Kitabı oku: «Waldröschen V. Ein Gardeleutnant», sayfa 5
Dieser Jubel riß Kurt so hin, daß er hinzufügte:
»Bismarck sagte mir sogar, daß er Leute liebe, die bei solcher Jugend so umsichtig und tatkräftig seien. Ich mußte viel erzählen, von Spanien, von Rodriganda, alles, alles, und nun will der König mit dem Großherzog sprechen. Jedenfalls werden Sie alle vorgestellt, und wir dürfen unter königlichem Schutz hoffen, daß unsere Nachforschungen endlich Erfolg haben werden.« – »Das gebe Gott!« sagte Rosa de Rodriganda. »Aber du gingst, um mit dem Kapitän zu sprechen. Wo ist er? Wo hast du ihn gelassen?« – »Er wird in diesem Augenblick gefangen sein«, antwortete Kurt.
7. Kapitel
Kurt hatte sich in seiner Annahme geirrt. Während er den Seinen über sein Gespräch mit Parkert und sein Verweilen im Magdeburger Hof so viel erzählte, als sich mit der angelobten Diskretion vereinigen ließ, hatte der Kapitän das Gasthaus wieder betreten. Die Unterredung mit dem Gesandten Rußlands war nur von kurzer Dauer gewesen. Er kehrte zurück und dachte, als er sein Zimmer betrat, sofort an das wichtige Dokument.
Er öffnete das Handköfferchen, um es noch einmal genauer durchzulesen, als es in Gegenwart des französischen Generals möglich war. Da fuhr er erschrocken zurück – das Dokument war verschwunden. Er suchte im Köfferchen mit fliegender Hast nach – es fand sich nicht mehr. Er suchte im Zimmer, obgleich er genau wußte, daß er die Schrift in das Köfferchen eingeschlossen hatte, da ihn ja auch der General gefragt, ob sie da sicher aufgehoben sei – vergebens. Nun klingelte er. Die Kellnerin erschien. Sie hatte den Hauptschlüssel wieder an seinen Ort gebracht und auch das reiche Geldgeschenk gefunden.
»War während meiner Abwesenheit jemand hier?« fragte er sie. – »Nein, es hat niemand nach Ihnen gefragt«, antwortete sie. – »Ich meine, ob jemand hier in diesem Zimmer war?« – »Nein.« – »Und doch muß irgendwer hier gewesen sein!« – »Wie wäre das möglich? Sie verschließen ja Ihr Zimmer.« – »Es wird wohl einen Hauptschlüssel geben, an den ich früher nicht gedacht habe. Ich bin bestohlen worden, schändlich bestohlen!« – »Bestohlen?« fragte sie, indem sie vor Schreck erbleichte.
Das mußte ein Versehen sein. Sie konnte Leutnant Helmers unmöglich für einen Dieb halten.
»Sie erschrecken, Sie erbleichen!« rief der Kapitän. »Sie sind es selbst gewesen! Sagen Sie, wo Sie das Dokument haben! Ich muß es wiederhaben, sogleich, sogleich!«
Bei dem Wort ›Dokument‹ faßte sich das Mädchen sofort. Es handelte sich also nicht um einen gewöhnlichen Diebstahl. Es war eine Schrift abhanden gekommen. Hatte der Leutnant dieselbe an sich genommen, so war er jedenfalls berechtigt dazu gewesen; aber verraten wollte sie ihn nicht.
»Ich?« sagte sie. »Was fällt Ihnen ein! Auf diese Art und Weise kommen Sie mir nicht, Herr Kapitän! Wo haben Sie das Dokument gehabt?« – »Hier in dem kleinen Koffer.« – »War er denn nicht verschlossen?« – »Ja doch.« – »Und Sie bilden sich ein, daß ein ehrliches Mädchen Ihren Koffer aufsprengt?« – »Aufgesprengt ist er nicht, sondern aufgeschlossen«, fiel er ein. – »Woher soll man den Schlüssel haben, der gerade zu Ihrem Koffer paßt!« – »Einen Dietrich …« – »Lassen Sie sich nicht auslachen! Ein Kellnermädchen wird einen Dietrich haben! Ich werde gleich zum Wirt gehen und ihm sagen, daß Sie mich, seine Verwandte, zur Diebin machen wollen!« – »Ja, gehen Sie! Rufen Sie den Wirt. Das Dokument muß auf alle Fälle wieder herbeigeschafft werden.«
Sie ging, während er in höchster Erregung und Verlegenheit im Zimmer umherlief. Eben, als sie den Hausflur erreichte, traten mehrere Herren ein, und ein Blick, den sie zufällig durch das Tor warf, zeigte ihr, daß sich einige Polizisten vor dasselbe postiert hatten. Einer der Herren fragte sie:
»Sind Sie hier Kellnerin?« – »Ja«, antwortete sie. – »Wo ist der Wirt?« – »In der Küche.« – »Zeigen Sie mir ihn!«
Sie führte den Herrn in die Küche und sagte ihm, welcher der Anwesenden der Besitzer des Gasthofes sei. An ihn wandte sich nun der Herr:
»Bei Ihnen logiert ein Fremder, der sich als Kapitän Parkert eingetragen hat?« – »Ja, mein Herr.« – »Das stimmt. Sie haben Ihre Meldung richtig eingegeben; ich habe im Fremdenverzeichnis der Polizei nachgesehen. Hier ist eine Medaille, die mich als Beamten der Polizei legitimiert. Ist der Kapitän anwesend?«
Der Wirt nahm die vorgezeigte Medaille in Augenschein, nickte und antwortete:
»Er ist eben nach Hause gekommen. In Nummer zwölf, eine Treppe finden Sie ihn.« – »Gut. Ich hole ihn ab. Aber befehlen Sie Ihrem Personal, nicht davon zu sprechen.«
Damit verließ der Beamte die Küche und stieg die Treppe hinauf. Seine beiden Begleiter postierten sich, der eine unten und der andere oben an der Treppe, während die Polizisten in den Flur traten. Die Nummer zwölf war leicht gefunden. Der Beamte klopfte und trat auf den von innen erfolgten Zuruf ein.
»Endlich!« rief der Kapitän ungeduldig. »Sind Sie der Wirt?« – »Nein, Herr Kapitän.« – »Ah! Wer sonst?« fragte Parkert erstaunt. – »Ich habe das Vergnügen, Beamter der hiesigen Polizei zu sein.«
Der Kapitän erschrak, faßte sich aber schnell und sagte:
»Ah, das ist mir recht, mein Herr. Ich bin nämlich bestohlen worden …« – »Bestohlen? Hm!« machte der Beamte lächelnd. »Was ist Ihnen abhanden gekommen?« – »Ein Dokument, ein sehr wichtiges Dokument.« – »Dann irren Sie sich. Dieses Dokument ist Ihnen nicht gestohlen worden, sondern es wurde konfisziert.«
Parkert trat einen Schritt zurück. Es war ihm, als habe der Blitz vor ihm eingeschlagen.
»Konfisziert?« stammelte er. »Von wem?« – »Das braucht nicht erörtert zu werden.« – »Aber wer hat das Recht, während meiner Abwesenheit meine Behältnisse zu öffnen?« – »Jeder brave Bürger, dem daran liegt, sein Vaterland vor Verrat zu behüten. Kapitän Parkert, oder wie Sie sonst heißen mögen, folgen Sie mir; Sie sind mein Gefangener!«
War Parkert vorhin erschrocken, so kehrte jetzt im Augenblick der offenen Gefahr seine Kaltblütigkeit zurück. Er sah ein, daß er verloren sei, falls man ihn gefangennähme; er mußte fliehen. Aber wie? Der Korridor war jedenfalls besetzt, die Straße vielleicht nicht; dorthin, also durch das Fenster, ging der einzige Rettungsweg. Der Beamte mußte übertölpelt werden. Es handelte sich darum, an ihn heranzukommen, ohne Verdacht zu erregen, denn Parkert konnte sich wohl denken, daß er irgendeine Waffe bei sich trage. Er machte darum ein sehr erstauntes Gesicht, ergriff seinen Koffer, öffnete ihn und sagte:
»Herr Kommissar, das muß ein Irrtum sein. Blicken Sie in diesen Koffer! Die darin befindlichen Empfehlungen und Legitimationen werden Ihnen beweisen …«
Weiter sprach er nicht. Er hatte sich dem Beamten langsam genähert; er stand hart vor ihm, ihm den Koffer hinhaltend. Bei dem Wort ›beweisen‹ aber ließ er den letzteren fallen und schlang seine Hände mit solcher Gewalt plötzlich um den Hals des Beamten, daß diesem, der einen solchen Überfall nicht erwartet hatte, der Atem verging. Sein Gesicht wurde blau; seine Hände griffen konvulsivisch in die Luft; seine Glieder zitterten; die Arme sanken herab, und dann ließ ihn Parkert zu Boden gleiten. Der Polizist war zwar nicht tot, aber beinahe erwürgt; er hatte die Besinnung verloren.
