Kitabı oku: «Die Nähe der Nornen», sayfa 7
In dem Krug, der herumgereicht wurde, war nur reines Quellwasser, was Aribald klarmachte, wie ernst dieses Gespräch werden würde.
»Jetzt erzähl’s noch mal«, forderte Knut den fremden jungen Mann auf.
»Ich hab sie getroffen«, begann der hastig. Seine Wangen glühten und sein Blick flatterte unruhig hin und her.
»Fang von vorne an, Erich. Keiner hier versteht, wovon du sprichst«, mahnte Gunar ruhig.
Erich nickte. »Ich war unterwegs, um herausfinden, was in jener Nacht geschehen ist, als dieses Licht im Wald war. Ich wollte so nahe wie möglich an Dosdravans Lager herankommen, aber das ist nicht mehr möglich. Es war richtig unheimlich, ich kann das nicht beschreiben. Eigenartig. Und dann habe ich sie gesehen.« Gunar warf ihm einen aufmunternden Blick zu und Erich fügte hinzu: »Die Elben!«
Die Männer am Feuer sahen sich erstaunt, erschrocken und fragend an, aber ehe der Erste eine Frage stellen konnte, machte ihm Gunar auch schon ein Zeichen, zu schweigen.
»Erst dachte ich, ich könnte mich vor ihnen verstecken«, fuhr Erich fort. »Aber einer kam direkt auf mich zu und brachte mich in ihr Lager. Es war ganz nah, aber ich konnte es nicht sehen, bis ich es betrat. Es war wie hinter einem Spinnwebvorhang. Nein, nicht ganz. Es war da und doch nicht da …« Er sah die verständnislosen Blicke der anderen und ließ die Schultern hängen. »Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll«, sagte er zu Gunar.
Aribald wusste, was er meinte. Er erinnerte sich noch an den Ort, der plötzlich da war, ohne dass man ihn vorher sehen konnte, und auch an das Gefühl, durch etwas Spinnwebfeines hindurchzugehen.
»Red ruhig weiter. Wir werden nie alles verstehen, was mit den Elben im Zusammenhang steht.«
Erich holte tief Luft und fuhr dann fort. »Sie haben mich ausgefragt und ich habe ihnen geantwortet …«
»Du hast uns verraten?!«, brüllte Fergal und sprang auf.
»Mein Gott, du bist ja noch hitzköpfiger als Knut«, fauchte Gunar ihn an. »Setz dich sofort hin und hör zu.«
Widerstrebend setzte sich Fergal auf den Boden, aber er sah Erich drohend an.
»Sie wussten, dass wir hier im Wald leben und es schien sie nicht weiter zu stören. Sie wollten wissen, ob ich eine Frau gesehen habe.«
Dersthorn grinste breit. »Schön wär’s«, flüsterte er Hubert zu, der direkt neben ihm saß.
»Und dann baten sie mich, euch zu fragen, ob wir ihnen helfen könnten, diese Frau zu suchen. Es schien ihnen sehr wichtig zu sein.«
»Wie sollen wir eine Elbenfrau suchen?«, fragte Uribert skeptisch.
»Es ist keine Elbenfrau. Ich glaube, sie ist ein Mensch. Der Zauberer hat sie verschleppt.«
»Genau, und nur um dem nicht zu begegnen, sind wir hier im Wald«, knurrte Fergal. »Warum sollten wir uns wegen einem Weib in Gefahr bringen.«
»Mann, du bist so ein Trottel«, zischte Knut. »Verstehst du denn überhaupt nichts? Die Elben wollen sich mit uns verbünden, der Grund kann dir egal sein. Erzähl mal, wie das Lager der Elben aussah«, forderte er Erich auf. »Aber beschreib’s ihm so, wie du es mir vorhin beschrieben hast.«
»Sie hatten Zelte aus weichem Stoff, aber darin war es warm und still wie in einer guten Stube.«
»Wir verbünden uns doch nicht mit den Feen, nur weil ihr Lager besser ist als unseres«, knurrte Hubert.
»Schluss jetzt. Erst erzählt Erich zu Ende, dann könnt ihr sprechen«, beendete Gunar die Diskussion.
Erich sah verwirrt von einem zum anderen und wusste offensichtlich nicht mehr, an welcher Stelle er unterbrochen wurde.
»Wir sollen ihnen helfen, eine Frau zu suchen, die der Zauberer verschleppt hat«, half ihm Aribald auf die Sprünge.
