Kitabı oku: «Die Siegel von Tench'alin», sayfa 3
»Warum jemand sein Büro oder seine Wohnung unter der Erde haben sollte, ist mir wirklich ein Rätsel. Ist es wirklich so schlimm da drüben?«, meinte Effel mit einer kurzen Kopfbewegung in Richtung Westen. »Du hast mir neulich noch erzählt, wie du in den Ferien mit deinem Vater am See auf die Jagd gegangen bist ... und auch alles andere, was du von der Neuen Welt erzählst, hört sich nicht so an, als wenn es nur grässlich wäre.« Wenn man mal von dem ganzen Roboterzeug und euren Hochhäusern absieht ... von diesem Chip einmal ganz zu schweigen, fügte er im Stillen hinzu. Effel hatte sich inzwischen auf die Bettkante gesetzt und kraulte Sam, der jetzt mit dem Kopf auf seinem Schoß neben ihm saß, den Nacken.
»Ja, bei uns ist es schön«, sie sagte ›uns‹, »und es gibt auch noch Gegenden, die diese Bezeichnung sogar im Vergleich zu dem, was ich hier bis jetzt gesehen habe, verdienen. Sonst ist es wirklich völlig anders ... aber grässlich ist es sicher nicht. Man kann es überhaupt nicht vergleichen. Man sollte nie etwas vergleichen, meinst du nicht auch? Wenn man vergleicht, ist man nicht bei dem, was gerade ist. Nein ...«, sie wurde von Effels Lachen unterbrochen.
»Warum lachst du? Was ist daran so lustig?«
»Weil dein Satz über das Vergleichen von Mindevol stammen könnte, fast genauso hat er ihn zu mir auch gesagt ... und nicht nur einmal. ›Wer vergleicht kann nur verlieren‹, meint er.«
»Ein kluger Mann, dieser Mindevol«, schmunzelte Nikita und fuhr fort: »Aus Angst haben sie wichtige Gebäudeteile in die Tiefe der Erde verlegt, Effel, fast alle Firmen. Sie haben Angst, es könnten wieder Flugzeuge in ihre Hochhäuser stürzen, wie schon einmal, vor langer Zeit. Diese Angst ist wohl immer noch in ihren Köpfen, obwohl solch ein Anschlag heute nicht mehr möglich wäre.«
»Aber wenn sie glauben, unter der Erde wären sie sicher, haben sie sich gewaltig getäuscht. Es soll Wesen geben, die durch nichts und niemanden aufzuhalten sind, Nikita, und ich wünsche uns nicht, solche Geschöpfe zum Feind zu haben. Frag´ Mindevol oder Perchafta, die können dir sicher Genaueres sagen.«
»Ich glaube, das will ich gar nicht wissen. Außerdem habe ich schon zwei kennengelernt, nämlich Perchafta und auf meiner Herfahrt Andaro. – Warum, meinst du, hat Perchafta so ... so seltsam reagiert, als ich ihn nach den Siegeln fragte? Ich hab´ mir schon den Kopf zerbrochen, was ich mit meiner Frage da wohl losgetreten haben könnte. Er war ja fast ... erstarrt.«
»Ja, so habe ich ihn noch nicht erlebt, da hast du an etwas gerührt ... mmh, wie soll ich sagen ... na ich weiß nicht, jedenfalls ist dieses Myon-Projekt wohl ein kleiner Fisch dagegen. Er hat mir gegenüber auch nur Andeutungen gemacht. Die Siegel sind wohl auch nicht das, um was es wirklich geht, sondern es geht vielmehr um das, was die Siegel verschließen ... oder in diesem Fall ›bewachen‹. Das ist das eigentliche Geheimnis. Dazu hat Perchafta sich nie näher geäußert, außer dass es sich bei den Siegeln um etwas sehr Mächtiges handelt, an dem man angeblich nicht vorbeikommt und was dich das Leben kostet. Wie bist du überhaupt auf die Frage gekommen?«
»Ich weiß es nicht, sie tauchte ganz plötzlich auf, wie aus ... den Tiefen irgendeiner Erinnerung. Komm, lass uns über etwas anderes reden – oder besser noch irgendwas unternehmen ... vielleicht fällt mir dann noch etwas dazu ein. Zeig´ mir mehr von deiner Heimat, Effel, ich will alles sehen. Mit jedem Stück lerne ich auch dich besser kennen. Sind wir heute Abend nicht bei deinen Eltern eingeladen? Ich bin gespannt, was es zu Essen gibt ... mein Gott, ich bin total verfressen, seit ich hier bin«, kicherte sie. Nikita sprang dann, so wie Gott sie erschaffen hatte, unternehmungslustig aus dem Bett und lief in das nebenan liegende Badezimmer. Während sie dort die Dusche aufdrehte, rief sie durch das Rauschen des Wassers: »Das alles hier müssten meine Eltern sehen, die würden staunen ... ich glaube, es würde ihnen gefallen. In jedem Fall werde ich mich gleich nach dem Duschen mit dem Professor in Verbindung setzen und ihn bitten, mit meinem Vater Kontakt aufzunehmen, damit sie wissen, dass es mir gut geht.«
»Dann werde ich mich inzwischen um unser Frühstück kümmern«, rief Effel, »oder soll ich unter die Dusche kommen?«
»Wenn du dich traust«, lachte sie.
