Kitabı oku: «Im Lande des Mahdi III», sayfa 9
»Schweig, Elender! Du hast mich noch vor wenigen Stunden aufgefordert, das in mich gesetzte Vertrauen nicht zu Schanden zu machen. Ich versprach, mein möglichstes zu thun, und habe Wort gehalten. Nun ist es nicht mit meinen, sondern mit deinen Möglichkeiten zu Ende. Ich habe dir bewiesen, daß das Gute stets mächtiger ist als das Böse, und bin für immer mit dir fertig. Der Reis Effendina wird dein Urteil fällen.«
Wie wir die wenigen Stunden bis Tagesanbruch verbrachten, läßt sich denken. Der lebhafteste war wieder Selim, der jeden zwang, anzuhören, daß er der größte Held des Weltalls sei, denn er schob natürlich nur sich allein den ebenso plötzlichen wie freudigen Umschwung der Verhältnisse zu.
Als es licht zu werden begann, wurden die Ochsen gesattelt, denn ich hatte vor, einen lustigen Streich auszuführen. Die Effekten und Gefangenen wurden aufgeladen; dann stiegen auch wir auf. Wir verließen den Wald und zogen nach dem See. Dort angekommen, ritten wir in feierlicher Langsamkeit rund um denselben herum. Die Bewohner des Dorfes, welche auch schon wach waren, hielten uns für die erwarteten Feinde und erhoben ein großes Kriegsgeschrei. Sie stellten sich in hellen Haufen vor die Umzäunung auf und wurden von ihrem Generalissimus, dem Reis Effendina, in mehrere Armeekorps geteilt. Als diese sich den Berg herab in Bewegung setzten, um uns, wie er sich vorgenommen hatte, »in den See zu treiben«, schickte ich ihnen den tapfern Selim, reitend auf dem Rücken eines streitbaren Ochsen, entgegen. Keine andere Zunge paßte für eine solche Aufgabe so gut wie diejenige dieses größten Helden des Weltalls. Er kam, sah und siegte auch diesesmal, ganz wie immer. Kaum hatten sie ihn erkannt und die ersten seiner Worte gehört, so gerieten ihre Schlachthaufen in Unordnung, die Disziplin ging »flöten« und alles drängte sich kunterbunt den Berg herunter, um das Wunder des jungen, kaum aufgegangenen Tages anzustaunen. Jeder wollte mit mir reden, und ich hatte doch nicht Zeit, Antwort zu geben, denn meine ganze Aufmerksamkeit wurde durch die Aufgabe, Ihn Asl zu beschützen, in Anspruch genommen. Hätte ich das nicht gethan, er wäre wörtlich in Stücke gerissen worden. Auf meinen Befehl schlossen die Asaker des Reis Effendina um ihn und seine weiße Bande einen dichten Kreis, um die Kerls hinauf ins Dorf »in Prison« zu schaffen; die Djangeh folgten, und die Bürger und die Bürgerinnen von Wagunda zogen so begeistert hinterdrein, daß niemand auf mich achtete, der ich ganz allein am See zurückblieb und erst nach einiger Zeit langsam auch aufwärts schlenderte.
Indessen hatte Selim Zeit gehabt, unsere oder vielmehr seine Heldenthaten auszuposaunen und jedmänniglich für dieselben zu erwärmen. Auch der Emir war warm geworden. Eben als ich durch das Thor in das Dorf trat, kam er mir entgegen, hielt mir seine beiden Hände hin und bat:
»Verzeihe mir, Effendi! Ich bin ungerecht gegen dich gewesen. Diesem Selim ist kein Wort zu glauben, aber aus dem wenigen, was ich von deinem braven Ben Nil erfahren habe, ersehe ich, daß wir heute nacht zu Grunde gegangen wären. Es schlief das ganze Dorf!«
»Nicht das ganze,« antwortete ich. »Es waren vier Herzen wach, für deren Schlag das Dorf zu eng geworden war. Wären diese nicht gewesen, so – —«
Ich konnte nicht weitersprechen, denn geführt von dem Brillenmanne kam eine Rotte Gohk auf mich losgeschossen. Ich wurde gepackt, gedrückt, gequetscht, gedreht und fortgewirbelt, immer mitten zwischen ihnen, von einer Hütte zur andern, im ganzen lieben Dorf herum. Fast schien es mir, als sei der Ochsenritt von Foguda noch lange nicht so entsetzlich gewesen wie der Triumphzug durch Wagunda.
