Kitabı oku: «Hinter verborgenen Pfaden», sayfa 5

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»Aber«, stammelte er. »Wie … ich meine … gerade jetzt …«

»Ach Junge«, sagte Feodor. »Lass uns ein andermal in Ruhe darüber reden. Heute ist es spät, und morgen wird ein langer Tag. Lasst uns ins Bett gehen.«

Phine räumte die Teetassen in den Spülstein. »Ich werde noch einmal nach Jar’jana sehen und dann versuchen, ein paar Stunden zu schlafen.«

»Gute Nacht«, sagte Feodor und machte sich auf den Weg ins Schlafgemach.

Philip schlich die Treppe leise nach oben. Vor seinem Zimmer, in dem jetzt die Elbin lag, blieb er stehen und lugte durch die angelehnte Zimmertür. Jar’jana lag im Bett und bewegte sich nicht. Seine Mutter saß auf der Bettkante, ihre Hand tastete nach der Stirn der Elbin. Plötzlich raschelte es und Jar’jana hob den Kopf. Ihr Haar floss wie ein Wasserfall über ihre Schulter, als sie sich auf den Ellbogen stützte und in die Wiege sah. Das viel zu weite Nachthemd, das sie jetzt trug, tat ihrer überirdischen Schönheit keinen Abbruch. Ihm wurde heiß und kalt.

»Ihr solltet versuchen, sie anzulegen«, sagte seine Mutter leise.

Aus großen Augen, sah Jar’jana sie an, dann huschte ihr Blick zur Tür. Philip fuhr ertappt zurück und entfernte sich eilig und mit glühenden Wangen in den Garten. Die Nacht war angenehm lau. Eine ganze Weile stand er nur still da und lauschte den Geräuschen der Nacht. Irgendwo rauften zwei Katzen. Ein Hund bellte in der Ferne, Frösche quakten im Teich. Philips Gedanken drehten sich um Jar’jana. Er malte sich aus, wie es wäre, mit ihr zu sprechen, durch ihr Haar zu streichen. Bin ich verliebt, dachte er. So etwas Dummes. Verliebt?! Das war ja wohl die aussichtsloseste Verliebtheit, die es überhaupt geben konnte. Bestimmt ist sie viel älter als ich, dachte er. Sie ist schließlich gerade Mutter geworden. Sie ist eine Elbin, und ich bin ein Mensch … Aber sie ist so schön. Er seufzte leise. Sein Vater hatte recht, diesen Tag würde er bestimmt nie vergessen, denn er war für ein Märchenwesen entbrannt, das er nicht haben konnte. Trotzdem war es wunderbar, dass es sie gab.

Er drehte sich um und ging zurück ins Haus.

5. Der Auftrag des Königs

Die Burg war strategisch sehr gut angelegt, stellte Agnus fest, als er aus der Stube des königlichen Sekretärs, wo er um eine Audienz mit dem König ersucht hatte, wieder auf den Hof trat. Sie thronte hoch oben auf dem Falkenberg, der steil wie ein Finger aus der Landschaft hervorragte. Nur ein Weg führte hinauf, und das war die gewundene Straße. Das Außenwerk der Burg bildete ein übersichtliches Plateau, das mit nur wenigen Metern fester Mauer und einem gewaltigen Torhaus gesichert werden konnte, den Rest des Schutzwalls übernahm der Berg selbst. Die mittlere Mauer, ebenfalls sehr dick und wehrhaft, zog einen großen Kreis um die Vorburg. Hinter dieser Mauer fiel der Felsen auf nahezu allen Seiten senkrecht ab, nur zum Außenwerk hin senkte er sich sanft. Die Hauptburg war noch einmal durch eine Mauer und massive Tore abgegrenzt und mit einem eigenen Brunnen versehen. Ein Angriff oder eine Belagerung war nicht erfolgversprechend, da es keinen Platz gab, wo ein großes Heer herangeführt werden konnte. Agnus bezweifelte, dass vernünftige Belagerungsmaschinen auf dem Weg überhaupt heraufgeschoben werden konnten.

Als er nun mit großen Schritten den Burghof durchquerte und sich überlegte, ob er sich mit oder ohne sein Pferd in die Stadt begeben wollte, sah er durch das innere Tor und über die mittlere Mauer hinweg, eine lange Kolonne Reiter auf der Straße heraufkommen. Die Jagdgesellschaft des Königs kehrte zurück.

