Kitabı oku: «Amateure», sayfa 3
»Judy Markham, das ist Detective Delafield.«
Judy Markham sah sie bestürzt an. »Heißt das, ich kann immer noch nicht zurück an den Empfang? Akten ablegen ist echt ätzend.«
Manchen Leuten, dachte Kate traurig, sollte es nicht erlaubt werden, den Mund zu öffnen. Aber sie lächelte und sagte sanft: »Sicher würde Ihnen da jeder zustimmen. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen zu Ihrer Tätigkeit als Empfangssekretärin stellen. Würden Sie mir einige Fragen beantworten?«
»Sicher. Ich hab schon gehört, dass wir einen weiblichen Polizisten hierhaben, wirklich toll. Äh, wie werden Sie angeredet?« Sie sah Kate zweifelnd an.
»Detective«, sagte Gail Freeman.
»Oh.« Ihr Gesicht erhellte sich, und sie quietschte: »So wie Cagney und Lacey?«
»So ungefähr«, sagte Kate mit zusammengebissenen Zähnen.
»Judy«, sagte Gail Freeman grinsend, »hören Sie auf, die Zeit von Detective Delafield zu verschwenden. Beantworten Sie einfach ihre Fragen.«
Kate erfuhr, dass Judy Markham alle Besucher erst registrierte und dann anmeldete; dass die Türen auf beiden Seiten des Empfangsraums durch elektronische Schlösser gesichert waren. Judy Markham öffnete die Türen, indem sie eine zweistellige Codenummer in ihre Kontrollkonsole eingab. Nach einunddreißig Sekunden schnappten die Schlösser automatisch wieder zu. Die Beschäftigten hatten für die Zeit nach Dienstschluss ihre eigenen Schlüssel, aber tagsüber war es üblich, dass Judy Markham die Türen für sie öffnete.
»Also kann niemand vor oder nach der Arbeitszeit hereingelangen, der keinen Schlüssel hat«, sagte Kate.
»Nee.«
»Was ist mit ehemaligen Beschäftigten?«
»Ich ziehe ihre Schlüssel routinemäßig ein«, sagte Freeman. »Aus Sicherheitsgründen.«
Kate lächelte. »Haben Sie jemals die Schlösser ausgewechselt?«
Freeman schüttelte den Kopf, lachte reumütig. »Ich verstehe, was Sie meinen.«
Kate überprüfte das Besucherbuch. »Miss Markham, hat Mr. Parker kürzlich irgendwelche ungewöhnlichen Besucher empfangen?«
Judy Markham warf Gail Freeman einen schnellen Blick zu. »Was meinen Sie mit kürzlich?«
»In den letzten paar Wochen. Mr. Freeman«, sagte Kate beiläufig, »was halten Sie davon, wenn ich mich in ein paar Minuten wieder bei Ihnen melde, wenn ich hier fertig bin?«
»Sicher.« Mit den Händen in den Hosentaschen schlenderte Gail Freeman davon und verließ den Empfangsraum durch die Tür am anderen Ende des Raums, die er mit seinem Schlüssel aufschloss.
Judy Markham tippte mit dem Finger auf einen Namen in dem Buch. »Dieser Widerling. Dieser glatzköpfige, schwitzende kleine Scheißkerl. Macht mich an. Ich hab ihm viermal gesagt, dass ich einen Freund hab. Er hat gesagt, El Grosso da –«, sie wies heftig in die Richtung von Fergus Parkers Büro, »erzählt rum, ich würde es ihm für Geld machen. Sooft er will. Er hat mir fünfzig Dollar geboten! Ich hoffe, El Grosso hat sechs Stunden gebraucht, um zu sterben!«
Kate sagte nüchtern, beeindruckt von ihrem wilden Zorn: »Hat Mr. Parker Sie jemals sexuell belästigt?«
»Mit seinem großen fetten verdammten Maul«, zischte sie. »Dreckige Reden, verstehen Sie? Er konnte nicht mal guten Tag sagen, ohne was über meine Titten zu sagen. ›Guten Morgen, Mr. Parker‹, ›Guten Morgen, Judy, was für ein hübscher Pullover, du siehst so appetitlich aus wie Eiscreme, hmm-hmmm.‹ Äh! Und wie er mich angesehen hat! Als würde er mich mit seinen Schweinsäuglein ficken!«
Ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde, wie selbstverständlich junge Frauen diesen Slang verwenden, dachte Kate. »Sie wollten mir das nicht erzählen, als Mr. Freeman zuhörte. Warum nicht?«
»Er würde sich aufregen. Er ist ein netter Typ.«
»Miss Markham, es ist sein Job, sich über solche Dinge aufzuregen. Warum haben Sie sich nicht bei ihm beschwert?«
»Worüber hätt ich mich beschweren sollen?«
»Sexuelle Belästigung. In diesem Bundesstaat wird sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zunehmend mit harten Strafen geahndet.«
Judy Markham brach spöttisch in schallendes Gelächter aus. »Kommen Sie, Cagney. Sie wissen doch, wie das ist. Ich bin eine Blondine, eine Empfangsdame. Wenn ich mich beschwere, sitze ich bis zum Arsch in der Scheiße. Gesetze ändern da überhaupt nichts. Sie denken, ich lasse mir zu viel gefallen? Ich habe eine Freundin, Susie ist Stewardess. Flugbegleiterin nennen sie das jetzt. Sie sollten Susie mal hören. Die Typen denken, sie können sich alles erlauben. Nicht alle sind so wie El Grosso, aber solche Bemerkungen muss ich mir ständig anhören. Und Sie glauben doch nicht, dass es woanders anders wäre.«
»Ich weiß es wirklich nicht, Miss Markham«, sagte Kate sanft. »Ich weiß nur, dass Gesetze dazu da sind, die Menschen zu schützen.«
»Hey, Cagney, Sie sind wirklich nett.« Judy Markham schüttelte sich wieder die Haare aus dem Gesicht. Sie sah Kate mit naiven blauen Augen vieldeutig an. »Sie können mich Judy nennen.«
Kate bewahrte einen neutralen Gesichtsausdruck und sprach mit sorgsam ausdrucksloser Stimme. »Ich weiß das zu schätzen, Miss Markham. Würden Sie jetzt bitte Mr. Freeman ausrufen?«
»Oh, Scheiße. Ich soll zurückgehen und weiter Akten sortieren?«
»Es dauert nicht mehr lange, bis wir dieses Stockwerk wieder fürs Publikum freigeben können. Ich weiß Ihre Geduld zu schätzen.«
»Sicher, Cagney.« Wieder der vieldeutige Blick. Judy Markham schlenderte mit wiegenden Hüften aus dem Empfangsraum.
Kate, die mit intensiver Konzentration grobe Skizzen fertigte, ging schweigend durch die Korridore, ignorierte die neugierigen Gesichter, die sie anstarrten, notierte sich Namen, schritt die Entfernungen zum Treppenhaus und zum Empfangsraum ab. Gail Freeman schlenderte neben ihr her, die Hände in den Hosentaschen, und nannte lakonisch Namen und Titel. Wieder gingen sie am Tatort vorbei, an Billie Sullivan, die telefonierend an ihrem Schreibtisch saß und sich mit mageren, knochigen Händen durch ihr karottenrotes, strähniges Haar fuhr, und an einer Tür mit der Aufschrift Herren Privat.
»Der Waschraum der leitenden Angestellten«, sagte Gail Freeman. »Natürlich muss man einen Schlüssel haben, um da reinzukommen. Es gab einen ziemlichen Aufstand, als Gretchen Phillips zur Verkaufsleiterin ernannt wurde, aber keinen Zugang zum Waschraum erhielt. Ihr hätte es nicht egaler sein können, aber die anderen Frauen waren so wütend wie Hornissen.« Er lachte in sich hinein.
»Was haben Sie getan?«
»Nichts. Ich tue nur etwas, wenn ich etwas tun kann.« Er blieb vor der nächsten Tür stehen. »Zum Beispiel hier. Textverarbeitung. Ziemlicher Betrieb da drinnen.« Er schob die schwere Tür auf.
Ein unablässiges Tapper-tatap kam von den Tastaturen der Geräte, an denen eine Reihe Frauen mit Kopfhörern arbeitete. Weiße Schrift blinkte wild auf einem halben Dutzend leuchtend grüner Bildschirme. Eine winzige schwarze Frau stand auf, raste zu einem riesigen orangefarbenen Papierkorb, schleuderte eine Armvoll Papier hinein und raste zurück zu ihrem Computer. Zwei Fernschreiber spuckten unaufhörlich gelbes Papier aus. An einem Telefon gestikulierte eine orientalisch aussehende Frau in ausdrucksvoller Frustration. Ein Faxgerät surrte rhythmisch.
Kate betrachtete diesen Strudel von Aktivität. Ihr fiel auf, dass der Geräuschpegel doch noch relativ niedrig war. Die Decke und die Wände waren mit schallschluckendem porösem Kork bespannt. Der braune Teppich wirkte etwas unansehnlich durch seine vielen Löcher – die offensichtlich wegen häufigen Umbaus der elektrischen Anschlüsse entstanden waren – und er war ungewöhnlich dick. Vier oder fünf Frauen hatten aufgeblickt, als die Tür geöffnet wurde. Sie winkten Gail Freeman zu, der die Grüße mit einem Lächeln und dem Heben seiner Hand erwiderte. Er ließ die Tür zufallen, der Lärm hörte abrupt auf.
»Eine Fabrik«, sagte Kate.
»Ja. Und die Frauen da drin sind so gute Leute, sie arbeiten so hart … Sind Sie jemals in einer Fabrik gewesen?«
»Nein.« Langsam gingen sie weiter den Korridor entlang.
»Ich komme aus einer Fabrikarbeiterstadt. Toledo. Ich habe in einer Reifenfabrik gearbeitet. Der Lärm ließ einem fast das Trommelfell platzen. Genauso laut war es in dem Raum, den wir eben gesehen haben, bis ich es geschafft habe, die schallisolierenden Wände und den Teppich anzuschaffen. Aber ohne Guys Hilfe hätte ich diese Änderungen nie durchführen können.«
»Warum nicht, Mr. Freeman?«
»Firmenetat.« Er sagte das Wort in einem Ton, in dem sie andere Leute die übelsten Schimpfwörter hatte sagen hören. »Fergus Parker sagte mir, unser Etat würde eine derartige Ausgabe nicht erlauben. Aber sogar in dieser unsicheren Wirtschaftslage mit sinkendem Verkauf und sinkenden Löhnen fand Fergus Parker nichts dabei, die gesamte Vertriebsabteilung der Firma zu einer, ich zitiere, ›Geschäftskonferenz‹ nach San Francisco einzuladen. Das hat Tausende gekostet, alle Spesen wurden bezahlt, nichts war zu gut dafür. Und ich bin schon auf derartigen ›Konferenzen‹ gewesen und weiß, wie wenig das mit den sogenannten ›wichtigen Geschäften‹ zu tun hat. Aber der Etat erlaubte es nicht, die paar tausend Dollar auszugeben, die das Arbeiten in diesem Raum auch nur einigermaßen erträglich machen würde. Guy Adams sagte schließlich, ich solle es einfach machen lassen und ihm die Rechnungen geben, er würde das mit der Firma regeln.«
»Und woher nimmt Mr. Adams diese Vollmacht?«
»Nahm«, korrigierte Gail Freeman traurig. »Er ist ein Neffe des Firmeninhabers – aber der alte Guy Adams starb letztes Jahr, und seitdem wird die Firma reorganisiert.« Er blieb stehen. »Das ist Guys Büro. Ein bemerkenswertes Büro, nicht?«
Kate sah nicht das Büro an, sondern den Mann, der halb auf der Ecke seines Schreibtisches saß und telefonierte, mit dem Gesicht zum Fenster, ihnen den Rücken zugekehrt. Sie bekämpfte wieder eine spontan aufsteigende Abneigung, studierte die sorgsam frisierten rötlich-blonden Haare, die lässige Breite der Schultern, den schlanken Körper, die schmale, durch das perfekt geschnittene, cremefarbene Jackett noch betonte Taille. »Ich werde mich darum kümmern, betrachten Sie es als erledigt«, sagte Guy Adams gerade. Seine Stimme war weich und rauchig, sie erinnerte Kate an die Stimme eines Schauspielers aus einem alten Kriegsfilm, den sie in ihrer letzten schlaflosen Nacht im Spätprogramm gesehen hatte. Aldo Ray hieß der Schauspieler, fiel ihr zu ihrer Befriedigung ein. Dann legte Guy Adams den Hörer auf, drehte sich um und sah sie mit erschreckten, sich weitenden Augen an. Sie machte eine Bestandsaufnahme seiner Gesichtszüge: eine schmale gerade Nase, ein breiter Mund mit fein geschnittenen Lippen, ein schmales Gesicht, feiner Knochenbau. Das Gesicht eines Aristokraten. Sie nickte ihm zu und ging weiter.
Sie betrat die Küche, studierte die Aufteilung des Raums, ging weiter den Korridor hinunter. Vor der geschlossenen Tür von Gail Freemans Eckbüro blieb sie stehen. »Schließen alle leitenden Angestellten die Tür ab, wenn sie ihr Büro verlassen?«
»Normalerweise nur nach Feierabend. Ich schließe allerdings die Tür auch ab, wenn ich mal während der Arbeitszeit mein Büro verlasse, weil dort vertrauliche Personalunterlagen liegen. Wenn die anderen leitenden Angestellten an etwas Vertraulichem arbeiten, schließen sie natürlich ebenfalls die Tür ab, wenn sie ihr Büro verlassen.«
»Was könnte das zum Beispiel sein?«
»Oh, Gehaltsunterlagen, unter anderem. Ich glaube nicht, dass viele tatsächlich ihre Tür abschließen, wenn sie nach Hause gehen. Ich erinnere Guy ständig daran, dass er seine Tür zumachen und abschließen soll, gerade gestern habe ich ihn deswegen wieder zur Schnecke gemacht. Sein Büro ist das einzige, in dem es wirklich etwas Wertvolles gibt. Aber die Fahrstühle und das Treppenhaus sind nachts gesichert, und die Putzfrauen sind sehr zuverlässig, bis jetzt ist hier überhaupt noch nichts weggekommen.«
»Ich verstehe. Was –« Sie brach ab. In dem Büro, das neben Gail Freemans lag, sah sie eine Frau mit schulterlangen, welligen braunen Haaren. Sie hatte ihren Drehstuhl herumgedreht, ihr Blick war offenbar auf die grauen Hochhäuser der Innenstadt von Los Angeles gerichtet. Kate nahm Gail Freemans Arm und führte ihn ein paar Schritte den Korridor hinunter. »Wer war das?«
»Ellen O’Neil, meine neue Assistentin. Sie hat den – nun, das wissen Sie natürlich. Wie Sie sich vorstellen können, ist sie ziemlich durcheinander.«
»Ja. Detective Taylor erwähnte, dass Sie Mrs. Parker benachrichtigt haben. Wie hat sie die Nachricht aufgenommen?«
Freeman räusperte sich. »Nun, es war natürlich ein Schock für sie.« Er sah Kate abschätzend an und sagte dann: »Sie sagte, das Erste, was sie machen würde, wäre, ihre Kinder anzurufen und sie nach Hause kommen zu lassen. Dann sagte sie, sie hätte haufenweise schwarze Sachen, seit ihrer Heirat mit Fergus Parker hätte sie hauptsächlich Schwarz getragen. Dann goss sie sich ein großes Glas Scotch ein, ohne Wasser, ohne Eis. Dann fragte die trauernde Witwe, wie hoch die Lebensversicherungssumme meiner Meinung nach sei.«
Kate schaffte es nicht, ihr Lächeln zu unterdrücken. »Und wie hoch ist sie?«
»Die Hauptverwaltung wird ihr die genaue Summe mitteilen. Aber bei seinem Gehalt müsste es automatisch mindestens eine Viertelmillion sein, würde ich sagen, wenn er eine der Zusatzversicherungen abgeschlossen hat, noch mehr. Die Witwe Parker müsste sorgenfrei leben können. Sie könnte sich vielleicht sogar ein rotes Kleid kaufen.«
»Tatsächlich. Mr. Freeman, ich möchte Sie bitten, uns eine vollständige Liste aller zurzeit bei Ihnen Beschäftigten mit Angabe der Adresse zur Verfügung zu stellen sowie eine Liste aller Beschäftigten, die innerhalb des Zeitraums, in dem das Opfer hier in diesem Büro gearbeitet hat, versetzt wurden oder gekündigt haben.«
»Wir können die Liste ohne Schwierigkeiten vom Computer ausdrucken lassen.«
»Sind die Personalakten hier oder in Philadelphia?«
»Hier.«
»Wir werden diese Akten einsehen müssen.«
Freeman runzelte leicht die Stirn. »Ich denke, da werde ich mich erst an unsere Anwälte in Philly wenden müssen.«
»Wie Sie wollen. Ich nehme an, ein einfacher Durchsuchungsbefehl wird ausreichen, um sie zufriedenzustellen. Springen Sie für Mr. Parker ein, da es ja noch keinen bestellten Nachfolger gibt?«
»Wir haben beschlossen, dass zwei von uns das machen werden. Ich und Fred Grayson.«
Kate zog ihre Skizze zu Rate. »Verkaufsleiter, südöstliches Eckbüro.«
»Das ist er. Von den leitenden Angestellten hat er die höchste Position. Alles, was mit der Administration des Büros und dem Personal zu tun hat, ist normalerweise mein Amtsbereich. Wenn Sie dazu Fragen haben, wenden Sie sich an mich.«
»Gut. Ich würde mich jetzt gern mit Miss O’Neil unterhalten. Würden Sie sie bitte in den Konferenzraum schicken?«
Kapitel 3
Auf dem Weg zum Konferenzraum dachte Ellen mit Wärme an Guy Adams. Er war der einzige Mensch in dieser Firma, der zu ihr gekommen war und Mitgefühl und Anteilnahme gezeigt hatte – außer Gail Freeman, aber der war schließlich ihr Chef. Guy Adams, der gestern so liebenswert ungezwungen gewesen war – sie hatten eine gemeinsame Liebe zu den englischen Dichtern festgestellt, als sie einige elegant gebundene Bücher in seinem Bücherbord entdeckt hatte –, war heute kaum fähig gewesen zu sprechen. Er hatte krank ausgesehen, dachte sie, und seine sanften grünen Augen waren schreckerfüllt und stumpf gewesen. Aber schließlich war er offensichtlich ein Mann, den das, was geschehen war, betroffener machte als die meisten Männer.
Als sie an der Tür des Konferenzraumes angekommen war, dachte sie mit Neugier an die Kriminalbeamtin, die auf sie wartete, und lächelte wieder über Gail Freemans sardonische Beschreibung: »Kojak ist ein liebenswerter Weichling im Vergleich zu dieser Dame. Das Wärmste an ihr ist ihre Cordjacke.«
Ellen öffnete die Tür. »Detective Delafield?«, sagte sie.
Die Frau, die ihr gegenüber auf der anderen Seite des Konferenztisches saß, das dunkle Haar von Grau durchzogen, trug eine Cordjacke in einem sanften Hellgrün. Sie hielt ein in Leder gebundenes Notizbuch schräg in ihren starken, eckigen Händen und betrachtete prüfend eine Skizze. Sie sah Ellen mit hellblauen Augen kühl, ruhig und offen an.
Ellen starrte sie an. Stephie kann so oft sagen, wie sie will, dass man nie sicher sein kann, aber wenn diese Frau keine Lesbe ist, bin ich auch keine.
Als sie Ellen O’Neil sah, verspürte Kate ein sonderbares Gefühl, eine entsetzliche Mischung aus Freude und Schmerz, die zu reinem Schmerz wurde. Die gleiche Größe, vielleicht ein Zentimeter Unterschied. Die Hüften nur um weniges schmaler, die Brüste so wohlgeformt wie Annes; in der weichen beigen Bluse zeichneten sich die Konturen ab. Die Lippen waren ein bisschen voller, die Nase gerader. Sie war hübscher. Aber Anne mit ihren schrägen Gesichtszügen hatte eben ausgesehen wie niemand sonst – mit ihren zarten bogenförmigen Lippen und den Augen, die dunkler waren als die Ellen O’Neils – schräg wie die einer Chinesin, hatte Anne immer gesagt … Annes Haar war heller und nicht so ordentlich frisiert wie das Ellen O’Neils; diese Büschel widerspenstiger Locken in ihrem Nacken …
Ellen war erschreckt, verwirrt. Die Kriminalbeamtin hatte von ihrem Notizbuch aufgesehen, ihr Blick war schnell an Ellen hochgewandert und an ihrem Gesicht hängengeblieben; die hellen blauen Augen hatten sich voll Schmerz verengt.
»Detective Delafield?«, sagte sie noch einmal.
Ihre Stimme ist nicht viel anders als die von Anne, leise und dunkel …
»Detective Delafield?« Ellen sah sie aufmerksam und besorgt an.
Kate räusperte sich. »Entschuldigen Sie, Sie haben mich an jemanden … Ich habe an etwas anderes gedacht.«
»Und zwar sehr konzentriert.« Ellen lächelte, versuchte, dem starken, grimmigen Gesicht etwas Weichheit zu entlocken.
Oh Gott, es ist so unfair … Ihr Lächeln ist wie Annes Lächeln. Kate strich eine neue Seite in ihrem Notizbuch glatt und räusperte sich wieder. »Bitte setzen Sie sich, Miss O’Neil. Ich weiß, dass es schwer für Sie sein muss, ich weiß, dass Sie Ihre Geschichte bereits mehrmals erzählt haben, ich weiß, dass sie bereits protokolliert worden ist. Aber ich möchte Sie bitten, alles noch einmal zu erzählen. Ganz langsam. Erwähnen Sie jedes Detail, das Ihnen einfällt. Fangen Sie damit an, wo und wann Sie Ihr Auto geparkt haben.«
Ellen entspannte sich. Sie hatte sich in Gegenwart von Menschen – insbesondere von Frauen –, die wie Stephie, wie Kate Delafield Autorität ausstrahlten, deren Gesichter Stärke und deren Gesten und Verhalten Entschlossenheit verrieten, immer wohlgefühlt. »Na ja, ich habe das Auto um zwanzig nach sieben in der Tiefgarage geparkt.«
»Woher wissen Sie, wie spät es war?«
Ellen, die diese Frage bereits zweimal beantwortet hatte, sagte schnell und mühelos: »Ich habe die Nachrichten im Radio gehört. Morgens sagen sie ständig die Zeit an. Und ich war verärgert, weil ich zu früh dran war, ich hätte ohne weiteres etwas länger schlafen können. Dies ist mein erster Job seit mehr als einem Jahr. Ich bin nicht daran gewöhnt, so früh aufzustehen.« Sie dachte, wenn sie jetzt nachhakt, wird sie herausfinden, dass ich mit einer Frau zusammenlebe …
Aber Kate Delafield sagte: »Ich verstehe. War jemand, den Sie kennen, in der Tiefgarage oder in der Eingangshalle?«
»Nein, aber ich bin neu hier. Ich kenne kaum jemanden.«
»Was ist mit den Leuten, die Sie kennen? Haben Sie einen von denen gesehen?«
»Nein.«
»Wen würden Sie erkennen? Zählen Sie sie auf.«
Mit wachsender Wärme und wachsendem Stolz ließ Ellen das Bewusstsein in sich einsinken, dass diese beeindruckende und ausgesprochen fähige Frau die Untersuchung dieses Mordfalls leitete – und lesbisch war. »Nun, Gail natürlich. Und Guy. Guy Adams. Ich bin nicht daran gewöhnt, die leitenden Angestellten beim Vornamen zu nennen, aber das ist hier so üblich.« Sie brach ihren Versuch einer Unterhaltung ab, als ihr der Blick der kühlen blauen Augen begegnete, und fuhr hastig fort: »Gestern bin ich Luther Garrett vorgestellt worden. Und ich kenne einige der Sekretärinnen und Schreibkräfte, das heißt, vom Sehen, die Namen weiß ich nicht. Billie Sullivan. Das sind alle.«
»Sind Sie sicher?«
Nach einer kurzen Pause nickte sie.
»Sind Sie wirklich sicher?«
»Ja.« Sie war verärgert.
»Was ist mit Judy Markham?«
»Oh. Ja. Die habe ich vergessen.«
Ellen, der klar war, dass Kate Delafield bewusst schwieg, fühlte, wie sie rot wurde.
Kate beobachtete sie. Ellen hatte wie Anne eine natürlich gesunde Gesichtsfarbe, auch ohne Sonnenbräune. Kate gestattete sich einen kurzen Gedanken an Ellen O’Neils ›Mitbewohnerin‹, wie Taylor sie genannt hatte. Sie sagte: »Genau deshalb möchte ich, dass Sie sich mit Ihren Antworten Zeit lassen, Miss O’Neil. Denken Sie nach, überlegen Sie genau. Sie könnten etwas registriert haben, das Sie einfach vergessen haben, etwas ganz Selbstverständliches, so wie Judy Markham. Und im Moment sind Sie unsere einzige Zeugin, die einzige Informationsquelle, die wir haben.«
»In Ordnung«, murmelte Ellen nachdenklich.
»Fahren Sie fort, Miss O’Neil.«
»Ich fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben. Mit dem ersten Fahrstuhl von rechts, von der Tür der Eingangshalle aus gesehen«, fügte sie hinzu und versuchte zu lächeln.
Oh Gott, sie ist Anne so ähnlich, dachte Kate schmerzlich und schloss für einen Moment die Augen. »Warten Sie. War jemand in der Eingangshalle? Irgendjemand?« Sie beobachtete, wie Ellen O’Neil ihren Kopf nachdenklich senkte; das weiche dunkle Haar teilte sich in Ströme von zarten Brauntönen.
»Nein. Niemand.«
»Was ist mit den Wachleuten?«
»Sie waren nicht da. Ich habe Rick und Mike zum ersten Mal gesehen, als sie hochkamen, um mich rauszuholen.«
Ellen O’Neil hatte den Kopf gehoben, ihr Blick war direkt, die Stimme zittrig, aber entschieden. »Weiter«, sagte Kate. »Sie stiegen aus dem Fahrstuhl.«
»Ich bin eine Minute oder zwei stehen geblieben und habe mich einfach umgesehen.«
»Was haben Sie gesehen? Beschreiben Sie es, so gut Sie können.«
Zweimal hob Kate die Hand, um Ellen zu veranlassen, langsamer zu sprechen. Sie stenografierte Ellens Beschreibungen der Möbel, der Farben und Stoffe peinlich genau mit. Anhand dieser Beschreibungen würde sie die Genauigkeit von Ellen O’Neils Gedächtnis überprüfen. Manche Frauen achten auf die merkwürdigsten Sachen, dachte sie; sie können die Webart eines Stoffes in den kleinsten Einzelheiten beschreiben … Sie fragte: »Haben Sie irgendeinen Geruch wahrgenommen?«
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte Ellen nach einer Pause.
»Parfüm? Eau de Cologne für Männer?«
»Nein. Daran würde ich mich erinnern. Ich mag es nicht.«
»Ich auch nicht«, sagte Kate mit einem Lächeln. »Machen Sie weiter.«
Das Lächeln, von magnetischer Anziehungskraft in Kate Delafields starkem Gesicht, überraschte Ellen, ebenso wie ihr Kommentar, der sie nicht annähernd so blutleer erscheinen ließ, wie sie zuvor gewirkt hatte. »Ich ging in mein Büro.«
»Wie viel Zeit war bis dahin verstrichen?«, unterbrach Kate sie. »Seit Sie Ihr Auto geparkt hatten?« Sie sah zu, wie Ellen O’Neil beide Hände hob, schmale Hände, schöner als Annes, und mit langen Fingern, deren Nägel mit klarem Nagellack lackiert waren, leicht ihre Schläfen berührte.
»Drei oder vier Minuten.«
»Gut. Also ist es jetzt sieben Uhr fünfundzwanzig. Machen Sie weiter.«
Während Ellen O’Neil rückblickend jeden ihrer Schritte beschrieb, strichelte Kate Linien in die Skizzen in ihrem Notizbuch. Sie tippte mit ihrem Kugelschreiber auf ihre Skizze des Konferenzraums. »Warum sind Sie hier nicht weitergegangen? Warum sind Sie den ganzen Weg zurückgegangen, an der Küche vorbei?«
Ellen dachte an ihre erste Begegnung mit Fergus Parker zurück. Er hatte sich in seinem immens großen Ledersessel zurückgelehnt und einen fetten, schwarzpolierten Schuh auf die Kante seines schwarzen Monstrums von einem Schreibtisch gestellt. Dann hatte er eine schwarze Zigarre zwischen seine breiten, dicken Lippen gesteckt und sich die Zigarre mit einem goldenen Klumpen von einem Feuerzeug angezündet. Er hatte die Zigarre zwischen seinen Wurstfingern gehalten und mit bebenden Hängebacken Wolken stinkenden Rauchs in ihre Richtung geblasen. Seine Stimme war rumpelnd aus einem in Fett eingeschlossenen und in eine blassgelbe Velourslederweste gehüllten Brustkorb gekommen. Aber sie hatte nicht gehört, was er gesagt hatte, sie hatte nur seine Augen gesehen: grau und vorstehend und genau auf die Stelle zwischen ihren Beinen gerichtet.
»Nun«, sagte Ellen zu Kate Delafield, »ich, äh, kenne mich hier noch nicht so gut aus.«
Kate bemerkte ihr Zögern und sagte milde: »Das ist verständlich. Aber dennoch, warum sind Sie zurückgegangen? Warum sind Sie nicht einfach weitergegangen?«
Zum Teufel damit, entschied Ellen. »Nun, um die Wahrheit zu sagen –«
»Bitte, tun Sie das.«
Sie gibt auch nicht einen Zoll nach. Irritiert erwiderte Ellen den Blick der gelassenen blauen Augen, die sie irgendwie an Stephanie erinnerten. Ihre Irritation verstärkte sich bei dem Gedanken an Stephanie. Verdammt, sie behandelt mich wie irgendeinen gepuderten, armseligen Ersatz für eine Frau …
»Ich wollte Fergus Parker nicht begegnen«, erklärte sie. »Ich wollte es nicht riskieren, mit ihm allein zu sein.«
Der allseits beliebte Fergus Parker, dachte Kate. »Soweit ich weiß, haben Sie ihn erst gestern kennengelernt.«
Ellen sagte mürrisch: »Bei manchen Männern kriegt man das schnell raus.« Als Kate lächelte, erwärmte ihr das Unerwartete dieses Lächelns wieder das Herz.
Kate wies mit dem Kugelschreiber auf die Skizze und sagte: »Also gingen Sie diesen Weg zurück zu Ihrem Büro, den nördlichen Korridor entlang … Haben Sie irgendetwas gerochen?«
»Kaffee. Als ich an der Küche vorbeikam.«
»Die Kaffeekanne, Miss O’Neil. Konzentrieren Sie sich. Sie gingen in die Küche und schenkten sich eine Tasse Kaffee ein. Wie voll war die Kaffeekanne? Wie viel Kaffee war noch in der Kanne?«
Wieder berührte sie mit schlanken Händen leicht ihre Schläfen. »Mehr als die Hälfte.«
»Also, wie viele Tassen waren Ihrer Meinung nach schon getrunken worden?«
Ellen seufzte, dachte nach, ihre Augen auf das grün-goldene Gemälde an der Wand gerichtet, ohne es wahrzunehmen. »Nun, etwa vier Styroporbecher. Oder ungefähr zwei Tassen.«
»Aber jemand könnte auch eine halbe Kanne Kaffee gekocht haben, oder nicht? Wäre das so früh am Morgen nicht wahrscheinlicher, da alle anderen erst um acht kommen?«
»Nicht bei dieser Kaffeemaschine.« Sie sprach mit Entschiedenheit. »Das Kaffeepulver ist fertig abgemessen. Und mit dem Wasser, das man in die Maschine gibt, wird nicht diese Kanne Kaffee gekocht, sondern die nächste.«
Befriedigt legte Kate eine Pause ein, um eine Reihe von Notizen zu vervollständigen. »Also, Sie verließen die Küche und nahmen die Kaffeekanne mit, da Sie annahmen, dass Guy Adams schon im Haus war. Warum haben Sie das angenommen?«
»Es gab nur zwei Büros, an denen ich noch nicht vorbeigegangen war, und die Türen der anderen Büros waren zu, also blieben nur er und Fergus Parker. Und ich glaube nicht, dass Fergus Parker Kaffee gemacht hätte.« Ihr fiel auf, dass sie sich Kate Delafields Gegenwart nicht mehr so stark bewusst war. Das, was geschah, hatte nichts damit zu tun, dass sie beide lesbisch waren.
Kate tippte mit dem Kugelschreiber auf ihre Skizze. »Was ist mit den Leuten aus der Textverarbeitung? An dem Raum sind Sie nicht vorbeigekommen. Einer von denen hätte schon im Haus sein können, oder nicht?«
»Nun ja. Möglicherweise. Wenn jemand aus irgendeinem Grund früher gekommen wäre. Aber Gail sagte mir gestern, dass Überstunden vorher von ihm genehmigt werden müssen. Und es gehört zu meinen Aufgaben, Angaben über genehmigte Überstunden täglich per Fernschreiben nach Philadelphia durchzugeben. Gestern hat er lediglich zwei Leuten aus der Buchhaltung Überstunden für den Abend genehmigt.«
»Aber es hätte jemand in dem Raum sein können.«
»In jedem der Büros hätte jemand sein und bei geschlossener Tür arbeiten können.«
»War die Tür von Guy Adams’ Büro geschlossen?«
»Äh, ja.« Sie biss sich auf die Lippen. Ihre Antwort war völlig impulsiv gewesen.
Kate sah sie überrascht an. Ausbildung, Erfahrung und Instinkt sagten ihr, dass Ellen O’Neil log. Die Veränderung der Augen. Die Wandlung des Gesichtsausdrucks und der Intonation. Und Ellen O’Neil war auf die Frage nicht vorbereitet gewesen, hatte sich nicht genug Zeit genommen, um nachzudenken, wenn sie sich wirklich nicht sicher war. Kate beobachtete sie, ließ zu, dass das Schweigen anwuchs.
Was soll Guy mit all dem zu tun haben, dachte Ellen. Warum sollte ich ihn dem aussetzen, warum sollte ich diesem lieben Menschen Probleme machen?
Kate dachte: Sie sieht mich so an, wie die meisten Leute es tun, wenn sie lügen. Warum um alles in der Welt sollte sie Guy Adams schützen wollen? Vielleicht liegt Taylor falsch mit ihr und ihrer Mitbewohnerin. Vielleicht ist sie genau das, eine Mitbewohnerin. »Wie lange kennen Sie Mr. Adams schon?«
»Erst seit gestern natürlich.«
Der Ton verriet Kampfbereitschaft. Kate zögerte und sah auf ihre Notizen. Ihr Training riet ihr, das ganze Gewicht ihrer Autorität einzusetzen, um Ellen O’Neils sich verhärtenden Widerstand zu brechen, sie in die Ecke zu drängen, ihr eine Anzeige wegen Verdachts auf Behinderung der Justiz, eine Anklage wegen Falschaussage anzukündigen – nein, anzudrohen. Dieses Vorgehen war bei der Mehrheit der Zeugen in der Welt des Verbrechens und der Verbrecher erfolgreich, und ohne Zweifel würde es auch hier in der Welt der Amateure, wie Taylor es genannt hatte, funktionieren. Dieses Vorgehen würde auch ihre zarte Beziehung zu dieser Frau ändern – sie abkühlen – einer Zeugin, die sehr ehrlich und glaubwürdig wirken würde, wenn und falls der Fall der Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung vorgelegt werden würde. Sie würde später auf Guy Adams zurückkommen; vielleicht würde Ellen O’Neil ihre Geschichte später freiwillig korrigieren. Das war nur ein Gebot der Vernunft, sagte sie sich.