Am Nachmittage gab es abermals einen Umzug durch das Dorf, doch einen von ganz anderer Art. Ibn Asl und seine weißen Sklavenjäger wurden herumgeführt, ohne Ausnahme mit Eisen gefesselt und die Schebah am Halse. Ibn Asl trug dieselbe schwere, mit welcher er mich gepeinigt hatte. Ich sagte bereits, daß der Berg, auf welchem der Ort lag, an drei Seiten senkrecht zur Tiefe fiel. Die Sklavenjäger wurden nach der einen Seite gebracht, dort hart an der Kante aufgestellt und erschossen. Ihre Leichen fielen in die Tiefe. Ich war nicht dabei. »Wehe dem, der wehe thut.« Die Strafe war gerecht, doch gab das keinen Grund für mich, Zeuge der Vollstreckung zu sein. Dennoch aber war es mir, als ob ich jetzt erst frei aufatmen dürfe, da ich erst nun die Gewißheit hatte, daß die schrecklichen Drohungen des Sklavenjägers nicht an mir in Erfüllung gehen konnten.
Den Djangeh wurde verziehen. Wir erfuhren von ihnen, daß die andere Abteilung der Sklavenjäger die Weisung erhalten habe, von Foguda in der Richtung nach Agardu zu marschieren und auf derselben mit Ibn Asl zusammenzutreffen. Die Gohk kannten diese Gegend und den Weg genau und wir setzten uns schon am nächsten Morgen in Marsch, um die Gefangenen zu befreien. Einen Tag später, um die Mittagszeit, stießen wir auf den Zug. Wir waren den siebzig Treibern der Herden und Sklaven weit überlegen und umzingelten sie. Als die fünfzig dabei befindlichen Djangeh sahen, daß ihre Gefährten sich mit dem Häuptlinge bei uns befanden, gingen sie sofort zu uns über. Die zwanzig Asaker Ibn Asls sahen ihr Schicksal vor Augen. Sie ergaben sich nicht, sondern wehrten sich und wurden niedergeschossen. Man sieht, dieses Erlebnis endet ziemlich blutig, wofür ich aber glücklicherweise nicht verantwortlich bin.
Die befreiten Sklaven thaten mir von ganzem Herzen leid. Sie erhielten zwar ihre Freiheit und ihre Rinder und Schafe wieder, doch konnten sie daheim nur die Trümmer ihrer Hütten und die Leichen ihrer Angehörigen finden. Man sage nicht, der Neger fühle nicht so wie wir; er fühlt sogar leidenschaftlicher als wir und kann dem Unglücke nicht den Trost entgegensetzen, den uns der Glaube an einen Gott der Liebe und der Weisheit gibt.
Drittes Kapitel: Thut wohl Denen, die Euch hassen!
Mancher meiner geneigten Leser wird am Schlusse des vorigen Kapitels gedacht haben: »Jetzt sollte der Verfasser eigentlich schließen, denn nach schriftstellerischen Regeln ist die Erzählung nun zu Ende, da die sämtlichen Konflikte gelöst worden sind und der Gerechtigkeit Genüge geschehen ist.« Dem habe ich zu entgegnen, daß ich nicht eigentlich schriftstellere, sondern Erlebnisse niederschreibe und es unmöglich hindern kann, wenn sich das Leben und die Wirklichkeit nicht nach schriftstellerischen Regeln richten und sich selbst vom scharfsinnigsten Kritikus nicht den Gang der Ereignisse vorschreiben lassen. Es giebt ewige Gesetze, welche hoch über allen tausend Regeln der Kunst erhaben sind.
Ja, ich hätte höchst wahrscheinlich meine Erzählung mit dem Aufenthalte in Wagunda schließen können, wenn mich nicht das Schicksal einige Jahre vorher und in einem weit von Sudan entfernten Lande mit einem Manne zusammengeführt hätte, dem es wider alles Erwarten bestimmt gewesen war, mir hier im tiefen Süden wieder zu begegnen. Wer die heilige Schrift kennt, hat jedenfalls auch gelesen: »Herr, deine Wege sind wunderbar, und du führest alles herrlich hinaus!«
Ich hatte damals mit meinem wackern Diener Halef, von dem alle meine Freunde gehört haben, zu Pferde eine Reise durch das »Reich des silbernen Löwen«3 gemacht, von welcher ich in einem spätern Bande erzählen werde. Wir kamen, müde von den Anstrengungen des monatelangen Rittes, aber reich an Erfahrungen, mitten im Gebiete räuberischer Kurdenstämme über die persisch-türkische Grenze und machten in dem kleinen Orte Khoi einen kurzen Halt, um den müden Pferden einige Tage Ruhe zu gönnen. Zu jener Zeit lebte, wie ich bemerken muß, Rih, mein herrlicher, unvergleichlicher Rapphengst noch, der mir später unter dem Leibe erschossen wurde, indem ihn eine tödliche Kugel traf, welche eigentlich mir gegolten hatte, und wenn dieses edle und ausdauernde Tier von der Reise angegriffen war, so läßt sich leicht denken, daß dieselbe das Pferd Hadschi Halefs, obgleich es auch einen guten Stammbaum besaß, noch viel mehr mitgenommen hatte. Es war in den letzten Tagen vor Ermattung oft ins Stolpern geraten, und so sahen wir uns in anbetracht des beschwerlichen Weges, den wir noch bis jenseits des Tigris zurückzulegen hatten, gezwungen, in Khoi den erwähnten Aufenthalt zu nehmen, obgleich dieser Ort ganz und gar nichts bot, was uns sonst zum Bleiben hätte verlocken können.
