Kitabı oku: «Einige meiner besten Freunde und Feinde», sayfa 5
Letztlich lässt sich das schwer beurteilen, aber trotz der leichten Vorbehalte, die ich ihm gegenüber hatte, nahm sich Willemsen die Zeit, 1999 auf meinem 20-jährigen Verlagsjubiläum eine Eloge auf den Verlag und den Verleger zu halten. Leider gibt es davon kein Ton-Dokument, nur ein Foto, denn außer, dass er mich über den grünen Klee lobte, habe ich keine Erinnerung mehr an den Inhalt der Rede, die er vermutlich aus dem Ärmel schüttelte und die lobend, aber nicht platt war, so dass man ihr gar nicht anders folgen konnte als mit einem gewissen Stolz, auch wenn sie damals leider an mir vorbeirauschte. Immerhin versuchte ich einigermaßen erfolgreich, mich nicht für den zu halten, den Willemsen aus mir zu machen versuchte.
Auch wenn wir uns danach noch ein paarmal trafen, trat eine zunehmende Entfremdung ein, weil unsere Positionen in politischen Fragen auseinanderdrifteten, und das nicht nur im Irak-Krieg, sondern auch bei der Wiedervereinigung, bei der er dazu neigte, die kleinen Leute zu idealisieren und sich für das zu begeistern, was noch nicht vom Westen modernisiert worden war. Das ist vielleicht unfair, weil er in seinem bereits 1990 entstandenen Beitrag für das dann 1993 entstandene Buch »Der rasende Mob. Die Ossis zwischen Selbstmitleid und Barbarei« natürlich noch nicht die Ausländerfeindlichkeit in Rostock und Lichtenhagen ahnen konnte, aber die Romantik, die er zwar ausdrücklich daraus nicht gewinnen wollte, die aber trotzdem fühlbar war, wenn er der »Abwesenheit von Luxus« in der DDR nachtrauerte, in einer Umgebung, »in der Produkte schlicht ihre Zwecke erfüllen«, was »zwangsläufig Erleichterung auslöst vom Terror des Konsums«, hat etwas merkwürdig rückwärts Gewandtes, weil er etwas erhalten will, was nur für den touristischen Blick erhaltenswert erscheint, für den Außenstehenden, der die aus der Not geborene Schlichtheit als pittoresk empfindet, nicht aber für Leute, die den Mangel einfach satt hatten und sich dem »Terror des Konsums« nur zu gerne unterzogen haben und zwar von Anfang an. Schön anzusehen war das freilich nicht, weil freiwillige Unterwerfung nie schön anzusehen ist, aber von den Ossis damals zu erwarten, dass sie sich für die einfachen Dinge des Lebens, die sie umgaben, begeistern, wenn sie doch nur das Begrüßungsgeld und Beate Use im Kopf haben, hat etwas komisches an sich.
Im Abstand von ein paar Jahrzehnten sehe ich die Sache in etwas milderem Licht, aber was ich weder damals noch heute verstehe, war seine Begeisterung für Arafat, mit dem er einmal ein Interview geführt hatte, das ich mich bis heute scheue anzusehen. Arafat war schon immer einfach nur ein korrupter und israelhassender kleiner unrasierter Zwerg. Für diese Erkenntnis ist es manchmal besser, nicht mit demjenigen gesprochen zu haben, genausowenig wie ich mit einem Nazi gesprochen haben muss, um zu wissen, dass mich seine krude Vorstellungswelt nicht interessiert. Oder, um mit Wolfgang Pohrt zu sprechen, man muss nicht an jeder Mülltonne schnuppern, um zu wissen, dass sie stinkt.
Solche unterschiedlichen Anschauungen haben wir nicht diskutiert, schon aus Mangel an Gelegenheiten, aber wir wussten um die Unterschiede. Nicht en detail, aber es war klar, dass ich mit Autoren zu tun hatte, wie Pohrt, Geisel und Broder, die ihm zunehmend suspekt wurden, und ich u.a. für Konkret schrieb, wo man ihn erst hofierte, später dann zum Hauptfeind erklärte, weil er inzwischen in größeren Zeitungen publizierte, die ihn wenigstens für seine Artikel bezahlten. Seinen grandiosen Totalverriss Helmuth Karaseks und sein tadesloses und geschmeidiges Auftreten im Literarischen Quartett waren bewunderungswürdig, dokumentierten aber auch seine Integration im Kulturbetrieb, dem er immer weniger mit beißendem Spott und immer mehr mit kritischem Nachvollzug begegnete.
Viele seiner Fernsehsendungen und -auftritte bekam ich allerdings gar nicht mit, nicht nur, weil sie mich nicht wirklich brennend interessierten, sondern weil ich sie nicht mitbekommen wollte. Ich wollte nicht etwas ansehen müssen, was ich womöglich schlecht oder auch einfach nur beliebig gefunden hätte. Und mit großer Sicherheit wäre das der Fall gewesen, hätte ich den Willemsen, den ich wegen seiner schneidenden und spöttischen Polemiken schätzte, nicht mit dem Willemsen zusammengebracht, der im Fernsehen Promis moderierte und ihnen das Gefühl gab, sie wären Promis aus eigenem Verdienst, was nur selten der Fall ist. Seine Faxe enthielten nur noch Grüße und Entschuldigungen, weil er noch zwei Bücher schreiben müsse oder gerade wieder unterwegs sei oder sonstigen Verpflichtungen nachkommen müsse. Das ist nichts außergewöhnliches bei jemanden, der eben viel zu tun hat, aber es wurde auch deutlich, dass er andere Prioritäten setzte, die mit dem, wofür er einmal angetreten war, als es darum ging, das ganze hohle Feuilleton zu desavouieren und auf den Kulturbetrieb zu pfeifen, nicht mehr viel zu tun hatte.
Als ich ihn schließlich zum letzten Mal vor ein paar Jahren auf dem Empfang des Fischer Verlages sah, standen wir nur wenige Meter voneinander entfernt. Er war umringt von Praktikantinnen des Fischer-Verlages, die ihn, wie man deutlich sehen konnte, anhimmelten. Plötzlich waren wir füreinander zwei völlig Fremde, und ich habe nie herausgefunden, warum es so war, denn es gab nie ein richtiges Zerwürfnis, höchstens die eine oder andere Vermutung, die nun endgültig sinnlos geworden ist.
Ich hörte von seinem Tod im Radio und war überrascht, denn ich hatte nichts von seiner Krebserkrankung und seinem Rückzug aus dem öffentlichen Leben mitbekommen. Der Rundfunk strahlte ein längeres Interview aus, dass er kurz vor seinem 60. Geburtstag gegeben hatte. Er trat dafür ein, dass man sich der Zerstreuungsmaschinerie durch Internet und Facebook entziehen sollte, und wenn man sich mit etwas beschäftigt, sich vollkommen darauf einzulassen und zu konzentrieren. Ein guter Gedanke, den er auch gleich konkretisierte, indem er sinngemäß sagte, dass, wenn man sich nicht ganz und gar auf diese Situation einlasse, die ihm die Einladung und das Privileg beschert habe, sich in der Öffentlichkeit zu äußern, nicht nur jeder Augenblick, den er mit dem Interviewer das Glück habe verbringen zu dürfen, vollkommen verloren sei, sondern das ganze Leben. In einem weiteren Interview, das am gleich Tag lief, hörte ich den selben Gedanken fast gleichlautend noch einmal.
Natürlich ist es nicht ungewöhnlich, sich in unterschiedlichen Interviews zu wiederholen und dabei die gleiche Wortwahl zu benutzen, aber im Ohr bleibt ein leichter Misston, der befremdlich wirkt und misstrauisch macht, nicht weil sein Denken so radikal gewesen wäre, sondern weil die Weltsicht, die Willemsen präsentierte und die er für sich reklamierte, so exklusiv und fast schon religiös ist. Die unheilvolle Rede vom Verlust des ganzen Lebens ist eigentlich nur ein Gedankenspiel, denn im Alltag des Menschen erscheint diese Konsequenz lächerlich, aber Willemsen gibt damit allen zu verstehen, dass dem formulierten Anspruch niemand besser gerecht wird als der Autor selbst. Die Kritik, die er einmal an Broder formuliert hatte, ließ sich nun auch auf ihn anwenden.
Seine politische Einstellung war im linken Milieu common sense, wenngleich dieses Milieu ihn nicht wirklich zu schätzen wusste, weil er sie zu elegant und zu wenig schablonenhaft formulierte. Gleichzeitig aber war er nicht wirklich analytisch, seine Überlegungen waren oft zu glatt, und ihre Oberflächlichkeit verbarg sich häufig hinter beeindruckenden Wortgirlanden, die mit Bildungswissen geschmückt Bedeutung simulierten. Und das kann auch gar nicht anders sein, denn wer in vielleicht 40 Schaffensjahren über 50 Bücher schreibt oder herausgibt, kann kaum den Ansprüchen gerecht worden sein, die sich Willemsen vermutlich selbst gestellt hat.
Jenseits von dieser möglicherweise kleinlichen Kritik, war an Willemsen bewundernswert, wie er durch die Welt gerast ist, um alles zu sehen und alles zu hören, alles aufzusaugen und alles kennenzulernen. Keine Tür scheint ihm dabei verschlossen geblieben zu sein und bei keinem Menschen schien er Berührungsängste gehabt zu haben. Wenn sich seine unglaubliche Neugier auf etwas richtete, dann versuchte er den Gegenstand wirklich zu durchdringen. Er hat sich dabei nie nur auf eine Tätigkeit beschränkt. Als Buchautor und Journalist wurde er Talkmaster, er gründete seine eigene Produktionsfirma und löste sie wieder auf, er verabschiedete sich vom Fernsehen, reiste in der Welt umher, besah sich ihr Elend und schrieb Bestseller darüber.
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann, schrieb Francis Picabia einmal. Willemsen hat davon viel Gebrauch gemacht, weil er immer wissen wollte, was die Welt und die Menschen umtrieb. Und diese Eigenschaft ist nicht die schlechteste.
2016
Der Paganini der Abschweifung
Harry Rowohlt
Die lustigsten Anrufe erreichten mich aus Hamburg, wenn Harry Rowohlt am Apparat war. Hinterher wusste ich allerdings oft nicht mehr, was der Anlass des Anrufs war, denn Harry erzählte eine Anekdote nach der anderen, die ich dummerweise meistens wieder vergaß, auch wenn ich mir vornahm, die mir jetzt aber zu merken. Aber kaum dachte ich das, kam schon die nächste Episode, auf die ich mich konzentrieren musste, weshalb ich mich an die vorangegangene dann doch wieder nicht mehr erinnern konnte.
Auf einer Lesereise, die uns zusammen mit dem großen Horst Tomayer von Düsseldorf über Bonn nach Duisburg führte, stellte ich fest, dass Harry seine Anekdoten, Witze und rätselhaften Geschichten an uns, seinen Mitstreitern, ausprobierte, um herauszufinden, ob sie bühnentauglich waren. Vermutlich war sein phänomenales Gedächtnis, von dem alle, die ihn kannten, schwer beeindruckt waren, darauf zurückzuführen, dass er es durch einen stetigen, ununterbrochenen Erzählfluss in Hochform brachte.
Mit meinem Gedächtnis ist es nicht so weit er, weshalb ich nur einen Übersetzerwitz behalten habe: »Was ist das denn für eine Übersetzung, wenn dasselbe drin steht wie im Original?« Aber vielleicht war das gar kein Witz, sondern ein Rat, sich nicht zu sklavisch an das Original zu klammern, vor allem dann nicht, wenn da Quatsch stand.
Bei David Sedaris regte sich Harry Rowohlt schon auf, weil der dreimal hintereinander das gleiche Verb benutzt hatte und das beim nächsten Verb gleich nochmal machte. Manchmal reichte schon ein geringes Vergehen aus, um seinen Zorn auf sich zu ziehen, aber es zeigte auch seine Liebe zum Detail und seine Genauigkeit, die ihm dann völlig zu Recht u.a. den Kurd-Laßwitz-Preis, den Johann-Heinrich-Voß-Preis und den Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Preis für seine Verdienste um gute Übersetzungen eintrugen.
An die 170 Bücher hat Harry Rowohlt übersetzt, darunter vieles von Philip Ardagh, Robert Crumb, William Kotzwinkle, Shel Silverstein, Kurt Vonnegut und vor allem Flann O'Brien, der für Harry Rowohlt ein Bruder im Geiste war, und vermutlich hätte er nichts dagegen gehabt, würde man über ihn einst genauso urteilen wie über Flann O'Brien: »So hätte Joyce geschrieben, wenn er nicht so bescheuert gewesen wäre«. Bei Harry Rowohlt könnte man noch hinzufügen: »So hätte Wollschläger übersetzt, wenn er nicht so bescheuert gewesen wäre.«
Er hat unzählige Hör-Bücher eingelesen, und für »Pu der Bär« von A. A. Milne erhielt er nicht nur die Goldene Schallplatte für über 250.000 verkaufte Exemplare, er hat sich ins Gedächtnis einer ganzen Generation von Kindern eingeschlichen, die mit seiner brummbärigen Stimme aufgewachsen sind. Er tingelte lange Zeit als »Paganini der Abschweifung« (Kieler Nachrichten), manchmal auch als »Papageno der Abschweifung« oder als »Paganini der Ausschweifung« durch die Republik, bevorzugt durch die Provinz, weil er sein Programm kaum änderte und er sich in der gleichen Stadt nicht wiederholen wollte, es sei denn, die Nachfrage war so groß wie in Berlin, als er an zwei Tagen hintereinander den 600 Menschen fassenden Postbahnhof füllte. Und ab und zu schrieb er ja auch noch seine Kolumne »Pooh's Corner« in der Zeit, die in der deutschen Kolumnenlandschaft einzigartig war. Nicht zu vergessen so wunderbare Geschichten wie den »kulinarischen Wildwest-Schundroman« »John Rock oder der Teufel«. Ganz zu schweigen davon, dass er seit 1996 auch noch den Penner in der »Lindenstraße« spielte.
Harry Rowohlt war ungeheuer fleißig und produktiv. Aber er war es nicht deshalb, weil er einen hohen Lebensstandard hatte und deshalb viel Geld verdienen musste. Harry Rowohlt war Luxus fremd, aber das, was er tat, machte ihm Spaß, meistens jedenfalls, und weil er deshalb Geld übrig hatte, gab er lieber in Not geratenen Kollegen und Freunden wie Hermes Phettberg etwas davon ab, ohne Aufhebens davon zu machen und eben nicht dem weitverbreiteten Prinzip zu folgen: Tue Gutes und erwähne es beiläufig.
Als ich Harry Rowohlt auf der Buchmesse 2000 fragte, ob er nicht seine Memoiren auf Band »sauen« (Rowohlt) wollte, weil mir klar war, dass er sie nie selber schreiben würde, sie aber druckreif erzählen konnte, sagte er spontan zu, obwohl es auch große Verlage gegeben hätte, die das dann daraus entstandene Buch »In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt erzählt Ralf Sotscheck sein Leben von der Wiege bis zur Biege« gerne verlegt hätten und obwohl er mich damals nicht mal besonders gut kannte. Aber Harry Rowohlt tickte anders. Er war nicht erpicht darauf, unbedingt bei einem großen Verlag unterzukommen, schon gar nicht im Rowohlt Verlag.
Als das Buch erschienen war, begeisterte Besprechungen erhielt und sich »wie geschnitten Brot« verkaufte, machte er sich immer gerne über seine »vergeigten Memoiren« lustig, die, wie er behauptete, von »polnischen Spargelstecherinnen« transkribiert worden seien. Andere Verlage waren von dieser Art Humor überfordert, wie der Luchterhand Verlag, der ihm verbieten lassen wollte, weiterhin zu behaupten, er hätte das Manuskript von Frank McCourts Bestseller »Die Asche meiner Mutter« dreimal übersetzt, »einmal aus dem Englischen und zweimal aus dem Lektorat«. Dem Verleger teilte er auf Nachfrage mit, dass er den folgenden Band von Frank McCourt gerne übersetzen würde, »aber nicht für Luchterhand«. In dieser Hinsicht war er unerbittlich, weshalb ihn manche für schwierig hielten, was er aber gar nicht war.
Einmal lasen wir zusammen aus meinen Kreuzberger Szenen-Büchern »Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alhokohol« und »Alles schick in Kreuzberg« im Festsaal Kreuzberg, der dann kurze Zeit später abbrannte. Wie sich herausstellte wegen Kurzschluss, nicht wegen Harry. In diesen Szenen wird viel berlinert und kaum einer konnte das so gut wie der Hamburger Harry Rowohlt, der aber sowieso fast jeden Dialekt perfekt beherrschte. An diesem Abend lernte ich, dass ein Hackenporsche nicht immer ein Hackenporsche ist, sondern nur dann, wenn man ihn zum Bahnhof hinter sich her zieht. Der für Einkäufe benutzte Hackenporsche ist gar kein Hackenporsche, sondern ein Kartoffelmercedes. Und schon wieder war ich klüger und um ein wunderbares Wort reicher. Außerdem klärte mich Harry Rowohlt darüber auf, dass es nicht der sondern das Virus heißt, und wenn der Duden beide Schreibweisen akzeptiere, wie ich zaghaft einwarf, dann komme das nur davon, dass sich nur genügend »Idioten« finden müssten, die es so lange falsch machten, bis »der Scheiß« dann im Duden Aufnahme fände.
Bei ihm saß der Teufel im Detail. Als ich ihn fragte, ob er einen gemeinsamen Vorleseabend im Roten Salon der Volksbühne nicht wiederholen wollen würde, schrieb er mir von seiner Rückfahrt von Berlin nach Hamburg:
»Dann kam als Höhepunkt der tschechische Speisewagen, wo es 50 g Schinken mit Setzeiern und Gurke gab. Ohne die tschechischen Speisewagen wäre das Wort ›Setzei‹ längst ausgestorben. Es gab kleine Plastikschläuche mit Senf und kečup, ich sagte zur Wirtin: ›Meine Frau ist aus Tschechien; kann ich der die mitnehmen, als kleinen Gruß aus der Heimat?‹ Da hat sie mir einen ganzen Beutel vollgepackt und gefragt: ›Vielleicht winschen noch Brot fir die Frau?‹ Das kann man also jederzeit wieder machen.«
Und so machten wir es dann auch.
Vor Welterklärungen anderer verwahrte er sich, denn eine zusätzliche brauchte er nicht. »Ich bin Kommunist: da ist die mit eingebaut.« Als solcher war er allerdings nicht verbissen, nachtragend oder ideologisch. Höchstens als er mal gefragt wurde, ob er die Grünen im Wahlkampf 2005 unterstützen würde. Er schrieb knapp und lakonisch zurück:
»Lieber hänge ich tot über einem Zaun im Kosovo, als dass ich auch nur eine Sekunde lang die Grünen unterstütze.«
Vielleicht war er ungehalten wegen der Zumutung, dass er als »Promi« funktionalisiert werden sollte, der ein »persönliches Statement« abgeben und einen »kreativen Vorschlag« einbringen sollte, lauter Dinge, die ihm ein Graus waren. Jedenfalls schrieb, wie seine Freundin und Herausgeberin seiner Briefe Anna Mikula bemerkt hat, »Harry Rowohlt unbekümmert um die öffentliche Meinung, radikal in Zu- und Abneigung, in klassischer Weise démodé. Es ist der flamboyante Rowohlt-Sound, der eben gerade nicht auf Konsens erpicht ist.«
Und so viele Leute, die sich um Konsens nicht scheren, gibt es ja auch nicht. Kurz nach seinem siebzigesten Geburtstag im April 2015 ist Harry Rowohlt gestorben. Für einen Moment wünscht man sich, es gäbe einen Himmel. Er würde dort einigen Leuten gehörig auf die Nerven gehen und man könnte sich schon mal auf jede Menge Anekdoten freuen.
2015
Der große Bär erzählt
»Pooh's Corner« von Harry Rowohlt
Es ist ein großes Glück für die deutschsprachige Literatur, dass Harry Rowohlt nach einer Pause von ein paar Jahren seine »Pooh's Corner«-Kolumne in der Zeit wieder aufgenommen hat. Wenn nicht sogar für die internationale Literatur. Aber bis sich in Frankreich oder England mal herumgesprochen hat, was denen entgeht, das dauert. Wenn man bedenkt, was alles aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wird, nur weil da mal jemand einen Kurs in Creative Writing besucht hat, ist das eigentlich ein Skandal. Aber so müssen die eben weiter ihre Creative Writers lesen, oder Günter Grass. Und das für Humor halten, weil Günter Grass mal an seiner Pfeife suckelnd behauptet hat, auch er hätte selbstverständlich Humor. Womit er zumindest in diesem Fall sogar mal recht hatte.
Harry Rowohlt hingegen hat zwar keinen Roman geschrieben, sondern »nur« welche übersetzt, aber er hat mit seinen Kolumnen die beiläufige Plauderei zu einer Kunstform gemacht, die einzigartig ist, denn seine »Pooh's Corner« sind funkelnde Kleinode, geschmiedet (falls Kleinode geschmiedet werden) mit scharfem Verstand, grimmigem Humor, mit schrägem Witz und wenn es sein muss auch mit satter Beleidigung.
Rowohlts neuer Kolumnen-Band »Pooh's Corner. Meinungen eines Bären von sehr geringem Verstand. Kolumnen, Gespräche, Aufsätze und Berichte. 1997-2009« ist große Klasse! Denn obwohl ich die Kolumnen selbstverständlich schon in der Zeit gelesen habe, und deshalb, um nicht in dem Papierberg zu ersticken, beim Zeitungshändler wegen des unhandlichen Formats mit Mühe und unter missbilligender Beobachtung im Feuilleton nach »Pooh's Corner« gefahndet habe, ob es sich lohnt, diese Papiermengen nach Hause zu schleppen, wo ich die Kolumne herausgerissen und gelagert habe, um sie bei Bedarf wieder hervorziehen und vorlesen zu können, obwohl die also für mich eigentlich alte Kamellen waren, war die Vorfreude auf das Buch groß und noch größer dann das Lesevergnügen, denn in diesem Fall lese ich gerne noch mal nach, denn man vergisst ja auch mal was.
Zum Beispiel, dass Harry Rowohlt einer von fünf Autoren war, der für den Heinrich-Heine-Preis vorgesehen war, jedenfalls erkundigten sich die Preisvergeber beim Schweizer Verlag Kein & Aber nach seiner Telefonnummer »für falls«. »Andere Leute hätten die Inlandsauskunft angerufen, aber so geht es natürlich auch. Ich stehe dick und fett im Telefonbuch, weil ich Geheimnummern für unterschicht halte, unterschicht mit kleinem u. Mit kleinem u wie Adjektiv.« Harry Rowohlt wurde dann doch nicht gefragt, aber hätte man, dann hätte man erfahren, dass er am Tag der Preisverleihung sowieso nicht gekonnt hätte, weil er da bereits eine Lesung in Halle hatte. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich mag solche schönen Gemeinheiten, denn die sind viel gemeiner als irgendein hohles, anprangerndes Statement, aus dem man nur erfährt, wie gemein die Welt im allgemeinen und in diesem Fall aber besonders ist.
Am lustigsten finde ich die Kolumne »Freiheit für Mumia Abu-Jamal!« Harry Rowohlt hält eine Rede auf einer Demo in Hamburg für ... aber das sagt ja bereits der Titel der Kolumne. Und jetzt muss ich ein bisschen ausführlicher zitieren, weil der hintergründige Witz so viel deutlicher wird als ich das nacherzählen könnte: »Wir sind etwa neunzig Menschen, und die CIA hat ein kleines Mädchen geschickt, welches jeden einzelnen Redebeitrag mühelos mit seinem Geplärr übertönt.« Dann wird Harry Rowohlt angekündigt, und er sagt,
»vielleicht einen Tick zu subjektiv: ›Am meisten bewundere ich an Mumia Abu-Jamal, dass er jede Woche eine Kolumne raushaut. Ich kann immer nur eine Kolumne schreiben, wenn ich vorher was erlebt habe, und auch dann nur selten. Aber Mumia Abu-Jamal kommt ja so gut wie nie vor die Tür.‹ Rückkopplung, eisige Blicke, Rückkopplung. ›Ich würde empfehlen, ihn eiligst freizusprechen, denn wenn das so weitergeht, wird seine Haftentschädigung unerschwinglich, und wenn er dann freigelassen ist, kann er auf Lesereisen gehen, was erleben und darüber seine Kolumnen schreiben.‹ Eisige Blicke, Rückkopplung, eisige Blicke. ›Wenn er aber beschließen sollte, mit dem Geld von seiner Haftentschädigung einen Zeitungs-und-Tabakwaren-Laden mit Lotto-und-Toto-Annahme aufzumachen, so gönne ich ihm auch das von Herzen.‹ Eisige Rückkopplungen.«
Es gibt noch jede Menge solcher schönen Stellen. Aber ich kann die ja nicht alle zitieren, und deshalb rate ich Ihnen dringend: Besorgen Sie sich das Buch. Eine gute Investition, und gar nicht teuer. Und man hat was fürs Leben, denn in Zeiten von Alzheimer kann man das Buch immer wieder neu lesen. In jedem Fall gehört es in das Regal, in dem die große Weltliteratur steht. Aber nicht bei Grass und Walser.
2009
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.