Kitabı oku: «Mit Elfriede durch die Hölle», sayfa 2

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CANTO 2: AUF DEM WEG

NUN LAG SCHWECHAT VOR uns, beziehungsweise: das Flughafengelände; wie kommt denn die liebliche Stadt Schwechat dazu, dauernd als totum-pro-parte für einen Ort zu stehen, der wie kaum ein zweiter unsere Mittäterschaft an der Zerstörung des Klimas und damit der Erde symbolisiert?

Wobei es mit der Mittäterschaft vorerst vorbei war, außer meiner, wie mir langsam dräute; was würde Elfriede Jelinek denn von mir denken (ich traute mich meinerseits nicht, nur »Elfriede« zu denken, ein blankes »Elfriede«, ein bekanntes »Elfriede«, und hängte immer ein »Jelinek« dran an meine inneren Monologfetzchen), ich hatte gedacht, ich könnte anonym zum Flughafen rauschen.

Aber nein. Ich saß neben Elfriede. Jelinek.

Mir fiel noch ein, dass sie in »Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr« die Umweltschützer durch den Kakao gezogen hatte, dass es nur so pritschelte, und so kam ich vorerst mit dieser meiner sehr privaten Flugscham zurecht. »Ich werde«, nuschelte ich dennoch, »hab ich mir gedacht, diesen Flug kompensieren.«

»Kompensieren.«

»Ja. Da gibt’s diese Webseiten. Wo man. Zahlen kann. Wenn man geflogen ist. Oder. Bevor man fliegt. In. Andere Länder, die weit weg. Also. Man zahlt dann. Und ein nepalesischer Bauer kann sich einen neuen Ofen kaufen. Effizient. Energie und so.«

»Aha. Mhm. Na dann. Kompensieren Sie nur hübsch vor sich hin.«

Ich weiß nicht, ob’s gut ist, wenn Elfriede Jelinek »hübsch« zu irgendwas sagt.

Wir waren auf einem Parkplatz gelandet, von dem aus es noch ein gutes Stück Weg war bis zur Abflughalle, aber ich hatte ja alle Zeit der Welt, ich musste nur einen Flug aussuchen, irgendeinen, bezahlen, mir die Maske überstülpen; ich hatte diese verdammte Eile nicht, die man hat, wenn der Flug schon gebucht ist, dieses Feuer-unterm-Arsch, dieses Gefühl, als sei alle Zeit bis zum Abflug nichtig; ich war ganz ruhig. Ganz ruhig.

»Danke schön, Frau Jelinek«, sagte ich, als ich mich, den Koffer, die schönen Schuhe und die Hausbibel aus der kleinen Fiat-Kugel geschält hatte, »Sie haben mir mein Leben sehr erleichtert.«

Kein Satz ohne ein massives Gefühl der Dämlichkeit.

»Nichts zu danken«, erwiderte sie, »leider trau ich mich mit dem Auto nicht weiter rein aufs Gelände« – macht nichts, Frau Jelinek, dachte ich, Sie hätten mich zwar einfach direkt vor der Abflughalle aussteigen lassen und wenden können, aber ich weiß schon, dachte ich, ich weiß, Sie sind menschenscheu, macht gar nichts, die paar Kilometer schaff ich schon noch.

Ich sagte ihr also noch einmal von Herzen Danke, fügte ein »Auf Wiedersehen« an, war ein bisschen wehmütig, weil ich mich jetzt von Elfriede Jelinek wegdrehen musste, und trottete los.

»Moment«, sagte sie da zu meinem Rücken, »ich komm ja mit, hab ich das vergessen zu sagen? Pardon. Ich komm mit.«

»Äh.«

»Ja.«

»Fliegen Sie auch weg?«

Ich war stehen geblieben und schaute sie an, die Hand auf dem Trolley; rundherum war die Erde wüst und leer.

»Ich komm mit«, sagte sie, »bis zum Flughafen.«

Ich krallte mich am Trolley fest.

Die ersten paar hundert Meter stapften wir schweigend durch die Landschaft, die mit »winterlich« nur unzureichend beschrieben wäre. Eher schon Action-Abenteuer. Eher so: halbe Apokalypse. Aber Wien. Deswegen glauben wir’s nicht.