Ihr voraus ritt der König selbst. Er trieb sein schwitzendes Pferd im Galopp an Agnus vorbei bis vor seinen Wohnturm, wo er aus dem Sattel sprang und sofort wütenden Schrittes die Tür hinter sich zuwarf. Schnaubend und stampfend riss sein Pferd den Kopf hoch und versuchte, verängstigt von dem Lärm und dem Durcheinander in dem immer voller werdenden Hof, einen Ausweg für sich zu finden.

Einigermaßen beeindruckt beobachtete Agnus das Treiben, das sich plötzlich überall um ihn herum abspielte. Vor der Tür zum Wohnturm brachte ein weiterer Reiter sein Pferd zum Stehen. Seinem Wappen nach handelte es sich um Herzog Valerian von Erdolstin, den Bruder des Königs. Agnus sah sich weiter um. Die meisten Männer trugen die Wappen der umliegenden Grafschaften auf ihren Jagdrüstungen, nur wenige kamen von weiter her.

»Sei gegrüßt, Agnus von Wildmoortal«, sprach ihn plötzlich jemand von hinten an. Agnus fuhr herum und stand unvermittelt vor Graf Hilmar von Weiden, der, wenn man es so nennen wollte, sein Nachbar war.

»Hilmar! … Schön dich zu sehen an diesem Ort so fern unserer Heimat.« Er hätte damit rechnen müssen, dem Grafen hier zu begegnen. Hilmar von Weiden war seit vielen Monaten von Zuhause fort, und seine Frau hatte erwähnt, dass er sich bei Hof aufhielt.

Der Graf lachte und klopfte Agnus sichtlich erfreut auf die Schulter. »Was machst du hier? Ich nehme an, dass es nicht die Einladung zu König Levians kleinem Fest war, die dich hierhergelockt hat.«

»Einladung zu was?«, fragte Agnus verwirrt. »Nein, eine Einladung habe ich nicht bekommen, dafür ist das Wildmoortal nicht wichtig genug …«

»Oder du bist einfach nicht gesellig genug«, bemerkte Hilmar, der selten auf einer Feier fehlte und sich auch sonst keine Zerstreuung entgehen ließ. Sehr zum Missfallen seiner Frau. Aber Hilmar war auch hilfsbereit und weltgewandt, und Agnus schätzte die Nachbarschaft mit ihm sehr. Die Grafschaft derer von Weiden erstreckte sich von den Helmsholmhügeln über die gesamte Länge des Säbelflusses bis fast zum Engelsee und hatte mehr als die siebenfache Größe des Wildmoortals.

»Du hast recht, ich mache mir nichts aus der feinen Gesellschaft«, erwiderte Agnus schmunzelnd.

»Aber da du schon mal da bist, solltest du heute Abend auf jeden Fall dabei sein.« Ein nachdenklicher Zug beschattete die Miene des Grafen.

»Ach, ich weiß nicht«, wehrte Agnus ab. »Für eine dermaßen edle Veranstaltung habe ich kein Gewand in meinem Reisegepäck.« Eigentlich hatte er vorgehabt, sich heute Abend in Waldoria ein gemütliches Wirtshaus zu suchen und der Gerüchteküche der Städter zu lauschen.

»Das ist keine Ausrede. Meine Truhe ist bis zum Rand voll, da wird sich bestimmt etwas für dich finden. Sei für heute mein Gast. Wo übernachtest du?«

»Mir wurde da ein Gasthaus in der Stadt …«

»Agnus, als Mann deines Standes, wirst du selbstverständlich nicht irgendwo in der Stadt schlafen. Ich nehme an, du bist in einer sehr wichtigen Angelegenheit unterwegs. Darum gehen wir jetzt sofort zum Verwalter. Im Gästehaus des Königs ist zwar einiges los, aber ein Zimmer für dich wird sich bestimmt noch finden. Es wäre doch gelacht, wenn der Baron von Wildmoortal in einer Spelunke haust, während er auf eine Audienz beim König wartet.«

Widerspruch war zwecklos, so viel war klar. Wenn sich Hilmar von Weiden erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann ließ er nicht locker, bis er sein Ziel erreicht hatte. Die Aussicht, dass Agnus im Gästehaus des Königs schlafen sollte, um dann auch noch den Abend mit all den Hochwohlgeborenen zu verbringen, behagte ihm überhaupt nicht.

»Also gut, dann lasse ich mir eben hier ein Zimmer geben«, lenkte er dennoch ein, und als Hilmar ihn erfreut angrinste, fragte er: »Was wird denn heute gefeiert?«

»Na ja, Feier ist vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck. Gesellschaft nannte es der König. Nach dem heutigen Tag gibt es einiges, was er erklären oder zumindest bekannt geben will. Aber es wird auch etwas zu trinken geben, und die eine oder andere schöne Dame wird uns bestimmt die Ehre zu einem Tanz erweisen. Das hoffe ich zumindest, denn der König ist da eher so wie du; von großer Geselligkeit hält er nicht viel.«

Agnus wusste nicht, was ihm mehr missfiel. Die Aussicht auf einen steifen Gesellschaftstanz oder eine Gemeinsamkeit mit dem König zu haben.

»Bei seinem Geburtstag vor einem halben Jahr«, redete Hilmar weiter, »ist der König als Erster gegangen, dabei hat sein Barde einiges zu bieten. Es ist wirklich ein Jammer, dass der Bursche nicht öfter zum Einsatz kommt.«

Agnus grinste und meinte: »Den Barden habe ich bereits kennengelernt, der ist wirklich in Ordnung.«

Jetzt lachte Hilmar schallend. »Dann bist du ja doch nicht so ein Trauerkloß, wie ich dachte.«

»Bei einer weiteren Bemerkung dieser Art werde ich dich zum Zweikampf herausfordern müssen.« Agnus versuchte ernst zu bleiben, denn es war gerade diese saloppe Ehrlichkeit, die er an Hilmar mochte.

Der Verwalter, ein dicker Mann mit verkniffenem Gesicht, schrieb mit spitzen Fingern Agnus’ Namen zu den übrigen in das Gästebuch. Immer wieder musterte er dabei den Baron verstohlen, so, als könne er nicht glauben, dass er der war, für den er sich ausgab. Hilmar stand daneben und verwirrte den Mann mit Zwischenfragen und Sonderwünschen.

»Warum musstest du den Mann ärgern?«, fragte Agnus, als sie außer Hörweite waren.

»Ich mag ihn nicht. Er gängelt jeden, der nicht höhergestellt ist, und ist anmaßend«, erwiderte Hilmar. Auf halbem Weg zum Gästehaus blieb er plötzlich stehen. »Wo ist deine Kutsche?«

Agnus lachte los. In einer Kutsche war er zum letzten Mal bei seiner Hochzeitsfeier gesessen.

»Mein Pferd! Das steht gut und sicher.«

»Aber nicht im königlichen Stall, nehme ich an.«

»Natürlich nicht. Die Stallknechte haben schon genug damit zu tun, die erschöpften Pferde eures Jagdausflugs zu versorgen«, bemerkte Agnus spitz.

Hilmar lockerte seinen Kragen. »Darüber möchte ich auch noch mit dir sprechen. Später«, sagte er nachdenklich.

Die Truhe, in der Hilmar seine Kleidung aufbewahrte, war voll mit samtweichen Beinkleidern, reichbestickten Tuniken, so wie mit Gold beschlagenen Mänteln. Gezielt suchte der Graf eine Weile, beförderte dann einen Stapel Wäsche zutage und streckte ihn Agnus entgegen.

»Das hier dürfte dir passen.«

Agnus strich über das seidene Hemd, das zuoberst lag, und überlegte, ob er überhaupt ein dermaßen feingewebtes Hemd besaß. Im Gegensatz zu ihm war Hilmar immer tadellos und standesgemäß gekleidet. Selbst für die Jagd hatte er ein besticktes Hemd unter seinem wappengezierten, ledernen Waffenrock getragen, das jetzt aber deutlich verschwitzt an ihm klebte.

»Danke«, brummte Agnus. Er kam nicht umhin, sich trotz seiner Freundschaft mit Hilmar, wegen dieser Leihgabe unwohl zu fühlen.

»Ach …« Hilmar winkte ab. »Ich freue mich, dich heute hier zu wissen. Ein ehrliches Gesicht zwischen all den heuchelnden Masken zu sehen, ist immer eine Wohltat.« Er zerrte an den Verschlüssen seiner ledernen Armschützer und warf sie auf den Boden, dann setzte er sich auf sein blütenweißes Bett und zog die Stiefel aus. Gedankenverloren betrachtete er seine wackelnden Zehen. »Ich sage dir, das war eine Jagd. So etwas hast du noch nicht erlebt«, seufzte er, während er seine blauen Augen auf Agnus richtete, ohne ihn wirklich anzusehen. »Alles seltsam von Anfang an. Wir hatten keine Treiber dabei, nicht einmal Hunde«, berichtete er. »Vor dem Wald wurden wir in drei Gruppen geteilt. Der Bruder des Königs, Herzog Valerian, ritt mit einer Gruppe nach Norden. Der König blieb mit der zweiten Gruppe vor dem Wald stehen und wartete. Ich war in der dritten Gruppe, deren Führung Graf Bärenbach, dem alten Hochstapler, oblag. Wir ritten eine knappe Meile nach Süden, ehe wir in den Wald einbogen.«

Agnus trat von einem Bein auf das andere. Der abwesende Gesichtsausdruck des Grafen und dessen Bedürfnis, die Ereignisse des Tages zu schildern, beunruhigten ihn.

»Alle waren verwirrt, denn diese Art zu jagen, war keinem geläufig. Bärenbach schien auch gar nicht die Absicht zu haben, nach Wild Ausschau zu halten. Er hielt uns ständig zurück, was die Stimmung deutlich verschlechterte. Jetzt weiß ich, dass er auf etwas ganz anders wartete als wir.« Hilmar schüttelte den Kopf, erhob sich von der Bettkante und stellte sich vors Fenster. »Der Morgen graute«, erzählte er weiter, »als ein Horn zum Angriff blies. Bärenbach schien nur auf dieses Signal gewartet zu haben. Ohne Rücksicht auf uns oder die Pferde bahnte er sich einen Weg durch das Unterholz.« Wieder schüttelte Hilmar den Kopf, starrte aber weiterhin aus dem Fenster. »Wahnsinn, absoluter Wahnsinn sage ich dir. Ich dachte, dass sowohl der Herzog von Erdolstin, von dessen Gruppe das Signal kam, als auch Bärenbach den Verstand verloren hatten. Schließlich befanden wir uns auf der Jagd und nicht im Krieg, aber als wir bei den anderen ankamen, sah es im Wald tatsächlich wie auf einem Schlachtfeld aus. Felhorn und Wilberg bluteten aus frischen Wunden, und überall auf dem Boden lagen so viele Pfeile herum, als hätte eine Hundertschaft Bogenschützen auf Herzog von Erdolstin und seine Truppe gewartet.«

Nun drehte sich Hilmar zu Agnus um, und zum ersten Mal, seit er zu erzählen begonnen hatte, sah er ihm in die Augen. »Aber was für Pfeile das waren … Einen habe ich mitgenommen, der liegt noch in meiner Satteltasche.« Mit wenigen großen Schritten durchquerte der Graf den Raum und begann in seinen Taschen zu wühlen. »Mein Neffe, Vinzenz von Hohenwart, war mit der Gruppe des Herzogs geritten. Du kennst Vinzenz. Er ist ein vernünftiger Mann«, sagte Hilmar und sah Agnus eindringlich an.

Natürlich kannte Agnus Vinzenz von Hohenwart, er war sein zweiter Nachbar. Nur, dass Vinzenz sich auch hier auf der Burg aufhielt, wusste Agnus nicht.

»Auf dem Rückweg hat er mir erzählt, dass etwa ein Dutzend eigenartig gekleidete und noch seltsamer aussehende Wesen wie aus dem Nichts im Wald auftauchten und der Herzog sie sofort angriff. Aber genau so plötzlich, wie sie erschienen waren, waren sie auch wieder verschwunden. Ein einziges dieser Wesen soll all die Pfeile verschossen haben. Die Männer mussten hinter den Bäumen in Deckung gehen.« Der Graf presste die Lippen zu einem Strich zusammen. »Kannst du dir vorstellen, dass jemand so schnell schießen kann, dass er fünfzehn Mann damit in Schach hält?«

Agnus verneinte.

Hilmar begann wieder in seiner Tasche zu wühlen. Dabei redete er weiter. »Den ganzen Vormittag waren wir auf der Suche nach einer Spur dieser seltsamen Kreaturen. Irgendwann kam die königliche Wache hinzu, aber gefunden haben wir nichts. Nur diese wunderschönen Pfeile.« Hilmar hielt den Pfeil in seiner geöffneten Hand.

Der Farbverlauf begann bei einem hellen Braun an der Spitze und verdunkelte sich bis zu den nachtschwarzen Federn am Ende. Die Eisenspitze verband sich durch eingelassene Metallfäden in einem komplizierten Muster mit dem Holz. Als Agnus mit dem Finger über den Pfeil strich, konnte er keinerlei Unebenheiten spüren.

»Was meinst du, wer diese Männer waren?«, fragte er. »Glaubst du, der König hat sie erwartet oder wollte sie abfangen?« Bruchteile alter Geschichten verdichteten sich in Agnus´ Kopf. Gnome liefen durchs Wildmoortal, seltsame Geschöpfe durch den Wald. Plötzlich schien ihm nichts mehr unmöglich.

»Abfangen! Ha!« Hilmar schnaubte. »Die Jagd war ein Vorwand. Der König wollte uns etwas zeigen. Vielleicht wollte er eines dieser Wesen fangen. Gewiss ist, dass wir nur deswegen in den Wald geritten sind. Niemand hat ein Tier geschossen. Wohl aber behauptet Graf Wilberg, dass er den verwegenen Schützen der anderen tödlich getroffen hat.«

»Was denkst du, wird heute Abend über den Vorfall gesprochen?«

»Sicher, Agnus. Sicher. Darum ist es mir auch so wichtig, dass du dabei bist. Ich habe schon den ganzen Tag das Gefühl, den Verstand zu verlieren.« Hilmar lächelte beklommen. »Vinzenz, aber auch einige andere behaupten, die fremden Reiter im Wald gehörten zu dem Alten Volk. Den Elben.«

»Hmm«, sagte Agnus nachdenklich. Und dann noch einmal: »Hmm.«

»Ist das alles, was dir dazu einfällt?«, fragte Hilmar, ungläubig darüber, dass Agnus ihm scheinbar keinen Vortrag über die Unmöglichkeit seiner Behauptung halten wollte.

»Es scheint, dass die alten Geschichten erwachen. Sie werden Wirklichkeit«, erläuterte Agnus, selbst verblüfft von dieser Erkenntnis.

»Was redest du da? Alte Geschichten werden Wirklichkeit? Ich dachte, du seist ein vernünftiger Mann.«

»Das bin ich. Aber sag du mir, wann warst du zum letzten Mal zu Hause?«, fragte Agnus, heftiger als gewollt. »Weißt du denn gar nichts von dem, was sich dort bewegt?«

»Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«, konterte Hilmar, überrascht über den barschen Ton des Freundes.

»Gnome sind im Moor, und falls sie auf deiner Weidenburg noch nicht waren, dann doch bestimmt in den Höfen deiner Untertanen, die näher an den Helmsholmhügeln wohnen als du«, knurrte Agnus.

Hilmar sah ihn fassungslos an. Er wusste, dass Agnus bei Dingen, die sein Land betrafen, keine unüberlegten Schlüsse zog.

»Deshalb bist du hier.«

Agnus nickte ernst.

»Wann hast du deine Audienz beim König?«

»Pfff«, zischte Agnus. »Irgendwann. Vielleicht morgen, vielleicht nächste Woche oder in einem halben Jahr …«

Hilmar fuhr in seine Stiefel und stapfte zur Tür. »Wenn es soweit ist, gehe ich mit dir zum König«, sagte er fest und sah Agnus nachdenklich an. »Bist du dir sicher, dass es Gnome sind?«

Agnus nickte.

»Dann ist dieser … dieser … Mensch auf dem Ebelsberg wirklich ein Zauberer?«

»Davon gehe ich aus.«

Jetzt nickte Hilmar so, als wüsste er, was zu tun sei. »Wir sehen uns nachher«, sagte er und verließ entschlossen den Raum. Eine ganze Weile blieb Agnus noch an derselben Stelle stehen. Er war zufrieden, dass Hilmar ihm geglaubt hatte. Zu zweit konnten sie beim König bestimmt mehr erreichen. Hoffnungsfroher als in den letzten Tagen begab er sich in die ihm zugeteilten Gemächer.

***

»Jetzt hast du den Beweis dafür, dass ich dir den richtigen Mann geschickt habe.«

»Das nennst du einen Beweis? Ein paar sinnlos verschossene Pfeile und zwei verwundete Männer.«

»Es sind keine gewöhnlichen Pfeile, das weißt du so gut wie ich, und ich sage dir, wir haben auch einen von ihnen verletzt …«

»Verletzt? Angeblich verletzt, aber nicht gefangen. Wie soll ich jetzt beweisen, dass es nicht bloß ein paar Landstreicher waren. Ein paar von denen, die eigentlich in meinen Kerker gehören, weil sie meine Steuern nicht bezahlen?«

»Beruhige dich, Bruder. Du bist der König. Die Pfeile und die Augenzeugen werden ausreichen, um zu bestätigen, dass es hier in deinem Land immer noch verborgene Feennester gibt. Deine Nachforschungen haben sich bestätigt, und der Zauberer, den ich dir geschickt habe, hat sich als nützlich erwiesen. Trotzdem bist du unzufrieden!« Herzog Valerian von Erdolstin hatte noch viel mehr zu sagen, aber er versuchte, sich zu bremsen, denn er kannte die schlechte Laune seines Bruders, die auf einen Fehlschlag folgte, nur zu gut.

»Kann ich dieser Kreatur denn überhaupt trauen?«, entgegnete der König zornig. »Genauso gut kann er sich das alles für uns ausgedacht haben. Nach Jahren der Tatenlosigkeit behauptet dieser Dosdravan nun, seine Gnome hätten in den Quellenbergen eine Gruppe Elben aufgestöbert. Er kann mir zwar keinen Beweis dafür liefern, will aber wissen, dass sie bis hierher in den Wald vordringen werden.« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Seit Jahren saugt er mir das Geld aus der Tasche. Erst will er einen Turm in den Quellenbergen. Dann lässt er sich seine ganze Ausrüstung von Steuergeldern, die mir zustehen, bezahlen. Danach wünscht er sich einen zweiten Zauberer auf dem Ebelsberg, nur weil dort die andere Quelle des Engelsees ist. Ich bezahle also wieder den Aufbau eines Turmes und verbaue mir damit mein schönstes Jagdgebiet. Was meinst du, wie viele brauchbare Hirsche in den Helmsholmhügeln jetzt noch durch die Wälder streichen, nachdem es in der ganzen Gegend von diesen grässlichen Gnomen nur so wimmelt?« König Levians Faust fuhr auf die Tischplatte nieder. »Gibt es in deinem verdammten Land keine Zauberer, die über eine weniger große Gnomschar verfügen?«

Valerian seufzte still und erklärte dann seinem Bruder geduldig, was dieser ohnehin wusste.

»Mächtige Zauberer verfügen nun mal über viele Gnome. Du wolltest einen mächtigen Zauberer, und es waren seine Gnome, die schließlich die Elben in den Quellenbergen aufgespürt haben.«

Der König lachte wild. »Die ganze Brut gehört ausgerottet.«

»Du wirst dich schon entscheiden müssen. Willst du Elben jagen oder Gnome töten?«, erwiderte Herzog Valerian grimmig.

Wütend griff Levian den silbernen Pokal und warf ihn an die Wand. Er hinterließ damit einen dunklen Rotweinfleck an der hölzernen Täfelung.

»Du weißt ganz genau, dass ich keine andere Wahl habe. Ich brauche den Zauberer und die Gnome, um die Elben zu fangen.«

»Dann beschwer dich nicht«, mahnte Valerian. Er war müde und spürte die Erschöpfung eines anstrengenden Tages.

»Aber natürlich beschwere ich mich«, rief König Levian aufgebracht. »Die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen. Die Elben wollen mir mein Land stehlen. Vor meiner Burg liegt ein Ozean aus Bäumen, der ihnen Schutz bietet und von dem aus sie mich jederzeit angreifen können.« Wie ein eingesperrtes Raubtier lief der König in seinem Schlafgemach auf und ab. »Ich bin der König eines Landes, das mir nicht unterliegt. Der Wald gehört den Elben und im Süden regiert der Archiepiskopos, der sich das Oberhaupt der Gläubigen nennt.« Glaub nicht, dass mein Wort dort im Süden von Bedeutung ist. Der Heilige Vater«, Levian zog eine Grimasse, »hat keine Ahnung von der Bedrohung, die hier lauert. Aber dieser machthungrige Scharlatan wäre unverfroren genug, in meinem eigenen Land einen Krieg gegen mich anzuzetteln, wenn er erfährt, dass ich zwei Zauberer hierhergerufen habe.«

Valerian kannte die Verträge, die den ardelanischen König und den Heiligen Vater, den Archiepiskopos, in Eberus banden. Es war ein fünfhundert Jahre alter Pakt, in dem sich die Kirche und die Krone schworen, keine Zauberer im Land zu dulden.

»Er wird es nicht erfahren«, beruhigte er seinen Bruder. »Wenn du, wie ich dir geraten …«

Levian trat wütend gegen einen Stuhl, riss den Beistelltisch um und zerschmetterte einen Krug, dann warf er sich auf sein Bett und vergrub den Kopf in den Händen wie ein Kind.

»Einer von den Verrätern dort draußen läuft bestimmt nach Eberus«, murmelte er erstickt.

»Keiner wird es wagen, Lev. Alle deine Grafen sind an den Eid, den sie dir gegeben haben, gebunden und jeder von ihnen weiß, dass der Archiepiskopos stur genug ist, dir, trotz der Spannungen, die zwischen euch herrschen, jeden Verräter auszuliefern – gleichgültig, was er ihm berichtet.«

Levian rappelte sich auf. Er sah seinen Bruder hinter einem Vorhang aus zerzausten Haaren wütend an.

»Alle, bis auf dich«, zischte er.

»Bist du vollkommen verrückt geworden?«, rief Valerian empört. »Ich bin dein Bruder. Ich würde dich nie verraten, und das weißt du!«

»Nein?«, kreischte Levian zurück. »Und was hast du heute im Wald getan? Die Elben standen vor dir, und du hast sie ziehen lassen.« Verzweifelt grub er den Kopf in die Hände. »Einer! Ein Einziger hätte mir genügt.«

»Lev«, sagte Valerian sanft. Er kannte die plötzlichen Stimmungsumschwünge seines Bruders nur zu gut und war schon immer der Überzeugung gewesen, dass seine Wut nur der Ausdruck tiefer Verzweiflung war. »Ich glaube nicht, dass sie so böse sind, wie du denkst. Sie hätten uns leicht überwältigen können, wenn sie es gewollt hätten …«

»Geh weg, Valerian, dein Anblick macht mich wütend. Ich kann dieses Volk nicht in meinem Land dulden. Auch nicht die Zauberer und erst recht nicht diesen machtgierigen Eunuchen in Eberus. Niemanden, der mächtiger ist als ich, niemanden, der meine Macht nicht anerkennt, und niemanden, von dem ich abhängig bin. Geh weg und bring mir diesen Zauberer, damit ich ihm eigenhändig den Kopf abreißen kann.«

Valerian verließ die Kemenate des Königs langsam und würdevoll, obwohl dieser einen Schuh vom Boden aufhob, um ihn nach ihm zu werfen. Die Drohgebärden seines Bruders und seine Temperamentausbrüche beeindruckten ihn lange nicht so wie dessen Untertanen. Dennoch war der Herzog zornig. Was bildete sich Levian ein, ihm in diesem Ton zu befehlen? Valerian war schließlich nicht sein Untergebener. Er war sein älterer Bruder. Siebter in der Thronfolge des mendeorischen Kaisers. Das Herzogtum von Erdolstin lag jenseits der Grenze hinter dem Kaisergebirge im Westen und gehörte zu Mendeor, der Wiege der menschlichen Zivilisation. Der Name Erdolstin war bis weit über alle Grenzen bekannt, und zu einem nicht geringen Teil war das Valerians Verdienst. Der König von Ardelan, Levian von Vrage stammte aus der zweiten Ehe von Valerians Mutter. Nach dem frühen Tod von Valerians Vater hatte seine Mutter ein weiteres Mal geheiratet, um sein Erbe so lange verwalten zu können, bis er selbst dazu in der Lage war.

Es gab nichts Gutes über den alten Vrage, seinen Stiefvater, zu berichten, außer dass er gut rechnen konnte. Er hatte die Mutter verprügelt, seine Kinder sowieso. Mindestens die Hälfte aller Dienstmägde hatte er vergewaltigt, und wenn sie dann ein Kind erwarteten, hatte er sie rausgeworfen. Zwei Halbschwestern waren frühzeitig gestorben, eine hatte sich vom Turm der Kapelle gestürzt, da war sie zwölf, die andere war sogar noch jünger gewesen, als sie angeblich verunglückt war.

Valerian konnte seinen Halbbruder gut verstehen, als dieser die Vorteile seiner herzoglichen Verwandtschaft nutzte und die zwar nicht besonders schöne, aber immerhin sehr kluge zukünftige ardelanische Königin, Eleonore zur Frau nahm. Diese Heirat war die beste Art, sich seinem Vater restlos zu entziehen.

Viele Jahre hatte Valerian seinen Bruder danach nicht gesehen, da der Herzog im Auftrag des Kaisers in den südlichen Provinzen unterwegs gewesen war. Als er wiederkam, war Levian von dem Gedanken besessen, dass sein Land von diesem feenhaften Volk bedroht wurde. Er hatte eine alte Schriftrolle entdeckt, welche von den Elben berichtete, und später war ihm von irgendwoher noch eine zweite zugetragen worden. Fortan war Levian fest davon überzeugt, in großer Gefahr zu schweben. Er verlangte nach einem Zauberer.