Wenn wir, schon als wir die ersten Hütten erreichten, von den Bewohnern derselben angestaunt wurden, so lief, als wir vor dem elenden Khan4 hielten, gar eine ganze Menge von Menschen zusammen, um uns ihre Bewunderung zu zollen. Freilich konnten wir nicht so unbescheiden sein, diese Bewunderung auf uns selbst zu beziehen; sie galt vielmehr meinem Hengste, dem man es trotz seines herabgekommenen Zustandes gleich beim ersten Blick ansehen mußte, daß er jenen unschätzbaren Wert besaß, infolgedessen so ein Pferd niemals verkäuflich ist. Er trug eines jener kostbaren Geschirre, welche Reschma genannt werden, und zog auch aus diesem Grunde aller Augen auf sich. Ich hatte es von einem hochgestellten Perser, dem einen Dienst zu erweisen mir gelungen war, als Geschenk erhalten, und da er mir in wahrhaft edler Freigebigkeit sein bestes Reschma ausgesucht hatte, welches nach kurdischem Begriffe ein Vermögen repräsentierte, so war es kein Wunder, daß alles und alle, Männer, Weiber und Kinder, aus den nahegelegenen Häusern gelaufen kamen, um Pferd und Ausstattung in Augenschein zu nehmen.
Der Khan war ein roher, mit Lehm verschmierter Steinbau ohne Oberstock und mit so kleinen Fenstern, daß das Licht des Tages kaum Zutritt in das Innere finden konnte. Wenn ich mich sträflicherweise der Bezeichnung Fenster bediene, so darf man ja nicht etwa an Glasscheiben denken, sondern nur an einfache Maueröffnungen, durch weiche der Wind blasen konnte, wie es ihm beliebte, und die zugleich dem löblichen Zwecke dienten, dem Rauche Abzug zu gewähren, denn Schornsteine gab es nicht. Auch das Thor, welches in den Hof führte, war nur ein breites Mauerloch ohne Thürflügel, und in diesem Hofe sah es aus, als ob dort seit langen Jahren die Exkremente des ganzen wilden und zahmen kurdischen Tierreiches zusammengetragen und von den hohen Herren und lieblichen Herrinnen der Schöpfung breitgetreten worden seien.
Dem entsprechend war das Aussehen des Wirtes, welcher unter der Thür erschien, um uns nach orientalischer Weise unter tiefen Verbeugungen und blumenreichen Redensarten zu begrüßen. Dabei wendete er sich nicht an Hadschi Halef Omar, sondern an mich, der als Besitzer des besseren Pferdes der Herr sein mußte:
»Willkommen, o Herr, in meinem Hause, welches dir seine zwölf gastlichen Thore mit Wonne öffnet! Allah breite tausend Segen über dich und zehntausend Segen als Teppich unter deine Füße! Nie sah ich im Leben einen edlern und vornehmern Gast. Wünsche alles, was dein Herz begehrt, und ich werde es dir augenblicklich bringen. Mein Gesicht strahlt vor Freude über deine Ankunft wie die Sonne des Paradieses; meine Gestalt trieft von der Bereitwilligkeit, dir zu dienen; meine Hände zittern vor Begier, deine Befehle zu erfüllen, und meine Füße werden eilen wie die Flügel des Falken, alle deine Botschaften im Nu zu bestellen. Die Seele, welche meinen Körper bewohnt, soll – – – —«
»Laß sie; sie mag drin stecken bleiben!« unterbrach ich ihn. »Ich bin nicht Freund von vielen Worten. Hast du gute Wohnung für uns beide?«
»Az kolahme tah – ich bin dein Diener. Ihr werdet bei mir wohnen, als wäret ihr die Lieblingsfrauen des Propheten.«
»Und das Essen?«
»Bu kalmehta ta ßiu taksihr nakehm – um dir zu dienen, werde ich nichts sparen. Ich bin bereit, alle meine Herden für euch zu schlachten!«
