Kitabı oku: «Mord im Wendland», sayfa 3
Kapitel 4
Sahas war so schnell gelaufen, wie er konnte, nachdem er den fürchterlichen Knall gehört hatte. Das war sicher ein Schuss gewesen. Von einem Gewehr. Udgam hatte auch ein Gewehr, mit dem er manchmal Tiere im Wald schoss. Sahas durfte nicht mit, wenn er das tat. Zu Hause kochte Kala die Tiere dann. Sahas mochte dieses Essen nicht besonders gerne, aber er musste es essen, sonst wurde Udgam böse und sperrte Sahas ein.
Sahas war immer hinter dem Hund hergelaufen. Der Hund war schnell und der Junge konnte ihm in seinen Hausschuhen kaum folgen. Irgendwann hielt der Hund an und legte sich auf den Boden. Sahas tat es ihm nach. Es war nun kälter geworden und Sahas fror. Wie gerne wäre er jetzt in seinem Bett. Der Wald machte Geräusche, ganz leise, ungewohnte Geräusche. Manchmal huschte etwas über das trockene Laub. Irgendein Tier lief einen Baumstamm hoch. Es war alles fremd für Sahas, aber er hatte keine Angst. Sein Name bedeutete Mut, hatte Kamini ihm erklärt. Und darum war er besonders mutig.
Doch Sahas kannte auch Angst. Im dunklen Keller, wenn er mal wieder allein oder mit den anderen eingesperrt war. Er hatte Angst vor Udgams Wut und vor seinen Schlägen. Natürlich fürchtete er sich vor Om, der aber auch ihr aller Beschützer war. Und Sahas hatte Angst vor Fremden. Nie, nie im Leben würde er mit einem Fremden sprechen oder gar mit einem mitgehen, das hatten Kamini und Garima ihm eingeschärft. Er hatte auch Angst vor der Welt hinter dem Wald. Aber hier im Wald hatte er keine Angst.
Der Hund sah ihn an. Und plötzlich kam Sahas der Gedanke, dass dieses graue Tier dort gar kein Hund war. Es war ein Wolf. Kamini hatte ihm Geschichten mit Wölfen vorgelesen und ihm erklärt, dass Wölfe nicht wie Hunde bei Menschen leben, sondern alleine oder mit anderen Wölfen zusammen im Wald. Die Wölfe auf den Bildern zu den Geschichten waren schwarz und groß, und in den Geschichten waren sie böse. Sie fraßen Menschen. In einer Geschichte hatte ein Wolf eine ganze Frau verschluckt, ohne zu kauen. Hinterher, als der Wolf aufgeschnitten wurde, lebte die Frau noch. Sahas hielt das für Blödsinn und Kamini sagte, dass das ja nur eine Geschichte sei und da müsse nicht alles stimmen.
Aber vielleicht stimmte es ja, dass Wölfe Menschen fressen. Jetzt bekam Sahas doch schreckliche Angst. Würde dieser Wolf ihn fressen? Oder waren graue Wölfe nicht so gefährlich wie schwarze?
»Hey, Wolf«, rief er leise, »bist du mein Freund?« Der Wolf spitzte die Ohren und sah Sahas neugierig an. Er stand auf und es machte den Eindruck, als wolle er näher kommen, aber dann legte er sich wieder hin.
»Hab keine Angst, Wolf. Ich bin Sahas, ich bin dein Freund.« Doch der Wolf schien ihn nicht zu verstehen. Er legte seinen Kopf auf die Vorderpfoten und schloss die Augen. Der Wolf ist müde, dachte Sahas, genau wie ich. Der Boden war weich, bald schlief der Junge ein, wobei er noch ein paarmal zuckte. Später, im Schlaf, vielleicht nur im Traum, spürte Sahas etwas Warmes, Weiches neben sich. Und in seiner Hand warme, feuchte Luft.
Sahas erwachte von schrecklichem Lärm. Sirenen, wie er sie aus den Filmen kannte, die Om ihm manchmal mitbrachte, tönten in der Ferne. War das ein Traum? Er hob den Kopf. Nein. Die Geräusche waren echt. Und auch der Wolf, der dicht neben ihm lag, war echt. Der Wolf hatte verstanden, dass Sahas sein Freund war. Auch der Wolf hatte den Kopf angehoben. Nun hörten sie direkt über sich einen fürchterlichen Lärm. Irgendetwas dröhnte am Himmel über den Bäumen. Lichtstreifen, wie von einer riesigen Taschenlampe, leuchteten von oben durch die Bäume auf den Boden. Der Lärm entfernte sich, die Lichtstreifen mit ihm.
Der Wolf sprang auf und lief los. Sahas folgte ihm.
Kapitel 5
Sabine hatte in der Leitstelle in Lüneburg richtig Druck gemacht und die Kollegen hatten verstanden, dass es nicht um Viehdiebstahl ging. Sie würden sich beeilen, aber sicher eine Dreiviertelstunde brauchen. Da Sabine in dieser Einöde keinen Handyempfang hatte, bat sie die Kollegen in der Leitstelle, zu versuchen, Jakob Metzger zu erreichen und auch den Anwärter Attila Yilmaz, der ein paar Wochen in Gartow Dienst schob und für diese Zeit in Gorleben bei einer Bekannten Metzgers ein Zimmer bewohnte. Sabine versprach sich allerdings nicht viel von diesem Hilferuf, denn Metzger lag sicher wie üblich im Koma und würde sein Telefon nicht hören und Attila hatte kein Auto.
Natürlich wäre es vernünftiger gewesen, im Streifenwagen auf das Einsatzkommando zu warten, aber Vernunft gehörte nicht unbedingt zu Sabines Kernkompetenzen. Musste sie damit rechnen, dass der Mörder, so es sich überhaupt um Mord handelte, noch im Haus war? Ziemlich unwahrscheinlich. Sollte er da gewesen sein, als die beiden Deppen hier vor einer Stunde herumliefen, so war er inzwischen sicher über alle Berge. Sie hatte Fragen an Koslowski und Hohmann. Hatte ein Fahrzeug auf dem Hof gestanden, das jetzt nicht mehr da war? Hatte sich in der Zwischenzeit sonst etwas verändert? War ein Schuppen geschlossen, der vorher offen war? Solche Sachen. Auch hätte sie fragen können, ob die Haustür vielleicht weiter oder weniger weit geöffnet gewesen war, als die beiden sich aus dem Staub gemacht hatten. Aber dafür hätte sie zurück zum Auto gemusst. Nun stand sie schon in dem dunklen Hausflur und bewegte sich langsam vorwärts.
Der Flur sah aus wie die meisten Flure in diesen Häusern. Lang, dunkel. Holzvertäfelung. Alte Möbel, alte Fliesen. Was fehlte, waren die üblichen Jagdtrophäen, Landschaftsbilder und frommen, gestickten Sprüche. Stattdessen hingen hier bunte Bilder mit indischen Motiven. Ein großes, gerahmtes Bild von einem alten Mann mit weißem Rauschebart. War das nicht dieser Guru, über den Sabine neulich mal eine Doku gesehen hatte?
Direkt neben den Leichen blieb Sabine stehen. Es waren nicht die ersten Toten, die sie sah, was nicht bedeutete, dass sie nicht schockiert war. Ein bärtiger Mann um die 40. Er hatte den Mund halb geöffnet. Sabine leuchtete ihm ins Gesicht. Der Mundraum war völlig zerstört, blutig. Ihr fiel eine Pistole in seiner rechten Hand auf, die halb von seinem Körper verdeckt wurde. Der hat sich selbst in den Mund geschossen, dachte Sabine. Und die Frau neben ihm, nur mit einem Schlafanzug bekleidet, hatte er vermutlich vorher getötet. In ihrem Hinterkopf klaffte ein blutverklebtes Einschussloch. Sie lag merkwürdig verrenkt auf dem Bauch, sodass Sabine ihr Gesicht nicht sehen und ihr Alter nicht schätzen konnte. Natürlich durfte sie die Leiche nicht umdrehen. Die Mordkommission aus Lüneburg würde sie sonst lynchen. Die Frau hatte brünette Haare, von grauen Strähnen durchzogen.
Erweiterter Selbstmord. Das würden die Ermittlungen der Scharen von Spezialisten, die hier jeden Moment eintreffen mussten, sicher schnell bestätigen. Dann musste nur noch die Identität der Toten festgestellt werden und die Sache wäre erledigt.