Nun waren Zauberer in Mendeor zwar durchaus bekannt, aber nicht beliebt. Einen Zauberer brauchte man, um ein Haus an einem steilen Berghang zu bauen oder auf sumpfigem Grund. Manchmal riefen die Leute einen Zauberer, wenn das Vieh aus ungeklärten Gründen einging oder kein Regen fiel. Mancher Zauberer behauptete, mit seinen Tränken Totgesagte gesund machen zu können oder aber auch durch seine Beschwörungen jemandem zu schaden, sogar bis hin zum Tod. Die Zauberer waren mit Vorsicht zu genießen und hatten zudem meist ein Gefolge an Gnomen, die noch unbeliebter waren. Deshalb lebten Zauberer abgeschieden in von Menschen kaum bewohnten Gebieten.

In Ardelan hingegen gab es schon seit mindestens fünfhundert Jahren keine Zauberer mehr. Valerian zweifelte nach wie vor an der Richtigkeit, sie wieder ins Land zu rufen und das, obwohl er heute die fremden Wesen, die sein Bruder so sehr fürchtete, mit eigenen Augen gesehen hatte. Den Anblick würde er sein Leben lang nicht vergessen.

Mit ungeahnter Geschwindigkeit waren ihre Pferde durch den Wald herangestürmt, und dabei waren sie beinahe lautlos. Aufrecht saßen sie auf ungesattelten Tieren, in deren Mähnen grüne Bänder eingeflochten waren. Hinter einem Baum verborgen hatte Valerian sie nur wenige Schritte von der Stelle entfernt, an der sie plötzlich zum Stehen kamen, belauert.

Obwohl die Elben kein Wort miteinander gewechselt hatten, waren sie auf Valerians Angriff vorbereitet, doch nur einer von ihnen hatte sich den Menschen entgegengestellt. Seine Pfeile waren so schnell in alle Richtungen geflogen, dass die Menschen es nicht wagen konnten, ihre Deckung zu verlassen. Dabei hatte Valerian aber ständig das Gefühl, dass der Schütze bewusst danebenschoss. Graf Wilberg, dieser übereifrige Hitzkopf, hatte sich natürlich sofort todesmutig in die Schusslinie gestellt und seinerseits auf dieses fremde Wesen geschossen, was ihm einen wohlverdienten Pfeil in seinen Bogenarm eingebracht hatte. Wann es Baron Felhorn erwischt hatte, konnte Valerian nicht genau sagen. Dann, als hätte sich die Erde aufgetan und die Elben samt ihren Pferden verschluckt, war plötzlich alles vorbei. Obwohl der Herzog sofort alles absuchen ließ, war keine Spur mehr von ihnen zu finden gewesen. Bis auf die Pfeile, die überall herumlagen. Staunen, Ehrfurcht aber auch Angst sorgten für eine eigenartig prickelnde Stimmung unter den Männern - bis Levian mit seinem Gefolge eintraf.

Valerian rollte die Augen, als er daran dachte, und machte sich auf den Weg, um einen Boten nach Dosdravan Liminos, dem Zauberer, zu schicken, der bestimmt noch irgendwo im Wald umherirrte. Sollte ihm Levian doch ruhig den Kopf abreißen.

***

»Wenn ich es dir doch sage, er ist mit dem Grafen von … ich weiß es nicht mehr … der, der hier seit Monaten ’rumläuft. Mit dem ist er in das Gästehaus des Königs gegangen, und ich hatte den Eindruck, dass sich die beiden gut kennen.« Beinhart sah Walter grimmig an.

»Du meinst Graf von Weiden? Der, der bald jeden zweiten Abend an der Abendtafel des Königs sitzt? Den meinst du nicht?«, fragte Walter skeptisch.

»Doch genau den meine ich!« Beinhart war ziemlich aufgebracht.

»Eigentlich ist der ja ein netter Kerl, einer, der meine Musik und meine Späße zu würdigen weiß.«

»Darum geht es nicht, du aufgeblasener Trottel. Du hast mir einen Mann ins Haus gebracht, der … der … stell dir vor, der erzählt etwas von uns dem König. Wir hängen wahrscheinlich schon morgen alle beide vor dem unteren Tor.«

»Beinhart, beruhige dich. Was sagt dir deine Menschenkenntnis?«

»Wenn ich Menschenkenntnis hätte, wäre ich dann mit dir befreundet?«, schimpfte Beinhart. »Ich habe nachgefragt. Er heißt tatsächlich Agnus, aber nicht aus dem Wildmoortal, sondern Baron Agnus Ferdinand VON Wildmoortal. Ihm gehört das gesamte verdammte Tal, und schon allein der Anstand gebietet uns eine ordnungsgemäße Verbeugung und ein Hochwohlgeboren oder zumindest ein Herr Baron«, knurrte Beinhart.

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