Kitabı oku: «Der Schneckenreiter», sayfa 3

Yazı tipi:

Die letzten Sonnenstrahlen lagen längst in tiefem Schlummer, als es dem Schneckenreiter endlich gelang den letzten überdrehten, verängstigten und hibbeligen Uhrling ins Bett zu bugsieren.

„Wir wissen doch gar nicht, ob es jetzt Zeit dafür ist“, hatten sie bis zuletzt gejammert. Es hatte ihm sämtliche Tricks und Kniffe seiner über die Jahre perfektionierten Überredungskunst abverlangt. Wenigstens die Kuhrlinge waren nach der Erzählung abgelenkt und ruhig gewesen und sogar freiwillig in ihre Betten geschlüpft.

Als der Morgentau begann sich über die Uhrenzeiger der Stadt zu legen, hatte sich schließlich auch der Schneckenreiter selbst zurückziehen können. Er war durch den von einer schaukelnden Laterne in warmes Licht getunkten Seiteneingang in Globolis Gehäuse geschlüpft. Ging manches Wesen nie ohne Hut aus dem Haus, nahm die Schnecke ihres lieber gleich ganz überall hin mit. Stilvoll und geräumig hielt sie auf ihren Reisen stets ein Gästezimmerchen bereit.

So ein Schneckenhaus war von innen schließlich weitaus geräumiger als sich von außen erahnen ließ. Geparkt hatten sie, wenn man so wollte, ein Stück den Hang hinab, den sie gekommen waren. Was sich als weise herausstellen sollte, liebte man es nicht von einem Haufen zeitloser Uhrlinge aus viel zu kurzen Träumen gerissen zu werden.

Als der Schneckenreiter nach nächtlichem Nickerchen nun die Augen aufschlug und zum Fenster hinaussah, hatte er einen großen Tonkrug Tee vor der Nase, dessen Risse entweder davon kündeten, dass er aus verschiedenen, alten Krügen zusammengepuzzelt oder aber gesprungen und wieder geleimt worden war. So oder so, er stand auf dem Fenstersims des Schneckenhauses und lockte den Reiter mit einer einladend winkenden Dampffahne, die sich still daraus empor kräuselte.

Außerhalb des Schneckenhauses angelangt, den Krug gut verwahrt in einer Hand, stellte der Schneckenreiter sogleich fest, dass es nicht das kuriose Aussehen jenes Gefäßes war, das ihn an diesem Morgen störte, sondern ein Geruch, der seine Nasenlöcher reizte und ihm über die Haut kribbelte wie tausend kleine Käferbeinchen.

Ein Hauch von Vanille lag in der Luft, eine Note modriges Laub und zwei Prisen feuchten Rindenmulchs. Das war der Tee, eindeutig, aber immer noch nicht das, was ihn in Aufregung versetzte. In seinem Alter machte die Anspannung sich als Steißziepen bemerkbar, weshalb er sie nicht einfach auf sich sitzen lassen konnte. Er musste wissen, was es damit auf sich hatte.

Hinter ihm wälzte sich nun auch Globoli aus seinem Haus und bewies sogleich den richtigen Riecher. Schmatzend verkündete er dem Schneckenreiter, was dem die ganze Zeit auf der Zunge oder mehr noch in der Nase gelegen hatte.

„Es riecht nach Meuterei, für wahr! Globoli, du Blitz unter den Schnecken“, lobte der Reiter und leckte sich über die Lippen. Eindeutig, jetzt, da er es wusste, gab es keinen Zweifel mehr, der sauer-salzige Geschmack kündete von einem wortreichen Tag, der ihnen bevor stand. Also stärkte er zunächst seine Stimme an dem dampfenden Kräutertee.

„Uhum.“ Ein Huster bahnte sich seinen Weg in die Freiheit, als ihm der letzte Schluck quer den Hals runterflutschte. Hatte es bislang nur meuterisch gerochen, klang es nun zusätzlich danach. Klingeln und Dongen, Scheppern und grelle Stimmen brandeten wie eine Flutwelle Kopfschmerzen über ihn hinweg. Fast mutete es wie ein Deja-Vous an, doch er wusste es besser.

Schnurstracks sattelte er Globoli, und sie ritten die letzten Meter den Hang hinauf.

Auf dem Uhrplatz bot sich ihnen das vertraute und doch veränderte Bild.

„Schreibende Feder von Tintopolis, was ist denn in die gefahren?“, stieß der Schneckenreiter aus und zügelte Globoli.

Uhrlinge wuselten wild durcheinander, wobei sie offenbar von Raffnuss, Rufus und Rohfuß angetrieben wurden. Die drei erteilten Befehle, kommandierten die Uhrlinge herum. Die Einwände Willy Bolds ignorierten sie geflissentlich.

„Hey, geht das auch schneller?“, schrie Rohfuß soeben einen Uhralten mit gebeugtem Rücken an. Die altersfleckigen Arme des Greises zitterten bereits unter der schweren Last einer gewaltigen Spiralfeder, die er heranschleppen sollte. Als er sich nun bemühte dem neuerlichen Befehl nachzukommen, stolperte er über den herausragenden Kopfstein, mit dem Globoli am Vortag bereits Bekanntschaft geschlossen hatte, und ließ die Spule beinahe fallen.

Sofort war Raffnuss zur Stelle. „Kannst du nicht besser aufpassen?“, rief er. Eine helfende Hand reichte er dem Muhrling jedoch nicht.

„Ich weiß ja, dass Veränderung seine Zeit braucht, aber haben sie denn überhaupt nichts gelernt?“, murmelte der Schneckenreiter in seinen Bart. Globoli schluckte.

„Doch schon“, antwortete die Stimme Guinees. Das Mädchen hatte sich unbemerkt an seine Seite gestohlen. „Die drei streiten kaum noch untereinander“, gab sie Auskunft und strich sich die Zöpfe zurück. „Dafür behandeln sie die anderen wie Sklaven. Sie scheuchen sie schon seit dem Aufstehen herum, um Ersatzteile herbeizuschaffen. Immerhin sind sie sich darin einig.“

„Geht denn wenigstens die Reparatur voran?“, erkundigte sich der Schneckenreiter und beobachtete das Treiben.

„Nein. Die Sorge wächst …“

Guinee wurde unterbrochen, als eine neue Akteurin die Bildfläche betrat. Mit zorngeröteten Wangen marschierte eine Fruhrling auf das Befehlstrio zu. Ihr hinterher eilten weitere Fruhrlinge, von der jede mit Pfannenwender oder Kelle bewaffnet war.

„Oh je, meine Mama“, sagte Guinee leise und flitzte hinterher.

Der Schneckenreiter legte sich die Hand über die Augen.

Globoli blubberte verwundert. Erst das Mädchen und jetzt war auch noch mir nichts dir nichts der alte Laberkopf verschwunden. Er reckte seine Augtentakel, blickte hinter sich und um sich herum, verdrehte sie zu einem Knoten. Nein, er sah nur schwebende Hände. Die musste er von nahem betrachten. Fliegende Hände, cool!

Als der Schneckenreiter seine Finger einen Spalt breit öffnete, um hindurchzublinzeln, glotzte ihn Globoli aus unmittelbarer Nähe an. Froh, ihren Reiter wiedergefunden zu haben, leckte die Schnecke ihm über die Nase, lächelte verschämt und zog die Tentakel ein paar Zentimeter zurück.

„Hast du nach mir gesucht?“, fragte der Schneckenpostillion. Er hatte völlig vergessen, dass Globoli immer wieder auf diesen Kindertrick hereinfiel, senkte die Hand und tätschelte damit seinem Begleiter den leicht schleimigen Kopf. Den Schneckenschlabber streifte er am kratzigen Wollrock ab und spazierte an seinem Stock mitten in das Geschehen hinein, um der Fruhrling besser lauschen zu können.

„Hört auf euch wie Schafsköpfe zu benehmen und versucht es mal mit einer unserer Ideen! Eure Reparaturmaßnahmen haben nichts gebracht und wir dulden diese sture, herablassende Rumkommandiererei keine Sekunde länger.“

„Als wüsstest du jetzt noch wie lang eine Sekunde ist, Theorosa“, gab Rufus kleinlaut zurück.

„Oh, mein Lieber, das brauche ich gar nicht, ich habe noch die Rechnung in Kuchen gelernt!“

Bei Erwähnung des K-Wortes zuckten sämtliche Uhrlinge zusammen und eine der Uhralten trat vor, um eines ihrer mystischen Mantras abzuspulen.

„Wenn keine Wahl bleibt, Ofen an,

so er denn noch feuern kann.

Der Teig gequillt, der Teig geschlagen,

wie zuletzt in alten Tagen.“

Die Falten der Uhralten runzelten sich, während sie ihre grimmigen Gesichter neigten.

„Ach, Papperlapapp! Das ist ja Meuterei!“

„Na und ob“, stimmte Guinees Mutter zu. „Die ist längst überfällig.“

Doch Rufus widersprach. „Keiner von euch ist geschult genug für höhere denn unsere Dienerdienste. Wie sollte es besser gehen als unter unserem Drill?“

„Hmmhrrmm.“ Wie am Tag zuvor erklang ein Räuspern und dieses Mal erbrachte es sofort die gewünschte Wirkung. „Nun, vielleicht gäbe es da ja eine andere Möglichkeit“, äußerte der Schneckenreiter.

Er nahm auf der zum Stuhl umfunktionierten Werkzeugkiste vom Vortag Platz.

Guinee begriff sofort, pfiff auf ihren Fingern und folgte ihm, die vollständige Schar Kuhrlinge im Schlepptau. Die kleinsten aller Uhrlinge hatten vorgesorgt und breiteten nun eine fröhliche Ansammlung kleiner und großer, runder und eckiger, grauer und bunter Kissen im Halbkreis zu seinen Füßen aus. Sie riefen ihre Mütter herbei, bevor sie sich auf die Polster plumpsen ließen. Die nahmen ihre Küchenutensilien, trieben damit die Muhrlinge vor sich her und waren gewillt den weisen Worten des Besuchers erneut Gehör zu schenken. Auch Willy Bold gesellte sich hinzu und lehnte sich etwas abseits gegen eine, wie sollte es in Clockville auch anders sein, Uhr. Der sonnenerwärmte Uhrenkasten schmiegte sich perfekt an seine Rückenlinie. Nur das massierende Ticken blieb leider weiterhin aus. Er seufzte und spitzte die Ohren, in der Hoffnung, zwischen den Worten des Reiters eine Lösung für seine Stadt zu entdecken.


2.
Razzles Bibliothek der Wunder

Mister Razzle humpelte durch den rostigen Torbogen in seine Bibliothek. Sein runzliges Gesicht trug die gewohnt bittere Miene zur Schau, die nicht allein von der Zitronenschale rührte, auf der er gerade kaute. Während er die schwere Flügelpforte hinter sich schloss, sperrte er zugleich das Getuschel hinter seinem Rücken aus.

Entgegen ihres Glaubens war Mister Razzle sich durchaus im Klaren darüber, dass ihn die Markthallenhändler hinter mal mehr mal minder vorgehaltener Hand und Klaue den alten Irren nannten.

Für den Bibliotheksgnom bewies das dreierlei Dinge:

Erstens: Hier wurden eindeutig Zustände der Realität verkehrt. Ihn den alten Irren zu nennen, obwohl ein Großteil der Händler deutlich älter und vor allem verschrumpelter war als er selbst, bezeugte höchstens ihre eigene Senilität.

Punkt zwei: Nun, den hatte er vergessen, vermutlich ein vorrübergehendes Phänomen, war er sich schließlich sicher, dass es ihn gab und er bei Gelegenheit und Muße schon wieder auftauchen würde.

Zum dritten: Sollte doch allein die Tatsache, dass er sich völlig im Klaren darüber war, wie die Händler ihn nannten, zeigen, dass er so irre gar nicht sein konnte.

Jedenfalls hatte er selbst fest an seinen makellosen Verstand geglaubt, bis eines Tages jene Wolke über ihm aufgezogen war. Ein Umstand, den er allerdings kurzum als winziges Warnzeichen interpretiert hatte, künftig den Kauf einer neuen Brille zu erwägen.

Als diese penetrante Wolke dann aber aus heiterem Himmel – na gut, so heiter konnte er in Anbetracht der Wolke nun auch nicht gewesen sein, wo wäre sie sonst hergekommen? Als sie jedenfalls damit anfing aus beinahe heiterem Himmel auch noch zu ihm zu sprechen, war das freundlich blinkende Warnzeichen eruptiv, zu einer schrillenden Alarmglocke herangewachsen.

Doch noch zu diesem Zeitpunkt schwor sich Mr. Razzle nicht aufzugeben und hatte bereits ein wirkungsvolles Gegenmittel zur Hand.

‚Nicht mit mir!‘ Die knorrigen Finger in die spitzen Ohren gestopft, setzte er sich in seinen Nasensessel und starrte angestrengt in das ledergebundene Buch auf seinem Schoß. Es war nicht etwa das Lesen an sich oder aber der Inhalt der dicken Schwarte, der ihm vor Anstrengung die Schweißperlen auf die Stirn trieb. Nein, Herribert Obdendingel und sein Zyklus Aramemgnorikus war zwar keine leichte Lektüre, keine Schonkost sozusagen, aber für den scharfen Verstand des obersten und einzigen Bibliothekkobolds der Stadt nun wirklich keine Herausforderung.


Das, was ihn die Mühe kostete, seine Nerven aufzehrte und die Konzentrationsreserven bis zum letzten Überlastungskrümel plünderte, schwebte direkt über ihm und las über seiner Schulter Zeile für Zeile mit.

‚Öhö, öhö‘, bahnte sich ein Hüsteln den Weg unter seinen Fingern hindurch in den Gehörgang und ließ den angeschlagenen alten Kobold zusammenzucken. Das erste, was sich danach in sein Sichtfeld schob, war eine gigantisch große Nase. Sein blinzelnder Blick wanderte an ihr entlang und erkannte am hinteren Ende ein vertrautes Gesicht. Der Zinken gehörte einem seiner Bibliotheksnaslinge.

Mr. Razzle ließ die Finger wo sie waren, atmete jedoch erleichtert auf. Danach hatte er wieder genug Sauerstoff in seine Lungen gepumpt, um den kleinen Wicht aus Leibeskräften anzubrüllen. ‚Deinetwegen hätte ich beinahe den Abgang gemacht! Die Flatter! Am letzten Hafen angedockt! Den Skelettmann geküsst! Ins Gras gebissen! Die Radieschen von unten beäugt! Den Suppenlöffel abgegeben! Und am allerschlimmsten, meinen Büchern für immer gute Nacht gesagt!‘


Er blähte die Brust und keuchte. Es verlangte ihn danach das Buch mit vorsichtiger Wucht zuzuknallen. Wucht, der Symbolik wegen, damit der Nasling sein Stören verstand und doch vorsichtig genug, damit dem wertvollen Werk kein Schaden zugefügt wurde. Einziges Problem daran: er musste dazu die Finger aus den Ohren nehmen und riskieren eine Gewitterwolke sprechen zu hören. Wiederholt!


Mister Razzle versuchte unauffällig nach oben zu schauen. Dickköpfig hing das Ding noch immer an Ort und Stelle und schien sogar noch an Dichte zugelegt zu haben. Wuchs die Wolke etwa? Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

Jetzt hatte er das Buch glatt automatisch zugeschlagen. Verdammt! Na ja, wenn die Finger schon mal draußen waren, konnte er es ebenso gut zurückstellen. Er schob den Bibliotheksnasling achtlos zur Seite und hinkte an etlichen Regalreihen vorbei.

Mit dem Finger strich er über Folianten, deren geprägte Rücken Titel zierten wie: Das U(h)rwerk, Zworkels Zeitenkunde, Funkelsteins Fabelhaftes Fantastikum, Das Koboldbuch der Gnome, Das Gnomenbuch der Kobolde, Rittlings Runkelreise oder Die Chroniken des Schneckenreiters.

Ein Regalbrett darüber fand er die Lücke, die das Werk in seiner Hand dort hinterlassen hatte, und die nun nur darauf wartete wieder geschlossen zu werden. Er reckte sich nach oben, um den Platz zu erreichen, streckte sich und zuckte zusammen. Es knackte und ein stechender Schmerz schoss durch seine Knochen. Ein zwickendes, zwackendes Ziehen im Rücken ließ ihn einige Sekunden in gekrümmter Stellung verharren, in der er nur mit Mühe das Buch festhalten konnte. Als er es mit letzter Kraft auf einen Beistelltisch gleiten ließ, segelten raschelnd ein paar Seiten heraus.

Der Bibliotheksnasling bückte sich danach, doch Mister Razzle stieß ihn beiseite, sammelte sie unter Anstrengung, die sich in Ächzen und Stöhnen artikulierte, selbst zusammen, faltete sie, streichelte darüber und steckte sie dann in die Brusttasche. Das Ganze ging schnell, doch nicht so schnell, als dass die Wolke nicht wenigstens ein paar Zeilen des Briefes hätte lesen können, genauer gesagt den Schluss:

In brüderlicher Verbundenheit, S!R

P.S.: Lemmy lässt grüßen.

Die Wolke grübelte und färbte sich dunkelblau.

‚Mach dich nützlich und hol mir die Leiter, du Doofnasling!‘, kommandierte Mister Razzle unterdessen die arme Zwergnase herum und presste sich eine Hand in den Rücken. Der Nasling neigte die Nase und eilte dann schwupps davon. Kurz darauf kam er schon mit einem seiner Geschwister zurück. Zwischen sich trugen sie die her befohlene Leiter.

Sie lehnten sie ans Regal, woraufhin sie Mister Razzle waghalsig erklomm. Das Buch hielt er fest in einer Hand, während er in etwa so stark ächzte wie die alte Leiter selbst. Ein paar Sprossen weiter bekam Razzle große Augen und wäre beinahe wieder heruntergefallen. ‚Diese elende Feuchtigkeit, verflucht!‘, grunzte er. ‚Schnell, trommelt alle von euch Pappnasen zusammen! Ein weiteres Regalbrett modert! Wofür habt ihr eigentlich diese Zinken, wenn ihr nicht mal den Schimmel erriecht? Meine schönen Bücher. Na, wird’s bald?! Holt mir die ganze Papierschnupftuchpackung von euch Zwergnaslingen her!‘

Der Kobold brachte die Bücher vom Gefahrenbrett in Sicherheit, rümpfte die Nase, während er mit dem Finger um das aufgequollene Holz fuhr. Er wartete schließlich gebeugt doch mit hochrotem Kopf auf die Ankunft seiner Lakaien. Prompt färbte sich die Wolke von Blau zu Miesepetergrau.

Als alle in der Bibliothek beheimateten Zwergnaslinge vor ihm versammelt schienen, zählte der Bibliothekskobold die Anwesenden durch und knirschte mit den Zähnen.

‚Da fehlt doch einer.‘

Schüchtern trat ein gelb bemützter Nasling vor, nahm die lange Zipfelmütze vom Haupt und knetete sie zwischen den Fingern. Dabei flüsterte er mehr als dass er sprach. ‚Genau, deshalb hatte ich Euch vorhin aufgesucht. Mehltrop hat wieder einen schlimmen Allergieschub. Der viele Staub hier verstopft ihm die Nase. Er sieht schon ganz verquollen aus.‘

‚Komm mir nicht mit verquollen! Das ist keine Entschuldigung! Was soll denn das Regalbrett sagen? Vielleicht muss der faule Mehltrop dann eben mal besser putzen und feudeln. Bring ihn her! Aber augenzackig!‘

Razzle tigerte auf der Stelle hin und her, humpelte dabei jedoch wie ein Raubtier mit verstauchter Pfote. Während er wartete, schob er sich eine neue Zitronenschale zwischen die Zähne und kaute darauf wie Westernhelden auf Tabak. Die umstehenden Zwergnasen standen wie angewurzelt da. Die Hände in den Pluderhosen starrten sie sich auf die eigenen Nasen und taten nicht den leisesten Mucks. Schließlich stand der gelbmützige Nasling wieder vor ihm, Mehltrop zu seiner Linken. Dessen Augen tränten rot angeschwollen, genau wie sein Riechorgan, das nun mehr einer aufgedunsenen Knolle mit Scharlach glich. Damit nicht genug, schniefte und nieste er immer zu.

‚Dass mir das nicht noch einmal vorkommt‘, stauchte ihn Razzle zusammen, dem es offenbar leicht fiel über die Probleme des geschundenen Mehltrops einfach hinwegzusehen.

‚Und nun rasch an die Arbeit mit euch allen! Ersetzt das Regalbrett, reibt die Umgebung trocken, räumt alles aus und sucht nach weiterem Moder! Haltet Ausschau nach der Stelle, an der die Feuchtigkeit eindringt. Sie muss hier irgendwo sein. Erst wenn ihr sicher seid, dass alles schön trocken ist, räumt ihr meine Schätze wieder ein. Ach ja, noch eines: wehe ihr trödelt herum, weil wieder einer niesen muss.‘

Die Zwergnaslinge wuselten los und ließen dabei ihre Köpfe so tief hängen, dass ihre großen Nasen bereits an die Bäuche stießen. Keiner beklagte sich oder widersprach. Über Razzles Kopf jedoch braute sich etwas zusammen. Die Wolke hatte sich zu einem tiefen Schwarz verdunkelt und ließ aus ihrem flauschigen Leib ein Grollen ertönen. Der Bibliothekskobold zuckte innerlich zusammen, schielte nach oben und überlegte, ob er dieses Mal vielleicht zu weit ging, nur um sich dann doch bloß wieder die Finger in die Ohren zu stopfen.

Während die Zwergnaslinge mit Leitern, Lappen und Staubfedern umhereilten, Bücher stapelten und in sämtliche Ritzen krochen, schleppte sich der alte Bibliothekskobold zu seinem Sessel zurück.

Die Wolke schwebte beharrlich über ihm, grollte und grübelte. Da vernahm sie ein Tuscheln von den Naslingen und wurde ganz Ohr. Und zwar im wahrsten Sinne ganz. Sie ballte ihre Gestalt einfach zu einem Ohr plus Trichter zusammen. Auf die Weise konnte sie hören, was unter den flinken Arbeitern gesprochen wurde. Ein statisches Knistern und ein Geistesblitz durchzuckte sie, bevor er durch die Bibliothek sauste. Die Naslinge kicherten heimlich und jagten den Blitz zwischen den Regalen, bis er in einem Funkenregen zerstob. Dann begaben sie sich wieder an die Arbeit und tuschelten. Die Wolke hingegen formte selbst wieder einen Mund und räusperte sich. ‚Mister Rätsel, Sir?‘

Mister Razzle wollte sie nicht beachten und ließ die Finger, wo sie waren. Prompt räusperte sich die Wolke ein wenig lauter. ‚Mister Rätsel, ich weiß genau, dass sie mich hören. Ihre Augenbrauen beben. Das tun sie immer, wenn Sie, Sir, mich zu ignorieren versuchen. Mister Rätsel?‘

Am liebsten hätte er sie weiter ignoriert, doch sich von einer Einbildung auch noch beleidigen zu lassen, ging eindeutig zu weit. ‚Razzle!‘, krächzte er daher.

‚Jawohl, Mister Rätsel, Sir.‘

‚Nicht Rät-sel‘, brauste er auf, so dass die Wolke dunkler wurde und weiter wuchs. ‚Razzle heiße ich! Mit ZZ wie das Summen einer Biene.‘

‚SSS‘, summte die Wolke und kicherte. ‚Was ich eigentlich sagen wollte, Meister Rätsel, Sir … Die Naslinge, nun, sie reden über Sie. Nicht schlecht, keineswegs. Ich verstehe zwar nicht, wieso, aber sie beklagen sich nicht. Allerdings könnte es hilfreich für Sie sein, Sir, ihnen, wenn schon keine Achtung, so doch Beachtung oder ganz wenigstens Ihr Gehör zu leihen. Die Burschen hätten da vielleicht eine Lösung … für alle.‘

‚Papperlapapp, ich rede mit keinen eingebildeten Wolken.‘ Razzle wäre am liebsten aufgesprungen vor Zorn. Doch allein der Gedanke daran, dass seine Füße mit Schwung auf den Boden schlugen, ließ ihn das Gesicht verziehen. ‚Oh, dieser Rücken und die ollen Knie…‘

Damit rollte er sich samt seiner morschen Knochen im Sessel herum, legte sein Bein auf ein gepolstertes Höckerchen und stopfte wieder die Finger in die Ohren.‘

Die Wolke seufzte und stütze das Kinn auf eine schnell geformte Faust. Vom Grübeln bildeten sich lauter Dellen auf ihr.

‚Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, hier schimmelt es noch irgendwo‘, nuschelte Mister Razzle, als er aus unruhigem Mittagsschlummer erwachte. Seine Knöchel pochten. Er hielt die Nase in die Luft, als wolle er die Witterung aufnehmen. Aber es hatte keinen Zweck, er war ja schließlich kein Feuchtigkeitsspürhund. Sein alter Zinken roch nur den Duft von Pergament und Leder. Dabei konnte es gar nichts Schlimmeres als diesen unriechbaren Feind geben. Er schadete dem Holz der Regale, und das, obwohl Razzle mit der Zeit selbst wie zu einem dieser alten Regale geworden war. Seine Knochen fühlten sich genauso brüchig an, seine Knöchel genauso aufgeschwemmt und geschwollen. Mit den Schmerzen hätte er leben können, aber seine heißgeliebten Bücher in dieser klammen Gefahr zu wissen, nicht zu schweigen von den kostspieligen Maßnahmen und den Scherereien, diese nichtsnutzigen Naslinge zu befehligen, das bereitete ihm Übelkeit. Über kurz oder lang würde er sich dadurch noch ein Magengeschwür oder gleich eine ganze Horde davon einhandeln. Solche Überlegungen rasten durch seinen Verstand wie Gift. So dachte er sich immer weiter in Unmut und Rage, während die Wolke über ihm wuchs und doch versuchte seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie schaukelte hin und her, wippte vor und zurück, um in sein Blickfeld zu gelangen, doch Razzles umwölkter Verstand verschloss sich weiter vor ihr. Schließlich hatte sie genug und beschloss lauthals zu singen.

‚Mister Rätsel, Sir, hör auf zu stänkern und lieber auf den Rat von mir! Mister Rätsel, Sir, hör auf zu plänkern und lieber auf nen Nasling von dir!‘

Sein nervöses Blinzeln verriet, dass der Angesprochene sie sehr wohl gehört hatte, aber keineswegs gewillt war darauf einzugehen. Auch seine Brauen zuckten wieder. Lieber stopfte er sich die Finger noch tiefer in die Gehörgänge, rappelte sich auf, hievte sich aus dem Sessel hoch und schlurfte nach nebenan zu seinem Bett.

Die Wolke gab sich vorerst geschlagen. Schweigend schwebte sie obendrein, feilte aber schon eifrig an ihrem nächsten Schritt.

Wieder wachte Mister Razzle auf. Es war Morgen. Er konnte die Vögel vor den geschlossenen Fenstern zwitschern hören. Es roch nach frischem Minzkaffee. Der Kobold ließ seine knotigen Finger über die weiche Decke streichen. Er öffnete die Augen und die Wolke war da. Sie begrüßte ihn strahlend bis über beide Pausbacken. Schnell nahm er den Daumen aus dem Mund und schob behutsam die Beine aus dem Bett. Sie blieb da. Er stand auf, zog sich an, putzte die Zähne, nahm die Zitronenscheibe in den Mund. Sie war da. Er schrie auf, rieb sich die Gelenke, scheuchte die Naslinge herum. Sie blieb wo sie war. Immer eine Nasenlänge über seinem Kopf. Zudem hörte er mittlerweile dauernd Mehltrop niesen und das Rascheln, wenn sämtliche anderen Naslinge ihm synchron ein Taschentuch anboten. So würden die Arbeiten noch ewig andauern.

Er schüttelte den Kopf, trank seinen Kaffee und ignorierte angestrengt die strahlend weiße Wolke über seinem Kopf. War das Einbildung oder war sie um die Mitte herum dicker geworden? Wolken konnten doch wohl nicht schwanger werden? Oder etwa doch? Nicht, dass er bald gleich zwei eingebildete Wolken um seinen Kopf schwirren hatte. Vielleicht hatten die Leute vom Markt doch recht mit ihm. Wurde er alt? Verrückt? Senil? Da zog er es vor, noch einen Schluck zu nehmen.

Als er am Abend wieder ins Bett humpelte, hing sie noch immer über ihm herum und hatte wie stets einen fröhlichen Spruch auf den Wattelippen.

‚Freie Tage für fleißige Naslinge und ne Zahnversicherung dazu, schon sind sie ratzfatz wieder fit, und Sie, Sir, gleichfalls wie im Nuuu!‘

Der Bibliothekskobold verzog sich unter ein Buch, verdrehte die Augen und grummelte.

So ging es fortan tagein tagaus. Die Wolke sang, Razzle brummelte. Die Wolke wuchs, Razzle schrumpelte zusammen. Von Tag zu Tag ging er gebeugter. Nachdem er lang genug gegangen war, zählte er Tag Acht des Wochenverlaufs und Mister Razzle fasste einen ungewöhnlichen Beschluss.

Wieder erwachte er und wieder war die Wolke dicker geworden. Da begann er sie zu beschimpfen.

‚Hau ab, du bist nicht echt!‘

Mit jedem seiner Worte wurde sie breiter. Er konnte ihr regelrecht beim Wachsen zusehen, doch er meckerte weiter. ‚Dampf ab! Verdünnisier dich!‘

Die Wolke quoll auf und reckte sich gar in die Höhe, während er schimpfte und stampfte, zeterte und miesepeterte. Sich eine Wolke einzubilden, war die eine Sache, an die er sich beinahe gewöhnt hatte. Aber sich auch noch einzubilden wie sie wuchs und wuchs, als würde er sie durchs bloße Zusehen mästen, war einfach zu viel des Guten. Unduldbar! Was bläst die sich eigentlich so auf, dachte er. Sein Knie schmerzte, und sie ballte sich drall, als ob nichts wäre. Nicht nur über seinem Kopf hing sie nunmehr, sondern war so breit geworden, dass sie schon die halbe Bibliothek ausfüllte, während er unter ihr über den Boden kriechen musste. Erneut ertappte er sich dabei, wie er über seinen geistigen Zustand spekulierte, sich zunehmend fragte, ob er doch alt und irre wurde – oder sogar bereits war? Dieses bauschige Elend sog ihm den Verstand heraus. Er konnte es schon in den Schläfen spüren. Nein, das durfte er unmöglich zulassen. Sie würde schon sehen, was sie davon hatte, sich in seinem Kopf auszubreiten. Er würde es ihr richtig ungemütlich machen. So beschimpfte er sie weiter. Und die Wolke? Sie wurde richtig heiter. ‚Verschwinde, du schlechte Badeschaumkopie! Oder ich ich ich … blase dich hinfort.‘ So pustete und prustete Razzle, bis ihn die Lungen schmerzten, doch die Wolke hielt plappernd dagegen.

‚Anstatt immer nur hinauszuschrein,

hör lieber in dich selbst hinein!

Schweigt deine innere Stimme jedoch,

hol einen Nasling aus seinem Moloch.

Er kann dir sagen,

was du nicht hörst,

bevor du dich unnötig weiter empörst.‘

‚Jetzt geht das wieder los.‘ Razzle rollte mit den Augen und schlug sich die Hand vor die Stirn. Er hatte sich heiser geschrien. Sein Atem ging schwer. Die Nerven flatterten wie tausend Schmetterlinge. Er musste sich vor lauter Erschöpfung setzen. ‚Wenn ich mir anhöre, was immer auch zu sagen ist, bist du dann still?‘

Ein Teil der Wolke nickte eifrig.

‚Gut.‘

Ruhe, das brauchte der Kobold wahrlich, Ruhe, keine Moralwolke, die Schlauheiten absonderte. Einfach nur Ruhe, danach sehnte sich jede gereizte Sehne seines hageren, gespannten Körpers. Die letzten Tage hatten ihm den Rest gegeben. Auf Schritt und Tritt Schmerz und niemals allein. Er fühlte sich wie gebrochen. Eine Änderung musste her, Er würde verändern. Was immer dazu nötig war. Razzle seufzte.

‚Na wunderfein, man schicke Mehltrop zu mir rein‘, krächzte Razzle noch immer in Pantoffel und Pyjama gekleidet. So erhob er sich schwerfällig, humpelte zu seiner Kommode und wickelte sich einen roten Morgenmantel um. Keine Minute später stolperte Mehltrop ins Zimmer. Unter so viel Schwung vom wiederholten niesen, dass er beinahe einen Überschlag machte.

‚Du hast heute frei‘, knöterte Razzle zwischen knirschenden Zähnen hindurch. ‚Geh zur Kräuterhexe vom Waldrand. Sie sollte heute auf dem Markplatz weilen. Die Alte bietet auch Tinkturen gegen deinen dauerverstopften Rüssel.‘

‚Ich habe frei?‘ Mehltrop traute seinen Ohren kaum. ‚Ich darf gehen?‘

Razzle deutete ein Nicken an.

‚Mein Herr, Ihr seid so gütig.‘

‚Papperlapapp!‘ Sichtlich errötend wandte sich der alte Kobold ab, und die Wolke formte eine Hand, um sie sich vor den kichernden Mund zu halten.

Razzle räusperte sich. ‚Ich … ich mag es bloß nicht, wenn du mir sämtliche Buchseiten mit deinen ausgeniesten Schleimabsonderungen und schmierigen Ausdünstungen verklebst. Husch husch, hinfort mit dir, bevor ich es mir anders überlege‘, ächzte der Bibliothekskobold, bevor er sich in seinem Bett zurücklehnte, die Knie massierte und schließlich hinwegdämmerte.

Mehltrop lächelte und, … ‚Hatschuuu‘, … nieste sich im Purzelbaum aus dem Zimmer.

Mister Razzles Mundwinkel verzogen sich. Das war doch wohl kein Lächeln, das die Wolke in seinem Gesicht ausmachte? Kurz darauf dämmerte er weg.

Dieses Mal erwachte Razzle von einem merkwürdigen Zupfen an seinem Ellbogen. Ziehen, Stechen, Pieksen. Ja, das alles kannte er von seinen morschen Knochen. Aber dass es an den Gelenken zupfte? Welche Ausgeburt des papierverbrennenden Höllenkreises war das nun wieder? Seine Lider flatterten, als er sie langsam öffnete. Neben dem Bett stand eine lange Nase, und direkt dahinter kam schon gleich ihr Besitzer. Mehltrop hörte augenblicklich auf an Razzles Ellenbogen zu zupfen, als dieser ihn anblinzelte.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.