Sie hatte ihren Kragen hochgeschlagen und Lippenstift und Lidschatten aufgetragen, und ich fand in meinem filmvergifteten, hollywooddurchseuchten Hirn, dass sie auf herb-schöne Weise in diese Gegend passte, wo sich die Welt schlafen gelegt hatte; wo ausgeweidete Autos auf nackten Felgen herumstanden wie festgenageltes Tumbleweed in einem Western, diese durch die Wüste geblasenen Steppenläufer, und man spürte schon die Gefahr; diese Gegend, wo ich sorgenvoll in den Himmel schaute, der leer war.

Provokant leer.

Wind kam auf, natürlich. Ich stellte mir Ennio Morricone vor, Spiel-mir-das-Lied-mit-der-Mundharmonika; mein Hirn schuf Kulisse und Sound, ich wusste beim besten Willen nicht, was ich jetzt sagen sollte. Wobei ich vielleicht vor Marlene Streeruwitz noch größeren Spundus gehabt hätte.

In nicht allzu großer Ferne sah ich – ich blieb kurz stehen, um es zu glauben: Flammen. »Da brennt was«, sagte ich tonlos und tumb.

»Ja«, sagte sie, und während ich noch ansetzte, innerlich zu flehen: Sag was, bitte, sag was, ich hab keine Ahnung, sprach sie weiter: »In Wahrheit ist der Flughafen die Hölle, das haben Sie schon ganz richtig gemeint, als Sie Ihre Kompensationskompetenz unter Beweis stellen wollten. Denn das war’s, was Sie gemeint haben. Hier ist die Hölle zuhause, hier hat sie sich’s bequem gemacht, und wenn noch was abhebt vom Tarmac, dann nur zur Tarnung. In Wahrheit brodelt’s. – Gut, das, was da brennt, das sind angezündete Autos, ganz simpel. Ich hab ja schon ein paar Fahrten gemacht hin und her. Die Brandstifter, das sind ganz einfach Frustis, die es nicht wahrhaben können, dass nicht mehr geflogen werden kann. Oder nicht gleich. Oder nicht mit DO&CO-Menü. Oder nicht billig. Na, und dann greifen sie halt zu anderen Mitteln. Benzin. Feuerzeug. Die Scheiße ist immer einfach. Der Mensch ist des Menschen Brandstifter.«

»Und … Sie gehen da freiwillig hin? Haben Sie … haben Sie schon ein Ticket?«

Wenn es so war, wie es aussah, dann hatte sie nicht nur einfach den Georg-Büchner-Preis und dann den Nobelpreis bekommen, sondern war als ganze Person in den schon auf Erden existierenden Himmel der Glücklicheren, Besseren, von Fortuna Gebusselten aufgestiegen. Oder war schlicht intelligenter als ich und hatte das mit dem Ticket schon vorab geregelt.

Sie blieb stehen.

Sie blieb stehen und fing erst mit einem kleinen Grunzen an, bevor ihr ganzer Körper bebte und zu lachen anfing. Sie lachte und lachte, sie schüttelte sich und rüttelte sich und musste sich vorsichtig die Lachtränen aus den Augenwinkeln heben, damit die Wimperntusche das alles schadlos überstand.

»Ein Ticket? Ich? Ein Ticket? Überhaupt: ein Ticket? Nein, meine Liebe. Neinnein.«

»…?« (So schaute ich.)

Sie seufzte und sagte: »Erstens: Sie werden sehen, die Hoffnung auf ein Ticket wird eine hartnäckige sein müssen. Des wird’s ned schbüühn, wie der gelernte Österreicher sagt. Zweitens: Sie werden das jetzt nicht glauben, aber mich schickt eigentlich der Manfred Müller von der Österreichischen Gesellschaft für Literatur. Ich bin ja innen ein netter Mensch, auch wenn mir das keiner glaubt. Der Manfred Müller! Dem konnte ich noch nie eine Bitte abschlagen, was heißt eine, was glauben Sie, wie viele Runden ich schon gedreht habe, was heißt ich, die Marlene, der eine Robert, der andere Robert, der Gustav, wir drehen Runden und Runden. Die Erben vom Heimito haben auch jemanden delegiert. Ich kann die Strecke zwischen der Oper und dem Flughafen schon fast blind. Na ja. Lauter Jungautoren. Wir karren da lauter Jungautoren herum. Und -innen. Wobei: jung. Auch so ein seltsamer Beisatz. Jedenfalls haben Sie jetzt was vor sich. Am besten, Sie warten, bis wir da sind. Dann ist’s vielleicht einfacher zu verstehen. Warum wir Sie in die Hölle schicken.«

CANTO 3: LASST ALLE HOFFNUNG FAHREN, DIE IHR HIER EINTRETET

UND IN DER TAT WAR sie hier. Hier, angreifbar, die Hölle. Wenn man aufgewachsen ist, wie ich aufgewachsen bin, mit dieser im Kleinbürgerlichen wurzelnden Behütetheit, die vielleicht einmal strauchelt im Leben, vielleicht zweimal, die ihre Tragödien durchgemacht hat, aber sich wieder aufgerappelt hat, weil es nämlich die Liebe wirklich gibt, kurz: Wenn man behütet worden ist, dann rutscht einem bei einem Anblick wie diesem das Herz hinab, es durchschlägt die Magengrube, es fährt Achterbahn im Darm, um einen leeren Rumpf zurückzulassen und als nasser, fetter Fleck in der Hose zu landen.

Das heißt doch: »Das Herz rutscht mir in die Hose« – oder?

Vor mir hing ein Taxler von einer Laterne, von einer dieser unmenschlichen Straßenlaternen, aber gut, auch auf gusseisernen, auch auf hölzernen Masten sind schon Menschen gebaumelt. Was kann die Zeit dafür, dass die Dinge mit ihr gehen? Was können die Dinge dafür, dass die Zeit sie mit sich zerrt?

Die Dinge sind unschuldig.

Autos brannten. Scheiben waren zu Mäulern geworden, rissige Münder die riesigen Löcher. Eine Schiebetür ging auf und zu. Auf und zu. Langsam, wie im Tempo von gefährlichen Mafiosi, die sich nähern, und man selbst ist auf die Straße betoniert. Dazwischen Geranien.1 Und meine Behütetheit. Meine Behutung. »Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer«, sagt Doderer, was drin war, rinnt dann, sagt er, die ganze Zeit an uns hinunter, und ich habe nun also eigentlich das Gute seit zweiundvierzig Jahren an mir herunterrinnen. Ich, gebadet in Urvertrauen: Mir war bang. Aber ich hatte Elfriede.

Die lehnte an einem Masten, an dem niemand baumelte, und schaute mich an. Ich schaute zurück. Kurz regten wir uns nicht; ich sah sie an, Strähne für Strähne, Falte für Falte, und die Kippbilder, die ich im Kopf hatte, die sich dazwischendrängen wollten, Elfriede Jelinek mit Haartolle, Elfriede Jelinek mit Lidstrich, keine dreißig, im Mantel, Elfriede Jelinek, glattgesichtig, »Wollen Sie Kunst und Kultur, oder Peymann und Jelinek?«, die Kippbilder waren wie weggeschmissen. In diesem Moment. Wie durch den Schredder des Vergessens gejagt. Da stand sie.

Über ihr quietschte eine Tafel: ZU DEN GATES, stand da, WILLKOMMEN, stand da.

