Kitabı oku: «Leben nach der DDR», sayfa 2
Warum löste sich die SED nicht auf?
Als der am 8. Dezember 1989 begonnene Parteitag der SED nach einer Woche Unterbrechung beendet wurde, bekam der Vorsitzende der sich nun SED-PDS nennenden Partei, Gregor Gysi, einen großen Besen überreicht. PDS stand für »Partei des Demokratischen Sozialismus« und wurde bald der einzige Name der gewandelten Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Der Besen sollte die Absicht illustrieren, erst einmal gründlich sauberzumachen. Der seit knapp einem Monat regierende neue Ministerpräsident, Hans Modrow, hatte gefordert: »… lasst diese Partei nicht zerbrechen, nicht untergehen, sondern macht sie sauber und stark!« Auf dem Parteitag meinten viele, das ginge nur mit einer neuen Partei.
Auch das Symbol des Besens war nicht besonders klug gewählt. Der amerikanische Kommunistenjäger McCarthy nutzte es schon in den 1950er Jahren, und DDR-Dissident Wolf Biermann wies Anfang der 1960er Jahre nicht ohne Grund auf dessen Missbrauch hin: »So gründlich haben wir geschrubbt / Mit Stalins hartem Besen / Dass rot verschrammt der Hintern ist / Der vorher braun gewesen.«
Statt Neuanfang gab es nun also nur eine Umwandlung der Partei. Den Grund dafür erklärte der gerade gewählte Vorsitzende Gregor Gysi in seiner Antrittsrede: »Die Auflösung der Partei und ihre Neugründung wäre meines Erachtens eine Katastrophe für die Partei … Das Eigentum der Partei wäre zunächst herrenlos, anschließend würden sich sicherlich mehrere Parteien gründen, die in einen juristischen Streit um die Rechtsnachfolge träten … Kurzum: Ich verstehe sehr gut, wie es zu solch einer Idee kommen kann, aber bei Abwägung aller Folgen wäre eine solche Entscheidung in hohem Maße verantwortungslos.«
Das überraschte manche. Eigentlich sollte es beim Parteitag um eine neue Politik gehen. Ans Geld – vom Baren bis zu einem umfänglichen Firmenimperium – dachte bislang niemand. Der neue Chef gab dann auch eine Information darüber, wer eigentlich die Besitzer des riesigen Vermögens waren: »Zum Parteieigentum und zu
Ostberlin, Außerordentlicher Parteitag der SED im Dezember 1989: Der mit 95 Prozent der Stimmen zum neuen Vorsitzenden der SED gewählte Gregor Gysi bekommt als Zeichen des Umgestaltungswillens der Partei symbolisch einen Besen zum großen »Saubermachen« überreicht. Die Partei benennt sich zunächst in SED-PDS um. (picture alliance / dpa – Bildarchiv / ADN Zentralbild)
Parteibetrieben ist zu sagen, dass wir auch dies überprüfen. Gehört uns etwas nicht, geben wir es zurück. Ist es aber unser Eigentum, dann gehört es allen Mitgliedern der Partei, und wir haben kein Recht, das Eigentum daran aufzugeben, wohl aber die Pflicht, eine sinnvolle Nutzung zu sichern.«
Dass der Schatz der Arbeiterklasse den noch verbliebenen Genossinnen und Genossen gehörte, unterstrich Gregor Gysi erneut auf der Tagung des Parteivorstands am 6. Januar 1990: »Niemand von uns hat aber zu sich selbst eine so anmaßende Grundeinstellung, dass er sich legitimiert fühlt, über das Eigentum von etwa 1,5 Millionen Mitgliedern selbstherrlich durch Verzicht zu entscheiden.«
Wie groß dieses Eigentum war, wusste kein Mensch. Bereits am 3. Dezember 1989 hatten Hunderttausende mit einer Menschenkette auf den vier Fernverkehrsstraßen der DDR unter anderem auch das Offenlegen der Parteifinanzen und des Vermögens der SED gefordert.
