Kitabı oku: «Der Pontifex», sayfa 4
„Auch und vor allem hapert es gewaltig mit der Gerechtigkeit unter den Menschen! Und mit dem Frieden unter den Völkern ist es auch nicht weit her“, wirft der italienische Kardinal ein.
Er ist ein heimlicher Gegner Seiner Heiligkeit, einer der wenigen unter den anwesenden „Freunden“ Leos, die ihm ihre Stimme bei der Papstwahl nicht gegeben haben, sich jetzt allerdings geflissentlich darum bemühen, sich um den Heiligen Vater scharen zu dürfen. Er will unbedingt einer der Planeten sein, die sich um den Mittelpunkt „Sonne“ drehen …
„Selbst die Gegensätze zwischen den christlichen Glaubensrichtungen haben sich, anstatt sich zu nivellieren, weiter verschärft, vor allem zwischen Katholiken und Protestanten; längst sind alle Hoffnungen auf eine Annäherung, die etwa noch zu Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts bestanden haben mögen, wie eine Seifenblase zerplatzt!“
Der Heilige Vater beabsichtigt jedoch keineswegs, sich von di Gasparini die Gesprächsführung aus der Hand nehmen zu lassen.
„Wie wahr!“ fällt er dem Sprecher ins Wort. „Selbst das angestrebte brüderliche Miteinander mit der Ostkirche ist leider weiter denn je in die Ferne gerückt, nachdem zwischen Russland und Europa längst wieder die politische Eiszeit angebrochen ist.“
Die Handvoll Vertrauenswürdiger, die der Heilige Vater zur Diskussion in seine Gemächer geladen hat (bei Carlo di Gasparini haben seine Berater allerdings ordentlich danebengegriffen!), stimmen ihm vorbehaltlos zu.
„Man muss sagen, sowohl die Fronten der verschiedenen Religionen als auch diejenigen der Politik sind im Augenblick stark verhärtet. Die einzelnen Positionen stehen einander feindselig gegenüber und jederzeit ist eine Explosion der Gewalt möglich“, behauptet ein deutscher Kurienkardinal, Dr. Maximilian Werneth, ein gebürtiger Mainzer und einer der „Leo-affinen“ Geistlichen. „Media vita in morte sumus!“ („Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen!“) zitiert er ein wenig affektiert.
Er gibt damit wiederum dem Papst ein Stichwort. Der Heilige Vater kann sich nun weiter in einem Monolog ergehen, so wie er ihn immer bevorzugt.
„Besonders dramatisch steht es um die Beziehungen Roms mit dem Islam, gleichgültig ob schiitischer oder sunnitischer Ausprägung. Wenngleich ernsthafte laute Aufrufe zu irgendwelchen Bekehrungszwängen, womöglich mittels Selbstmordattentaten unseligen Angedenkens, derzeit noch unterbleiben! Wie lange noch?“, fragt der Papst und sieht sich dabei im Kreise seiner Vertrauten um, scheint jedoch keine Antwort darauf zu erwarten.
„Irgendwann werden die islamischen Fanatiker allerdings wieder zuschlagen!“, bricht es jäh aus ihm heraus und es klingt beinah wie eine düstere Prophezeiung. Die Temperatur im Raum scheint auf einmal um etliche Grad gesunken.
Seine Heiligkeit blickt jetzt dankbar und mit unverhohlener Zärtlichkeit hoch zu Schwester Monique, die ihm gerade frischen Espresso eingießt, ehe er, dieses Mal in normalem Tonfall, fortfährt: „Nebenbei bemerkt kommt es in letzter Zeit auch immer wieder zu ärgerlichen „Missverständnissen“ mit der jüdischen Orthodoxie, jener irgendwie bei uns Katholiken ungeliebten Urmutter des Christentums“, meint der Heilige Vater, wobei er zwar lächelt, seinen Gästen aber zugleich ein bekümmertes Gesicht präsentiert.