»Laß sie leben, laß sie leben! Wir kommen nicht hierher, um Herden zu verschlingen. Die Hauptsache ist, daß unsere Pferde ein gutes Unterkommen finden.«
»Oh, Chodih5, sie werden Plätze finden, welche mit den Palästen Mekkas zu vergleichen sind!«
»Gut! Zeige uns diese Paläste!«
»So komm und setze deine Schritte in die Stapfen meiner frohbewegten Füße! Du wirst zufrieden sein mit mir, der ich der zuverlässigste aller deiner Diener bin!«
Wir stiegen von den Pferden und dieser »zuverlässigste aller meiner Diener« setzte sich nach dem Hofthore zu in Bewegung. Seinen struppigen Kopf schmückte ein Tuch, welches eigentlich kein Tuch mehr war, sondern ein wirres Gefitz von zerrissenen Fäden. Und eine Hose wie seine Hose war keine Hose! Das unerklärliche Ding, welches ganz betrügerischerweise diesen Namen führte, war ein ausgefranster Lappen, welcher sich die ganz vergebliche Mühe gab, bis zum Knie herunterzureichen, und was die Unterschenkel betraf, so hatte es den Anschein, als ob sie von dunkeln Trikotstrümpfen bedeckt seien; bei näherer Betrachtung aber zeigte es sich, daß dieser Trikotstoff der landwirtschaftlichen Goldgrube des schon erwähnten Hofes entstammte. Auch eine Jacke hatte dieser edle Kurde an, von welcher rechts der dritte und links der vierte Teil eines Aermels vorhanden war; hinten war sie zu, wirklich zu, außer den Löchern, die es gab; vorn war sie offen, wirklich offen, denn sie war hier, wenn ich die Wahrheit sagen soll, gar nicht mehr da. Ich erblickte an ihrer Stelle eine Brustbedeckung, welche sehr wahrscheinlich das vorstellen sollte, was der Türke als Gömlek6 und der Araber als Kamis7 zu bezeichnen pflegt, doch war es mir unmöglich, das, was ich sah, zu klassifizieren, weil es eine zu große Aehnlichkeit mit der Bedeckung der Unterschenkel hatte.
War mir gleich, als der Mann erschien, sein irrer Blick aufgefallen, so ging er jetzt mit so wankenden, ja taumelnden Schritten vor uns her, daß ich annahm, es wohne nicht nur die Seele in ihm, die er vorhin nicht herauslassen durfte, sondern auch noch jener »selig« machende Geist, welcher sein Dasein der Gärung verdankt, um schoppen- oder gläserweise »hinter den Binden« seiner Anhänger zu verschwinden.
Unsere Pferde führend, folgten wir ihm in den Hof. Natürlich gab es sonst nirgends als grad beim Eingange in denselben eine Vertiefung, in welcher sich die flüssigeren Teile des schon erwähnten Goldes angesammelt hatten. Der Wirt kannte selbstverständlich als Besitzer und Inhaber des allgegenwärtigen Kompostes diese gefährliche Stelle und versuchte, mit Hilfe einer Schwenkung um sie herumzukommen; aber die Centripedalkraft dieses Punktes war so viel größer als die Stärke der beabsichtigten Centrifuge, daß sie den Hotelbesitzer von Khoi unwiderstehlich an sich zog; er fiel der Mutter Erde in die weichen Arme. Ich streckte die Hand aus, um ihn herauszuziehen; er aber schien die nötige Uebung zu besitzen, sich in diesem speziellen Falle selbst zu helfen, denn er wies mich zurück und krabbelte langsam heraus, indem er mir zulachte:
»Taklif, b‘ela k‘nahrek, be‘in ma, batal – mache dir keine Umstände; unter uns sind sie unnötig!«
Er hatte sehr recht, denn als er wieder auf den Beinen stand, sah er keineswegs schmutziger aus als vorher.
»Sihdi8,« sagte Halef in moghrebinischem Arabisch, welches der Wirt jedenfalls nicht verstand, zu mir, »dieser Kerl ist ein Abu kull‘Chanazir, ein Vater aller Schweine, bei dem wir unmöglich bleiben können. Wollen wir uns nicht eine andere Wohnung suchen?«
»Sein Khan ist der einzige hier im Orte, lieber Halef.«
»So laßt uns lieber im Freien bleiben!«
»Das geht nicht. Wir befinden uns im jetzigen Gebiete der Kelhurkurden, welche die berüchtigtsten Pferdediebe sind. Denke an meinen kostbaren Rih! Anstatt uns auszuruhen, könnten wir keinen Augenblick schlafen.«
»Das ist leider richtig; wir müssen ein Obdach haben, welches verschlossen werden oder wo sich wenigstens kein solcher Räuber einschleichen kann, denn außer den Pferden wäre auch unser Leben in der größten Gefahr. Eine reinliche Stelle werden wir freilich hier nicht finden können; suchen wir uns also eine aus, wo es am wenigsten schmutzig ist und wo uns dieser Gidd el Wasach9 nicht so oft vor die Nase kommt! Ich habe schon viele Menschen gesehen, deren Anblick mich mit Ekel erfüllte, aber so einen Liebling des Düngers doch noch nicht!«
Der betrunkene »Liebling« taumelte über den Hof hinüber, wo es wieder eine Maueröffnung gab, an welcher er, sich an der Wand festhaltend, stehen blieb. Sich nach uns umwendend, sagte er:
»Hier, Chodih, ist der Ort, wo eure Pferde sich wie an den Pforten des Paradieses fühlen werden. Führt sie hinein und sagt mir, welches Futter ich für sie holen soll!«
Ich warf einen Blick in den Raum, der so finster war, daß mein Auge sich erst an die Dunkelheit gewöhnen mußte; dann aber sah ich in diesen »Palästen von Mekka« eine solche Fülle Unrates aller Arten, daß ich, ohne, wie man sich auszudrücken pflegt, der Sache einen Mantel umzuhängen, antwortete:
»Bist du bei Sinnen? Hier ist der Schmutz so tief, daß die Pferde drin versinken würden!«
Er starrte mich eine Weile ganz verständnislos an und rief dann aus:
»Schmutz? Schmutz bei mir? So etwas hat mir noch kein Mensch gesagt! Das ist eine Beleidigung, wegen der ich dich eigentlich zum Müssajefet10 fordern müßte!«
Diese Drohung kam mir so urkomisch vor, daß ich darüber in ein herzliches Gelächter ausbrach; Halef aber wurde, ganz entgegengesetzt von mir, durch sie so in Zorn versetzt, daß er den Mann anfuhr:
»Wie? Du wagst es, von einem Müssajefet zu sprechen? Weißt du, wer der hohe Herr ist, dem dies zu sagen du unternommen hast?«
»Nein,« antwortete der harmlose Wirt.
»Es ist der berühmte Emir Hadschi Kara Ben Nemsi aus Germanistan!«
»Den kenne ich nicht. Und wer bist denn du?«
»Ich bin der ebenso berühmte Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Wir brauchen nur einen Finger gegen dich zu erheben, so wirft dich der Schreck sofort über den Haufen!«
»Oho! Ich gehöre nicht zum verachteten Stande der Guranen11, sondern zu den Assireten, die mit den Waffen umzugehen wissen. Es ist kein Schreck so groß, daß er mich umwerfen könnte!«
»Du wankst ja aber schon!«
»Das ist nicht der Schreck, sondern – – – sondern – – —«
»Sondern der Raki12,« fiel Halef ein.
»Raki? Ich habe heut noch keinen Schluck getrunken. Du willst mir doch hoffentlich nicht die Schande anthun, mich für einen Sekran13 zu halten!«
»Ja, grad das thue ich!«
»Du irrst!«
»Beweise es! Ein gläubiger Anhänger des Propheten darf niemals trunken sein, und wenn er es dennoch ist, so hat jeder gute Moslem die heilige Pflicht, ihm die Sure ‚l Imtihan14 vorzuhalten. Kannst du sie auswendig?«
»Nein.«
»So werde ich sie dir schnell vorsagen und du sprichst sie ebenso schnell nach! Also, paß auf!«
Diese Sure ist die hundertundneunte des Kuran; sie lautet: »Sprich: 0 ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehrt und ihr verehret nicht das, was ich verehre, und werde auch nie verehren das, was ihr verehret und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe die meinige.« In der deutschen Uebersetzung klingt das einfach; im Arabischen aber ist es selbst für einen Nüchternen schwierig, die Sure schnell und ohne Fehler herzusagen; ein Betrunkener gar bringt es niemals fertig. Darum pflegt man dem, den man eines Rausches zeiht, diese Sure vorzuhalten. Geht er nicht darauf ein, so gibt er dadurch zu, daß er betrunken ist, was für eine solche Schande gilt, daß niemand sich weigern wird, die Worte zu recitieren. Auch der Wirt weigerte sich nicht; er gab sich vielmehr die größte Mühe, sie Halef nachzusprechen, mußte aber immer wieder von vorn anfangen, ohne das Ende zu erreichen.
