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Kitabı oku: «Im Reiche des silbernen Löwen IV», sayfa 3

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»Und aber die Zoologie der Presse?« fragte der Ustad.

»Sie kann und darf nicht fehlen, denn nur in ihren Erscheinungen schreitet die Befreiung von der Materie in rapider Weise fort. Auch hier beginnt die Entwicklung mit den niederen Lebewesen. Ich sehe winzige Goldkäferchen ihre geistige Nahrung aus Blumenkelchen ziehen und leuchtende Glühflügler um urweltliche Gedanken schwirren. Freundliche Schmetterlinge gaukeln von Leserin zu Leserin. Ein niemals ruhender Ameisenfluß trägt Wort um Wort und Satz um Satz zusammen, und Bienen summen überall, um Honig heimzutragen. In den Quellen und Bächen der Tagesereignisse schießen schnelle Flossenträger hin und her. Und wenn nun gar beim Morgen- oder Abendsonnenschein des Frühlings Odem durch die Blätter weht, da erzählen tausend süße, frohe Stimmen, daß grad die liebsten und die besten Sänger zur oft verkannten »Feder«-Welt gehören! Ich kenne manchen edlen Geist, der wie in Adlersferne hoch über der Gemeinheit horstet, und manchen scharfen Denker, der, gleich dem Albatros, den Staub der Erde nie berührt. Ist dir der Ackergaul bekannt, der für wenig Hafer, aber viel Häcksel täglich seine Furchenzeilen zu ziehen und sich am Ende jeder Reihe wieder umzudrehen hat, damit er ja nicht etwa auf fremde Gedanken komme?«

»Ich habe ihn gesehen, wie oft, wie oft!« antwortete er. »Aber du hast deine Beispiele nur von der einen, von der guten Seite genommen; der Ackergaul bringt mich auf die andere hinüber. Du warst so aufrichtig, auch von Sümpfen zu sprechen. Warum hast du die Giftpflanzen, die Dornen, Quecken und anderen Wucherungen nicht erwähnt? Das Ungeziefer unter den Insekten? Die Raubfische? – Die täglich auf den Blättern ihrer Schlammpflanzen nur von ihrer eigenen Weisheit quakenden Frösche? Die Giftschlangen? Die lästigen Sperlinge? Die Käuze und Eulen, deren lichtscheuer Mordhunger nur des Nachts auf Beute ausgeht? Die aaslüsternen Geier? Die Neuntöter, welche ihre Opfer erst am Stachel quälen, ehe sie verschlungen werden? Die Falken und Stößer, die sich selbst am hellen Tag nicht scheuen, auf Fraß auszugehen. Die Mäuse, Ratten, Hamster und anderen Schmarotzer auf geistigem Gebiet? Die kläffenden oder gar bissigen Hunde, die jedem in die Waden fahren, der es wagt, an einem ihrer Gedanken auch nur vorüberzugehen? Die ganze Unzahl der reißenden Fleischfresser, die Jeden, der nicht ganz vollständig ihresgleichen ist, mit ihren Klauen packen? Die große Schar der kreischenden Quadrumanen, von der zänkischen und rachsüchtigen Meerkatze bis zum menschengefährlichen Gorilla hinauf? Warum hast du nicht von ihnen gesprochen? Soll ich dir zutrauen, daß du beschönigen willst?«

»Das liegt mir fern. Wir sprechen ja von deinem und von meinem Gedankenparadiese. Das deinige ist traurig, das meine ideal. Die gegenwärtige Wahrheit wird zwischen beiden liegen, muß aber nach ewig geltenden Gesetzen nicht deiner Wüste, sondern meinem Eden immer näher kommen. Wir addieren leider auf ganz verschiedene Weise. Dein Pessimismus zieht nach altem Brauche die Summe, indem er abwärts rechnet. Mein Optimismus aber hat gefunden, daß es besser sei, aufwärts zu gehen. Du bist, unten angekommen, mit deinem Leben fertig. Du machst den großen Strich und schreibst als die so erreichte Summe deine kahle Geisteswüste hin. Bei mir aber giebt es oben keinen Strich, denn mein Paradies sendet mir ununterbrochen neue Summanden hinzu. Sie wachsen in die Ewigkeit hinauf.

Und wenn mein Körper dieser Rechnungsweise nicht mehr folgen kann, so wird mein Geist dort einst gewiß die Summe finden.«

Er trat an das offene Fenster und schaute hinaus.

»– – – dort einst gewiß die Summe finden!« wiederholte er meine Worte.

Es war für einige Zeit still zwischen uns. Ich störte ihn nicht. Dann drehte er sich zu mir um und fragte:

»Bist du mit deinen geistigen Naturreichen der Presse schon zu Ende, Effendi?«

»Nein,« sagte ich.

