten; jetzt aber erkenne ich, daß es ihnen Ernst gewesen ist. Nun es dunkel geworden ist, getrauen sie sich nicht, herüber zu kommen, um uns loszubinden. Wir sind also unrettbar dem Tode verfallen, den sie über uns ausgesprochen haben.«
»Noch nicht! Meine Hoffnung wird erst in dem Augenblicke schwinden, an welchem ich die Krallen der Bestien in meinem Herzen fühle. Kara Ben Nemsi kommt; er ist vielleicht schon da; er duldet nie, daß ein Mensch, und sei dieser sein ärgster Feind, gemartert werde. Wenn er hier ist und wenn er weiß, was uns bevorsteht, wird er nach der Musallah kommen und uns retten!«
»Nein; das wird er nicht thun!«
»Warum nicht?«
»Deinetwegen! Hättest du ihn nicht erstechen wollen, so wollte ich es glauben. Nun aber wird er sich eines Feindes wegen, der ihn ermorden wollte, nicht in die Gefahr begeben, selbst von den Bären zerrissen zu werden.«
»Die Bären fürchtet er nicht; das wissen wir. Und wenn er dir den Raub des Pferdes verzeiht, wird er auch nicht nach dem Messer fragen, welches ich gegen ihn gezückt habe. »Ein Christ kennt die Rache nicht, denn Gott ist der Vergelter,« sagte er zu mir, indem er mir die Waffe wiedergab. Wenn er hier ist und erfahren hat, in welcher Not wir uns befinden, wird er den Geboten seines Glaubens gehorchen und uns retten!«
»Allah w‘ Allah! Welch ein Wunder, mein Sohn, daß aus deinem Munde solche Worte kommen! Du, ein stolzer Lehrer und Prediger des heiligen Islam, der du für die Christen niemals etwas anderes als nur Flüche hattest, setzest jetzt deine einzige und letzte Hoffnung auf so einen verfluchten Anhänger der Lehre des Kreuzes auf Idschdschuldschula98!«
»Fluche ihm nicht, wenigstens diesem nicht! Er führt die Lehren seines Glaubens nicht nur auf der Zunge; sie wohnen auch in seinem Herzen; sie hängen am Griffe seines Messers und sie sprechen aus den Läufen seiner Gewehre. Wenn Allah ihn hierher geleitet hat, so schwöre ich bei Muhammed und bei – – —«
»Schweig!« fiel ihm sein Vater in die Rede. »Hast du vergessen, was Schir Samurek uns so höhnisch riet? Wer Hilfe durch einen Christen erwartet, darf seine Rufe nicht an Muhammed richten. Soll uns Hilfe durch Kara Ben Nemsi werden, so führt ihn Isa Ben Marryam herbei; also an diesen letzteren wende dich!«
Mir war es zweifelhaft, ob Aqil dies ernstlich oder ironisch meinte; sein Sohn schien Spott für ausgeschlossen zu halten, denn er antwortete:
»Noch sind die Bären nicht da; sie werden erst in später Nacht erscheinen; noch kann uns also vielleicht Muhammed einen Retter senden; der Christ bleibt uns übrig bis zum letzten Augenblick!«
In der schrecklichen Lage der beiden Bebbeh klang diese spitzfindige Klügelei geradezu zum Erbarmen; das fühlte Halef auch; er flüsterte mir zu:
»Effendi, wenn das nicht zum Weinen wäre, würde es zum Lachen sein! Ich weiß, wer stärker ist, Christus oder Muhammed. Wollen wir nicht dafür sorgen, daß diese Bebbeh es auch erfahren?«
»Das haben wir nicht nötig,« antwortete ich ebenso leise; »sie werden schon selbst dafür sorgen; warten wir es nur ab! Sei still; wir wollen weiter hören!«
Was wir noch hörten, war nichts Wichtiges für uns. Sie ächzten und stöhnten abwechselnd; sie machten einander Vorwürfe; sie beteten zu Allah, zu Muhammed und seinen Nachfolgern; das widerstrebte mir so, daß ich mich schon erheben wollte, um hineinzugehen und sie loszubinden, als Aqil plötzlich einen Schrei ausstieß und dann seinem Sohne zurief: »Allah sei uns barmherzig! Siehst du den Bären dort an der Thür?!«
»Ich sehe ihn,« antwortete Ssali. »Es ist ein junger. Oh Allah, o Prophet, o Mekka, o heilige Kaaba, unser Martertod wird jetzt beginnen!«
Unsere Blicke reichten auch bis zur Thür. Ja, dort stand wirklich ein junger Bär! Er war ganz gewiß sieben Männerfäuste hoch und dem entsprechend lang und stark; der Milch schon längst entwöhnt, war er von seiner Mutter gewiß nicht nur mit Früchten, sondern schon mit Wildpret aller Arten bedacht worden; das sah man ihm an. Ein kleines Baby war er nicht mehr; er steckte schon tüchtig in der Flegelzeit, und Halef raunte mir, meinen Arm ergreifend, eifrig zu: