Kitabı oku: «Waldröschen X. Erkämpftes Glück. Teil 3», sayfa 6
»Etwa wir?« – »Hm!« – »Oder die Franzosen? Oder Napoleon und Max?« – »Señor, Sie haben recht«, meinte Sternau mit seiner tiefen, kräftigen Stimme.« – »Und dennoch waren wir es, die als Räuber behandelt wurden«, fuhr Juarez erregt fort. »Der Inhalt jenes blutigen Dekretes ist kein anderer als der Spruch jenes alten Eroberers: ›Wehe den Besiegten!‹ Wir waren die Besiegten, und das Wehe kam über uns. Jetzt aber hat unser gerechter Gott geholfen. Wir sind die Sieger. Wir könnten nun auch rufen: ›Wehe den Besiegten!‹ Und mit viel größerem Recht. Doch wir tun es nicht. Wir wollen nicht ungerecht, nicht grausam sein. Aber unser Recht wollen wir, und wenn wir dies wollen, so wollen wir folgerichtig, daß auch einem jeden anderen, also auch den Bedrückern unseres Landes, sein und ihr Recht werde. Ist Ihnen das jus talionis – Recht der Wiedervergeltung – der Bibel bekannt, Señor Helmers?« – »Natürlich!« antwortete Kurt. – »Dieses Recht herrscht und gilt noch in der Prärie, allüberall, wo die Völker noch in guter, alter patriarchalischer Weise beisammen wohnen …« – »Es ist grausam«, fiel Kurt ein. »Diejenigen Nationen, die Anspruch auf die Segnungen der Zivilisation …« – »Gehen Sie mir mit dieser Zivilisation!« unterbrach ihn Juarez. »Zählen Sie die Franzosen auch zu diesen zivilisierten Nationen?« – »Natürlich!« – »Ich habe es auch getan. Aber sie sind ohne alle Ursache in Mexiko eingefallen wie die Räuber! Ist das ihre Zivilisation, ihre Bildung? Wenn der Panther des Südens raubt und mordet, so ist er einfach ein Raubtier in Menschengestalt und wird seinen Käfig finden. Wenn dieser Cortejo erklärt, daß er Präsident sein wolle, so ist dies einfach wahnsinnig oder zum wenigsten lächerlich. Wenn aber Napoleon und Maximilian von Österreich mit einer Heeresmacht in ein Land einbrechen, dessen Bewohner ihnen nichts getan haben, so gleichen sie nur den Botokuden, Komantschen, Kurden und anderen wilden Völkerschaften, die ich unter die Barbaren zähle. Und wenn ich Sie unterbrach, als sie von den zivilisierten Nationen begannen, so haben doch auch diese das Vergeltungsrecht in ihre Gesetzbücher aufgenommen. Sie sagen zwar nicht mehr: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn!‹, aber sie bestrafen jedes Verbrechen und Vergehen, den Mord mit dem Tode und jedes andere mit einer kongruenten Summe von Freiheitsentziehung oder Geld. Haben Sie die Tropfen Blutes gezählt, die während der letzten Invasion in Mexiko geflossen sind?«
Kurt schüttelte trüben Angesichts mit dem Kopf.
»Nun, sie sind nicht zu zählen. Es sind nicht Tropfen, sondern Ströme. Bin ich im Unrecht, wenn ich dieser Ströme wegen den Schuldigen zum Tode verurteile, während ein jeder Richter einen Mörder, der nur ein einziges Menschenleben zerstörte, dem Henker überliefert?« – »Ich wiederhole, daß der, von dem Sie sprechen, das Glied einer erlauchten Kaiserfamilie ist.« – »Erlaucht? Was nennen Sie erlaucht? Kommt dieses Wort nicht von dem Verbum erleuchten her?« – Ja.« – »Nun, so stelle ich es Ihnen anheim, den Betreffenden erleuchtet zu nennen, ich aber hüte mich, es zu tun. Und je höher er steht, desto strafbarer ist er. Was würde man in Österreich sagen, wenn ich plötzlich dort mit einem Heer einbräche, um dem Volke zu beweisen, daß ich ein besserer Regent sei, als …«
Juarez wurde unterbrochen. Die Tür öffnete sich, und es trat, nein, es stürmte ein Mann heran, an dessen Kleidung man sofort den höheren Offizier erkannte. Nicht groß und nicht klein, nicht schmächtig und nicht dick, trug sein Äußeres das echt mexikanische Gepräge. Seine Gesichtsfarbe spielte in das Gelbliche; seine Züge waren scharf, seine Augen schwarz und glänzend, und die raschen Schritte, mit denen er auf Juarez zueilte, verrieten ein feuriges Temperament und eine große Energie des Charakters.
»Señor Juarez«, rief er, beide Hände zum Gruß ausstreckend. – »General Diaz«, entgegnete Juarez, indem sein Gesicht den Ausdruck des höchsten Erstaunens zeigte. – »Ihr wundert Euch, mich hier zu sehen?« – »Ihr hier in Zacatecas!« rief Juarez, indem er ihn bei den Händen nahm und dann umarmte. – Ja, hier, Señor. Ihr seht es ja!« – »Ich vermutete Euch noch jenseits der Hauptstadt!« – »Da war ich auch.« – »Und nun hier! Ist ein Unglück geschehen?« – »O nein! Ich komme im Gegenteil, Euch eine sehr gute Nachricht zu bringen.« – »Ah! So sprecht!«
Diaz sah die beiden anderen an.
»Das sind Señor Sternau und Señor Helmers, zwei Freunde von mir, vor denen ich offen sein kann«, erklärte Juarez.
Die drei verbeugten sich stumm gegeneinander, und dann fragte der General den Präsidenten:
»Habt Ihr meine Botschaften alle erhalten?« – »Die beiden letzten nicht.« – »Sie wurden von dem Gegner aufgefangen. Darum komme ich selbst. Daß die Franzosen aus dem Land sind, wißt Ihr?« – »Ja.« – »Daß Max in Querétaro ist, auch?« – »Auch.« – »Er hat nur noch drei Städte im Besitz: Mexiko, die Hauptstadt, Querétaro und Verakruz. In Mexiko kommandiert der Schuft Marquez, der die Bürger bis auf das Blut schindet.« – »Gott wird geben, daß er nicht lange mehr befehligt!« – »Ich hoffe es. Ich erwartete Nachricht von Euch. Da ich aber keine erhielt, weil die Boten weggefangen wurden, habe ich auf eigene Faust gehandelt.« – »Ah! Was habt Ihr unternommen?«
»Die drei Städte, die Maximilian noch gehören, müssen getrennt werden; ihre Verbindung muß unterbrochen werden. Darum habe ich Puebla belagert und erstürmt.« – »Wirklich?« fragte Juarez im Ton höchster Freude. – »Ja.« – »Und es ist in Eure Hand gefallen?« – »Natürlich, ja.« – »Das ist herrlich! Das ist ein großer Fortschritt. Señor Porfirio, hier meine Hand. Ich danke Euch aus vollem Herzen.« – »Und nun«, fuhr Porfirio Diaz fort, »komme ich selbst, um mit Euch und General Eskobedo das Weitere persönlich zu beraten. Ich will mich jetzt nur anmelden. Befehlt, wann Ihr zu sprechen seid.« – »Ich werde es Euch und Eskobedo wissen lassen. Jetzt seid Ihr mein Gast. Kommt und laßt Euch führen!«
Die Freude hatte den ernsten Zapoteken förmlich verjüngt und ganz verändert. Er entschuldigte sich gegen Sternau und Helmers, nahm den General beim Arm und führte ihn fort.
Erst nach einer längeren Weile kehrte er zurück. Sein Gesicht strahlte vor Vergnügen.
»Señor Sternau«, fragte er, »habt Ihr schon von diesem Porfirio Diaz gehört?« – »Sehr viel«, antwortete der Gefragte. – »Wenn ich an ihn denke oder ihn sehe, erinnere ich mich stets eines Generals des ersten Napoleon, den dieser den Bravsten der Braven zu nennen pflegte.«
»Ah, Sie meinen den Marschall Ney?« – »Ja. Diaz ist mein Marschall Ney. Er ist nicht bloß ein guter und außerordentlich zuverlässiger Militär, sondern auch ein nicht schlechter Diplomat. Ich bin fest überzeugt, daß er einst mein Nachfolger sein wird. [Diese Prophezeiung ist in Erfüllung gegangen, denn 1877 ist Porfirio Diaz erstmalig Präsident von Mexiko geworden. – Anmerkung des Verfassers.] Kennt Ihr die Lage von Puebla?« – »Sehr gut. Ich bin ja durch die Stadt gekommen.« – »Sie liegt zwischen der Hauptstadt und dem Hafen von Verakruz. Nun wir sie erobert haben, ist Max von Habsburg verloren. Er ist vom Hafen abgeschnitten und kann uns nicht mehr entgehen.«
Da erhob Kurt bittend die Hände und sagte:
»Señor, ich flehe um Gnade für ihn.« – »Und ich vereinige meine Bitte mit diesem Flehen!« meinte Sternau.
Juarez blickte sie kopfschüttelnd an. Sein Gesicht hatte einen weichen Zug, einen Zug der Milde angenommen, wie er an ihm nur selten zu bemerken war.
»Ich habe geglaubt, daß Sie mich kennen, Señor Sternau«, sagte er. – »Oh, ich kenne Sie ja auch!« antwortete der Doktor. – »Nun und wie denn?« – »Als einen festen, unerschütterlichen Charakter, der unter allen Umständen das hinausführt, was er sich vorgenommen hat.« – »Weiter nichts?« – »Dessen Herz aber doch nicht völlig unter der Herrschaft seines strengen Verstandes steht.« – »Da mögt Ihr recht haben.« – »Darum hoffe ich, daß unsere Bitte keine ganz vergebliche sei.« – »Hm. Was verlangen Sie denn eigentlich von mir?« – »Lassen Sie den Erzherzog entfliehen!« – »Und wenn ich dies nicht vermag?« – »So lassen Sie sein Urteil wenigstens nicht eins zum Tode sein.«
Der Zapoteke schüttelte den Kopf.
»Señores, Sie verlangen zu viel von mir«, sagte er. »Maximilian hat sich in jenem blutigen Dekret sein Urteil selbst gesprochen. Dennoch wollte ich Milde walten lassen, aber er hat mich nicht gehört. Ich darf keinen Kaiser von Mexiko anerkennen, wie er ja auch mich nicht als Präsidenten anerkannt hat. Ich sehe in ihm ebensowenig eine Person, mit der ich in diplomatischen Verkehr treten möchte, wie auch er es mit mir nicht getan hat. Doch ich bin nicht bloß Präsident, ich bin auch Mensch, und weil auch er Mensch ist, so habe ich zu ihm als Mensch zum Menschen gesprochen, er aber hat nicht auf mich gehört.« – »Welche Verblendung!« rief Sternau. – »Ich habe jene Señorita Emilia zu ihm gesandt. Sie hat ihn auf seine Umgebung aufmerksam gemacht. Sie hat ihm bewiesen, daß er nur Verräter oder schwachköpfige Abenteurer um sich hat – es hat nichts geholfen.« – »So ist er selbst schuld.« – »Er und kein anderer. Ich habe ihm sagen lassen, daß ich ihm den Weg nach der See bis zum letzten Augenblick offenlassen werde – er hat gelacht. Ich habe ihm ferner gesagt, daß ich ihn nicht zu retten vermöge, sobald er als Gefangener in die Hände der Meinigen gerate – er hat abermals gelacht!« – »Gibt es keinen weiteren Ausweg?« fragte Kurt.
Juarez blickte ihn forschend an.
»Vielleicht«, antwortete er nachdenklich. – »Oh, so versäumen Sie ihn nicht!« – »Hm. Wollen Sie etwa die Sache übernehmen?«
Bei diesen Worten war das Auge des Zapoteken forschend, fast stechend auf Kurt gerichtet.
»Sofort«, antwortete dieser freudig. – »Es wird auch umsonst sein.« – »Ich hoffe das Gegenteil.« – »So! Sie sind allerdings der einzige Mann, dem ich so etwas anvertrauen möchte. Glauben Sie durch die Vorposten zu kommen?« – »Sie meinen die Vorposten der Kaiserlichen?« – »Ja. Für die meinigen gebe ich Ihnen ein Passepartout.« – »Ich bin gut legitimiert. Man wird mich nicht anhalten.« – »Und Sie glauben auch vor Maximilian zu kommen?« – »Ganz bestimmt.«
Juarez blickte Kurt noch einmal mit voller Schärfe an. Es war, als ob er in der tiefsten Tiefe von dessen Seele lesen wolle. Dann machte er eine rasche Wendung und setzte sich an den Tisch, auf dem neben allerlei Skripturen die nötigen Schreibrequisiten lagen. Er legte sich ein Blatt zurecht, tauchte die Feder ein und schrieb. Als er fertig war, gab er es Kurt hin und fragte:
»Wird das genügen?«
Kurt las:
»Hiermit verbiete ich, dem Vorzeiger dieses und dessen Begleitern irgendwelche Hindernisse in den Weg zu legen. Ich befehle im Gegenteil, sie auf alle Fälle und ohne weiteres alle Linien passieren zu lassen und ihnen allen möglichen Vorschub zu leisten, ihr Ziel schnell und sicher zu erreichen. Wer diesem Befehl zuwiderhandelt, wird mit dem Tode bestraft.
Juarez.«
»Das genügt vollständig, vollständig!« rief Kurt, im höchsten Grade erfreut.
Er sah sich bereits als Retter des Kaisers drüben in der Heimat und allerwärts gefeiert.
»Ich glaube nicht daran«, erwiderte Juarez. – »Oh, man wird doch diesem Befehl gehorchen!« – »Sicher. Aber der eine, auf den es ankommt, wird ihn nicht respektieren.« – »Maximilian?« – Ja.« – »Er wäre wahnsinnig.« – »Versuchen Sie es!« – »Darf ich ihm dieses Passepartout zeigen?« – Ja.« – »Auch anderen?« – »Nein. Sie dürfen sich dieses Papiers nur im Notfall bedienen. Übrigens gebe ich Ihnen zu bedenken, daß ich verloren bin und von meinen Anhängern sicher verlassen werde, wenn sie erfahren sollten, daß ich meine Hand zur Rettung des Erzherzogs bot. Ich gebe mich trotz Ihrer Jugend in Ihre Hände, aber ich hoffe, daß Sie mein Vertrauen rechtfertigen.«
Kurt wollte antworten. Der Zapoteke aber schnitt ihm die Rede mit der schnellen und kalten Bemerkung ab:
Jetzt habe ich alles getan, was mir möglich ist; jetzt werde ich für nichts Weiteres verantwortlich sein und wasche meine Hände in Unschuld. Fällt Max dennoch in unsere Hand, so ist er nicht zu retten. Ich bin nicht König eines absolut regierten Landes. Ich hänge von Verhältnissen ab, denen ich mich nicht entwinden kann. Darum bitte ich Gott, Ihrem Vorhaben seinen Segen zu geben.«
Juarez reichte Kurt die Hand und wandte sich dann zu Sternau:
»Ihr junger Freund wird nun Eile haben; er mag schleunigst abreisen, um nach Querétaro zu kommen. Vielleicht ist es ihm möglich, etwas für Señorita Emilia zu tun, für die ich einiges befürchte, da dieser Pater Hilario, ihr Feind, zum Kaiser gegangen ist. Was Sie betrifft, so wissen Sie, daß ich gern für Sie tue, was möglich ist. Heute aber bin ich es, der eine sehr große Bitte an Sie hat.« – »Könnte ich sie doch erfüllen«, meinte Sternau. – »Sie können es.« – »Dann haben Sie meine Zusage im voraus, Señor.« – »Warten Sie erst. Wie haben Sie über Ihre nächste Zeit verfügt?« – »Ich habe mich noch zu nichts bestimmt. Ich kam, um Ihnen zu melden, was geschehen ist. Ich weiß ja, daß wir ohne Ihre gütige Hilfe mit dem Ordnen der Verhältnisse der Rodriganda nicht zustande kommen.« – »Das ist allerdings sehr wahr. Die Cortejos, Josefa Cortejo, Landola, der Pater und sein Neffe, sie alle müssen in Anklagezustand versetzt werden. Es handelt sich darum, ein umfassendes Geständnis von ihnen zu erlangen. Und selbst dann ist es nicht möglich, einen gültigen Urteilsspruch zu erlangen.« – »Warum?« – »Bedenken Sie unsere gegenwärtigen Verhältnisse. Noch wissen wir ja nicht, was geschehen kann. Wo gibt es einen kompetenten Gerichtshof für Ihre Angelegenheit?« – »Ich denke bei Ihnen.« – »Meine Gerechtigkeitspflege ist noch ambulant. Für Ihre Angelegenheit bedürfen wir eines Richterspruches, der auch von anderen Mächten, besonders von Spanien anerkannt wird.« – »Das ist allerdings sehr richtig.« – »Wir müssen also warten, bis sich die Verhältnisse Mexikos leidlich geordnet haben.« – »Das ist leider höchst unangenehm.« – »Aber ich hoffe, bis zum Juni zu Ende zu sein. Bis dahin ist nicht gar zu lange Zeit. Wie gedenken Sie, dieselbe zu verbringen?« – »Würden Sie mir gestatten, in Ihrer Nähe zu bleiben?« – »Sehr, sehr gern! Das war es gerade, was ich wünschte. Das war ja die Bitte, die ich an Sie richten wollte. Hätten Sie nicht Lust, in meine Dienste zu treten?«
Sternau blickte überrascht auf.
»Als was?« fragte er. – »Als Offizier.«
Sternau schüttelte langsam den Kopf.
»Señor, Sie sehen ein, daß ich …« – »Pst!« unterbrach ihn Juarez lächelnd. »Ich weiß, was Sie sagen wollen. Ihr Leben ist Ihnen und anderen, die sich seit zwanzig Jahre vergebens nach Ihnen sehnen, zu kostbar, als daß Sie es an eine Sache wagen möchten, die Sie unmittelbar doch nichts angeht.« – »Das ist allerdings meine Meinung. Ich hoffe, nicht falsch beurteilt zu werden.« – »Gar nicht. Ich bezweifle weder ihren Mut, noch Ihre außerordentliche Befähigung. Aber in meinem Dienst möchte ich Sie doch haben.« – »Als was, wenn nicht als Offizier?« – »Als Arzt.« – »Ah!« – »Ja. Wir kämpfen. Ärzte sind notwendig und leider so selten. Und welche Ärzte haben wir? Kaum einen, der eine geschickte Operation vorzunehmen vermag.« – »Auf welche Zeit würden Sie mich engagieren?« – »Auf keine bestimmte Frist. Ich will Ihnen nicht hinderlich sein. Sie können gehen, sobald Sie es für notwendig halten.« – »Gut, so akzeptiere ich.« – »Topp?« – »Topp!« Sie schlugen die Hände ineinander. Dann sagte Juarez: »Abgemacht also! Sie bringen mir ein Opfer, für das ich Ihnen dankbar sein werde. Welche Personen haben Sie noch bei sich?« – »Bärenherz und Büffelstirn, nebst dem Kleinen André.« – »Wie wollen sich diese beschäftigen?« – »Ich werde dafür sorgen. Bezüglich Andres hätte ich bereits jetzt eine Idee. Señor Helmers braucht einen Begleiter. Einen der Häuptlinge kann er unmöglich mitnehmen, also würde ich ihm André vorschlagen.« – »Ich nehme ihn mit, wenn er mitgeht!« meinte Kurt sehr rasch. – »Schön. Und nun noch eins. Erwähnten Sie nicht gewisse Gegenstände, die Sie im Keller des Klosters erbeutet haben?« – »Allerdings.« – »Was war es?« – »Der politische Briefwechsel des Paters und sodann die Meßgewänder, die er unterschlagen hat.« – »Sind Sie kostbar?« – »Sehr. Sie repräsentieren einen Reichtum von Millionen.« – »Sie werden mir diese Sachen vorlegen?« – »Ich bitte um die Erlaubnis dazu.« – »Sie haben dieselbe. Von jetzt an wohnen Sie mit in meinem Haus. Ich werde Ihnen sofort die nötigen Zimmer anweisen lassen. Und dann, wenn Sie sich ausgeruht haben, werden wir uns wiedersehen.«
9. Kapitel
Ein einsamer Reiter trabte auf der Straße von der Hauptstadt nach Queretaro dahin. Zwischen beiden Städten, ungefähr in der Mitte des Weges, liegt das Städtchen Tula.
Der Mann passierte dasselbe, ohne anzuhalten, obgleich sein Pferd müde zu sein schien. Aber als er Tula im Rücken hatte, verließ er die von Militär belebte Straße und bog seitwärts in das Feld ein.
Dort lag die Ruine eines Hauses. Die geschwärzten Mauern verrieten, daß das Gebäude ein Raub der Flammen geworden sei. Jedenfalls war dies während des gegenwärtigen Krieges geschehen, denn es schien, als ob die Ruinen noch nicht alt seien.
Der Mann stieg ab, ließ sein Tier frei grasen und setzte sich in dem Schatten einer halbeingestürzten Wand nieder. Kaum war dies geschehen, so fuhr er zusammen.
»Pst!« hatte er es rufen hören.
Er blickte sich um, konnte aber nichts bemerken.
»Pst!« hörte er von neuem.
Er zog ein Pistol hervor und suchte mit dem Auge in allen seinem Blick erreichbaren Winkeln herum – vergebens.
»Pater Hilario!« rief es jetzt halblaut. Da sprang er auf. Wer kannte ihn hier?
»Pater Hilario!« wiederholte es.
Aus dem Ton entnahm er jetzt die Richtung, aus der die Stimme kam. Er trat hinter die Mauer, vor der er gesessen hatte. Dort stand – der kleine, dicke Verschwörer, ihn mit einem freundlichen, breiten Grinsen seines Gesichtes empfangend.
»Nicht wahr, das ist eine Überraschung?« fragt er. – »Ihr? Ihr?« rief der Pater erstaunt. »Wie kommt Ihr hierher?« – »Der geheime Bund ist allgegenwärtig. Ich habe Euch hier erwartet.« – »Mich? Wie konntet Ihr wissen, daß ich nach der Ruine kommen würde, um auszuruhen?« – »Das wußte ich allerdings nicht. Aber seht Ihr denn nicht, daß man von hier aus die Straße überblicken kann?« – »Wußtet Ihr, daß ich jetzt diese Straße kommen werde?« – »Daß Ihr jetzt kommen würdet, wußte ich nicht, daß Ihr aber überhaupt die Straße passieren müßtet, das konnte ich mir denken.« – »Wieso?« – »Ich war in Santa Barbara.« – »Ah! Wirklich?« – »Ja. Ich sprach mit Eurem Neffen. Ihr wäret kaum eine Stunde fort.« – »So konntet Ihr mir ja nachreiten.« – »Das war unsicher, da ich nicht wußte, welchen Weg Ihr eingeschlagen hattet. Ich hätte Euch leicht verfehlen können. Da ich aber wußte, daß Ihr nach der Hauptstadt gingt und von da, weil Ihr dort den Kaiser nicht mehr treffen würdet, gezwungenermaßen Euch nach Querétaro wenden mußtet, so zog ich vor, mir einen Punkt zwischen den beiden Städten auszusuchen, wo ich überzeugt war, Euch zu sehen. Dieser Punkt mußte, Verhältnisse halber, im Freien liegen, und so habe ich diese Brandruine gewählt.« – »So habt Ihr mir also etwas Notwendiges mitzuteilen?« – »Ja.« – »Wie ging es in Santa Barbara?« – »Warum diese Frage?«
Der kleine Dicke blickte den Pater erstaunt und forschend an.
»Nun, sie ist doch sehr natürlich. Wer von der Heimat fern ist, der will doch gern etwas von ihr wissen.« – »Ah pah! Ihr wißt doch, daß ich kaum eine Stunde nach Eurem Fortreiten dort war. Was konnte sich in dieser kurzen Zeit ereignet haben.« – »Das kann man doch nicht wissen.« – »Ihr scheint Euch dort mit geheimnisvollen Dingen herumgetragen zu haben, von denen ich nichts erfahren soll.« – »Da irrt Ihr Euch sehr. Aber wir leben im Krieg, da kann jeder Augenblick eine Änderung bringen.«
Der Kleine blickte den Pater scharf an und fragte: »Wollt Ihr etwa mit mir Versteckenspielen?« – »Fällt mir gar nicht ein.« – »Das sollte Euch auch schlecht bekommen.« – »Ich habe keine Angst. Was ist es, was Ihr mir zu sagen habt?« – »Seit dem Tag, da ich Euch meinen Auftrag gab, hat sich einiges verändert. Ihr kennt doch die Aufgabe, die Euch geworden ist, noch ganz genau?« – »Das versteht sich.« – »Nun, ich komme, Euch dieselbe wesentlich zu erleichtern. Die Verbindung hat an einige Orte, die im Rücken der Republikaner liegen, Truppen detachiert, um dort kriegerische Demonstrationen zu unternehmen.« – »Ah! Das wird den Lauf des Präsidenten aufhalten.« – »Ja, aber noch mehr als das. Es wird auch Euch beim Kaiser großen Nutzen bringen.« – »Wieso?« – »Könnt Ihr Euch das nicht denken?« – »Nein.« – »Es fehlt Euch doch mehr Scharfsinn, als ich dachte! Diese Demonstrationen geschehen scheinbar zu Gunsten des Kaisers …« – »Ah, jetzt vermute ich«, fiel der Pater ein. – »Nun?« – »Max wird infolgedessen glauben, daß die Zahl seiner Anhänger größer ist, als er angenommen hat.« – »Sehr richtig.« – »Sein Mut, sein Vertrauen werden wachsen.« – »Das eben bezwecken wir.« – »Und infolgedessen wird er nicht daran denken, Mexiko als Flüchtling zu verlassen.« – »So ist es. Er wird seine Lage als viel besser nehmen, als sie in Wahrheit ist, und das wird ihn in die Hände der Republikaner liefern. Diese können ihn infolge seines Dekretes nicht begnadigen, und er wird erschossen. Juarez steht dann als sein Mörder da und ist vor aller Welt gebrandmarkt.« – »Wo finden diese Kundgebungen statt?« – »Die erste in Santa Jaga.« – »In Santa Jaga?« fragte der Pater erschrocken. – »Ja.« – »Alle Wetter! Warum gerade dort?« – »Der geheime Bund hat es beschlossen.« – »Wird das Kloster Barbara davon berührt?« – »Sogar in sehr hervorragender Weise.« – »Inwiefern?« – »Das Kloster ist wie eine Festung gebaut. Es gewährt genügenden Schutz gegen alle Angriffe. Darum ist es von den Unsrigen besetzt worden.« – »Donnerwetter! Wann?« – »In der Nacht nach Eurer Abreise.« – »Und ich bin nicht dort!« Der Pater machte ein Gesicht, auf dem sich eine peinliche Verlegenheit nicht verkennen ließ.
»Warum alteriert Euch das in solcher Weise?« fragte der Dicke, indem er ihn von der Seite fixierte. – »Nun, ich dächte, das wäre doch sehr leicht zu erraten.« – »Ich errate es keineswegs.« – »So seid Ihr es dieses Mal, dem es an dem nötigen Scharfblick mangelt.« – »Ah, Ihr werdet spitzig«, lachte der Kleine. »Aber ich bitte Euch, deutlicher zu sprechen.« – »Nun, Ihr wißt doch, daß ich der Leiter der Klosteranstalt bin.« – »Freilich.« – »Ich bin also auch für alles, was die Anstalt betrifft, verantwortlich.« – »Das geht mich nichts an.« – »Aber mich desto mehr. Wie viele Soldaten habt Ihr hingelegt?« – »Zweihundert ungefähr.« – »Nun, ich habe Kranke da, schwere und leichte Kranke, Rekonvaleszenten und Geisteskranke. Ihr könnt Euch denken, welchen Einfluß der Lärm und die Verwirrung, die bei einer solchen militärischen Okkupation des Klosters unvermeidlich sind, auf diese Patienten hervorbringen muß.« – »Pah! Sie mögen sterben.« – »Das sagt Ihr, ich aber nicht.« – »So sagt es mit!« – »Der Ruf meiner Anstalt wird geschädigt!« – »Pah! Seid Ihr Schuld an dieser Okkupation?« – »Nein, aber die Folgen kommen dennoch über mich.« – »Ah!« lachte der Kleine. »Seit wann seid Ihr denn so zartfühlend und bedenklich? Ich denke mir, daß Euer Mißmut noch einen ganz anderen Grund hat!«
Er hatte recht. Der Pater dachte an seine Gefangenen, die er unter der Obhut seines Neffen hatte zurücklassen müssen. Was konnte da alles geschehen! Wie leicht konnte alles verraten werden! Dennoch antwortete er:
»Ich wüßte keinen Grund, den ich noch haben könnte.« – »Nun, so braucht Ihr Euch auch nicht aufzuregen. Also, dieses Militär ist des Nachts im Kloster eingezogen und hat dann des Morgens die Stadt Santa Jaga für den Kaiser in Besitz genommen.« – »Ist das gewiß?« – Ja. Ich war zwar nicht dabei, aber es versteht sich ganz von selbst. Ich mußte noch des Abends fort, bin aber von dem Gelingen dieses Streiches vollständig überzeugt, weil da niemand da war, Widerstand zu leisten.« – »Oh, der Teufel hat zuweilen seine Hand im Spiel.« – »Der ist ja unser Verbündeter!« lachte der Kleine. Ähnliche Demonstrationen sind noch an neun anderen Orten geschehen.« – »Wo?« – »Hier ist das Verzeichnis dieser Orte.«
Der kleine Dicke zog einen Zettel hervor, den er dem Pater gab.
»Soll ich dieses Verzeichnis behalten?« fragte dieser. – »Natürlich!« – »Wozu?« – »Um es in Queretaro vorzuzeigen.« – »Bei wem?« – »Beim Beichtvater des Kaisers.« – »Ist dieser auch mit uns verbündet?« – »Das geht Euch nichts an. Ihr meldet Euch bei ihm, und das übrige wird sich dann ganz von selbst finden.« – »Sind auch diese anderen Demonstrationen gelungen?« – »Ja. Ihr könnt darauf schwören.« – »Nun, so bin ich sicher, daß wir den Kaiser festhalten.« – »Ich ebenso. Habt Ihr vielleicht noch eine Frage?« – »Nein.« – »Nun, so reitet in Gottes Namen weiter. Wir sehen uns wieder, sobald es nötig ist.« – »Wohin geht Ihr jetzt?« – »Danach habt Ihr eigentlich gar nicht zu fragen. Da man aber doch zuweilen wissen muß, wonach man sich zu richten hat, so will ich Euch sagen, daß ich nach Tula gehe.« – »Also ebenfalls nach Queretaro.« – »Nein. Ich reise nicht durch, sondern um Queretaro herum.« – »Weshalb? Wir könnten ja miteinander reiten.« – »Nein. Man braucht uns nicht beisammen zu sehen. Adieu!«
Der kleine Dicke verschwand zunächst hinter einem Trümmerhaufen und kam sodann mit einem Pferd zum Vorschein, auf dem er davonritt.
Der Pater setzte ebenfalls seinen Weg fort, indem er wieder nach der Straße hinüberlenkte. Das, was er gehört hatte, war nicht geeignet, ihn in eine gute Laune zu versetzen.
In Querétaro angekommen, begab er sich zum Beichtvater des Kaisers, dessen Wohnung leicht zu erfragen war. Dieser betrachtete ihn forschend und fragte:
»Man meldet Sie mir als Pater Hilario?« – »Ja, der bin ich.« – »Vom Kloster Santa Barbara?« – »Dort wohne ich.« – »Ich kenne Sie bereits seit längerer Zeit.« – »Ich habe leider nicht die Ehre, mich zu besinnen, wann und wo …« – »Oh«, fiel der Beichtvater ein, »ich meine nur, daß ich Sie per Distance kenne, nämlich als verdienstvollen Arzt …« —»Sie beschämen mich.« – »Und als treuen Anhänger Seiner Majestät des Kaisers. Oder sollte ich mich in letzterer Beziehung irren?« – »Nein. Ich bin bereit, mein Leben für den Kaiser zu opfern.« – »Ich habe das erwartet. Übrigens ist mir Ihr Besuch gestern angekündigt worden.« – »Darf ich fragen, von wem?« – »Von einem Freund, den auch Sie kennen, den ich aber jetzt nicht nennen will. Welche Botschaft bringen Sie mir?« – »Ich bringe die ebenso gute wie wichtige Nachricht, daß sich einige Ortschaften für den Kaiser erhoben haben.« – »Ah! Das wäre allerdings höchst wertvoll.« – »Welche Ortschaften sind es?« – »Hier ist das Verzeichnis derselben.«
Der Beichtvater nahm den Zettel in Empfang und las die Namen.