»Du gingst auch hier von unten nach oben. Das scheint bei dir in allen Dingen der Fall zu sein! Kommt jetzt nun noch der Mensch?«

»Ja. Im Tiere hat sich die Befreiung vom geistigen Erdboden vollzogen, und das Streben nach der Individualität tritt immer mehr hervor. Doch erreicht kann diese letztere nur vom Menschen werden.«

»Von allen?«

»Nein. Sie sollte es, wird es aber leider nicht. Es giebt so viele, welche entweder durch tausend Rücksichten aller Art noch mit dem Boden in Verbindung bleiben, oder sich durch ganz dieselben und ähnliche Bedenken derart von andern beeinflussen lassen, daß sie es nicht zur intellektuellen Selbständigkeit, zur geistigen Freiheit, zur vollen Selbstbestimmung und Selbstbewegung bringen. Tritt in die Redaktionen, und frage, welche Rücksichten die dort bestimmenden und doch so angefesselten Geister zu nehmen haben! Aber ich habe auch vollendete Persönlichkeiten gefunden, zuweilen da, wo ich es gar nicht erwartete. Wie groß war da meine Freude! Und wie gern und aufrichtig habe ich ihnen meine Anerkennung gezollt! Ein solcher Geist weiß nichts von materiellen Banden. Er hat alle Fesseln zerrissen und sie der menschlichen Selbstsucht und geistigen Kurzsichtigkeit vor die Füße geworfen. Er kennt weder Parteiinteressen noch gesellschaftliche Sondergefälligkeiten. Für ihn giebt es keine Körper, sondern nur noch Geister. Darum wird er nie ein Urteil fällen, welches aus niedrigen Erwägungen gezogen ist und mit den auf ihn gerichteten Blicken der Körperwelt liebäugelt. Es kann ihm niemals beikommen, auch nur einen einzigen Menschen zu verdammen, denn er weiß, daß dieser Mensch, geistig betrachtet, ein ganz anderer ist, als ihn die gehässigen Augen der Fama sehen, die ihre Richtersprüche nur im Erdenschmutze züchtet. Er hat den Zusammenhang des Einzelnen mit dem Ganzen begriffen und weiß, daß der Erstere nicht aus dem Letzteren gerissen werden kann, um ausgestoßen und von der geistigen Feindseligkeit abgethan zu werden. Er kennt die Strömungen und Gegenströmungen der übersinnlichen Atmosphäre, die frei von den Ausdünstungen egokranker Menschenkörper sind, und hebt jeden seiner Nächsten, bevor er ihn betrachtet, zu dieser durchsichtig klaren, reinen, keine Mißgunst kennenden Höhe empor.«

»Aber was dann, wenn es geschieht, daß er selbst einmal angegriffen, befeindet, verleumdet und verurteilt wird?« fragte der Ustad.

»So thut er eben das, was ich jetzt sagte: Er hebt die Angreifer aus ihrer Tiefe zu sich empor, um sie zu durchschauen. Da fällt der ganze Schmutz und alles, was sie sonst noch gewichtig gemacht hat, von ihnen ab. Sie werden leicht, so über oder vielmehr unter alle Maßen leicht, daß sie vor seinen Augen nach und nach in nichts zerfließen. Sie sind ja ganz nur Schmutz und ohne jede Spur von Geist gewesen, und so versteht es sich ja ganz von selbst, daß, sobald der Unflat abgefallen ist, für ihn von ihrer ganzen Existenz nichts mehr vorhanden sein kann.«

»Aber er wird doch antworten? Sich verteidigen?«

»Welch eine Frage! Ich habe dir doch soeben gesagt, daß sie für ihn in Nichts zerflossen seien. Wem soll er antworten? Diesem Nichts? Das wäre ja doch Widersinn! Oder dem Schmutze? Der geht ihn gar nichts an. Er ist der ihrige! Dem Geiste, den es bei ihnen gar nicht giebt? Ich begreife dich nicht! Würdest etwa du antworten?«

Da that er einige rasche Schritte auf mich zu und rief aus:

»Effendi, ich habe es gethan. Ich habe geantwortet – – – leider, leider, leider!«

»Dem Schmutze?«

»Ja.«

»Dem Nichts?«

»Nein. Ich stand ja, wie ich jetzt, erst jetzt einsehe, nicht so hoch über meinen Feinden, daß sie mir in ein Nichts zerfließen mußten. Und nun erkenne ich, daß auch ich nicht frei von Schmutz gewesen sein kann. Denn hätte er nicht auch an mir gehaftet, so wäre mein Verhalten ganz das jenes hohen, freien Geistes gewesen, von welchem du gesprochen hast. Mir scheint, ich habe Fehler einzugestehen, die mir bis zur gegenwärtigen Stunde keinesweges als Fehler erschienen sind. Du hast heut da drüben bei unserm Beit-y-Chodeh dem Pedehr gebeichtet. Ich war tief im Herzen gerührt davon. Deine mutvolle Aufrichtigkeit imponierte mir. Nun bist du rein und frei von allem, was dir angehangen hat. Ich glaubte nicht, daß auch ich mich zu reinigen haben werde. Jetzt aber weiß ich, daß es doch so ist. Ich werde denselben Mut besitzen, den du besessen hast. Auch ich werde beichten, dir, wie du dem Pedehr. Und wenn ich dann aus deinem Munde höre, daß mir verziehen werden könne, so werde ich mich für berechtigt halten dürfen, diese Verzeihung als ausgesprochen, als geschehen anzunehmen. Ich war über das hinaus, was du das »erste Leben« nanntest. Ich stand im »zweiten Leben«, denn ich fühlte, daß sich meine geistige Individualität in mir gestalten wollte. Aber es gelang mir nicht, das »dritte« zu erreichen. Warum? Wir werden nach den Gründen suchen, du und ich. Und ich ahne, daß ich in diesen Gründen meine mir bisher unbekannten Fehler entdecken werde.«

Als er bis hierher gekommen war, hörten wir, daß unten auf dem Vorplatze jemand dreimal in die Hände klatschte.

»Das gilt mir,« sagte er. »Der Pedehr weiß, wo ich bin und daß niemand zu uns kommen darf. Ich habe mit ihm, falls man meiner bedürfen sollte, dieses Zeichen verabredet!«

Er begab sich durch das Mittelzimmer auf das Vordach. Ich hörte ihn hinuntersprechen. Dann kehrte er zu mir zurück und sagte:

»Ich soll zum Pedehr hinabkommen und auch dich mitbringen. Es scheint sich um etwas Wichtiges zu handeln.«

»Was es ist, hat man dir nicht gesagt?«

»Nein. Ich fragte zwar, doch der Pedehr antwortete, er dürfe es mir nicht laut heraufrufen. Komm!«

Wir gingen hinunter. Der Pedehr befand sich in der Halle, in welcher ich gelegen hatte. Tifl und ein zweiter Dschamiki waren bei ihm. In dem letzteren erkannte ich den Wächter, welcher heut am Nachmittage über Stock und Stein geritten war, um uns die Ankunft der Perser zu melden. Halef schlief fest. Hanneh war auch schlafen gegangen. Sein Sohn saß bei ihm. Der Scheik der Dschamikun empfing uns mit der des Kranken wegen nur halblaut gesprochenen, aber sehr wichtigen Kunde:

»Der Bluträcher ist wieder da!«

»Wo?« fragte der Ustad im Tone der Ueberraschung.

»Das wissen wir nicht.«

»Wer hat ihn gesehen?«

»Mein Sohn,« antwortete der Wächter.

»Hat er sich nicht etwa getäuscht?«

»Nein. Er kennt ihn ja. Er hat ihn doch heute am Nachmittage durch den ganzen Duar bis an unser Gotteshaus geführt und ihn also genau betrachten können.«

»Wo ist dein Sohn?«

»Ich habe ihn mitgebracht. Er wartet draußen vor den Stufen.«

»Hole ihn!«

Ich ahnte natürlich sofort, daß irgendeine Teufelei geplant werde, und war höchst gespannt darauf, ob es uns wohl gelingen werde, zu erfahren, welcher Art sie sei. Natürlich durfte ich mir nicht erlauben, den beiden Oberhäuptern des Stammes in Beziehung auf die einzuziehenden Erkundigungen vorzugreifen. Der Sohn des Wächters hatte ein intelligentes Gesicht. Er sah sogar etwas wie pfiffig aus. Er kam mit seinem Vater bis vor den Ustad hin.

»Du hast den Bluträcher gesehen?« frage ihn dieser.

»Ja,« bestätigte der Gefragte.

»War er allein?«

»Nein. Es befanden sich noch zwei andere bei ihm.«

»Woher kamen sie?«

»Von draußen.«

»Wo sind sie hin?«

»Ich weiß es nicht.«

»Doch wohl hierher?«

»Wahrscheinlich.«

»Geritten?«

»Nein. Sie waren abgestiegen.«

Da sah der Ustad den Pedehr an, und dieser mich. Dabei sagte der letztere:

»Das ist eine ebenso unerwartete wie geheimnisvolle und bedenkliche Kunde! Was meinst du dazu, Effendi?«

»Erlaubt Ihr mir, einige Fragen auszusprechen?« erwiderte ich ihm.