»Nikita wie geht es Ihnen?«, rief ein aufgeregter Professor Rhin einige Zeit später. »Ist alles in Ordnung dort drüben? Sie haben sich lange nicht gemeldet. Warum tragen Sie die Brille nicht ständig? Ich hatte Sie darum ... gebeten ... es ist für unsere Operation wichtig. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
Nikita hatte sich mit ihrer MFB auf die Fensterbank im Schlafzimmer gesetzt und dann hatte es nicht lange gedauert, bis die Verbindung aufgebaut war und sie ihren Chef hören konnte. Dass er statt ›gebeten‹ eigentlich ›befohlen‹ hatte sagen wollen, war ihr nicht entgangen und sie stellte fest, dass sie sich vor gar nicht langer Zeit noch darüber geärgert hätte. Heute reagierte sie darauf mit einem Lächeln.
»Ja, Herr Professor, bei mir ist alles in Ordnung, es ist so viel passiert, das werde ich Ihnen alles berichten, wenn ich zurück bin ... Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.« Alles erzähle ich sicher nicht, dachte sie noch.
»Na, Sie haben Nerven, Nikita. Haben Sie sich zurechtgefunden? Hatten Sie ... ›Kontakt‹? Hatten Sie Schwierigkeiten? Brauchen Sie etwas?« Dann machte er eine kleine Pause. »Wo sind Sie da, Nikita, ist das ein ... Hotelzimmer?« Sein Erstaunen war dem Professor anzuhören.
»Nein, das ist kein Hotelzimmer, Herr Professor, aber das erzähle ich Ihnen auch später«, Nikita musste schmunzeln, ihr Chef überschlug sich ja fast am anderen Ende der Welt. »Obwohl das zu den für Sie eher unwichtigen Details gehören dürfte«, fuhr sie fort, dann: »Herr Professor, stellen Sie sich vor, ich habe gefunden, wonach ich suchen sollte ... aber so leicht ist das nicht gewesen und es ist auch immer noch nicht einfach. Ich weiß allerdings nicht, ob ich mit den Plänen zurückkommen kann. Aber eines kann ich Ihnen versprechen ... Sie werden aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn ich Ihnen alles erzählt habe.«
»Was soll das heißen, Nikita? Werden Sie bitte etwas deutlicher ... oder können Sie gerade nicht sprechen?«
»Nein, ich glaube, ich komme hier alleine besser klar. Hilfe von außen würde alles unnötig verkomplizieren. Ich kann die Brille auch nicht ständig tragen, ich muss wirklich vorsichtig sein, Herr Professor. Ich erkläre es Ihnen, wenn wir uns wiedersehen ... und ich kann sprechen, denn ich bin alleine, wie Sie sehen können.« Nikita drehte ihren Kopf nach allen Seiten.
»Bitte, Nikita, spannen Sie mich nicht auf die Folter! Was soll das heißen, dass Sie nicht wissen, ob Sie mit den Plänen zurückkommen können?«
Nikita konnte sich gut vorstellen, wie der Professor am Schreibtisch saß und vor Ungeduld auf seinem Sessel hin- und herrutschte oder wie ein Zirkuslöwe in einem viel zu engen Käfig, der spürte, dass er gleich in die Manege musste, herumlief. Was sie nicht wissen konnte war, dass ihr Chef nicht alleine war und dieses Gespräch auch nicht von seinem eigenen Büro heraus führte.
»Haben Sie nun die Pläne oder nicht, Nikita?«
»Nein, es wurde mir verwehrt, sie von dem Ort, an dem ich sie gefunden habe, mitzunehmen ... bisher jedenfalls.«
»Verwehrt? Was soll das jetzt wieder heißen? Ich denke, Sie haben sie gefunden? Wer hat es Ihnen verwehrt?«
Nikita verdrehte die Augen und atmete tief durch. Wie sollte sie ihrem Chef erklären, dass ein Wesen, das zuweilen nicht viel größer war als seine Kaffeetasse, im Stande war zu verhindern, dass sie einfach mit den Plänen im Gepäck aus diesem Land herausspazieren konnte.