»Giebst du nun zu, daß du betrunken bist?« fragte mein kleiner Hadschi zornig. »Du wirst in der Dschehenna15 dafür büßen müssen!«
»Ich? Fällt mir nicht ein! Ich bin nur ein wenig heiter; aber wenn ihr hinein in die Stube geht, so werdet ihr einen sehen, der weder stehen noch sitzen und auch die Augen nicht mehr offen halten kann.«
»So ist dein Haus eine Maghare er Redila, eine Höhle des Lasters, welche Allah verfluchen möge, und in deiner Stube liegt der Schmutz der Seele ebenso hoch, wie hier der Unrat des Gestankes liegt. Hast du keinen andern, bessern Ort für unsere Pferde?«
»Einen noch besseren? Wünschest du vielleicht den siebenten Himmel Muhammeds für eure Tiere? Ist dieser Stall nicht köstlich zu nennen gegen den, in welchem ich meine eigenen Pferde habe? Hier herein lasse ich nur die Pferde vornehmer Gäste, welche bei mir einkehren.«
»So weiß ich wirklich nicht, was wir thun sollen! Sihdi, weißt du es etwa?«
»Es wird uns wohl nichts übrig bleiben, als diesen Stall reinigen zu lassen,« antwortete ich. »Zunächst aber wollen wir einmal sehen, was wir selbst hier zu erwarten haben. Hast du vielleicht einen Extraraum für vornehme Gäste?«
»Nein,« antwortete der Wirt, an den ich diese Frage gerichtet hatte. »Vor Allah sind alle Menschen gleich; darum setzen sich auch die Vornehmen dorthin, wo die Niedrigen sitzen.«
»Das ist drin in der Stube, wo sich der Betrunkene befindet?«
»Ja.«
»Die wollen wir uns doch einmal ansehen!«
Wir banden die Pferde für kurze Zeit im Hofe an und ließen uns von ihm in die Gaststube führen. Diese war lang und breit, aber sehr niedrig. Sie nahm den größten Teil des Hauses von der Thür bis zur Giebelseite ein. Die Diele bestand aus festgeschlagenem Lehm; es gab einige sehr primitiv in den Boden gerammte Tische und Bänke und an der Hinterwand lehnten mehrere über mannshohe Weidengeflechte, deren Länge der Breite der Stube gleich war. Diese Flechtwerke werden in Kurdistan viel als transportable Wände gebraucht, um je nach Bedarf aus einem größeren Raum mehrere kleinere oder umgekehrt zu machen.
Es war nur ein einziger Gast zu sehen, welcher an einem der Tische in der Weise hockte, daß er das Gesicht auf die Arme gelegt hatte. Vor ihm stand eine thönerne Flasche mit zwei kleinen, ebenso thönernen Trinkgefäßen, aus denen jedenfalls der Raki getrunken worden war, welcher den Wirt zum Rausche und zur hundertundneunten Sure geführt hatte. Seiner Ansicht nach sollte der Gast noch betrunkener sein als er. Ich richtete also gleich beim Eintritte mein Auge auf diesen Mann. Er hob den Kopf ein wenig und sah uns an; sein scharfer, forschender Blick war nicht der eines Betrunkenen; so kam es mir vor, obgleich er den Kopf gleich wieder auf die Arme legte. Hatte ich mich getäuscht? Befand sich der Wirt im Irrtum? Oder verstellte sich dieser Mann? Wenn dies letztere der Fall war, so mußte dem eine Absicht zu Grunde liegen, welche keine gute sein konnte. Wenn man mich fragt, wie ich zu diesem Verdachte kommen konnte, so antworte ich. Wenn man sich auf jahrelangen Reisen so oft in Gefahr befunden hat wie ich, so gewöhnt man sich, den geringsten Umstand zu beachten, das kleinste Vorkommnis schnell zu erfassen und alles, was sich nicht sofort erklären läßt, mit Mißtrauen zu betrachten. Dieser Gewohnheit habe ich es mit zu verdanken, daß ich zwar die Narben vieler Wunden an mir trage, aber doch noch am Leben bin.