Das scheue Lächeln ließ Erich noch jünger erscheinen. »Genau«, sagte er. »Und dann waren da noch vier Menschen. Männer aus dem Westen, nahe den Bergen. Ihr Herr – Hohenwart war sein Name – sucht Verbündete, die sich mit ihm gegen den König auflehnen. Als ich alles gehört hatte, haben sie mich zurückgeschickt und haben gesagt, dass ich sie benachrichtigen soll, wie wir … wie ihr euch entscheidet.«
»Ich bin dagegen«, sagte Fergal prompt. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er beleidigt war, weil Knut ihm über den Mund gefahren war.
»Wogegen?«, fragte Gunar gelassen.
Fergal sah ihn böse an und antwortete nicht.
Plötzlich spürte Aribald Gunars Blick auf sich ruhen. Er wusste, dass es an der Zeit war, seine Geschichte zu erzählen, aber er spürte Widerwillen, seine Erfahrung, die er wie einen Schatz hütete und an dem er seine Seele wärmte, diesen Männern vor die Füße zu werfen.
»Auch ich habe Elben gesehen«, hörte er sich dennoch sagen.
Erichs Augen leuchteten auf und ein zaghaftes Lächeln erschien in seinem Gesicht.
»Sie retteten mein Leben, als dies schon längst nichts mehr wert war. Wenn sie jemanden brauchen, der ihnen bei der Suche behilflich ist, dann werde ich ihnen helfen, selbst wenn ich dafür durch den Thronsaal des Königs gehen muss oder durch den tiefsten Höllenschlund.«
»Dann geh doch«, brummte Fergal. »Wir sind hier bisher auch ohne dich ganz gut zurechtgekommen. Und ohne die Elben auch.«
»Ein paar Verbündete könnten wir schon brauchen«, bemerkte Uribert nachdenklich. »Und wenn wir ihnen helfen, helfen sie uns vielleicht auch.«
»Das sind Feen«, gab Dersthorn zu bedenken. »Wie sollen wir ihnen helfen, wenn sie es selbst nicht können. Außerdem weiß jeder, wie gefährlich sie sind.«
»Weiß das wirklich jeder? Oder sind wir vielleicht alle für dumm verkauft worden? Wie viele hier haben ihre Stimmen gehört, ehe wir das Heerlager verlassen haben. Sie haben niemals einem von uns etwas getan.« Knut hatte die Augenbrauen fest zusammengezogen und sah so finster aus, wie man sich einen Räuberhauptmann nur vorstellen konnte. »Ich sage, wir machen es. Und ich sag euch auch, warum. Der König will die Elben bekämpfen, dafür ist ihm jedes Mittel und jedes Opfer recht. Wir sind Geächtete. Fällt einer von uns dem König in die Hände, ist er mausetot. Die Feinde des Königs sind meine Freunde!«, rief er enthusiastisch.
»Du bist bereit, dich auf Dämonen einzulassen?«, fragte Fergal skeptisch.
»Elben sind keine Dämonen!«, riefen Aribald und Erich wie aus einem Mund.
In der Stille, die diesem Ausruf folgte, sahen sich die beiden Männer einen Augenblick lang an, dann sagte Aribald: »In der alten Mundart, die heute in meiner Heimat kaum noch einer spricht, ist Elbe das Wort für Leben. Und noch heute beglückwünschen sich die Menschen bei der Geburt eines Kindes mit den Worten: Möde da seei Elben. Wenn ihr ihre Stimmen gehört hättet, ihre Augen gesehen hättet … Sie sind friedfertige Wesen. Sie sind alt und weise, schön und bestimmt auch gefährlich. Doch glaube ich nicht, dass sie sich je gegen ihre Verbündeten stellen würden.«
Erich nickte, aber nicht alle an dem Feuer schienen überzeugt zu sein. Auch Knut sah es und seine Miene wurde noch finsterer.
»Nicht alle sind so mutig wie du«, besänftigte ihn Gunar. »Du musst den Männern auch Angst zugestehen. Elben sind Wesen, die die meisten nur aus Geschichten kennen und einige dieser Schauergeschichten kennst sogar du. Wie soll man auf etwas bauen, was so unfassbar ist, dass man es kaum glauben kann. Ich meine, wir sollten uns mit den Elben treffen und dann entscheiden.«
»Ich denke, das ist ein guter Vorschlag«, sagte Aribald.
»Wer bist du überhaupt, dass du hier denken darfst?«, fragte Fergal herausfordernd.
»Aribald Langwasser. Ehemals Baron in den östlichen Quellenbergen.«
Es war zum ersten Mal, dass er seinen Namen und seine Herkunft in einem Atemzug aussprach.
»Ihr seid Aribald Baron von Langwasser, Herr?«, fragte Hubert.
Erst jetzt fiel Aribald auf, dass er in dem Tonfall sprach, der in den Dörfern um den Wohnsitz der Langwassers gebräuchlich war. Enttäuschung stand in den Augen des Mannes, als er Aribald musterte.
»Der war ich früher einmal.«
»Es hieß, Ihr seid krank … äh …«
»Tot kommt der Sache näher.«
»Aber … verzeiht, Herr. Ich bin froh, dass es Euch bessergeht.«
»Hubert ist dein Name?« Der Mann nickte. »Ich bin Aribald. Den Baron gibt es nicht mehr. Alles, was ich besaß, gehört nun Dosdravan Liminos.«
Hubert wurde bleich und starrte Aribald entsetzt an.
Jetzt erst dämmerte Aribald, was für ein hirnloser Idiot er gewesen war. Seine Untertanen hatten ihn über Jahre kaum zu Gesicht bekommen. Und obwohl ihm sein Land nicht mehr gehörte, wusste niemand, dass seit Jahren ein neuer Herr über die Langen Wasser herrschte. Was führte dieser Zauberer im Schilde? Warum …? Langsam erkannte Aribald, dass er immer noch eine Rolle spielte. Er war der Sündenbock. Sein Land war der geheime Unterschlupf des Zauberers. Was auch immer der tat, er tat es in Aribalds Namen. Und wer außer ihm kannte schon die weitläufigen Verliese unter den Mauern seiner alten Burg? Mehrere Dutzend Menschen konnte der Zauberer darin verschwinden lassen. Vielleicht auch die Frau, die die Elben suchten. Wer würde sie dort suchen, wenn das Land eigentlich einem versoffenen Baron gehörte?
5. Die Herren des Westens
Erschöpft erreichte Vinzenz mit zwei seiner Männer die nördliche Brücke ins Wildmoortal. Die Notwendigkeit, schnell zu sein, und dabei gleichzeitig weitere Verbündete zu finden, hatte seine Nächte kurz und die Wegstrecken lang gemacht. Zwei Mal wechselte er unterwegs die Pferde, doch sich selbst schonte er nicht.
Die Männer ertrugen das alles klaglos, wurden aber im Laufe der Reise immer stiller. Dafür liebte Vinzenz sie. Seine eigene Müdigkeit spürte er erst, seit sein Ziel in greifbare Nähe rückte. Jeder Knochen und jeder Muskel in seinem Körper schmerzte und beim Anblick der Brücke dachte er mit Grauen daran, dass er noch eine weitere Stunde reiten musste. Am liebsten hätte er sich sofort in das satte Gras gelegt, um ein paar Tage lang nur zu schlafen.
Nicht ohne Neid bemerkte er die Erleichterung in den Augen seiner Männer. Sie freuten sich auf ein weiches Bett, auf ein paar Krüge Bier, wahrscheinlich auch auf ihre Frauen, die sie bald wiedersehen würden. Was aber erwartete Vinzenz? Vorbereitungen auf einen Krieg, Sorgen und weitere Ängste.
Endlich konnte er das Haus am Ersesberg sehen. Der Anblick war ihm vertraut und er spürte nun doch, wie auch sein Herz vor Freude schneller schlug.
»Jetzt haben wir es bald geschafft«, sagte er erleichtert. »Ich danke euch. Für den Rest der Woche habt ihr frei. Erholt euch! Wer weiß, wie viel Zeit uns dafür bleibt.«
»Ihr solltet Euch auch etwas Ruhe gönnen, Herr«, erwiderte Frendar, der Ältere der beiden.
Vinzenz zuckte leicht mit den Schultern, aber die Fürsorge tat ihm gut.
»Du kennst doch die Herrin Amilana«, krächzte Berenz. »Die wird ihn schon ins Bett scheuchen. Wenn es sein muss mit dem Schwert.« Die Männer lachten und Vinzenz lachte mit, obwohl er wenig Hoffnung hatte, sich in nächster Zeit erholen zu können. Agnus hatte die Menschen auf den unweigerlich bevorstehenden Kampf vorbereitet, das war Vinzenz auf seinem Ritt durch die Säbelau bereits aufgefallen. Viele Männer trugen Waffen und waren wachsam und misstrauisch. Selbst die Bauern, die ihre Felder bestellten, hatten Mistgabeln und Äxte dabei, die sie für ihre Arbeit gar nicht brauchten. Schwerter und Lanzen lagen zudem oft in Decken gewickelt auf den Ochsenkarren.
Es war beruhigend und beängstigend zugleich. Am meisten fürchtete Vinzenz, falsche Entscheidungen zu treffen oder vielleicht bereits getroffen zu haben. Seit er wieder heimischen Boden unter den Füßen hatte, kam ihm alles, was er auf seiner Reise erlebt hatte, noch unwirklicher vor. Sein Aufenthalt im Monastirium Wilhelmus, seine Begegnung mit Leron’das und dann noch dieser Stollen mit den geheimen Schriften, den ihm Benidius gezeigt hatte.
Wieder nestelte Vinzenz an der Tasche, in der er den Schlüssel eingenäht hatte, fassungslos darüber, dass er ihn nun trug – den Schlüssel zum geheimen Wissen.
Der Hof am Ersesberg war menschenleer, die Bretterbuden verweist.
Die Ruhe war nahezu gespenstig. Selbst ohne die Heerscharen an Kindern, die bis vor kurzem hier Zuflucht gesucht hatten, war der Ersesberg immer ein belebter Ort gewesen.
Als Vinzenz unter dem zweiten Torbogen durchritt, bemerkte er erleichtert, dass zumindest das Haus nicht verlassen war. Eine von Hilmars Kutschen stand vor den Ställen und die Tür zum Haupthaus stand sperrangelweit offen.
Durch das Trappeln der Hufe aufgeschreckt, kam ein Stallbursche angelaufen und gleich darauf erschien Amilana in der Türöffnung.
»Vinzenz!«, rief sie erfreut. Sie lief auf ihn zu und nahm ihn freundschaftlich in den Arm. »Dem Himmel sei Dank. Wir haben uns solche Sorgen gemacht.«
»Es ist schön, wieder hier zu sein«, erwiderte Vinzenz gerührt.
Amilana ließ ihn los und musterte ihn kritisch von oben bis unten, dann sah sie in die müden Gesichter der Männer.
»Geht in die Küche und lasst euch zu Essen geben. Ich sorge dafür, dass jedem von euch danach ein sauberes Bett zur Verfügung steht«, sagte sie zu ihnen, dann sah sie wieder Vinzenz an. »Du siehst schrecklich aus!«
Sie packte ihn am Ellenbogen und zog ihn mit sich. Vinzenz wusste, dass ihm seine Männer spöttisch grinsend hinterhersahen, aber es war ihm gleichgültig. Die Wärme, die der herzliche Empfang ihm bescherte, war angenehm wie ein prasselndes Kaminfeuer an einem stürmischen Wintertag. Obwohl Amilana nur wenige Jahre älter war als er selbst, ließ er sich gerne von ihrer freundschaftlich, mütterlichen Fürsorge aufnehmen und tragen.
Er fühlte sich wieder wie der Junge, der mit aufgeschlagenen Knien und blutenden Händen nach Hause kam. Seine Mutter hatte ihn dann immer in den Arm genommen und seine Wunden versorgt, wohl wissend, dass er jemanden brauchte, der ihm den Schmerz von der Haut pustete. Einen Schmerz, den er so lange tapfer ignoriert hatte, bis er ihn in ihrer Geborgenheit preisgeben durfte. Ihr plötzlicher Tod kurz nach dem Unfall seines Vaters war der härteste Schlag gewesen, den Vinzenz schon in jungen Jahren verwinden musste.
»Agnus ist nicht zu Hause, aber Annamarie von Weiden ist hier«, erzählte Amilana. »Es ist viel geschehen, seit du fortgegangen bist. Nicht viel Gutes, aber davon wollen wir jetzt nicht sprechen. Ich bin so froh, dich an einem Stück und gesund wiederzusehen.« Sie lachte und drückte seinen Arm.
Annamarie, obwohl mit Vinzenz verwandt, begrüßte ihn weit weniger herzlich. Sie hauchte ihm einen angedeuteten Kuss auf die Wange, aber das Lächeln ihrer Lippen erreichte die Augen nicht. Während der gesamten Mahlzeit nestelte sie nervös an der Tischdecke und ihr Blick konnte seinem nicht standhalten. Sie redeten über Belanglosigkeiten, bis Vinzenz sich satt in einem Sessel zurücklehnte.
»Sind Arina und Toralf auch hier?«, fragte er seine Tante.
Annamarie saß stocksteif auf ihrem Stuhl. Tränen glitzerten in ihren Augen.
»Arina fuhr mit Hilmar und Philip nach Eberus«, antwortete Amilana an ihrer Stelle. »Toralf ist mit meinen und vielen anderen Kindern in Derdesklamm untergebracht.«
Annamarie von Weiden nickte nur und tupfte sich die Augen mit einem blütenweißen, spitzengesäumten Taschentuch.
»Onkel Hilmar hat Arina nach Eberus mitgenommen?«, fragte Vinzenz erstaunt.
»Es ist so schrecklich«, stöhnte Annamarie und presste sich das Taschentuch vor den Mund, nur um sich sofort wieder die Augen damit abzutupfen. »Stell dir vor, der Zauberer hat sie entführt, kaum, dass sie die Säbelau verlassen hatten. Mein armes, kleines Mädchen …«
Aber der Zauberer Nestalor Wasoro war doch tot! Langsam dämmerte Vinzenz, dass Nestalors Tod und Arinas Entführung zusammenhingen. Also hatte nicht Agnus ihm den Garaus gemacht, sondern Hilmar.
»Was ist mit ihr …?«, fragte er besorgt.
»Es geht ihr gut«, beschwichtigte ihn Amilana.
Er stellte viele Fragen, um sich ein Bild von dem zu machen, was hier in den letzten Monaten vorgefallen war. Annamarie reagierte jedoch oft abweisend und verwies ihn auf Agnus, der in den nächsten ein bis zwei Tagen zurückerwartet wurde. Vinzenz wurde immer gereizter.
Schließlich stand Amilana energisch auf und schickte ihn ohne Umschweife ins Bett.
Während Vinzenz sich zu seinen Gemächern schleppte, nahm er sich vor, Amilana allein zu befragen, denn bei dem Gespräch am Abend war ihm eins zweifelsfrei klargeworden: Annamarie war mit der gegenwärtigen Situation ganz und gar überfordert und hatte offensichtlich beschlossen, sie zu ignorieren.
***
Agnus runzelte nachdenklich die Stirn und lauschte aufmerksam dem Bericht des Kundschafters. Nachdem die Krähen plötzlich wieder verschwunden waren, was mindestens genau so unangenehm war wie ihre ständige Anwesenheit, tauchten jetzt immer mehr sogenannte Reisende, aber auch andere zwielichtige Gestalten an allen möglichen Stellen in der Säbelau auf.
Auch die, über die der Kundschafter soeben berichtete, waren ganz sicher nicht harmlose Bauersleute auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Spione, soweit das Auge reichte, und die Grenze zur Säbelau war ein kaum zu kontrollierendes Gebiet. Was war das Wildmoortal dagegen für ein beschauliches Fleckchen Erde? Wenn die beiden Brücken erst mal abgerissen waren, konnte man es mindestens so gut verteidigen wie eine Burg. Aber die endlos ebene Fläche der Säbelau verfügte nicht über eine so standhafte natürliche Abwehranlage, wie es der Säbelfluss für das Wildmoortal war.
»Sie haben wirklich Kinder dabei?«
»Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen. Mehr Kinder als Männer.«
Agnus kratzte seinen Bart.
»Sie sollen einen Eid leisten. Einen, der ihnen unmissverständlich klarmacht, dass ich mir ihren Kopf persönlich holen werde, wenn sie ihn brechen. Verflixt! Was sind das nur für Menschen, die ihre Kinder für solche Zwecke benutzen?«
»Nun ja … sie sind flink wie Karnickel und bei der Anzahl merkt keiner, wenn das eine oder andere fehlt.«
»Du meinst, eine Mutter könnte nicht merken, wenn eines ihrer Kinder fehlt?«, fragte Agnus ärgerlich.
»Nein, Herr, ich meine uns. Wir werden nie den Überblick haben, wo all diese verlausten Kinder sind, was sie auskundschaften und wem sie es erzählen.«
»Kinderkrieg«, stöhnte Agnus.
Es war schwer, ein weiches Herz gegen die harte Wirklichkeit zu verschließen. Er kam sich vor, als hätte man ihn von der Insel der Glückseligen vertrieben. Ein Kampf war in seinen Augen immer noch Männersache. Dass seine Frau unbedingt mitmachen wollte, war schon schlimm genug, aber dass der Feind Kinder benutzte, war mehr als verwerflich.
Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, die Kinder zu schützen, und der Notwendigkeit, zu verhindern, dass sie seine Stellungen ausspionierten, lief er auf und ab wie eine eingesperrte Wildkatze.
»Wir schicken sie weg!«, sagte er entschlossen.
»Dann werden sie es in wenigen Tagen an einer anderen Stelle erneut versuchen«, gab der Kundschafter zu bedenken.
»Dann müssen wir ihnen wohl eine Lüge auftischen. Etwas, was sie unbedingt ihren Herren überbringen werden. Sagt ihnen … sagt, wir erwarten in Kürze einen großen Trupp aus Mendeor und können sie nicht auch noch versorgen.«
»Aus Mendeor?«, fragte der Kundschafter. »Können wir von dort überhaupt Hilfe erwarten?«
Agnus verzog das Gesicht, als hätte er auf etwas sehr Saures gebissen. »Nein, aber die wenigsten wissen, wessen Herzogtum unmittelbar hinter der Grenze liegt, und die, die es wissen, werden von einer solchen Neuigkeit mehr als überrascht sein. Vielleicht verschafft uns das eine Verschnaufpause.«
Der Pass und seine Verteidigung bereiteten Agnus schon lange Kopfzerbrechen. Einige seiner Späher behielten die Straße Tag und Nacht im Auge und darum wusste er, dass sich Herzog Valerian von Erdolstin wieder in Ardelan befand. Seitdem hatte Agnus die Anzahl der Männer am Pass verdoppelt und sie nach Stellen suchen lassen, von denen aus die Passstraße in wenigen Stunden verschüttet werden konnte. Ein Feind im Rücken war gewiss der schlimmste Feind.
Als der Kundschafter davonritt, schickte Agnus ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Spitzel den Köder schluckten und sich mit ihrer Kinderschar vom Acker machten. Wenn König Levian sie mit Kindern bekämpfen wollte, dann hatte er jetzt schon gewonnen.
»Heuchlerisches, kriminelles Gesindel«, fluchte er, dann schwang er sich in den Sattel und ließ Lisia nach Hause laufen.
***
Die Hitze war schier unerträglich und das noch vor dem Ende des Launigs. Hilmar schätzte, dass sie in wenigen Tagen Eberus erreichen konnten. Vielleicht schon zum ersten Tag des Wonnemonds.
Nach den vielen Wochen unterwegs sehnte er sich nach Gesellschaft wie eine Blume nach Wasser. Da kam ihm ein Feiertag in einer großen Stadt nur gelegen. Das Blütenfest war die beste Gelegenheit, um mal wieder ausgelassen zu feiern, und für den einen Tag konnte er sich bedenkenlos dem Vergnügen hingeben. Bestimmt würde so eine Feier auch Arina, die seit Philips Abschied sehr bedrückt wirkte, guttun.
Ihre Ernsthaftigkeit hatte sie zweifelsfrei von ihrer Mutter. Obwohl Hilmar seine Frau liebte und sie hin und wieder auch vermisste, konnte er doch ohne Last sein Haus verlassen. Er genoss sogar die Freiheiten, die ihm seine Reisen bescherten. Er sonnte sich gerne in der Gesellschaft anderer Frauen, was ihm den Ruf eingebracht hatte, dass er sich mit solchen auch vergnügte. Das eine oder andere Mal hatte er dies gewiss auch getan, vor allem, als er noch jünger gewesen war, doch meistens beschränkte er sich darauf, sie zu umgarnen und sich umgarnen zu lassen. Der eine oder andere Kuss gehörte da wohl dazu und bestätigte Hilmar, dass er auch heute noch, mit über vierzig Jahren, ein attraktiver Mann war und auch junge Frauen ihn anhimmelten.
Wieder tupfte er sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und riss nervös an den Rüschen seines Hemdes, um seine Unterarme von deren Last zu befreien.
Wieso brauchte dieses Mädchen nur wieder so lange? Hilmar war wirklich der Letzte, der sich beschwerte, wenn sich eine junge Frau Zeit nahm, um sich hübsch zu machen. Aber egal, was Arina tat, ihre Wangen waren immer blass und ihre Augen groß und traurig. Nur selten hielt sie sich damit auf, zumindest etwas Farbe in ihr Gesicht zu pudern oder ihre schönen Lippen zu schminken. Auch ihre Haare hielt sie in letzter Zeit denkbar schlicht und verbarg einen Großteil davon zusätzlich unter einer Spitzenhaube. Was also dauerte so lange?
Endlich kam sie. Sie sieht aus wie eine Witwe, zuckte es Hilmar durch den Kopf. Ihr Gang wirkte schwer und sie sah aus, als hätte sie Bauchschmerzen. Könnte auch das Monatsblut sein. Aber der Gedanke überzeugte Hilmar nicht.
Der Graf kannte die Liebe und die Sehnsucht und den Schmerz, denn meistens gingen diese drei Hand in Hand. Er kannte das Gefühl, dass jede Minute des Wartens zu lang war und Tage zur Ewigkeit wurden. Natürlich war das bei seinem flatterhaften Wesen immer spannend und schön gewesen, und er musste seiner ernsthaften, beständigen Tochter zugestehen, dass sie mehr darunter zu leiden hatte als er.
Trotz ihrer Jugend schien es ihr – aber auch Philip – sehr ernst mit der Liebe zu sein, was ihn als Vater entlastete und gleichzeitig mit Eifersucht erfüllte. Arina war seine Tochter. Er erinnerte sich noch gut daran, wie die Hebamme mit ihr aus dem Zimmer seiner Frau gekommen war und ihm dieses zerbrechliche, kleine, perfekte Wesen in die Arme gelegt hatte.
Manchmal sah er auch heute noch den Ausdruck in ihrem Gesicht, mit dem sie als Zweijährige Sandkuchen gebacken hatte. Wenn sie strahlte, funkelten immer die goldenen Sprenkel in ihren braunen Augen. Dieses Strahlen wollte er ungerne mit einem anderen Mann teilen, auch wenn dieser andere Mann Philip hieß und ihm ans Herz gewachsen war.
Was war nur an dem Jungen, das es einem so leicht machte, ihn zu lieben? Agnus hatte einmal etwas Ähnliches gesagt, erinnerte Hilmar sich.
»Wir können fahren«, sagte Arina und ging geradewegs auf die Kutsche zu.
»Wenn du willst, könnten wir bei dem herrlichen Wetter auch erst ein Stück reiten«, schlug Hilmar vor.
Arina schüttelte müde den Kopf. »Ich hab nicht gut geschlafen.« Ihr Ton war abweisend.
»Dann ruh dich noch ein wenig aus, ich reite nebenher.« Hilmar versuchte, seine Stimme ruhigzuhalten, aber er war wütend. In letzter Zeit nahm sie nicht ein einziges Angebot an. Sie wollte sich nicht aufmuntern lassen. Am liebsten hätte er sich mit ihr gestritten, aber das hätte ihre Weiterfahrt nur noch einmal verzögert, und außerdem wusste er, dass er gegen eine schlecht gelaunte Frau nur verlieren konnte. Auch wenn diese Frau seine Tochter war. Aber jetzt war es zu spät, um sie übers Knie zu legen. Das hätte er machen müssen, als sie ein Kind gewesen war, doch er hatte es nie übers Herz gebracht. Im Stillen war er immer stolz gewesen auf den kleinen Dickkopf. Oft musste er sich das Lachen verkneifen, wenn sie mit geballten Fäusten und hochroten Wangen vor ihm stand und versuchte, ihren Willen durchzusetzen.
Jetzt erst merkte er, dass es das war, was ihm fehlte. Ihr Willen! Sie war so schlapp, fast schon leblos.
»Arina!« Sie drehte sich um und sah ihn aus ihren dunklen Augen ernst an.
»Ist es immer noch wegen Philip?«
Sie zog die Augenbrauen fragend nach oben und schüttelte dann langsam den Kopf. Ein geheimnisvolles Lächeln glitt über ihre Lippen. »Ich hab einfach nur schlecht geschlafen. Wahrscheinlich wegen der ungewohnten Wärme.« Jetzt lächelte sie Hilmar doch noch etwas strahlender an und winkte ihm mit den Fingern, ehe sie die Tür der Kutsche schloss und die Vorhänge zuzog.
Hilmar hielt es nicht lange auf dem Pferderücken aus. Obwohl ihm der Wind angenehm um die Nase wehte und in den goldenen Morgenstrahlen die Landschaft wie verzaubert wirkte, ließ ihm die Sorge um Arina keine Ruhe. Einmal mehr verfluchte er seine Leichtfertigkeit. Er hätte sie zuhause lassen sollen. Wobei würde sie ihm schon helfen können? Vor allem, da sie dermaßen in ihrer Trauer aufging.
Zornig sprang er aus dem Sattel, drückte einem seiner Männer die Zügel in die Hand und stieg in die Kutsche zu seiner Tochter.
»Wir müssen miteinander sprechen«, sagte er und ließ sich auf den gepolsterten Sitz ihr gegenüber plumpsen.
Arina sah ihn überrascht, fast schon erschrocken an, aber Hilmar achtete nicht auf ihr Mienenspiel. Mit einem Taschentuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
»In ein paar Tagen werden wir in Eberus sein. Noch weiß ich nicht, was uns dort erwartet. Frode ist vorausgeritten und hört sich um, aber wir brauchen einen Plan, der uns schnell und sicher ans Ziel bringt. Wir haben wenig Zeit, denn ich möchte sobald als möglich wieder nach Hause fahren. Im besten Fall gelingt es uns, uns die Unterstützung des Archiepiskopos zu sichern. Bestimmt weiß König Levian bereits von unserem Widerstand. Noch ist er uns gegenüber ganz klar im Vorteil. Er hat Unmengen an Männer ausgehoben und eine Truppenstärke, die uns weit überlegen ist. Das sind die schlechtesten Voraussetzungen, um sich gegen ihn aufzulehnen. Wenn uns die Kirche nicht zu Hilfe kommt, sind wir verloren.«
»Aber die Kirche wird uns doch gewiss unterstützen«, sagte Arina. »Selbst hier im Süden hat doch jedes Kind schon von den Zauberern gehört.«
»Das ist es, was mich am meisten beunruhigt. Obwohl es jeder weiß, sehe ich nirgendwo jemanden, der versucht, etwas dagegen zu unternehmen.«
»Die größeren Orte haben wir doch umfahren …«
»Aber erst, seit ich weiß, dass der König im Monastirium Wilhelmus sitzt wie die Made im Speck.« Hilmar seufzte. »Ich fürchte, er hat die Kirche unterwandert. Wir müssen sehr vorsichtig sein, sonst sitzen wir in einem Verlies, lange bevor wir auch nur in die Nähe des Archiepiskopos gekommen sind.«
»Du siehst das alles viel zu schwarz. Wenn sich dieser Königserbe zu erkennen gibt, wird sich alles zum Guten wenden. Du hast doch selbst gehört, wie in den Straßen über ihn gesprochen wird. Es ist bestimmt auch dem Archiepiskopos nicht entgangen.«
Hilmar lächelte Arina an. Er wollte ihr nicht widersprechen. Sie war so jung und glaubte noch an das Gute, aber seine Erfahrungen in der Löwengrube bei Hofe und sein Wissen um all die Intrigen, die Menschen spannen, um ihre Macht zu sichern, ließen ihn seine Situation weniger optimistisch einschätzen.
»Trotzdem«, sagte er zögernd. »Wir müssen sehr vorsichtig sein. Noch herrscht nicht offener Krieg, und solange es so ist, hat keiner sich klar für eine Seite entschieden. Viele Grafen und Barone, Episkopalen und Würdenträger wägen noch ab, welche Partei die Stärkere ist. Es gibt viel zu verlieren und weit weniger zu gewinnen. Wir selbst bauen auf einen Unbekannten, und das ist leichtsinniger als alles, was ich in meinem Leben bisher getan habe.«
»Sich einem größenwahnsinnigen König zu verweigern, der Unheil über das Land bringt, ist nicht leichtsinnig. Was bitte gibt es zu gewinnen, wenn Zauberer wieder ungehindert durch die Lande ziehen dürfen!«, stieß Arina hervor. »Abgesehen davon haben Episkopalen und andere Würdenträger der Kirche doch sowieso keine andere Wahl, als sich der Kirche anzuschließen.«
Hilmar lachte freudlos. »Hast du eine Ahnung, was die alles können, wenn es um die Sicherung ihrer Macht und ihres Geldes geht. Außerdem vergisst du, dass die Kirche noch nicht auf unserer Seite ist. Wir sind erst auf dem Weg dorthin, um ihre Unterstützung zu erbitten.«
»Hm«, antwortete Arina und lehnte sich zurück. Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. »Wir hätten nicht aufhören dürfen, die Grafschaften abzuklappern. Wir hätten sie auf unsere Seite ziehen müssen.«
»Hätten wir, aber die Gefahr, an den Falschen zu geraten, war einfach zu groß. Die wenigsten Adligen des Südens sitzen im Thronsaal des Königs. Ich kenne nicht viele von ihnen und auch die nur flüchtig. Außerdem werden wir einige von ihnen ohnehin in Eberus treffen. Das Blütenfest dürfte eine gute Gelegenheit sein, ihnen auf den Zahn zu fühlen. Ich baue fest darauf, dass einige der jüngeren Männer nach dem Abend bereit sein werden, um deiner Schönheit Willen in jeden Kampf zu ziehen.« Hilmar grinste, aber Arina sah ihn entgeistert an.
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