Kitabı oku: «Mit Elfriede durch die Hölle», sayfa 3

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CANTO 5: IM WIRBELSTURM. DIE LIEBENDEN

FRAU JELINEK WANDERTE MIT einem Stoizismus, der ihr in einem Hopper-Gemälde auch gut gestanden wäre, hinein in den Terminal drei, der vor einigen Jahren an den alten Flughafen drangeklotzt worden war und allen die große, weite Welt vorspielte, in die man sich aber erst hineinfliegen musste. Es sollte wohl nach Metropole aussehen, obwohl jeder wusste, dass die Schlagzeilen, die wie Running Sushi über den Köpfen der – zu anderen Zeiten ständig – Ankommenden entlangliefen, von der Kronenzeitung bespielt wurden, einem Medium, das so kleinformatig war wie das Land, in dem es erschien.

Aus irgendeinem Grund ging geisterhaft eine Schiebetür auf, ein Windstoß fegte uns durchs Haar. Frau Jelineks Zöpfe regten und reckten sich wie schmale Schlängelchen. »Zu diesem Handel«, sagte sie und nahm das Möchtegern-Shoppingareal in den Blick, das sich bemühte, einen Hauch von wenigstens Frankfurt zu verströmen, »und Verwandel gehört der Fremdenverkehr, bei dem die Leute, statt abgenützt und weggeschmissen zu werden, neuer und besser zurückkommen, als sie hineingegangen sind, aber weniger für sich kriegen, denn ihr Budget ist aufgebraucht

Ich dankte dem Himmel leise dafür, dass ich gerade erst »Die Kinder der Toten« zu lesen begonnen hatte. Sie lagen in meinem Köfferchen, die Kinder der Toten; so erkannte ich das Zitat aus dem Prolog und konnte gewandt anschließen mit »Es hat sich aber ausgezahlt3 Ich sah sie von der Seite an, diese eigentlich zarte, eigentlich schöne Person, die mindestens eine Generation der Österreicher so leicht erkannte wie, sagen wir, die Mona Lisa. Stolz wallte auf in mir. Und Zuneigung. Ich erinnerte mich daran, wie ich mit einem Freund in einer – ja – Sushibar gesessen war, einer von diesen billigen, in denen man in Plastikboxen abgepack-te Lachssushis kaufen kann, als auf meinem kleinen Nokiahandy eine SMS ankam mit dem Wortlaut »Ja hurra elfriede jelinek bekommt den literaturnobelpreis.« Ich weiß noch, wie ich meinem Freund wortlos das Handy reichte, wir beide uns je eine Hand vor den Mund klappten vor Freude und Überraschung, und die Augen aufrissen. Ich weiß noch, wie die Kronenzeitung tags da-rauf die Nachricht in einem winzigen Kästchen unterbrachte – neben einer fast schon subversiven Baumax-Werbung für eine Pflanze namens Erica Gracilis. »Der Führerschein kann schnell weg sein!« – das war die Schlagzeile.

Sie müssen sich das von mir gerade Geschilderte als das Gedankenkondensat von zwei Sekunden vorstellen, und sogar die sind zu lang, um das leichte Rümpfen einzuschließen, das ich an Frau Jelineks Nase sehen konnte. Kummervoll klammerte ich mich an meinen Trolley, während ich dachte. »Manche stürzen leider auch ab dabei«, murmelte sie dann, um zu seufzen und mit »So, und jetzt genug zitiert, es sollen ja neue Bücher kommen auf die Welt« weiterzustapfen.

Die Windstöße kamen aus den hektisch sich öffnenden und schließenden Schiebetüren, aus denen normalerweise die Ankommenden, die Wien-Neugierigen oder Wien-Konsumentinnen, die Stadt-Abhakerinnen und To-do-List-Reisenden, die Musiknarrischen, die Schnitzelsüchtler, die Heimkehrenden in gebückter, aufrechter, abwesender oder feierlicher Haltung strömten. Jetzt strömte gar nichts.

Über das Kronenzeitung-Band rutschte eine einzige Schlagzeile in Dauerschleife: Pandemienotstand ausgerufen. Rettung naht nicht.

Zwei junge, sehr junge Leute lungerten herum, blass und ganz in Schwarz, ich sah sie erst nach der traurigen Lektüre des Kronenzeitung-Ergusses.

»Jetzt fangen die harten Stationen an«, seufzte neben mir Frau Jelinek, »aber so ist das halt, man schreibt, und schwupps hat man Verantwortung in Zentnersäcken auf den Schultern liegen. Schauen Sie sich die zwei da gut an. Ich weiß ja nicht, ob Sie meine Bücher kennen, Frau Tiwald, es ist mir auf eine Weise wurscht, wie es Buddha wurscht wäre, aber die da, das sind die von mir in die Welt gestoßenen, weil aus dem Limbo der Unbeschriebenheit herausgeholten, Zwillinge Witkowski. Anna und Rainer Maria, die …«

»… die im Wien der 1950er mit einem Vater leben, der im Krieg ein Bein verloren hat«, sprudelte es aus mir hervor, »und der die Mutter dauernd und exzessiv pornografisch fotografieren muss« – ich hatte zwar ein Entspannbuch einschieben müssen nach den »Ausgesperrten«, aber dafür waren die zwei Horrorteenies wie durch Pflugscharen in meinem Hirn eintätowiert.

»Hallo«, sagte Frau Jelinek, »liebe Anna, lieber Rainer, da bin ich wieder, und ich hab diesmal die Frau Tiwald mitgebracht.«

»Servus, Alte«, sagte das Gräuel, das Anna hieß und alles Mitleid verdiente, »ist das eigentlich auch eine so untervögelte Person, die Frau Tiwald, wie Sie? Soll mich das noch irgendwie interessieren?«

»Lass, Annaspätzchen«, sagte das männliche Zwillingsmonster, dem sich die Liebe hätte erfüllen sollen, um alles aushaltbar zu machen und das furchtbare Ende des Romans zu verhindern, »die Gelegenheitsschreiberinnen da, die können uns schon wieder nicht das Wasser reichen, nicht das Trinkwasser, nicht das Brauchwasser, nicht das Brackwasser.«

Sie wandten sich ab und starrten auf die Smartphones, die sie im Roman noch nicht gehabt hatten. Ich knetete mir die Nasenwurzel und rieb mir über die Augenlider. »Wie«, flüsterte ich, »ist das möglich?« Vor uns saßen ein Familienauslöscher und seine Schwester, die eigentlich aus Papier und Tinte waren.

»Ich hab nicht die geringste Ahnung«, flüsterte Frau Jelinek zurück, »wenn ich früher gewusst hätte, dass Monster aus den Buchseiten springen können und die Guten nicht, dann hätt ich auf jeden Fall nur über die Guten geschrieben und mit Lavendelromanen für Frauen vielleicht ein kleines Vermögen verdient. Und Österreich wär sowieso dasselbe geblieben. Dann wären alle glücklich gewesen.«

»Aber man muss schon«, flüsterte ich zurück, »denen, die auch so verzweifelt sind, wie man selbst, einen Anker hinwerfen. Also, ein Buch als Punkt, wo man sich trifft zum Ja-Sagen zur Verzweiflung, mein ich. Damit man nicht glaubt, man ist komplett allein in einer Wüste aus Lavendel. Verstehen Sie?«

»Du, Rainer, die zwei alten Tanten gaffen uns an, glaub ich«, sagte da die Anna zu ihrem Bruder, der nur kurz seinen leeren Blick vom Smartphone hob. Ich dachte, ich würde unter so einem Blick erschauern; ich hatte schon halb und halb daran gedacht, dass ich mich unter Überwindung meiner ehrfürchtigen Distanz an den Oberarm von Frau Jelinek würde klammern müssen, war das nicht auch beim Zauberlehrling so, dass der Meister den wilden Besen wieder in die Ecke schickt? Sollte sie mich beschützen vor diesen zwei fleischgewordenen Albträumen von Pubertieren. Aber ich erschauerte nicht. Ich machte vorsichtig zwei Schritte, nachdem ich Frau Jelineks Zeigefinger in meinem Rücken gespürt hatte.

»Darf ich fragen«, sagte ich, »was ihr da auf dem Handy anschauts? Ist das … ist das noch sehr neu für euch? Weil im Buch seids ihr in den Fünfzigerjahren.«

»Rainer, die Alte fragt uns was.«

Ich setzte ein geduldiges Lächeln auf.

»Wie ich euch kenn aus dem Roman von der Frau Jelinek, seids ihr eigentlich zwei gscheite junge Leut. Da gibt’s sicher einen Haufen zu entdecken, wenn man so ein Smartphone in die Hand kriegt und irgendwann rauskriegt, wie man’s am besten verwendet. Man kann natürlich seine Zeit verscheißen mit allem möglichen Wahnsinn. Vielleicht habts ihr von Fake News schon was gehört.«

»Blabla, blabla«, sagte Rainer und fuhr weiter mit dem Finger auf dem Ding herum, »wir brauchen euer Gelaber nicht. Wir sind die Neuen. Wir sind immer schon die Neuen gewesen, da warts ihr noch gar nicht auf der Welt.«

»Mit Verlaub, in den Fünfzigern war ich schon auf der Welt«, sagte Frau Jelinek, »deswegen hab ich euch ja so geschrieben, wie ich euch geschrieben hab.«

»Schönen Dank, kann ich nur sagen«, sagte Anna und wischte, »das ist ja das reinste Gräuel, in das du uns reingeschrieben hast, das Allerletzte, das Miefigste und Verstunkenste, das Widerlichste und Graueste.«

»Aber damit ist jetzt Schluss«, sagte Rainer, »wir lassen uns das nicht länger gefallen, wir lassen uns nicht in die Liebesunmöglichkeit hineinschreiben, in die du uns hineingeschrieben hast, Jelinek, wir suchen uns jetzt was Besseres.«

»Genau«, zischte Anna, »diese Klovögeleien und dieser abartige Vater, dieser untreue Hans und dieser verzwickte Bruder. Ich mag nimmer. Ich find mir was Besseres.« Sie fasste sich, während sie sprach, ins dünne Haar und entfernte ein Stück ihres Gehirns, das dort herumklebte wie faules Ei.

»Und deshalb, Jelinek«, sagte Rainer und hob kurz den Kopf, »schreiben wir jetzt unsere Zukunft selbst. Genau. Ganz kurz. Und setzen uns in die Welt und schauen, was passiert.«

Er reckte sein Smartphone in die Luft in einer Mischung aus Siegergeste, Pokal, Stockerlplatz und einem Rest von Aufzeigen wie in der Schule. Drehte den Bildschirm uns zu.

Er war auf Tinder.

Er saß da und wischte. Sie saß da und wischte. Sie waren blass und hühnerbrüstig, so wie ich sie mir vorgestellt hatte. Sie lebten. Und sie lebten nicht. Sie waren die papierensten Untoten, die mir jemals begegnet waren (und die einzigen. Bisher). Aus meinem Brustkorb fühlte ich ein Seufzen steigen; eines, dessen Kommen sich wie aus dem Erdinneren anfühlte, wo heiße Steine sich aneinanderpressen; eines, dessen Ausatmen nicht so schnell vorbei sein würde wie eine Wischbewegung.

Obwohl ich Rainer Witkowski mit seinen funkelnden Augen ab und zu innehalten sah über einem der kleinen Bilder auf der Maschine in seiner Hand.

Und dennoch dauerte mein Seufzen länger.

»Ich lebe!«, schrie er plötzlich, sprang auf, fuchtelte mit dem Handy herum. »Ich lebe, und ihr alten, vertrockneten Ex-Lebedamen könnt mir in meiner Gier nie und nimmer das Wasser reichen! Ich werde ficken! Lieben! Und ihr nicht! Amen!«

Er schrie herum, fuchtelte, dann setzte er sich. Wischte.

Frau Jelinek stand neben mir und sagte nichts, schaute nur und blinzelte ab und zu. Ich hörte mich »Der arme Bub« sagen, als stünde ich neben mir, als hörte ich mir selbst beim Auswerfen von Plattitüden zu. Sie schaute. Sie blinzelte. »Das wahre Glück«, sagte sie dann, »ist das Gefühl, das Beste im Leben gewollt zu haben.«4

Dann zupfte sie mich am Ärmel, und wir gingen weiter.

CANTO 6: DER SPAßMACHER. DER EWIGE REGEN

»UND DANN IST ER ausgegangen«, sagte Frau Jelinek, »hat mit einem Schulkollegen für die Matura gelernt, hat eine flüchtige Bekannte angerufen, war mit ihr in der Picasso-Bar – so ein kleiner Möchtegerngelehrter geht natürlich in eine Picasso-Bar und nicht in eine Bogart-Bar und nicht in eine, ich weiß nicht, Hansi’s Bar. Und dann hat er so getan, als würde er beim Aufsperren der Wohnung zufällig die Leichen der Mutter und der Schwester finden. Die er vorher eigenhändig erschossen und mit der Axt zermalmt und mit dem Bajonett zerstochen hat.«

Ich schaute mich verstohlen um: Hatte jemand zugehört, dem die Lektüre von Jelineks »Ausgesperrten« vielleicht noch bevorstand? Oder jemand, der es auch durch die Schleuse geschafft hatte und vorbei am Würstelstand und sich vielleicht hinuntergebeugt hätte zu Anna oder Rainer Witkowski, ihnen über den Scheitel gestrichen, ihnen eine Wurstsemmel spendiert hätte, und jetzt die Finger davon lassen würde, weil er es mit einem Familienmörder zu tun bekommen hatte?

Aber da war niemand. Und sie, die sagte: »Dabei hat sich im Gehirn der Anna durchaus eine Berg-Sonate zusammengebraut, vorbereitend für die Finger und fürs Klavier, und dieses Berg-Bräu hätte ihr gutgetan, aber da war der Bruder vor«, zog mich weiter.

Da war plötzlich ein kleiner, kläffender Hund zwischen uns und dem Ausgang zu den Parkplätzen, wo zumindest ich dringend notwendige Luft zu schnappen vorhatte, ohne mich von einem Hund schnappen zu lassen, der so tat, als sei auch ein Boxer eine Bulldogge, er kläffte auf diese röchelnde Art, die wirkt, als kämen gleich Hassgeifer und Höllenschaum aus dem Maul gespritzt. »Ein Zollhund«, sagte Frau Jelinek fast gelangweilt und warf dem Miniköter mit den Worten: »Passt schon, Zerberus, schon wieder ich, jetzt kennst mich ja schon« ein Guti zu, das sie mit erstaunlich routiniertem Griff aus ihrer Manteltasche geholt hatte.

Es regnete. Es regnete plötzlich. Na gut. Es muss natürlich in einer Stadt, über der die Katastrophe hängt wie eine Käseglocke, auch regnen. Katastrophe und Sonnenschein, das schlägt sich. Alles fügt sich offenbar ineinander und die Natur gehorcht einer Dramaturgie. Manchmal. »Jö, es regnet schon wieder«, sagte Frau Jelinek und öffnete mit den Händen die Mantelhälften, als wolle sie dieses Wetter willkommen heißen. »Sie glauben vielleicht, dass ich spinn«, sagte sie dann mit einem Unterton, den ich als listig klassifiziert hätte, schriebe ich das alles auf, »Sie glauben, die Alte tut so, als würd sie fliegen wollen. Davonfliegen von diesen deixhaften Figuren, die sie da schreibt, und Sie fragen sich, wem Sie noch begegnen werden in dieser Hölle von Flughafen. Aber ich sag Ihnen was. Ich will gar nicht davonfliegen. Ich will mich nur rüsten. Weil da drüben, da begegne ich bei jeder neuen Einführung, und es schüttelt mich wirklich vor Ehrfurcht, nur weiß ich nicht, wie ich das so sagen soll, dass es nicht ironisch klingt, dort begegne ich jedes Mal von Neuem dem Peter Hammerschlag.«

Weil es meine Mutter gibt, weiß ich, wer Peter Hammerschlag war. Ist. War.

Meine Mutter hat mir oft mit Inbrunst, Spaß an der Häme gegenüber magyarischen Absolutheiten und weit aufgerissenen Umlauten Peter Hammerschlags »Schöpfungsgeschichte auf Ungarisch« vorgetragen, und ich habe immer befunden, dass sie das viel besser kann als Friedrich Torberg auf der Aufnahme, wo er ebenfalls anstimmt:

»Im Anfang war, das ist gäwiss

der Wort, auf Griechisch Logosch.

In Weltmeer ist härumgeschwimmt

die Urgetier, das Fogosch.«

»Da drüben«, sagte Frau Jelinek, »lehnt er.«

Und da lehnte er tatsächlich, eine schmale Gestalt, eine hohe Stirn, Nickelbrille. Ein abgewetzter Mantel, ebensolche Stiefel. Ich dachte plötzlich wie irr daran, wie er bloß riechen mochte, Peter Hammerschlag, den 1942 die Nazis geholt hatten. Der – wo war nur mein Handy? Bei wem war er noch einmal untergetaucht in Wien?

»Steinbrecher«, sagte er da zu mir, bevor ich meinen Mund aufgemacht hatte.

»Äh«, machte ich.

»Alexander Steinbrecher, der Komponist, an den haben Sie grad gedacht. Der mich versteckt hat.«

»Herr Hammerschlag«, sagte Frau Jelinek, »das ist die Frau Tiwald«, und dann sagte sie gar nichts mehr und schaute nur. Machte sogar einen Schritt zurück.

»Hm«, machte Hammerschlag und zuzelte an seiner Zigarette. Sie glomm auf in diesem Grau-in-Grau, ein kleines Sönnchen, zerborsten schon und knapp davor, ein schwarzer Stern zu werden. Aber sie roch. Sie roch nach Zigarette.

»Herr Hammerschlag«, flüsterte ich. »Es ist … ähm.«

»Es ist Ihnen Ehre,

dass ich hier verkehre,

wollen Sie sagen

und mich gleich derschlagen«,

sagte er und zog und zog und die Zigarette glomm auf und ab.

»Ich bin mit Ihnen aufgewachsen«, wisperte ich, »mit der Schöpfungsgeschichte auf Ungarisch. Und mit dem Krüppellied.«

»Niemand ist mit mir aufgewachsen,

die Erd hat mich in ihren Pratzen,

der Himmel in den Pfoten,

dort bei den andern Toten«,

sagte er.

Ich trat von einem Fuß auf den anderen und begann, den Griff meines Trolleys zu kneten. Wie sollte ich so jemandem würdig gegenübertreten; wie sollte ich so jemandem in die Augen schauen; wie konnte ich ein Gespräch mit jemandem führen, der so wie dieser Mann, der so heimelig aussah mit seiner Nickelbrille, die sich wie zwei Scheinwerfer um die Augen kugelte, und dessen – wie heißt das in den Lexika –, dessen Spur sich in Auschwitz verliert –

und da tat ich, was offenbar in meine Knochen eingeschrieben ist, weil ich eine katholische, durchaus schöne Kindheit verlebt habe, in der ich erfahren habe, dass Ehrfurcht möglich ist. Ich ging in die Knie und beugte mein, wie sagt man, man sagt Haupt, ich beugte mein Haupt, sollte doch mein Trolley peinlich berührt dastehen, sollte er dastehen wie eine Miniatur vom World Trade Center, ein Bauwerk. Ich beugte mein Haupt. Stirn Richtung Erde.

»Da ist nicht Richtung Mekka«,

flüsterte er,

»dafür bin halt jetzt ich da.«

»Warum«, sagte ich tonlos zwischen meinen übers Gesicht gefallenen Haaren, »warum sind Sie damals rausgegangen? Aus der Wohnung vom Herrn Steinbrecher? Man traut sich nicht …« – ich hob den Kopf und schaute ihn von unten an – »man traut sich nicht, obwohl ich gehört hab, dass die Hölle hier passiert, hier gerade, Schwechat, aber man traut sich nicht, hierzu Hölle zu sagen, wenn man weiß. Also ich weiß. Dass Sie in Auschwitz … umgekommen sind.«

»Was reimt sich auf Auschwitz?«,

sagte er leise,

»Doch nur Blitz und Witz.«

Er reichte mir eine knochige Hand, ich zog mich daran hoch. »Warum? Sie haben doch gewusst, dass …« Ich brach ab. Manchmal gräbt anmaßende Artikulation einen Abgrund zwischen zwei Menschen; ich wollte nicht mitgraben.

Da lachte er und schwenkte seine Zigarette, und ich sah, dass ein paar Zähne fehlten, als er rief: »Na, weil ich g’raucht hab! Weil ich raus bin, Zigaretten holen! Deswegen. Hams mich g’schnappt. Der arme Steinbrecher. Wahrscheinlich kennt den niemand mehr. Ein ganz anständiger Komponist is er g’wesn, ja, ganz anständig. Die Gigerln von Wien! Hat wahrscheinlich a Todesangst g’habt, wie ich nicht mehr zurückkommen bin. Und zu Recht.«

Wieder lachte er dieses leicht zahnlose Lachen.

»Ja, ich war ein U-Boot beim Steinbrecher … und dann hab ich Zigaretten holen müssn, ich Trottel.«

Es war kalt, es regnete in konstanten Schnüren, es wehte Tropfen auf mich, auf Frau Jelinek, auf Peter Hammerschlag. Da begann er plötzlich zu singen:

»Unter einem Regenschirm am Abend

hängt man sich zum ersten Male ein …«,

und pfiff ein bisschen und sang:

»So ein Regenschirm wird oft verachtet,

verborgt, verpachtet … der Mensch ist roh.

Dutzendweis sieht man die Schirme liegen

in letzten Zügen am Fundbüro … – Das is so ein Lied, das der Steinbrecher geschrieben hat. Zum Beispiel.«

Er schob die silbrige Brille den Nasenrücken hoch, sagte »Na ja« und ruckelte die Schultern gerade. Als fände er sich in seinen Knochen nicht zurecht.

»Die Frau Jelinek hier, die zu kennen ich zu Lebzeiten nicht die Gnade gehabt hab« – »von meinem Geburtsjahr her wär sich’s ausgegangen«, murmelte Frau Jelinek, »wenn nicht der Wahnsinn solche Methode gehabt hätte …« – »die Frau Jelinek«, fuhr Peter Hammerschlag fort, »die wird mit mir noch ein Zigaretterl rauchen, während Sie sich da drüben kurz umsehen.«

»Die Frau Tiwald«, Frau Jelinek hob den Kopf, als wär ihr gerade was aufgefallen, »die Frau Tiwald hätten Sie übrigens noch wiegen können in Ihren Armen. Wenn alles mit rechten, also nicht rechten, Dingen zugegangen wäre.«

»Na, jetz is sie ja da, die Frau Tiwald«, sagte Peter Hammerschlag und lächelte. »Übrigens, fast hätt ich was vergessen. Also, die Frau Jelinek sagt, Sie dürfen mich was fragen. Nachher geh ich wieder. Wenn ich mit ihr meine Zigarette geraucht haben werd. Ich bin sowieso nur halbert da. Weil eigentlich lieg ich ja im Himmel seinen Pfoten.«

Ich sah zögernd zu Frau Jelinek hinüber, aber die schaute nur zurück. Und dann fiel mir Dante ein. »Dante«, murmelte ich tatsächlich zu mir selbst, wahrscheinlich etwas debil, »der Spaßmacher. Der Spaßmacher! Im sechsten Canto. Der kann die Zukunft der Stadt vorhersagen.«

Also drehte ich mich um zu Peter Hammerschlag, der, wenn man es genau nehmen und beschreiben mag, ein bisschen wie James Dean an dieser Säule lehnte, aber ein James Dean, den einmal einer geliebt hat, und fragte:

»Können Sie eigentlich die Zukunft sehen?«

Der Regen rauschte, Autos hupten, und Peter Hammerschlag, der riss plötzlich die Augen auf – und lachte.