»Natürlich!«

»Ich hörte, daß ein Handelsmann aus Isphahan hier angekommen sei und eine Botschaft von dem Bluträcher ausgerichtet habe. Wo ist dieser Mann?«

»Er wird nun wohl schon schlafen,« antwortete der Pedehr. »Soll ich ihn vielleicht wecken lassen?«

»Das ist nur dann nötig, wenn Ihr mir nicht sagen könnt, was ich von ihm wissen will. Woher kam er?«

»Von den nördlichen Dschamikun. Er traf mit den Persern auf der Höhe des Passes zusammen.«

»Wie verhielten sie sich zu ihm?«

»Weder freundlich noch feindlich. Sie kennen ihn. Sie fragten ihn, woher er käme und wohin er wolle. Er antwortete, daß er nach Süden zu den Kalhuran wolle. Da sagten sie ihm, daß er hierher reiten solle, um ein gutes Geschäft zu machen. Es sei ein großes Wettrennen geplant, zu welchem sich viele Menschen einstellen würden. Wenn er da sein Handelszelt aufschlage, werde er wohl viele Käufer finden. Er war ihnen für diese Mitteilung sehr dankbar und sagte ihnen, daß er ihrem Rate folgen und hierherreiten werde. Da bekam er von dem Multasim den Auftrag, den er uns ausgerichtet hat.«

»Wie lautete diese Botschaft?«

»Sie war höchst eigentümlich, uns allen unverständlich. Nämlich zwei Zeilen aus dem heute von uns gesungenen Liede: »Brich auf, mein Herz, der Rose gleich, in der sich alle Düfte regen!« Und hinzugefügt hatte der Bluträcher: »Sage im Duar, daß die Rose noch heut aufbrechen werde!« Ist das nicht sonderbar, Effendi?«

»Allerdings, aber nur in dem Sinne, daß überhaupt jede Unvorsichtigkeit sonderbar genannt werden muß.«

»Unvorsichtigkeit?« fragte er erstaunt.

»Ja.«

»Das begreife ich nicht. Wir haben diese Worte als einen nachträglichen Hohn gedeutet und uns dabei beruhigt.«

»Ich wollte, Ihr hättet sie mir eher mitgeteilt als jetzt! Es liegt wahrscheinlich ein Mordanschlag vor.«

»Chodeh!« fuhr der Pedehr auf, und auch die andern zeigten sich durch diese meine Deutung erschreckt. »Gegen wen?«

»Gegen mich.«

»Unmöglich!«

»Ich habe gesagt, wahrscheinlich. Und ich pflege zu wissen, was ich sage. Das betreffende Lied vergleicht Rose und Herz. Mit diesem Herzen aber ist das meinige gemeint. Wörtlich mein Herz! Es soll aufgebrochen werden! Mit dem scharfen, spitzen Stahle!«

»Aus welchem Grunde kommst grad du auf diese Idee?«

»Davon vielleicht später! Ich habe jetzt zu fragen und zu handeln. Der Bluträcher hat uns nicht für klug genug gehalten, ihn zu durchschauen. In ihm wohnt der Haß, und dieser ist bekanntlich der Bruder der Unvorsichtigkeit und Ueberhebung. Er hat später damit prahlen wollen, daß sein blutiges Werk gelungen sei, obgleich er uns vorher gewarnt habe.«

Hierauf wendete ich mich zu dem jungen Dschamiki und fragte ihn:

»Wo warst du, als du den Multasim sahst?«

»Draußen vor dem Duar,« antwortete er. »Ich hatte die Schafe in den Pferch gebracht und mich hinter einem Steine niedergelegt, um nach dem Alabasterzelte hinaufzuschauen. Man konnte mich vom Wege aus nicht sehen. Da kamen vier Reiter von Osten her. Sie blieben in der Nähe stehen und stiegen ab.«

»Drei waren es doch!«

»Diese drei, welche ich meinte, schlichen nach dem Duar. Der vierte blieb bei den Pferden.«

»Du erkanntest den Multasim?«

»Ganz deutlich. Er war einer von den dreien.«

»Was für Waffen hatten diese letzteren?«

»Sie gaben ihre langen Gewehre dem vierten, ehe sie sich entfernten. Alles andere aber haben sie noch bei sich.«

»Hast du dich sehen lassen?«

»Nein.«

»Was thatest du?«

»Ich schlich mich auf dem Boden hin, den dreien nach. Sie verließen den Weg. Sie huschten quer hinüber, um hinter den Duar zu kommen. Ich konnte ihnen nicht so schnell folgen, denn wenn ich mich aufgerichtet hätte, so wäre ich von ihnen gesehen worden. Darum verlor ich sie aus den Augen.«

»Und bist dann nicht weiter gefolgt?«

»Nein. Ich ging zum Vater und erzählte es ihm.