»Nun, Herr Professor, wie soll ich sagen, dass es hier anders ist als bei uns, das war uns ja klar, aber doch wissen wir nicht alles ... längst nicht alles. Ich melde mich wieder, wenn ich Ihnen sagen kann, wie es weitergeht. Es kann nicht mehr lange dauern, so viel steht fest.«
»Nikita, Sie sprechen in Rätseln, das ist mir alles zu hoch.«
Professor Rhin klang irgendwie merkwürdig förmlich, fand Nikita, fast beleidigt, nicht so verbindlich wie sonst. Eine Alarmglocke tief in ihrem Inneren meldete sich, verstummte aber augenblicklich, als sie ihren Blick nach draußen richtete und das Dorf unter inzwischen blauem Himmel so friedlich dort unten liegen sah. Dort war das morgendliche Leben jetzt in vollem Gang. Vielleicht tut dieser Blick ihm auch gut. Dann schenkte sie ihrem Chef wieder ihre Aufmerksamkeit.
»Herr Professor, ist irgendwas? Geht es Ihnen nicht gut? Wir sollten doch froh sein, so weit gekommen zu sein. Es gibt die Pläne! Ich habe das Gefühl, dass wir sie bekommen können, wenn das auch vielleicht mit ... Auflagen verbunden sein wird.«
»Auflagen? Bedingungen? Nikita wer sollte uns Auflagen machen?«
»Genau das werde ich Ihnen später erklären, Herr Professor. Ich habe noch eine Bitte, können Sie meinen Vater kontaktieren und ihm sagen, dass es mir gut geht?«
»Ja, Nikita, ja, das mache ich«, kam die etwas zögerliche Antwort vom Professor.
»Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Professor«, antwortete Nikita, der das Zögern in der Stimme ihres Chefs nicht entgangen war. »Ich muss jetzt Schluss machen, ich melde mich bald wieder.«
Nikita setzte die MFB ab und verstaute sie wieder sorgfältig in ihrem kleinen Rucksack. Dann ging sie, nachdem sie einen kurzen Blick in die Küche geworfen hatte, hinaus in den Garten, wo Effel bereits den Tisch gedeckt hatte.
»Es ist ein so schöner Morgen, da dachte ich mir, wir nutzen das aus und frühstücken in der Sonne, mein Schatz ... schau mal diese wundervollen Farben des Waldes.« Er wies mit seinem Kopf in die Richtung.
»Das ist eine gute Idee«, sagte Nikita, »den Wald habe ich mir schon eben vom Schlafzimmerfenster aus angeschaut«, und ihn auch meinem Chef gezeigt, »er ist einfach herrlich ... so viele Farben«, und nach einer kurzen Pause, in der Effel ihr Tee einschenkte, fügte sie hinzu: »Er war irgendwie komisch, der Professor.«
»Was meinst du mit komisch?«
»Ich weiß nicht, er war ... reserviert, fast distanziert ... ja, so kann man es nennen. So als wenn er sich nicht hätte freuen dürfen, von mir zu hören. Ach egal, vielleicht hat er auch gedacht, ich serviere ihm die Pläne auf einem Silbertablett, und war einfach nur enttäuscht. Komm, lass uns mit dem Frühstück beginnen, ich habe einen Mordshunger.«
»Hey, dann müssen wir uns ja in Acht nehmen, was meinst du Sam?«, sagte Effel zu seinem Hund, der schon wieder bettelnd neben ihm saß, obwohl er sein Frühstück bereits hatte.
»Keine Angst ihr beiden«, lachte Nikita, »ich nehme erst einmal von dem frischen Brot hier.«
* * *
Kapitel 2
Senator Paul Ferrer, Nikitas Vater, hatte schon seit einigen Tagen versucht, Dr. Will Manders telefonisch zu erreichen – bisher allerdings ergebnislos. Er wollte ihm mitteilen, dass er inzwischen wusste, wo sich Nikita unglaublicherweise aufhielt, und dem jungen Mann dadurch weitere Nachforschungen ersparen, die er für sehr gefährlich hielt. Er hatte stets über eine abhörsichere Leitung – als solche war sie deklariert – aus seinem Senatsbüro telefoniert. Falls doch irgendjemand Fragen stellen sollte, wollte er erklären, dass es um beantragte Forschungsgelder gehe. In seiner väterlichen Sorge hatte er allerdings übersehen, dass einem zufälligen Zeugen auf der anderen Seite solch ein Gespräch wohl sehr merkwürdig vorgekommen wäre. Nicht Will Manders, sondern Professor Rhin, wahrscheinlich sogar Mal Fisher selbst wären für Gesprächsinhalte dieser Art die formell richtigen Ansprechpartner gewesen.
Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihm mehr zugesetzt, als er es sich eingestehen wollte. Am wenigsten seiner Frau gegenüber, obwohl er genau wusste, dass gerade Eva der Mensch war, dem er nichts vormachen konnte. Wenn er abends nach Hause kam, genügte ihr ein Blick und sie schien dann genau zu wissen, was mit ihm los war. Nicht nur, dass sie seine Gemütsverfassung sofort erkannte – das konnte man nach mehr als fünfundzwanzig Ehejahren sicherlich erwarten –, sondern wie eine äußerst treffsichere Hellseherin nannte sie auch das Kind beim Namen.
Er hatte längst aufgegeben herauszufinden, wie sie das anstellte. Ihre einzige Tochter Nikita hatte das, was Frau Ferrer ›weibliche Intuition‹ nannte, ganz offensichtlich von ihrer Mutter geerbt und so war Paul Ferrer zu Hause ein offenes Buch. Da der Senator kein Mann war, der Geheimnisse vor seiner Frau hatte – außer denen, die ihm sein Amt auferlegten, und da konnte er stoisch sein wie eine Sphinx –, machte es ihm nichts aus, dass Eva die Gründe seiner Launen kannte.
Als er in seinem Büro die Ungewissheit nicht mehr aushalten konnte, fuhr er mit dem Wagen zu dem Haus des jungen Wissenschaftlers, der in seinen jungen Jahren schon akademische Preise gewonnen hatte. Er wohnte in der Vilmerstreet, einem der vornehmeren Stadtteile Bushtowns, der größtenteils von leitenden Angestellten und hohen Beamten bewohnt war. Vance, sein Bodyguard, war gerade in der Mittagspause, und so brauchte er sich keine Ausrede auszudenken, warum er alleine fuhr. Eigentlich waren seit Kurzem alle Senatoren aus Sicherheitsgründen dazu angehalten, nie ohne bewaffnete Begleitung zu fahren, egal wie kurz die Strecke auch sein mochte. Man hatte ihnen allerdings nicht die Gründe für diese Maßnahme mitgeteilt. Senator Ferrer hatte seinen Freund, den Innensenator Hennings, bei einem Arbeitsessen eher beiläufig danach gefragt und von diesem die Antwort bekommen: »Eine Sicherheitsübung, mehr nicht.«
Paul Ferrer konnte sich mit dieser lapidaren Antwort allerdings nicht abfinden.
Jetzt stehle ich mich schon vor meinem Aufpasser davon, das darf ich wirklich niemandem erzählen, dachte er, als er in seiner Rolls Royce-Replik saß. Auf der Fahrt beschlichen ihn wieder böse Ahnungen, die ihm fast schon zur lästigen Gewohnheit geworden waren, und er fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er den Beginn einer Paranoia erlebte und schließlich sein Leben in einer Zwangsjacke beenden würde. Er ließ den Wagen zwei Straßenblöcke vor der Vilmerstreet stoppen und schaute sich um, bevor er ausstieg.
Verrückt ... welch ein Blödsinn, schalt er sich gleich darauf, als wenn mir jemand auf diese Weise folgen würde. Hab wohl zu viele alte Krimis geschaut. Das ist doch heute nicht mehr nötig, wenn man wissen will, wo sich jemand aufhält.
Nicht nur Regierungsfahrzeuge besaßen obligatorisch ein Ortungssystem. Wie er gelesen hatte, war es damals, vor einigen hundert Jahren, lächerlich einfach gewesen, den Leuten den Einbau aufzuschwatzen. Man musste ihnen nur klarmachen, dass man im Falle eines Diebstahls sein Auto innerhalb von Stunden zurückbekommen könne. So hatten die Leute auch noch für ihre eigene Überwachung bezahlt. Manchmal sind die Menschen wirklich dumm, hatte der Senator nicht nur in diesem Zusammenhang gedacht.
Auf seinem kurzen Weg bemerkte er, dass hier alles irgendwie gleich aussah, sogar die Vorgärten schienen sich gegen Abwechslung erfolgreich zur Wehr gesetzt zu haben. Alle zeigten kurz geschnittene Rasenflächen, die von akkuraten Blumenbeeten umrahmt wurden. Lediglich die Höhe der Buchsbaumhecke, die jedes Grundstück umschloss, gab Aufschluss über die Wohndauer der Besitzer.
»Wohl ein und derselbe Bauträger«, murmelte er, »es lebe der Individualismus.«
Als er auf das Haus von Dr. Manders zuging und es mit seinen Blicken abtastete, so als könne er von dem Gebäude einen wichtigen Hinweis über den Verbleib seiner Tochter erhalten, befand er, dass es ein sehr schmuckes Haus für einen jungen alleinstehenden Mann sei, der eher in dem Ruf stand, nur seine Forschungen im Sinn zu haben, und sicherlich die meiste Zeit in seinem Labor verbrachte. Passt eigentlich nicht zu ihm, zu dem jungen Abteilungsleiter bei BOSST, dachte er bei sich, während der weiße, feine Kies der Auffahrt leise unter den Ledersohlen seiner vornehmen, maßgefertigten Schuhe knirschte. Vielleicht hat er es ja geerbt, dachte der Senator noch, bevor er sich wieder dem Grund seines Kommens widmete. Auf sein zunächst zaghaftes, dann immer heftigeres Klingeln wurde allerdings nicht geöffnet. Was ist da bloß los?, fragte er sich, in der Firma ist er nicht, und hier ist er auch nicht.
Dr. Will Manders, der Kollege und schüchterne Verehrer seiner Tochter, der sich ebenfalls große Sorgen um Nikita gemacht hatte, hatte sich nach ihrer Abreise häufiger bei Paul Ferrer gemeldet. Er war eines Tages zu ihm ins Büro gekommen und hatte ihm sein Herz ausgeschüttet. Kurz darauf hatten sich die Männer bei einem geheimen Treffen im Clubhaus der Golfanlage weiter austauschen können. Schon nach ihrem ersten Kennenlernen hatte der Senator dem jungen Mann sein Vertrauen geschenkt und mit ihm alle Befürchtungen geteilt. Daher passte es so gar nicht, dass Will Manders auf einmal nichts mehr von sich hören ließ. Das konnte im Grunde nur Schlechtes bedeuten.
Jetzt war dem Senator klar, dass der junge Mann sich zu weit aus dem Fenster gelehnt haben musste. Er hatte wohl mit seinen düstersten Ahnungen recht behalten.
Wenn die gemerkt haben, dass du ihnen nicht traust und eigene Nachforschungen angestellt hast, war dies dein Todesurteil. Besonders dann, wenn du herausgefunden haben solltest, wo Niki wirklich ist.
Eine letzte Möglichkeit, an die sich Paul Ferrer gerade klammerte, bestand darin, dass der junge Mann alleine losgezogen sein könnte. Diesen Gedanken verwarf er aber sofort, denn in dem Fall hätte er sich sicher vorher bei ihm gemeldet. Oder auch wieder nicht, wenn Will Manders befürchtete, dass er ihn von diesem Vorhaben abhalten würde. Der Senator war verwirrt und zunehmend unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, was für ihn äußerst ungewöhnlich war. Im Kongress war er für seinen scharfen Verstand bekannt und wurde von seinen politischen Gegnern gefürchtet, weil er seine Gedankengänge auch rhetorisch sehr gewandt zum Ausdruck bringen konnte. Jetzt ging es um das Wohl seiner Tochter und da waren Logik und Verstandesschärfe seinen väterlichen Emotionen zum Opfer gefallen.
Zu Hause wurde er von seiner Frau Eva, die ihm aus der Küche entgegenkam, erwartet. Sie brauchte keine Fragen zu stellen. Schon an der Art und Weise, wie er sein Jackett über einen Stuhl in der Eingangshalle warf, und natürlich an seinem Gesicht, sah sie ihm an, dass er nichts Neues über die Umstände der Reise ihrer Tochter erfahren hatte. Er war in den letzten Tagen älter geworden, wie ihr schien. Tiefe Sorgenfalten hatten sich um Mund und Nase eingegraben.
»Paul, du musst dich ausruhen ... denk an deine Gesundheit, du machst dich noch ganz fertig ... hast du mal in den Spiegel geschaut?«, ermahnte sie ihren Mann und stand jetzt dicht vor ihm. »Ich mache mir Sorgen um dich. Wenn du krank wirst, hilfst du damit niemandem. Überlasse ab jetzt bitte Frank die Nachforschungen, er verfügt über die richtigen Verbindungen. Wenn jemand etwas erfahren kann, was man eigentlich nicht wissen darf ... dann er.«
»Ich habe ihn selbstverständlich angerufen, Eva, er ist im Urlaub, wie mir seine Sekretärin sagte. Wusstest du das? Nun, er muss uns ja nicht alles erzählen.«
Frank Murner, Pauls Studienfreund und Leiter einer militärischen Sicherheitsabteilung, die der Regierung direkt unterstellt war, war Nikitas Patenonkel. Er selbst hatte Kapitän Franch auf persönliche Order des Präsidenten hin befohlen, mit der U46 auszulaufen. Er wusste allerdings damals noch nicht, dass Nikita an Bord sein würde, und als er es erfahren hatte, war es schon zu spät gewesen. Da war sie längst in Flaaland und hatte das größte Abenteuer ihres Lebens begonnen.
Der Senator ließ, ohne auf die Ermahnungen seiner Frau einzugehen – er wusste, dass sie recht hatte –, einen Kaffee aus der Maschine und setzte sich auf einen der hohen Hocker an der Küchentheke.
»Wie kann ich mich ausruhen, Eva ... in dieser Situation? Will Manders ist bestimmt tot«, sagte er fast tonlos und blickte wie ein meditierender Kaffeesatzleser in seine Tasse, als könne er dort eine Antwort finden. »Ich hatte es zwar geahnt, aber jetzt bin ich mir sicher. Dass diese Leute vor nichts zurückschrecken, ist ja nichts Neues. Ich möchte gerne wissen, was unsere Tochter da drüben soll, ausgerechnet unsere Tochter. Was kann so wichtig sein, dass wir die Ewigen Verträge brechen und alles aufs Spiel setzen, was wir uns aufgebaut haben? Ich weiß jedenfalls nichts von irgendwelchen Projekten, die das auch nur annähernd rechtfertigen würden. Das ist vollkommen absurd.«
Er erwartete keine Antwort, sondern stützte seinen Kopf mit beiden Händen und sah dabei aus wie der Denker von Hamangia.
Leise fuhr er fort: »Ich werde niemanden mehr anrufen, das ist verschwendete Zeit. Die wissen jetzt sowieso, dass ich Will Manders suche. Das Haus wird selbstverständlich überwacht. Dass ich daran nicht gedacht habe ... ich bin bestimmt sehr gut zu erkennen ... ach, was soll´s.« Er lächelte bitter.
»Aber wenn du deine Nachforschungen einstellst«, entgegnete seine Frau besorgt, »wird man wissen, dass du Verdacht geschöpft hast. Wenn du irgendwie an der Sache dranbleiben möchtest, bitte einen Kollegen um eine offizielle Untersuchung. Rudolf zum Beispiel. Geh in die Offensive ... obwohl ich eine Ahnung habe, dass es Nikita gut geht. Ich kann mir nicht helfen, aber mein Bauchgefühl sagt es mir. Eine Mutter spürt so etwas.«
Frau Ferrer hatte sich ebenfalls einen Kaffee geholt und stellte sich jetzt ihrem Mann gegenüber an die Theke.
»Eva«, der Senator blickte seine Frau aus müden Augen an, »deine Ahnungen in allen Ehren, aber unsere Tochter ist einige Tausend Meilen weit weg in einem unbekannten, feindlichen Land, da hätte ich schon gerne mehr Sicherheiten als deine Ahnungen. Ich habe auch ein Bauchgefühl, ein väterliches, und das schlägt Alarm.«
»Wieso feindlich, Paul? Woher willst du wissen, dass die Menschen dort unsere Feinde sind?«
»Sie sind vielleicht noch keine Feinde, Eva, aber wenn sie merken, dass wir die Verträge verletzen, werden sie es ... da bin ich mir sicher. Eine offizielle Untersuchung durch den Senat wäre geradezu töricht. Da würden sich einige Medien freuen wie die Maus in der Backstube. Ich sehe schon die fette Schlagzeile: ›Durchgebrannt?‹ Und den Untertitel: ›Senator sucht jetzt offiziell nach dem Verehrer seiner erwachsenen Tochter, die ebenfalls verschwunden ist.‹ Ich sehe schon meine feixenden politischen Gegner vor mir ... nein, den Gefallen werde ich denen sicher nicht tun. Ich kann nur hoffen, dass diejenigen, die für all das verantwortlich sind, nie herausbekommen, dass wir wissen, wo Niki ist. Die Nachricht über den Verlust des U-Boots, mit dem sie gefahren ist, zeigt doch, dass etwas vertuscht werden sollte. Den armen Kapitän und seine Besatzung haben sie auch auf dem Gewissen. Er war so guter Dinge und hatte sich so auf das Wochenende mit seiner Familie gefreut. Frank und ich waren wahrscheinlich diejenigen, die ihn und seine Mannschaft zuletzt lebend gesehen haben.«
»Dann lass los, Paul. Vertraue darauf, dass alles gut geht. Eine Runde Golf würde dir mal wieder guttun«, versuchte Eva ihren Mann aufzuheitern. »Du kannst jetzt sowieso nichts tun, sie ist nun mal weg. Aber wenn sie wieder hier ist, wird sie vielleicht ihren Vater brauchen, was meinst du?«
»Golf, wie kann ich jetzt ans Golf spielen denken, wo unser Kind vielleicht in Gefahr ist! Und wie kommt es, Eva, dass du so gelassen sein kannst, weißt du irgendetwas? Verheimlichst du mir etwas?«
»Habe ich dir jemals etwas verheimlicht, Paul? Nein, wie gesagt, ich habe das Gefühl, dass es unserer Tochter gut geht. Halte mich für verrückt, aber ich weiß es einfach. Nenne es von mir aus ›Mutterinstinkt‹.«
»Eva, bitte! Du weißt es? Na gut ... ich weiß es aber nicht. Morgen werde ich in Nikis Wohnung fahren. Vielleicht entdecke ich doch noch einen Hinweis, irgendeine Botschaft, die sie oder jemand anderes dort gelassen hat und die wir bisher übersehen haben. Ich werde Mike Stunks bitten mitzukommen. Er ist mir noch einen Gefallen schuldig.«
»Was soll Mike denn ausrichten?«, Eva Ferrer runzelte die Augenbrauen. »Bringst du ihn damit nicht in eine ... na ja ... missliche Lage?« Sie dachte an den inzwischen etwas fülliger gewordenen Mike, der Leiter einer Spezialabteilung der NSPO war. Ferrers waren ihm im letzten Jahr bei einem offiziellen Anlass im Festsaal des Ministeriums für Sicherheit begegnet.
Nichts schien den wachsamen Augen dieses Mannes zu entgehen, auch nicht an einem Ort, an dem er eigentlich hätte feiern und sich entspannen können. Eva erinnerte sich, dass es sich um eine Jubiläumsfeier gehandelt hatte. Jemand, der vor lauter Orden schon nicht mehr gerade gehen konnte, hatte noch einen dazubekommen. Eva hasste solche Veranstaltungen wie die Pest, war aber ihrem Mann zuliebe und der Etikette wegen mitgegangen.
Als Eva das College besucht hatte, vor hundert Jahren wie ihr manchmal schien, war Mike Stunks einer ihrer Verehrer gewesen und sie hatte sogar einmal zugestimmt, ihn auf einen Ball zu begleiten. Er hatte sich als recht hartnäckig erwiesen und sie hatte, eher um ihre Ruhe zu haben, seinem freundlichen Drängen nachgegeben. Es war dann doch noch ein lustiger Abend geworden, an dem sich Mike als charmanter Unterhalter und passabler Tänzer gezeigt hatte. Danach hatten sie sich aus den Augen verloren, nachdem sie ihm klargemacht hatte – und zwar diesmal unmissverständlich –, dass es bei der einen Verabredung bleiben würde. Er war ein netter Kerl, der obendrein noch das Gespür dafür hatte, wann es eine Frau ernst meinte, aber als potenzieller Ehemann war er für sie von vornherein nicht in Frage gekommen. Sie hatte nämlich damals schon ein Auge auf Paul Ferrer geworfen, der zu dieser Zeit gerade mitten in seinem juristischen Examen stand. Dennoch hatte der sie, und dafür hatte sie gesorgt, in der Mensa schon einige Male bemerkt und ihr sogar ein Lächeln geschenkt, das sie nur noch mehr motiviert hatte.
»Mike ist einer der Besten«, wurde sie von ihrem Mann aus ihren Erinnerungen gerissen, »und gerade deshalb will ich ihn dabeihaben. Auf sein Konto gehen die meisten Aufklärungen von Verbrechen. Erinnerst du dich an den Entführungsfall der Sisko-Kinder? Das hat er praktisch im Alleingang erledigt, auch wenn, wie man munkelt, Freund Zufall zu Hilfe kam. Aber nur dem Fleißigen winkt auch das Glück. Ich möchte einfach nichts unversucht lassen. Wenn du mit ›misslicher Lage‹ meinst, er müsse das seiner Dienststelle melden, nun, ich werde es ihm erklären, warum es erst einmal besser ist, es nicht zu tun.«
Der Senator hatte seinen Kaffee ausgetrunken und stellte die Tasse scheppernd auf den Unterteller. Sein neuer Plan schien seine Lebensgeister geweckt zu haben.