Wenig später war Bewegung in die Sache gekommen. Am 5. Januar 1990 berichtete die Berliner Zeitung unter Berufung auf den Pressesprecher der SED-PDS über ein Treffen des Parteivorstands mit den Chefs der parteieigenen Betriebe: »Im Ergebnis der Diskussion sei Übereinstimmung festgestellt worden, dass rechtmäßiges Parteieigentum als solches anerkannt bleiben müsse … Die SED-PDS, so ihr Pressesprecher, haftet mit ihrem gemeinsamen Eigentum und Vermögen für die soziale Sicherheit in den Parteibetrieben. Er verwies darauf, dass auf dem kommenden Parteitag, wie angekündigt, Rechenschaft über die bisherige Verwendung von finanziellen Mitteln gelegt und Pläne zur künftigen Verwendung zur Diskussion gestellt werden.«
Am 5. Februar 1990 berichtete das einstige Organ des Zentralkomitees der SED, Neues Deutschland, erstmals in seiner Geschichte über die »Finanzrechnung 1989 der SED«. Sie war in »Mark der DDR« und »Valuta« unterteilt. Konkrete Einnahmen wies sie nur bei DDR-Mark aus. Danach zahlten die SED-Mitglieder 710,4 Millionen Mark Beiträge. Die Parteibetriebe führten 720,3 Millionen Mark ab, »Organisations- und Verwaltungsarbeit« brachte 63,8 Millionen Mark ein, und 0,3 Millionen Mark gab es durch Schenkungen. Insgesamt betrugen somit die Einnahmen 1.494,8 Millionen Mark. Ihnen standen Ausgaben von 1.644,9 Millionen Mark gegenüber. Dazu hieß es: »Zur Deckung der Gesamtausgaben wurden 150,1 Mio. Mark aus dem Reservefonds eingesetzt.« Zu den Valutaausgaben wurde nur angegeben: »Zur Finanzierung der Valutaaufwendungen standen 1989 101,5 Mio. VM [Valutamark, entsprach Deutscher Mark (DM), Anm. d. Verf.] und 3,01 Mio. Mark SW [sozialistische Währungen, Anm. d. Verf.] zur Verfügung.« Über die Herkunft dieses Geldes gab es nur Prozentangaben, wie etwa die Einnahme von 45,5 Prozent harter Währung und 96,1 Prozent sozialistischer Währungen, »durch Ankauf bei der Staatsbank gemäß bestätigtem Plan entsprechend den in der DDR geltenden Grundsätzen«.
Nach der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 war es Sache der neuen Koalitionsregierung unter Führung der CDU, die Vermögensverhältnisse der PDS aufzuklären. Sie setzte dazu die »Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR« (UKPV) ein. Diese nahm am 1. Juni 1990 ihre Tätigkeit auf und arbeitete bis zum 15. Dezember 2006.
Ihr Ermittlungsauftrag bestand zunächst darin, zu prüfen, ob die Parteien und Massenorganisationen der DDR ihr Vermögen rechtmäßig erworben hatten. Um das in Erfahrung zu bringen, hatte bereits die von Hans Modrow (PDS) geführte Regierung am 21. Februar 1990 das »Gesetz über Parteien und andere politische Vereinigungen« erlassen. Es verpflichtete diese – darunter natürlich auch die PDS – dazu, einmal im Jahr einen Rechenschaftsbericht abzugeben.
Daran hielten sich die SED-Nachfolger nicht. Deshalb änderte die Koalitionsregierung das Parteiengesetz in drei wichtigen Punkten. Ministerpräsident Lothar de Maizière beauftragte die Kommission mit der Ermittlung und Überprüfung der betroffenen Vermögen. Sie bekam dazu die gleichen Rechte der Beweisaufnahme wie ein Staatsanwalt. Zum Zweiten wurden die Parteien und Massenorganisationen verpflichtet, der Kommission Auskunft über die Entwicklung ihres Vermögens seit 1945 zu erteilen und ihr eine Vermögensübersicht zum 7. Oktober 1989 vorzulegen. Der dritte Punkt bestimmte, dass sie über ihr per 7. Oktober 1989 vorhandenes Vermögen, nun »Altvermögen« genannt, ab 1. Juni 1990 nur noch mit Zustimmung der Kommission verfügen durften. Das neue Gesetz enthielt jedoch keine Sanktionen für den Fall des Verstoßes gegen diese Pflichten und keine Bestimmungen darüber, welche Vermögenswerte die Parteien und Massenorganisationen künftig behalten dürften.
