Kitabı oku: «Der Pontifex», sayfa 9
„Wem sollte ich in Bezug auf Gott eher glauben – als Gott?“
(Ausspruch des heiligen Ambrosius)
„Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt.“
(Ausspruch von Mahatma Ghandi)
Ein weiterer Tag neigt sich dem Ende zu. Für Seine Heiligkeit war er ein wenig ermüdend, denn heute musste er zwei Priestern, der eine aus Polen, der andere aus Mexiko, die bischöflichen Weihen erteilen. Stattgefunden hat das aufwändige Spektakel in San Giovanni in Laterano, einer von drei exterritorialen Kirchen auf italienischem Staatsgebiet.
Er fühlt sich etwas erschöpft und hat sich nach dem gemeinsamen Abendessen mit den Schwestern Monique und Angélique sowie seinem Beichtvater sehr bald in sein Schlafgemach zurückgezogen.
Moniques Blicke verdüsterten sich, als klar war, dass er auch dieses Mal darauf verzichten würde, seiner Geliebten einen diskreten Wink zu geben, ihn später alleine aufzusuchen, um mit ihm die Nacht zu verbringen.
Leo Africanus wird sich stattdessen zur Entspannung erneut seiner momentanen Lieblingslektüre, dem Tagebuch seines Ururgroßvaters widmen.
Anfangs hatte der deutsche Reichskanzler, Otto von Bismarck, wenig Neigung gezeigt, sich militärisch in Afrika zu engagieren: „Die Möglichkeit militärischer Expeditionen ist meiner Ansicht nach absolut ausgeschlossen“, lautete sein Statement. Ja, der Kanzler äußerte noch Folgendes: „Lieber würde ich alle ostafrikanischen Kolonialversuche aufgeben, als militärischen Unternehmungen im Landesinneren zuzustimmen!“
Er zeigte sich über das Versagen der DOAG (Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft) und über den sich daraus ergebenden Aufstand der Einheimischen sehr ungehalten. Aber mit großer Selbstverständlichkeit nahm der Reichskanzler an: „Der Sultan von Sansibar wird die Kastanien schon aus dem Feuer holen und die Ordnung wiederherstellen!“
Das sollte sich als großer Irrtum erweisen.
Was Bismarck übersah, war das Faktum, dass der Sultan auf dem afrikanischen Festland über keinerlei Einfluss mehr verfügte. Was nach seiner Kungelei mit den Deutschen auch nicht verwunderlich war … Für das Deutsche Reich wäre ein tatsächlicher Rückzug aus Ostafrika einem gewaltigen Prestigeverlust gleichgekommen und hätte überdies der ohnehin kolonialkritisch eingestellten Opposition im Berliner Reichstag in die Hände gespielt. Darum steuerte Bismarck um auf einen erstaunlichen Kurswechsel.
Als Erstes einigte er sich mit den Engländern auf eine Seeblockade der gesamten Küstenregion. Hier erwies sich erstmalig, dass die Europäer durchaus gewillt waren, ihre beiderseitigen Differenzen ruhen zu lassen, sobald es sich darum handelte, Aufstände in ihren jeweiligen Kolonien zu unterdrücken. Bismarck fand sich auf einmal doch bereit, die nötigen Gelder für ein militärisches Eingreifen in Deutsch-Ostafrika aufzutreiben.
„Denn der Sünde Sold ist der Tod, die Gabe Gottes aber ist das Ewige Leben in Jesus Christus, unserem Herrn.“
(Römer 6, 23)
Da er sich nicht allein auf die Aufzeichnungen seines Urgroßvaters verlassen wollte, ließ Leo Africanus es sich angelegen sein, sich immer mal wieder durch die Lektüre auch neuerer Geschichtsbücher schlau zu machen, beziehungsweise das bisher Geglaubte durch historische Erkenntnisse neueren Datums zu unterfüttern oder zu verifizieren. Quellen dazu fand er reichlich.
Weil im damaligen Reichstag, der die Freigabe dieser Mittel genehmigen musste, die kritisch eingestellte katholische Zentrumspartei über eine wichtige Stimme verfügte, versuchte Bismarck, sie sich mit dem scheinheiligen Argument geneigt zu machen, es handele sich bei dem geplanten Militäreinsatz hauptsächlich um den Kampf gegen die Sklaverei.
Wie man die Öffentlichkeit erfolgreich zu täuschen vermag, hatte ihm der belgische König Leopold schon jahrelang aufs Perfideste vorgemacht: Er ließ nämlich seine Privatkolonie namens „Kongo-Freistaat“ unter dem humanen Deckmäntelchen der „Anti-Sklaverei-Bewegung“ betreiben.
Der wachsenden Kritik an den menschenunwürdigen Zuständen im „Freistaat“ Kongo (schon der Name ein purer Hohn!), an der Zwangsarbeit, den Prügelstrafen und den Massenmorden an der einheimischen Bevölkerung, begegneten Leopolds Speichellecker stereotyp mit dem Hinweis auf „die Notwendigkeit energischen Vorgehens gegen die wahren Feinde der Afrikaner“, womit die arabischen Sklavenhändler gemeint waren.
Unter Leopolds Sympathisanten befanden sich immerhin so bekannte Persönlichkeiten wie Henry Morton Stanley, britischer Journalist und Afrikareisender, der unter anderem den in Afrika verschollenen Missionar und Afrikaforscher David Livingstone 1871 aufspürte.
Um den Reichstag für die Bewilligung von Mitteln für die Aufstandsbekämpfung zu gewinnen, änderte Bismarck seine bis dato ablehnende Haltung und hielt in einer Aktennotiz fest: „Kann man nicht schaurige Details über Menschenquälerei auftreiben?“
Bismarcks Kalkül ging tatsächlich auf: Im Januar 1889 bewilligten die Abgeordneten des deutschen Reichstags zwei Millionen Mark „für Maßnahmen zur Unterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutze der deutschen Interessen in Ostafrika.“
Zusätzlich zu dieser Summe mussten bis zur Niederschlagung des Aufstandes noch einmal 1,2 und später noch weitere 4,5 Millionen Reichsmark bewilligt werden. Die Leitung dieser militärischen Aktion wurde dem ehemaligen Forschungsreisenden und Hauptmann Hermann Wissmann übertragen.
Dieser kannte Afrika gut, da er den Kontinent zwischen 1880 und 1882 von West nach Ost durchquert und danach mehrere Expeditionen für König Leopold von Belgien im Kongo durchgeführt hatte.
Von Reichskanzler Bismarck erhielt Wissmann die klare Order: „Ich gebe Ihnen immer wieder nur den einen Auftrag: Siegen Sie!“
Und Hauptmann Hermann Wissmann sollte seinen Reichskanzler nicht enttäuschen.
LESUNG AUS DEM ALTEN TESTAMENT
„Von allen Seiten umgibst Du mich und hältst Deine Hand über mir.“
(nach Psalm 139)
„Meine Zeit steht in Deinen Händen.“
(Psalm 31, 16)
Es ist lange nach Mitternacht, aber in den päpstlichen Gemächern brennt wie gewöhnlich noch Licht. Nachdem er seine üblichen Fitnessübungen absolviert hat, ist Seine Heiligkeit, Papst Leo XIV., immer noch an seinem Schreibtisch beschäftigt. Das Tagebuch seines Vorfahren und die Geschichtsbücher über Afrika hat er längst beiseitegelegt und brütet jetzt über einem Stapel von Papieren.
Seit jeher misstraut er der Sicherheit des Internets und würde niemals wirklich Relevantes und Brisantes elektronischen Medien oder gar einer Cloud anvertrauen: Alles kann von Böswilligen gehackt werden, durch einen Fehler im System auf immer verloren gehen oder in Hände geraten, für die es keineswegs bestimmt ist …
Erst als vertrauenswürdige – natürlich schwarze – Fachleute ihm mehrfach versichert haben, sein persönlicher Internet- und Telefonanschluss im Vatikan sei absolut und zweifelsfrei ebenso abhörsicher wie das „Weiße Telefon“ in Washington und das „Rote“ in Moskau, führt der Heilige Vater hin und wieder direkte Gespräche mit bedeutenden Personen und Politikern in aller Welt.
Dennoch: Was ihm persönlich wichtig erscheint, verfasst er nach wie vor handschriftlich und zwar in einer nur ihm und seinem vertrauten Sekretär, Monsignore Jean-Baptiste Sékuré, geläufigen Geheimschrift.
Seine Korrespondenzen, seine Notizen und Abschriften sind derart zahlreich, dass sich leicht erklären lässt, wozu der eingangs einigen Geistlichen befremdlich erschienene Riesensafe dient, dessen Inhalt allein einer einzigen Person bekannt ist: Papst Leo.
Der Heilige Vater hat es sich längst „bequem gemacht“ und sitzt in einer beigefarbenen, blau gestreiften arabischen Djellabah vor den vor ihm ausgebreiteten Schriftstücken. In Material und Machart ist dies ein nahezu identisches Kleidungsstück, wie er es einst als Knabe und Heranwachsender in seiner ostafrikanischen Heimat getragen hat.
Diese Art Hemd, meist knöchellang und kragenlos, mit langen Ärmeln, tragen heute noch die meisten Männer bei ihm zuhause. Vor allem in der Freizeit sind Djellabahs bequemer als Jeans. Sie sind luftig, kneifen nicht, engen „unten“ nicht ein (!) und schützen gleichzeitig vor Hitze und Insekten.
Leo XIV. liebt diese stillen Nachtstunden, in denen er sich ganz allein und ungestört jenen Dingen widmen kann, die ihm wirklich am Herzen liegen. Dass dazu immer seltener die Gesellschaft von Monique gehört, betrachtet er nicht wirklich als sein Problem. Er ist der Meinung, sie fühle sich wohl. Aber im Grunde denkt er kaum über seine Geliebte und ihre Gefühlslage nach.
Tagsüber ist es im Vatikan oftmals sehr hektisch; aber niemals fiele es ihm ein, seine alltäglichen Pflichten zu vernachlässigen. Seine Heiligkeit hat sich in kürzester Zeit zu Recht den Ruf erworben, ungeheuer schaffensfroh, unternehmungslustig und fleißig zu sein.
Dazu gehören nicht nur Empfänge von Staatsoberhäuptern, die allesamt von ihm und seinem Charme, gepaart mit Intelligenz und Humor, schwärmen, und von Abordnungen einfacher Gläubiger, die ihn hinterher wegen seines ausgesprochen liebenswürdigen Wesens nicht minder in den Himmel heben, weil er es versteht, jedem Einzelnen die Illusion zu vermitteln, er würde sich ganz explizit nur für ihn und seine Probleme interessieren …
Diese ganz spezielle Art, mit anderen Menschen umzugehen, sie zu betören und einzuwickeln, hat er bereits als ganz junger Mann zur Kunstform erhoben. Damit schafft der Heilige Vater es, auch Leute, die keine Sympathie für ihn empfinden, ja, die ihm eigentlich feindselig gegenüberstehen, am Ende doch noch für sich einzunehmen.
Zu den Dingen, die er sich selbst auferlegt, gehört auch das Absolvieren zahlreicher Reisen rund um den Globus. Etwas, das ihn weit über die Hälfte seiner Zeit vom Kirchenstaat fernhält.
Eine Tatsache, die dem Heiligen Vater nicht unlieb ist; wohl fühlt er sich nämlich im Kirchenstaat keineswegs, obwohl er „die Schlangengrube von den schlimmsten Ottern und Vipern gesäubert“ hat, wie er seiner zunehmend frustrierten Geliebten Monique in ruhigen Augenblicken gerne mal verrät. Es will ihr einfach nicht gelingen, Maurice’ Aufmerksamkeit auf ihre Person zu lenken; banal ausgedrückt möchte sie, dass er endlich wieder einmal mit ihr zu schlafen geruht.
Die Einladungen in sämtliche Winkel der Erde stapeln sich geradezu. Und Leo Africanus ziert sich nicht; er ist Reisender aus Leidenschaft. Angst vor Attentaten empfindet er keine.
Daraufhin angesprochen zitiert er oft und gerne den schönen Satz: „Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand. (Weisheiten 3, 1).“
Eine beinah kindlich zu nennende Neugier auf Orte des Erdballs, die ihm bislang unbekannt gewesen sind, treibt ihn in immer kürzeren Abständen dazu an, ein Flugzeug zu besteigen. Er plant bereits eine neue Pastoralreise, oder „Missionstour“, wie er es nennt.
„Wenn unsere Tage verdunkelt sind und unsere Nächte finsterer als tausend Mitternächte, so wollen wir stets daran denken, dass es in der Welt eine große segnende Kraft gibt, welche Gott heißt.“
(Martin Luther King)
„Überall empfängt man dich, mein Liebster, mit großer Begeisterung und geradezu überschwänglicher Freundlichkeit!“
Schwester Monique ist beeindruckt über diese gar nicht so selbstverständliche Tatsache: Bekanntlich ist „Kirche“ und alles, was dazu gehört, derzeit nicht gerade besonders „in“. Und diese Aversion ist keineswegs nur auf den Kontinent Europa beschränkt. Umso erstaunlicher die Beliebtheit des „Leo Africanus“. „Man lobt deine geistreichen Predigten, in denen du ‚der Tugend der Humanität das Wort redest und dabei eine Sanftmut und Milde ausstrahlst, die deine Zuhörer förmlich verzaubert’: So stand es zumindest neulich im Corriere de la Sera!“
„Weißt du, Liebes“, der Heilige Vater lächelt geschmeichelt, antwortet aber gespielt bescheiden: „Vielleicht liegt es daran, dass ich grobe Fehler vermeide. Etwa Schnitzer von jener Art, die sich einst einer meiner Vorgänger, ein Papst aus Polen, geleistet hat.
Der brachte es doch tatsächlich fertig, in einer Predigt in Südamerika ausgerechnet vor einem Indio-Publikum zu behaupten, die einstige Invasion der Spanier mit all ihren Gräueln sei ‚ein ausgesprochener Segen und ein großes Glück für die indigene Bevölkerung’ gewesen! Das Wort ‚Invasion’ hat er natürlich nicht benutzt und von ‚Gräueln’ war selbstverständlich auch keine Rede.“
Monique scheint irritiert; darüber hat sie noch nichts gehört.
„Ja, meine Liebe, das hat er tatsächlich so formuliert! Im Grunde hätten die damals heidnischen Indios doch geradezu auf die katholischen Weißen gewartet, damit diese ihnen die Segnungen des Christentums brächten! Und in der Tiefe ihres Herzens wären sie – damals wie heute – dankbar dafür gewesen.“
Der Heilige Vater kann ein bitteres Lachen nicht mehr zurückhalten.
„In der Tat ein starkes Stück angesichts der Ermordung und Versklavung Hunderttausender indigener Bewohner und der brutalen Zerstörung ihrer einzigartigen Hochkultur! Ein Aderlass, von dem sie sich nie mehr erholt haben.“
„Das ist ja unglaublich! Davon habe ich nichts gewusst“, erwidert Schwester Monique und kann ihren Widerwillen nur schwer verbergen.
„Da konnte dieser Heilige Vater ja von Glück sagen, dass man ihn nicht ausgepfiffen oder mit Tomaten beworfen hat! Es wäre auch kein Wunder gewesen, wenn sie ihn sofort aus dem Land komplimentiert hätten.“
„Von wegen! Geklatscht und gejubelt hat das dämliche Volk!“, regt Leo sich noch nachträglich auf. Dann senkt er etwas die Stimme: „Aus verständlichen Gründen ist man damals aber auch nicht gerade mit diesem Teil seiner Ansprache hausieren gegangen. Schließlich waren ja nicht alle ungebildet und viele wussten durchaus Bescheid, wie das mit den ‚frommen Spaniern’ damals tatsächlich abgelaufen ist.“
„Du sprichst von Papst Johannes Paul II., nicht wahr? Das war doch jener Papst, der das Zweite Vatikanische Konzil am liebsten ungeschehen gemacht hätte! Ich meine, davon gehört zu haben. Eigentlich hätte dieser Heilige Vater mit seinen Ansichten zwei-, dreihundert Jahre früher leben sollen. Ich erinnere mich, ebenfalls gelesen zu haben“, fügt die schwarze Ordensfrau dann leiser und kopfschüttelnd hinzu, „dass gleich nach seinem Tod seine Anhänger auf dem Petersplatz ‚Santo subito!’ geschrien und seine sofortige Heiligsprechung verlangt haben!“
Aber Leo Africanus hört Monique bereits nicht mehr zu; er widmet sich weiter ganz intensiv der Abfassung einer Predigt, die er in Kürze zu halten gedenkt. Barmherzigkeit und Milde, Verständnis und Verzeihen soll sie zum Ausdruck bringen. Der Heilige Vater hat aus den Reaktionen auf seine verunglückte „Antrittsrede“ im Petersdom gelernt …
Für die Ausarbeitung seiner Reden und Predigten und für Überlegungen, seine ganz speziellen Pläne betreffend, bleibt ihm meist nur die Zeit nach der „Geisterstunde“, die er zu nutzen pflegt, ehe er sich in den frühen Morgenstunden zur Ruhe begeben kann. Was ihn allerdings nicht daran hindert, jeden Morgen bereits um sechs Uhr wieder aufzustehen. Gut, dass Seine Heiligkeit zu jenen Menschen gehört, die mit wenigen Stunden Schlaf auskommen, worauf er auch nicht wenig stolz ist. Leo Africanus betont oft und gerne, dass er diese großartige Eigenschaft mit Napoleon Bonaparte teile …
Ein Vergleich, den ihm schon einige schwarze Politiker und Kirchenleute sehr übel genommen haben: Statt eines weißen Usurpators, meinen sie, solle er sich lieber einen Farbigen wie Martin Luther King oder Desmond Tutu zum Vorbild nehmen …
Das mangelnde positive Echo seiner ersten Ansprache hat Papst Leo zwar enttäuscht, wenn auch nicht allzu stark verwundert. Anschließend ist es gewesen, als habe man die Rede überhört oder gar nicht verstehen wollen. Entsprach diese doch so gar nicht den Erwartungen, die man in ihn gesetzt hatte – dessen war er sich bewusst …
Auf einmal erfasst Leo XIV. das ungute Gefühl, es ergäben sich hier womöglich Parallelen zwischen ihm und genau diesem vorhin erwähnten Vorgänger aus Krakau, der als Papst ebenfalls ständig unterwegs gewesen ist und gelegentlich absurde Dinge von sich gegeben hat – und den er persönlich überhaupt nicht sympathisch findet.
Kurzzeitig gerät der Heilige Vater stark ins Grübeln.
„Denn bei Dir ist die Quelle des Lebens, und in Deinem Lichte sehen wir das Licht.“
(Psalm 36)
Schwester Monique hat sich mittlerweile längst zurückgezogen, und zwar in ihr eigenes kleines, aber feines Appartement, das sie mit ihrer Nichte Angélique teilt. Ihr Geliebter hat wieder einmal durch nichts erkennen lassen, dass er heute Nacht (wie während der vergangenen Nächte auch) „ihre Gesellschaft wünscht“ …
Und sich ihm förmlich aufzudrängen ist ihre Sache nicht. Das hat die schöne Frau, die ihr ganzes Leben nur nach ihm, seinen Launen, Bedürfnissen und Gelüsten ausgerichtet hat, noch nie getan.
Es mag widersprüchlich erscheinen, aber es ist dennoch die Wahrheit: Trotz jahrzehntelanger häufiger und äußerst lustvoller und abwechslungsreicher Sexualpraktiken ist Monique im Grunde ihres Herzens eine demütige, treue, bescheidene und – ja, man kann sagen, eine keusche Geliebte gewesen und geblieben. Er hat sie geformt nach seinen Bedürfnissen und sie war eine gelehrige Schülerin, die nicht einmal im Traum daran denken würde, ihn jemals mit einem anderen Mann zu hintergehen.
Alles, was sie je getan hat, geschah allein für Maurice Obembes Befriedigung. Falls er sie jedoch als Geliebte nie mehr wird haben wollen, würde sie das in Demut hinnehmen und ertragen müssen. Auch wenn es ihr sehr, sehr schwer fiele …
Eine Rückkehr in ihr Kloster in Ghanumbia zieht sie keinesfalls in Erwägung. An Tagen, an denen ihre „Gastgeberpflichten“ nicht benötigt werden, streift Monique in zivil durch Rom, um all die vielen Sehenswürdigkeiten aus weit über zweitausend Jahren zu genießen, von denen sie vor Jahren im Schulunterricht gehört hat.
Meistens wird sie dabei von Angélique begleitet. Was Monique am meisten Freude bereitet, ist das kindlich-naive Staunen der Jüngeren, die um vieles weniger Ahnung von Europas Kunstschätzen besitzt als ihre Tante.
* * *
In der nächtlichen Stille seines modern und bestens ausgestatteten Arbeitszimmers überlegt der Papst wohl zum hundertsten Mal immer wieder das Gleiche: Wie mögen sich anlässlich seiner ersten Predigt seine Einlassungen für die überrumpelten Gläubigen tatsächlich angehört haben? Ausgerechnet er, der der große Friedenspapst werden sollte, forderte sie zum Kampf auf?
Vatikan-Kommentatoren und selbsternannte „Papstversteher“ hatten sich auch, wie von ihm erwartet, umgehend mächtig ins Zeug gelegt und das Gesagte flugs ins rein Theoretische transponiert: Das Gesagte wäre nur rein ideell zu verstehen und keineswegs real! Der Heilige Vater sei selbstverständlich ein zutiefst friedliebender Mensch und jede Aufforderung zum Kampf sei sozusagen nur „metaphysisch“ gemeint und habe nichts mit Bomben und Granaten zu tun.
Leo muss heute noch darüber grinsen, sobald er daran denkt.
‚Wahrscheinlich sind sich bald alle hinter vorgehaltener Hand einig gewesen, es sei wohl am klügsten, meine Ausführungen so weit wie möglich mit Stillschweigen zu übergehen.’
„Meine Güte“, murmelt der Papst leicht erschrocken. „Schon wieder eine Übereinstimmung mit Johannes Paul II.! Muss ich mir tatsächlich allmählich Sorgen machen?“
Seine von Anfang an kircheninternen Gegner und Neider in Rom haben offenbar einmütig beschlossen, „den Ball vorerst flach zu halten“, wie es Kardinal Carlo di Gasparini burschikos auszudrücken beliebt. O, ja, auch Leo Africanus hat seine Zuträger im Vatikan, die ihm über alles, was relevant sein könnte, Bericht erstatten …
Zu denen, die fürs Totschweigen plädieren, sind für den Heiligen Vater auch jene zu zählen, die jeden Tag stärker versuchen, ihm Hindernisse in den Weg zu legen, Knüppel zwischen die Beine zu werfen oder seine Anordnungen einfach ins Leere laufen zu lassen – in der Annahme, er sei so töricht, es nicht zu bemerken.