Kitabı oku: «Schattensamt», sayfa 2
Kapitel 2
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war von dem Gewitter, nichts mehr zu sehen. Die Sonne schien bereits wieder klar vom wolkenlosen Himmel und leerte die Pfützen, die hier und da entstanden waren.
Meine Familie und ich fuhren nach Oban, einer hübschen Stadt, die direkt an der Küste lag, und mit vielen Geschäften und Cafés lockte. Meine Mutter stürmte die Touristeninformation und stopfte jeden Flyer, für den sie nichts zu bezahlen brauchte, in ihren übergroßen Rucksack.
»Oh, sieh mal, Markus«, rief sie nach meinem Vater und deutete auf ein Plakat an der Wand, auf der ein Seehundbaby abgebildet war. »Hier bekommen wir die Karten für den kleinen Zoo zehn Pfund billiger. Lass uns gleich welche mitnehmen. Wir wollten doch sowieso die Tage da hin.«
Mein Vater nickte und ging zum Schalter, während meine Mutter weiterhin Flyer einpackte, als könnte sie uns damit die nächsten vierzehn Tage verpflegen. Hochrot im Gesicht schleppte sie den schweren Rucksack dann später durch die vielen Gassen. Aber sie verlor darüber kein Wort. Ich wusste bereits jetzt, dass sie den Nachmittag damit verbringen würde, die Flyer zu studieren und anschließend zu einem wandelnden Reiseführer mutierte, der die Gegend in- und auswendig kannte.
Als wir zurück zu unserem Ferienhaus gelangten, parkte ein Polizeiauto im Hof der Farm. Ein Polizist stand mit Fearghas und Adam vor der Haustür. Alle drei sahen flüchtig auf und unterhielten sich dann weiter. Während meine Familie ins Haus ging, blieb ich vor dem Gartenzaun stehen. Nur beiläufig streichelte ich Dee und Etive, die wieder zur Begrüßung heranstürmten und ihre Nasen fordernd in meine Handflächen vergruben. Viel mehr interessierte mich, worüber sich die Männer unterhielten. Adam sagte etwas zu seinem Sohn, der daraufhin wütend den Kopf schüttelte: »Wie ich bereits mehrfach sagte, ich bin einfach nur nach Hause geschwommen.«
„Aber es war spät am Abend, ein Gewitter zog herauf und die Insel, auf der die Jungs festsaßen, ist verdammt weit draußen für einen Schwimmer.“ Der Polizist notierte sich etwas in ein Notizbüchlein, während er sprach. Dann stemmte er die Arme in die Seiten. „Hör zu, Junge. Das wäre schon bei ruhigem Wasser eine lange Strecke. Mit dem Boot ist es eine gute halbe Stunde.“
„Das Wasser war eigentlich ruhig. Nur die Idioten waren einfach zu blöd und mussten ja unbedingt die Seehunde jagen. Ich jedenfalls hatte keine Lust auf der Insel mit ihnen zusammen festzuhängen, nachdem das Boot umgekippt ist, und bin in unsere Bucht geschwommen. Was anderes habe ich nicht zu sagen. Und ich habe auch nicht das Boot umgeworfen, falls Sie auf diese Idee kommen sollten.“
»Nein!«, der Polizist hob abwehrend die Hände und lachte. »Das halte ich dann doch eher für unmöglich. Dann könnte ich genauso gut behaupten, ein Selkie hat den Sturm über die Jungs gerufen, weil sie die Seehunde bedroht haben.« Er steckte das Notizbuch in seine Brusttasche und hielt Fearghas und Adam die Hand hin, um sich zu verabschieden. »Nun gut, Fearghas, da sich die anderen Jungs Sorgen um deinen Verbleib gemacht haben, musste ich für meinen Bericht wissen, wie du hierhergekommen bist. Aber wenn du bei deiner Geschichte bleibst ...«, er zuckte mit den Schultern, » … dann werde ich es so in meinen Bericht schreiben. Einen schönen Tag noch.« Damit tippte er grüßend, gegen den Schirm seiner Dienstmütze, stieg in sein Auto und fuhr davon. Fearghas und Adam sahen ihm nach, dann gingen sie in ihr Haus, ohne mich zu beachten.
War er wirklich am Abend eine Strecke geschwommen, für die man mit dem Boot bereits dreißig Minuten brauchte? Das würde zumindest erklären, warum er gestern vollkommen durchnässt war und vielleicht auch seine Wut. Nachdenklich ging ich ins Haus.
*
Den Rest des Tages bekam ich Fearghas nicht mehr zu Gesicht. Auch als wir später am Abend wieder zum Anleger gingen, weil mein Vater und mein Bruder dort noch angeln wollten, war er weit und breit nicht zu sehen. Also setzte ich mich dort auf eine Bank, die im Schatten eines großen Baumes stand, und holte mein Buch heraus. Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass der Held des Buches eine Art Wassermann war, der natürlich schwimmen konnte wie ein Fisch. Nachdenklich sah ich auf das Wasser und versuchte mir Fearghas als Meermann mit Fischschwanz vorzustellen, mit dem er locker die größten Wellen durchpflügte.
»Na, von wem träumst du denn?«
Die Stimme meiner Mutter holte mich aus meinem Tagtraum zurück. Ich kicherte verlegen und schüttelte den Kopf. Doch meine Mutter warf einen Blick auf das Buch in meiner Hand. Sie hatte es vor mir gelesen und nickte lächelnd.
»Hier könnte man sich wirklich einen Wassermann vorstellen. Wenn nicht hier, wo dann?« Dann holte sie ein Blatt Papier hervor, auf dem ein kleiner Teil des Lochs aufgezeichnet war, genauer gesagt, die nähere Umgebung des Hafens.
»Adam hat uns diese Karte gezeichnet, damit wir morgen eine Bootstour machen können.« Sie fuhr mit der Fingerspitze einmal über die Karte und tippte auf ein paar kleinere Inseln. »Dort gibt es ganz viele Seehunde, und hier ist wohl das Boot von Fearghas und seinen Freunden umgekippt.« Jetzt fuhr sie den ganzen Weg auf der Karte wieder zurück bis zu unserer Bucht. »Er ist also einen erstaunlich langen Weg zurückgeschwommen. Da kann man schon mal an Wassermänner glauben, nicht wahr?« Ihre blauen Augen blitzten begeistert. Meine Mutter liebte solche Ideen und hatte mir erzählt, dass sie sogar fest an die Existenz von Nessie glaubte.
Skeptisch sah ich in die Richtung, in der die Inseln liegen mussten, die aber von hier nicht zu sehen waren, zum Teil, weil sie von der gegenüberliegenden Insel verdeckt wurden. Ich konnte mir schon kaum vorstellen bis zum anderen Ende der Insel zu schwimmen, geschweige denn weiter.
»Vielleicht ist er aber auch nur von hier«, ich deutete auf die Inseln der Seehunde, »bis zu der Insel dort geschwommen. Dann ist er über die Insel gelaufen und nur wieder den Rest zu unserem Anleger herüber?«
»Wäre trotzdem noch weit, findest du nicht?«
»Es gibt keine Wassermänner, weißt du?«, sagte ich und sah sie zweifelnd von der Seite an. Ich war mir nicht sicher, wie ernst es ihr war. »Vielleicht ist er einfach nur ein guter Schwimmer. Hast du mal seinen Oberkörper gesehen? Er sieht aus wie einer dieser Olympiaschwimmer.«
»Ja, habe ich. Ich bin zwar viel älter als du, aber blind bin ich deswegen noch nicht.« Sie zwinkerte mir vergnügt zu und scheuchte mit ihrem Buch eine lästige Mücke davon. Ich warf einen erstaunten Blick auf den Titel. »Mein Herz für den Hochländer?«, fragte ich. Sie las zwar auch gerne Geschichten, die im Urlaubsland spielten, aber Kitschromane gehörten normalerweise nicht dazu.
