Kitabı oku: «Europäische Regionalgeschichte», sayfa 4
Nun lässt sich fragen, was es de facto bringt, wenn so viele Informationen über ein kleines Dorf bekannt sind.
Was die Mikro-Perspektive bringt
Gerade in jüngerer Zeit wird die methodische Diskussion um die Regionalgeschichte verstärkt unter Einbeziehung einer in den vergangenen Jahrzehnten mitunter hitzigen Debatte um mikrohistorische Ansätze geführt (Kaiser 2000; Schulze 1994).
Im Zentrum steht die Frage, was schließlich das zentrale Charakteristikum mikrohistorischer Ansätze darstellt (Magnússon & Szijártó 2013). Giovanni Levi zufolge sieht die Antwort darauf folgendermaßen aus: „Microhistory as a practice is essentially based on the reduction of the scale of observation, on a microscopic analysis and an intensive study of the documentary material“ (Levi 2001, 99); oder mit den Worten Niels Grünes: die „drastische Verkleinerung des Untersuchungsobjekts bzw. Vergrößerung des Beobachtungsmaßstabs“ (Grüne 2014, 129). Das heißt, ein Dorf, ein Betrieb, eine Gruppe, ein Gebäude oder ein Individuum stehen im Fokus. „‚Mikro‘ ist das Auge, die Linse, mit denen man die Realität liest, der reduzierte Maßstab, mit dem man arbeitet, nicht der Gegenstand!“ – bekräftigt Levi (2017).
Gleichzeitig wird aber stets ein dem Einzelfall übergeordnetes Erkenntnisinteresse betont. Levi’s vielzitierter Sinnspruch lautet: „Historians do not study villages, they study in villages“ (Levi 2001) [Auch: „Mikro-Historie, das heißt nicht, kleine Dinge anschauen, sondern im Kleinen schauen“ (Zitiert nach Medick 1994, 40)]. Dabei handelt es sich um eine Paraphrase von Clifford Geertz (1926–2006), der Ähnliches in seiner Schrift The Interpretation of Cultures (1973) festhielt: „Anthropologists don’t study villages (tribes, towns, neighborhoods…); they study in villages“ (Zitiert nach Levi 2001, 117).
Vom Kleinen ins Große und zurück
Wenn aber eine Mikrostudie nun über sich hinaus und damit auf generalisierbare übergeordnete Befunde verweisen möchte oder soll, dann müssen kleinräumige Befunde mit strukturgeschichtlichen System- und Verlaufsmodellen in Bezug gesetzt werden. Bei aller Heterogenität möglicher empirischer Vorgehensweisen sieht Grüne hier im Wesentlichen drei Optionen (Grüne 2014, 130–132):
Erstens, das Verfahren der „nominativen Quellenverknüpfung“, bei der Materialien unterschiedlicher Provenienz kombiniert werden (z. B. Kirchenbücher, Gerichtsakten, Steuerkataster etc.). Hierzu gehört auch die „mikrohistorische Quantifizierung“ oder „kliometrische Tiefenanalyse“. Das heißt, es wird versucht, unterschiedliche lokale Quellentypen methodisch sauber zu kombinieren und statistisch auszuwerten (z. B. demografische Familienrekonstruktion, „Prosopographie der Masse“ etc.). Hier geht es im Grunde um die Aggregierung von Daten, wie sie auch für die sozialwissenschaftliche Makroanalyse brauchbar sind.
In einem zweiten Zugriff, der in der mikrohistorischen Forschungslandschaft dominiert, wird versucht, die Dimension subjektiver Wahrnehmungs- und Deutungsmuster und daraus erwachsender Handlungsstrategien zu rekonstruieren. Es handelt sich also um einen kulturwissenschaftlichen Zugriff, um einen „ethnologischen Blick“. Hier liegt eine theoretische Orientierung am Subjekt vor – mit all ihren Problemen der analytischen Vereinbarkeit mit sozialwissenschaftlicher Analytik und anonymen Strukturfaktoren.
Die dritte Option versucht mikroskopisch gerade diejenigen lokalen Interaktionsräume und Interaktionsweisen zu analysieren, „in denen sich die (Re-)Produktion und der Wandel systemischer Zusammenhänge vollziehen“. Beispiele sind der Makrotrend der Veränderungen von politischen Milieus oder Wahlverhalten. Lokalstudien bringen hier eine Differenzierung bisheriger politik- und strukturgeschichtlicher Perspektiven, die mit ihrer top-down-Orientierung zu grobmaschig vorgehen.
Das Problem der Repräsentativität
Nun bleibt aber das bis heute ungelöste Kernproblem der Repräsentativität der „im Kleinen“ gewonnenen Einzelbefunde – das Verhältnis von lebensweltlichen Details zu Makroprozessen (Ammerer 2012; Schlumbohm & Gribaudi 2000; Ulbricht 2009) (Kap. 3.1.13). Es steht nach wie vor kein gesichertes Instrumentarium zur Verschaltung von Mikro- und Makroebene (Kap. 3.1.3) zur Verfügung, was in der Forschung mitunter zu dem Vorschlag führt, bewusst auf diese systematische Verknüpfung zu verzichten.
In der frühen mikrohistorischen Debatte um die Repräsentativität des Exzeptionellen betonten die federführenden mikrohistorischen Theoretiker Carlo Ginzburg und Carlo Poni (1927–2018) den Erkenntniswert des exzeptionellen Quellenzeugnisses:
Aber das „außergewöhnliche Normale“ kann noch eine andere Bedeutung haben. Wenn die Quellen die soziale Realität der subalternen Klassen systematisch verschweigen und/oder deformieren, kann ein außergewöhnliches (d. h. statistisch seltenes) Dokument sehr viel aussagekräftiger sein, als tausend stereotype Quellen (Ginzburg & Poni 1985, 51).
Was sind solche außergewöhnlichen Quellen?
Exzeptionelle Quellen
In Ginzburgs berühmter Studie Der Käse und die Würmer ist es das Verhörprotokoll eines Müllers in einem Hexenprozess um 1600, das lebensweltliche Zusammenhänge verschriftlicht, die für die Angehörigen der nicht privilegierten Bevölkerungsmehrheit in der Frühen Neuzeit ansonsten so nicht greifbar wären (Ginzburg 1979).
Der wohl renommierteste deutschsprachige Vertreter der Mikrogeschichte, Hans Medick, sieht das Bedeutsame im statistischen „Ausnahme- und Grenzfall […], der durch seine vertiefenden und kontextualisierenden Untersuchungen historischer Zusammenhänge jedoch Einblicke hinter die Oberfläche historischer Erscheinungen bietet und damit auch einen neuen Blick auf das in der Geschichte menschlich Mögliche gestattet“ (Medick 1994, 47).
Die sich oft gegenüberstehenden Extrempositionen zwischen der Absolutsetzung der Mikroperspektive auf der einen und der strukturgeschichtlichen Makroperspektive- auf der anderen Seite können und sollten durch eine vermittelnde Position, wie sie etwa Grüne einnimmt, überbrückt werden.
Methodisch kontrollierte Generalisierung
Dieser betont, dass die Regionalgeschichte als eine auf einer mittleren Ebene agierende Empirie die „Chancen zu methodisch kontrollierter Generalisierung“ (Grüne 2014, 145) biete:
Geht man von einem pragmatisch-funktionalen Regionsbegriff aus, der primär auf strukturelle Gemeinsamkeiten rekurriert, so kann auf lokaler Ebene akteurszentriert beobachtet werden, wie sich Individuen und Kollektive mit ihren sinnstiftenden sozialen Praktiken und Strategien innerhalb eines strukturellen Bedingungsfelds bewegten, das sie damit selbst wiederum prägten und veränderten (Ebd.).
Kurz gesagt wird hier dann weder das Individuum und seine individuelle Erfahrungswelt noch die anonyme soziale Struktur absolut gesetzt. Intentionales Handeln der historischen Akteurinnen und Akteure, die Formen ihrer Selbst- und Weltdeutung werden ebenso freigelegt wie strukturelle, oft nicht-intendierte Effekte individuellen oder kollektiven Handelns.
Lokale Spurensuchen mit (über)regionaler Verortung
Niels Grünes eigene Studien belegen eindrucksvoll das Korrekturpotenzial des mikrohistorischen Zugriffs gegenüber strukturhistorisch-makroskopisch- grundierten Lesarten.
Interkonfessionelles Zusammenleben
So macht er etwa für das interkonfessionelle Zusammenleben in der pfälzischen Provinz bemerkenswerte Funde. Im 19. Jahrhundert trugen kirchliche Hierarchien und Kirchenobere durchaus das Ihre dazu bei, dass diese Periode in der Forschung gemeinhin als Zeit von Rekonfessionalisierung und zunehmender interkonfessioneller Spannungen gilt. Gleichzeitig finden sich vor Ort Spuren gelebter Irenik, die vor diesem Hintergrund erstaunen. Im pfälzischen Dorf Käftertal teilte die katholische Kirchengemeinde im Jahr 1818/19 ihr Gotteshaus mit den Reformierten für die Dauer von deren eigenem Kirchenbau. Die Grundsteinlegung dazu am 11. März 1818 wurde als ökumenisches Fest unter reger Beteiligung Geistlicher und Gläubiger dreier Konfessionen inszeniert. Einem katholischen Hochamt folgte die Ansprache eines lutherischen Predigers, gefolgt von der Rede des reformierten Pfarrers Johannes Bähr (1767–1828), der den reformierten Kirchenbau als „Denkmal brüderlicher Liebe“ über die Konfessionsgrenzen hinweg rühmte und der „der geliebten katholischen Gemeinde“ „unauslöschliche[n] Herzensdank“ (Zitiert nach ebd., 140; Grüne 2011, 375) zollte.
Dichte Beschreibung der NSDAP in Schwanberg
Auch Markus Roschitz’ Forschungen stehen für einen Brückenschlag zwischen individueller Erfahrungswelt und anonymer Struktur, zwischen Makroperspektive- und der Rekonstruktion von Lebenswelt vor Ort. Roschitz hat kürzlich eine Mikrostudie- zur NSDAP in der weststeirischen historischen Region Schwanberg im Zeitraum 1930–1938 vorgelegt, in der er die Entwicklung der lokalen NSDAP, ihre „Wegbereiter und politischen Gegner“ mittels einer mikrohistorischen „dichten Beschreibung“ analysiert und in überregionale Ereignisse sowie wirtschaftsräumliche Gegebenheiten und Strukturen einbettet. Roschitz betont zur Relevanz mikrohistorischer Studien der NS-Geschichte, dass die NSDAP immerhin nicht „in einem luftleeren Raum“ entstand, sondern „in einem schon länger existenten, lediglich regional unterschiedlich stark ausgeprägten deutschnationalen Milieu“, und dass „die konkrete Ausgestaltung der NS-Herrschaftspraxis beispielsweise mit makrohistorischen Methoden nicht greifbar“ sei, „die Untersuchung eines Dorfes, einer Region auf diese Frage hin kann indes aufschlussreiche Ergebnisse erbringen“ (Roschitz 2020).
Weitere Schlaglichter auf lokale Spurensuchen mit regionaler und überregionaler Verortung sollen im Folgenden die Potenziale einer regionalperspektivisch ausgelegten Mikrogeschichte noch einmal veranschaulichen.
Mikrohistorischer Blick auf eine Person
Gunda Barth-Scalmani (1998) widmet sich der Verbindung einer akteurszentrierten Mikroperspektive mit strukturellen und regionalen Rahmenbedingungen am Beispiel der Salzburger Hebamme Theres Pfeiffer-Zierer (1781–1864). Dabei zeigt sie „Brüche und Verwerfungen mit den allgemeinen sozialgeschichtlichen Ergebnissen auf“ (Ebd., 111). Denn der mikrohistorische Blick auf ihre Person ergibt differenziertere Ergebnisse als allein amtliche Dokumente und so changiert Pfeiffer-Zierer im Wechsel zwischen verarmter städtischer Unterschicht und bürgerlicher Haushaltsführung sowie selbstständiger Kleinunternehmerin. Barth-Scalmani betont: „Nur dabei werden aber zugleich die Brüche eines weiblichen Lebens und die Widersprüche zu verallgemeinernden Konstruktionen von Weiblichkeit im 19. Jahrhundert sichtbar“ (Ebd., 112). Gleichzeitig wird das individuelle Handeln der Protagonistin erst durch die strukturelle und regionalspezifische Kontextualisierung fassbar – z. B. Berufsweg und gesellschaftliche Stellung in der Stadt Salzburg (Ebd., Ammerer 2012).
Innsbrucker Gebärhaus
Ein weiteres medizin- und geschlechterhistorisches Exempel zeigt die potenziellen Verschränkungen lokaler, regionaler und europäischer Forschungsperspektiven. Die Historikerin Marina Hilber (2012) bietet in ihrer Untersuchung Institutionalisierte Geburt eine mikrohistorische Erforschung des Innsbrucker Gebärhauses mit regionaler Verortung – zum Beispiel durch Einbeziehung der Herkunftsräume der Patientinnen. Mit ihrer Forschung fügt sie sich sowohl in die Stadtgeschichte von Innsbruck als auch die Tiroler Regionalgeschichte ein und verbindet die Ergebnisse der Mikrostudie mit Forschungen zur europäischen Gebäranstalten. Ihr Anspruch besteht darin „[…] die Geschichte des Innsbrucker Gebärhauses entlang institutionengeschichtlicher, politischer, sozialer und medizinhistorischer Leitlinien“ zu rekonstruieren und im Vergleich mit anderen Gebäranstalten „regionale Vorkommnisse in einen breiten Sinnzusammenhang zu stellen“ (Ebd., 12). Dabei zeigt sie zum Beispiel, dass das Innsbrucker Gebärhaus hinsichtlich der Klientel deutlich vom Trend in der Monarchie abwich, indem es ab 1881 für ein breites Publikum geöffnet wurde (Ebd., 321).
Mikrohistorische Tiefenbohrung
Christian Zumbrägel untersucht den sogenannten Staudammboom des Kaiserreichs bzw. dessen Vorgeschichte in Form einer „mikrohistorischen Tiefenbohrung“ (Zumbrägel 2020, 340) mit makrohistorischer Verortung. Eine solche Sicht sei, so Zumbrägel, zwingend notwendig, denn:
Das Talsperrenwesen begann klein und die frühen Speicherseen waren allein für die Wasserversorgung im lokalen Kontext bestimmt […]. Ihre langfristige Wirkung entfalteten diese kleinen Großbauten […] aber wiederum auf regionaler Ebene, nämlich für die Wasser- und Energiewirtschaft im gesamten Ruhrgebiet. Die ersten klein dimensionierten Talsperren legten überhaupt erst den Grundstein für das spätere Großwachstum dieser Anlagen (Zumbrägel 2020, 340).
Dieser Zusammenhang kann nur dann hervortreten, wenn eine Analyse über die „wortmächtigen Talsperrenplaner und Ingenieure“ hinausgeht und die „scheinbar stummen Bewohnerinnen und Bewohner der Mittelgebirge und ihre verdeckten Dammbauaktivitäten in den Blick nimmt“ (Ebd.). Wenn die Mikro-Makro-Verflechtungen in den Blick genommen werden, zeigt sich, wie diese Bewohnerinnen und Bewohner den westfälischen Staudammboom maßgeblich mitgestalteten, was in der Forschung zu diesem Thema vernachlässigt wird bzw. wurde (Ebd., 345).
Fazit
Die Regionalgeschichte bietet als eine auf einer mittleren Ebene agierende Empirie – um abschließend noch einmal Niels Grüne zu zitieren – die „Chancen zu methodisch kontrollierter Generalisierung“ (Grüne 2014, 145). Sie ermöglicht eine vielversprechende Verbindung zwischen akteurszentrierter und struktureller Perspektive, zwischen individueller Erfahrungswelt und sozialen Strukturen. Vieles ist erst durch regionalspezifische Untersuchungen greifbar und erbringt aufschlussreiche Ergebnisse. Über die forschungspragmatische Eingrenzung des Forschungsgegenstandes auf einen mehr oder weniger streng begrenzten Raum bzw. auf eine Region hinausgehend, bringt der regionale Zugang zur mikrohistorischen Betrachtung ganz eigene Fragen und Stärken, wenn der Faktor Raum als forschungsleitende Komponente und Frage eingebracht wird. Dieser Anspruch wird sich zum Beispiel auch noch im Kapitel zur Geschichte von Einzel- und Gruppenbiografien zeigen (Kap. 3.1.11).
Zuletzt sei das Konzept oder der Versuch einer „globalen Mikrogeschichte“ erwähnt. Diese gehört aktuell zu den meistdiskutierten Themen der zukünftigen Geschichtswissenschaft bzw. deren Entwicklungsmöglichkeiten. Die Idee, Global- und Mikrogeschichte zusammenzuführen, wird von manchen Beteiligten gar als „Renaissance“ bezeichnet (Ghobrial 2019; Medick 2016). Die Dichotomisierung zwischen „Mikro“ und „Makro“, zwischen „Global“ und „Regional“ oder „Lokal“ sowie Ideen der Verknüpfung, etwa in Form einer globalen Mikrogeschichte, werden im nächsten Kapitel genauer erörtert (Kap. 3.1.3 & 3.2).
Literaturtipps
Ghobrial, J.-P. A. (Hg.). (2019). Global History and Microhistory. Past and Present
Supplement: Bd. 14. Oxford University Press.
Hiebl, E. & Langthaler, E. (Hg.). (2012). Im Kleinen das Große suchen: Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. Hanns Haas zum 70. Geburtstag. Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes. Studienverlag.
Konersmann, F. & Heinz, J. P. (Hg.). (2014). Landes-, Regional- und Mikrogeschichte: Perspektiven für die Pfalz und ihre Nachbargebiete. Veröffentlichung der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer: Bd. 112. Verlag der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer.
3.1.3. Globale und Transterritoriale Geschichte
Global vs. Regional
„Globalgeschichte ohne Regionalgeschichte ist leer, Regionalgeschichte ohne Globalgeschichte ist begrenzt“ (Schäbler 2014, 307). Birgit Schäbler bringt die Verbindung zwischen Global- und Regionalgeschichte mit diesem Statement auf den Punkt. Angelika Epple konstatiert: „Mikrogeschichte und Globalgeschichte – das scheinen auf den ersten Blick unüberwindliche Gegensätze zu sein“ (Epple 2012, 37). Doch bei zweitem Hinsehen verschwimmt diese vermeintlich klare Opposition. Eine Zusammenarbeit der beiden Fachgebiete bietet sich an: Die Globalgeschichte „kann mit quellengesättigten Mikrostudien ihrer Empirieferne und der Gefahr der Strukturfixierung begegnen“, die Mikrogeschichte kann ihre Quellen und ihre Akteurinnen und Akteure in einen globalen Zusammenhang einbinden. Es sollte weniger darum gehen, fortdauernd die Dichotomie zwischen Mikro und Makro gegenüberzustellen und verhärtete Fronten zu schaffen, sondern eine Verbindung der Bereiche aufzubauen und diese „auf ein theoretisch tragfähiges Gerüst zu stellen“ (Ebd.).
Denn zum einen ist klar, dass die verschiedenen Raumeinheiten zwangsläufig miteinander verbunden sind und auseinander erwachsen (Abb. 5 – oben), zum anderen, dass sich globale, regionale und lokale Räumlichkeiten wechselseitig beeinflussen (können) (Abb. 5 – unten). Diese Ebenen kommen in den „Regionalgeschichte als …“-Kapiteln durch verschiedenartige Themen immer wieder zum Ausdruck.
Abb. 5 Global – Regional – Lokal (Quelle: Eigene Darstellung 2020)
Die Idee, das vermeintliche Gegensatzpaar global / regional (bzw. global / lokal) oder makro / mikro zu verbinden, ist keineswegs neu und brachte in den letzten Jahren einige aufschlussreiche Konzepte in der Forschung hervor (Dejung & Lengwiler 2016). In diesem Zusammenhang spricht Angelika Epple von der „globalen Mikrogeschichte“ (Epple 2012), Andrea Komlosy von der „Welt, die im Kleinraum eingefangen wird“ (Komlosy 2011, 211) oder Ernst Langthaler von der „transterritorialen Mikrogeschichte“ (Langthaler 2012).
Globale Mikrogeschichte
In der „globalen Mikrogeschichte“ unterstreicht Epple die Bedeutung von Relationen: „Diese theoretische Voraussetzung besteht darin, den jeweiligen Untersuchungsgegenstand, sei es ein Akteur, sei es ein Dorf, eine Nation oder eine Weltregion, ausschließlich über seine jeweiligen Relationen zu begreifen und zu zeigen, wie er über die Relationen erzeugt wird“ (Epple 2012, 37). Die überholten Vorstellungen von geschlossenen Räumen weichen einer relationalen Betrachtung. Dieses Denken in Relationen stellt in der Geschlechtergeschichte bereits ein „theoretisches Grundaxiom“ (Ebd., 38) dar, immerhin ist der Begriff Gender in seiner Grundidee relational. Mit dem Spatial Turn ergibt sich daraus eine Möglichkeit zur Kombination von Mikro und Makro, bei der beide für sich und in Zusammenhang relational gedacht werden. So wusste der Salzburger Landeshauptmann Hugo Raimund Lamberg (1833–1884) bereits 1880 zu berichten:
Die Welt ist seit wenigen Decennien durch Dampf und Draht um vieles kleiner geworden. Konnte zuvor ein Gau vom Nachbargaue unabhängig wirthschaften und seine Gegenwart und Zukunft decken, so ist heute auch die kleinste Alpwirthschaft in marktliche Abhängigkeit auch von Amerika und Australien gerathen (Lamberg 06. 08. 1880, 2).
Angelika Epple setzt eine solche globale Mikrogeschichte in ihrer unternehmensgeschichtlichen Studie zum Schokoladenhersteller Stollwerck um, in deren Rahmen sie die globalen Vernetzungen und Wechselwirkungen der Schokoladenindustrie an die Mikrogeschichte des Kölner Unternehmens und der Familie Stollwerck bindet. Sie schafft damit die Verbindung zwischen dem mikrohistorisch kleinräumigen und personenzentrierten Blick einer Familie in ihrer lokalen und regionalen Verankerung und dem makrohistorisch globalen Blick eines Global Players. Im Jahr 1911 warb die Gebr. Stollwerck AG passenderweise mit dem Slogan „Stollwerck ‚Gold‘ beherrscht die Welt“ (Zitiert nach Epple 2010, 9).
Kleinräume
Andrea Komlosy betont, Globalgeschichte dürfe und könne nicht nur global vorgehen, denn „jede Frage, wie weit sie auch auf regionale, nationale oder internationale Ebenen wirkt, hat auch ihre lokale Verankerung“ (Komlosy 2011, 10). Der von ihr als mögliche Herangehensweise an die Globalgeschichte vorgeschlagene Kleinraum kann als „Einstiegsort in ein überregionales Geschehen“ begriffen werden sowie als „Schauplatz […], an dem sich verschiedene Ebenen des überregionalen Geschehens treffen, kreuzen, aufeinanderstoßen und mit den lokalen Gegebenheiten spezifische Verbindungen eingehen […]“ (Ebd., 211) – Stichwort „Glokalisierung“. Dieses „vage Raumkonstrukt unterschiedlicher Größe und Erstreckung“ (Ebd., 212) entspricht – so ließe sich anmerken – ganz einfach einem zeitgemäßen Regionsbegriff, wie er auch in diesem Einführungsband angewendet wird.
Komlosy spielt die unterschiedlichen Skalenebenen von Regionalität in ihren überregionalen bis globalen Bezügen anhand dreier substaatlicher Räume der ehemaligen Habsburgermonarchie durch: die Stadt Wien als politischer „Mittelpunktsort“, die Textilregion Waldviertel als wirtschaftskultureller Kleinraum und das Kronland Galizien als innere Peripherie (Ebd., 229–220). Sie zeigt auf, dass sich die Monarchie oder die Republik Österreich durchaus als Gegenstand von Globalgeschichte eignen (Judson 2017), obwohl sie vom Selbstverständnis der historischen Subdisziplinen nicht zur Globalgeschichte, sondern zur Österreichischen Geschichte gezählt werden. Entscheidend ist die Berücksichtigung überregionaler und globaler Verflechtungen – seien es die dynastischen (transatlantischen) Verbindungen der Monarchie oder die Einbindung der Republik Österreich in die staatenübergreifende Europäische Union. Die Habsburgermonarchie war „eine Weltwirtschaft im Kleinen […], die auf einem inneren Zentrum-Peripherie-Verhältnis beruhte“ (Komlosy 2011, 220), bei dem Länder und Regionen wie Galizien als Nahrungsmittel- und Rohstofflieferanten sowie Abnehmer der Erzeugnisse aus den Industrieregionen dienten. Allein daran zeigt sich die Relevanz einer überregionalen Einordnung.
Transterritoriale Mikrogeschichte
Der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Ernst Langthaler zielt konzeptionell in eine ähnliche Richtung. Er schlägt eine „transterritoriale Mikrogeschichte“ vor, bei der einzelne Orte mit einem Verflechtungsraum in Verbindung gebracht werden. Durch eine transterritoriale Mikrogeschichte lassen sich Regional- und Globalgeschichte auf der Ebene der grenzüberschreitenden „trans“-Ansätze (translokal, -regional, -national) vereinen. Anhand des Beispiels agro-industrieller Nahrungsketten, konkret der Soja-Fleisch-Nahrungskette, verfolgt Langthaler globale Verflechtungsräume mit lokaler Verankerung:
„Der weltweit zunehmende Verzehr von Schweinefleisch bildet das Ende einer agro-industriellen Nahrungskette, an deren Anfang der Anbau von Futtermitteln für die mit vor- und nachgelagerten Industrien gekoppelte Viehmast steht. Entlang dieser Nahrungskette sind mehrere, auf mehrere Weltregionen verstreute und untereinander verflochtene Orte der Produktion, Distribution und Konsumtion aufgefädelt“ (Langthaler 2012, 36).
Transterritoriale (translokale, -regionale, -nationale) Geschichte Transregionale Studien bzw. die Transregional Studies konzentrieren sich auf Austauschbeziehungen, Verflechtungen und Interaktionen innerhalb und zwischen Regionen weltweit. In der transnationalen, transregionalen und translokalen Geschichte geht es darum, eine grenzüberschreitende „Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaates“ (Osterhammel 2003) zu entwerfen. Diese Aufgabe birgt mehr Sprengkraft und Hürden in sich, als es zunächst scheinen mag, denn nach wie vor herrscht selbst in den Wissenschaften eine starke Bindung an die jeweiligen Nationen und Nationalismen.
Von der Nation zur Region: Transnationalität und Transregionalität
Auch der Begriff der Transnationalität wird kritisiert. Die Frage steht im Raum, „ob nicht schon die Wahl des Begriffes dazu führe, die Nation, die durch die Vordertür entlassen wurde, durch die Hintertür wieder hereinzulassen“ (Pernau 2011, 18). Es erscheint daher sinnvoll, die Nation als nur eine von vielen Möglichkeiten der Raumordnung zu betrachten und einen verengten Blick zu vermeiden. Besonders im Fall jener Epochen und Regionen, in denen die Nation oder der Nationalstaat noch nicht als Ordnungsmuster vorhanden war, ist eine solche Lösung angebracht. Die Begriffe translokal und transregional und die mit ihnen verbundenen Ansätze und Konzepte bieten über die Nation hinausreichende, vielversprechende Einsichten (Freitag & von Oppen 2010; Middell 2018; Pernau 2011). Die verschiedenen
Termini bergen indes spezifische Implikationen und Konnotationen in sich, die nicht einfach übergangen und geglättet werden sollten. Der Begriff der Transnationalität verweist stärker auf die Überwindung oder Durchdringung nationalstaatlicher Grenzen und die Infragestellung der Kategorie Nation, wohingegen die Transregionalität mit flexibleren, transzendenten Grenzen jenseits der Nation konnotiert ist.
Transnational-vergleichende und transregionale Studien haben etwa zu einem großen Interesse und einem besseren Verständnis „Ost(mittel)europas“ sowie zur Auflösung von Stereotypen, zum Beispiel in Bezug auf den „Balkan“, beigetragen (Roth & Brunnbauer 2007; Todorova 2009). Besonders die geschichtswissenschaftliche, transregional-vergleichende Methode der sogenannten Geschichtsregion nach Stefan Troebst (Kap. 2) ermöglicht eine „staaten-, gesellschaften-, nationen- oder gar zivilisationen-übergreifende“ Analyse von Mesoregionen wie „Ostmitteleuropa“ oder „Südosteuropa“ (Troebst 2013, 407). Die verschiedenen Regionen werden besonders in ihrer Rolle als Verflechtungsräume in den Blick genommen.
Transregionale Forschungen konzentrieren sich auf Mobilitäten und Prozesse, die über traditionelle Grenzen hinausgehen. Das kann Formen der Mobilität und Migration von Menschen, Tieren und Dingen genauso betreffen wie die Verbreitung von Viren oder Epidemien (Forum Transregionale Studien, forum-transregionale-studien. de; Middell 2018; TRAFO, trafo.hypotheses.org).
Der Konstruktionscharakter von Regionen sollte stets bedacht werden. Die Gefahr eines Containerdenkens, wie es Ernst Langthaler mit dem „methodologischen Territorialismus“ bezeichnet (Langthaler 2012, 31), kann durch die Berücksichtigung des Konstruktionscharakters von Regionen und durch den Blick auf Prozesse der Verräumlichung aufgelöst werden. Insbesondere die transterritoriale Betrachtungsweise ermöglicht die Berücksichtigung und gleichzeitige Auflösung verschiedenster räumlicher Grenzziehungen.
Comparative Area Studies
Diese gegenwärtige, vor allem durch den Spatial Turn bedingte Forderung, über das einschränkende Denken in Container- bzw. Behälterräumen hinauszuwachsen und Grenzüberschreitungen, sowie flexible Grenzen zu berücksichtigen, wird mittlerweile auch in den – diesbezüglich vielfach kritisierten – Area Studies durch neue Zugänge wie die Comparative Area Studies aufgegriffen (Ahram, Köllner & Sil 2018).
Grenzüberschreitendes, vernetztes Europa
Die Globalgeschichte beansprucht nicht, die „ganze Welt“ (Weltgeschichte) im Blick zu haben, sondern versteht sich als Perspektive globaler Vernetzung, als Methode (Aust & Obertreis 2014; Komlosy 2011). Ähnlich verhält es sich mit der Regionalgeschichte, die die Vorstellung von begrenzten Containerräumen relativiert und die Konstruktion und (Re-)Produktion von Regionen methodisch und perspektivisch in den Mittelpunkt stellt und kritisch hinterfragt. Eine Europäische Regionalgeschichte bedeutet dabei keineswegs nur eine euro-zentristische Einschränkung, sondern eine Geschichtswissenschaft europäischer Verortung, die grenzüberschreitend und global gedacht werden kann.
Historische Netzwerkforschung
Ein Forschungsbereich, in dem eine solche europäische Geschichte mit transnationalem bzw. transregionalem oder globalem Blick umgesetzt wird, ist die Historische Netzwerkforschung (Düring et al. 2016; historicalnetworkresearch.org; Stegbauer & Häußling 2010). Dabei können Personennetzwerke auf individueller, kollektiver sowie institutioneller Ebene – z. B. Vereinsnetzwerke – in den Blick genommen und Transferprozesse eingebunden werden. Die weitreichenden Vernetzungen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Herrscherdynastien und deren Heiratspolitik bzw. Heiratsmigration bieten etwa aufschlussreiche Einblicke in die transregionalen und transnationalen Wirkungen familiärer Netzwerke (Hecht & Kägler 2018; Schönpflug 2013). Die Historikerin Christina Antenhofer hat am Beispiel der italienischen Gonzaga-Familie und deren Aufstieg von lokalen signori zu Mitgliedern des europäischen Hochadels im Laufe des 15. Jahrhunderts aufgezeigt, wie männliche und weibliche Familienmitglieder aktiv am Aufbau von Netzwerken beteiligt waren und dabei transregional (innerhalb Italiens) sowie transnational (über die italienischen Grenzen hinaus) agierten. Von Beginn an arrangierten die Gonzaga transnationale Ehen, bei denen die Gemahlinnen dazu bestimmt waren, eine politische Rolle zu spielen und den Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie aufrechtzuerhalten. Die verwandtschaftlichen Netze wurden von Generation zu Generation geschickt aufgebaut und instrumentalisiert und aus der lokalen Machtbasis heraus ein dichtes, weitverzweigtes Netzwerk europäischer Player installiert (Antenhofer 2011, 55–74; Severidt 2002).
Die Leitfragen und Themenfelder der historiografischen Netzwerkansätze sind vielfältig, wenngleich ein starker Fokus auf der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte liegt. So werden etwa Netzwerke in Handelsbeziehungen bzw. im Fernhandel, ökonomische Personal- und Kapitalverflechtungen oder Unternehmensstrukturen untersucht. Neben diesen wirtschaftshistorischen Arbeiten richtet sich das Forschungsinteresse aber auch auf andere gesellschaftliche oder kulturelle Aspekte. Marten Düring verdeutlicht das Potenzial dieser Zugänge an der Untersuchung von weitreichenden Hilfsnetzwerken von Personen, die sich für Verfolgte und gegen das NS-Regime einsetzten (Düring 2015). Außerdem gibt es zahlreiche Netzwerkstudien zu migrantischen, familiären oder religiösen Gruppen (Davis, Manz & Schulte Beerbühl 2012; Fertig & Lanzinger 2016; Mitterauer 2013). Vor allem regionale und verwandtschaftliche Beziehungsnetze spielen dabei eine große Rolle.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.