Gekleidet war dieser Mann in echt kurdischer Weise:
Seinen Kopf bedeckte eine eigentümliche runde Ledermütze, deren Rand so viel und tiefwinkelig eingeschnitten war, daß die dadurch entstandenen Spitzen vorn bis ins Gesicht, an den Seiten über die Ohren und hinten bis über den Nacken herabhingen. Sie glich einer großen Spinne, deren Körper auf dem Scheitel sitzt, während sie ihre vielen und langen Beine über die andern Teile des Kopfes streckt. Den Oberkörper bedeckte eine dunkle Weste, welche oben so ausgeschnitten war, daß der sehnige, braune Hals frei blieb; sie hatte oben enge und unten weit werdende Aermel, aus denen die nackten, knochigen Arme bis zum Ellbogen hervorblickten. Die Lederhose steckte unten in kurzen, stark gearbeiteten Stiefeln. Was der Mann im Gürtel hatte, das konnte ich wegen seiner vornüberliegenden Stellung nicht sehen, doch lehnte neben ihm eine lange, orientalische Flinte an der Kante des Tisches. Sein Haar war weiß; er mochte ungefähr sechzig Jahre alt sein, doch machte er, obgleich ich ihn daraufhin nicht genau betrachten konnte, ganz und gar nicht den Eindruck eines alten, hinfälligen Mannes.
Mein Halef bekümmerte sich nicht um diesen Gast; er ließ seine Blicke in der Stube umherschweifen, nickte zufrieden, als er am Herde ein Feuer brennen sah, dessen Rauch, der niedrigen Decke langsam folgend, dann durch die Fensteröffnungen entwich, und sagte.
»Weißt du, Effendi, mit Hilfe der Weidenwände dort könnten wir uns hier eine abgesonderte Stube herrichten. Was meinst du dazu?«
»Der Gedanke ist nicht übel.«
»Und ein zweiter Gedanke, den ich habe, ist noch weniger übel, Effendi: Wir könnten auch die Pferde mit hereinnehmen. Da ständen sie gut, wir hätten sie bei uns und brauchten nicht aufzupassen.«
Als der Wirt dies hörte, sagte er schnell:
»Die Pferde mit herein in die Stube? Allah muß euch ganz besondere Köpfe gegeben haben, da so absonderliche Gedanken drin geboren werden. Wie könnt ihr denken, daß ich den schönsten Raum des Hauses, der eine Zierde des ganzen Ortes ist, zum Pferdestalle machen lasse?«
»Wir bezahlen es!« antwortete Halef.
»Bezahlen? Ich mag euer Geld nicht. Ich habe mehr, viel mehr Geld im Hause, als ihr besitzen könnt.«
»So bist du wohl ein sehr reicher Mann?«
»Das nicht, denn das Geld gehört nicht mir, sondern der Regierung des Pascha, für den ich es als der angestellte Charadschi16 dieses Kreises einkassiert habe. Es sind über zehntausend Piaster. Habt ihr etwa so viel in euern Taschen?«
»Dummkopf!« antwortete Halef, der gern mehr von sich sagte, als ich ihm erlauben konnte. »Wir sind reicher als selbst dein Pascha, und was wir besitzen, ist unser Eigentum; dir aber gehört nichts von dem, was du hier liegen hast. Wieviel verlangst du von uns, wenn wir uns hier eine eigene Stube bauen?«
»Wie lange wollt ihr bleiben?«
»Vier Tage.«
»So zahlt ihr für die Stube täglich zehn Piaster und für das Essen – – —«
»Das bereiten wir uns selbst,« fiel ihm der Hadschi in die Rede. »Wenn du einwilligst, daß wir die Pferde mit hereinnehmen, zahlen wir dir zwanzig Piaster für den Tag. Greif schnell zu, denn so viel hat dir noch nie ein Gast eingebracht!«
Der noch immer betrunkene Mann willigte nach einigem Hin- und Herreden ein und teilte mittelst einer Scheidewand den hinteren Teil der Stube für uns ab, worauf Halef die Pferde holte und bei uns unterbrachte. Hierauf erhandelten wir uns für zwei Piaster ein Huhn, mit welchem Halef, nachdem er es geschlachtet hatte, zum Herde ging, um es dort am Spieß zu braten, denn aus den Händen des Wirtes etwas zu essen, das war uns die reine Unmöglichkeit.
