Kitabı oku: «Einige meiner besten Freunde und Feinde», sayfa 2

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Der intellektuelle Unruhestifter
Wolfgang Pohrt

»Wo Pohrt erscheint, bleiben Proteste nicht aus. Ich kenne keinen zweiten Autor, der es in so kurzer Zeit geschafft hätte, alle, an die er sich wendet, gegen sich zu mobilisieren«, schrieb Henryk M. Broder im Spiegel 1982 in einer Rezension des Buches »Endstation« von Pohrt. Die Leute, die sich von Pohrt auf den Schlips getreten fühlten, weil er ihre geheimen Beweggründe analysierte, ergäben ein beeindruckendes Who's who der beleidigten Kulturschaffenden. Niemand mag es, wenn jemand zerpflückt, was man für einen großartigen und hehren Gedanken hält, der die Welt verbessern würde. Das Echo, das Pohrt hervorrief, war für einen freischaffenden Kritiker und Autor ungewöhnlich. An ihm schieden sich die intellektuellen Geister, ihn hasste die Meinungselite in Deutschland aufrichtig und von ganzem Herzen. »Denunziationen« gegen die neue Bewegung witterte Eckhard Jesse in der Süddeutschen Zeitung. »Larvierte Menschenverachtung« warf ihm Jürgen Manthey in der Frankfurter Rundschau vor. Für den Pflas­terstrand war er ein »Finsterling mit Faschismus-Paranoia«. Ein Jack Zipes fand es in Ästhetik & Kommunikation verheerend, dass Eike Geisel und Pohrt »ihre Wörter wie Waffen benutzen, um ihre Gegner, ob links oder rechts, zu eliminieren oder auszurotten«. Thomas Schmid, heute Chefredakteur der Welt, damals Herausgeber des Freibeuter, leitartikelte: »Der furiose Wolfgang Pohrt, der sechs Millionen ermordete Juden zu seinem Betriebskapital gemacht hat und ebenso scharfrichterlich wie intellektuell unseriös auf alles einschlägt, was er nicht selber ist, ist einer der geistigen Ahnherrn der journalistischen Unkultur.« In die gleiche Kerbe ließ Titanic Yaak Karsunke schlagen, der meinte, Pohrts »beliebiges Hantieren mit dem Grauen als Versatzstück ist zynisch«. Nur der Jean-Améry-Preisträger Lothar Baier, der sich intensiv mit dem Nationalsozialismus befasst hatte, stellte in der Zeit die Frage, wer wohl »in jüngster Zeit ähnlich erhellendes über das KZ-Universum geschrieben hat wie Pohrt«?

Angesichts einer »schwachen Opposition«, die es zu unterstützen gälte, suche Pohrt »die totale Konfronta­tion«, bemängelte Hermann Peter Piwitt in Konkret, während Bärbel Goddar in Radio Bremen die beruhigende Nachricht verbreitete: »Pohrts Buch ist für Intellektuelle geschrieben, es dürfte mit seinen Aussagen die werktätige Bevölkerung kaum erreichen.« Auf seine polemische Thesen wurde in der Regel verärgert und mit Abscheu reagiert. Als Pohrt in Joseph Hubers Buch über die Alternativbewegung Denkmuster eines »potentiellen Faschis­ten« entdeckte und das im Spiegel veröffentlichte, ereiferte sich Robert Jungk: »Der wüste Anschlag von Wolfgang Pohrt auf Joseph Huber hat bei mir assoziativ die Erinnerung an das sinnlose Attentat gegen John Lennon geweckt.« Und Johano Strasser sah einen »geradezu neurotischen Vernichtungswillen« am Werk.

Auch wenn die meisten Kritiker heute niemand mehr kennt, in den Achtzigern gaben sie den Ton an. Der »Magier« Pohrt, wie Franz Josef Degenhardt ihn nannte, war an die Grenze zur Prominenz gestoßen. Aber als sich der Rauch verzogen hatte, sah man keine Leichen auf dem Schlachtfeld der intellektuellen Kontroverse herumliegen, sondern lauter quietschlebendige und rachedurstige Menschen aus dem journalistischen Gewerbe, die im Kulturbetrieb den Ton angaben und die, da sie sich von Pohrts Kritik oft persönlich getroffen fühlten, aus verständlichen Motiven keinen Wert darauf legten, Pohrt länger Gehör zu verschaffen. Redakteure, die seinen Scharfsinn bewunderten, kamen immer seltener auf die Idee, ihn schreiben zu lassen. Dem Leser der Zeit wollte man Pohrt lieber nicht zumuten. Vermutlich aus guten Gründen. Nur für Konkret, die er regelmäßig mit Artikeln belieferte, arbeitete er 1984 vier Monate lang als Redakteur, und Jan Philipp Reemtsma ermöglichte ihm für ein paar Jahre eine Tätigkeit als Privatgelehrter Anfang und Mitte der neunziger Jahre, während die taz ihn als Redakteur ablehnte, weil man befürchtete, dann nicht mehr in Ruhe frühstücken zu können.

1989 gab Pohrt seine »Geschäftsaufgabe« als Ideologiekritiker bekannt. Die Markt­lücke, die sich durch die Protestbewegung aufgetan hatte und die von Leuten wie Schultz-Gerstein beim Spiegel über den Niedergang dieser Bewegung hinaus offen gehalten wurde, gab es nicht mehr. Viel wichtiger jedoch: Der Ideologiekritiker war in den Augen Pohrts obsolet geworden. Der Gegenstand seiner Kritik hatte sich verflüchtigt: eine Bewegung, mit der sich noch auseinanderzusetzen lohnte und die sich noch nicht rückstandslos im nationalen Volkskörper aufgelöst hatte. Die Linke war das Koordinaten- und Bezugssystem Pohrts. 1989 aber kamen die rechten Republikaner ins Berliner Abgeordnetenhaus.

»Wenn also rund acht Jahre, nachdem die Linken in der Bundesrepublik eine nationale Frage überhaupt erst wieder ins Gespräch gebracht hatten unter dem Vorwand, derlei nicht den Rechten überlassen zu wollen, diese Politik schließlich Früchte trägt, und wenn die Früchte dann in den Garten nicht des angemaßten, sondern des rechtmäßigen Besitzers dieser nationalen Frage fallen, so ist für die Ideologiekritik wieder einmal der Zeitpunkt gekommen, wo sie im Bewusstsein, es besser gewusst und dennoch nichts bewirkt zu haben, getrost abdanken kann.«

Die Protestbewegung sei kein Ziel für Polemik mehr, weil sie sich »in einen Gegenstand der allgemeinen anthropologischen Betrachtung« verwandelt habe.

Zehn Jahre hatte Pohrt gegen die Politik der Protestgeneration angeschrieben. Er konnte das deshalb so genau, weil er selbst ein Teil dieser Bewegung war. Er hatte in Frankfurt und Berlin Soziologie studiert, sich mit Marx, Adorno, Horkheimer und Krahl befasst. Er trug die Säulenheiligen der Bewegung jedoch nicht wie eine Mons­tranz vor sich her, um sich durch sie zu immunisieren oder den eigenen Artikeln Bedeutung zu verleihen, sondern Pohrt nutzte ihre Methode und ihr Handwerkszeug, ohne einfach nur ihre Gedanken zu reproduzieren.

1976 erschien seine Dissertation »Theorie des Gebrauchswerts«. An der Lüneburger Uni hielt er Seminare über »Die Aktualität des Faschismus«, »Marx-Kontrover­sen« und über das »Verhältnis von Ohnmacht, Apathie und Wahn im Spätkapitalismus«. Dem glücklichen Umstand, dass die Hochschule seinen Vertrag nicht verlängerte, ist es zu verdanken, dass in Deutschland über Jahre hinweg Polemik auf so hohem Niveau praktiziert wurde.

1980 erschien im Berliner Rotbuch Verlag »Ausverkauf«, der erste Band mit »Pamphleten und Essays«, bzw. »Schubladentexten«, denn niemand hatte Pohrt bis dahin wahrgenommen und veröffentlicht, sieht man von einem Aufsatz über »Wegwerfbeziehungen« ab, der 1974 im Kursbuch erschien. Das änderte sich jetzt. Spätestens nach einer Kritik in der Frankfurter Rundschau von Wolfram Schütte, der im intellektuellen Leben Deutschlands eine nicht ganz unbedeutende Rolle spielte:

»Der Reichtum an Erkenntnissen, Einsichten und Durchblicken, den das Buch in jeder seiner dreizehn Arbeiten enthält und verschwenderisch ausbreitet – oft mit aphoristischer Prägnanz und abgründigem Witz formuliert, die Pohrt auf einen Schlag zu einem unserer besten Polemiker machen –: diese intellektuelle Fülle ist hier gar nicht zu referieren. Von allen essayistischen, zeitkritischen ›Kopfgeburten‹ der letzten Zeit sind deshalb Pohrts Pamphlete und Essays die monströsesten, Kinder des Schreckens, gezeugt von Intelligenz und politischer Moral, aufgezogen von Empörung und Zorn und in die Welt geschickt, um Unruhe zu stiften.«

Im Pathos dieser Zeilen und in der hochtrabenden Formulierung klang jedoch bereits an, dass die neue Freundschaft nicht lange währen würde. Und tatsächlich konnte es sich Pohrt nicht verkneifen, Schütte in einem Brief als »Ehrenretter der Kulturnation« und »Prinz Eisenherz der neudeutschen Kunst« zu verspotten.

In »Ausverkauf« schlägt Pohrt den Ton und die Motive an, die er in den nächsten zehn Jahren in Zeitungsartikeln und Vorträgen umkreisen wird, eine Kampfansage an die deutschen Intellektuellen, denen es immer schwer gefallen ist, »zwischen einer Ergebenheitsadresse und einer Meinung zu unterscheiden«. Das jedenfalls ist der Befund Pohrts, als er die Ereignisse um die Entführung von Hanns-Martin Schleyer 1977 untersucht, die sich als Zäsur innerhalb der Linken erweisen sollten. Damals gaben 123 Professoren und 54 wissenschaftliche Mitarbeiter »ihre Devotion« in der FR kund.

»Diese Professoren, wie alle Linken vom Sozialistischen Büro bis zu den Jungsozialisten, haben vor Angst den Verstand verloren, wenn sie sich heute in die Schlange derer drängeln, die darauf warten, unter den wohlwollenden Blicken der Macht und unter dem Beifall der Menge auch mal auf die Bösewichter spucken zu dürfen.«

Damals noch vom Furor der Moral getrieben, verzichtete Pohrt später auf nebulöse Begriffe wie Macht, weil Macht in der Regel spezifisch ist und einen Namen hat. Aber man merkte, hier schrieb einer mit offenem Messer und keiner, der auf das Bundesverdienstkreuz scharf war und wohl ausgewogene Erörterungen anstellte.

In der öffentlichen Diskussion über Stammheim und Mogadischu ging es Pohrt nicht darum, die RAF zu kritisieren, sondern daran zu erinnern, dass es sich um Leute handelte, »die amerikanische Einrichtungen angegriffen hatten, um dem Bombenterror gegen Vietnam nicht tatenlos zusehen zu müssen«. Es wäre jedoch falsch, Pohrt für einen Sympathisanten der RAF zu halten, die von seiner Kritik nicht verschont wurde, vielmehr ließ er sich in seiner Argumentation davon leiten, dass es weit triftigere Gründe gab, gegen die neue Gleichschaltung der Medien zu polemisieren als gegen Leute, mit denen Pohrt eine gemeinsame Vergangenheit verband, nämlich der Protest gegen das amerikanische Flächenbombardement in Vietnam, und ein gemeinsames Ziel hatte, nämlich die Abschaffung von Verhältnissen, in denen der Mensch ein geknechtetes und unterdrücktes Wesen war. Und aus diesem Grund trat Pohrt immer wieder für eine Amnestie der Gefangenen ein. Dies war das einzige, was man nach Pohrts Überzeugung sinnvollerweise noch tun konnte, das einzige auch, wo die Motive des einzelnen keine Rolle spielten. Und hätte man für ein damals geplantes rororo-aktuell-Bändchen den Papst für eine Amnesti­e­kampagne gewonnen, umso besser, und kein Grund, die Nase zu rümpfen.

Aus dem berechtigten antiimperialistischen Protest wurde jedoch schnell ein antiamerikanisches Ressentiment. Ende Oktober 1981 erschien in der Zeit »Ein Volk, ein Reich, ein Frieden«. Darin beschrieb Pohrt, wie nach der Raketenstationierung aus der Friedensbewegung eine »deutschnationale Erweckungsbewegung« wurde. Als Bei­spiel zitierte er den damals grundguten und als unantastbar geltenden Friedensapostel Gollwitzer, der in einem Leserbrief an den Spiegel geschrieben hatte: »Kein Deutscher kann diese bedingungslose Unterwerfung der Interessen unserer Volkes unter fremde Interessen, diese Auslieferung der Verfügung über die Existenz unseres Volkes an eine fremde Regierung hinnehmen.« Und auch Hermann Peter Piwitt stöhnte in Konkret »herzzerreißend über die Besetzung seiner Heimat durch die ›Yankee-Kul­tur‹«. »Mögen anderswo dem amerikanischen Kultur­imperialismus die tradierten Lebensformen ganzer Nationen zum Opfer gefallen sein«, erwiderte Pohrt darauf apodiktisch, »in Deutschland aber begann mit dem amerikanischen Kulturimperialismus nicht die Barbarei, sondern die Zivilisation.« Und er fährt mit einem Satz fort, der bei der Zeit-Leserschaft für Furore sorgte und noch in Talkshows für Gesprächsstoff sorgte: »In diesem Land ist jede weitere Filiale der McDonald-Hamburger-Kette eine neue Insel der Gastfreundschaft und eine erfreuliche Bereicherung der Esskultur.«

Aus einer Fußnote des Zeit-Artikels erfährt man, dass »Ein Volk, ein Reich, ein Führer« von Konkret abgelehnt worden war. Und von Broder erfährt man, Gremliza habe gezischt: »Was Pohrt jetzt schreibt, ist einfach skandalös.« Das fanden auch andere, wie z.B. die damals für die Taschenbuchreihe bei Rotbuch zuständige Marie-Luise Knott, bei der die Behauptung Pohrts, die Frauenbewegung sei aus einem Missverständnis heraus entstanden, auf wenig Gegenliebe stieß. Pohrts Analyse hielt sie für einen Witz und erinnerte sie an einen »männlichen Stammtischreißer«. Pohrt hatte in einem Nachruf auf die siebziger Jahre geschrieben:

»Als aus den Revolutionären Kindergärtner geworden waren und folglich windelnde und spülende Männer eine Landplage, ging man oft ins Kino, um Humphrey Bogart als einzigen Mann und letzten Helden in ›Casablanca‹ zu bewundern. Die Kinobesuche machten aus Kindergärtnern keine Helden, schürten aber den Hass der Frauen auf ihre männliche Begleitperson: die Frauen­bewegung war geboren.«

Bei allen damals hochkochenden Debatten war Pohrt nicht fern. Als Broder 1984 von Alice Schwarzer als »militanter Jude« stigmatisiert wurde, mit dem kein Mitglied der Emma-Redaktion Kontakt haben dürfe, regte Pohrt die Herausgabe einer Anthologie an »über das Verhältnis der Linken zum Antisemitismus«, in der – wäre das Buch zustande gekommen – die besten und verhass­tes­ten Polemiker versammelt gewesen wären: Pohrt, Broder, Schultz-Gerstein und Eike Geisel. Es gab jedoch genügend andere Anlässe und Gelegenheiten, sich mit diesem Problem zu befassen, welches darin bestand, dass die Linken »weder den Nationalsozialismus noch Auschwitz begriffen hatten, weil sie ersteren mit einem besonders tyrannischen Regime und letzteres mit einem besonders grausamen Blutbad« verwechselt und deshalb die Hoffnung nicht aufgegeben hätten, »das Unrecht, welches sie anderswo entdecken, könne Deutschland ent­lasten«.

Bei den Linken, deren Liebe zu den Palästinensern besonders heftig brannte, ließ sich diese Entlastung für Deutschland besonders schön beobachten:

»Dreihundert von der südafrikanischen Polizei in Soweto erschossene Schüler kümmern niemand. Drei erschossene Schüler in Hebron machen die westdeutsche Linke vor Empörung fassungslos. Die Unterdrückung und Verfolgung der Palästinenser durch Israel wird so genau beobachtet und so leidenschaftlich angeprangert, weil sie beweisen soll: es gibt keinen Unterschied. So merkt die westdeutsche Linke nicht, dass ihr der Unterschied zwischen Deutschland und den anderen Nationen mit jedem Versuch, ihn zu verwischen und zu tilgen, nur umso kolossaler entgegentritt.«

Dieses Nicht-Begreifen der deutschen Geschichte leistete einem Denken Vorschub, welches jedes Massaker, das einem politisch in den Kram passte, mit Auschwitz gleich­setzte, um unter der Flagge von Humanität und Menschenrechten staatliche Souveränität missachten und Krie­ge anzetteln zu können. Die deutsche Linke hatte da­für die Argumente geliefert, die die rot-grüne Regierung im Bürgerkrieg in Jugoslawien nur noch zu übernehmen brauchte.

Am 1. November 1983 hielt Pohrt im großen Saal der Berliner »Akademie der Künste« vor ca. tausend Zuhörern einen Vortrag über den »Krieg als wirklichen Befreier und wahren Sachwalter der Menschlichkeit«. Anschließend gab es eine Diskussion mit dem Friedensbewegten Fritz Vilmar und dem ehemaligen Frankfurter Sponti und Mitglied der »Revolutionärer Kampf«-Gruppe Thomas Schmid, der heute als konservativer Leitartikler die Öffentlichkeit vor linken Irrtümern warnt. Das Publikum war so gespalten wie das Podium, und Pohrt war in seinem Element. Die heftigen Reaktionen ließen ihn zur Höchstform auflaufen, und je mehr es im Saal brodelte, desto spöttischer und beißender wurden seine Diskus­sionsbeiträge. Nichts war ihm unangenehmer als eine reglos dasitzende Zuhörer­schaft, und deshalb begann er jeden Vortrag mit einer auf die Veranstalter und die The­menstellung gemünzten provozierenden Anmerkung, um die Zuhörer aus der Reserve zu locken. Das setzt jedoch immer ein Publikum voraus, das uneins ist und sich zumindest teilweise auf die Seite Pohrts schlägt. Auf dem Konkret-Kongress im Sommer 1993, auf dem sich zum letzten Mal so etwas wie eine unabhängige Linke traf, war die Ablehnung Pohrts massiv und einhellig. Er selbst war enttäuscht und genervt.

Nach sechs Essay-Bänden, die mit Witz und Verve geschrieben sich als kritische Chronik der siebziger und achtziger Jahre lesen lassen, war mit dem Fall der Mauer eine neue Epoche angebrochen. Für Pohrt höchste Zeit, sich den Ereignissen auf andere Weise zu nähern als mit feuilletonistischer Kommentierung. Er machte Reemtsma das Angebot, das Massenbewusstsein der Deutschen in der Umbruchsphase zu untersuchen und die Chancen für einen neuen Faschismus zu sondieren. Im Hamburger Institut zusammen mit Ulrich Bielefeld zu forschen kam für ihn allerdings nicht in Frage. »Da hat der vereinte Sachverstand gründlich nachgedacht, und es kam der originelle Vorschlag heraus, dass sich fünf Leute in Hamburg treffen sollen, um von ihren nicht vorhandenen konkreten Vorschlägen zu erzählen«, machte sich Pohrt über »For­schungsprojekte«, wie sie Bielefeld betrieb, lustig und beharrte darauf, als Einmannforschungsteam die Studie zu erstellen, die sich an der sozialwissenschaftlichen Me­thode der Frankfurter Schule und an dem 1950 erschie­nenen »The Authoritarian Personality« orientierte.

Pohrt traktierte seine Freunde, Verwandten und Bekannten mit einem 58 Aussagen umfassenden Papier, in dem Sätze bewertet werden sollten wie: »Im Wohlstand verkümmern die inneren Werte der Menschen, weil jeder nur auf den eigenen Wohlstand bedacht ist.« Er führte ausführliche Interviews und Gespräche, protokollierte sie und wertete sie aus, er zog sämtliche Register der Statis­tik und empirischen Sozialforschung, um schließlich zu dem von seitenlangen Ziffern und Koeffizienten untermauerten Ergebnis zu gelangen, dass die Werte »auf eine antizivilisatorische, antidemokratische Überzeugung schlie­ßen lassen, deren unerhörte Einhelligkeit ferner die ungebrochene Neigung zur freiwilligen Selbstgleichschaltung verrät«.

Pohrt hatte im Alleingang und in nur einem Jahr ein über 300seitiges Forschungsergebnis vorgelegt, womit sich ein größeres Wissenschaftsteam zehn Jahre lang die Zeit hätte vertreiben können. Auf eine nennenswerte Resonanz stieß diese Arbeit nicht, obwohl man zur Beurteilung der drei zentralen Ereignisse Anfang der neunziger Jahre in der Zone (Ausländerverfolgung), in Jugoslawien (Serbienfeldzug) und im Irak (Golfskriegspazifismus) auf die Studie Pohrts gut hätte zurückgreifen können.

Im Abstand von jeweils einem Jahr folgten mit »Das Jahr danach« und »Harte Zeiten« zwei weitere Bücher, die allerdings nicht mehr in Form einer empirischen Sozialstudie erschienen, sondern als »Analysen zur Zeitgeschichte, deren bescheidener Nutzen darin besteht, dass sie die spätere Legendenbildung erschweren könnten«. Pohrt hatte auf die Katastrophe hingewiesen, »als welche die Wiedervereinigung und der Zusammenbruch des Ostblocks sich entpuppten«, ohne dass eine gesellschaftlich relevante Gruppe den Versuch unternommen hätte, diese Entwicklung aufzuhalten.

1994 begann die Entwicklung schließlich an Dynamik zu verlieren, sie wurde zum Dauerzustand. Das Elend wurde chronisch, aber niemals Grund zur Einsicht oder gar größerer und nachhaltiger Proteste. Die Intellektuellen wurden noch national gesinnter und die Bevölkerung war jederzeit bereit, weitere Einschneidungen im Sozialsystem hinzunehmen. Stattdessen wurden Pohrt in der taz für seine Studien folgende Komplimente gemacht: er sei ein »deutscher Apokalyptiker«, ein »außer Rand und Band geratener Utopist«, ein »deutscher Rassist par excellence« und ein »manischer Inländerfeind«. Das behauptete jedenfalls Reinhard Mohr, der sich mit solchen Artikeln für einen Job beim Spiegel empfahl.

Pohrt wurde in einem ungeheuren publizistischen Kraft­akt zum führenden politischen Kommentator, der im Dunstkreis einer unabhängigen Restlinken und von Konkret, in der er regelmäßig veröffentlichte, den Ton und manchmal auch die Richtung vorgab und dennoch immer ein Fremdkörper blieb, weil ihm jede Gefolgschaft sus­pekt war. Die Abwendung vom Palästinenserfeudel hin zu einer Pro-Israel-Haltung, die im Golfkrieg 1991 offensiv vertreten wurde und Konkret mehrere hundert exis­tenzgefährdende Abonnenten kostete, kam nicht zuletzt durch seine vehemente Fürsprache der amerikanischen Einmischung zustande, die in seinem Wunsch kulminierte, die Israelis würden sich der Bedrohung durch den Irak notfalls mit einer Atombombe zur Wehr setzen. Später bedauerte er die Äußerung, die aus der Erregung darüber entstanden war, dass man in Deutschland Saddams Scud-Raketen als selbstverschuldete Bedrohung bagatellisierte. Inzwischen hat sich im Nahen Osten einiges geändert, weshalb er das unreflektierte Festhalten an dieser Position später als Unfähigkeit kommentierte, sich von einer liebgewonnenen Einsicht wieder zu verabschieden, wenn die gesellschaftlichen Prämissen andere geworden sind.

1997 erschien seine letzte Untersuchung, noch einmal von Reemtsma finanziert, von diesem aber schließlich nicht mehr gut geheißen. In »Brothers in Crime« ging es um die Auflösung der Politik und deren Transformation in ein klassisches Bandenwesen, und im Untertitel bereits klang an, das die Aussichten trübe waren: »Die Menschen im Zeitalter ihrer Überflüssigkeit.« Auch diesem Werk war trotz beachtlicher Resonanz kein großer Erfolg beschieden. Pohrts Kritik war zu radikal und verzichtete weitgehend auf populäre Thesen und Agentenromantik, wie sie Dagobert Lindlau in seinem Bestseller »Der Mob« verwendete.

Pohrt meldete sich Ende der Neunziger nur noch sporadisch mit gelegentlichen Vorträgen zu Wort. Dann wurden ihm die Zigaretten zuviel, die er für das Schreiben eines Artikels brauchte. Er schwieg. Das mochte man zwar bedauerlich finden, aber zumindest verfiel er nicht der Versuchung vieler anderer Autoren, die zeitlebens einen originellen Gedanken, den sie mal hatten, variieren.

Nur einmal noch ließ er sich aus der Reserve locken, als er am 3. Oktober 2003 zusammen mit Henryk M. Broder einer Einladung eines »Bündnisses gegen Antisemitismus und Antizionismus« ins Berliner Tempodrom folgte, eine Veranstaltung, die Pohrt selbst als Fiasko wertete. Immerhin zeigte die lebhafte Reaktion auf seinen Auftritt, dass er immer noch als Feindbild in der Linken wahrgenommen wurde. In dem aus dieser Veranstaltung heraus entstandenen Buch »FAQ« ergriff Pohrt die Gelegenheit, die Positionen der sogenannten »Antideutschen« zu kritisieren, als deren Ikone und theoretischer Protagonist er galt, und zwar mit dem Hinweis, dass jede Wahrheit einen Zeitkern hat, also nur gültig ist unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen.

»Manche Leute freut es, wenn sie von sich behaupten können, sie hätten es schon immer gesagt. Mir geht es weniger um die Ewigkeit als den richtigen Zeitpunkt. Deshalb gefällt es mir, dass ein umfangreicher Teil mei­nes 1992 erschienenen Buches ›Das Jahr danach‹ die Ausländerverfolgung anprangert. Und aus dem gleichen Grund wäre es mir nicht angenehm, wenn dieser Text unkommentiert jetzt wieder erschiene, wo sein Charakter der eines Mit-den-Wölfen-Heulens wäre.«

Als 1991 in Rostock-Lichtenhagen das Wohnheim für Ausländer in Brand gesteckt wurde, hatte der Staat auf der ganzen Linie versagt. Zehn Jahre danach sah die Sache anders aus:

»Antisemiten und Rassisten werden bekämpft, weil man sie benötigt. Sie werden gebraucht, weil sie so was wie der Dreck sind, an welchem der Saubermann zeigen kann, dass er einer ist. Sie werden gebraucht, damit Schröder die von ihm geführten Raubzüge der Elite als ›Aufstand der Anständigen‹ zelebrieren kann. Sie werden gebraucht, weil die Ächtung von Antisemitismus und Rassismus das moralische Korsett einer Clique sind, die sich sonst alles erlauben will, jede Abgreiferei, aber wie jeder Verein für ihren Bestand Verbote und Tabus benötigt.«

Damit hatte sich Pohrt wieder einmal der politischen Einvernahme durch die Linke, bzw. eine ihrer Fraktionen, entzogen. Er hatte die letzten Bewunderer vor den Kopf gestoßen und die letzten Drähte gekappt. Und er hat dies getan, ohne sich neue Freunde zu schaffen. Er hat sich von der Restlinken verabschiedet, ohne sich ins bürgerliche Lager zu retten. Er hat dies allein dadurch geschafft, indem er einfach nur die Zeichen der Zeit zu deuten versuchte und sich nie auf einer einmal gefundenen Wahrheit ausruhte. Er war über dreißig Jahre hinweg der vielleicht brillanteste Kopf der Linken. Sie hat ihn nie gemocht, weil er ihr den Spiegel vorgehalten hat, in dem sich ihr in der Regel kein schöner Anblick bot. Nachdem die Linke spätestens mit der Wiedervereinigung zum bloßen Gegenstand »anthropologischer Betrachtung« wurde, geben für Pohrt nun auch die Verhältnisse selbst nichts mehr her, das sich noch zu analysieren und zu kommentieren lohnte, jedenfalls nicht, um einen Verein oder eine Gemeinde damit zu erfreuen, die die Linke bestenfalls noch ist. Andere jedoch, die an seiner Meinung interessiert sind, gibt es nicht allzu viele, jedenfalls nicht in den Blättern, die bislang keine große Anstrengung unternom­men haben, an der von Pohrt vor dreißig Jahren kon­sta­tierten freiwilligen Gleichschaltung wirklich etwas zu ver­ändern.

Zumindest kann noch einmal daran erinnert werden, dass in Deutschland die Linke zwar auf der ganzen Linie versagt hat, aber dank Wolfgang Pohrt das Niveau der Kritik an ihr weit besser war, als sie es verdient hatte, ja man kann sogar sagen, dass ein realistisches Bild von ihr nur deshalb erhalten geblieben ist, weil Pohrt sich ihrer Macken, Fehler und Eigenarten angenommen und damit die Mythenbildung erschwert hat. Als Gesellschafts­analytiker nicht weniger brillant und weitsichtig, war Pohrt in gewissem Sinne das beste Beispiel dafür, wie ver­geblich das Anschreiben gegen Verhältnisse sein kann, wenn diese von der Mehrheit so gewollt werden und eine intellektuelle Opposition nicht mehr vorhanden ist, der Gewicht und Bedeutung zukäme.

2005

Türler ve etiketler

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382 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783862872244
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