Hierauf sind wir sofort zum »hohen Hause« gekommen, um es zu melden.«

»Welche Zeit ist vergangen, seit du sie von ihren Pferden steigen sahst?«

»Bis jetzt kaum eine halbe Stunde.«

Da klopfte ich ihm auf die Schulter und sagte:

»Du hast deine Sache gut gemacht. Ich muß dich loben!«

Dann fuhr ich, zu den andern gewendet, fort:

»Wir haben Zeit. Der Multasim wartet hinter dem Duar, bis hier oben bei uns kein Licht mehr brennt. Für mich steht es fest, daß er sich nicht eher heranwagt. Was er vorhat, ist verwegen, so verwegen, daß ich ihn bemitleiden muß. Ist dieser Mensch denn ein im Wildnisleben so erfahrener und gewandter Mann, daß er, ohne einen Wahnsinn zu begehen, sich zumuten kann, mit seinem Dolche hier im »hohen Hause« ganz unentdeckt und unbestraft mein Herz zu finden?«

»Dein Herz?« sagte der Ustad. »Ich halte es noch immer für eine Unglaublichkeit!«

»Und dennoch ist es wahr!«

»Du mußt dich täuschen!«

»Nein. Ich wollte diese Angelegenheit als Geheimnis behandeln; aber da der Bluträcher nicht wartet, bis ich dich verlassen habe, sondern dein Haus zum Schauplatze dieses Mordes machen will, schon heut, gleich an demselben Tage, so halte ich es für meine Pflicht, dir mitzuteilen, was zwischen ihm und mir vorgekommen und gesprochen worden ist.«

Ich erzählte es so kurz, wie ich es für geraten hielt, legte ihnen jedes Für und jedes Wider in Beziehung auf meine Ansicht vor und überzeugte sie derart, daß der Pedehr, als ich geendet hatte, ganz entrüstet sagte:

»Du hast recht, Effendi: Es gilt einen Mord, und zwar nur dir, nur dir! Ich werde sofort die Warnungsglocke erklingen lassen und alle Bewohner des Duar zusammen – – —«

»Halt!« unterbrach ich ihn. »Das wirst du nicht!«

»Ja, ich werde es!«

»Nein!«

»Warum nicht?«

»Soll der Blutgierige ohne Strafe bleiben?«

»Nein! Das freilich nicht!«

»Er wird es aber. Denn sobald er den Lärm hört, den er auf sich beziehen muß, versteht es sich ganz von selbst, daß er die Flucht ergreift. Dann ist er fort und lacht uns später wegen unserer Unbedachtsamkeit aus, weil wir ihm nicht einmal die Absicht des Mordes nachzuweisen vermögen.«

»Das ist wahr; das ist richtig, Effendi! Aber was können wir anderes thun?«

»Ihn fangen!«

»Maschallah!«

»Mit der Waffe in der Hand!«

»Du meinst also, daß wir ihn kommen lassen?«

»Ja.«

»Das ist zu gefährlich!«

»Hast du nicht auch die Soldaten herankommen lassen und gefangen genommen? Ihrer waren so viele; jetzt aber sind es nur drei!«

»Auch das ist wahr!«

»Und gewiß kommt er nur allein herein; die andern beiden sind seine Wachen.«

»Herein? Hier herein, meinst du?«

»Ja.«

»Wie kommst du auf diesen Gedanken?«

»Auf die leichteste und zugleich sicherste Weise. Er will mich töten. Wann? Des Nachts. Was thue ich des Nachts? Ich schlafe. Wo? Droben in meiner neuen Wohnung, allerdings. Aber das weiß er nicht. Der heutige Wechsel ist ihm unbekannt. Er glaubt, daß ich noch hier schlafe, in der offenen Halle, in welche man sich des Nachts so leicht schleichen kann.«

»Was weiß er von deinem bisherigen Lager in dieser Halle?«

»Gewiß genug. Er hat heut am Nachmittage da drüben auf dem Berge mit mehreren Dschamikun gesprochen, doch wahrscheinlich hiervon nicht, denn seine Absicht gegen mich kann erst entstanden sein, nachdem ich die letzten Worte mit ihm gesprochen hatte. Tifl hat die Perser begleitet. Ich denke, daß er mir gar wohl eine Mitteilung machen kann, die sich hierauf bezieht.«

»Jawohl; das kann ich; das kann ich!« antwortete der Genannte.