»Es ist furchtbar«, gestand sie grimmig. »Aber jetzt lese ich es auch zu Ende.« Damit schlug sie es auf und begann zu lesen. Ich beobachtete sie dabei, wie ihre Augen über die Zeilen huschten und sie dabei immer wieder den Kopf schüttelte und die Augen verdrehte. Dennoch las sie Zeile um Zeile tapfer weiter und vergaß mich und die leidigen Wassermänner.
*
Lustlos trabte ich meiner Familie am Morgen unseres dritten Tages hinterher. Adam hatte meinen Eltern eine Bootstour empfohlen, die an den Seehundinseln vorbeiführte. Mit etwas Glück sollten wir auch Schweinswale sehen können, die mit der Flut den Makrelenschwärmen ins Loch hinein folgen sollten. Da ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen und mich die Aussicht auf ein paar niedliche Seehunde schon lockte, hatte ich mich nach einigem Hin und Her doch noch dazu durchgerungen, mitzufahren.
Als wir bei den Inseln ankamen, lagen dort unzählige Seehunde mit ihren Jungtieren, die sich augenblicklich ins Wasser stürzten, wenn wir zu nahe kamen. Verzweifelt versuchte ich, brauchbare Fotos mit meinem Handy zu schießen, was bei diesem Wellengang, wenn auch kaum einer da war, so gut wie unmöglich schien. Meine Mutter tippte mich an und zeigte auf die Insel, die in meinem Rücken lag. Während mein Vater und Finn sich gemeinsam aufstellten und unter leisem Gelächter aus dem Boot pinkelten, flüsterte sie:
»Hier ist das Boot gekentert. Kannst du dir vorstellen, das Fearghas dort rüber geschwommen ist? – Also, wenn ihn kein Boot mitgenommen hat, halte ich es doch bei stürmischem Wetter eher für unwahrscheinlich.«
Ich folgte dem Blick meiner Mutter. Sie hatte Recht. Die hauptsächlich aus grauen Felsen bestehende Insel war schon für einen Schwimmer ganz schön weit. Und Fearghas beharrte darauf, dass er sogar noch weiter geschwommen war. Ich verstand die Zweifel meiner Mutter und die der Polizei. Dennoch sagte ich:
»Er ist halt ein durchtrainierter Schwimmer und kennt die Gewässer.«
Meine Mutter winkte wortlos ab. Das Thema schien damit, vorerst für sie beendet zu sein. Finn und mein Vater hatten sich zwischenzeitlich wieder gesetzt und die Angeln ausgeworfen, die wir im Schlepp hinter uns herzogen. Die beiden hatten die Hoffnung, so unser Abendessen fangen zu können, doch leider vergeblich!
»Da!«, schrie meine Mutter plötzlich hysterisch und zeigte fuchtelnd hinter unser Boot. »Schweinswale!«
Einige Meter entfernt tauchten immer wieder die kurzen runden Rücken der doch recht kleinen Tiere auf und bescherten uns eine mittlere Panik. Wir konnten unser Glück kaum fassen, tatsächlich auch noch Schweinswale zu sehen. Als sie so schnell wieder verschwunden waren, wie sie aufgetaucht waren, tuckerten wir rundum zufrieden wieder nach Hause; wenn auch leider ohne Abendessen.
Schon von weitem konnte ich Adam erkennen, der auf dem Steg stand und wie verabredet auf uns wartete.
»Wart ihr erfolgreich?«, fragte er und nahm das Tau entgegen, das meine Mutter ihm reichte. Mit geübten Bewegungen befestigte er unser Boot und half uns beim Ausladen.
»Oh, wir haben Seehunde und Schweinswale gesehen!«, rief Finn und sprang mit einem riesigen Satz auf den Steg.