‚Aha! Längst vorbei die Zeiten des ‚Zweiten Vatikanischen Konzils’, als Papst Johannes XXIII. die Juden noch als unsere älteren Brüder im Glauben bezeichnet hat’, denkt sich Kardinal Carlo di Gasparini ironisch.
Aber er hält sich mit Bemerkungen zurück. Warum sich als Einziger das Maul verbrennen? Lieber lässt er sich von Schwester Monique von dem köstlichen Wein nachschenken, den Seine Heiligkeit zu dem Imbiss so großzügig spendiert.
DAS KREUZZEICHEN
„Im Namen des Vaters …“
Der neue Papst vom Schwarzen Kontinent zog und zieht die Hoffnungen, trotz seiner bestürzenden Antrittsrede, nicht nur der Katholiken auf sich; von ihm erwarten sich die Menschen aller Erdteile Anstöße in Richtung Humanität und Vernunft. Vor allem ernstzunehmende Anstrengungen für eine Befriedung der Menschheit insgesamt, ob gläubig oder nicht.
„Maurice Obembe, neuerdings Leo XIV., lautet jetzt also der Name des neuen Messias! Es scheint tatsächlich, als habe man seine erste Predigt im Petersdom bereits vergessen – oder nicht richtig verstanden. Ist in ihr nämlich nicht gerade die Rede von Frieden und Versöhnung zu hören gewesen. Anscheinend ist die Erwartungshaltung gegenüber diesem Papst aus Schwarzafrika so groß, dass man ihn am liebsten schon zu Beginn seines Pontifikats auf ein Heiligenpodest stellen möchte.“
Carlo di Gasparini, Chef der Katholischen Glaubenskongregation, behält, wie gesagt, seine ketzerischen Gedanken in bestimmten Kreisen für sich. Womit er übrigens keineswegs der Einzige ist. Lediglich in seinen eigenen vier Wänden legt er sich keinen Maulkorb an.
„Zu einem Heiligen scheinen weder Aufrufe zu Kampf, aktivem Widerstand, noch gar zu Blutvergießen zu passen“, meint auch Monsignore Barillo, als beide im Speisesaal eines römischen Hotels sitzen.
„Was wiederum nur beweist, mein lieber Giuseppe, wie wenig die Menschen über Kirchengeschichte Bescheid wissen! Sonst wäre ihnen bekannt, dass viele ‚Heilige’, sofern sie den höheren Chargen der weltlichen oder kirchlichen Hierarchie angehörten, Blut an ihren Händen hatten. Manche sind sogar buchstäblich darin gewatet“, behauptete der Kardinal gegenüber seinem Adlatus Giuseppe Barillo, als beide am nächsten Tag ein spätes Mittagsmahl zu sich nehmen. Vor ihm kann er sich offen äußern, ohne Gefahr zu laufen, dass der Monsignore ihn verpetzt.
Trotz der Verschiedenheit beider Männer überwiegen bei dem Untergebenen die Gefühle von Ergebenheit und Zuneigung. „Es bleibt mir in der Tat ein Rätsel, warum gerade Obembe, dieser bis dato nicht besonders durch zündende Ideen und zielführende Vorschläge zum Frieden oder zu sonst irgendetwas Erfreulichem aufgefallene Kardinal, als Papst auf einmal so riesige Hoffnungen auf sich vereinigt. Aber so eine provokante Frage stellt auch niemand – zumindest nicht laut! Auch ich halte mich mit Kritik wohlweislich zurück!“
„Sicher scheint nur Folgendes“, wirft Giuseppe Barillo ein: „Die Mehrheit der Menschen aller Rassen, Religionen und Weltanschauungen hat inzwischen genug von Intoleranz, Aufstachelung zu Krieg, zu Mord und Totschlag ‚im Namen Gottes’. Die meisten sind der vielen törichten Hasspredigten überdrüssig – genauso wie der ständigen Verunglimpfung und Diffamierung Andersdenkender.
Allmählich scheint auch der Dümmste zu bemerken, dass all das Gehetze nicht weiterbringt und die eigenen bescheidenen Lebensumstände um kein Jota verbessern hilft!“
„Vielleicht ist das auch mit ein Grund, weshalb man weltweit seine geharnischte, diplomatisch ausgedrückt, wenig von Klugheit geprägte Antrittsrede gar nicht weiter kommentiert hat“, vermutet Carlo di Gasparini, während er Barillo beobachtet, der wie immer beim Essen ordentlich zulangt – ohne jemals auch nur ein Gramm an Gewicht zuzunehmen. Beneidenswert.
„Es ärgert mich immer noch, dass es als Reaktion auf Leos ‚Kriegspredigt’ keinen empörten Aufschrei gegeben hat. Da habe ich mir doch zumindest heftigen verbalen Widerstand erwartet!“
* * *
Sooft er künftig in den Räumlichkeiten des Heiligen Vaters verweilt, hält der Kardinal sich bewusst etwas im Hintergrund und widmet sich lieber dem herrlichen Rotwein, den Schwester Monique eigenhändig in die Pokale einzugießen pflegt.
Die Nonne hat ihre schönen schwarzen Augen überall; niemals entgeht ihr, wenn ein Gast auf dem Trockenen sitzt. Während er seine dunklen, etwas wässrigen Äuglein wohlwollend über die Gestalt der Nonne gleiten lässt, macht sich ein Gefühl von Neid in seinem Herzen bemerkbar: ‚Warum nur hat dieser Kerl so ein unglaubliches Glück? Für ein solches Weibsbild als Geliebte würden manche ‚normal veranlagte’ Kleriker sogar morden …’
Wie ein Schatten gleitet sie an di Gasparinis Seite, ganz so, als habe sie es gespürt, dass seine Gedanken ihr gelten und versorgt ihn lächelnd erneut mit dem köstlichen Getränk aus dem Burgund, das der Papst nur ganz besonderen Gästen gönnt. Normalerweise werden am Tisch des Pontifex Weine aus Südafrika kredenzt – gewiss auch sie köstliche Tropfen.
Kurz darauf bemüht sich Schwester Monique erneut um den Kardinal, indem sie ihm auf einer Silberschale vorzügliches Mandelgebäck aus Florenz anbietet. Erneut mustert der ältliche Prälat die rassige Schwarze: ‚Die ‚Fürsorge’ so einer ‚Schwester’ ließe ich mir auch gerne auf Dauer gefallen …’
Obwohl natürlich nicht alle Anwesenden den gleichen Standpunkt wie der Papst vertreten – egal, zu welchem Thema er sich äußert – provoziert Leos Rede anscheinend niemals jemanden zu offenem Widerspruch.
‚Vielleicht ist es tatsächlich so, dass ein echter Konsens des friedlichen Miteinanders aller denkenden Individuen der Spezies homo sapiens gar nicht möglich ist’, denkt der Kardinal mit einer gewissen Ernüchterung, während er verzückt das Bouquet des edlen Weines einatmet. ‚Die Menschheit braucht anscheinend Krisen, Konflikte und Gewalt – und das Geschrei nach Frieden ist lediglich ein Wunsch, der im Grunde gar nicht in Erfüllung gehen soll!’
Diesen Gedanken möchte Kardinal Carlo di Gasparini demnächst mit seinem Sekretär besprechen. Obwohl er Monsignore Barillo nicht immer mit dem ihm zustehenden Respekt behandelt – im Gegenteil! – schätzt er seinen Intellekt doch sehr hoch ein.
Nachdem sich die Gäste des Heiligen Vaters verabschiedet haben, gesteht Papst Leo seiner Geliebten Monique, er selbst habe eigentlich mit einem gewaltigen Echo seiner Antrittsrede im Petersdom gerechnet. Nebenbei gesagt hatte ihm Schwester Monique von dieser Predigt eindringlich, aber leider vergeblich, abgeraten … Sie hatte noch nicht einmal ihre Koffer ausgepackt, als Leo XIV. schon ihren Rat, eigentlich ihre Zustimmung, erbeten hatte.
Als er diese nicht erhielt, die Nonne im Gegenteil entsetzt war über die aggressive Wortwahl, war Seine Heiligkeit eingeschnappt gewesen. Monique hatte sich ihre Ankunft im Vatikan eigentlich anders vorgestellt gehabt … Immerhin haben sie miteinander geschlafen.
Der Heilige Vater scheint das bereits vergessen zu haben, so distanziert, wie er sich ihr gegenüber immer noch gibt. Zum ersten Mal beschleicht sie eine leise Ahnung, es könne sich zwischen ihnen seit seiner Wahl zum Papst etwas Entscheidendes geändert haben. ‚Wollte er womöglich gar nicht, dass ich ihm nach Rom folge?’, überlegt sie mit einer Mischung aus Sorge, Selbstmitleid und Verbitterung. ‚Es wäre fairer gewesen, mir das rechtzeitig zu sagen!’
Leo XIV. ahnt nichts von den Gedanken, die auf seine Geliebte einstürmen. „Ich erhoffte mir ein leidenschaftliches Pro und Kontra, voll aufgewühlter Emotionen, deren Spektrum sich von frenetischer Zustimmung bis zu hysterischer Ablehnung erstrecken sollte.
Stattdessen, ma Chère: Nichts dergleichen! Nur sehr höfliche Zurkenntnisnahme, im Höchstfall lauwarme Zustimmung sowie Lob für eine ‚maßvolle und exzellente Formulierung’.
Das war keineswegs das von mir gewünschte Ergebnis. Dass ich brillant zu predigen verstehe, weiß ich selbst. Das mangelnde Echo auf meine allererste Predigt als Papst ist für mich ziemlich ernüchternd gewesen.“
Monique schenkt ihm zwar höflich Gehör, weiß aber ebenfalls keine Antwort darauf. Im Übrigen ist sie mit ihren Gedanken ganz woanders: Ihr schon seit frühen Mädchentagen geliebter Maurice hat sich zweifellos verändert.
‚Ob es der ungewöhnliche Stress ist, den er bisher als Kardinal nicht gewöhnt war?’, fragt sie sich gerade. Das würde sie zwar sehr bedauern, aber es wäre immerhin eine Erklärung, die sie nachvollziehen könnte. Sie überlegt, wie und inwieweit man Leo entlasten könnte, um ihm – und ihr – das bisher gewohnte einträchtige Miteinander wieder zu ermöglichen.
Augenblicklich sind sie nämlich weit davon entfernt, ein Liebespaar zu sein, so wie sie es seit fünfundzwanzig Jahren immer gewesen sind: In der zehnten Nacht, die seiner Wahl zum Pontifex folgte, als sie im Vatikan eingetroffen ist, hat er das letzte Mal mit ihr geschlafen; seither hat er sie nicht mehr angerührt. Das ist jetzt beinahe schon einen ganzen Monat her …
Dass der Status „Petrusnachfolger“ plötzlich impotent mache, davon hat sie noch nie gehört. ‚Soweit erstreckt sich nicht einmal die Wirkung des Heiligen Geistes, der angeblich bei jeder Kür des Kardinalskollegiums mitmischt’, denkt sie und muss unwillkürlich lächeln. Weder sie noch der neue Heilige Vater glauben an derlei „Kindereien“, wie Maurice es immer genannt hat.
Monique hat sich zwar im Großen und Ganzen ihre Religiosität bewahrt: Sie liebt Gott und Jesus, verehrt Maria und ein paar Heilige, hält treu zur Institution Kirche und hat Respekt vor dem höchsten Kirchenamt sowie den heiligen Sakramenten. Maurice hat es lediglich geschafft, sie vom naiv-kindlichen Glauben an so vieles, was die Kirche zu tun und zu glauben verlangt, zu befreien.
‚Mein Liebster wird doch wohl nicht ernsthaft krank sein?’
Dieser Gedanke, der ihr plötzlich durch den Kopf schießt, macht ihr im ersten Augenblick Angst, ehe sie ihn jedoch als absurd beiseiteschiebt: Es gibt kaum einen Mann, der mit Anfang fünfzig noch so ein Kraftpaket und geradezu ein Ausbund an Gesundheit ist wie ihr Maurice.
‚Ob ich mich jemals an den Namen ‚Leo’ gewöhnen werde?’, fragt sich die schöne Nonne.
Vermutlich nicht. Aber das wird keine Rolle spielen, denn vor Fremden wird sie ihn, wie alle anderen das auch tun, mit „Eure Heiligkeit“ und mit „Heiliger Vater“ ansprechen. In ihren intimen Stunden wird er für sie aber immer „Maurice, mon amour“, und „Chéri“ bleiben. Falls es endlich wieder zu solchen Annäherungen kommen sollte …
‚Vielleicht ist es an der Zeit’, überlegt sie ein klein wenig verschämt, ‚dass ich mich von mir aus etwas ‚ins Zeug lege’, um ihn zum Sex zu animieren – etwas, das ich bisher noch nie habe tun müssen …’
„Du zeigst mir den Pfad zum Leben. Vor Deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle.“
(Psalm 16, 11)
‚Vielleicht wäre es auch nicht verkehrt, seinen Leibarzt, diesen kenianischen Doktor Anoussinte zu bitten, sich Maurice einmal genauer anzusehen’, überlegt Schwester Monique ernsthaft.
Einesteils widerstrebt es ihr, den von ihr immer als eingebildet und überheblich empfundenen Mediziner, der jedoch einen hervorragenden Ruf als Arzt genießt, zu kontaktieren; andererseits erhofft sie sich Klarheit über den Gesundheitszustand ihres Geliebten.
Ohne lange zu überlegen, sucht sie bei nächster Gelegenheit Doktor Erneste-Philippe Anoussinte auf. Vorläufig hat er seine Wohnung noch im päpstlichen Palast. Es fehlte ihm bisher die Zeit, sich nach etwas Passendem umzuschauen; andererseits weiß er, dass der Heilige Vater es sehr schätzt, seinen „Medizinmann“, wie er ihn scherzhaft nennt, in seiner unmittelbaren Nähe zu haben. Obwohl geradezu strotzend vor körperlicher Fitness, neigt sein illustrer Patient nämlich zur Hypochondrie.
Wie erwartet ist der Leibarzt leicht verstimmt über ihr Ansinnen, etwas Intimes über seinen Patienten preiszugeben. Außerdem würde er es doch als Erster wissen, falls mit Seiner Heiligkeit etwas nicht in Ordnung wäre …
‚Wer ist hier der Mediziner?’, scheint sein arroganter Gesichtsausdruck zu fragen. ‚Ich weiß selbst am besten, wann eine Untersuchung Seiner Heiligkeit Sinn macht und wann nicht!’
Aber Schwester Monique lässt sich nicht beirren. Scheinbar nur um die penetrante Person loszuwerden, sagt Anoussinte schließlich zu, den üblichen Gesundheitscheck des Heiligen Vaters zeitlich vorzuziehen; jedoch nicht, ohne hinzuzufügen, ihre Besorgnisse für absurd zu halten. „Selten habe ich einen gesünderen Patienten betreut“, gibt er ihr mit auf den Weg.
Zwei Tage später ist es soweit. Leo XIV. lacht bloß, während der Doktor ihm den Blutdruck misst und seinen Brustkorb abhorcht, um Herzfrequenz und Lungenfunktion zu überprüfen.
„Ich habe mich nie besser gefühlt, mein Lieber“, behauptet er und der Arzt versichert ihn seiner Zufriedenheit. Zusätzlich zu seinem täglichen Fitnessprogramm empfiehlt er ihm ein paar Dehnungsübungen und schickt sich an, den Heiligen Vater zu massieren.
Während der Massage lässt er sich von Papst Leo mit Ergüssen über Politik, Religion und Kirche berieseln. Das ist dem Doktor ganz recht: So kann er seinen Atem sparen und erfährt ganz nebenbei noch einiges über Obembes Familie, was er bisher noch nicht wusste – und außerdem Neues über die augenblickliche Gedanken- und Gefühlswelt seines Patienten.
Der übliche Monolog seines Patienten plätschert so dahin; auf einmal hört der Arzt genauer hin. Ganz langsam beginnt er sich leicht unwohl zu fühlen. Dieses Gefühl verstärkt sich sogar noch etwas, ohne dass er vorerst genau zu definieren vermag, was es im Einzelnen ist, das ihn plötzlich aufhorchen lässt. In der Tat, manches klingt in den Ohren des Leibarztes sogar befremdlich.
Nun ist es ja nicht so, dass Erneste-Philippe Anoussinte so naiv wäre, zu glauben, allein die Tatsache, dass sein Patient Papst ist, bringe es mit sich, dass dieser besonders fromm und gläubig oder überhaupt ein guter Mensch sein müsse. Darüber kann jeder, der sich dafür interessiert, in der langen Geschichte der Päpste nachlesen … Er würde reichlich fündig werden, über brutale Egozentriker, Sadisten, Geisteskranke, Verbrecher aller Art bis hin zum Massenmörder: Alles ist vertreten in der illustren Schar der Heiligen Väter.
Aber was Leo XIV. in lässigem Plauderton gerade von sich gibt, irritiert den Arzt und macht ihn ziemlich nachdenklich.
Eines steht fest: Physisch ist der Heilige Vater in Topform; was allerdings seine Psyche anbelangt – das wird er als verantwortlicher Leibarzt genauer im Auge behalten müssen. Irgendetwas scheint ihm da womöglich gerade außer Kontrolle zu geraten.
Es existiert das Arztgeheimnis und Schwester Monique wird er natürlich nichts davon verraten. Und nicht nur aus einem Gefühl der Animosität heraus, wie sie vielleicht irrtümlich annehmen mag; sondern um ihr keine Angst einzujagen und damit ihr künftig im Vatikan mit Sicherheit äußersten Strapazen ausgesetztes Nervenkostüm zu destabilisieren. Leicht wird ihr Leben nämlich nicht werden – davon geht der Doktor aus. Das würde sich wiederum auf seinen Patienten negativ auswirken. Etwas, das er auf alle Fälle verhindern muss.
Eigentlich hätte er sie früher selbst gerne als Geliebte gehabt; aber das wird sie niemals auch nur im Entferntesten erahnen können und auch der Papst hat keine Ahnung davon. Anoussinte wird Monique im Gegenteil immer so behandeln, als verachte er sie im Grunde, als sei sie ihm lästig und von Herzen zuwider. Was so nicht stimmt: Mittlerweile ist sie ihm eher gleichgültig geworden.
Welchen Weg würde Leo XIV. einschlagen?
Den des friedlichen Konsenses, wovon die meisten, zumindest bis zu seiner denkwürdigen Predigt – und merkwürdigerweise danach immer noch –, ausgehen. Oder wird er sich tatsächlich als der konsequente Befürworter einer beinharten Auseinandersetzung erweisen, deren Ausgang natürlich nur in einem für die Kirche siegreichen bestehen dürfte?
Wobei letzteres von einer nicht ganz kleinen, aber im Moment noch stillen Minderheit der Hardliner erwartet, erhofft und geradezu herbeigesehnt wird …
KREUZZEICHEN
„ … und des Sohnes, …“
Nach Jahren und Jahrzehnten angeblicher und leider auch realer, punktuell immer aufs Neue aufflackernder „Glaubenskriege“ zwischen Christen und Moslems sowie zwischen Muslimen und Muslimen, ohne ein endgültiges Ergebnis, hat sich unter den einst Gewaltbereiten ein deutlich spürbarer Überdruss breit gemacht. Und zwar auf allen Seiten.
„Inzwischen sind, Allah sei gepriesen, die Selbstmordattentäter eines pervertierten Islam ausgestorben“, behauptet etwa ein hoher Imam an der Großen Moschee von Köln gegenüber Manfred Weidenmann, einem Starreporter und -moderator des ZDF, in einem zur besten Sendezeit ausgestrahlten Fernsehinterview.
Recht hat er! Kein vernünftiger junger Mensch ist noch, anders als beispielsweise noch vor zwanzig Jahren, ohne weiteres dafür zu begeistern, sein eigenes und das Leben anderer für eine irrwitzige, pseudoreligiös verschleierte Idee zu opfern.
Einer Wahnidee zumal, der überwiegend alte Männer des Islamischen Staates, kurz IS, zu huldigen schienen, während diese selbst gut geschützt aus der Deckung heraus Hetztiraden und todbringende Aufrufe gegen „die Ungläubigen“ unters ungebildete, dumpf-gläubige Muslimvolk streuten, die ihre meist sehr jungen männlichen Anhänger zu Tausenden das Leben kosteten – ganz abgesehen von einer Menge vollkommen Unschuldiger, die jeweils rücksichtslos und bewusst dem Verderben preisgegeben wurden.
Der bekannte Fernsehmoderator Weidenmann holt weiter aus:
„Während die Märtyrer des frühen Christentums sich wenigstens damit begnügt haben, allein oder mit ein paar Gleichgesinnten für ihre religiösen Überzeugungen den Weg des Martyriums zu beschreiten und freiwillig in den Tod zu gehen, ließen es sich die einstigen Allahu-akbar-Schreier angelegen sein, möglichst viele Ahnungslose mit ins Verderben zu reißen … Es handelte sich einfach um ‚religiös verbrämten Terror nur um des Terrors willen’.“
Da will der Imam, offenbar einer von der aufgeklärten Sorte, nicht widersprechen: „Es ist leider wahr, heimtückische Bombenattentate auf belebten Märkten, in Kaufhäusern, in ‚Fun-Parks’, auf Volksfesten, in Moscheen, bei Hochzeiten mit zahlreichen Gästen oder bei Bestattungen mit einer Vielzahl an Trauernden, sind ja leider schon Alltag gewesen!“
Der Moderator beendet den Beitrag mit folgenden Worten:
„Man kann durchaus von einer Pest des ausgehenden 20. Jahrhunderts sprechen, die bis in die Anfänge des 21. Jahrhunderts, ja, noch bis vor kurzem andauerte! Keiner vermag zu prophezeien, ob diese Seuche gänzlich ausgerottet ist oder ob sie nicht erneut jederzeit wieder ausbrechen kann. Es soll immer noch fanatische Anhänger des IS geben.
Man hofft und will nur allzu gern daran glauben, dass es durchaus Anzeichen dafür gibt, das Pontifikat Leos XIV. könne unter einem guten Stern stehen, zumindest was Verständigungsbereitschaft, Toleranz und Friedenswillen gegenüber allen anderen Glaubensgemeinschaften anbelangt!“
„Woher der Mann nur seinen Optimismus nimmt?“, mögen sich daraufhin einige, weniger Gutgläubige, gefragt haben …
Immerhin scheint man dem Papst aus Afrika allgemein zuzutrauen, auf die repräsentativen Vertreter anderer Religionen, vor allem des Islam, zuzugehen, um mit ihnen einen dauerhaften Frieden zu schließen. Und man scheint gar nicht zu bemerken, dass es hier bereits hakt: Wer sollen denn beispielsweise die „Repräsentanten des Islam“ sein? Es gibt sie doch überhaupt nicht.
Der Islam kennt keine vergleichbare hierarchische Gliederung wie man es vom Christentum, vor allem vom Katholizismus kennt.
Es gibt keine letzte Instanz, die für eine verbindliche, allgemeingültige Auslegung des Korans zuständig wäre; die Interpretationsmöglichkeiten der Imame und Mullahs eines jeden moslemischen Landes sind äußerst vielfältig – von den beiden einander ohnehin spinnefeind gesinnten Glaubensrichtungen der Schiiten und Sunniten einmal ganz abgesehen.
Nach Jahren der Resignation bei den großen christlichen Kirchen macht sich seit Leos Pontifikat erneut Hoffnung breit auf Restauration und vor allem göttlichen Beistand für den Bestand und die weltweite Verbreitung des katholischen Glaubens und der Institution Kirche überhaupt.
Da kann es schon mal passieren, dass man nicht immer so genau hinhört oder den Sinn des Gesprochenen ein wenig nach den eigenen Vorstellungen zurechtbiegt und uminterpretiert …
„Die Menschen hören in aller Regel zumeist nur das, was sie hören wollen!“, behauptet selbst Papst Leo. „Alles andere wird ausgeblendet. Zumal es mir doch ausgezeichnet gelungen ist, mich bei den Leuten durch eine ganz andere Aussage wieder als ‚guter Papst’ in Erinnerung zu bringen! Eine Binsenweisheit, die für alle Zeiten Gültigkeit zu haben scheint – und die nicht wenige Demagogen sich immer schon zu Nutze gemacht haben!“
Monique weiß genau, worauf ihr Geliebter anspielt. Nachdem das in früheren Jahren widerliche und ausgesprochen heikle Thema „Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche“ immer wieder hochgekocht war, war eine gewisse Zeit der Gemüterberuhigung eingekehrt. Aber neuerdings hatten sich wiederum Vorfälle ereignet, bei denen Priester erneut als Sexualstraftäter in Erscheinung getreten waren.
Ehrlicherweise musste Schwester Monique Seiner Heiligkeit zugutehalten, dass er, seit sie ihn kannte, stets mit großem Abscheu über diese Männer gesprochen hatte: „Absolut verwerflich sind solche Vergehen; zumal an unschuldigen Kindern!“
Als neulich wiederum derartige, auf keinen Fall zu billigende Taten an die Öffentlichkeit drangen, hatte Leo XIV. einen regelrechten Wutanfall bekommen. So außer sich hatten ihn Monique und sein Diener Paddy Lumboa lange nicht mehr erlebt.
Regelrecht explodiert war der Heilige Vater. Ausreden über „krankhafte Veranlagung“ dieser Täter ließ er nicht gelten.
„Wer so empfindet, hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich fachärztlich behandeln zu lassen! Wer nicht therapierbar ist, muss sich von Kindern und Jugendlichen fernhalten und gegebenenfalls sogar als Seelsorger zurücktreten!“
Außerdem forderte Leo XIV. strengste Bestrafung für überführte Täter – und zwar nach einem Prozess vor einem weltlichen Gericht – „und nicht bloß eine wachsweiche Abmahnung durch den jeweiligen kirchlichen Vorgesetzten und eine Versetzung an einen anderen Ort, wo diejenigen dann in aller Ruhe von Neuem ihr abscheuliches Tun weiterführen können!
Der Argentinier“ – gemeint war Jorge Bergoglio, alias Papst Franziskus – „hat zwar vor über zwanzig Jahren gegen diese scheinheilige Praxis opponiert und Besserung zugesagt, aber mittlerweile sind offenbar wieder die alten Verhaltensmuster lebendig geworden!“
Scharf griff er die betreffenden Bischöfe an: „Will sich denn keiner dieser Kirchenmänner an die Worte ihres angeblichen Gründers, Jesus von Nazareth, erinnern, der seine Verachtung für diese Art Täter, ohne Sexualverbrechen an Kindern gezielt zu benennen, folgendermaßen zum Ausdruck gebracht hat:
‚Wer einem dieser Kinder ein Leid zufügt, für den wäre es besser, man würde ihm einen Mühlstein um den Hals hängen und ihn in die Tiefe des Meeres versenken!’
Für diese Art Priester ist in der katholischen Kirche kein Platz! Natürlich rede ich nicht der Todesstrafe das Wort. Aber als ‚Seelsorger’ ist so ein Mann – solange es nicht gelingt, ihn von dieser unheilvollen Veranlagung zu befreien – wohl kaum geeignet! Und seine Schuld muss er auf jeden Fall, wie jeder andere Sexualstraftäter auch, in einem Gefängnis büßen!“
Nachdem sich diese Reaktion Leos in der Öffentlichkeit verbreitet hat, gewinnt er wiederum die Herzen derjenigen, die er bisher mit seinen Äußerungen verprellt, verunsichert oder gar abgestoßen hat.