»Nun?« fragte ich ihn.

»Ich ritt voran. Ich hatte mir vorgenommen, mit diesen Persern gar nicht zu sprechen. Das habe ich auch gehalten. Meine Leute ritten hinterher. An diese hat sich Ahriman Mirza gemacht und sich mit ihnen unterhalten. Erst über den Duar; hierauf über das »hohe Haus«, und dann über die jetzigen Gäste desselben. Als ich das später erfuhr, war ich sehr zornig darüber, daß man ihm Auskunft gegeben hat.«

»Was hat er erfahren?«

»Wo Hadschi Halef liegt; wo du schläfst; wann du dich niederlegst, und wer des Nachts noch außerdem sich in der Halle befindet. Die, welche es sagten, wußten nicht, daß du vom heutigen Abend an bei unserm Ustad wohnen werdest. Darum ist zu Ahriman Mirza gesagt worden, daß du in der Ecke rechter Hand in der Halle schläfst.«

»Was wohl noch?«

»Ob du im Schlafe Waffen in der Nähe habest.«

»Ah! Also! Was hat man geantwortet?«

»Daß sie am Fußende deines Lagers aufgehängt seien.«

»Wo sind sie jetzt? Ich habe sie in meiner neuen Wohnung nicht gesehen.«

»Erlaube, daß ich dir das später selbst mitteile!« fiel da der Ustad ein.

Ich nickte ihm zu und fuhr, zu Tifl gewendet, fort:

»Gab es noch weitere Erkundigungen?«

»Nein,« erklärte er.

»So ist das ganze Material beisammen, welches nötig war, mich zu überzeugen, daß ich mich nicht geirrt habe. Wer soll nun bestimmen, was zu geschehen hat?«

»Du,« antwortete der Ustad.

»Ja, du,« stimmte der Pedehr ein.

»So ist meine Ansicht die folgende: Der Bluträcher wird gefangen genommen, und zwar auf eine für uns möglichst ungefährliche Weise. Werden die gefangenen Soldaten bewacht?«

»Ja,« sagte der Pedehr.

»Von wieviel Personen?«

»Es sind zwei, welche vor dem verschlossenen Thore stehen. Das genügt vollständig.«

»Für heut genügt es nicht.«

»Warum?«

»Weil der Multasim jedenfalls die Absicht hat, diese Gefangenen zu befreien. Er kann mit zwei Begleitern die beiden Wachen, da sie so etwas nicht erwarten, leicht überraschen und überwältigen. Wir stellen also jetzt mehr Leute hin, damit er sich gar nicht nach dieser Seite wagen kann. Um so sicherer wendet er sich dann der Halle zu. Es wird an der Stelle, wo ich schlief, ein Lager errichtet. Doch niemand liegt darauf. Selbst wenn jemand so mutig wäre, diese Rolle zu übernehmen, so ist so ein Dolch oder Messer selbst für den stärksten Mann ein immerhin gefährliches Ding.«

Kara Ben Halef war von dem Lager seines Vaters herbeigekommen, um zuzuhören. Jetzt, bei diesen Worten, sagte er:

»Aber wenn du nicht so angegriffen von der Krankheit wärest, da wüßte ich, was geschähe, Effendi!«

»Nun, was?«

»Du würdest dich ruhig hinlegen, um die aufgehobene Hand des Mörders, wenn er zustoßen will, zu ergreifen und festzuhalten, damit er vollständig zu überführen sei.«

»Hm! Vielleicht thäte ich es! Davon kann aber jetzt keine Rede sein. Der Bluträcher darf nicht ahnen, daß er sich vollständig verraten hat. Es muß alles sorgfältig vermieden werden, was den Gedanken in ihm erwecken könnte, daß man seine Anwesenheit kenne und auf ihn vorbereitet sei. Darum dürfen wir nur so viel Personen in das Vertrauen ziehen, wie unumgänglich nötig sind. Kein weiterer darf etwas erfahren. Wie viele Wege giebt es nach hier herauf?«

»Nur den einen durch das Thor,« antwortete der Pedehr.