Sabine hätte gerne Papa angerufen, um ihn zu fragen, wer auf diesem Hof lebte. Aber es war inzwischen 1 Uhr. Da schlief der alte Mann längst. Außerdem hatte sie in dieser Gegend ja keinen Handyempfang. Es gab sicher Dokumente im Haus, mit denen sich die Identität der Toten klären ließe, doch danach durfte sie ohne Erlaubnis nicht suchen.
Direkt hinter den Toten führte eine alte, steile Holztreppe ins Obergeschoss. War die Frau von oben gekommen und dann von dem Mann erschossen worden? Nein. Er hatte sie von hinten erschossen. Also wollte sie die Treppe hinaufgehen. Vermutlich hatte sie zuvor schon im Bett gelegen oder war auf dem Weg dorthin gewesen, dafür sprach der Schlafanzug. Wann war das? Die Blutlache war fast vollständig getrocknet. Das dauerte bei der Hitze sicher nicht so lange, Sabine hatte damit keine Erfahrung. Der Mann, in Unterhose und T-Shirt, wollte auch ins Bett. Oder kam er von dort?
Die Schlafzimmer befinden sich sicher im Obergeschoss. Wer schlafen geht, zieht sich doch im Schlafzimmer um, geht ins Bad und dann ins Bett. Aber nicht mehr nach unten. Oder lag das Bad im Erdgeschoss? Sabine suchte mit der Taschenlampe die Türen ab. Die Küchentür war leicht zu erkennen, sie hatte ein Fenster. Im Raum dahinter brannte ein schwaches Licht. Eine Kerze? Eine andere Tür führte vermutlich ins Wohnzimmer, in die gute Stube. Weiter hinten, hinter der Treppe, erkannte Sabine noch zwei Türen. Möglich, dass sich dort ein Badezimmer befand.
Rechts neben der Treppe war eine Garderobe. Mäntel und Jacken hingen daran. Alte Sachen, nichts besonders Wertvolles oder Schönes. Eine Wetterjacke von Jack Wolfskin, ein dicker Filzmantel, wie Jäger ihn früher trugen. Unter der Garderobe standen Schuhe. Wanderschuhe, alt und abgelaufen. Größe 45, schätzte Sabine. Sie konnten dem toten Mann gehört haben. Außerdem ein Paar hässliche, grobe Wandersandalen, eher einer Frau zuzuordnen. Größe 38 etwa. In ähnlicher Größe Gummistiefel und daneben, Sabine richtete die Taschenlampe darauf, noch zwei weitere Gummistiefel. Bunt, in Regenbogenfarben und schätzungsweise Größe 32. Wie alt war ein Kind, das diese Größe trug? Sabine hatte keine Ahnung. Die Stiefel waren schmutzig und abgenutzt. Entweder das Kind trug sie jeden Tag oder die Schuhe wurden durch die Familie gereicht, wie das so üblich ist. Regenbogenstiefel: Sind die nur was für Mädchen oder tragen die auch Jungen? Sabine hatte auch davon keine Ahnung. Sie kannte genug Leute mit Kindern, achtete aber nicht auf solche Details. Viel drängender war die Frage: War das Kind noch im Haus? Das Kind der beiden Toten?
Sabine stieg vorsichtig über die Leichen. Kein Blut auf der Treppe. Sie sind also nicht nach den Schüssen aus dem ersten Stock hinuntergefallen. Die Stufen knarzten. Stickige Wärme, vom Blutgeruch geschwängert, stieg nach oben. Mit dem schmalen Strahl der Taschenlampe tastete Sabine den oberen Flur ab. Viele Türen, sechs oder acht. Bis auf eine waren alle geschlossen. Auf dem Boden lagen zerschlissene Webteppiche. An den Wänden hingen alte kitschige Poster mit offenbar indischen Göttern und wieder ein Bild von diesem Guru.
Sabine ging langsam zu der offen stehenden Tür und blickte in den Raum. Ein Kinderzimmer. Ein Kinderbett, ein kleiner Schreibtisch, ein Regal mit wenigen abgenutzten Spielsachen. In einem Pappkarton lag ein Haufen Wäsche. Kinderkleidung. Hosen, T-Shirts, Unterwäsche. Die Sachen waren verschlissen, hatten teilweise Löcher, waren aber offenbar gewaschen. An eine Wand hatte das Kind etwas geschrieben. Schriftzeichen, die an Buchstaben erinnerten, aber keine waren. Jedenfalls keine, die Sabine irgendwie bekannt vorkamen. Im Regal standen ein paar Bücher. Ein Bilderbuch mit Grimms Märchen. Ein Buch über einen Bauernhof. Eine vergilbte Ausgabe von »Der kleine Prinz«, eine Kinderbibel. Sabine hatte bei ihren Bekannten Kinderzimmer gesehen, die Spielwarengeschäften ähnelten, da hatten Achtjährige schon Laptops. Das Kind in diesem Haus besaß kaum das Nötigste. Aber wo war es? Sabine gab sich einen Ruck. Sie musste sich beeilen. Wenn dieses Kind sich irgendwo versteckt hatte, dann zählte jede Minute.
Sie öffnete die nächsten Türen, blickte in unordentliche, muffige Schlafzimmer. Wie viele Menschen lebten in diesem Haus? Mehr als die zwei im Flur waren es sicher. Mit etwas Zeit und System würde man deren Anzahl anhand der vielen Dinge hier sicher herausfinden.
In mehreren Räumen versuchte Sabine, das Licht einzuschalten, doch es blieb dunkel. Es gab keinen Strom. In den Zimmern, die sie hektisch durchkämmte, waren viele Betten. Kleidung lag auf dem Boden oder war unordentlich in offene Regale gestopft.
Wo waren die Bewohner des Hauses? So staubig, wie es in dessen Innern war, konnten sie auch schon länger weg sein. Sabine zählte mindestens acht Schlafplätze.
Sie öffnete Schränke, schaute unter Betten, hinter einen schimmligen Duschvorhang vor einer freistehenden Badewanne in einem heruntergekommenen Badezimmer. Ein Raum schien als eine Art Arbeitszimmer zu dienen. Auf einem einfachen Schreibtisch standen eine Tastatur und ein Flachbildschirm, der sicher bereits einige Jahre auf dem Buckel hatte. Der dazugehörige Computer oder ein Laptop waren nicht zu entdecken. Es gab auch keine Ordner mit Dokumenten, wie man sie sonst an solchen Plätzen hat. Auf einem kleinen Regal befand sich ein Fernsehgerät, sicher über 20 Jahre alt, daneben ein Videorekorder. Im Fach darunter stapelten sich vielleicht 50 CDs oder DVDs. Sogar ein paar Videokassetten im VHS-Format, wie Sabine sie aus ihrer Kindheit kannte, lagen im Regal. Sabine hätte sich diese Dinge gerne genauer angesehen, doch zuerst musste sie suchen. Was auch immer. Vielleicht ein Kind.
Der Keller. Dieses Haus hatte doch sicher einen Keller, vermutlich als Kühlkammer genutzt. Sabine stürmte die Treppe hinunter. Sie war wie besessen von dem Gedanken, hier noch eine lebende Seele zu finden. Am Ende des Flures im Erdgeschoss entdeckte sie, was sie suchte. Eine in den Boden eingelassene Klappe aus massivem Holz. Sie versuchte, die Klappe anzuheben, doch sie war mit einem Stahlbeschlag und einem Vorhängeschloss an der Wand versperrt. Sabine zögerte nicht lange, setzte die Pistole an und schoss. Es gab einen infernalischen Knall und das Schloss war gesprengt. Brocken von Putz und Holzsplitter verteilten sich auf dem Flurboden.
Die Klappe war schwer, und Sabine hatte Mühe, sie zu öffnen. Kalte, feuchte Luft wehte ihr entgegen. Es roch faulig, der typische Geruch alter Keller. Vorsichtig stieg Sabine die steile Treppe, eigentlich eher eine Leiter, hinunter. Wie erwartet erschien der Keller kleiner als das gesamte Haus. Der Gang endete nach wenigen Metern. Drei Türen befanden sich hier und eine frei zugängliche Öffnung. Darin war eine alte Ölheizungsanlage mit einem Tank untergebracht. Sie wirkte trocken und verstaubt. Es roch auch nicht nach Öl. Vermutlich war die Zentralheizung seit Langem kaputt. Das erklärte auch den Stapel mit Brennholz an der Wand. Hinter zwei der Türen fand Sabine Vorräte. Eingekochtes Obst und Gemüse, eine Kartoffelkiste mit wenigen ausgekeimten Kartoffeln, verstaubte Weinflaschen. In einem Regal waren Konservendosen aufgereiht. Sie waren nicht so verstaubt. Tomaten, Sauerkraut, rote Bohnen, grüne Bohnen und vieles mehr. Sechs Flaschen mit Speiseöl. Im Regal daneben stapelten sich gut 20 Papppackungen mit verschiedenen Nudeln. Außerdem große Plastikbeutel mit Reis. Mindestens zehn Stück mit je fünf Kilo Inhalt. Ein Sack mit getrockneten Kichererbsen, einer mit Linsen. Verhungern würde auf diesem Hof so schnell niemand, dachte Sabine.
Die letzte der Türen war aus Stahl und sicher lange nach der Errichtung des Bauernhauses eingebaut worden. Sie war mit einem dicken Riegel verschlossen, der ebenfalls mit einem Vorhängeschloss versperrt war. Wenn sich ein Kind, oder wer auch immer, in diesem Haus versteckte, dann sicher nicht dahinter. Es sei denn, der Mensch ist eingesperrt worden.
Sabine wollte dieses Geheimnis lüften, bevor die Kollegen eintrafen. Was war es, was sie da trieb? Der Minderwertigkeitskomplex einer Dorfpolizistin? Wollte sie mit am großen Rad drehen, obwohl das in ihrem Dienstplan nicht vorgesehen war? Ja. Vermutlich. Die Kollegen von der Polizeidirektion Lüneburg würden meckern, mehr aber auch nicht.
Hier im Keller war der Schuss noch lauter, und es klingelte Sabine in den Ohren. So hörte sie die Geräusche vor dem Haus erst spät. Motoren, Stimmen, Schritte. Der Lärm eines Hubschraubers, der über den Hof flog. Jemand polterte die Treppe hinunter.
Sabine blickte in die Mündung einer Maschinenpistole, die ein vermummter und behelmter Beamter ihr entgegenstreckte. Zwei weitere Männer im gleichen Outfit drängten sich hinter ihm. Als der SEK-Mann realisiert hatte, dass er es mit einer uniformierten Kollegin zu tun hatte, senkte er die Waffe.
»Was zum Teufel machen Sie hier?«, rief der Beamte wütend. Seine Stimme klang dumpf durch die Maske. »Ich hätte beinahe geschossen.«
»Haben Sie aber nicht, weil Sie ein erfahrener und besonnener Beamter sind. Danke dafür«, sagte Sabine und lächelte. »Ich bin Polizeiobermeisterin Sabine Langkafel von der Polizeistation in Gartow. Ich habe die beiden gefunden.«
»Welche beiden meinen Sie?«, fragte der Mann, der seine Sturmhaube nun so weit heruntergezogen hatte, dass Sabine sein junges, freundliches Gesicht erkennen konnte. »Die oben im Flur oder die in Ihrem Streifenwagen?«
»Genau genommen alle vier. Ist ne lange Geschichte. Ich sehe mich hier gerade um und in diesem Raum war ich noch nicht.«
»Was glauben Sie denn, dort zu finden?«, rief eine Frauenstimme von der Kellertreppe. Eine Frau um die 40 in Zivil stieg die Stufen hinunter und zwängte sich an den SEK-Beamten vorbei. Es war Melanie Gierke von der bei Verbrechen dieser Größenordnung zuständigen Polizeidirektion in Lüneburg. Eine legendäre Polizistin. Jeder kannte sie. Sabine hatte in ihrer Lüneburger Zeit nie mit Morden zu tun gehabt, deshalb war sie ihr nur einmal eher zufällig begegnet. Die Gierke erinnerte sich bestimmt nicht an Sabine. EmGe, wie sie hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, eilte der Ruf voraus, genial, effizient und verdammt unfreundlich zu sein.
»Äh, guten Abend, Frau Gierke«, stammelte Sabine, die sich augenblicklich fühlte wie eine Schülerin, die unerlaubt den Pausenhof verlassen hatte. »Es deutet einiges darauf hin, dass ein Kind in diesem Haus lebt. Vielleicht versteckt es sich irgendwo.«
»Hinter Türen, die man aufschießen muss?«, fragte EmGe und lachte höhnisch. Sie war so groß wie Sabine, etwas fülliger und hatte sehr kurze wasserstoffblonde Haare. Sie war ungeschminkt. Bekleidet war die Gierke mit einem blaukarierten Flanellhemd, das nur am Bauch in der Hose steckte, und einer hellblauen Jeans. »Na, dann lassen Sie uns mal gucken, ob das Kind da drin ist«, sagte Melanie Gierke.
Sabine entfernte das zerschossene Schloss und schob den schweren Eisenriegel nach oben. Die Stahltür ging nach außen auf, sodass alle ein paar Schritte zurücktreten mussten. Dann leuchtete Sabine in den Raum.
»Ach du Scheiße«, entfuhr es Sabine und EmGe nach einigen Sekunden gleichzeitig.
Kapitel 6
»Ey, Kiste, das war doch schon wieder ein Schuss, haste das gehört?«
Olaf war fast eingeschlafen, als ihn der Knall erschreckt hatte. Es war warm und stickig im Streifenwagen, das Beifahrerfenster stand nur einen schmalen Spalt offen. Da kam nicht viel Luft herein.
»Ja, klar habe ich das gehört. Was ballert die da rum? Meinste, die braucht Hilfe?« Karsten versuchte, die Autotür aufzumachen, doch die war natürlich verriegelt.
»Du willst der Polizei helfen? Da muss ich aber lachen, Kiste, echt jetzt.«
»Wieso schießt die da rum? Da war doch keiner mehr. Jedenfalls keiner, auf den man noch schießen muss.« Nach einer kurzen Pause rief er: »Scheiße, ich brauch ne Kippe.«
Der Kerl ging Olaf auf die Nerven. Sie saßen schon zu lange zusammengepfercht in diesem Streifenwagen. Das war heute entschieden zu viel Kiste für Olafs Geschmack. Vor allem, wenn es nichts zu saufen gab. Kistes Gelaber war auf Dauer nur mit Alkohol zu ertragen. Ebenso genervt war Olaf von dieser durch und durch misslungenen Aktion. Sie hatten keinen Wolf geschossen und saßen trotzdem in einem Polizeiwagen. Die 5.000 Euro waren zum Teufel. Eine zweite Chance würde der Bauer ihnen nicht geben. Außerdem würden ihm die Bullen sicher die Flinte abnehmen. Eine satte Geldstrafe stand ihm auch bevor. So ein Mist. Er war total pleite.
In diesem Moment wurde es laut. Eine Menge Fahrzeuge mit Blaulicht kamen auf den Hof gerast, über ihnen ratterte ein Hubschrauber. Der würde hier nicht landen können, dachte Olaf.
Eine Gruppe bewaffneter und mit schusssicheren Westen, Helmen und Helmlampen ausgestatteter Männer, wie sie Olaf nur aus dem Fernsehen kannte, rannte auf das Haus zu. Einige der Männer glotzten im Vorbeilaufen in den Streifenwagen.
»Wir müssen ihnen das von dem Kind erzählen«, sagte Olaf schließlich. Er war so durcheinander gewesen, dass er der Polizistin seine Beobachtung verschwiegen hatte.
»Was für ein Kind?«, fragte Karsten.
»Na, diese Gestalt, die da war, als ich auf den Wolf geschossen habe. Haste doch auch gesehen.«
»Nee, Olaf, habe ich nicht. Da war nix. Du säufst zu viel, das ist alles. Da sieht man schon mal kleine grüne Männchen.« Er lachte.
»Da war was, echt, glaub mir«, sagte Olaf.
»Ach ja, und wie willst du der Süßen das erzählen?«, Kiste verstellte die Stimme, um möglichst lächerlich zu klingen. »Hey, Frau Kommissarin, als wir da vorhin einen Wolf abknallen wollten, da lief da noch so ein Hobbit rum …«
»Von dem Wolf muss ich ja nichts sagen. Ich kann ja einfach von dem Kind erzählen.«
»Die glaubt dir doch kein Wort. Vergiss es. Wir halten schön die Klappe. Dann sind wir ganz schnell raus aus der Nummer, glaub mir.«
Olaf war nicht einverstanden mit Kistes Sicht der Dinge. Kiste war einfach zu blöd. Das war das Problem. Olaf würde eine Gelegenheit finden, der Polizistin einen Tipp zu geben.
Sein Blick fiel auf eine Frau mit kurzen blonden Haaren, die schnell auf das Haus zuging. Sie hatte ein Funkgerät oder so was am Ohr. Sie sah recht scharf aus, hatte einen geilen fetten Arsch. Olaf sah ihr nach. Kiste bemerkte das und sagte nur: »Total lesbisch, glaub mir.« Kiste war einfach zu blöd.