»Die Zukunft! Ja! Die Zukunft. Endlich fragt mich wer das. Endlich fragt mich wer …« Er schaute in die Ferne, als sich seine Lippen wieder schlossen über dem zerbrochenen Mundwerk.

Dann sagte er:

»Dumme gibt’s in jeder Menschenzeit.

Dumme, G’scheite, weit und breit,

erst schwarz, dann rot, dann pink und grün,

die sich im Grunde nicht verstehn.

Die bilden zäh Koalitionen,

die den Aufwand fast nicht lohnen,

kürzen, bis auf jenen Rest,

der noch niet- und nagelfest,

das, was die Gesellschaft bräuchte,

auf dass flugs sie sich erleuchte.

Denn das versteht wohl jeder Wicht:

Ohne Geld gibt’s auch kein Licht.

Ohne Licht kommt die Verdammnis.

Wer Grips hat, hat vor dieser Schiss!

Doch wurscht, ob blau, ob gelb, ob karamellisch:

Zusammen schafft sie es, die Welt. Rein theoretisch.

Allein auf Machterhaltung schielen,

das wird’s für keinen Kanzler spielen,

sei er noch so cool und kurz,

dem Klima, sag ich, ist das schnurz-

piepegal. Nur ein Beispiel ist mir dieses.

Aber ehrlich? Ganz ein fieses.

Schwitzt nur, Leute, schwitzet sehr,

da kommt mehr noch, gar das Meer,

das an den Küsten von Europa

steigt und spült an Strände Tote.

Tut mir leid, unrein gereimt.

Für dich gilt auch, du Unione:

Denk ans Mit und nicht ans Ohne.

Nicht in Katastrophen denken.

Sondern Möglichkeiten schenken.«

Er seufzte. Und lächelte.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er, »das ist nur so ein Wunsch. Mehr Zukunft geht nicht. Mehr sag ich nicht. Sonst bricht mir noch einmal das Herz.«

Ich lächelte zurück. Frau Jelinek gab mir einen Schubs mit dem Ellbogen und sagte: »Ich bleib noch hier auf eine Zigarettenlänge und erzähl dem Herrn Hammerschlag von Ibiza und der Oligarchennichte, während Sie sich da drüben beim Tower einmal umschauen.«

»Was is das, ein oller Gach?«, fragte Peter Hammerschlag, während ich schon in Richtung Tower blinzelte, wo tatsächlich ein riesiger Menschenhaufen unglaublichen Lärm machte. Ich bin an und für sich ein wenig menschenscheu und froh, wenn ich nach einem Tag voller fremder Gesichter wieder in göttlicher Ruhe versinken kann – vielleicht begleitet von was Seichtem auf Netflix. Oder, wenn mir nach Anspruch ist, begleitet von etwas, das ich, zwischen zwei Deckel gepackt, aus dem Bücherregal holen kann.

Da drüben war ein Menschenhauf, ein Menschenklump zugange, es wurde gejohlt und geschrien – und darauf, meinten Frau Jelinek und Herr Hammerschlag, sollte ich nun einen Blick werfen. Er werde, sagte Peter Hammerschlag, noch auf mich warten, um sich dann von mir zu verabschieden. »Ein bissl vorsichtig sein«, gab mir Frau Jelinek noch mit auf den kurzen Weg, bevor sie sich mit funkelnden Augen von Herrn Hammerschlag eine Zigarette anzünden ließ.

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