»Keinen verborgenen Schleichweg?«

»Keinen. Niemand kann über die Riesenmauer.«

»Also ist es auch für niemand möglich, anders als durch das Thor zu entfliehen?«

»Für keinen Menschen. Und das Thor wird ja geschlossen.«

»Man lasse es heut offen, damit der Multasim nicht darüberzuklettern braucht. Wir wollen ihm und seinen Begleitern das Kommen möglichst erleichtern, damit sie dann um so sicherer nicht ohne unsern Willen wieder fortgehen können. Ich meine, daß sie sich alle drei durch das Thor schleichen werden. Die beiden andern verstecken sich an einem passenden Orte, dem Multasim erforderlichen Falles beispringen zu können. Dieser setzt seinen Weg allein fort. Am Thore müssen sich handfeste Leute verbergen, welche die Perser zwar herein, aber nicht wieder hinaus lassen dürfen. Doch haben sie alles so still zu unternehmen, daß sie es uns nicht etwa verderben, hier oben den Multasim zu ergreifen. Hier bei uns genügen fünf bis sechs Personen, welche sich in den dunkeln Hintergrund der Halle zurückziehen, um den Mörder, sobald er sich hereingeschlichen und das Lager erreicht hat, zu packen. Wir haben schon um des Hadschi Halef willen das Geräusch zu vermeiden. Ich möchte gern haben, daß der Multasim in lautloser Stille überwältigt wird. Ich bin natürlich auch da, wenn ich auch nicht mit zugreifen werde. Wollt Ihr dabei sein, so ist es recht, denn da werden Eure Leute sich doppelte Mühe geben, alles richtig zu machen. Dort hinter der Thür müssen im Hausgange einige Personen mit brennenden Lichtern postiert sein, damit die Halle im gegebenen Augenblick sofort erleuchtet werden kann. Das ist es, was ich zu sagen habe. Hat jemand einen andern Wunsch?«

»Nein,« antwortete der Pedehr. »Denkst du, daß der Bluträcher uns lange warten lassen wird?«

»Gewiß nicht. Seine heutigen Begleiter kennen sicher alle seine Unternehmungen. Sie warten mit größter Neugierde auf seine Rückkehr. Auch den Mann mit den vier Pferden läßt er wohl nicht gern lange Zeit allein, weil jeden Augenblick sich eine Störung oder gar Entdeckung ereignen kann. Wie ich schon gesagt habe, so denke ich auch noch jetzt: Wenn kein Licht mehr hier oben brennt, wird der Multasim annehmen, daß wir schlafen, und sich unverzüglich an das Werk machen.«

»Wohlan, so wollen wir uns beeilen. In zehn Minuten soll alles zu seinem Empfange bereit sein. Gehst du einstweilen wieder hinauf in deine Wohnung, Effendi?«

»Nein. Ich bleibe hier.«

»So erlaubt, daß ich euch verlasse, die Vorbereitungen zu treffen!«

Er entfernte sich. Der Ustad ließ zwei Kissen bringen, auf welche wir uns an der Hinterwand niedersetzten, doch so, daß ich die drei Bogenöffnungen an den Säulen im Auge hatte und den Multasim, wenn er kam, sehen konnte. Kara war wieder zum Bette seines Vaters gegangen. Der Bote und sein Sohn hockten sich in unserer Nähe nieder, um im gegebenen Augenblicke mit zuzufassen. Dann kam der Pedehr mit noch vier kräftigen Männern, die sich in der hintern Ecke versteckten. Jenseits der Thür hielten einige Personen brennende Lichter. Dann wurden die unsern alle ausgelöscht. Da dachte ich an meine Lampe oben. Sie brannte ja, und ihr Schein mußte unten im Duar gesehen werden. Ich sagte das dem Ustad, der sich sofort erhob, um hinaufzugehen und sie selbst auszulöschen. Als er dann wieder kam, war alles bereit, denn der Pedehr hatte dafür gesorgt, daß sogar in der Küche alles finster war. Es schien sich jedermann im »hohen Hause« niedergelegt zu haben. Der Bluträcher konnte erscheinen!

War es nicht vielleicht sonderbar, daß ich herzlich wünschte, daß er kommen möge? Man soll doch nicht das Verlangen in sich tragen, daß sich einem das Verbrechen nahe! Aber nicht bloß das Denkvermögen, sondern auch das Gefühl hat seine Erwägungen, wenn man die logische Folgerichtigkeit derselben auch nicht so deutlich nachzuweisen vermag. Und wenn ich die Empfindung in mir trug, daß ich den Multasim herbeiwünschen müsse, so hatte sie jedenfalls ihren guten Grund. Der Bluträcher lebte; er war vorhanden. Seine Absichten richteten sich gegen mich. Sie konnten mir nur dann gefährlich werden, wenn ich auf seinen Angriff nicht gefaßt war. Ich hatte nicht ihn selbst, sondern nur die plötzliche Ueberrumpelung zu fürchten. Heut nun, jetzt, war ich auf ihn vorbereitet. Führte er seinen gegenwärtigen Plan nicht aus, so entwand er sich der Gewißheit, festgenommen zu werden, und zog alle meine Vorsicht, welche ich zu üben hatte, mit sich in die Ungewißheit hinaus. Darum mußte ich wünschen, daß nichts eintreten möge, was ihn verhindern könne, jetzt bei seinem Vorhaben zu bleiben.

Es war still in der Halle, und so dunkel, daß keiner den andern sehen konnte, obgleich wir uns so nahe waren. Der leise Schimmer der Nacht lag draußen auf den Stufen. Er konnte nicht bis zu den Säulen heran, weil er von dem Vordache über ihnen aufgefangen wurde. Darum hoben sich die drei Bogenöffnungen des Einganges zwar ganz bemerklich von dem Dunkel ab, aber der Fußboden war dem Sternenlichte so entzogen, daß ich mir sagen mußte, der Perser wäre sicher ganz unbemerkt hereingekommen, wenn wir seinen Anschlag nicht erfahren hätten. Bemerken muß ich da freilich, daß ich keinen Grund hatte, ihm diejenige Fertigkeit im Anschleichen zuzutrauen, welche zwar auch der geübte Beduine besitzt, in der aber nur die Indianer und Jäger des »fernen Westens« von Nordamerika wirklich Meister waren. Ich sollte bald erfahren, daß ich mich da geirrt hatte. Der Haß ist auf dem Schleichwege immer Meister. Er kann sich da in Beziehung auf seine Arglist und Ausdauer rühmen, unübertrefflich zu sein.

Der neben mir sitzende Ustad hatte zu mir herübergegriffen und meine Hand in die seinige genommen. Er hielt sie fest.

»Wie lieb ich dich habe, Effendi!« flüsterte er mir zu. »Ich habe es gar nicht gewußt. Aber als ich hörte, daß es sich um einen Angriff gegen dein Leben handle, erhob sich ein Gefühl in mir, als ob wir leiblich und geistig so eng verbunden seien, daß wir miteinander eine gleich denkende und gleich empfindende, vollständig unzertrennliche Einheit bilden.«

»War es wirklich ein Gefühl? Oder doch vielleicht etwas anderes?« fragte ich. »Wenn sich verwandte Geister küssen, fließen die Pulse ihrer körperlichen Herzen zu einem einzigen zusammen. Das Wort Geisterliebe klingt gespensterhaft, aber sie ist die höchste und die mächtigste, welche das Hier mit dem Dort verbindet. Indem sie das Eine zu dem Anderen emporhebt, bringt sie die Seligkeit.«

Vielleicht hätte ich noch etwas hinzugefügt, da ich mit diesem Gedanken mein Lieblingsthema berührte, aber ich verzichtete darauf, denn es war mir, als ob ich soeben etwas gehört und auch etwas gesehen habe. Es war nichts Bestimmtes, nichts für die Augen und Ohren fest Greifbares, sondern nur ein leises Rauschen oder Wehen wie von einem leichten Gewande, das schnelle Vorüberhuschen von etwas sich Bewegendem, aber gestaltlos und haltlos, von keinem wirklich existierenden Wesen rührend.

»Sahst du etwas? Hörtest du etwas?« fragte ich den Ustad.

»Nein. – Du?« antwortete er.

»Es war, als ob ein halbsichtbarer Gedanke quer durch die Halle gehuscht sei.«

»Wohin?«

»Nach der Ecke, wohin der Multasim kommen wird.«

»Den haben wir von draußen zu erwarten. Der ist nicht hier in dem Raume versteckt. Es wird eben, wie du sagtest, ein Gedanke gewesen sein.«

Das schien mir so richtig, daß ich annahm, mich wirklich getäuscht zu haben. Der, den wir erwarteten, konnte doch jedenfalls nicht aus der Ecke kommen, in welcher mein Hadschi Halef schlief. Wir hatten unsere Aufmerksamkeit nur nach dem Eingange zu richten, und das thaten wir in einer Weise, welche erwarten ließ, daß wir den Bluträcher trotz des allervorsichtigsten Anschleichens ganz gewiß und sofort sehen würden.

Es verging aber Zeit um Zeit, Viertelstunde um Viertelstunde, ohne daß wir etwas bemerkten. Da – – es mochte wohl nach einer Stunde sein – – gab es irgendwo ein leises Kratzen oder Scharren und hierauf ein ziemlich lautes, hastiges Atemholen, welches fast wie Röcheln klang. Der Ort, woher es kam, war nicht zu bestimmen. Ich nahm an, daß einer der versteckten Dschamikun so unvorsichtig gewesen sei, diesen lauten Atemzug zu thun, der uns sehr leicht verraten konnte; da aber erklang Kara Ben Halefs helle Stimme: