Kitabı oku: «Träume nicht dein Leben», sayfa 3
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Als die Kamera endlich in ihrer Tasche verstaut war, lotste mich Bürgermeister Berger mit sich in das Rathaus, das sich schräg hinter der Bühne befand. Ich folgte ihm, obwohl mir unbehaglich zumute war. Was würde nun passieren?
»Also, die Aufnahmen werden zum königlichen Sender gebracht. Wahrscheinlich werden sie übermorgen ausgestrahlt. Am gleichen Tag wird dich eine E-Bahn der Königsfamilie abholen und zum Palast der Einheit bringen. Bis dahin solltest du also gepackt haben«, redete der Mann drauf los. Er öffnete mir eine Tür im Erdgeschoss und winkte mich in den Raum dahinter.
Ich trat über die Schwelle und schaute mich um. Es war ein Büro, überall lagen Aktenordner herum. Vor mir befand sich ein Schreibtisch, dahinter ein Stuhl, auf den sich der Bürgermeister setzte. Ich ließ mich zögernd auf dem Sessel gegenüber nieder.
»Deine Eltern wissen Bescheid, ja? Haben sie die Übertragung gesehen?«, fragte mich der Mann, während er in einer Schublade kramte.
»Ja, von zu Hause aus.«
Oh Mann, daran hatte ich noch überhaupt nicht gedacht. Wie hatte mein Vater darauf reagiert, dass ich gezogen worden war? Wahrscheinlich war er in einen Schockzustand gefallen und anschließend durchgedreht. Ich hoffte sehr, dass meine Mutter ihn beruhigen konnte.
Falls sie das überhaupt wollte. Sie hatte meine Träume zwar akzeptiert und meinen Vater sogar überzeugt, mich zur Bewerbung gehen zu lassen. Aber sie hatte bestimmt nicht damit gerechnet, dass es so weit kommen könnte, dass mein Name ertönte.
»Ich werde jemanden schicken, der sie herbringt. Es gibt da noch ein paar Formalitäten zu regeln.« Bürgermeister Berger zog ein Taschentuch hervor und tupfte sich damit die feuchte Stirn ab. »Deine Adresse?«
Ich nannte sie ihm und er verschwand aus dem Büro. Um mich von meiner Nervosität abzulenken, begutachtete ich die zweckmäßige Einrichtung, bis er zurückkehrte. Danach saßen wir weitgehend schweigend herum, bis endlich die Tür aufging und meine Eltern hereinrauschten. Vor allem meinem Vater war der Unmut anzusehen.
»Du sagtest, du würdest nie und nimmer gezogen werden!«, schrie er mich an.
Ich zog die Schultern bis zum Kinn. »Das habe ich mir nicht ausgesucht.«
»Aber du wolltest, dass genau das passiert!« Mein Vater wirkte fuchsteufelswild. »Keinesfalls hätte ich dir das erlauben sollen!«
»Bruno.« Meine Mutter legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter, doch er schüttelte sie ab wie eine lästige Fliege. »Jillian kann nichts für das Los.«
»Sie kann etwas für die Bewerbung, Karen!« Er wandte sich wieder an mich. »Wie kannst du nur glauben, es durchzustehen, mit vierundzwanzig Mädchen um fünf Jungs zu konkurrieren? Du weißt doch, wie das das letzte Mal ausgegangen ist!«
Mir stieg das Blut in die Wangen, als er auf die Situation in meiner Vergangenheit anspielte, an die ich mich selbst vorhin erinnert hatte. Die ich eigentlich längst abgehakt hatte. Allerdings hatte sie mich vermutlich zu der gemacht, die ich heute war: einer unsicheren Einzelgängerin.
Insofern waren die Befürchtungen meines Vaters womöglich sogar berechtigt.
»Das war doch kein Konkurrieren, Bruno«, schaltete sich meine Mutter erneut ein. »Das kann man nicht miteinander vergleichen.«
»Ach ja? Ein paar Jungs und zu viele Mädchen – wo ist da der Unterschied?«, entgegnete er. »Und du siehst doch, was das mit ihr gemacht hat.«
Ich hatte das Gefühl, in mir zusammenzuschrumpfen. Ich hatte immer gedacht, mein Vater wäre stolz auf den Ehrgeiz, den ich entwickelt hatte. Stattdessen schien ihm mein mangelndes Sozialleben zu missfallen. Jedenfalls hatte ich ihn noch nie so wütend erlebt. Und auch meine Mutter schien nicht mehr zu wissen, was sie dagegen tun sollte. Sie zuckte nur die Schultern und mied seinen Blick.
»Ähm, offenbar gibt es hier ein paar Unstimmigkeiten«, mischte sich Bürgermeister Berger ein, der aussah, als wäre er gerade lieber irgendwo anders.
»Allerdings!« Mein Vater verschränkte die Arme vor der Brust. »Nie und nimmer macht meine Tochter bei dieser Farce mit!«
»Darüber können Sie nicht mehr entscheiden.« Hektisch tupfte der Bürgermeister seine Halbglatze ab. »Wie ich aus Ihren Worten heraushöre, haben Sie ihr die Erlaubnis zur Bewerbung erteilt, oder nicht?«
»Ja, aber nicht für dieses TV-Event!«, entgegnete mein Vater wütend.
»Die Erlaubnis für das eine ist identisch mit der Erlaubnis für das andere. Einmal erteilt, kann man sie nicht mehr zurücknehmen. Jillian hat das mit ihrer Unterschrift auf den Bedingungen bestätigt.«
»Bedingungen?« Mein Vater sah mich vorwurfsvoll an. »Wovon spricht er, Jillian?«
»Unter anderem davon, dass ich nicht mehr zurückziehen könnte, selbst wenn ich es wollte«, sagte ich leise, konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen. Meiner Mutter allerdings schon, die schockiert wirkte. Was jedoch weniger an meiner Aussage lag, als daran, dass ich ihnen nichts davon erzählt hatte. Nur wollte ich vermeiden, dass sie während der Bewerbungsphase doch noch ein Veto einlegten. Keine Ahnung, ob das funktioniert hätte, aber ich hatte es nicht austesten wollen.
Bürgermeister Berger durchbrach die drückende Stille. »Prinz Stephan hat sie höchstpersönlich gezogen. Das heißt, sie wird zum Palast der Einheit reisen und das Connecting mitmachen. Sie können daran nichts mehr ändern.«
Als ich meinen Vater aus dem Augenwinkel den Kopf schütteln sah, wandte ich mich ihm wieder zu. Seine Wut war abgeflaut, stattdessen waren seine Gesichtszüge vor Enttäuschung verzogen.
»Ich kann nicht fassen, dass du das getan hast, Jill.«
Alles in mir spannte sich an. Indem ich meine Träume verfolgt hatte, hatte ich ihn vor den Kopf gestoßen. »Es tut mir leid, Papa«, murmelte ich, während mir Tränen in die Augen stiegen.
»Das will ich hoffen.«
»Kannst du mir verzeihen?«
»Nein. Denn ich habe hautnah miterlebt, was die ganze Ablehnung dir angetan hat. Ich kann nicht fassen, dass du das alles wiederholen willst. Vor Millionen von Menschen.« Er drehte sich zur Tür. »Viel Erfolg dabei, dir dein Leben zu ruinieren.«
Er marschierte hinaus, ohne mich noch mal anzusehen. Zum zweiten Mal heute war ich erstarrt. Sogar die Tränen wollten nicht meine Wangen hinunterlaufen. Noch nie hatte ich gleichzeitig einen so großartigen und einen so miesen Tag gehabt.
»Ähm, dürfte ich dann eventuell mit Ihnen die Formalitäten besprechen, Mrs. Haas?«, mischte sich die Stimme des Bürgermeisters in meine Schuldgefühle.
Ich sah zu meiner Mutter, die noch immer etwas verstört herumstand. Ihr Blick wanderte von dem korpulenteren Herren zu mir. Ich schluckte, unsicher, ob sie ebenfalls nicht hinter mir stehen würde. Bevor ich ihren Gesichtsausdruck deuten konnte, verschleierten die Tränen mir mein Sichtfeld und ich musste heftig blinzeln.
»Dann setzen wir uns mal lieber«, hörte ich meine Mutter sagen. Ich spürte ihre Hand auf meiner Schulter. Und als ich endlich wieder etwas erkennen konnte, war es ein Lächeln, das auf ihren Lippen lag.
5
Dass mein Vater mich für den restlichen Tag und auch den darauffolgenden ignorierte, machte mir meine gesamte Vorfreude wegen des Connectings zunichte.
Meine Nervosität tat ihr Übriges, sodass ich mich wie ein komplettes Nervenbündel fühlte, als ich meine Sachen für den Aufenthalt im Palast der Einheit packte. Ich war mir unsicher, was ich alles brauchen würde, aber unser Bürgermeister hatte mir versichert, vor allem für Kleidung sei gesorgt, sodass ich überwiegend privaten Krimskrams einpacken sollte. Ich wusste überhaupt nicht, was von meinen persönlichen Sachen so wichtig sein könnte, dass ich es im Palast brauchen würde. Und womöglich flog ich ja auch gleich am Anfang der Show raus, dann brauchte ich bestimmt nicht so viel Zeug ...
Letztlich entschied ich mich für das Nötigste an Kleidung, ein paar Andenken an meine Familie und einige Bücher. Meine Mutter war recht schweigsam, während wir alles im Koffer verstauten, was ich ihr nicht übel nahm. Immerhin wurde sie in den Konflikt zwischen meinem Vater und mir hineingezogen, indem sie mich unterstützte. Ich war ihr wirklich unglaublich dankbar, fühlte mich gleichzeitig aber schuldig, weil sich die beiden wegen mir uneins waren. Ich hoffte, sie bekamen das auf die Reihe, während ich meinen Träumen nachjagte.
Als ich mit meiner Mutter zum E-Bahn-Halt aufbrechen wollte, blieb mein Vater stur in der Küche sitzen, als würde ihn das nicht kümmern. Ich lehnte mich an den Türrahmen und rang unsicher meine Hände.
»Ich muss jetzt los«, murmelte ich gerade so laut, dass er es verstehen konnte.
Für einige Sekunden blickte er weiterhin in seine Zeitung, als hätte er mich nicht gehört. Dann schaute er doch noch einmal auf. »Egal, was passiert, das hast du dir selbst zuzuschreiben, Jill.«
Ich presste die Lippen aufeinander. Anscheinend war ich ihm nicht mal wichtig genug, dass er mich anständig verabschiedete. Allerdings wusste ich um seine Sturheit und im Moment konnte ich ihn durch nichts besänftigen. Also sagte ich nur leise: »Hab dich lieb.«
Als er daraufhin nur schwieg, wandte ich mich ab und blinzelte die ersten Anzeichen von Tränen aus den Augen.
»Pass auf dich auf«, hörte ich seine Stimme erneut, als ich bereits den Flur betreten hatte.
Der Drang, zu weinen, wurde durch seine Worte noch größer. War das jetzt doch noch eine Zustimmung für mein Handeln gewesen? Oder lediglich eine Warnung?
Meine Mutter, die an der Wohnungstür auf mich wartete, musterte mich mit einem mitleidigen Blick und streckte mir dann ein Taschentuch entgegen. Als hätte sie gewusst, wie mein vorsichtiger Versöhnungsversuch enden würde. Ich kramte in meiner Handtasche nach einem Taschenspiegel und tupfte mir dann mit dem Tuch die Augen ab. Mein Make-up war glücklicherweise nicht verlaufen, doch meine Augen wirkten glasig. Ich hasste es, so auf die Straße gehen zu müssen, aber ich hatte einen Zeitplan einzuhalten, darum blinzelte ich einfach bei jedem Schritt.
Doch gerade, als ich dachte, ich hätte mich einigermaßen beruhigt, streckte jemand den Kopf aus seinem Fenster und rief: »Du wirst deine Teilnahme an dieser Show schon noch bereuen, Kleine!«
Ich traute mich nicht, den Mann anzuschauen, sondern lief einfach schneller. Nach dem Verhalten meines Vaters auch noch von einem Fremden beschimpft und verurteilt zu werden, war zu viel.
»Lassen Sie meine Tochter in Ruhe!«, hörte ich meine Mutter dicht hinter mir schimpfen.
Aber der Kerl war nicht zu bremsen. »Die werden dich zu einer Marionette machen, dich verbiegen und ausbeuten, damit diese Möchtegern-Prinzen gut dastehen. Wenn du abserviert worden bist – und das wirst du unsicheres Ding garantiert –, dann kannst du dich hier nicht mehr blicken lassen. Ist es das wert?«
Seine Stimme verklang langsam hinter mir, während die Räder meines Koffers über den unebenen Weg holperten. Mein Arm schmerzte bereits und meine Augen brannten trotz des vielen Blinzelns. Wieso war mir nie aufgefallen, dass es in unserer Stadt so viele Anti-Monarchisten gab? Wenn sie selbst mich – ein ihnen unbekanntes Mädchen – beschimpften, dann musste es wirklich schlimmer stehen als gedacht. Hatte mein Vater das etwa gewusst und mich davor beschützen wollen?
Als wir die Station erreichten, war die E-Bahn noch nicht in Sicht, darum lehnte ich mich auf den Griff des Koffers. »Bist du mir eigentlich böse?«, fragte ich meine Mutter, die verkrampft neben mir stand. »Weil wegen meines Traums so etwas passiert?«
Sie sah mich mit einem bemühten Lächeln an. »Nein, ich bin dir nicht böse, Jill. Ich wünschte manchmal nur, es wäre anders gekommen.«
»Du wolltest nicht, dass ich gezogen werde, oder?«
»Ich hatte nie etwas gegen deine Träume. Ich habe mich immer über deine Begeisterung gefreut, über deine große Fantasie.« Sie zögerte. »Doch ich dachte nicht, dass das alles je Wirklichkeit werden würde. Und dann auch noch mit so viel unterschwelliger Wut, die ans Tageslicht tritt. Ich wünschte, du müsstest das nicht erdulden.«
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Also ließ ich meinen Blick an den Schienen entlangschweifen, die durch die Stadt führten. Weit und breit war kein Mensch auf dem Bahnsteig erschienen, um mich zu verabschieden. Nur eine Mädchenclique hatte sich in der Ferne positioniert, um das Schauspiel zu beobachten. Obwohl ich keine Details erkennen konnte, war ich mir sicher, dass sie in diesem Moment über mich herzogen. Was mich nicht wundern würde – tatsächlich hatte ich Ähnliches schon mal durchgemacht. Erst war ich unsichtbar gewesen, dann unbeliebt, verurteilt und schließlich links liegen gelassen worden. Eine Wiederholung hatte ich eigentlich immer vermeiden wollen. Doch jetzt könnte mir das tatsächlich blühen.
Ist es das wert?, hallten die Worte des fremden Mannes in meinem Kopf wider.
Als ich in der Ferne die E-Bahn ausmachte, spannte sich alles in mir an. Meine Mutter strich mir daraufhin über den Rücken, was auch nicht half. Im Gegenteil, es machte mich noch nervöser, deshalb trat ich einen Schritt zur Seite. Meine Mutter war es inzwischen gewöhnt, dass ich nicht mehr jede Berührung zuließ, darum kommentierte sie mein Verhalten nicht.
»Ich wollte dich nicht an einen Prinzen verlieren, darum solltest du nicht gezogen werden«, sagte sie auf einmal. »Und das ist auch eine Angst deines Vaters, selbst wenn er es nicht zugeben würde.«
Überrascht schaute ich sie an und erkannte nun Tränen in ihren Augen. Im Gegensatz zu meinen waren sie grau und auch ihre Haare waren heller als meine. Wir sahen uns nicht besonders ähnlich, was ich immer schade gefunden hatte. Doch heute fiel mir zum ersten Mal auf, dass es durchaus äußerliche Gemeinsamkeiten mit meiner Mutter gab. Die Gesichtsform, die schmale Taille im Kontrast zu den breiten Hüften und vor allem die Körpergröße – wie man sich vom ersten Eindruck her täuschen konnte.
Ich fiel ihr in dem Augenblick um den Hals, als das Gefährt keine zehn Meter mehr entfernt war. »Ihr werdet mich nicht verlieren«, flüsterte ich ihr zu. Es war rührend, zu wissen, dass meine Eltern tatsächlich glaubten, ich wäre gut genug für einen Thronfolger.
»Ich hoffe für dich, dass du deinen Märchenprinzen findest«, entgegnete sie an meiner Schulter.
»Um euretwillen hoffe ich, dass ich es nicht tue.«
»Bitte sag das nicht!« Sie schob mich von sich. »Leb dein Leben, wie du es dir wünschst. Mach es nicht von jemand anderem abhängig.«
Während ich nickte, ertönte auf einmal ein Klatschen hinter mir. Über meine Schulter hinweg starrte ich auf einmal in eine Kamera, die genau auf uns gerichtet war.
»Ein wirklich guter letzter Ratschlag«, meinte die Frau, die mit einem Mikrofon neben dem Kameramann stand. Offenbar waren sie gerade aus der E-Bahn ausgestiegen. »Allerdings vielleicht etwas ungeeignet, wenn man mal die Ehefrau eines Prinzen werden will.«
Ich presste die Lippen aufeinander, obwohl mir auf die Schnelle ohnehin nichts Schlagkräftiges eingefallen wäre. In Situationen wie diesen war mein Kopf wie leer gefegt.
Der meiner Mutter zum Glück nicht. »Selbst ein Prinz sollte akzeptieren, dass seine Ehefrau eine eigenständige Person ist, meinen Sie nicht?«
Die fremde Frau schien einen Moment zu überlegen, dann lächelte sie übertrieben. »Natürlich.«
Ich wandte mich noch einmal meiner Mutter zu, wischte mir gleichzeitig eine einzelne Träne von der Wange und damit hoffentlich auch eine mögliche schwarze Spur, die die Mascara dort hinterlassen hatte. Meine Mutter nickte mir aufmunternd zu. Dann erst drehte ich mich wieder zu der Kamera um, die mich ein wenig einschüchterte. Was von dieser Szene würde im Fernsehen ausgestrahlt werden?
»Mein Name ist übrigens Mirjam Weng, ich arbeite als Reporterin und Moderatorin für das Connecting«, erklärte die Frau. »Ich bin von nun an für alles zuständig, das dich und den Wettbewerb betrifft. Interviews, Statements, Verabredungen – mein Team und ich werden dich ganz genau im Auge behalten.«
Hätte ich meine Lippen nicht immer noch aufeinandergepresst, wäre mir wohl die Kinnlade heruntergeklappt. Diese Mirjam wollte mich die ganze Zeit auf Schritt und Tritt durch das Connecting verfolgen? Mir schwante bereits jetzt Übles.
»Ich hoffe, Sie sind gnädig mit meiner Tochter«, sprang meine Mutter mal wieder für mich ein. »Sie genießt auch gerne mal etwas Privatsphäre.«
»Natürlich«, entgegnete die Moderatorin erneut, wobei es genauso falsch klang wie das letzte Mal. »Können wir dann los? Wir haben einen Zeitplan einzuhalten.«
»Natürlich.« Meine Mutter lächelte übertrieben und ignorierte den anmaßenden Blick, den sie daraufhin geschenkt bekam. Sie umarmte mich noch einmal kurz. »Viel Glück, Spätzchen.«
»Danke«, wisperte ich, bevor ich meine Handtasche von ihr entgegennahm.
Dann griff ich nach meinem Koffer und spazierte an der Moderatorin und ihrem Kameramann vorbei in die E-Bahn. Ich verschaffte mir einen Überblick über den Innenraum des kleinen Gefährts, das sehr viel mehr Freiraum und weniger Sitze bot als die regulären E-Bahnen. Ich stellte meinen Koffer schließlich hinter dem einzigen Vierersitz auf der rechten Seite ab. Dann nahm ich Platz und winkte meiner Mutter noch einmal kurz zu, bevor sich das Fahrzeug schon in Bewegung setzte.
Der Kameramann hatte sich auf den Viererplatz auf der anderen Seite des Ganges gesetzt, Mirjam ließ sich schwungvoll mir gegenüber in den Sitz fallen.
»So, Jillian, da wir unendlich viel Zeit haben, erzähle uns doch ein wenig von dir.« Sie hielt mir auffordernd das Mikro entgegen. Dieses diente wahrscheinlich nur der Show, denn aus der geringen Entfernung nahm die Kamera die Stimmen bestimmt auch so deutlich auf.
»Was wollen Sie denn wissen?«
»Hm, keine Ahnung ... vielleicht was du so tust, wenn du nicht gerade deine Privatsphäre genießt.« Mirjam sah mich schon beinahe ein wenig provozierend an. Dass sie den gleichen Ausdruck wie meine Mutter verwendete, verstärkte diesen Eindruck.
»Ich besuche Sommerkurse. Für die Uni...versität.« Keine Sekunde später verfluchte ich bereits meine Unsicherheit.
»Das bedeutet, du hast deinen weiterführenden Schulabschluss bereits? Bist du nicht erst siebzehn?«
»In drei Monaten werde ich achtzehn.« Wie trotzig sich das anhörte! Ich musste dringend lernen, zu kontrollieren, was ich sagte.
»Das ist trotzdem reichlich früh«, behauptete die Reporterin. »Bist du so eine Art Wunderkind?«
»Ich wurde nur früh eingeschult.« Als müsste ich mich rechtfertigen, dass ich mit siebzehn meinen Abschluss gemacht hatte! So langsam bekam ich das Gefühl, als wollte mich Mirjam nur aus der Reserve locken, damit ich auf dem Videomaterial einen negativen Eindruck machte. Und leider gelang ihr das bis jetzt nicht schlecht.
»Na gut, dann kein Wunderkind.« Sie wedelte ein wenig mit dem Mikrofon herum, bevor sie hinzufügte: »Das erklärt die Sommerkurse.«
So langsam stieg Wut in mir auf. Ich wollte mich nicht erklären – nichts hasste ich mehr –, aber so stehenlassen konnte ich das keinesfalls. »Die Sommerkurse mache ich, um die passendste Studienrichtung für mich zu finden. Ich will nicht die falsche Entscheidung treffen.«
»Unentschlossenheit ist nicht die beste Voraussetzung, wenn man die Wahl zwischen fünf Prinzen hat, meinst du nicht auch?« Mirjams Mundwinkel zuckten. »Aber es sind ja sowieso nicht die Kandidatinnen, die die Entscheidungen treffen, also ist das wohl zu verkraften.«
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Glücklicherweise hielt die Frau mir das Mikro nicht hin, als erwartete sie gar keine Antwort.
»Bist du eigentlich schon gespannt auf unsere Prinzen?«, fuhr die Moderatorin schließlich fort. »Immerhin hast du erst einen von ihnen zu Gesicht bekommen. Und das noch nicht einmal persönlich.«
Das stimmte zwar nicht ganz – immerhin hatte ich Prinz Stephan durchs offene Fenster beobachten können –, doch ich ignorierte die zwei Sätze einfach. »Schon.«
»Du bist nicht gerade ein Mädchen der großen Worte, oder?« Mirjam sah mich skeptisch an. »Hast du bereits eine Strategie, wie du trotzdem auffallen willst?«
Ob es schlecht war, wenn ich zugab, dass ich keine hatte? Womöglich hätte ich mir wirklich eine zurechtlegen sollen, immerhin wusste ich um meine Unauffälligkeit. Würde man mich nicht bemerken, wäre ich sofort weg vom Fenster ... so wie es mir der unbekannte Mann vor meiner Abfahrt prophezeit hatte.
»Offenbar hast du keinen Plan«, unterbrach Mirjams Stimme meine Gedanken. »Na, das ist auch nicht so schlimm. Man kann schließlich schlecht etwas aushecken, wenn man nicht weiß, wen man vor sich haben wird.«
Ihr Lachen klang ziemlich gestellt in meinen Ohren. Als ich nicht mit einfiel, unterbrach sie es und räusperte sich.
»Bald lernst du deine Mitkandidatinnen kennen. Machst du dir Sorgen deswegen?«
»Warum sollte ich?« Am liebsten hätte ich einen witzigen Kommentar angehängt, doch das war einfach nicht meine Art – dafür fehlte mir die Spontanität.
»Na ja, sie könnten hübscher sein als du. Oder schlauer. Oder schlagfertiger«, zählte Mirjam auf. »Oh, und die meisten sind bestimmt redseliger als du.«
Ausnahmsweise fiel mir auf diesen Satz gleich eine passende Erwiderung ein. »Es kommt nicht drauf an, wie viel man sagt. Sondern darauf, was man sagt.« Ich stockte kurz, bevor sich ein Lächeln auf meine Lippen schob. »Und wie man es sagt.«
»Hm, offenbar sollte man dich nicht unterschätzen«, meinte die Reporterin, wobei sie leiser sprach als zuvor. Dann grinste sie mich auf einmal an, sodass ihre weißen Zähne nur so blitzten. »Oder?« Während ich sie nur verdattert anstarren konnte, richtete sie ihren Blick in die Kamera. »Das war es vorläufig von uns. Wir melden uns wieder mit dem nächsten Bericht. Für genauere Informationen zum Programm des Connectings schalten Sie regelmäßig ein oder lesen Sie die Zeitung. Mein Name ist Mirjam Weng, danke fürs Zusehen!«
Als der Kameramann das Aufzeichnungsgerät senkte, seufzte die Reporterin theatralisch. Offenbar war das einfach ihre Art, was sie zur idealen TV-Moderatorin machte.
»Wir drehen in ein paar Stunden noch einmal, um deine Reaktion zu filmen, wenn wir beim Palast der Einheit ankommen«, erklärte Mirjam, während sie sich erhob. Das Mikrofon ließ sie auf ihren Sitz fallen. »Sollte irgendwas sein, ich bin bei den Pritschen.«
Damit drehte sie sich um und öffnete eine Glastür, die sich hinter den Sitzen befand. Die Scheiben waren getönt, sodass sie kurz darauf aus meinem Sichtfeld verschwand. Dafür war ich mehr als dankbar.
»Eigentlich will sie damit andeuten, dass sie nicht gestört werden will«, sagte der Kameramann auf einmal. Er hatte das Gerät in einer großen Tasche verstaut und stellte diese nun auf den Zweierplatz ihm gegenüber. Dann lehnte er sich in meine Richtung und streckte mir die Hand hin. »Ich bin übrigens Arnd. Nett, dich kennenzulernen.«
»Jillian.« Zögernd schüttelte ich sie. Sein Händedruck war kurz, aber fest. Er gab mir gleich das Gefühl, ihm vertrauen zu können. »Du kannst auch Jill sagen.«
Ich wunderte mich selbst ein wenig über dieses Angebot. Genauso darüber, dass ich ihn einfach duzte. Aber er schien nicht älter als Mitte zwanzig zu sein – vielleicht nahm er es mir deshalb nicht übel.
»Weil wir uns in den nächsten Tagen und Wochen öfters sehen werden?« Er grinste.
»Ähm, ja«, stammelte ich. Ich war es nicht gewohnt, dass sich ein Mann so ungezwungen mit mir unterhielt.
»Du bist wirklich kein Mensch vieler Worte, oder?«
Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. »Ich weiß nur nie, was ich sagen soll.«
»Zu viele Sorgen, wie andere darauf reagieren könnten?« Als ich nickte, erklärte er: »Ich kenne das. Darum arbeite ich auch lieber hinter der Kamera.«
Dafür, dass er nicht wusste, was er sagen sollte, schien es ihm leichtzufallen, mit mir zu sprechen. Ich hätte mich nie getraut, einen Fremden einfach so anzuquatschen.
»Nur damit du es weißt: Es ist für mich okay, wenn wir uns anschweigen. Ich nehme dir das nicht krumm.« Aus Arnds Stimme sprach Ehrlichkeit. Manch anderer hätte diese Aussage bestimmt mit einer Portion Ironie getränkt.
»Danke«, erwiderte ich erleichtert.
Er lachte unterdrückt auf. »Dafür brauchst du dich doch nicht zu bedanken!«
Mir stieg noch etwas mehr Blut in die Backen, sodass sie sich nun ganz heiß anfühlten. Arnd kommentierte das zum Glück nicht, weshalb ich mich der Landschaft zuwandte. Es war lange her, seitdem ich das letzte Mal in einer E-Bahn gesessen hatte, darum war es ungewohnt, dass die Bäume und Büsche an mir vorbeizufliegen schienen.
Irgendwann machte mich das Hinausschauen mürbe und ich lehnte meinen Kopf gegen den Sitz. Dann schloss ich meine Augen und versuchte mich darauf zu konzentrieren, was vor mir lag. Doch im Geiste tauchten immer wieder Mirjams Fragen und meine Reaktionen auf. Im Nachhinein hätte ich vieles gerne anders beantwortet, aber nun konnte ich nichts mehr daran ändern. Ich musste damit leben – so wie mit meiner Unsicherheit, die mich schon mein Leben lang quälte.
Erst als wir die zerstörten Landstriche passierten, brachte ich meine inneren Stimmen zum Schweigen. Mit Neugier und Abscheu zugleich betrachtete ich die Ruinen früherer Dörfer und Großstädte. Im Geschichtsunterricht hatte ich Fotos gesehen, doch diese konnten nicht einmal ansatzweise die wirkliche Zerstörung zeigen. Durch den Großen Krieg waren ganze Gebiete dem Erdboden gleichgemacht worden. Auch die Brandschäden, die durch Bombardements zustande gekommen waren, waren noch klar erkennbar. Nie wieder würde auf den Feldern etwas wachsen, dafür hatten die chemischen Reaktionen gesorgt. Kein Wunder, dass Experimente zur Herstellung solcher Waffen inzwischen verboten waren.
»Heftig, oder?« Arnd sah ebenfalls nach draußen.
»Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist.« Ich musterte die Überreste der Häuser, durch die die E-Bahn-Schienen hindurchführten.
»Warst du noch nie außerhalb von Brightfield?«, wollte der Kameramann wissen.
»Doch. Aber nicht so weit.« Ich wandte mich von all dem Chaos ab. Allein der Gedanke, dass es jemals einen solch immensen Angriff auf unser Reich – auf all unsere Reiche – gegeben hatte, jagte mir Schauer über den Rücken.
»Es gibt Gebiete, die sehen noch schlimmer aus.« Arnds Stimme klang nachdenklich.
Vielleicht traute ich mich deshalb zu fragen: »Hast du welche davon gesehen?«
»Ein paar«, antwortete er. »Besonders schlimm ist es um das alte Berlin.«
Ich kannte die Hauptstadt des ehemaligen Deutschlands nur vom Hörensagen, aber ich wusste, dass sie eine Metropole gewesen war. Insofern war es nicht verwunderlich, dass sie und viele andere wichtige Standorte Europas gleich zu Beginn des Krieges attackiert worden waren. In Gedenken an die dadurch entstandenen Verluste waren einige unserer heutigen Städte nach diesen Städten benannt worden. Nur in Englisch, der Amtssprache der gesamten Modernen Welt, und mit dem Zusatz »New«.
Da Arnd nichts weiter sagte und auch ich wieder schwieg, kehrte die Stille in die Bahn zurück. Diese hielt an, bis aus dem Lautsprecher an der Wand die Durchsage drang, dass wir bald am Palast eintreffen würden. Obwohl laut meiner Uhr mehrere Stunden vergangen waren, kam mir die Fahrt kurz vor.
Bei Mirjam schien genau das Gegenteil der Fall zu sein. Kaum dass sie durch die getönte Glastür spaziert war, streckte sie sich ausgiebig. »Ach, das hat richtig gutgetan! Wäre Arbeit nur immer so erholsam!«
Ich fragte mich, ob es ihr wirklich schwerfiel, sich all die Provokationen auszudenken. Ich schätzte sie eher als natürlich provokant ein, also war ihre Arbeit bestimmt nicht so anstrengend, wie Mirjam sie darstellte.
»Arno, wir filmen, sobald der Palast der Einheit in Sicht ist. Verstanden?«, redete sie den Kameramann an. Offensichtlich war er in ihren Augen nicht einmal wichtig genug, um sich seinen Namen zu merken. »Wir brauchen Material von ihrer Reaktion.«
Und von mir redete sie, als ob ich gar nicht da wäre. Ganz toll. Mit dieser Frau musste ich die nächsten Tage, vielleicht sogar Wochen verbringen.
Während Arnd die Kamera aus der Tasche holte, warf er mir einen Blick zu und zog zweimal kurz die Augenbrauen hoch, bevor er unauffällig zu Mirjam guckte. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, verbarg es allerdings hinter meiner Hand. Wenn die Reporterin merkte, dass ich mich zusammen mit ihrem Kameramann über sie amüsierte, würde sie Arnd bestimmt feuern lassen und mir das Leben im Palast zur Hölle machen.
Um eben jenen möglichst bald zu sehen, wandte ich mich dem Fenster neben mir zu. Wir fuhren bereits seit geraumer Zeit an einem großen See vorbei, der in der Sonne glitzerte. Das musste der Lake Constance sein, der früher an Österreich, Deutschland und die Schweiz gegrenzt hatte. Heute befand er sich mitten im Bezirk D des Zentralreiches, genau wie der Palast der Einheit.
Als unsere Gründer nach dem Großen Krieg die sieben Reiche eingeführt hatten, war dieser Ort inmitten der Berge zum allgemeinen Treffpunkt geworden. Für Ost-, West-, Süd- und Zentralreich war er ideal gelegen, die Entfernung zum Nordreich war etwas länger, vor allem da man die Meerenge überqueren musste. Dass sich dessen Königsfamilie trotzdem am Connecting beteiligte, zeigte deren Bemühungen, mit den anderen Reichen in Frieden zu leben. Offensichtlich galt das nicht für das Iberische Reich im Südwesten und das Skandinavische Reich im Norden der Modernen Welt.
»Hier ist Mirjam Weng, Reporterin des Zentralreiches«, unterbrach Mirjams Stimme meine Gedanken, woraufhin ich mich ihr und der Kamera zuwandte. »Wir berichten von der Ankunft der Kandidatin aus Z-C, Jillian Haas, am Palast der Einheit, die in wenigen Minuten erfolgen wird.« Sie hielt mir das Mikro hin. »Wie fühlst du dich so kurz vorher?«
»Ähm, ganz normal?«, erwiderte ich und hätte mich am liebsten dafür geohrfeigt.
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