»Aber leider keine einzige Makrele gefangen.« Meine Mutter folgte erheblich vorsichtiger. Kritisch betrachtete sie den Steg, bevor sie ihn betrat, als könnte er sich plötzlich abrupt zur Seite neigen und sie ins Wasser schubsen.
»Vielleicht beim nächsten Mal«, sagte Adam zuversichtlich und nahm uns das Angelzeug ab. Ich nahm die Schwimmwesten und lief zum Bootshaus, um sie dort zu verstauen. Als ich heraustrat, prallte ich gegen einen Mann, der unversehens vor mir auftauchte.
»Oh, Verzeihung«, murmelte er und räusperte sich. »Gehören Sie zum Bootsverleih?«
»Nein. Tut mir leid. Ich bin nur Feriengast«, antwortete ich und schob mich an ihm vorbei. Der Mann wandte sich langsam um und sah kurz zu Adam hinüber, der mit meinen Eltern auf dem Steg stand und sich unterhielt. Er war groß mit einer sportlich schlanken Statur und trug über einer schwarzen Jeans einen modischen Blazer.
»Vielleicht können Sie trotzdem helfen und eine Frage beantworten?«
Er lächelte mich an. Er war sicherlich als gutaussehend zu bezeichnen. Für sein Alter jedenfalls. Er mochte um die dreißig Jahre alt sein. Ein Grübchen wanderte in seine Wange und ließ sein männlich geschnittenes Gesicht verschmitzt aussehen. Doch mir entging nicht, dass das Lächeln nicht seine dunklen Augen erreichte und einfach nur eingeübt geschäftsmäßig wirkte. Er musterte mich und schien beschlossen zu haben, dass ich nicht gesiezt werden musste. »Weißt du«, fuhr er fort, »ob das Boot, das draußen gekentert sein soll, von hier stammte?«
Ich wusste nicht wieso, aber irgendetwas ließ mich plötzlich vorsichtig werden. Die Art, wie er immer wieder zu Adam hinübersah. Es wirkte auf mich, als wusste dieser Mann ganz genau, dass er nur ihn zu fragen brauchte, es aber aus irgendeinem Grund nicht tat.
Ich machte einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf:
»Nein, das Boot kam nicht von hier!« Und das war ja auch im Grunde genommen keine Lüge. Fearghas war hier lediglich von seinen Freunden abgeholt worden. »Wieso möchten Sie das denn wissen?«
»Oh, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Verzeihung!« Der Mann lächelte erneut. Wieder tauchte das Grübchen auf. Seine dunklen Augen waren von langen gebogenen Wimpern umrahmt und erinnerten mich wage an Fearghas. Wieder eine Verschwendung an einen Mann, die eher einer Frau zugestanden haben sollte. »Mein Name ist Sean McDougal. Ich arbeite für die hiesige Zeitung und wollte den Jungen interviewen, der durch das Loch geschwommen sein soll, um Hilfe für seine Freunde zu holen.«
»Hier gibt es keinen Jungen«, log ich diesmal unverfroren. »Die Söhne von Adam sind schon erwachsen und nicht mehr hier.«
»Oh, wie schade.« Der Reporter sagte es so, als wollte er sagen: »Ich glaube dir kein Wort, du kleine Lügnerin«, aber das war vielleicht auch nur meinem schlechten Gewissen zuzuschreiben, dass gerade vorwurfsvoll mit dem Finger auf mich zeigte. »Dann werde ich mich wohl woanders umhören müssen.«
»Ja, sieht so aus«, sagte ich und biss mir auf die Lippen. Adam kam jetzt mit meinen Eltern den Steg herunter. Hoffentlich entlarvte mich gleich niemand von ihnen als Lügner.
Doch diese Sorge war unbegründet. Auch dem Reporter war nicht entgangen, dass Adam auf das Bootshaus zukam. Mit einem knappen Nicken verabschiedete er sich und schlenderte betont lässig davon.