»Schmutzbespritzt«, murmelte ich, mehr zu mir als zu Elfriede Jelinek, »natürlich. Natürlich.«

»Die Stadt der Schmerzen«, sagte die Jelinek mit hochgezogener Augenbraue, während sie sich vom Masten löste, »hier schicken alle ihren Schmerz her, die nicht fliegen können, hier schicken sie sich her auf die Aussichtsplattform und drücken sich die Nasen platt. Schauen den Fliegern nach. Und dann fliegen die, die ohnehin keine Sehnsucht mehr im Leibe haben. Die Sehnsuchtslosen, die heben dann ab in einer Selbstverständlichkeit, dass kein Auge trocken bleibt, außer ihres. Weil die Freudentränen ausgeweint sind. Weil sie sich schon ausgequetscht haben mit ihren harten Händen.«

Na ja, und hier, dachte ich, hier hatten sich die Selbstverständlichen ausgetobt, die Mallorca-Flieger, die Wochenende-in-Barceloner, die Schnell-nach-London-Hopper. Das ging alles nicht mehr. Seuche und so. Deswegen brennende Autos. Deswegen brennende Taxler. Ist der Urlaub nicht in echt, dann ist er nirgendwo, und dann musst du dir die Aufregung anders holen.

Ich sah mich um und hörte mich hart schlucken, ein Donnern in meinen Ohren.

Elfriede Jelinek reckte das Kinn und sagte: »Da sind wir also, wir sind, wo Sie hinwollten, Frau Tiwald. Ich hab Ihnen gesagt, das wird kein Honigmilchtrinken. Aber jetzt kneifen, das geht nicht. Sie sind Schriftstellerin. Uns ist das Kneifen untersagt. Zumindest das gedankliche. Wir müssen hinschauen. Und deswegen, ich sag’s jetzt, wie’s ist, darf ich Ihnen hiermit mitteilen – hiermit mitteilen, pfah, was ist das für ein Deutsch, ich bin schon ganz fertig – na ja, Sie haben das spezielle Stipendium bekommen, das Durch-die-Hölle-gehen-Stipendium, ich gratuliere. Ist quasi eine Fortbildung. Ein Aufenthaltsstipendium. Kriegt nicht jeder. Obwohl jeder es gebrauchen könnte. Wobei, dann haben wir so einen Höllentourismus. Dann schieben sich die Leiber durch die Hölle, und man sieht vor lauter Leibern das Feuer nicht und reckt sich und streckt sich und hat erst nichts davon gehabt. Also. Ist besser so. Willkommen in der Hölle.«

Sie machte eine Handbewegung Richtung Eingang, wie ein Zirkusdirektor knapp vor der Pension auf die altersschwachen Löwen deutet; dann ruckelte sie einmal mit dem Kopf, und wir gingen los.

Als hätte sie gerochen, was ich dachte, sagte sie über die Schulter: »Angst brauchen S’ keine haben«, super, und schon waren wir drinnen.

Ich hatte gedacht, dass sich die seltsame Leere des Vorplatzes, die gespenstische Verlassenheit der Parkplätze und Haltestellen im Inneren des Gebäudes fortsetzen würden. Aber ich hatte falsch gedacht. Dort, wo in anderen Hochsaisonen die Massen angestanden waren, um in die fliegenden Sardinenbüchsen vorgelassen zu werden, schlurften graugesichtige Gestalten an mir vorbei, manche einzeln, manche in kleinen Grüppchen, und fast alle mit einem Nachziehtrolley. Verlegen öffnete und schloss ich die Finger um den Griff des meinigen; das Grauen beginnt schon darin, sich in anderen gespiegelt zu sehen. Still war es keineswegs, nur war’s nicht der Bienenstock, als der sich ein Flughafen sonst präsentiert, sondern mehr das Wirtshaus vor der Sperrstunde, wenn der Wirt schon müde und ungeduldig einen dreckigen Fetzen so deutlich über die Budel schmiert, dass selbst der letzte geisterhafte Trankler kapiert, welche Stunde es geschlagen hat. Aber noch eine unflätige Bemerkung vom Stapel lässt.

An manchen Stellen hallte der Unflat wider, als stünden wir unter der Kuppel eines Doms, wahrscheinlich eines geplünderten, wahrscheinlich eines, den der Pöbel auseinandergenommen hat, um allem zu frönen, was die Pfarrer verboten haben, aber vom Frönen war hier nichts wahrzunehmen. Nur vom Stöhnen. Und Fluchen. Und Jammern. »Wann geht endlich der Scheißflug?« war noch das Harmloseste.

»Ihr Hirn haben diese Gestalten alle schon abgegeben wahrscheinlich«, sagte die Jelinek in einer Aufgeräumtheit, die mich aus meinen deprimierenden Betrachtungen riss, »aber Sie und ich, wir sind nicht zum Hirnabgeben da. Und den Koffer da, übrigens. Wollen S’ den Koffer jetzt wirklich mitzahn?« – »Da is ein Manuskript drin«, fiepte ich und klammerte mich fest. »Aha«, sagte sie, »na gut, es sei Ihnen verziehen. Aber später nicht jammern, wenn’s anstrengend wird, ich sag Ihnen gleich, ich zieh ihn nicht, ich zieh nix. Außer Schlüsse.«

»Des is zum Niedalenga und Schdeahm«, maulte laut eine aufgeschwemmte, aufgedonnerte Kuh, die mit Gatten und Gör an uns vorüberstapfte, aber ich schreibe das nur so hin, weil mir die Finger diktieren, weil ich zwar mit dem Trio dann und dort nichts zu schaffen haben wollte, aber die Menschen – so sage ich es mir immer wieder – eigentlich mag. Wer weiß, was die Kuh schon überstanden hatte. Wofür sie sich belohnen wollte mit einem Flug auf die Seychellen. Vielleicht war sie liebenswert. Schützenswert. Urlaubswürdig.

»Die meisten Leute glauben, dass sie sich was erzählen müssen, und dann fällt ihnen irgendwann nichts mehr ein, und dann glauben sie, sie müssen verreisen«, sagte die Jelinek und stieß die Hände in ihre Manteltaschen. »Hier trotten sie herum. Wie Drohnen auf Drogen. Ziellos, weil man sie ihr Ziel nicht haben lässt.«

»Aber ist da nicht noch ein Rest von Widerstand?«, ließ ich mich zögernd vernehmen. »Der Saft, die Kraft, sich noch aufzurappeln, die Stadt zu verlassen, von, sagen wir, den Malediven zu träumen? Ist das Reisen dann nicht schon Résistance?«

»Wer von den Malediven träumt, der hat sich schon aus seinem Leben weggebeamt, und das ist schlecht«, befand Frau Jelinek, »der hat kein Talent zum Aussitzen, zur Geduld, der Fluchtinstinkt, der die Mittelschicht befällt in Situationen wie der jetzigen, der ist langweilig, weil er mit wahren Fluchten nichts mehr zu tun hat. Es ist ein armseliger Fluchtinstinkt.«

»Aha«, murmelte ich.

»Hier«, sagte Frau Jelinek, »da müssen wir noch durch«, dann sah ich sie: das Knäuel, von dem die meisten Geräusche kamen, das meiste Jammern, und Fliegen kreisten auch noch drum herum: Koffer waren geplatzt, Wäsche lag herum, die offenbar bei überhasteten Abreisen noch aus dem Schmutzwäschekorb geholt worden war, Wäsche, die man offenbar hier schon anderen Zwecken zugeführt hatte, und dann noch alle möglichen Brote in allen möglichen Zuständen und Alterungsphasen, mit Käse drauf, der tropfte, mit Salamiblättern, die an ihren Rändern schon Wellen schlugen, es stank, es klang, Kinder greinten, natürlich schrien dann Erwachsene, aus deren kauenden Mündern es nur so spritzte, dann schrien andere Erwachsene zurück – warum es keine Massenschlägerei gegeben hat, kann ich mir nur mit dem hohen Grad der allgemeinen Erschöpfung erklären.

Mit ein paar dieser ausziehbaren Gurtkonstruktionen, die einem Weidezaun gleichen, wenn man sie ausfährt, hatte die Flughafenverwaltung eine Schleuse konstruiert, und wie die Österreicher nun einmal sind, hatten sie sich dort angestellt, angeknäuelt, weil SO ordentlich sind die Österreicher nun auch wieder nicht, sie sind ja keine Briten, die sich sogar bei der Bushaltestelle anstellen, nein, so verkniffen sind die Österreicher nicht, die knäueln sich dann schon. Vorm Gattertor. »Die Schleuse da«, sagte Frau Jelinek, »wird aussortiert, die Guten, Fieberfreien ins Töpfchen, die Kranken am Schöpfchen und raus mit ihnen. Oder nicht raus. In die Quarantänestation. Aber von dort werden wir uns schön fernhalten. Gar nicht Mutter Teresa und sich aufopfern und Schicksale teilen.«

Da stand ein völlig ausgemergelter, junger, erschöpfter Bursche mit Maske und Gesichtsschild und hielt einen Fieberthermometer in der Hand. Offenbar war er hier schon seit Tagen, Wochen, vielleicht seit Menschengedenken im Einsatz.

Schneckengleich hob sich die behandschuhte Hand, langsam, langsam fuhr das Fieberthermometer in seiner Hand, Sichtrohr eines U-Bootes, eines über und über in Schutzkleidung gehüllten U-Boots, zur Stirn eines sich aus der Masse gestreckt Habenden; »Neiiiin!«, brüllte dann der Aufgebrandete, bei dem das Fieberthermometer angeschlagen und der schmale Bursche »Siebenunddreißigeins« orakelt hatte, und verhüllte sein Gesicht; bei Siebenunddreißigkommaeins hieß es schon Njet, »nicht Fisch, nicht Fleisch von der Temperatur her, aber der Staat nimmt alles ganz genau, der Staat Österreich nimmt alles supergenau, vor allem, wenn es um das einfache Staatsfleisch geht«, murmelte Frau Jelinek, und da kamen schon zwei im Sicherheitsanzugsornat, krallten sich den Unglücklichen, der sich doch schon auf halbem Weg nach Mallorca gewähnt hatte, und verschwanden mit ihm, der zwischen den sicherheitsbeanzugten Körpern strampelte.

»Ich werde jetzt etwas machen, das mir zutiefst zuwider ist«, sagte Frau Jelinek, »aber es ist mir nicht so sehr zuwider wie das Einknäueln in der Masse, das mich auf den Höchstgrad der Angewidertheit treiben würde«, packte mich am Ärmel, fischte aus ihrer Manteltasche eine eingeschweißte Karte, brüllte: »Hier Jelinek! Jelinek!«, und siehe da, ein weiterer Beanzugter tauchte auf, löste eines der eigentlich flutschenden Bänder aus seiner Halterung, winkte uns durch, trat auf zwei, drei Verwegene ein, die nun auch »Jelinek! Jelinek!« brüllten, und brüllte zurück: »Schleichen S’ Eahna! Se hom kaan Noböllpreis!«

CANTO 4: VORHÖLLE

WIR WAREN DURCH. Ich wäre gern in Ohnmacht gefallen, aber Frau Jelinek sagte »Sorry« und haute mir eine runter, als sie mein Schwanken bemerkte, als würde sie einem Computer, der grad dabei ist sich aufzuhängen, einen Schubs geben. »Runterhauen« ist vielleicht auch zu drastisch ausgedrückt. »Schubsen« wiederum zu lieblich.

»Schauen Sie sich gut um, bevor es weitergeht«, sagte sie und ruckelte wieder mit dem Kinn.

Dort, wo eigentlich das Einchecken hätte stattfinden sollen, standen und saßen Gruppen von Leuten umher, denen offenbar durch irgendein Privileg vergönnt war, sich vom allgemeinen Gedränge abzusetzen. »Unsere Philosophinnen und Philosophen«, sagte Frau Jelinek, »die dürfen, hat man ihnen gesagt, davonfliegen, die dürfen abheben, man weiß nur nicht, wann und wohin.«

Ich schaute mich um und sah ein paar Leute in Jeans und Sneakers, ein paar in Anzügen, manche davon derart gemustert, dass eine Kuh davor gescheut hätte, aber wer bin ich, Leuten ihre modischen Selbstaufmunterungen zu missgönnen; sie hielten einigermaßen Abstand und trugen Masken, die Damen und Herren, wobei: wesentlich mehr Herren als Damen, nur einer nicht. Der hatte die Maske unterm Kinn und, horribile dictu, rauchte.

»Das ist der Robert Pfaller«, sagte Frau Jelinek in einem Tonfall, als wäre sie eine Fremdenführerin und würde gerade einer Gruppe japanischer Touristen im Vorbeigehen schnell den Stephansdom zeigen.

»Ah«, sagte ich wie ein Schaf, »ist das der mit der Pro-Raucher-Initiative?«

Wenn ich Frau Jelinek gewesen wäre, hätte ich mich jetzt mitleidig angeschaut, sie schaute aber ganz normal und gleichgültig. »Er hat ja ein Buch über die Erwachsenensprache geschrieben und über ihr Verschwinden«, hudelte ich also weiter, »das find ich interessant, äh.« Es ging darin wahrscheinlich auch ums Gendern und dass das schlecht sei, dachte ich, aber ich war noch meiner Beinahe-Ohnmacht von vorhin zu nah, um mit Elfriede Jelinek eine Diskussion über gerechte Sprache anzufangen. Sie sagte nur: »Da steht der Herr Pfaller und raucht und erfüllt seine Ankündigungen und vielleicht gleich sich selbst dazu. Vielleicht hätten wir alle zuhause bleiben sollen. Vielleicht hätte ich auch zuhause bleiben sollen. Aber hier bin ich und will den Herrn Pfaller eigentlich anreden, aber dann will ich ihn doch wieder nicht anreden, weil ich eigentlich leutschiach bin. Und außerdem steht schon in der Bibel: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr das Himmelreich nicht erlangen. – Jetzt hat er seine Erwachsenensprache, der Herr Pfaller, und ob er von hier aus, mitten in der Krise, noch in den Himmel kommt, das weiß ich nicht, das weiß ich nicht.«

Ich muss sagen: Sie tänzelte.

Ich glaube, dass sich auch Peter Sloterdijk hierher verirrt hatte, da war ein seebärbebarteter Herr mit grauem Mondscheinhaar und Aktentasche und Schrankkoffer, der offen stand und Aberhunderte Bücher zu enthalten schien; der Herr teilte jedem, der die Hand ausstreckte, eines aus, während ich ihn mantraartig murmeln hörte: »Umwege sind die direktesten Wege zum Zentrum. Umwege sind die direktesten Wege zum Zentrum …«2

Frau Jelinek schüttelte leise den Kopf und deutete mir, weiterzugehen, obwohl ich fast, fast die Hand ausgestreckt hätte vor Sloterdijks Bücherschrankkoffer. »So was lesen«, murmelte sie mir zu, »geht nur, wenn man dann gleich selbst wütend in die Tastatur hämmert, und dazu haben wir jetzt keine Zeit und nix mit, also lassen wir das lieber.« Beinahe hätte sie mich am Ärmel gefasst, ließ es dann aber bleiben und verschränkte die Arme im Gehen; ich folgte ihr, die Rädchen meines Trolleys rollten über den steinernen Boden und zerknackten da und dort einen fortgeworfenen Kuli, aus dem keine Tinte mehr tropfte; offenbar war alles schon leergeschrieben. »Journalisten sind auch da und wollen auch weg«, sagte Frau Jelinek, »oder zumindest weiter durch zu den Gates und einen Blick hineinwerfen, aber das ist alles nicht so leicht, die haben ja kein Aufenthaltsstipendium bekommen. Die sind zum Dableiben verdammt. Zum Schauen auf den immergleichen Fleck. Da werden sich manche wünschen, sie wären Altenbetreuer geworden, oder Pfarrer.«

Ich hatte mir keine Vorstellung davon gemacht, wie viele Leute in Österreich sich ihr Geld mit Denken, Schreiben und Berichten verdienen; es war ein bisschen deprimierend (wir sind so gern unvergleichlich), aber da lehnten und lungerten sie, kritzelten auf Blöcken herum, ich erkannte jemanden aus den ORF-Nachrichten, dort jemanden von einem Foto, das wiederholt unter Gastkommentaren gedruckt worden war; sogar der Überchef von jenem betriebsratlosen Sender, der mit Geld aus dem Handel mit einem taurinhaltigen Getränk unterfüttert wurde, stromerte herum und süffelte Wasser aus einer Wasserflasche, ich sah es genau.

»›Kurze Sätze über gutes Leben‹«, sagte da Elfriede Jelinek, »das ist auch so ein Buchtitel vom Robert Pfaller. Ich sag Ihnen jetzt einen kurzen Satz über das gute Leben: Dietrich Mateschitz trinkt Wasser.«

Sprach’s und lotste mich weiter. Michael Fleischhacker, der einmal die Presse gechefredakteurt und dann diverse Talks moderiert hatte, musste husten, als wir an ihm vorbeikamen, ich trug zwar Maske, machte aber trotzdem einen Sprung zur Seite. Fast wäre ich in ein Knäuel von Menschen gestolpert, von denen mich Frau Jelinek nun doch mit einem soliden Griff am Oberarm wegzog. »Das sind die mit den Positiv-denken-Ratgebern«, sagte sie, »das lassen wir lieber bleiben.«

Die Gruppe war, darf ich berichten, gar nicht klein; ich nehme an, dass sie aufhörten, so prall zu grinsen, als sie begriffen, dass Frau Jelinek – die sie wahrscheinlich nicht als Ikone über ihren Betten hängen hatten – und ich in Richtung »weiter« gingen. »Weiter« stand da über dem Nadelöhr, das die große Halle A von der Shoppingarena trennte, wo sich weitere Check-in-Ebenen übereinanderstapeln wie die Brüstungen im New Yorker Guggenheim-Museum. Nur weniger schön.

»Weiter« kam man aber nur, wenn man an dem Pop-up-Würstelstand vorbeikam, der so gezimmert worden war, dass kein unbefugtes Dickerl sich unbemerkt daran vorbeiquetschen konnte. Auch kein Dünnerl. Die Dame, die den Stand und somit den Durchgang hütete, hatte ihr blondiertes Haar zu einem Ivana-Trump-Imitat hochgezurrt, alles an Make-up verwendet, was man so verwenden kann, und strahlte eine Art von Kompetenz aus, die wohl mit dem Mundwerk zu tun hat, das man sich in Jahrzehnten Würstelstand aneignet, es sollen sich ja die wüstesten Szenen abspielen vor Würstelständen, aber das weiß ich nicht, weil das vegetarische Sortiment dort bei Hot Gurkerln halt macht.

»Frau Müller-Thurbach, hier bin ich wieder«, sagte Frau Jelinek und hob im Gruß zwei Finger an die Schläfe. »Ach, Frau Jelinek, Sie sind aber flott«, sagte die kompetente Würstelständlerin in einem Deutsch, das sich eher nach dem Schliff von ORF-Fernsehabenden mit Christine Hörbiger anhörte als nach Jahren harten Wiener Pflasters, »und das ist wohl die Frau Tiwald, gell? Wissen Sie, Frau Tiwald, wir lassen hier nicht jeden durch. Und schon gar nicht die Herrschaften von der Journaille.«

Aus dem Eck des Würstelstands schob sich eine hagere Gestalt, genauso blond und genauso geschminkt wie Madame Müller-Thurbach, und erkundigte sich, ob ich einen Hotdog wolle. »Se wean eahm no brauchn!«, mahnte die hagere Gestalt hinter ihrer Maske und wackelte mahnend mit dem dürren Zeigefinger, während La Müller-Thurgau mit einem Bratspieß nach einem Herren stach, der sich unrechtmäßig genähert hatte: »Vade retro«, brüllte sie, »hier kommen nur die durch, die dazu befugt sind! Wo is Ihre Berechtigung? Na? Na also! – Wart, Lieserl, vielleicht will die Frau Tiwald einen Tofu-Hotdog?«

Frau Jelinek tappte ungeduldig auf den Schwechater Flughafenboden, aber ich muss nun einmal bei jeder Gelegenheit an irgendetwas kauen, vor allem, wenn ich daran erinnert werde, dass damit für einen längeren Zeitraum Schluss sein könnte. »Am besten mitnehmen, das gute Papperl«, sagte sie, »heiße Hunde soll man nicht schlafen lassen. Jetzt dann aber dalli. Sie müssen auch morgen noch kräftig zubeißen.«

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