Die Kommission stellte zum 1. Oktober 1989 allein bei der SED ein Geldvermögen von 6,2 Milliarden DDR-Mark fest. Hinzu kam das Vermögen der Parteibetriebe, das erst nach und nach entdeckt wurde. In der Gesamtsumme an Geld, ohne die Firmen, war ein sogenannter »Sonderfonds« von 3,5 Milliarden DDR-Mark und ein »Valutafonds« von 80 Millionen Valutamark enthalten. All das war gut getarnt, denn das Geld lag auf verschiedenen Nummernkonten bei der Deutschen Handelsbank AG. Diese Konten wurden außerhalb der Parteibilanz geführt. Ein Hauptkonto des »Sonderfonds« wies als Kontoinhaber nicht die SED, sondern die Staatsbank der DDR aus. Damit war dieser Teil des Geldes von vornherein als »schwarze Kasse« angelegt.
In den dreiundzwanzig Monaten vom 1. Oktober 1989 bis zum 31. August 1991 – dem Zeitpunkt, zu dem das Altvermögen der SED vom Neuvermögen der PDS offiziell getrennt wurde – verringerte sich das Vermögen von rund 6.200.000.000 DDR-Mark auf nur noch 205.700.000 DDR-Mark. Fast 97 Prozent des Geldes waren also schnell ausgegeben worden, der Löwenanteil vor der Währungsunion am 1. Juli 1990.
Im Dezember 2006 vermeldete die UKPV, dass sie mehr als 1,6 Milliarden Euro aus dem Vermögen der früheren Parteien und Massenorganisationen der DDR nachträglich eintreiben konnte. Sie wurden für den Aufbau Ost verwendet. Zum Verhalten der PDS zog Christian von Hammerstein für die UKPV das Fazit: »Sie hat gezielt und systematisch versucht, riesige Millionenbeträge vor dem staatlichen Zugriff zu sichern … (und) … musste regelmäßig eher gezwungen werden, als dass sie den gesetzlichen Verpflichtungen von sich aus nachgekommen wäre.«
Die Geste mit dem Besen auf dem Sonderparteitag der SED im Dezember 1989 war wohl nicht so ernst gemeint. Fünfundzwanzig Jahre später blieb die Suche nach dem historischen Stück erfolglos. Bei der heutigen Partei DIE LINKE hieß es, er sei spurlos verschwunden. »Seine Aufgabe hatte sich ja auch erledigt«, meinte Gregor Gysi. Darüber gibt es allerdings bis heute geteilte Meinungen.
War die DM ein Geschenk?
Am 23. Mai 1990 nahmen die im Ausschuss »Deutsche Einheit« tätigen Abgeordneten der Volkskammer als Gäste an der Bundestagsdebatte über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion im Bonner Wasserwerk teil. Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) betonte, dass der Westen den Landsleuten im Osten drei wichtige Dinge »gebe«: Die Erfahrungen und Regeln einer erprobten Marktwirtschaft, das internationale Ansehen eines erfolgreichen Industriestaats und eine Währung, die weltweit anerkannt und begehrt ist. Um all das zu erreichen, brauche man ansonsten eine jahrzehntelange Entwicklung.
Das klang nach einem Geschenk. Und manche im Osten schienen es auch so zu empfinden. In dankbarer Demut verkündete CDU-Staatssekretär Günther Krause: »Ich freue mich schon darauf, nach dem 1. Juli mit meinen Kindern jeden Abend eine Büchse Ananas essen zu können. Die wird dann nämlich ganz billig sein.«
Ganz so naiv sah man es im Westen nicht. Im Alleingang hatte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) am 28. November 1989 einen Zehn-Punkte-Plan zur Vereinigung Deutschlands und Europas vorgestellt. Für Ost- wie Westdeutsche kam er ebenso überraschend wie für die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs und das gesamte restliche Ausland. Der Weg zur Einheit schien trotzdem noch unklar.
Mitte Januar 1990 schlug Ingrid Matthäus-Maier, die finanzpolitische Sprecherin der SPD, in der Wochenzeitung Die Zeit vor, bis 1991 im Rahmen einer Wirtschafts- und Währungsunion die DDR-Mark durch die DM zu ersetzen. Die meisten Politiker und Ökonomen plädierten stattdessen für eine schrittweise Reform mit einer Übergangszeit zu festen Wechselkursen. Am 23. Januar 1990 meldete die Nachrichtenagentur AP: »Nach Auffassung von Bundesfinanzminister Theo Waigel besteht derzeit keine Möglichkeit für eine Union der Währungen beider deutscher Staaten … Als Bedingungen nannte Waigel ähnliche Wirtschaftsorganisation und -gesetzgebung, ein harmonisiertes Steuerrecht, eine vergleichbare Wettbewerbspolitik sowie eine richtig abgestimmte Geld- und Geldangebotspolitik.«
Doch sowohl im Westen als auch im Osten entstand nach dem Mauerfall am 9. November 1989 eine ungeahnte Dynamik. Allein im Januar 1990 zogen rund 70.000 DDR-Bürger in die Bundesrepublik um. Dort schuf dieser Zuzug wachsende Integrationsprobleme. Der spätere Bundespräsident Horst Köhler (CDU), damals Leiter der Abteilung »Geld und Kredit« im Bundesfinanzministerium und ab 1. Januar 1990 Staatssekretär, suchte nach einem Ausweg, denn in der DDR forderten die Demonstranten lautstark: »Kommt die DM, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!« Er bat seinen Ministerialrat Thilo Sarrazin (SPD), einmal aufzuschreiben, wie eine Währungsunion aussehen könnte. Am 29. Januar legte Sarrazin seine vierzehnseitigen »Gedanken zu einer unverzüglichen Einbeziehung der DDR in den D-Mark-Währungsraum« vor. Das Papier wurde dem Bundeskanzler unterbreitet.
Am 1. Februar 1990 schwenkte auch DDR-Ministerpräsident Hans Modrow auf Einheitskurs und verkündete: »Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten rückt auf die Tagesordnung.«
Damit zeigte sich eine bis dahin ungekannte Interessenübereinstimmung von West und Ost. »Deutschland einig Vaterland« schien sowohl die am weichsten mögliche Landung aus der Krise in der DDR als auch der Hebel zum Kontrollieren der Schleusen in die Bundesrepublik zu sein.
Dagegen wurde heftig polemisiert. Die Frankfurter Rundschau schrieb zum Beispiel am 23. Januar 1990: »Es ist zudem unredlich, wie Matthäus-Maier durch das Gerede von einer Währungsunion im anderen deutschen Staat Hoffnungen zu wecken und dann Prämissen zu formulieren, die auf absehbare Zeit nicht erfüllbar sind. Die vage Aussicht auf eine gemeinsame Mark im Jahre 1993 ist im Übrigen nicht geeignet, den Übersiedlerstrom jetzt zu stoppen.«
In den folgenden Tagen waren die Zeitungen voll von Stimmen, die betonten, wie »unrealistisch« und »falsch« eine rasche Währungsunion wäre – bis am 6. Februar 1990 Bundeskanzler Helmut Kohl ankündigte, darüber Verhandlungen führen zu wollen: »Angesichts der Dramatik des Problems halte ich diesen Weg für den jetzt notwendigen.« Wenig später schrieben ihm die »Wirtschaftsweisen«: »Wir halten die rasche Verwirklichung der Währungsunion für das falsche Mittel, um dem Strom von Übersiedlern Einhalt zu gebieten.« Doch der Kanzler hatte sich entschieden.
Immer mehr Demonstranten fordern nach dem Fall der Mauer die Einführung der D-Mark in der DDR, wie dieses Paar auf der Leipziger Montagsdemonstration am 12. Februar 1990. (picture alliance / dpa – Bildarchiv / Wolfgang Weihs)
In der DDR wurden die ersten freien Wahlen vom geplanten 5. Mai auf den 18. März 1990 vorverlegt, und Ministerpräsident Hans Modrow wusste: »Damals deutete sich unmissverständlich an, dass nach den Wahlen eine andere Regierung die Amtsgeschäfte übernehmen und sich ein politisches Zusammengehen mit der BRD beschleunigen würde.«
Trotzdem reiste er mit den aus der DDR-Bürgerbewegung kommenden Ministern seiner Koalitionsregierung am 13. und 14. Februar 1990 nach Bonn. Ein Ziel war es, die Bundesrepublik zur Zahlung eines »Solidarbeitrags von 10 bis 15 Milliarden Mark für die DDR« zu bewegen. Diese Bemühungen liefen nach der Entscheidung für eine schnelle Einführung der DM in der DDR ins Leere. Wirtschaftsministerin Christa Luft (SED-PDS) musste enttäuscht feststellen: »Als Beteiligte erkannte ich an Ort und Stelle, dass es nicht mehr um ein Zusammenwachsen beider deutscher Staaten über eine Vertragsgemeinschaft und eine Konföderation ging. Nur ob Anschluss oder Beitritt der DDR zur BRD, darüber waren die Würfel noch nicht gefallen.«
Bundeskanzler Helmut Kohl hatte beide Optionen. Sie waren nicht das Verdienst seiner, sondern das Ergebnis der gescheiterten SED-Politik.
Der DDR-Ministerpräsident Hans Modrow und die DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft am 13. Februar 1990 am runden Tisch im Bonner Kanzleramt. Vertreter beider deutscher Staaten sowie der vier Siegermächte sind zu einer Konferenz über den deutschen Einigungsprozess zusammengetroffen. (picture alliance / dpa – Bildarchiv / Roland Holschneider)
Bereits am 20. Februar 1990 startete die erste Verhandlungsrunde über eine deutsch-deutsche Währungsunion und Wirtschaftsgemeinschaft. Walter Romberg (SPD), als Minister ohne Geschäftsbereich in der Modrow-Regierung und dann ab 12. April 1990 Finanzminister der letzten DDR-Regierung, mahnte unmittelbar nach dem Beginn der Gespräche, dass die Währungsunion die »Möglichkeit einer Übergangsphase« bieten solle, in der auf beiden Seiten »die erforderlichen Anpassungsschritte für einen geordneten Vereinigungsprozess erfolgen«. Am 1. März zitierte ihn die DDR-Nachrichtenagentur Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (ADN): »Auf unserer Seite ist die Bereitschaft dazu augenblicklich größer als die Fähigkeit. Auf der Seite der Bundesrepublik geht man nach meinem Eindruck sehr viel selbstverständlicher davon aus, dass das dortige System die Basis ist, auf der man sich bewegen muss. Deshalb ist die Neigung, sich in unser System hineinzudenken, weniger ausgeprägt.«
Das änderte sich offenbar, denn der Verhandlungsführer West, Hans Tietmeyer, damals Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, erinnerte sich an neue Gedanken nach Beginn der Verhandlungen: »Das begann schon damit, dass auf Wunsch der DDR-Seite neben den Begriffen Währungs- und Wirtschaftsunion auch der Begriff Sozialunion in den Vertragstitel aufgenommen wurde.« Sein Verhandlungspartner Ost war nach der Wahl vom 18. März Günther Krause, Parlamentarischer Staatssekretär beim Ministerpräsidenten. Beide standen unter dem Erfolgsdruck, einen Ausweg aus der Krise in der DDR finden zu müssen.
Dort hatte die Aussicht auf das »richtige Geld« nahezu mystische Züge angenommen. Als der Kohlenträger Hans-Joachim Corsalli am 1. Juli 1990 als erster Ostberliner um 0.02 Uhr seine Westscheine in der Hand hielt, erinnerte die Szene an eine religiöse Zeremonie. Das waren nicht mehr nur Geldscheine, sondern schien auch die Garantie für ein besseres Leben für alle zu sein. Diese Hoffnung erfüllte sich für viele nicht: Zwanzig Jahre nach dem historischen Geldempfang resümierte Hans-Joachim Corsalli, inzwischen geschieden und seit 1993 arbeitslos: »Die D-Mark brachte mir nur Pech. Geld macht nicht glücklich. Kein Geld aber auch nicht.« Manchen ging es ähnlich, den meisten besser.
Damals dachte im Osten kaum jemand daran, dass das neue Geld, ebenso wie die durch die Währungsumstellung erheblich aufgewerteten Löhne und Gehälter, finanziert werden musste. Im Westen schon. In Vorbereitung des Vertrags zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion erklärte Bundesfinanzminister Theo Waigel am 22. Mai 1990: »Die DDR wird das frühere, angeblich volkseigene Vermögen in die Finanzierung der Vereinigung, insbesondere in die Neustrukturierung und Sanierung der Wirtschaftsunternehmen investieren.«
Die Einführung der DM war somit kein Geschenk, sondern der Preis für die schnelle Einheit, der von West und Ost gezahlt wurde. Dennoch begünstigte die harte Währung die DDR-Bürger ganz erheblich und machte so den reibungslosen Weg in die Einheit möglich. Die Geschichte hatte entschieden, auch wenn bis heute darüber gestritten wird.
Auf dem Weg zur deutschen Einheit: Bundesfinanzminister Theo Waigel mit einer symbolischen D-Mark-Münze anlässlich der deutschen Währungsunion. Am 1. Juli 1990 ist die westdeutsche D-Mark als offizielles Zahlungsmittel in der DDR eingeführt. (picture alliance /AP Images /Jockel Finck)
Wie erfolgte die Umrechnung von Ost- in Westmark?
Der offizielle Kurs zwischen DDR- und D-Mark betrug stets 1 zu 1. Dass das eine reine Fiktion war, merkten Westberlinbesucher schon vor dem Mauerbau 1961. In den zahlreichen Wechselstuben rund um den Bahnhof Zoo mussten sie – je nach Angebot und Nachfrage – zwischen 4,50 und 6 Ostmark für 1 Westmark zahlen. Dieser von der DDR sogenannte »Schwindelkurs« gehörte zu den Gründen des Mauerbaus.
Als sie am 9. November 1989 fiel, pegelte sich der Tageskurs nach einer Statistik der Deutschen Verkehrs-Kredit-Bank (DVKB) im Laufe des Monats von Spitzen bei 1 zu 16 im Verkauf und 1 zu 13 im Ankauf auf eine Spanne zwischen 13,50 zu 10,50 ein. Trotz dieses ungünstigen Kurses verschwanden zwischen dem 9. und 18. November rund drei Milliarden DDR-Mark, die illegal in DM getauscht wurden.
Dass der offiziell deklarierte Gleichstand der Ost- und Westwährung eine Fiktion war, wusste man auch in der DDR. In ihren letzten Jahren musste sie 4,40 DDR-Mark aufbringen, um 1 DM im Westen zu erlösen. Als Ingrid Matthäus-Maier, die finanzpolitische Sprecherin der SPD, Mitte Januar 1990 erstmals den Gedanken einer Wirtschafts- und Währungsunion der beiden deutschen Staaten äußerte, hielt sie deshalb auch einen möglichen Umtauschkurs im Verhältnis von 5 DDR-Mark zu 1 DM für angemessen. Das schienen die ersten praktischen Erfahrungen zu bestätigen. Am 1. März 1990 berichtete die Berliner Zeitung vom Schwarzhandel Ost- gegen Westmark: »Der Kurs pendelt sich ein. Die Angebote von gestern am Zoo – 1:5, auf dem Alex 1:5. Noch vor Wochen hätte man für eine D-Mark 16 Mark hinblättern müssen.«
Verschmähte Währung – Geldscheine und Münzen der DDR (picture alliance /dpa-Zentralbild /Peter Zimmermann)
Inzwischen ging es jedoch nicht mehr nur um Geld für einen ersten Urlaub oder ein paar Einkäufe, sondern die Umwandlung der gesamten DDR-Währung. Damit stellte sich die Frage nach der künftigen Höhe der Löhne und Gehälter. Klar war, dass mit der Einführung der DM die Subventionen für Miete, öffentlichen Verkehr, Grundnahrungsmittel, Kinderbedarf und vieles andere – damals »zweite Lohntüte« genannt – wegfallen würde. Mit Blick auf die kommende Währungsunion forderten deshalb Tausende Demonstranten: »Nur eins zu eins macht eins!«
Begehrte Währung – Scheine und Münzen der Deutschen Mark (picture alliance / ZB – Fotoreport / Nestor Bachmann)
Gleich zu Beginn der Verhandlungen dazu machte der damalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Hans Tietmeyer, seinen ostdeutschen Kollegen deutlich, wie er das sah. Klaus Reichenbach (CDU), Minister im Amt des DDR-Ministerpräsidenten, war dabei: »Tietmeyer hat uns vorgerechnet, die Umtauschsache kann nur 1:10 laufen, ganz klar … Und da haben wir gesagt: ›Herr Tietmeyer, überlegen Sie mal, was eine Rentnerin jetzt hier bei uns bekommt. Wenn wir 1:10 umtauschen wollen, wie wollen wir das überhaupt machen?‹ Also, wir haben in den ersten zwei Sitzungen um die Größenordnung gewürfelt, bis dann der Bundeskanzler Kohl eindeutig gesagt hat: ›Es wird keine wirtschaftliche Entscheidung, diese Wirtschafts- und Währungsunion, es wird eine politische Entscheidung! Unsere Kriegskassen sind voll!‹«
Darauf baute die Bundesregierung bereits, als sie Anfang 1990 mit der Modrow-Regierung einen Fonds für die Bereitstellung von Reisezahlungsmitteln für die DDR-Bürger im Jahr 1990 vereinbarte. Dazu kamen die Verhandlungspartner überein: Jeder Bürger hat pro Jahr Anspruch auf den Erwerb von 200 DM. Dabei werden 100 DDR-Mark zum Kurs 1 zu 1 und weitere 100 DDR-Mark zum Kurs 1 zu 5 in DM getauscht. Das war praktisch ein Probelauf für die künftige Währungsunion, denn unterm Strich ergab sich so ein Wechselkurs von 3 DDR-Mark zu 1 DM.
Diese Umtauschaktion wurde von vielen genutzt. Am 1. März 1990 berichtete die Berliner Zeitung über das Geschehen vor Ort: »Seit 1. Januar haben 1,1 Millionen DDR-Bürger in den Filialen Berlins den Umtausch von 100 Mark gegen 100 D-Mark in Anspruch genommen. Etwas zurückhaltender das Verhalten beim ›zweiten Satz‹ von 5:1, den jeder Zweite nutzte.«
Nachdem die politische Entscheidung über die Währungsunion zugunsten der DDR gefallen war, ging es um die Details. Wolfgang Schäuble (CDU), damals als Innenminister Verhandlungsführer der Bundesregierung beim Einigungsvertrag, erinnerte sich: »Rasch zeichnete sich ab, dass generell im Verhältnis 2:1 umgestellt werden sollte. Nach entsprechenden Festlegungen im Wahlkampf zur Volkskammerwahl war allerdings klar, dass pro Person ein bestimmter Betrag, eventuell sozial gestaffelt, im Verhältnis 1:1 umgetauscht werden konnte.«
Den Grund für die darauf folgende Bevorzugung von Rentnern nannte der letzte DDR-Ministerpräsident, Lothar de Maizière: »Ich habe dem Kohl damals gesagt, das ist eine Riesenwählerschaft, die wir da verprellen, wenn wir denen also ihr Geld wegnehmen. Das begreift ein Kanzler wie Kohl immer, wenn es um Wählerstimmen geht.«
Am Ende wurde beschlossen, jedem DDR-Bürger 4.000 Mark – Kindern bis zu sechzehn Jahren 2.000 Mark und Rentnern 6.000 Mark – zum Kurs von 1 zu 1 in DM umzutauschen. Der Rest wurde 2 zu 1 umgestellt, allerdings mit der Option, dass nachgebessert werden könnte, wenn aus dem DDR-Volksvermögen nach dessen Abrechnung noch etwas übrig sei. Das war dann jedoch nicht der Fall.
Für die 160 Milliarden Mark Sparguthaben der Bevölkerung – im statistischen Schnitt 9.600 DDR-Mark pro Kopf –, zu denen noch knapp 20 Milliarden Ansparguthaben aus Versicherungen kamen, ließ sich diese massive Aufwertung verkraften. Lothar de Maizière: »Aus denen sind 120 Milliarden DM Kaufkraft geworden, die ganz überwiegend den westdeutschen Produkten zugutegekommen ist.« Ein Beispiel: In der DDR wurden pro Jahr insgesamt rund 80.000 Kraftfahrzeuge zugelassen. Allein in den gut drei Monaten zwischen Währungsunion und Einheit waren es 450.000 private Pkw.
Doch wie sah es bei den laufenden Einkommen aus? Wolfgang Schäuble: »Die schwierigste Frage war das Umstellungsverhältnis für Löhne, Gehälter und Renten. Bundesbank und Finanzministerium plädierten für eine Relation von 2:1.« Dabei wussten alle Beteiligten, dass in diesem Fall soziale Aufbesserungen sowohl bei den Löhnen und Gehältern als auch bei den Renten notwendig werden würden.
Dennoch hätte die augenscheinliche Halbierung der Einkommen mit dem Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ab 1. Juli 1990 den Weg in die Einheit unkalkulierbar behindert. Sie stieß in der DDR auf massiven Widerstand. Es wurde befürchtet, die DDR-Bürger würden sich von Anfang an als »Deutsche zweiter Klasse« fühlen, wenn sie nicht nur erheblich weniger als ihre Landsleute West in der Lohntüte hätten, sondern ihre ohnehin schon bescheidenen DDR-Gehälter auch noch gekappt würden.
Deshalb musste ein anderer Weg gefunden werden. Das geschah, indem mit den Löhnen auch die im Westen üblichen Abgaben kamen. Deren Struktur kannte im Osten niemand. Deshalb blieb weitgehend verborgen, dass der Umtauschkurs rechnerisch am Ende doch fast bei 2 Ost- zu 1 Westmark lag. Darauf verwies Wolfgang Schäuble in seinem Resümee der Vertragsverhandlungen: »Da mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion allerdings Steuern und Sozialabgaben auf Löhne und Gehälter eingeführt wurden, war im Ergebnis der Unterschied dieses Umtauschkurses [von 1 zu 1 bei Löhnen und Gehältern, Anm. d. Verf.] zu dem eines Verhältnisses von 2:1 bei entsprechenden Aufbesserungen eher marginal. Der Unterschied lag in der psychologischen Wirkung auf die Menschen in der DDR.« Anlässlich des fünfundzwanzigsten Jahrestags der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion bestätigte auch der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel: »Unterm Strich hatten wir einen Umtauschkurs von 1 zu 1,8. Das war ziemlich nahe an dem Vorschlag der Bundesbank, die damals 1 zu 2 für das richtige Verhältnis gehalten hatte.«
Dass das alles dennoch gravierende politische Konsequenzen haben würde, war im Osten wie im Westen bekannt. Richard Schröder, damals Fraktionschef der SPD in der Volkskammer, fasste es so zusammen: »Wir waren der Meinung, dass die Währungsunion den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft nicht bewirken, sondern verschärfen werde. […] Wir wussten, dass der Staat DDR in Devisen hoch verschuldet ist und da nicht aus eigener Macht herauskommen kann. Dann habe ich zu der Währungsunion gesagt: ›Lieber mit ruinierter Wirtschaft in die Einheit als ohne Einheit mit ruinierter Wirtschaft.‹«