Ich sah ihm hinterher, bis er verschwunden war. Eine kleine Stimme in meinem Inneren flüsterte mir mit leichter Paranoia zu, dass dieser Mann dort niemals ein Reporter gewesen sein konnte. Doch bevor ich mich näher mit diesem Gedanken befassen konnte, riss Finn mich von diesen fort. Wie ein Sack ließ er sich rücksichtslos neben mich auf die Bank plumpsen, auf die ich mich inzwischen gesetzt hatte.
»Wir gehen jetzt ins Haus. Ich bin total kaputt«, seufzte er mit einem glücklichen Ausdruck im Gesicht.
»Ach, ich bleibe noch eine Weile hier und werde lesen. Es ist zu schön hier.«
»Bleib nicht zu lange«, sagte mein Vater, der dazu trat. »Komm nach Hause, bevor es dunkel wird.«
»Ja, ist gut.«
Auch ihnen sah ich eine Weile hinterher. Meine Eltern liefen Hand in Hand mit Finn den Weg zurück. Ich konnte ihnen förmlich ansehen, dass sie sich hier wohl fühlten. Eine zufriedene Ausstrahlung ging von ihnen aus, die ich in jeder Geste sehen konnte. Und auch ich musste zugeben, dass Schottland anscheinend gar nicht so schlecht war. Meine Abneigung hatte schon unter dem herzlichen Empfang von Adam und Mairee zu bröckeln begonnen. Ganz zu schweigen von der wirklich schönen Gegend. Auch ich konnte mich nicht der Faszination entziehen, die das Loch mit seinen grünen Inseln und den gewaltigen Berghängen vom gegenüberliegenden Ufer auf mich ausübte.
Ich nahm mein Buch und ging bis zum Ende des Steges. Dort zog ich meine Schuhe aus und setzte mich. Langsam ließ ich meine Füße mit angehaltenem Atem in das kalte Wasser gleiten. An dieser Stelle war das Wasser völlig dunkel. Bereits am Steg fiel der Grund des Lochs auf zehn Meter Tiefe ab. Ich sah über die glatte Fläche. Wie tief mochte es weiter draußen wohl sein, und was trieb sich in der Dunkelheit alles herum? Ein unbehagliches Gefühl beschlich mich, aber ich ließ meine Füße, die ich gerne an mich gezogen hätte, wo sie waren. Ich wollte mich nicht von meiner Fantasie beeindrucken lassen.
Für eine Weile saß ich nur da und genoss die Einsamkeit und die Stille. Lediglich das leise Gluckern des Wassers, das leicht gegen das Metall des Steges schlug, war zu hören. Neugierig betrachtete ich die zwei Segelboote, die etwas weiter draußen lagen. Die kleine Bucht bot wirklich einen gut geschützten Ankerplatz. Ob jemand auf den Booten schlief? Für den Moment schien ich jedenfalls völlig alleine zu sein. Zufrieden nahm ich mein Buch und begann zu lesen. Gerade geriet der Held in Gefahr. Die Spannung überlief mich mit einem Schauer, als sich plötzlich etwas um meinen rechten Knöchel legte und mich, wie mit einem Schraubstock festhielt. Mein Herz setzte aus. Ich schrie!
Der Griff löste sich augenblicklich, und vor mir tauchte das verlegene Gesicht von Fearghas auf.
»Bist du eigentlich vollkommen verblödet?«, schrie ich ihn wutentbrannt an. Am liebsten hätte ich auf das Wasser geschlagen, so viel Zorn rannte durch mich hindurch. Zitternd vor Schreck umklammerte ich meine Knie und legte den Kopf darauf, um mich wieder zu beruhigen.
»Entschuldigung. Ich konnte doch nicht ahnen, dass du so schreckhaft bist.« Er lächelte ein wenig verzweifelt und zog sich mit einer beeindruckend spielerischen Bewegung auf den Steg. »Tut mir wirklich leid, aber es war so verlockend, als ich deine Füße gesehen habe.«
Er wirkte so beschämt, dass ich mir plötzlich albern vorkam. Beinahe hätte ich geseufzt, stattdessen entrang ich mir ein abfälliges Schnauben. Zu leicht wollte ich es ihm auch nicht machen.
»Schon gut. Ich war gerade in einem sehr spannenden Teil in meinem Buch vertieft. Du hast das Talent mir immer im unpassendsten Augenblick zu begegnen«, sagte ich und ließ meine Füße zurück ins Wasser gleiten.
»Ah, und wie reagierst du auf mich in den passenden Augenblicken?«, schmunzelte er.
Oh, mein Gott! Ein tiefes Grübchen rutschte neben sein Lächeln, während ich gegen die Hitze in meinen Wangen kämpfte.
»So, wie man eben reagiert, wenn man irgendjemanden begegnet, den man schon mal gesehen hat. Ich sag Hallo«, entgegnete ich leicht schnippisch und trat nun spielerisch mit dem Fuß ins Wasser. »Ich habe dich übrigens vor einem Reporter verleugnet, der nach dir gefragt hat. Ich habe behauptet, dass Adam nur erwachsene Söhne hat.«
»Du hast ihn angelogen?« Er musterte mich interessiert und kein bisschen böse, was ich zunächst befürchtet hatte. Dabei bogen sich seine Augenbrauen wie geschwungene Brücken über die dunklen Seen seiner Augen. »Wieso?«
»Ich fand ihn komisch«, antwortete ich lahm, weil ich selber merkte, wie dumm sich das anhörte.
»Du bist schon ein wenig seltsam, Klara. Das weißt du schon, oder?«
»Sagte der Junge, der behauptet eine Strecke geschwommen zu sein, die ihm niemand recht glauben kann«, konterte ich.
»Okay, komm mit.« Fearghas stand auf und streckte mir seine Hand entgegen, um mir aufzuhelfen. Ich ließ mich hochziehen und versuchte dabei nicht auf seinen mehr als durchtrainieren Oberkörper zu starren. Bei jeder Bewegung quollen an irgendeiner Stelle Muskeln vor.
»Was willst du mir zeigen?«, fragte ich und konzentrierte mich auf sein Gesicht, was nicht weniger beunruhigend auf mich wirkte.
»Steig ins Boot. Kommst du mit der Steuerung klar?«
»Ja, natürlich.«
»Ich möchte dir beweisen, dass ich die Strecke locker schaffe.«
»Du spinnst!«, sagte ich und blieb stehen. »Du musst mir wohl nichts beweisen. Das Ganze geht mich noch nicht einmal etwas an.«
»Und dennoch hast du dich doch bereits eingemischt, oder nicht? Du lügst irgendwelche Fremden an, weil du denkst, dass ich etwas zu verbergen habe.«
Mir wurde plötzlich unangenehm bewusst, dass er immer noch meine Hand hielt. Mein Magen zog sich ein wenig zusammen, und das war ganz bestimmt kein unangenehmes Gefühl. Ich stand hier in dieser doch inzwischen ganz traumhaften Kulisse mit diesem … Schotten und hatte keinerlei Ahnung, wo ich jetzt noch hinschauen sollte, ohne mein Gesicht in ein purpurnes Bonbon zu verwandeln. Fearghas schien meine Verlegenheit nicht zu bemerken und zog mich sanft weiter. »Bitte!«, sagte er und schenkte mir einen bettelnden Blick. Ich seufzte und atmete tief ein.