Natürlich erinnerte sich Eva an die Sisko-Kinder, auch wenn es jetzt 15 Jahre her war. Sie erinnerte sich sogar an das Datum, an dem sie zum ersten Mal von der Entführung gehört hatte, weil es am siebzigsten Geburtstag ihrer Mutter gewesen war. Es war der 2.8.2851 gewesen. Mike hatte ihr die ganze Geschichte außerdem an jenem steifsten aller steifen Abende im letzten Jahr ausführlich erzählt, zumindest das, was er für die ganze Geschichte hielt. Sie waren darauf gekommen, weil Kay, der eine der beiden Sisko-Söhne, irgendeine Auszeichnung seiner Universität erhalten hatte, was just an dem Tag in den Medien berichtet wurde.
Die damals achtjährigen Zwillinge des bekannten Industriellenehepaares Sisko waren entführt und drei Monate lang gefangen gehalten worden. Sie waren offensichtlich wie immer mit dem Wagen von der Schule abgeholt worden. Mr. Doutes, der Hausmeister, und zwei Lehrer hatten dies bestätigt.
Zu diesem Zeitpunkt war der echte Chauffeur, ein gewisser Claude Robbins, allerdings mit Reifenwechseln beschäftigt gewesen. Als der ehemalige Profiboxer, der damals bereits seit fünf Jahren als Leibwächter und Fahrer bei den Siskos arbeitete, losfahren wollte, um die Kinder abzuholen, hatte er bemerkt, dass beide Hinterreifen der schweren gepanzerten Limousine fehlten. Der Wagen war aufgebockt worden. Ob fehlende Schlussfolgerungen das Ergebnis vieler schwerer Kopftreffer gewesen waren oder einen anderen Grund gehabt hatten, würde für immer im Dunkeln bleiben. Jedenfalls hatte sein Hirn die Überlegungen nicht weitergetrieben als bis zu einem ganz einfachen Reifendiebstahl. Einen Ersatzreifen hatte er vorrätig gehabt, aber für den zweiten hatte er einen Servicewagen aus der Werkstatt kommen lassen müssen. Das hatte ungefähr eine halbe Stunde gedauert, was überhaupt nicht tragisch gewesen war, da es wegen des dichten Verkehrs manchmal hatte vorkommen können, dass er sich verspätete. In einem solchen Fall hatten die Kinder einfach in der Halle der Schule auf ihn gewartet und sich die Zeit mit ihren geliebten Computerspielen vertrieben.
»Es war exakt der gleiche Wagen«, so hatte es der beflissene Hausmeister unterwürfig der Polizei, die mit großem Aufgebot angerückt gewesen war, versichert.
»Durch die getönten Scheiben konnte ich doch nicht sehen, wer da am Steuer saß. Ich ging davon aus, dass alles seine Richtigkeit hat. Die Kinder sind ja auch hinten eingestiegen, so wie immer ... sie haben noch gelacht und rumgealbert. Da dachte ich mir doch nichts Schlimmes. Kann ja keiner mit rechnen. Aber ihr könnt sie doch finden, sie haben doch den Chip«, jammerte er, als wenn es sich um seine eigenen Kinder gehandelt hätte. Der Chip hatte aber in diesem Fall nicht helfen können, obwohl Kindesentführungen das Hauptargument bei seiner Einführung gewesen waren. Jeder hatte die Sinnhaftigkeit leicht nachvollziehen können.
Wie sich in diesem Fall später herausgestellt hatte, war der ICD fachmännisch entfernt und ausgetauscht worden. Die Ironie war, dass die ICDs von der Firma Sisko hergestellt wurden. Hundertschaften der Polizei, die fast das ganze Land auf den Kopf gestellt hatten, hatten unverrichteter Dinge aufgeben müssen. Alle Hinweise aus der Bevölkerung waren ins Leere gelaufen und dann versickert wie Wellen an einem Sandstrand. In der ersten Woche waren über fünfhundert Zeugenmeldungen eingetroffen. Alle hatten die Kinder irgendwo gesehen und viele hatten sogar ihren Kopf darauf verwetten wollen. In der zweiten Woche waren es nur noch dreißig Meldungen gewesen, obwohl die Medien fast stündlich von dem Fall berichteten und dafür gesorgt hatten, dass jeder im Land wusste, wie die Zwillinge aussehen.