Kitabı oku: «Leben nach der DDR», sayfa 3

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War der Umtauschkurs falsch?

Der Umtauschkurs von einer DM zu zwei DDR-Mark sei falsch gewesen, gehört bis heute zur ökonomischen Kritik der Einheit. Der frühere Präsident der Bundesbank, Karl Otto Pöhl, erklärte nach zehn Jahren Erfahrung: »Es kann heute keinen Zweifel mehr geben, dass dies eine ökonomisch verhängnisvolle Entscheidung war. Alle Betriebe der DDR mussten von einem Tag auf den anderen ihre Löhne und Verpflichtungen in D-Mark bezahlen, die sie nicht hatten und auch nicht verdienten. So wurden damals alle Betriebe schlagartig zahlungsunfähig. Dies wurde dann durch Kredite der Treuhand aufgefangen.« Auf Nachfrage verwies er auf die massive Aufwertung der DDR-Mark durch Einführung der DM um mehr als das Vierfache: »Das kann keine Volkswirtschaft der Welt ohne dramatische Folge verkraften.« Nicht kommentiert wurde bei dieser Bewertung, dass die DDR-Mark eine reine, nicht konvertierbare Binnenwährung war. Sie durfte weder aus- noch eingeführt werden und spielte auf den internationalen Finanzmärkten keinerlei Rolle.

Viele Ökonomen unterschiedlicher politischer Ausrichtung teilen dennoch die Einschätzung, der Kurs sei falsch gewesen. Sie beruht auf der Devisenrentabilität der DDR-Wirtschaft. Im geschlossenen Wirtschaftsraum zwischen den sozialistischen Staaten spielte sie keine große Rolle. Mit der Einheit wechselte die DDR jedoch komplett auf den internationalen Markt. Damit wurde entscheidend, wie viel sie aufwenden musste, um den Gegenwert einer DM zu erlösen. Dieses Verhältnis hatte sich im Laufe der Jahre erheblich zuungunsten der ostdeutschen Wirtschaft verschlechtert. 1970 genügte noch der Einsatz von 1,70 Ostmark, 1976 waren es bereits 2 Mark und 1985 dann 2,50 Mark. Am Ende der DDR musste im Durchschnitt für 4,40 DDR-Mark produziert werden, um 1 DM kassieren zu können. So erklärte sich das vielen DDR-Bürgern bekannte »Verschleudern« der Waren in den Westen.

Die Devisenrentabilität variierte in den einzelnen Branchen. Bis zum Sturz Erich Honeckers blieb sie ein Geheimnis der Außenhändler. Erst im zweiten Halbjahr 1990 wurden die Kennziffern erstmals öffentlich. Das erbrachte ein bedrohliches Ergebnis: Elektrotechnik minus 50,82 Prozent, bei Glas und Keramik minus 70,48 Prozent, im Maschinenbau minus 38,45 Prozent und in der Textilindustrie minus 41,98 Prozent. Diese Zahlen sagen im Grunde, am Beispiel der Elektrotechnik illustriert: Wäre die gesamte Belegschaft dieses Industriezweigs bei voller Bezahlung nach Hause geschickt und die Produktion gestoppt worden, hätte man nur die Hälfte des Verlustes eingefahren, der durch den Verkauf in den Westen entstand. Im Außenhandel der DDR führte das, trotz einer Abfederung durch die Geschäfte mit den sozialistischen Staaten, zu einer erheblichen Einbuße. Erwirtschaftete die Bundesrepublik allein durch die Differenzen zwischen Export- und Importpreisen, den Terms of Trade, zwischen 1971 und 1987 einen Gewinn von 156 Milliarden US-Dollar, machte die DDR im gleichen Zeitraum daraus 22 Milliarden US-Dollar Minus.

Aus währungstechnischer Sicht stellte sich die Einführung der DM ab 1. Juli 1990 so dar: Ein DDR-Produkt, das bis zum 30. Juni 1990 für 1.000 DM auf dem Weltmarkt zu haben war, kostete ab dem 1. Juli 1990, null Uhr, 4.400 DM. Das führte dazu, dass die traditionellen Partner im ostdeutschen Außenhandel – die Sowjetunion und die ehemaligen Ostblockstaaten – in der Noch-DDR nicht mehr einkaufen konnten. Ihnen fehlte einfach das Geld dazu. Hinzu kam noch die internationale Konkurrenz. Auch für die Bundesrepublik war die DDR nicht mehr der »billige Jakob«. Produkte, die vormals die Versandhauskataloge von Quelle bis Neckermann füllten, machten einen Preissprung. Die Folge: Sie wurden nicht mehr gekauft.

Vor diesem Hintergrund polemisierten Publizisten im Westen noch jahrelang gegen den Umtauschkurs bei der Währungsunion. Fernsehjournalist Wolfgang Herles nahm die Stimmung auf und nannte ihn einen »Fabelkurs«, der »die Ausschaltung der Vernunft als Maßstab der Politik« gewesen sei. Das sah der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière ganz anders: »Es gingen nach dem Fall der Mauer täglich zwei- bis dreitausend Menschen, und wir mussten irgendwelche Signale für Bleibehoffnung setzen … Als wir dann am 18. Mai den Vertrag über die Währungsunion unterschrieben haben, ebbte dieser Exodus wirklich ab, es waren noch zweitausend pro Woche, immer noch zu viel, aber die unmittelbare Drohung des Leerlaufens war gebannt damit.«

Mit einer massiven Wiederaufnahme der Wanderung aus der DDR in den Westen wäre zu rechnen gewesen, hätte man auch nur erwogen, Löhne, Gehälter und Renten anders als 1 zu 1 umzustellen. Der Grund lag darin, dass ein Facharbeiter nur etwa 48 Prozent des Westlohns bekam. Für das gesamte DDR-Lohngefüge berechnete das Statistische Bundesamt 1990 ein Niveau von unter einem Drittel im Vergleich zum Westen. Erfahrungen besagten, dass abhängig Beschäftigte ihre Koffer packen, wenn ihr Einkommen 70 Prozent dessen unterschreitet, was sie anderswo bekommen würden. Eine Währungsunion wäre damit zum Motor des Weglaufens geworden.

Eine recht abenteuerliche Kritik am Umtauschkurs gab es auch von östlicher Seite. Sie verwies auf die hohe Kaufkraft der DDR-Mark im Land. Schließlich kostete ein Brötchen nur fünf Pfennige, der Eisenbahnkilometer und die Kilowattstunde Strom acht Pfennige und die Miete höchstens 1,25 Mark pro Quadratmeter mit »Vollkomfort«. Daraus folgte die Behauptung, eigentlich sei die DDR-Mark mehr wert als die DM. Sie knüpfte an die jahrelange Propaganda gegen den »Schwindelkurs« an, die immer dann ihre Höhepunkte erlebte, wenn es um die Begründung eines höheren »Mindestumtauschs« für Westbesucher ging. So schrieb zum Beispiel Neues Deutschland am 15. Oktober 1980: »Bereits vor fünf Jahren betrug die Kaufkraft der Mark der DDR 1,09 Mark der BRD, das heutige Verhältnis beträgt 1:1,29. Im Reiseverkehr ist dieses Verhältnis infolge besonders großer Preisunterschiede für Dienstleistungen sogar 1:2,30.« Diese Rechnung entstand durch den Vergleich subventionierter DDR-Waren mit Westpreisen und umfasste damit nicht die tatsächlichen Lebenshaltungskosten.

Im Zusammenhang mit der Währungsunion gab es aber auch eine Zahl, die vordergründig überzeugend klang. Es wurde moniert, dass den DDR-Bürgern durch den Umtauschanteil von 1 zu 2 insgesamt eine Summe von etwa 64,3 Milliarden Mark verlorenging. Auf die Einwohner umgerechnet, machte das rund 4.000 DM pro Person. Daraus folgte die Schlussfolgerung, eigentlich hätte es für 1 DDR-Mark etwa 1,50 DM geben müssen.

Das war eine klassische »Milchmädchenrechnung«. Sie ignorierte die Art des Wirtschaftens in der DDR. »Stabile Preise«, später modifiziert in »stabile Preise für den Grundbedarf«, gehörten zum politischen Fundament. Die Differenz zwischen den tatsächlichen Preisen für Waren und Dienstleistungen kam aus Subventionen. Diese wiederum waren ein realer Einkommensbestandteil, »zweite Lohntüte« genannt. Die Betriebe mussten 70 Prozent der Bruttolohnsumme an den »Gesellschaftlichen Fonds« des Staates abführen. Die Arbeitenden blieben so von der Finanzierung der gesamten Staatsausgaben entlastet. Im Gegenzug war ihr Lohn im Vergleich zum Westlohn kärglich. Allein die Subventionen auf Nahrungsmittel werteten sie jedoch bereits um etwa 19,6 Prozent auf.


Neue Währung, neue Preise: Einen Korb frischer »Ost-Schrippen« bietet diese Verkäuferin aus einem Bäckerladen im Ostberliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg Anfang der 1990er Jahre an. Die knusprigen Brötchen – nach DDR-Rezept ausschließlich mit Hefe gebacken – kosten pro Stück 28 Pfennige. In der DDR kostete ein subventioniertes Brötchen 5 Pfennige. (picture alliance / dpa – Report / Peer Grimm)

Auch die Umstellung der Sparguthaben und Lebensversicherungen blieb eine Ausnahme im Transformationsprozess Osteuropas. In den einstigen »sozialistischen Bruderländern« fraß sie die Inflation, um so die Staatsschulden zu tilgen. In der DDR wurden sie durch den Umtausch gerettet. Es hätte auch anders kommen können. Lothar de Maizière erinnerte sich an die Lage 1990: »Die 160 Milliarden Mark Ersparnisse der DDR-Bevölkerung waren durch nichts abgedeckt.« Auch die Versicherungsguthaben von etwa 20 Milliarden Mark waren verbraucht worden. Dass die DDR über Jahrzehnte bei den eigenen Bürgern hatte anschreiben lassen, bestätigte Günter Schabowski als Mitglied des Politbüros der SED: »Die DDR stand mit rund 200 Milliarden Ostmark in der Kreide, wodurch praktisch alle Sparguthaben der DDR-Bürger wertlos waren.« Dass die Guthaben der DDR-Bürger trotzdem zu DM-Konten wurden, verdankten sie der Einheit. In ihrem gesamten Volumen entsprachen sie ungefähr der jährlichen Zuwachsrate westdeutscher Sparer.

Bei einer Betrachtung aller Aspekte des Umtauschkurses der DDR-Mark in DM kann es kein wirtschaftliches, sondern nur ein politisches Fazit geben. Es wurde ein Kompromiss gefunden, der im Westen finanzierbar und im Osten tragbar war. Er rechtfertigte sich mit dem schnellen Start in die Einheit, schuf aber auch Probleme, die 1990 kaum jemand vermutete. Sie finden bis heute im mühsamen Angleichungsprozess der Lebensverhältnisse in Ost und West ihren Ausdruck.

Wer hatte den Daumen auf der DDR-Kasse?

Es ist eine vergessene Geschichte. Mit der Bildung der letzten DDR-Regierung nach der Wahl vom 18. März 1990 endete das selbständige Wirtschaften des Landes. Seit der Amtsaufnahme des SPD-Finanzministers Walter Romberg wurde jeden Morgen um neun Uhr in der »Ständigen Arbeitsgruppe Liquidität« ein Kassensturz gemacht. Dabei rechnete man Steuereinnahmen und Kredite zusammen. Jeweils am Freitag gab es dann eine Runde, um eine Vorschau auf Ausgaben und Einnahmen zu erarbeiten und damit einen Staatsbankrott der DDR zu verhindern. So entstanden monatliche Kassenpläne – es ging nur noch von der Hand in den Mund.

Sehr schnell tauchten im Ostberliner Finanzministerium »Leihbeamte« aus Bonn auf, die dem Bundesfinanzminister Theo Waigel berichtspflichtig waren. Dennoch warf er Walter Romberg mehrfach vor, die DDR-Seite habe ihn nicht rechtzeitig und umfassend informiert. Das wies Romberg zurück: »In Bonn wusste man zu jeder Zeit und zu jeder einzelnen Frage detailliert Bescheid.« Und er spürte, dass er nur noch eine Marionette war.

Über das hinter dem Druck aus Bonn stehende Parteiengerangel sprach der SPD-Politiker Walter Romberg erst nach der Einheit: »Regine Hildebrandt und ich haben immer wieder auf die katastrophale Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Osten hingewiesen. Aus Bonn kam eine Menge von Zweckoptimismus, den ich nicht teilte. Ich wollte den nach dem 1. Juli abzusehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch nicht mit schönen Worten überdecken. Außerdem waren Regine Hildebrandt und ich ja Sozialdemokraten und als solche ohnehin ein Feindbild.«


Ostberlin, 1. Juli 1990, im Haus des DDR-Ministerrats: Vor dem Schriftzug »Die Regierung der DDR informiert. Start in die soziale Marktwirtschaft« geben sich Bundesfinanzminister Theo Waigel (rechts) und DDR-Finanzminister Walter Romberg bei einer Pressekonferenz zur Währungsumstellung die Hand. Im Hintergrund links – im geblümten Kleid – die stellvertretende DDR-Regierungssprecherin Angela Merkel. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)

Wie harsch der DDR-Finanzminister aus Bonn reglementiert wurde, belegt ein Brief von Bundesfinanzminister Theo Waigel vom 28. Juni 1990, also zwei Tage vor dem Einzug der DM:

»Sehr geehrter Herr Kollege,

eine Pressemeldung vom heutigen Tage, nach der Sie für den Staatshaushalt von einem Haushaltsdefizit für das zweite Halbjahr 1990 von 35 Mrd. DM ausgehen, gibt mir Veranlassung, Ihnen meine tiefe Sorge über den unter Ihrer Verantwortung aufzustellenden Entwurf des Staatshaushaltes für das 2. Halbjahr 1990 mitzuteilen. Ich halte die Bekanntgabe einer derartigen Einschätzung, die mit mir als dem für eine eventuelle Erhöhung der Kreditobergrenze zuständigen Minister nicht abgestimmt worden ist, für wenig hilfreich.

Nach der Beurteilung meiner Mitarbeiter aus der Haushaltsabteilung sollte es bei der gebotenen äußerst strengen Ausgabedisziplin möglich sein, die derzeit bestehenden Mehrforderungen der Ressorts zu reduzieren und die finanziellen Eckwerte des Staatsvertrages, den ich sehr ernst nehme, einzuhalten.

Ich würde es deshalb begrüßen, wenn Sie in der für die kommende Woche vorgesehenen Vorlage an den Ministerrat ein Kürzungskonzept vorlegen, das zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt für das 2. Halbjahr 1990 führt. Dabei gehe ich davon aus, dass die Vorlage entsprechend der bisherigen Übung mit meiner Haushaltsabteilung abgestimmt wird.«

Dass die entscheidenden Weichen von denen gestellt wurden, die nun das Geld besaßen, belegt auch »ein weiteres Problem«, das Theo Waigel im gleichen Schreiben ansprach:

»Ich meine, dass Löhne und Gehälter nach dem 1. Juli nur in einer produktivitätsorientierten Weise angehoben werden sollten. Für den öffentlichen Bereich, der – wie Sie wissen – personell stark überbesetzt ist, können m. E. keine Steigerungen im Haushalt 1990 verkraftet werden. Ich befürchte deshalb, dass kostenwirksame Ministerratsbeschlüsse, wie z. B. über den Rahmenstrukturplan für Finanzämter, die falschen Zeichen setzen, zumal präjudizielle Auswirkungen auf den gesamten öffentlichen Bereich nicht auszuschließen sein werden. Nach meiner Erfahrung ist es außerdem für den Finanzminister wenig hilfreich, wenn er selbst mit Mehrforderungen in die Ressortauseinandersetzungen gehen muss …

Mit freundlichen Grüßen …«

Dass mit der Währungsunion die Zügel kräftig angezogen wurden, bestätigte Ministerpräsident Lothar de Maizière: »Für das zweite Halbjahr gab es einen Haushaltsplan. Die 63 Milliarden DM Ausgaben waren linear errechnet worden, nur die Exportsubventionen wurden verringert, aber es waren nur 55 Milliarden DM vorhanden, denn 7,9 Prozent hatten wir wegen Mindereinnahmen gesperrt. Die Ausgaben wurden bis zu 32 Milliarden DM durch Transferleistungen finanziert – 22 Milliarden Bundeszuschüsse und 10 Milliarden Bundesbankkredite.«

Die Finanzkrise in der DDR spitzte sich zu. Walter Romberg wies darauf hin, dass die 10 Milliarden DM Bankkredit für 1990 nicht reichen würden, Finanzstaatssekretär Manfred Carstens aus Bonn rechnete den Bedarf herunter und prognostizierte für die neuen Länder bis 1994 eine Kreditnachfrage »bei 24 Milliarden Mark«, der DDR-Finanzminister kalkulierte mit 90 Milliarden Mark. In der zweiten Lesung des Haushalts in der Volkskammer beschwerte sich Walter Romberg: »Nichts von dem, was das Kabinett in den letzten Monaten, immer mit Zustimmung des Bundesfinanzministers, beschlossen hat, wurde mit zusätzlichen Mitteln aus Bonn unterstützt.«

Dort dachte man inzwischen an die bevorstehende gesamtdeutsche Bundestagswahl. SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine drängte die Genossen im Osten, die Koalition mit der CDU aufzukündigen. Richard Schröder, SPD-Fraktionschef in der Volkskammer, weiß es noch: »… wir sollten aus der Koalition austreten. Das Hauptargument war der Wahlkampf. Die Idee, die dahinter stand, fand ich nicht sehr fein: Hier geht es wirtschaftlich den Bach herunter, und wir wollen damit nicht in Zusammenhang gebracht werden.«

Auch Ministerpräsident Lothar de Maizière sah die Ursachen für das Ende seiner Koalition mit der SPD am 16. August 1990 so: »Ein Grund ist, dass im August 1990 Oskar Lafontaine in die Fraktion der Volkskammer kam und sagte: ›Freunde, wir sind im Vorwahlkampf, und Wahlkampf aus einer Koalition heraus ist nicht zu führen. Ihr müsst eben sehen, wie ihr nach Möglichkeit aus der Koalition herauskommt!‹«

Der Hebel dazu lag beim Geld. Der DDR-Ministerpräsident: »Ich hatte eine große Meinungsverschiedenheit mit Walter Romberg. Walter Romberg wollte, dass alle im Osten gezogenen Steuereinnahmen im Osten Deutschlands bleiben, dafür aber auch auf alle Zuschüsse aus dem Westen verzichten. Und ich habe ihm damals gesagt: ›Walter, wir haben keine Bestandssteuer, wir haben keine Vermögenssteuer oder sonst irgendwas, wir haben keine Ertragssteuern, unsere Betriebe haben keine Gelder, die sie versteuern können, wir werden kaum Lohnsteuern haben, weil die Leute so wenig verdienen, dass sie unter den Freisätzen bleiben, also all die üblichen Steuern, die so ausfallen, werden wir nicht ziehen. Hundert Prozent von nichts ist immer noch nichts.‹ Nein, er wäre anderer Ansicht, und er würde anders verhandeln.«

Finanzminister Walter Romberg begründete das: »Natürlich wusste ich auch, dass das Steueraufkommen im Osten nur ein Bruchteil dessen werden würde, was der Westen kassierte. Dort gingen damals 57 Prozent aller Steuern an den Bund. Dadurch sah ich die Entwicklung der angestrebten föderalen Struktur im Osten als gefährdet an.«

Gelöst wurde der Streit, indem Lothar de Maizière auf seine Richtlinienkompetenz als Regierungschef pochte: »Und da habe ich im Beisein der Fraktionsvorsitzenden gesagt: ›Walter, ich gebe dir 24 Stunden Bedenkzeit. Wenn du dich nicht entschließen kannst, die von mir vertretene Verhandlungsposition zu vollziehen, dann muss ich dich ablösen.‹«

So geschah es. Walter Romberg: »Wir haben noch einmal telefoniert. Der Ministerpräsident rief mich an, weil ich mich nicht gemeldet hatte. Am Ende sagte er: ›Dann betrachte dich als abgesetzt.‹ Ein Bote brachte wenig später die Urkunde.«

Daraufhin trat die SPD aus der Koalition der letzten DDR-Regierung aus, und auch der SPD-Fraktionschef Richard Schröder legte sein Amt nieder. Ihm folgte Wolfgang Thierse. Auch er sah den Grund für den Bruch der Koalition in der Übermacht aus Bonn: »Die große Koalition ist ja am Ende auch deshalb geplatzt, weil wir nicht mehr den Eindruck hatten, dass die sozialdemokratischen Minister in der Regierung de Maizière überhaupt angemessen Einfluss nehmen konnten, dass Lothar de Maizière immer stärker von Kohl bestimmt wurde. Die Vereinbarungen galten nicht mehr so, und ich dachte, was ist denn das für ein Spiel? Wir können doch nicht in einer Regierung sein, in einer Koalition, die – nach unserer Wahrnehmung, vielleicht ist das ungerecht, aber sie war damals emotional ganz stark – nur noch instrumentalisiert ist von Helmut Kohl und seiner Regierung.«

Vom Geld aus dem Westen, das der Katalysator für die dramatische Entwicklung im Sommer 1990 war, wurde nicht mehr gesprochen.

Was wurde aus den »Anteilscheinen« am Volkseigentum?

Als die Treuhand am 31. Dezember 1994 ihre Tätigkeit einstellte, übernahmen verschiedene Nachfolger die verbliebenen Aufgaben. Neben einer Gesellschaft zur Verwertung der Liegenschaften und einer für Grund und Boden war die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderausgaben (BvS) der wichtigste noch verbliebene Abwickler. Geregelt wurde ihre noch Jahre dauernde Tätigkeit durch zwei »Treuhandunternehmensübertragungsverordnungen«, ein Wort, das so lang ist, dass es nicht einmal zwischen den Duden-Buchdeckeln Platz findet. Die Kurzform klingt nicht viel besser:»TreuhUntÜV«. Trotzdem schienen sie nötig, denn 2006 berichtete Bernd Halstenberg, damals Chef der BvS, dass er manchmal merkwürdige Briefe bekäme. Sie rankten sich um die meist wütend gestellte Frage, wo denn der persönliche Anteil des Absenders am »Volkseigentum« der DDR geblieben sei, der immer noch nicht auf dem privaten Girokonto eingegangen sei. Die Antwort schrieb der Computer.

Eigentlich war das nur noch eine Erinnerung an den Wahlkampf aus dem Frühjahr 1990, als es um die erste freie Volkskammer der DDR ging. Sie sollte den weiteren Weg in die Einheit bestimmen. Bundeskanzler Helmut Kohl, dessen CDU im Osten das Wahlbündnis »Allianz für Deutschland« geschmiedet hatte, blieb bei der im Westen bewährten Methode und versprach schlichtweg »blühende Landschaften«. Dem wollte die SPD, die sich große Chancen auf die Macht erhoffte, etwas Konkreteres entgegensetzen.

Am 14. März 1990 verkündete sie über die Deutsche Presseagentur (DPA), was geschehen sollte, wenn sie an die Macht käme: »Die DDR-SPD will bei einem Wahlsieg am Sonntag in der DDR an jeden Bürger, vom Säugling bis zum Rentner, Anteilscheine im Nennwert von 40.000 DDR-Mark an Investmentgesellschaften vergeben. Wie die wirtschaftspolitischen Sprecher der Partei in Ost-Berlin vor Journalisten erläuterten, soll damit ein breit gestreutes Eigentum erreicht werden. Ferner soll verhindert werden, dass sich die bisherigen SED-Funktionäre im Wirtschaftsbereich bei einer künftigen Umwandlung volkseigener Betriebe über Sonderrechte bereichern. Es wäre eine ›Perversion‹, wenn jetzt damit angefangen werde, zu verkaufen, was eigentlich den Bürgern gehöre. Die Vergabe von Anteilscheinen sei auch eine Entschädigung für ›29 Jahre Mauer-Haft‹, so die SPD-Sprecher.«

Die Forderung aus dem »Volkseigentum«, über das niemand verfügen konnte, individuellen Besitz zu machen, war bereits am »Zentralen Runden Tisch« entstanden, dem »Nebenparlament« nach dem Sturz der SED. Am 26. Februar 1990 forderten die dort vertretenen Parteien und Bürgerbewegungen die Umwandlung der Rechtsform der volkseigenen Betriebe zu beschleunigen, damit das Eigentum der Bürger gesichert würde.

Diese Notwendigkeit sahen auch die Sozialdemokraten. Die »Fachgruppe Wirtschaftspolitik« der Ost-SPD analysierte in einem Papier unter der Überschrift »Was wir noch haben« die Lage. Sie kam zu dem Schluss, dass alle Besitzer von Grund und Boden beruhigt in die Zukunft sehen könnten. Deren Wert würde auf das Hundertfache steigen. Mit einer Verdreifachung rechneten die SPD-Genossen beim Wert der Immobilien. Immerhin eins zu eins dürften sich Antiquitäten umrechnen. Doch dann stellten die Politiker fest: »Der übergroße Teil unserer Bürger hat nichts von all dem. Die Dinge in unseren Wohnungen und Garagen – Autos, Fernsehgeräte, Waschmaschinen und Möbel – werden nach der Währungsunion bestenfalls noch ein Drittel wert sein. In unserem Land fiel erarbeitetes Sachkapital stets an den Staat, und so kommt es, dass bei uns der Bürger höchstens 20 Prozent aller Werte, der Staat dagegen 80 Prozent besitzt. In der BRD ist dies Verhältnis genau umgekehrt. Abgesehen davon, reichen unser aller Ersparnisse vielleicht für den Erwerb von 10 Prozent allen Eigentums im Lande. Zwingend folgt, dass wir große Teile dieses Eigentums unentgeltlich übertragen müssen, soll es nicht für uns verloren sein. Es wäre außerdem pervers, noch einmal zu bezahlen, was uns de facto bereits gehört.«

Klar war zu jener Zeit bereits, dass mit der DM Subventionen des Staates auf Mieten, Energie, Grundnahrungsmittel, Kinderbekleidung und vieles andere wegfallen würden. Massive Preissteigerungen für die alltäglichen Dinge waren zu erwarten. Um sie abzufangen, sollte – so die Überlegung der SPD – pro Anteilschein monatlich eine Rendite von etwa drei Prozent gezahlt werden. Einen derartigen Ausgleich hielt man auch im Westen für denkbar. Am 9. Februar 1990 erklärte Finanzminister Theo Waigel, dass »auch an die Ausgabe von Volksaktien« gedacht werden könne. Sechs Tage vor der Volkskammerwahl forderte der konservative Wirtschaftsprofessor Wolfgang Engels die Ausgabe einer unentgeltlichen, nicht übertragbaren »DDR-Aktie«.

Ein paar Leute im Osten machten sich derweil schon einmal Gedanken, wie so eine »DDR-Aktie« aussehen könnte. »Vermögens-Anteil-Urkunde an einem 16 Millionstel Anteil am Volksvermögen der DDR zugunsten, Name, Vorname, geboren am …, ausgegeben am …« würde vorn draufstehen. Dazu gäbe es dann auch noch einen sachdienlichen Hinweis: »Diese Urkunde (und nicht Ihre Ersparnisse) geben Sie in Zahlung, wenn Sie Ihre volkseigene Wohnung als Eigentumswohnung erwerben wollen. Mietwucher wäre dann kein Thema mehr. Wenn Sie ein Gewerbe eröffnen wollen, brauchen Sie Geschäfts- oder Betriebsräume. In einem der vielen unrentablen VEB werden Sie Ihren Raum finden. Sie erwerben ihn mit Ihrer Vermögens­urkunde.«

So sollte verhindert werden, dass die »DDR-Aktie« schnell zum Spekulationsobjekt würde. SPD-Wirtschaftsexperte Horst Schneider erläuterte dazu in der bereits genannten DPA-Meldung: »Die Anteilscheine der Bürger, die erst nach drei bis fünf Jahren handelbar sein dürften, würden treuhänderisch von den Investmentgesellschaften – mit einer Treuhandbank an der Spitze – verwaltet … Die Bank organisiere die Verteilung des Kapitals in Aktiengesellschaften, Immobilien- und Investmentfonds. Ein Verband der Anteilseigner könnte die Vertretung der vielen Eigentümer übernehmen … Vorgesehen sei aber auch, Anteilscheine zu beleihen, so die SPD. Damit wäre Kapital frei für die Gründung von Kleinbetrieben oder die Schaffung von Wohneigentum. Neben dem Eigentum an Kapitalgesellschaften soll es genossenschaftliches ebenso wie unmittelbar persönliches Eigentum geben. Dem neuen Staat soll nur das Verfügungsrecht über Eigentum bleiben, das gesellschaftlichen oder kommunalen Zwecken dient.«

Dass die Träume um die »DDR-Aktie« nur Schäume blieben, lag an der Wahlniederlage der SPD am 18. März 1990. Sie erreichte nur knapp 22 Prozent, die zusammengeschlossenen Bürgerbewegungen lagen bei unter 5 Prozent der Stimmen. Enttäuscht schrieb Günter Nooke, damals Mitglied bei »Demokratie Jetzt«, am 20. Juni 1990 im einstigen »Zentralorgan« der SED, Neues Deutschland: »Das erste aus demokratischen Wahlen hervorgegangene Parlament dieses Landes gab den Freibrief für die Totalenteignung seiner Bürgerinnen und Bürger.«

Die nun gewählte Koalitionsregierung unter Führung der CDU änderte mehrfach das Treuhandgesetz, so dass schließlich die Finanzierung des Wirtschaftsumbaus mit dem verbliebenen »Volkseigentum« im Mittelpunkt stand. Trotzdem wurde noch eine nachträgliche Aufbesserung des Umtauschs der DDR-Sparguthaben erörtert. Ministerpräsident Lothar de Maizière erinnerte sich an eine Bemerkung seines Bonner Beraters Fritz Holzwarth dazu: »Als diese Passage in der Volkskammer diskutiert wurde, befand ich mich … in meinem Büro … Er sagte zu mir, ich solle diesen Quatsch unterbrechen, da die Treuhandanstalt doch nie ein positives Ergebnis erzielen würde, geschweige denn ein solches, das eine nachträgliche Umstellung von Sparguthaben erlauben würde. Ich habe damals Fritz Holzwarth etwas zynisch geantwortet, dass ich den Abgeordneten diese Diskussion lassen wolle. Zumal wir bei der Beendigung der Tätigkeit der Treuhandanstalt ohnehin nicht mehr verantwortlich sein würden.«

Für die DDR-Bürger war der schöne Traum vom großen Geld zur Kannbestimmung geworden. Das Gesetz machte es aber immerhin noch möglich, »dass nach einer Bestandsaufnahme des volkseigenen Vermögens und seiner Ertragsfähigkeit sowie nach seiner vorrangigen Nutzung für Strukturanpassung der Wirtschaft und die Sanierung des Staatshaushaltes den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Währungsumstellung am 2. Juli 1990 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht an volkseigenem Vermögen eingeräumt werden kann«. Diese Verheißung wurde später durch das »Gesetz zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt« vom 9. August 1994 wieder aufgehoben.

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