»Na gut, aber ich muss vor Dunkelheit zu Hause sein.«
»Das ist kein Problem.« Er warf einen Blick zur Sonne, die sich langsam zu neigen begann. »Wir müssen nur mit dem Boot aus der Bucht heraus.«
Also stiegen wir in das Boot und fuhren kurz darauf auf das Loch hinaus. Das Wasser war immer noch so ruhig, wie vorhin, als ich mit meinen Eltern draußen gewesen war. Leichte Wellen schlugen gegen das Boot, die die gleiche graue Farbe hatten wie der ausnahmsweise wirklich schottisch wirkende wolkenverdeckte Himmel. Langsam tuckerte Fearghas dahin und sah auf einem imaginären Punkt. Dabei wirkte er, als ob er mich inzwischen vollkommen vergessen hatte. Wieso wollte er ausgerechnet mir beweisen, wie gut er als Schwimmer war? Ich wurde immer neugieriger und hielt es nicht länger aus, nachdem wir die Bucht hinter uns gelassen hatten: »Was ist denn überhaupt passiert? Bei diesem Unglück, meine ich.«
Fearghas richtete seine großen Augen auf mich und stellte den Motor ab. Eine Gänsehaut raste über meine Arme und meinen Rücken. War ich eigentlich noch bei Trost? Niemand wusste, wo ich war. Wenn er wollte, konnte er mich hier einfach ins Wasser werfen. Ich sah zum Ufer hinüber, das mir plötzlich viel zu klein und viel zu weit entfernt vorkam. Ich würde diese Strecke definitiv nicht mal eben so schaffen.
»Meine Freunde und ich sind zu einer Bucht gefahren und waren dort schwimmen«, begann Fearghas da langsam und sah mich dabei unverwandt an. »Wir haben gegrillt und getrunken. Einige von uns vielleicht zu viel. Auf dem Rückweg kamen wir bei den Seehunden vorbei. Mein Freund Liam hatte Wurfsterne dabei. Das ist so ein dummes Hobby von ihm. Und damit hat er dann nach den Seehunden geworfen. Die anderen fanden das ungemein lustig und machten mit. Als sie sich nicht aufhalten ließen, wurde ich so wütend, dass ich aufgesprungen bin und das Boot mit Absicht zum Kentern gebracht habe. Es war nicht weiter schwer. Wir hatten bereits heftigen Wellengang.« Er schwieg, sah mich aber weiterhin an. Dabei entging ihm auch nicht, wie meine Hände ängstlich nach sicherem Halt suchten. Ich warf einen prüfenden Blick auf die Wellen und versuchte abzuschätzen, wie leicht es ihm wohl an einem Tag wie heute fallen würde, das Boot umzuwerfen.
»Ich habe mich vergewissert, dass sich alle auf die Inseln retten konnten, und bin dann nach Hause geschwommen. Von dort hat mein Vater die Rettung angerufen. Das ist alles.« Damit stand er auf.
Erschrocken klammerte ich mich an beiden Seiten des Bootes fest. Ich hasste es zutiefst, wenn jemand in einem Boot aufstand und es dann, wie wild zu schaukeln begann. Doch nichts geschah. Das Boot schaukelte nicht mehr als zuvor.
»Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet dir das gleich zeige, aber ich muss es dringend loswerden.«
Noch ehe ich fragen konnte, setzte er mit einem eleganten Kopfsprung über die Bordwand, und wieder schien das Boot dies kaum zu bemerken. Fearghas tauchte sofort wieder auf und sah mich merkwürdig an. Er war doch nicht verrückt, oder?
»Ich schwimme täglich durch die Bucht«, erklärte er und tauchte ab. Verdammt, wohin? Suchend sah ich über die Wasseroberfläche, als er bereits wieder auf der anderen Seite auftauchte und sich leicht an der Bordwand festhielt. Das Boot kippte unmerklich und brachte mein Herz zum Jagen.
»Das erklärt schon, warum du so eine weite Strecke schwimmen kannst«, plapperte ich halbherzig. Ich hatte mal gehört, dass man Verrückten gut zureden sollte. Ich hob meine Hand und verbiss mir einen Fluch. Beinahe hätte ich tatsächlich seine Hand getätschelt. Er musste es bemerkt haben, denn er grinste, was mich nun auch nicht gerade beruhigte.
»Und wenn das Loch zufriert?«, fragte ich, nur um etwas zu sagen.