»Das sind ja lauter Städte, die im Rücken des Heeres von Juarez liegen«, meinte er mit gutgespieltem Erstaunen. – »Allerdings.« – »Und sind diese Aufstände als gelungen zu bezeichnen?« – »Ja, sämtliche.« – »Wissen Sie das genau?« – »Ich kann es beschwören. Bei einem derselben bin ich sogar Zeuge gewesen.« – »Sie meinen Santa Jaga?« – »Ja.« – »Sie haben den Putsch mit angesehen?« – »Ich war dabei, als das Militär einzog und die kaiserliche Fahne auf die Zinne des Klosters pflanzte.« – »Wie verhielt sich die Bevölkerung?« – »Ausgezeichnet. Als der Morgen anbrach, jubelte sie dem Zeichen des Kaiserreiches zu.« – »Würden Sie diese Worte in Gegenwart des Kaisers wiederholen?« – Gern.« – »Ich werde Sie sofort zu ihm fuhren. Warten Sie einen Augenblick.«
Der Beichtvater des Kaisers trat in ein Nebenzimmer, scheinbar, um sich in Beziehung auf seine Kleidung auf den Gang zum Kaiser vorzubereiten. Aber in diesem Zimmer stand – der kleine Dicke.
»Nun, wie verhält er sich?« flüsterte dieser. – »Tadellos!« – »Bestätigt er alles?« – »Er sagt sogar, daß er bei dem Putsch in Santa Jaga gegenwärtig gewesen sei.« – »Ah, ich glaubte nicht, ihn so fügsam zu finden. Er ist das Werkzeug, das man zerbricht, nachdem man es gebraucht hat.« – »Ah, Sie wollen ihn opfern?« – »Was anders? Oder sollen wir fallen anstatt seiner?« – »Würde dies notwendig sein?« – »Sicher! Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß sämtliche Demonstrationen, deren Verzeichnis er besitzt, eine Lüge sind, ausgenommen diejenige in Santa Jage. Übrigens ist es nicht schade um den Kerl. Er hat Geheimnisse in seinem Kloster, die ich schon noch ergründen werde. Entweder er stirbt, oder wir beide sind verloren und – Miramon dazu.«
Der Dicke nannte diesen Namen so leise, daß er kaum gehört werden konnte.
»Ich werde ihn also zum Kaiser führen«, meinte der Beichtvater. – »Aber vorher zu Miramon.« – »Gut. Werde ich diesen in seinem Quartier treffen?« – »Nein, er ist hier im Kloster in seinem Kabinett.«
Kaiser Max hatte nämlich in dem Kloster la Cruz in Querétaro sein Hauptquartier aufgeschlagen. Dort wohnte natürlich auch sein Beichtvater, bei dem sich der Pater jetzt befand.
»Und wo treffe ich Sie wieder?« fragte der Beichtvater. – »Ich verlasse Querétaro sofort«, antwortete der Dicke. »Alle Botschaften senden Sie mir nach meiner Wohnung in Tula.«
Er verließ das Gemach durch eine Seitentür. Der Beichtvater aber trat in das Zimmer zurück, in dem der Pater sich befand. Seine Miene war die eines freundlichen Protektors, als er diesem sagte:
»Wir werden zunächst zum General Miramon gehen. Sind Sie bereit dazu?« – »Warum nicht direkt zum Kaiser?« – »Sie wissen ja, daß man zu gekrönten Häuptern nicht direkt gelangt wie etwa zu einem einfachen Bürger.« – »Ich stehe zur Verfügung.«
Sie verließen das Gemach und gingen über einen Korridor, bis der Geistliche eine Tür öffnete. Sie traten ein und befanden sich in einer Art Vorzimmer.
Hierauf klopfte der Beichtvater an eine nach innen führende Tür, die er öffnete, nachdem ein lautes, gebieterisches »Herein!« erschollen war.
Nachdem er die Tür sorgfältig wieder hinter sich zugezogen hatte, stand er vor dem berühmten oder vielmehr berüchtigten General, den man mit dem besten Gewissen als einen Räuber und sogar Verräter bezeichnen kann.
Dieser warf einen forschenden Blick auf ihn und fragte dann, ohne seine tiefe Verbeugung weiter zu beachten.
»Was bringen Sie mir?« – »Einen Mann, den ich Ihnen vorstellen muß.« – »Wer ist es?« – »Pater Hilario aus Santa Jaga.«