Kitabı oku: «BETTINAS ENTSCHEIDUNG», sayfa 2
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Wann immer sie sich freimachen konnte, streifte Bettina durch die Hamburger Innenstadt, um sich die Auslagen der Geschäfte anzusehen. Ihre Kleidung kaufte sie ausschließlich in ausgewählten Boutiquen, obwohl sie dafür oft zusätzlich hart arbeiten musste, denn jetzt konnte sie endlich das tragen, was ihr zuvor aus Sparsamkeitsgründen verwehrt worden war. Ihr sorgfältig zusammengestelltes Make-up ließ die grünen Augen strahlen und den sinnlichen Mund noch verlockender erscheinen. Das golden glänzende, lange Haar wirkte zwar stets zerzaust, doch war das Absicht, denn es gefiel ihr, wenn es so aussah, als wäre gerade ein Windstoß hindurchgefahren. Allein während der Arbeit bändigte sie ihren Schopf mit Spangen oder Bändern. Doch war das ebenfalls ein Hingucker, weil jede ihrer Aufsteckfrisuren ein kleines Kunstwerk darstellte. Ihre Figur entlockte so manchem Mann einen anerkennenden Pfiff, der ein zufriedenes Lächeln auf ihre vollen Lippen zauberte. Dennoch war sie noch weit davon entfernt, über eine Beziehung nachzudenken. Zum einen war ihr Interesse am anderen Geschlecht sehr gering, was zum Teil daran lag, dass ihre Verehrer bloß eine Absicht zu verfolgen schienen – nämlich so schnell wie möglich mit ihr ins Bett gehen zu wollen. Zum anderen war sie sich bewusst, dass ihr Werdegang ganz allein von ihr und ihrer Zielstrebigkeit abhing, und daher durch einen Mann, und dessen Ansprüche an sie, sehr schnell eine unerwünschte Richtung einschlagen konnte.
*
Ihr zweiter Sommer in Hamburg war schon fortgeschritten, da erwachte in der mittlerweile sechzehnjährigen Bettina zum ersten Mal die Sehnsucht nach einem Menschen, der mehr für sie sein sollte als nur ein hilfsbereiter Kollege oder kumpelhafter Freund. Nein, sie war nicht auf einen Heiratskandidaten aus, denn sie hatte sich ja geschworen, niemals freiwillig in die Sklaverei gehen zu wollen, die ihrer Ansicht nach mit einer amtlich besiegelten Ehe einherging. Aber sie gestand sich zum ersten Mal ein, dass sie nicht zu den Frauen gehörte, die ihre gesamte Energie allein für ihre Karriere aufwendeten, und dabei ihre persönlichen Bedürfnisse und Sehnsüchte missachteten. Sicher, ihr berufliches Vorankommen war ihr nach wie vor sehr wichtig. Aber es verlangte sie auch immer öfter danach, von einem Mann umarmt und leidenschaftlich geküsst zu werden.
Der Grund für Bettinas neue Denkweise und ihr aufgeregtes Herzklopfen war ein junger Mann, dessen markantes Gesicht bei ihrem Anblick eine erwartungsvolle und zugleich zweifelnde Miene zur Schau trug. Er war am Tag zuvor zum ersten Mal da gewesen, erinnerte sie sich. Und sein aufmerksamer Blick war ihr ständig gefolgt, sodass sie alsbald gemeint hatte, er warte nur darauf, sie ansprechen zu können. Nun, die Gelegenheit war ihm nicht geboten worden, weil sie zum einen nicht für seinen Tisch zuständig gewesen und somit gar nicht erst in seine Nähe geraten war. Zum anderen war er in Gesellschaft eines älteren Herrn gekommen, der ständig auf ihn eingeredet und ihn so an seinem Platz festgehalten hatte. Aber jetzt war er allein. Und er saß an einem Tisch, der zu ihrem Bereich gehörte. Er sah wirklich gut aus, dachte sie, während sie auf ihn zuging. Breitschultrig war er. Und augenscheinlich ziemlich groß! Wenn sie das richtig einschätzte, dann musste er sie stehend um mindestens eine halbe Kopflänge überragen, obwohl sie hochhackige Sandaletten trug. Na ja, sein Hemd entsprach zwar nicht unbedingt der neuesten Mode, brachte seinen muskulösen Oberkörper aber hervorragend zur Geltung. Sein Alter konnte sie nicht genau einschätzen, ging aber davon aus, dass er vielleicht so um die fünfundzwanzig war.
„Was kann ich Ihnen bringen?“ Sie hatte Mühe, so ruhig und geschäftsmäßig aufzutreten, wie sonst, denn seine Gegenwart rief ein merkwürdiges Kribbeln in ihrem Bauch hervor, was sich anfühlte, als würde dort ein ganzer Schwarm von Schmetterlingen herumfliegen.
„Einen Kaffee bitte“, erwiderte er mit einem leichten Lächeln, während er sich gleichzeitig eine widerspenstige Locke seines braunen Haarschopfes aus der Stirn strich. „Und dann würde ich gerne auch Ihren Namen erfahren.“
„Ich …“ Die unverhohlene Bewunderung, die ihr aus den grauen Augen ihres Kunden entgegen strahlte, machte Bettina unsicher und verlegen zugleich. Das wiederum stürzte sie in arge Verwirrung, weil sie nicht verstehen konnte, wieso sie sich auf einmal so schwach und hilflos fühlte. „Römer“, antwortete sie endlich mit belegter Stimme. „Ich heiße Bettina Römer.“
„Ein schöner Name“, stellte er fest. „Passt zu Ihnen.“
„Ach ja?“ Sie hatte die beiden Worte kaum ausgesprochen, da ärgerte sie sich über sich selbst, weil ihr keine gescheitere Erwiderung eingefallen war. Zudem erinnerte sie sich nun wieder an ihre Arbeit und wollte gehen. Allerdings kam sie nicht weit, denn ihr Gesprächspartner langte unvermittelt nach ihrer Hand, um sie so aufzuhalten.
„Wann haben Sie Feierabend?“, wollte er wissen.
„Das …“ Sie wollte ihre Finger mit einer ärgerlichen Geste aus seinem Griff befreien und ihm gleichzeitig dieselbe schroffe Antwort geben, die sie schon unzähligen anderen an den Kopf geworfen hatte. Weil es ihr diesmal jedoch außerordentlich schwerfiel, sich auf die nötigen Worte zu besinnen, fragte sie bloß: „Warum wollen Sie das wissen?“
„Weil Sie mir gefallen und ich Sie darum näher kennenlernen möchte“, gestand er. „Und das geht nur, wenn wir uns ungestört unterhalten können. Also, nicht unbedingt hier, wo Sie mir dauernd weglaufen.“
„Zehn.“ Sie merkte kaum, dass sie redete, denn die Wärme, die von seiner Hand auf ihre Haut übertragen wurde, schien einer unsichtbaren Ameisenarmee gleich nicht nur an ihrem Arm emporzukriechen, sondern auch in ihr Innerstes zu dringen. Und das war so aufregend, dass sie an sich halten musste, um nicht hörbar aufzustöhnen. „Ich bin um zehn fertig hier“, brachte sie atemlos heraus.
„Schön.“ Mit dem Daumen leicht über ihren Handrücken fahrend, sah er sie an. „Ich hol’ dich am Haupteingang ab.“ Da sie nun einem privaten Treffen zugestimmt hatte, erschien ihm das unpersönlich klingende Sie nicht mehr angebracht. „In Ordnung?“
„Ich …“ Sie konnte nicht vernünftig denken, solange er sie festhielt. Also befreite sie sich schnell und trat dann einen Schritt von ihm fort. „Ja, gut. Das heißt … Es ist vielleicht besser, wenn wir uns vor der Disco treffen, die gleich um die Ecke ist. Ja? Ich … Es tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich wieder los.“ Schon stürzte sie davon, insgeheim heilfroh darüber, dass sie gerade noch rechtzeitig daran gedacht hatte, sich nicht vor den Augen des Empfangschefs oder gar des Hotelmanagers abholen zu lassen. Selbstverständlich konnte ihr niemand verbieten, mit einem Mann zum Tanzen zu gehen. Dennoch war ihr der Gedanke unangenehm, dass ihr Lebenswandel zum Gesprächsthema ihrer Kollegen und Vorgesetzten werden könnte. Sie war immer noch minderjährig und konnte sich daher sicher sein, dass man sie nach wie vor zu ihrem eigenen Wohle überwachte. Also war es ratsam, vorsichtig zu sein, denn nur so ließ sich verhindern, dass es zu hässlichen Gerüchten kam, die ihr schaden konnten.
Vier Stunden nach dem ersten Wortwechsel mit ihrem Verehrer eilte Bettina im Laufschritt aus dem Hotelgebäude, und anschließend zu dem vereinbarten Treffpunkt. Als sie kurz vor dem Ziel erneut gewahr wurde, wie attraktiv der junge Mann tatsächlich war, schlug ihr Herz noch ein paar Takte schneller.
„Du kannst mich Tina nennen“, erklärte sie ein wenig atemlos, sobald sie bei dem Wartenden anlangte. „Und du? Deinen Namen hast du mir noch gar nicht verraten.“
„Gottfried Hansen.“ Er schluckte hart, denn die momentane Aufmachung seiner Verabredung stand im krassen Gegensatz zu dem streng wirkenden Kellnerinnen-Outfit, welches sie bei der Arbeit getragen hatte. Die hautenge Jeans enthüllte mehr als sie verbarg, denn der Stoff spannte sich wie eine zweite Haut über die sanft geschwungenen Hüften und um die langen schlanken Beine des Mädchens. Unter der offenen Jeansjacke leuchtete eine karierte Baumwollbluse in Rot, Weiß und Grün, die so dünn war, dass man die Konturen ihres Busens und den dunklen Hof ihrer Brustwarzen erkennen konnte, weil sie, dem neuesten Modetrend entsprechend, keinen BH trug. Und weil er bei diesem aufregenden Anblick einen ganz bestimmten Wunsch verspürte, zwang er seinen Blick gleich wieder zu ihrem Gesicht hinauf. „Aber bitte“, fuhr er endlich mit belegter Stimme fort, „keine Abkürzungen, ja. Ich hasse es, wenn man meinen Namen verstümmelt.“
Bettina nickte bloß. Er unterschied sich nicht sehr von ihren anderen Verehrern, schoss es ihr dabei durch den Sinn. Ja, er starrte sie genauso lüstern an, wie es all die anderen taten. Aber er war Gentleman genug, seine Absichten nicht sofort kundzutun. Und das war mal was ganz Neues! In der Regel machte man ihr Komplimente, nur um gleich darauf anzügliche Bemerkungen folgen zu lassen, im festen Glauben, sie würde den Wink verstehen und sogleich auf die Aufforderung eingehen, weil man ja selbst ein unwiderstehliches Exemplar göttlicher Schöpfung und somit ein Geschenk des Himmels war. Aber genau das hatte sie bisher stets abgestoßen und ihr jegliche Lust an einem Abenteuer genommen. Na ja, jetzt dachte sie ein wenig anders darüber, denn nun wurde sie selbst von dem Verlangen getrieben, die Geheimnisse eines Männerkörpers und der körperlichen Liebe kennenlernen zu wollen. Und Gottfried hatte wahrscheinlich schon einige Erfahrung mit Frauen, sodass sie bestimmt kein enttäuschendes Ersterlebnis fürchten musste. Selbstverständlich würde sie ihn eine Zeit lang zappeln lassen, nahm sie sich vor. Es sollte doch schließlich nicht so aussehen, als hätte sie es eilig, mit ihm zu schlafen! Nein, erst musste er begreifen, dass sie nicht nur eine Sex-Maus war, sondern eine Frau, der man einen gewissen Respekt entgegenbringen musste. Und sobald sichergestellt war, dass er sie als gleichberechtigte Partnerin betrachtete, würde sie ihm erlauben, in ihr Bett zu kommen.
Da nun eine Entscheidung gefallen war, trat Bettina noch ein wenig näher an Gottfried heran und stellte sich sogleich auf die Zehenspitzen, mit der Absicht, ihn rein freundschaftlich küssen zu wollen. Doch lagen ihre Lippen kaum auf den seinen, da erlebte sie einen kleinen Schock, denn die Berührung seines Mundes jagte sogleich eine Hitzewelle durch ihren Körper, was nicht nur ihren Puls beschleunigte, sondern auch ihren Atem stocken ließ. Und so ließ sie ihn gleich wieder los – überrascht und verschreckt zugleich – weil ihr Verlangen nach ihm plötzlich so drängend war, dass es wehtat.
Dem jungen Mann ging es ähnlich. Allerdings sah man ihm das nicht an. Bettina war nicht die Erste, die er begehrte. Aber ihre Nähe erregte ihn so stark, dass er sie am liebsten auf der Stelle wieder an sich gezogen hätte, um sie zu küssen. Da er sich aber nicht sicher war, wie sie auf eine überfallartige Umarmung reagieren würde, bezwang er sein Verlangen mit aller Selbstbeherrschung, die er aufbringen konnte.
„Danke.“ Die Mundwinkel zu einem spitzbübischen Grinsen verziehend, sah er auf sie hinunter. „Das heißt dann wohl, du magst mich.“
„Ich … Das …“ Sie hatte immer noch Mühe, die Gefühle in ihrem Inneren zu bändigen. „Schon möglich“, gestand sie dann. „Ist ja auch nicht schwer“, fuhr sie im scherzhaften Ton fort. „Wo du doch so ein netter Kerl bist.“ Während sie sprach, sah sie sich aufmerksam nach etwaigen Beobachtern um, und atmete dann insgeheim auf, weil weit und breit niemand Bekanntes zu entdecken war. „Was jetzt?“, wollte sie wissen, indem sie sich wieder auf ihren Verehrer konzentrierte.
„Wenn du tanzen willst, gehen wir in die Disco“, erwiderte er scheinbar ruhig. „Wenn du aber mit mir reden willst, sollten wir woanders hingehen.“
„Du hast recht.“ Um sich ernsthaft unterhalten zu können, brauchten sie wirklich einen Ort, wo weder laute Musik noch andere Leute störten. „Möchtest du mit zu mir? Ich meine …“ War sie denn noch zu retten? Wie kam sie denn auf die Schnapsidee, ihn gleich beim ersten Treffen zu sich zu bitten? Andererseits: Was war denn schon dabei? Die Einladung in ihr Zimmer war noch lange keine Aufforderung zum Sex! „Ich kann dir zwar kein Alkohol anbieten. Aber eine Cola hab’ ich sicher noch irgendwo herumstehen.“ Und wenn nicht, war es bestimmt auch nicht schlimm. Schließlich konnte man auch mit einem Glas Wasser in der Hand reden.
„Bist du sicher?“ Dass sie so schnell und so einfach zu haben sein sollte, überraschte ihn ein wenig, denn er hatte sie anders eingeschätzt.
„Hätte ich es sonst vorgeschlagen?“, erklärte sie im betont munteren Ton. „Ist doch nix dabei, wenn du zum Quatschen mit rauf kommst.“ Sollte er ihr gegen ihren Willen an die Wäsche gehen wollen, würde er nicht der Erste sein, dem sie auf schmerzhafte Weise zeigte, wie sie mit aufdringlichen Kerlen fertig wurde.
Bettina war fest entschlossen, ihre Vorsätze einzuhalten, denn sie wollte nicht, dass man sie für ein leichtfertiges Flittchen hielt. Aber nur eine Stunde später strafte sie sich selbst Lügen, denn sie tat genau das, was sie sich vorgenommen hatte, nicht zu tun. Nichtsdestotrotz genoss sie Gottfrieds Umarmung, in der sie sich so sicher und geborgen fühlte, wie nie zuvor. Dabei ließ sie sowohl ihren Mund als auch ihren Hals von ihm küssen, und konnte kaum erwarten, dass er sie auszog, um ihren Körper vollends in Besitz zu nehmen. Als er sich schließlich zwischen ihre Schenkel schob und dabei einen scharfen Schmerz verursachte, wollte sie ihn wieder von sich stoßen. Allerdings war dieser Impuls schon in der nächsten Sekunde wieder vergessen, denn ihr brennendes Verlangen wollte endlich befriedigt werden. In diesem Augenblick zählten nur noch der Mann und die Wogen der Lust, auf welchen sie durch die Nacht trieb, bis sie vor Erschöpfung einschlief.
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Bettina glaubte, niemand ahne etwas von ihrer Beziehung mit Gottfried. Aber schon ihre unübersehbar glückliche Miene verriet, dass sich in ihrem Leben etwas verändert haben musste, denn noch vor ein paar Wochen hatte ihr sorgfältig geschminktes Gesicht immer nur höfliche Freundlichkeit vermittelt. Und so kam es, dass man sie noch aufmerksamer zu beobachten begann, was schon bald zu einer Reaktion führte, die sie zunächst sehr erschreckte.
„Fräulein Römer, kommen Sie mit in mein Büro. Ich muss mit Ihnen reden.“ Während er den ungewöhnlich harsch klingenden Befehl hervorbrachte, zeigte der Hotelmanager die vorwurfsvolle Miene eines Anklägers.
Bettina indes schaute ziemlich überrascht drein, denn sie war sich keinerlei Schuld bewusst. Nichtsdestotrotz kam sie dem Wunsch ihres Vorgesetzten sogleich nach, weil sie es gewohnt war, seine Anweisungen umgehend zu befolgen.
„Sie wissen doch, dass nächtlicher Männerbesuch bei unseren ledigen Bediensteten nicht erwünscht ist“, begann Lothar Seifert, sobald er mit seiner Begleiterin den Raum betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Wir sind ein ehrbares Haus. Und wir achten auf den Lebenswandel unserer Angestellten, weil wir durch deren Verhalten leicht in ein schlechtes Licht geraten könnten.“
Man hatte also von ihrem Liebhaber erfahren, erkannte Bettina erschrocken. Aber woher? War Gottfried womöglich doch nicht vorsichtig genug, wenn er sich durch die Hintertür und dann die Treppe hinaufschlich, um in ihrem Zimmer auf sie zu warten? Oder hatte Seifert ihr gezielt nachspioniert? … Bestimmt hatte er das! Er war zwar immer freundlich und zuvorkommend, aber auch allgegenwärtig. Wo auch immer sie sich im Haus aufhielt, sie konnte sicher sein, dass er in der Nähe zu finden war. Bisher hatte sie seine allumfassende Aufmerksamkeit als Kontrollzwang betrachtet, der ihn ständig dazu trieb, alles und jeden zu überwachen, damit die Arbeit ja richtig gemacht wurde. Doch nun begann sie zu fürchten, sie habe sich in ihm getäuscht, und er wäre gar nicht der nachsichtige Ersatz-Erziehungsberechtigte, den sie bisher in ihm gesehen hatte, sondern ein kleinlicher Erbsenzähler, der auf die unbedingte Einhaltung der aufgestellten Regeln pochen wollte. Aber was sollte sie tun? Leugnen? … Na, vielleicht half das ja!
„Ich weiß gar nicht, wovon Sie sprechen.“ Es fiel ihr schwer, sich zu verstellen, denn sie verabscheute Lügen und Falschheit. Da ihr aber keine andere Wahl blieb, spielte sie nun die gewählte Rolle weiter: „Sie wollen doch nicht andeuten, dass ich …, dass ich …“ Sie schluckte sichtlich und tat dabei so, als wäre sie zutiefst verletzt. „Sie tun mir Unrecht! Und das wissen Sie auch!“ Weil sich auf diesen Vorwurf hin das Gesicht ihres Gegenübers leicht rötete, nahm sie es als Bestätigung dafür, dass ihm dieses Gespräch nicht nur unangenehm, sondern auch höchst peinlich war. Gleichzeitig fing sie einen merkwürdig anmutenden Blick von ihm auf, und erkannte mit einem Mal den wahren Grund seiner Aufregung. Es ging ihm gar nicht um die Lehrmädchen im Allgemeinen, oder das Ansehen des Hauses, stellte sie verblüfft fest. Es ging ganz allein um sie und um sein Interesse an ihr! Er war eifersüchtig! Und er schien zutiefst frustriert, weil er seine wahren Gefühle nicht offen zeigen durfte. Also hatte seine Moralpredigt nur einen Sinn und Zweck: Er wollte den inneren Druck irgendwie abbauen und spielte darum den über jeden Verdacht erhabenen Beschützer jungfräulicher Unschuld, denn nur so konnte er all das loswerden, was ihm sauer aufstieß, ohne Verdacht zu erregen. Völlig idiotisch! Aber so war es nun mal. Die Frage war bloß, wie man mit der neu gewonnenen Erkenntnis umgehen sollte. Ihn auch weiterhin links liegenzulassen, wäre sicher ein Fehler, denn die Gefahr, dass er ihr ab sofort das Leben schwer machen könnte, allein aus Wut darüber, dass sie sich mit einem anderen traf, ihn selbst aber noch nicht einmal ansah, war keineswegs von der Hand zu weisen. Noch schlimmer erschien ihr die Möglichkeit, dass er sein Wissen an ihre Eltern weitergeben könnte, und diese daraufhin ihre Rückkehr nach Hause bestimmten. Damit wäre dann ihre jetzige Ausbildung futsch und ihr Schicksal wieder in den Händen ihres Vaters. Zumindest so lange, bis sie volljährig war!
„Sie wollen also abstreiten, dass Sie fast jeden Abend Männerbesuch empfangen?“ Lothar Seiferts Stimme klang gepresst, so als müsse er sich zum Sprechen zwingen. Und tatsächlich fühlte er sich momentan äußerst unwohl in seiner Haut, denn ihm war plötzlich bewusstgeworden, dass er im Grunde kein Recht dazu besaß, die junge Frau einem solch intimen Verhör zu unterziehen. Sie hatte sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen, rief er sich in Erinnerung. Und selbst wenn sie einen Freund hatte, was ging das ihn an! „Ich …“
„Was heißt denn hier Männerbesuch?“, unterbrach Bettina, die endlich auf eine Lösung für ihr Problem gestoßen war. „Gottfried, so heißt mein Cousin nämlich, ist erst vor Kurzem nach Hamburg gekommen, weil er hier eine Arbeit angenommen hat. Na ja, solange er keine eigene Bleibe hat, lass ich ihn eben in meinem Zimmer schlafen. Ist das etwa ein Verbrechen?“
„Und das soll ich Ihnen glauben?“ Lothar zweifelte wirklich sehr am Wahrheitsgehalt ihrer Behauptung. Da er ihr jedoch nichts Gegenteiliges beweisen konnte, fand er sich dazu gezwungen, ihre Erklärung zu akzeptieren. Und das ärgerte ihn so sehr, dass er völlig vergaß, dass er kurz zuvor beschlossen hatte, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
„Warum sollte ich Sie belügen?“ Bettinas respektvolle Angst vor dem großen aber sehr hager wirkenden Endvierziger war mittlerweile völlig vergessen, sodass sie sich nun immer mehr entspannte und sogar anfing, die Situation wie eine komische Szene in einem Theaterstück zu betrachten. „Gottfried ist wirklich nichts Anderes als der Sohn meiner Tante Klara.“ Bevor ihr Gegenüber eine Erwiderung formulieren konnte, fuhr sie schon fort: „Ich verstehe nicht … Warum regt es Sie so auf, dass ein Mann in meinem Zimmer übernachtet?“ Einen Schritt in die Richtung ihres Vorgesetzten machend, sah sie ihn scheinbar unsicher und zugleich prüfend an. „Sie haben sich doch bisher den Teufel drum geschert, was sich so im Dachgeschoss tut. Warum jetzt die Vorwürfe gegen mich?“ Sie war ihm jetzt so nahe, dass sie den leichten Alkoholgeruch seines Atems riechen konnte. Er hatte sich also Mut angetrunken, stellte sie fest, während sie eine Hand hob, um einen imaginären Fussel von seiner Schulter zu entfernen. „Ist die Sache mit meinem Cousin wirklich so furchtbar?“, wollte sie wissen, indem sie ihre Handfläche kurz über seinen Brustkorb gleiten ließ, so als wolle sie sein Hemd glätten.
Lothar spürte die warmen Finger des Mädchens durch den dünnen Stoff hindurch, und hätte es am liebsten an sich gerissen, um endlich das zu tun, was er sich schon lange ersehnte. Dennoch tat er es nicht, wohl wissend, dass er sich durch eine unbedachte Aktion nicht nur ins Unrecht setzen, sondern auch strafbar machen würde.
„Sie vergessen, dass wir eine Fürsorgepflicht Ihnen gegenüber haben.“ Er musste sich räuspern, um verständlich weitersprechen zu können: „Auch wenn Sie nicht so aussehen, Sie sind immer noch minderjährig. Und da Ihre Eltern nicht hier sind, liegt es an uns, dafür zu sorgen, dass Ihnen nichts geschieht.“
Bettina hörte sich seine Begründung mit ernster Miene an, doch innerlich lachte sie. Nicht zu fassen, dachte sie amüsiert. Da schwang er hochnoble Reden und konnte dabei seine Augen nicht von ihrem Busen abwenden, der sich gegen das enge Oberteil ihrer Uniform drückte. Würde er es wagen? Würde er die Hand heben und danach greifen? … Nein, entschied sie nach einem prüfenden Blick in sein Gesicht. Auch wenn ihn seine geheimen Wünsche an den Rand seiner Selbstbeherrschung brachten, würde er sich die allerletzte Blöße nicht geben. Von sich aus würde er gar nichts tun! Also brauchte er einen Anstoß, denn erst, wenn er seine Karten offen auf den Tisch legte, konnte sie entsprechend kontern. Wenn er sie also tatsächlich anfasste, würde sie ein Druckmittel gegen ihn in die Hände bekommen, das wirksam genug war, um ihn fortan im Zaum halten zu können.
„Trauen Sie mir etwa nicht zu, dass ich selbst auf mich aufpassen kann?“, fragte sie leise. „Ich bin kein Kind mehr, verstehen Sie.“ Sie wollte ihn provozieren, damit er den entscheidenden Schritt tat, insgeheim sicher, dass sie die Situation unter Kontrolle hatte. Allerdings war sie selbst auch nicht mehr so unbeteiligt, wie sie meinte, denn die sichtbar verheerende Wirkung, die sie mit ihrer körperlichen Nähe auf den um drei Jahrzehnte älteren Mann ausübte, regte ihre Fantasie an. Und die Vorstellung, wie es wohl sein würde, wenn er sie zu packen versuchte, sie ihn aber voller Empörung von sich stieß, verlieh ihr plötzlich ein Gefühl von absoluter Überlegenheit, was sie enorm erregte. Entsprechend ihrer Gemütsverfassung verdunkelten sich ihre Augen. Und die Lippen ihres sinnlichen Mundes öffneten sich leicht, was die rosige Zungenspitze sichtbar machte, die leicht über die blutrote Unterlippe strich.
Lothar Seifert war seit je her ein von Vernunft gesteuerter, den Regeln der zivilisierten Gesellschaft gehorchender Mann gewesen, der stets für Recht und Ordnung eintrat. Jetzt vergaß er allerdings, dass er ein Eheweib und vier Kinder sein Eigen nannte, denn die unmittelbare Nähe der jungen Frau, die seit etwas mehr als einem Jahr den alleinigen Mittelpunkt seiner erotischen Träume darstellte, raubte ihm schier den Verstand. Und so langte er nach ihr, um sie unbeherrscht an sich zu ziehen und sogleich mit gierigem Verlangen zu küssen.
Bettina indes war viel zu überrascht, als dass sie sofort zur Gegenwehr angesetzt hätte. Aber nicht sein Verhalten stürzte sie derart in Verwirrung, sondern die eigene Reaktion auf seine Begierde. Bis zu diesem Moment davon ausgehend, dass allein Gottfried ihren Körper vor lustvoller Erwartung zittern lassen konnte, fand sie sich jetzt eines Besseren belehrt. Selbstverständlich war ihr Vorgesetzter weit davon entfernt, der Mann zu sein, dessen Person und Ausstrahlung ihr schlaflose Nächte bereitet hätte. Nichtsdestotrotz lösten sein fast schon brutal anmutender Kuss und die Wahrnehmung seines erregten Körpers ein solch heftiges Verlangen in ihr aus, wie sie es nie zuvor empfunden hatte. Während er dann seine rechte Hand hob, um ihre linke Brust zu umfassen, entschlüpfte ihr ein leises, aber höchst lustvolles Keuchen.
„Du machst mich wahnsinnig“, stieß er daraufhin hervor.
Da ihre Lippen gleich wieder durch seinen Mund bedeckt wurden, konnte sie nichts erwidern. Doch der Klang seiner heiseren Stimme hatte sie jäh in die Wirklichkeit zurückgebracht. Obwohl sie im Grunde etwas ganz Anderes wollte, presste sie nun beide Hände gegen seinen Brustkorb und brachte dadurch ein wenig Abstand zwischen sie. Nicht hier, ermahnte sie sich selbst. Und nicht jetzt. Noch nicht! Natürlich würde sie ihm nachgeben. Im Grunde würde sie damit nicht nur seinen, sondern auch ihren eigenen Wünschen folgen. Dennoch wollte sie nicht zulassen, dass er sich womöglich auf seinem Schreibtisch oder gar auf dem Fußboden über sie hermachte. Sie allein sollte die Kontrolle haben, ermahnte sie sich! Wenn sie diese wichtige Voraussetzung nicht berücksichtigte, würde das Ganze bestimmt in einem Fiasko enden. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn man sie erwischte und daraufhin beide vor die Tür setzte!
„Bitte“, wisperte sie, sobald sie ungehindert sprechen konnte. „Sie dürfen nicht … Bitte.“ Ihre Augen waren immer noch dunkel vor Erregung. Allerdings konnte das auch als ein Zeichen von Angst gewertet werden.
„Ich … Das … Verzeih“, stammelte Lothar, indem er sie endgültig losließ.
Mittlerweile wieder ganz Herrin ihrer Sinne, sah Bettina ihn von sich fortstreben, und war für den Bruchteil einer Sekunde versucht, in ein albernes Gekicher zu verfallen, weil er so schuldbewusst drein sah, als hätte er in der Tat ein Verbrechen begangen. Da ihr aber klar war, dass sie damit einen unverzeihlichen Fehler begangen hätte, beherrschte sie sich.
„Sie haben mich erschreckt“, gestand sie leise, wobei sie mit voller Absicht bei dem unpersönlichen Sie blieb, weil es ihr ratsam schien, nach wie vor das unschuldige Lehrmädchen zu spielen, welches in Gegenwart des Chefs eine gewisse Unterwürfigkeit zu zeigen hatte. „Ich … Ich war nicht darauf vorbereitet, dass Sie ein solch leidenschaftlicher Mann sind. Und ich wusste nicht …“ Die leicht geschwollenen Lippen zu einem unsicher anmutenden Lächeln verzogen, sah sie ihn von unten herauf an. „Ich hab’ … Ich hätte nie gedacht, dass ich so intensive Gefühle haben kann.“ Das war noch nicht einmal gelogen, stellte sie im Stillen für sich fest, während sie erneut ganz nahe an ihn herantrat. „Sie … Ich könnte mir gut vorstellen, dass Sie mir auch in Sachen Liebe einiges beibringen könnten.“ Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da stieg sie auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen zarten Kuss auf den Mund. Dabei tat sie so, als könne sie ihr Gleichgewicht nicht mehr halten, und fühlte dann erleichterte Genugtuung, weil er sie nicht nur zu stützen versuchte, sondern erneut seine Arme um sie schlang, um sie an sich zu pressen. Selbstverständlich war er nicht so gutaussehend wie Gottfried, dachte sie, während ihr Mund ein weiteres Mal durch seine Zunge erforscht wurde. Aber er war in gewisser Hinsicht sehr interessant und zudem ein Mann, den man besser zum Freund als zum Feind hatte. Nein, mit Berechnung hatte das nichts zu tun. Vielmehr musste man das als eine Art Spiel betrachten, bei dem beide Parteien auf ihre Kosten kommen sollten und somit auch beide zu Gewinnern wurden!
„Lassen Sie mir ein bisschen Zeit.“ Zum zweiten Mal die Hände gegen seinen Brustkorb drückend, um ihn so auf Abstand zu bringen, sah sie ihn gleichzeitig aus großen Augen bittend an. „Das … Ich hab’ noch nie …“ Wenn es ihr gelang, ihn glauben zu lassen, er sei der erste Mann in ihrem Leben, dann würde er sein Misstrauen wegen Gottfried endgültig begraben und keinen Grund mehr haben, ihre Eltern zu informieren. Außerdem brauchte sie tatsächlich ein bisschen Zeit, um die ganze Sache so zu organisieren, dass es zu keinen unliebsamen Überraschungen kommen konnte.
Für ein paar Stunden glaubte Bettina wirklich, sie könne die Beziehung mit Gottfried aufrechterhalten und trotzdem auch die Geliebte ihres Vorgesetzten sein, weil sie beide gleichermaßen stark begehrte. Als ihr jedoch aufging, dass dies mehr Risiken mit sich brachte, als ihr lieb war, entschied sie, dass sie ihren bisherigen Freund aufgeben musste, um ihre Zukunft zu sichern. Selbstverständlich brachte dieser Gedanke einen tiefen Schmerz mit sich, denn sie fühlte sich mit Gottfried immer noch eng verbunden und wollte ihm daher nicht wehtun. Schließlich war er der erste Mann, der ihr Herz berührt und ihr gleichzeitig die Vielfalt der körperlichen Genüsse gezeigt hatte. Aber er war nicht derjenige, für den sie ihre Träume aufgeben wollte. Also rief sie ihn an seinem Arbeitsplatz an, um ihm zu sagen, dass er nach Feierabend nicht zu ihr, sondern zu ihrem Lieblingsplatz am Alsterufer kommen solle, weil sie mit ihm reden müsse.
„Was ist denn los?“ Gottfried hatte seine Freundin zur Begrüßung in den Arm nehmen wollen. Da sie ihm aber absichtlich auswich, sah er sie verwundert an.
„Ich muss dir was sagen.“ Bettina war darauf eingestellt, dass es ein schwieriges Unterfangen sein würde, ihn davon zu überzeugen, dass sie nicht mehr mit ihm zusammen sein wollte. Dass es aber tatsächlich so schwer war, ihn von sich zu stoßen, machte ihr das Herz eng. Nichtsdestotrotz zwang sie sich zu einer abweisenden Miene, während sie ihn von Kopf bis Fuß musterte, so als sähe sie ihn in der Tat zum ersten Mal. „Ich hab’ einen anderen.“ Sie hatten sich zwar körperlich ausgezeichnet verstanden, aber nie von einer gemeinsamen Zukunft gesprochen, erinnerte sie sich. Also war davon auszugehen, dass ihn ihre heutige Eröffnung nicht besonders schmerzen würde. So gut, wie er aussah, würde er schnell einen Ersatz für sie finden, da war sie sich ganz sicher. „Die Zeit mit dir war schön, zugegeben. Aber jetzt ist die Luft raus. Und Axel … Er macht mich völlig verrückt, weißt du. Allein der Gedanke an ihn lässt mich zittern.“