»Dann schlage ich ein Loch in das Eis«, antwortete er, und jetzt wurde sein Grinsen richtig wild. Doch er bemerkte, dass er mich verängstigte. Seine Miene wurde schlagartig ernst. »Tatsächlich schwimme ich jeden Tag, Klara. Aber im Winter bin ich immer nach Oban ins Schwimmbad gefahren. – Ich war immer ein guter und schneller Schwimmer, aber vorgestern ist etwas geschehen, das alles verändert hat.« Er stieß sich leicht von der Bordwand ab und schwamm einige Züge zurück. »Als wir ins Wasser stürzten, spürte ich keine Kälte – auch jetzt tue ich das nicht. Und ich war so schnell wie nie zuvor. Sieh selbst.« Fearghas drehte sich im Wasser und – konnte ich es wirklich noch schwimmen nennen? – schoss davon. Mit fließenden Bewegungen glitt er in erstaunlicher Geschwindigkeit durch das Wasser, dass ich es kaum glauben konnte. Ich starrte ihm nach, aber mein Verstand konnte nicht ernsthaft aufnehmen, was er da sah. Mit offenem Mund verfolgte ich, wie er zu den Seehundinseln und wieder zu mir zurückschwamm. Immer noch sprachlos starrte ich ihn an, als er sich neben dem Boot ausstreckte und einfach treiben ließ. Nicht der geringste Hinweis auf körperliche Anstrengung war zu erkennen.
Okay, dachte ich und versuchte mein Gehirn wieder zu starten. Er hatte ja wirklich den Oberkörper eines Profi-Schwimmers, aber das, was ich gerade gesehen hatte, war schlicht absurd und mit bloßem Training nicht zu erklären. Also, wie konnte das sein? Ein geheimes Militärexperiment, vielleicht? Vielleicht doch so ein Wassermann wie in meinem Buch? Lächerlich! Ich schnaubte, und Fearghas sah auf und warf wieder einen Blick auf die Sonne, die sich bald hinter den Bergen verstecken würde. »Es wird bald dunkel. Wir müssen zurück.« Wieder zog er sich mit dieser erschreckenden Leichtigkeit ins Boot und sah mich an, während er den Motor startete. »Und? Glaubst du mir jetzt?«
Ich nickte nur. Was hätte ich auch sagen sollen? Normal war anders.
Auf dem Rückweg sprachen wir nicht miteinander. Zu sehr beschäftigte mich das, was ich gerade gesehen hatte. Ich saß bloß da und versuchte ihn möglichst unauffällig zu beobachten. Erst als wir bereits den Weg zum Haus hinauf gingen, hielt er mich kurz auf.
»Klara?«, sagte er leise.
Überrascht begegnete ich seinem scheuen Blick.
»Bitte erzähl niemandem davon.«
»Wovon?«, sagte ich und lächelte schwach. Seine Hand brannte sich dabei in meine Haut. Er nahm sie fort, Erleichterung in der Stimme:
»Danke!«
Ich nickte und öffnete unser Törchen, um zur Tür zu gehen.
»Hättest du vielleicht Lust, morgen Nachmittag eine Radtour mit mir zu machen?«
Eine Radtour in Schottland? Automatisch schob sich das Bild vor meine Augen, in dem ich völlig verschwitzt und atemlos das Rad irgendwelche Bens hochschob. Kein verlockender Gedanke, mich derartig zu blamieren. Der Kampf zwischen Blamage und dem Wunsch, ein wenig Zeit mit Fearghas zu verbringen, schien mir deutlich ins Gesicht geschrieben zu sein.
»Kaum Berge und am Ende wartet eine einsame Bucht zum Schwimmen.«
Verlegen wischte ich mir ein paar Haarsträhnen aus den Augen: »Gut«, sagte ich. »Aber vormittags sind wir noch in diesem kleinen Zoo. Wir können erst danach los.«
»Ich hole dich ab.« Leise schloss er das Tor und blieb dort stehen, bis ich im Haus verschwunden war.