»Ah, bereits halb gerettet!« murmelte Parkert. »Was ist so eine Landratte gegen Kapitän Grandeprise, auch zuweilen Landola genannt! Aber meine Rolle ist hier ausgespielt. Ich muß General Douay warnen, den sie suchen werden. Er ist glücklicherweise so klug gewesen, sich ein Privatlogis zu nehmen. Wer aber hat das Dokument genommen? Hätte er die anderen Papiere mit erwischt, so wären alle meine Geheimnisse verraten gewesen.«
Er verschloß das Köfferchen und trat, dasselbe in der Hand, an das Fenster, das er öffnete. Das Trottoir war augenblicklich frei von Passanten und ein Polizist nicht zu sehen. Eine einzige Droschke hielt vor dem Nachbarhaus. Der Kutscher stand daneben. Parkert stieg auf das Fensterbrett. Der Sprung war hoch, aber für einen Seemann nicht gefährlich. Ein Schwung – Parkert stand auf dem Trottoir, ohne daß jemand, nicht einmal der Droschkenkutscher, gesehen hatte, daß hier einer aus dem Fenster gesprungen sei.
Noch immer das Köfferchen in der Hand, trat Parkert ruhig an die Kutsche, stieg ein und befahl: »Friedrichstraße 24.«
Im nächsten Augenblick rollte die Droschke davon. Da es zunächst galt, die Spur zu verwischen, so ließ er die Droschke halten, noch ehe sie die genannte Straße erreicht hatte, bezahlte die Taxe und schritt zu Fuß weiter. Dann, nachdem er einige Gassen und Gäßchen durcheilt hatte, nahm er einen zweiten Fiaker und gab diesem die genaue Adresse an. Bei derselben ausgestiegen, ließ er den Kutscher warten, stieg eine Treppe empor, klopfte an die Tür und trat ein, als er von innen ein lautes, gebieterisches »Entrez!« vernahm. Er stand vor General Douay.
»Sie, Kapitän?« fragte dieser. »Was wollen Sie so bald?« – »Sie warnen, Exzellenz«, lautete die Antwort. »Sie müssen augenblicklich fliehen.« – »Weshalb?« – »Wir sind verraten.« – »Unmöglich!« – »Wirklich! Ich bin der Polizei nur dadurch entkommen, daß ich den Kommissar niederschlug und dann durch das Fenster meines Zimmers auf die Straße sprang.« – »Horrible! Wer hat uns verraten?« – »Ich weiß es nicht.« – »Und Ihre Papiere?« – »Das Memorial ist konfisziert.«
Der General hatte sich nicht gefürchtet, jetzt aber erbleichte er doch.
»So sind wir verloren, wenn man uns ergreift«, sagte er. »Sie müssen eine fürchterliche Dummheit begangen haben. Sie sollen mir unterwegs erzählen.« – »Sie wollen mit mir reisen?« – »Es ist das beste. Ich komme nicht über die russische Grenze. Wir müssen nach Sachsen, doch nicht mit der Bahn, da würde man uns ergreifen.« – »Ich habe eine Droschke unten.« – »Gut. Wir fahren mit ihr ab, wechseln aber öfters, ehe wir aus der Stadt kommen; dann werden wir weitersehen. Haben Sie Ihr Geld gerettet?« – »Ja.« – »Ich muß den Koffer zurücklassen, denn meine Barschaft ist bedeutend genug, um mich das verschmerzen zu lassen. Vorwärts!«
Er steckte sein Portefeuille zu sich, ergriff Hut und Überrock und verließ die Wohnung, die er sich genommen hatte, um diplomatische Erfolge zu erzielen. Die Droschke trug die beiden Flüchtlinge davon.
8. Kapitel
Es war am Abend desselben Tages. Das Lokal des Offizierskasinos der Garde war hell erleuchtet und voll besetzt. Man ahnte, daß Leutnant Helmers erscheinen werde, und hatte sich deshalb in voller Zahl eingefunden, um ihm in pleno zu zeigen, daß man mit ihm nichts zu tun haben wolle.
Die älteren Offiziere hatten sich am hinteren, großen Tisch zusammengefunden, während die jüngeren die anderen Plätze besetzt hatten und sich lebhaft unterhielten.
Leutnant Ravenow, der Don Juan des Regiments, spielte mit Golzen und Platen eine Partie Karambolage. Er hatte soeben wieder einen sehr leichten Ball nicht gemacht und stieß das Queue unmutig zur Erde.
»Alle Teufel, geht mir dieser Ball hinten weg!« meinte er. »Verfluchtes Pech im Spiel!« – »Desto größeres Glück in der Liebe«, lachte Platen. »So viel aber ist gewiß, daß du heute mit dem Kapitän Parkert nicht spielen darfst. Du bist zu zerstreut und er ist ein Meister. Schone deine Börse.« – »Parkert?« fragte Golzen halblaut. »Pah, der kommt nicht« – »Nicht? Warum?« – »Oh, mit dem haben wir uns göttlich blamiert!« – »Möchte wissen, inwiefern!« – »Hm! Man soll nicht davon reden«, flüsterte Golzen wichtig. – »Auch nicht gegen Kameraden?« – »Nur gegen verschwiegene allenfalls.« – »Zu denen wir jedenfalls gehören. Oder nicht? Erzähle!« – »Nun, ihr wißt daß ich zuweilen bei Jankows bin …« – »Beim Polizeirat? Ja. Man sagt, daß du seiner Jüngsten den Hof machst.« – »Oder sie mir. Kurz und gut, ich war auch heute dort, und da habe ich denn erfahren, daß dieser Kapitän Parkert sozusagen ein politischer Schwindler ist, und nicht bloß das, sondern sogar ein wirklicher, ausgefeimter, gefährlicher Verbrecher.«
Ravenow hatte eben das Queue angelegt, um einen Stoß zu tun. Er hielt erstaunt inne, blickte den Sprecher an und sagte:
»Du scherzt, Golzen!« – »Scherzen? Fällt mir gar nicht ein! Oder arretiert man vielleicht einen Menschen, den man für einen außergewöhnlichen, vornehmen Kerl gehalten hat, ohne vorher zwingende Beweise in der Hand zu haben?« – »Donnerwetter! Er ist arretiert worden?« – »Man wollte ihn arretieren.« – »Ah, man hat es aber nicht getan!« – »Weil er ausgerissen ist!« – »Echappiert? Parkert? Der bei uns Zutritt hatte? Weißt du das gewiß?« – »Ebenso genau, als daß er den Kommissar, der ihn holen sollte, bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt hat und dann einen Stock hoch durch das Fenster gesprungen ist.« – »Alle Teufel, das ist ein Affront! Wer hätte das diesem so solid scheinenden Kerl zugetraut. Wir haben ihm hier trotz seiner bürgerlichen Abstammung Zutritt gegeben, weil er ein Yankee war und die Nordamerikaner ja keinen Adel haben. Aber so ist es stets: Gibt man sich mit Pack ab, so ist man auf alle Fälle blamiert. Wir haben nun desto größere Verpflichtung, uns gegen diesen Kameraden Helmers streng ablehnend zu verhalten.« – »Mir scheint«, meinte Platen, der bereits beim Major Kurts Partei genommen hatte, »daß zwischen einem flüchtigen Verbrecher und einem brav gedienten Offizier denn doch ein kleiner Unterschied zu machen ist.« – »Pöbel bleibt Pöbel, ob in Zivil oder in Uniform, das bleibt sich gleich«, antwortete Ravenow. »Man muß ihm den Dienst verleiden. Man muß dafür sorgen, daß er so bald wie möglich seine Versetzung fordert.«
In diesem Augenblick trat der Oberst seines Regiments ein. Er wurde hier nicht sehr oft als Gast gesehen. Er kam gewöhnlich nur dann, wenn er irgendeine dienstliche Angelegenheit in freundlich-kameradschaftlicher Weise behandeln wollte. Daher ahnte man bei seinem Eintritt sogleich, daß es sich um irgendeine Mitteilung handle, die geeignet sei, das Interesse seiner Offiziere in Anspruch zu nehmen.
Er setzte sich zu den älteren Herren am letzten Tisch, ließ sich ein Glas Wein geben und musterte die Anwesenden, die ihn in dienstlicher Haltung begrüßt hatten. Seine Untergebenen warteten auf seine Erlaubnis, ihre vorherige Beschäftigung fortsetzen zu dürfen. Sein Blick fiel auf Ravenow, der trotz seiner Leichtlebigkeit sein erklärter Günstling war.
»Ah, Ravenow«, sagte er, »spielen Sie immerhin Ihre Partie aus, aber sodann keine weitere.« – »Ah, Herr Oberst, ich bin im Verlust, muß also um Revanche ersuchen«, antwortete der Leutnant. – »Heute nicht; schonen Sie Ihre Beine und Ihre Kräfte!« – »So gibt es morgen wohl Extraübung?« – »Ja, aber nicht zu Pferde, sondern zu Fuß, und zwar mit jungen Damen im Arm.«
Bei diesen Worten hoben alle die Köpfe empor.
»Ja«, lachte der Oberst, »da gucken die Herren! Ich will Ihre Wißbegierde auf keine allzu harte Probe stellen, sondern Ihnen sogleich den Sachverhalt mitteilen, damit ich dann ungestört meine Partie Whist spielen kann.«
So abweisend er sich gegen Kurt benommen hatte, so umgänglich konnte er sein, wenn er wollte und wenn er sicher war, seiner Ehre keinen Schaden zu tun. Als jetzt die Herren sich näher um seinen Tisch zusammenzogen, meinte er
»Ja, es wird morgen eine leidliche Fußübung geben; man nennt diese Art Exerzieren gewöhnlich Ball.« – »Ein Ball, eine Soiree, wo, wo?« fragte es überall. – »An einem Ort, an den Sie am allerwenigsten denken werden, meine Herren. Hier habe ich ein ganzes, großes Kuvert voll Einladungskarten, die ich an sämtliche Offiziere meines Regiments und deren nähere Kameraden verteilen soll. Es sind im ganzen sechzig Karten, und die Damen sich auch mit geladen.« – »Aber von wem?« fragte ein Major, der neben dem Oberst saß. – »Ich wette zehn Monatsgagen, Herr Kamerad, daß Sie es nicht erraten. Denken Sie sich mein Erstaunen, als ich bei Anbruch des Abends dieses Kuvert erhielt, den Inhalt bemerkte und dabei folgendes Schreiben fand:
»Herrn Baron von Winslow, Oberst des ersten Gardehusarenregiments.
Herr Oberst!
Seine Majestät der König sind so freundlich gewesen, mir die Wohn- und Gartenräume Seines königlichen Schlosses Monbijou zu einer Soiree dansante – Abendgesellschaft mit Tanz —, die ich morgen abzuhalten gedenke, zur Verfügung zu stellen. Ich sende Ihnen die beifolgenden Karten, um sie an die Offiziere Ihres Regiments und deren nähere Kameraden zu verteilen, und bin überzeugt, daß ich Sie mit Ihrer Frau Gemahlin nebst Töchtern sowie auch die Damen der Herren Offiziere bei mir sehen werde.
Ihr wohl affektionierter
Ludwig III.
Großherzog von Hessen-Darmstadt«
Als der Oberst das großherzogliche Schreiben wieder zusammenfaltete und sein Auge über die Zuhörer schweifen ließ, begegnete er auf allen Gesichtern dem Ausdruck des Erstaunens.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte der bereits erwähnte Major. – »Diese Frage habe ich mir auch vorgelegt, aber ohne eine Antwort zu finden. Meine Frau – und die Herren wissen, daß die Frauen sich für äußerst scharfsinnig halten —, meine Frau meinte, daß es von oben her im Werke sei, dem Großherzog unser Husarenregiment zu verleihen. Er hat im vergangenen Krieg Preußen feindlich gegenübergestanden, und nun will Seine Majestät ihn vielleicht durch eine solche Auszeichnung an sich ketten.« – »Wie ich höre, wurde er heute telegrafisch nach Berlin gerufen«, wagte Leutnant Golzen zu bemerken. – »Woher wissen Sie das?« fragte der Oberst schnell. – »Sie wissen, Herr Oberst, daß die Herren Diener untereinander strenge Fühlung haben, und der meinige ist ein Schlaukopf, der voller Neuigkeiten steckt, wie eine Zeitung.« – »Diese telegrafische Einladung ließe, wenn sich ihre Wahrheit bewährte, auf wichtige diplomatische Konstellationen schließen. Man beginnt, sich huldvoll gegen die Südstaaten zu zeigen, man will sie also fesseln. Meine Herren, ich glaube, wir werden in einiger Zeit nach Frankreich reiten. Wenn das nur recht bald geschähe, wir sind gerade jetzt im rechten Zug. Aber zerbrechen wir uns nicht den Kopf. Die Sache ist, daß wir eingeladen sind und einen amüsanten Abend haben werden. Die Räume von Monbijou haben uns noch nie zur Verfügung gestanden; es wird uns da eine Auszeichnung zuteil, um die man uns beneiden wird. Wir werden dankbar sein, und ich bin überzeugt, daß die Herren, besonders die jüngeren, alle ihre Liebenswürdigkeit entfalten werden. Jetzt wollen wir zur Verteilung der Karten schreiten.« – »Darf ich mir die Frage gestatten, Herr Oberst, ob dieser Leutnant Helmers auch ein Exemplar erhalten wird?« fragte Ravenow.
Diese Erkundigung war eine Keckheit, dennoch aber antwortete der Gefragte in freundlichem Ton:
»Weshalb erkundigen Sie sich, lieber Ravenow?« – »Weil ich niemals eine Soiree besuchen würde, auf der obskure Menschen erscheinen.« – »Dann brauchten Sie lieber gar nicht zu fragen, denn wir alle hegen dieselben Grundsätze und Ansichten wie Sie. Übrigens tritt dieser Helmers erst morgen an, heute aber bereits werden die Karten verteilt, er geht uns also noch gar nichts an. Hier, lieber Branden, haben Sie die Karten. Besorgen Sie die Verteilung.«
Der Adjutant nahm das Kuvert in Empfang, gab jedem der Anwesenden eine der Einladungen und hob die übrigen für diejenigen auf, die nicht zugegen waren.
Kaum war er damit fertig, so ging die Tür auf, und Kurt trat ein. Aller Augen richteten sich auf ihn, glitten aber sogleich wieder von ihm fort, so daß er merken mußte, daß man nichts von ihm wissen wolle.
Er ließ sich aber dadurch nicht beirren, behielt den Tschako auf und schritt sporenklirrend auf den ältesten der anwesenden Offiziere zu. Dies war Oberst Winslow. Vor ihm hielt er an, schlug die Fersen zusammen, legte die rechte Hand grüßend an die Kopfbedeckung, die linke an den Schenkel und sagte:
»Leutnant Helmers, Herr Oberst. Ich bitte um die Freundlichkeit mich den Herren Kameraden vorzustellen!«
Der Oberst hatte die Whistkarten in der Hand, drehte sich langsam um, tat, als ob er ihn nicht verstanden habe, und fragte:
»Wie? Was wollen Sie?« – »Ich erlaube mir die Bitte, mich den Herren vorzustellen, Herr Oberst.«
Der Oberst zog die Augenbrauen hoch empor, sah Kurt langsam vom Kopf bis zum Fuß an und sagte:
»Vorstellen? Ah! Wer sind Sie?«
Auf allen Gesichtern war Schadenfreude zu bemerken; nur Leutnant Platen errötete vor Verdruß darüber, daß man einen braven, jungen Mann in dieser Weise beleidigte.
Alle wußten, daß sich jetzt entscheiden müsse, was Helmers für ein Charakter sei. Kein Kavalier konnte diesen Schimpf gut auf sich sitzen lassen. Es waren abermals aller Augen auf Kurt gerichtet. In dem Gesicht desselben zuckte keine Miene, und mit vollständig fester Stimme sagte er:
»Ihr Herr Adjutant, Oberleutnant von Branden, ist Zeuge, daß ich mich Ihnen heute vorgestellt habe. Ich bin gern bereit, einem schwachen Gedächtnis, wo ich es finde, zu Hilfe zu kommen: Ich bin Leutnant Helmers, Herr Oberst.«
Da fuhr der Oberst von seinem Sitz auf und rief:
»Donnerwetter, was meinen Sie, Herr Heller, Hellers, Helmers oder wie Sie heißen! Wer hat ein schwaches Gedächtnis, he?«
Kurt ließ die rechte Hand vom Taschko fallen, lächelte sehr freundlich und antwortete:
»Ich stelle es ganz in das Belieben des Herrn Obersten, zu erklären, ob mein Name aus wirklicher, unschuldiger Gedächtnisschwäche oder aus Absicht vergessen worden ist. Im letzteren Fall werde ich den Herrn Kriegsminister, Exzellenz, ersuchen, mich dem Herrn Oberst vor der Front des Regiments eklatanter vorzustellen, und ich gebe hiermit mein Ehrenwort, daß die Exzellenz dies tun wird.«
Der Oberst erbleichte. Er hatte das Empfehlungsschreiben des Ministers gelesen; er sah jetzt in die freundlichen, selbstbewußten Augen des jungen Mannes, und es ging ihm die Ahnung auf, daß er es hier mit einem geistig wenigstens ebenbürtigen Gegner zu tun habe.
Wie jetzt die Sache stand, mußte selbst ein parteiisches Urteil dahin gefällt werden, daß der Leutnant von seinem Obersten verleugnet, also fürchterlich beleidigt worden sei.
Helmers stand ganz so da, als ob er diese Beleidigung durch eine Forderung beantworten werde, und das hätte den Obersten bei seinen Vorgesetzten in fürchterlichen Mißkredit bringen müssen.
Junge Leutnants mögen sich fordern und schlagen und dann zur Strafe auf die Festung gehen, wenn aber ein alter Oberst einen der jüngsten Offiziere zu einer Forderung förmlich zwingt, so ist er wert, degradiert zu werden.
Dies bewog den Obersten einzulenken. Er sagte:
»Was Gedächtnisschwäche, was Absicht! Dort steht Adjutant von Branden. Er mag Sie vorstellen.«
Er glaubte, genug getan zu haben, denn mit dem Ausdruck Gedächtnisschwäche war er ja auch beleidigt worden. Freilich gab er sich jetzt vor allen Anwesenden dadurch, daß er tat, als ob er diese Beleidigung gar nicht gefühlt habe, eine große Blöße. Er meinte nun, die Angelegenheit erledigt zu haben, und setzte sich. Kurt jedoch blieb vor ihm stehen und sagte mit lauter, sicherer Stimme:
»Halten zu Gnaden, Herr Oberst. Ich habe eine Bemerkung zu machen.« – »Nun?« fragte der Oberst, indem er ihm das vor Zorn und wohl auch vor Verlegenheit gerötete Gesicht zuwandte. »Fassen Sie sich kurz!« – »Das werde ich, denn Kürze ist meine Eigenheit, wie Sie bald bemerken werden. Ich bin nicht aus eigenem Antrieb aus meinen bisherigen Verhältnissen geschieden, sondern ganz allein nur auf höhere Anregung zur preußischen Garde versetzt worden. Ich kenne die exklusiven Traditionen des Gardekorps, aber ich habe gemeint, daß, wenn die Herren Kameraden sich mir, der ich im letzten Feldzug als großherzoglich-hessischer Offizier meine Schuldigkeit getan habe, auch nicht gerade in warmer Freundschaft anschließen würden, man mich doch ohne gewaltsame Provokationen meinen Weg gehen lassen werde. Heute aber habe ich bei den meisten der Herren, denen ich mich dienstlich vorzustellen hatte, eine geradezu zurückweisende, fast empörende Aufnahme gefunden. Darum war ich allerdings darauf gefaßt, auch hier nicht willkommen geheißen zu werden. Ich bin kein Freund von Ungewißheiten. Ich muß wissen, ob man mich als Kamerad anerkennt oder nicht. Und so mag es sich gleich in diesem ersten Augenblick entscheiden, ob mir mein Weg gefälligst freigelassen wird oder ob ich ihn mir zu erkämpfen habe. Herr Oberst, ich bin von Ihnen verleugnet worden. Ich muß unbedingt wissen, ob dies aus Gedächtnisschwäche oder mit Absicht geschah. Wollen Sie die Güte haben, mir meine Frage zu beantworten?«
Es war kein einziger der Anwesenden sitzen geblieben, sie alle hatten sich erhoben. So war hier noch nie gesprochen worden. In dieser Weise hatte noch nie ein Leutnant mit dem Chef seines Regiments zu reden gewagt. Sie waren ihm alle feindlich gesinnt, und dennoch mußten sie ihn ob seiner Kühnheit hochachten.
Wie jetzt die Sache stand, mußte der Oberst entweder sich für gedächtnisschwach erklären – und dies wäre eine ganz entsetzliche Blamage gewesen – oder er mußte gestehen, daß er die Absicht gehabt habe, den Leutnant zu beleidigen – und das mußte unbedingt zu einem Waffengang führen, ebenfalls eine Blamage für den Obersten, für den es in diesem Fall nur den einzigen Ausweg gab zu erklären, daß er einen Bürgerlichen nicht für satisfaktionsfähig halte.
Der junge Leutnant hatte den langgedienten, adelsstolzen Oberst in seiner eigenen Schlinge gefangen, und alle waren neugierig zu hören, was der letztere sagen werde.
Dieser stand ganz perplex vor seinem Stuhl, er hatte die Kontenance verloren, denn ein solches Auftreten dieses Menschen, den er leicht beseitigen zu können gemeint hatte, war ihm ganz undenkbar gewesen. Endlich meinte er.
»Und wenn ich Ihnen die Antwort verweigere?« – »Das werden Sie nicht. Eine solche Verweigerung wäre eine bodenlose Feigheit, aber ich hoffe, daß Sie Mut genug haben, mit einem bürgerlichen Leutnant zu sprechen!«
Dies war dem Obersten denn doch zu viel; dies gab ihm seine Fassung wieder.
»Ja, Sie haben recht«, sagte er stolz. »Sie sind nicht der Mann, vor dem man sich fürchtet. Ich erkläre Ihnen also, daß ich Sie absichtlich verleugnete.« – »Ich danke Ihnen, Herr von Winslow. Ich will Ihr Alter berücksichtigen und diese Angelegenheit nicht vor die dienstliche Behörde bringen, aber Genugtuung muß ich mir erbitten. Erlauben Sie, daß ich Ihnen morgen meinen Bevollmächtigten sende.« – »Pah, ich schlage mich mit keinem Bürgerlichen!« – »Das wäre eine sehr wohlfeile Weise, sich der Verantwortung zu entziehen. Nehmen Sie meinen Bevollmächtigten nicht an, so mag ein Ehrengericht entscheiden, ob ein Mann, der die Offiziersuniform Seiner Majestät trägt, nicht satisfaktionsfähig sei. Wird auch da gegen mich entschieden, so zeige ich Sie bei Ihrem Vorgesetzten ganz einfach des Ungehorsams gegen Ihre Oberen und der absichtlichen, gewaltsamen Aufreizung Ihrer Untergebenen an. Ich bin noch nicht halb so alt wie Sie, aber ich lasse Sie nicht entschlüpfen.«
Er drehte sich scharf auf dem Absatz herum und schritt zur Wand, an der er Säbel und Tschako aufhängte, dann nahm er eine Zeitung vom Fenster weg und sah sich nach einem Platz um.
Kein einziger hätte nach dieser Probe von Mut und Energie es jetzt gewagt, ihm einen Sitz zu verweigern, aber man rückte zusammen, um ihn nicht zum Nachbarn zu bekommen.
Nur einer blieb sitzen und hielt das Auge freundlich und einladend auf ihn gerichtet, nämlich Leutnant Platen. Kurt bemerkte den wohlwollenden Blick und trat zu ihm.
»Erlauben Sie mir den Platz an Ihrer Seite, Herr Leutnant?« fragte er. – »Recht gern, Kamerad«, antwortete Platen, ihm die Hand reichend. »Mein Name ist Platen. Seien Sie mir willkommen!«
Kurt blickte in das offene, ehrliche Auge des Sprechers, dessen Blick ihm so wohl tat, und sagte:
»Ich danke Ihnen herzlich. Man hat es zwar unterlassen, mich vorzustellen, aber mein Name ist doch genannt worden. Herr von Platen, darf ich Sie um die Namen dieser Herren bitten?«
Noch immer herrschte tiefe Stille im Raum, so daß man deutlich jeden Namen hörte, den Platen aussprach. Am hinteren Tisch herrschte die Ruhe nach einem Donnerschlag, an den anderen Plätzen hatte man alle möglichen Zeitungen und sonstige Hilfsmittel ergriffen, um die Peinlichkeit der Situation zu neutralisieren. Die Herren an Kurts Tisch, deren Namen genannt wurden, nickten verlegen mit dem Kopf, während dieser sie mit einer Verneigung begrüßte. Nur Ravenow blieb der alte, er griff zum Queue und meinte laut:
»Komm, Golzen, setzen wir unsere Partie fort. Wie steht es, Platen? Du bist ja der dritte.« – »Danke, ich verzichte«, antwortete dieser.
Ravenow zuckte die Achsel und spottete:
»Pah! Das nenne ich den Champagner wegen eines Glases Essig verlassen!«
Kurt tat, als ob er diesen beleidigenden Vergleich nicht auf sich beziehe, und wurde darin von Platen unterstützt, denn dieser griff nach einem Schachbrett und fragte:
»Spielen Sie Schach, lieber Helmers?« – »Unter Kameraden, ja.« – »Nun, ich bin ja Ihr Kamerad. Legen Sie die Zeitung fort und versuchen Sie es einmal mit mir. Die Ehrlichkeit erfordert aber, Ihnen zu sagen, daß ich hier für unbesiegbar gehalten werde.« – »So muß ich ebenso ehrlich sein«, lachte Kurt. »Hauptmann von Rodenstein, mein Pflegevater, war ein Meister. Er gab mir so vortrefflichen Unterricht, daß er jetzt keine Partie mehr gewinnt.« – »Ah, das ist recht, denn da dürfen wir endlich einmal einer interessanten Partie entgegensehen. Kommen Sie!«
Durch diesen kleinen Streich hatte Platen den Bann gehoben. Am hinteren Tisch begann der Whist von neuem, vorn klapperten die Billardbälle, und dazwischen hatten die Züge auf dem Schachbrett in Zeit von zehn Minuten einen so spannenden Verlauf genommen, daß sich die Offiziere einer nach dem anderen erhoben, um dem Spiel zuzuschauen. Sie gewahrten mit Verwunderung, daß Kurt seinem Gegner überlegen sei; er gewann die erste Partie.
»Ich gratuliere«, sagte Platen. »Das ist mir lange nicht passiert. Wenn es wahr ist, daß ein tüchtiger Stratege auch ein guter Schachspieler sei, so sind Sie jedenfalls ein höchst brauchbarer Offizier.«
Kurt fühlte, daß der gute Platen diese freundlichen Worte sprach, um ihm Boden zu gewinnen, und antwortete ablehnend:
»Man darf bekanntlich die Schlüsse nicht umkehren. Ist ein guter Stratege auch ein guter Schachspieler, so ist es doch noch nicht notwendig, daß ein feiner Schachspieler auch ein tüchtiger Offizier sein muß. Übrigens haben Sie in der ersten Partie wohl nur meine Kräfte kennenlernen wollen. Versuchen wir eine zweite. Ich ahne, daß ich sie verlieren werde.« – »Sie dürften sich irren. Doch apropos, Sie nannten da einen Hauptmann von Rodenstein. Ist dieser Herr vielleicht Oberförster im Dienst des Großherzogs von Hessen?« – »Allerdings.« – »Ah, so kenne ich ihn. Er ist ein alter, knorriger Haudegen, ebenso grob wie ehrlich, und soll bei seinem Landesherrn gut angeschrieben stehen.« – »Diese Charakteristik ist allerdings sehr zutreffend.« – »Ich lernte ihn bei meinem Onkel in Mainz kennen, der sein Bankier ist.« – »Sein Bankier? Dieser heißt Wallner, so viel ich weiß.« – »Das ist richtig. Ich muß Ihnen nämlich erklären, daß meine Tante, die Schwester meiner Mutter, eine sogenannte Mesalliance eingegangen ist. Sie hat diesen Wallner, also einen Bürgerlichen, geheiratet, der infolgedessen auch ein Verwandter ihres und meines Majors geworden ist, denn der letztere ist mein Cousin.«