Ich breitete inzwischen hinter der Flechtwand meine Decke aus, um es mir darauf bequem zu machen. Durch die Lücken dieser Wand konnte ich die Leute beobachten, welche in die Stube kamen, um die Gäste zu sehen, die so vornehm waren, daß sie ihre Pferde nicht im Schmutze stehen lassen wollten. Sie wendeten sich an den Hadschi mit neugierigen Fragen, welche dieser in seiner drollig stolzen und vielfach übertreibenden Weise beantwortete. Als dabei mein Name genannt wurde, richtete sich der angeblich betrunkene Gast plötzlich auf und erkundigte sich:
»Ist das der Emir Kara Ben Nemsi Effendi, welcher damals den Stamm der Haddedihn von allen seinen Feinden befreite?«
»Ja,« antwortete Halef; »er ist dieser berühmte Krieger, den noch nie ein Feind zu besiegen vermochte und der sogar den Löwen ganz allein und nur des Nachts aufsucht, um ihn mitten in das Auge zu treffen.«
»Also derselbe, welcher dafür von Mohammed Emin, dem Scheik der Haddedihn, den unübertrefflichen Rapphengst Namens Rih geschenkt bekam?«
»Ja.«
»Ist es dieser Hengst, den du dort hinter diese Wand gebracht hast?«
»Er ist‘s. Warum fragst du nach ihm?«
»Weil ich so viel von diesem Pferde und seinem jetzigen Herrn gehört habe, aus keinem andern Grunde.«
Nach diesen Worten legte er sich wieder vorn nieder und verblieb längere Zeit in dieser Stellung, bis er dann einmal aufstand und unsicher wie ein Betrunkener zur Thür hinauswankte. Kaum zehn Minuten später kam eine Frau, welche, wie ich gleich merkte, die Wirtin war, eiligst herein und fragte ihren Mann:
»Soeben ist der Fremde fortgeritten. Hat er dich gefragt?«
»Gefragt? Wornach?« antwortete der Wirt. »Fortgeritten? Er hat doch kein Pferd! Und fort soll er sein? Sein Gewehr lehnt ja noch hier!«
»Er saß auf einem unserer Pferde.«
»So wird ihm etwas Notwendiges eingefallen sein, was er zu verrichten hat. Er wird sich nicht weit entfernt haben und bald wiederkommen, denn er will ja einige Wochen hier bei uns in Khoi wohnen.«
Damit war für ihn die Sache abgemacht; mir aber kam sie, obgleich sie mich gar nichts anging, doch befremdlich vor. Als der Fremde seine Fragen an Halef richtete, hatte er so klar, fest und bestimmt wie kein Betrunkener gesprochen, und als er sich dann entfernte, war es mir vorgekommen, als ob sein schwankender Gang kein natürlicher, sondern ein nachgeahmter sei. Aber ich hatte ja gar nichts mit dieser Angelegenheit zu thun, und so konnte es mir vollständig gleichgültig sein, ob ein Gast, der sich vom Wirte für kurze Zeit ein Pferd auslieh, diesen vorher besonders darum fragte oder nicht. Uebrigens kam bald darauf Halef mit dem gebratenen Huhn zu mir, und während wir aßen und dann die Pferde fütterten und tränkten, geriet das Intermezzo vollends in Vergessenheit.
Gegen Abend machten wir einen Spaziergang vor den Ort hinaus, weil dieser nichts Sehenswertes an sich bot; als wir bei einbrechender Dunkelheit zurückkehrten, saß der Wirt mit einigen Nachbarn schon wieder beim Raki und war betrunkener als vorher; er schien anzunehmen, daß Muhammed nur den Wein und nicht auch den noch viel schlimmern Schnaps verboten habe, und die andern waren ihm ganz gleichgesinnt. Ich habe unzählige Male, nicht an mir selbst, sondern an andern erfahren, was für ein böser Dämon der Branntwein ist; es können Jahre vergehen, ehe ich mir die Lippen einmal mit einigen Tropfen Cognac oder Rum netze und dies auch nur dann, wenn ich dieses Zeug aus Gesundheitsgründen als Arznei nehme; hier aber saßen Gewohnheitstrinker beisammen, welche stumm und stupid darauf lostranken, bis der Krug leer war; dann gingen die andern heim und der Wirt torkelte, denn anders konnte man es nicht mehr nennen, zur Thür hinaus, wohin, das sollte ich bald darauf erfahren, denn nur einige Minuten später hörten wir ihn draußen im Hofe schreien, als ob er am Spieße stäke. Wir eilten hinaus, um zu erfahren, was mit ihm geschehen sei. Da stand er mit gerungenen Händen und schrie wütend auf seine Frau und andere Personen ein, welche durch seinen Lärm herbeigerufen worden waren. Der noch vor wenigen Augenblicken so schwere Rausch war plötzlich und vollständig von ihm gewichen, und zwar hatte ihn der Schreck so nüchtern gemacht; ich hörte nämlich, daß die zehntausend Piaster verschwunden seien und er klagte nun die Anwesenden der Reihe nach an, sie ihm gestohlen zu haben. Als sie alle ihre Unschuld beteuerten, rannte er nach dem Stalle, holte eine Peitsche und schlug mit derselben auf Frau und Gesinde ein. Ich riß sie ihm aus der Hand und sagte: