Kitabı oku: «Klaus Mann - Das literarische Werk», sayfa 61

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»Aber natürlich sollst du!« redete Nicoletta mit einer hohen, scharfen und süßen Stimme. »Du weißt doch selbst ganz genau, daß du sollst – daß du mußt. Dies ist der Sieg, mein Liebling«, girrte sie, wobei sie nicht nur den Mund, sondern den ganzen Körper schlängelte. »Es ist der Triumph! Ich habe immer gewußt, daß er für dich kommen würde.«

Er fragte sie – weiter den kalten, schimmernden Blick der Decke zugewandt: »Wirst du mir helfen, Nicoletta?«

Sie kauerte vor ihm zwischen den Kissen des Lagers. Während sie ihn aus ihren schönen, weiten Katzenaugen anstrahlte, antwortete sie, und formte jede Silbe wie eine Kostbarkeit: »Ich werde stolz auf dich sein.«

Am nächsten Tag war leuchtend schönes Wetter; Hendrik beschloß, zu Fuß von seiner Wohnung zum Palais des Ministerpräsidenten zu gehen. Das ungewöhnliche Ereignis dieser ausführlichen Promenade sollte den festlichen Charakter des Tages unterstreichen. Denn war der Tag, an dem Hendrik Höfgen sein Talent, seinen Namen, seine Person ganz und gar der blutbefleckten Macht zur Verfügung stellte, kein festlicher?

Nicoletta begleitete ihren Freund. Es war ein netter Spaziergang. Die Stimmung der beiden Lustwandelnden war gehoben und munter; leider wurde sie ein wenig getrübt durch eine Begegnung, die Hendrik und Nicoletta unterwegs hatten.

In der Nähe des Tiergartens erging sich eine alte Dame, die durch aufrechte Haltung und ein schönes, weißes, hochmütiges Gesicht imponierte. Zu einem perlgrauen Kostüm von etwas altmodischem, aber elegantem Schnitt trug sie einen dreieckigen Hut aus glänzendem schwarzen Material. Unter dem Hut kamen an den Schläfen steif gedrehte, runde weiße Locken zum Vorschein. Das Haupt der alten Dame glich dem eines Adligen aus dem achtzehnten Jahrhundert. Sie ging sehr langsam, mit kleinen, aber sicheren Schritten. Um ihre gebrechliche, zarte, jedoch durch Energie gestraffte Figur war die melancholische Würde versunkener Epochen, in denen die Menschen von sich wie von den anderen eine schönere und strengere Haltung verlangt hatten, als sie in unseren betriebsam aufgeregten, aber ziemlich hohlen und fahrlässigen, der totalen Entwürdigung bedenklich zugeneigten Tagen üblich ist.

»Es ist die Generalin«, sagte Nicoletta ehrfurchtsvoll leise; dabei blieb sie stehen. Sie war etwas rot geworden. Auch Hendrik errötete, während er seinen leichten grauen Hut zog und sich tief verneigte.

Die Generalin hob die Lorgnette, die ihr an einer langen Kette aus blauen Halbedelsteinen auf der Brust hing. Durch das Glas musterte sie, ausführlich und gelassen, das junge Paar, welches nur noch einige Schritte von ihr entfernt stand.

Das Gesicht der schönen Greisin blieb unbewegt. Sie erwiderte den Gruß des Schauspielers Höfgen und seiner Begleiterin nicht. War ihr bekannt, wohin diese beiden gingen – welchen Vertrag Hendrik, der mit Barbara verheiratet gewesen war, in einer Stunde unterschreiben würde? Vielleicht ahnte sie es, oder sie ahnte doch etwas von dieser Art. Sie wußte, was sie von Hendrik und Nicoletta zu halten hatte. Sie verfolgte ihre Entwicklung, und sie war entschlossen, nichts mehr zu tun zu haben mit diesen beiden.

Die Lorgnette der Generalin sank leise klappernd herab. Die alte Dame wandte Hendrik und Nicoletta den Rücken. Sie entfernte sich von ihnen mit kleinen, etwas mühsamen Schritten, denen Energie und eine stolze innere Haltung Festigkeit und selbst einen gewissen Elan verliehen.

10
Die Drohung

Der Intendant war kahlköpfig. Die letzten seidenweichen Strähnen, welche die Natur ihm gelassen hatte, rasierte er sich ab. Seines edel gebildeten Schädels brauchte er sich nicht zu schämen. Mit Würde und Selbstbewußtsein trug er das mephistophelische Haupt, in das der Herr Ministerpräsident sich vergafft hatte. Im fahlen, etwas aufgeschwemmten Gesicht schimmerten die kalten Juwelenaugen so unwiderstehlich wie je. Der empfindliche Leidenszug an den Schläfen rührte zu einem respektvollen Mitleid. Die Wangen begannen ein wenig schlaff zu werden, hingegen hatte das Kinn, mit der markanten Kerbe in der Mitte, seine herrische Schönheit behalten. Vor allem wenn der Intendant es hochreckte, wie dies seine Art war, wirkte es sowohl imponierend als reizend; neigte er indessen das Gesicht, so entstanden Falten am Hals, und es stellte sich heraus, daß er eigentlich ein Doppelkinn besaß.

Der Intendant war schön. Nur Personen, die so scharf blickten wie die alte Frau Generalin durch ihre Lorgnette, glaubten feststellen zu dürfen, daß seine Schönheit nicht ganz echt, nicht ganz legitim und mehr eine Leistung des Willens war als eine Gabe der Natur. »Es verhält sich mit seinem Gesicht so ähnlich wie mit seinen Händen«, behaupteten solche Boshaften und Überkritischen. »Die Hände sind breit und häßlich, aber er weiß sie zu präsentieren, als wären sie spitz und gotisch.«

Der Intendant war sehr würdig. Das Monokel hatte er gegen eine Hornbrille mit breitem Rand vertauscht. Seine Haltung war aufrecht, zusammengenommen, beinah steif. Der Zauber seiner Persönlichkeit ließ das Fett übersehen, das er doch in Wahrheit reichlich ansetzte. Meistens sprach er mit einer leisen, belegten, dabei singenden Stimme, die gebieterische, kokett wehleidige und sinnlich werbende Töne auf diskrete Art miteinander abwechseln ließ und zuweilen, bei festlichen Anlässen, den überraschend aufleuchtenden Metallton hergab.

Jedoch konnte der Intendant auch munter sein. Im Repertoire der Mittel, mit denen er verführte, hatte die typisch rheinische, bei ihm aber übermütig persönlich geprägte Lustigkeit ihren wichtigen Platz. Wie der Intendant zu scherzen verstand, wenn es galt, verdrossene Bühnenarbeiter, widerspenstige Schauspieler oder die schwer zu behandelnden Repräsentanten der Macht für sich zu gewinnen! Er brachte Sonnenschein in ernste Versammlungssäle, er erhellte mit der ihm angeborenen und durch eine lange Routine perfektionierten Schalkhaftigkeit trübe Probenvormittage.

Der Intendant war beliebt. Beinah alle Menschen mochten ihn, rühmten seine Leutseligkeit und waren der Ansicht, er sei ein feiner Kerl. Ihm gegenüber schien sogar die politische Opposition, die nur bei geheimen Zusammenkünften, in sorgfältig verschlossenen Räumen ihre Ansicht äußern konnte, milde gestimmt. Es sei doch ein rechtes Glück – so meinten die, welche mit dem Regime nicht einverstanden waren – daß auf einem so wichtigen Posten, wie der es war, den Höfgen innehatte, ein deklarierter Nicht-Nationalsozialist sitze. In diesen verschwörerischen Zirkeln wollte man wissen, daß der Chef des Staatstheaters sich den Ministerien gegenüber manches leistete und herausnahm. Er hatte Otto Ulrichs an die preußische Bühne gebracht – eine ebenso riskante wie lobenswerte Tat. Seit neuestem hielt er sich sogar einen Privatsekretär, der Jude oder mindestens Halbjude war: Johannes Lehmann hieß der junge Mensch, er hatte sanfte, goldbraune, etwas ölige Augen und war dem Intendanten ergeben wie ein treuer Hund. Lehmann war zum Protestantismus übergetreten und sehr fromm. Neben germanistischen und theatergeschichtlichen Kollegs hatte er theologische gehört. Für Politik interessierte er sich nicht. »Hendrik Höfgen ist ein großer Mensch«, pflegte er zu sagen und verlieh dieser Meinung in den jüdischen Kreisen, zu denen er durch seine Familie, und in den oppositionell-religiösen, zu denen er durch seine Frömmigkeit Beziehung hatte, eifrig Ausdruck.

Hendrik honorierte den ergebenen Johannes aus eigener Kasse: er ließ es sich etwas kosten, einen Menschen von der Paria-Rasse in seinem Dienste zu haben und, auf solche Weise, den Gegnern des Regimes zu imponieren. Für das Gehalt eines »arischen« Privatsekretärs wäre das Staatstheater aufgekommen; jedoch konnte der Intendant nicht gut die öffentliche Kasse für den Sold eines »Nichtariers« in Anspruch nehmen. Vielleicht hätte ihm der Ministerpräsident sogar diese Laune verziehen. Aber Hendrik legte Wert darauf, das finanzielle Opfer zu bringen. Die zweihundert Mark, die er monatlich zu zahlen hatte und die übrigens in seinem Etat eine minimale, kaum spürbare Rolle spielten, lohnten sich ihm. Denn gerade sie gaben seiner schönen Tat ein besonderes Gewicht und vergrößerten ihre Wirkung. Der Jüngling Johannes Lehmann war ein bedeutender Aktivposten in der Bilanz jener »Rückversicherungen«, die Höfgen sich ohne gar zu große Risiken leisten durfte. Er brauchte sie, ohne sie hätte er seine Situation kaum ertragen, sein Glück wäre zerstört worden durch ein schlechtes Gewissen, das wunderlicherweise nie ganz schweigen wollte, und durch eine Angst vor der Zukunft, die den großen Mann zuweilen bis in seine Träume verfolgte.

Im Theater selbst – dort also, wo er als hohe Amtsperson handelte – erschien es ihm keineswegs ratsam, sich gar zuviel herauszunehmen: der Propagandaminister und seine Presse schauten ihm auf die Finger. Der Intendant mußte froh sein, wenn er das Äußerste an künstlerischer Blamage, wenn er die Aufführung völlig dilettantischer Stücke, das Engagement total unbegabter, nichts als blonder Schauspieler verhindern konnte.

Selbstverständlich war das Theater garantiert »judenrein«, von den Bühnenarbeitern, Inspizienten und Portiers bis hinauf zu den Stars. Selbstverständlich durfte die Annahme eines Stückes nicht erwogen werden, wenn die Ahnentafel des Verfassers nicht bis ins vierte und fünfte Glied nachweisbar tadellos war. Stücke, in denen sich eine Gesinnung vermuten ließ, die das Regime als anstößig empfinden konnte, kamen ohnedies nicht in Frage. Es war nicht ganz leicht, unter solchen Umständen ein Repertoire zusammenzustellen; denn auch auf die Klassiker konnte man sich nicht verlassen. In Hamburg hatte es bei einer Aufführung des »Don Carlos« demonstrativen und fast aufrührerischen Beifall gegeben, als Marquis Posa vom König Philipp die »Gedankenfreiheit« forderte; in München war eine Neuinszenierung der »Räuber« so lange ausverkauft gewesen, bis die Regierung sie verbot: Schillers Jugendwerk hatte als aktuell-revolutionäres Drama gewirkt und begeistert. Intendant Höfgen wagte sich also weder an den »Carlos« noch an die »Räuber«, obwohl er selber gerne sowohl den Marquis Posa als auch den Franz Moor gespielt haben würde. Fast alle modernen Stücke, die bis zum Januar 1933 in den Spielplan einer anspruchsvollen deutschen Bühne gehört hatten – die frühen, noch kraftvollen Werke Gerhart Hauptmanns, die Dramen Wedekinds, Strindbergs, Georg Kaisers, Sternheims – wurden wegen zersetzend kulturbolschewistischen Geistes scharf und mit Empörung abgelehnt: Intendant Höfgen konnte sich nicht erlauben, eines von ihnen zur Aufführung vorzuschlagen. Die jüngeren Dramatiker von Talent waren beinah ausnahmslos emigriert oder lebten in Deutschland nicht anders denn in der Verbannung. Was sollte Intendant Höfgen spielen lassen in seinen schönen Theatern? Die nationalsozialistischen Dichter – forsche Knaben in schwarzen oder braunen Uniformen – schrieben Dinge, von denen jeder, der etwas vom Theater verstand, sich mit Grausen abwandte. Intendant Höfgen erteilte Aufträge an jene von den militanten Buben, denen er am ehesten einen Funken von Begabung zutraute: an fünf von ihnen ließ er ein paar tausend Mark auszahlen, ehe sie noch mit der Arbeit begonnen hatten, damit er nur endlich ein Stück bekäme. Die Resultate aber fielen jämmerlich aus. Was abgeliefert wurde, waren patriotische Tragödien, die das Machwerk hysterischer Gymnasiasten zu sein schienen. »Es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, in diesem Deutschland auch nur halbwegs vernünftiges Theater zu machen«, äußerte Hendrik im Kreise der Intimen und stützte sein fahles, überanstrengtes, ein wenig angewidertes Gesicht in die Hände.

Die Situation war sehr schwierig, aber Intendant Höfgen war sehr geschickt. Da es keine modernen Lustspiele gab, entdeckte er alte Possen und hatte starke Erfolge mit ihnen; monatelang machte er volle Häuser mit einer verstaubten französischen Komödie, über die unsere Großväter sich amüsiert hatten. Er selber spielte die Hauptrolle, zeigte sich dem Publikum in einem wunderbar bestickten Rokokokostüm, sein köstlich geschminktes Gesicht wirkte mit einem schwarzen Schönheitspflästerchen am Kinn derartig pikant, daß alle Weiber im Parkett vor Wonne kicherten, als hätte man sie gekitzelt, seine Gebärden hatten eine Beschwingtheit, seine Konversation eine Verve, die den wacker fabrizierten Großvaterscherz wirken ließen wie den glanzvollsten modernen Reißer. Da Schiller, mit seiner ewigen Beschwörung der Freiheit, anrüchig war, bevorzugte der Intendant Shakespeare, den die maßgebende Presse als den großen Germanen, als das völkische Genie par excellence proklamiert hatte. – Lotte Lindenthal, Favoritin eines Halbgottes und repräsentative Menschendarstellerin des neuen Deutschland, konnte es wagen, als Minna von Barnhelm aufzutreten – also in einer Komödie, deren Verfasser für seine Judenfreundlichkeit ebenso unliebsam bekannt war wie für seine gänzlich unzeitgemäße Liebe zur Vernunft. Weil die Lindenthal mit dem Fliegergeneral buhlte, verzieh man Gotthold Ephraim Lessing seinen »Nathan der Weise«. Auch die »Minna von Barnhelm« machte gute Kasse. Die Einnahmen der Staatlichen Bühnen, die unter der Direktion des Dichters Cäsar von Muck so miserabel gewesen waren, verbesserten sich zusehends, dank der Gewandtheit des neuen Intendanten.

Cäsar von Muck, der im besonderen Auftrag des Führers eine Vortrags- und Propaganda-Tournee durch Europa unternahm, hätte Anlaß gehabt, sich über die Triumphe seines Nachfolgers zu ärgern. Er ärgerte sich in der Tat, zeigte es aber nicht, sondern schrieb Ansichtskarten an seinen »Freund Hendrik« aus Palermo oder aus Kopenhagen. Auf ihnen ward er nicht müde zu betonen, wie schön und herrlich es sei, so in Freiheit durch die Lande zu streifen. »Wir Dichter sind doch alle Vagabunden«, schrieb er aus dem Grand Hotel in Stockholm. Er hatte reichlich Devisen mitbekommen. In seinen teils lyrisch, teils militant gestimmten Feuilletons, die alle Zeitungen in großer Aufmachung publizieren mußten, war viel von Luxusrestaurants, reservierten Theaterlogen und Empfängen auf Botschaften die Rede. Der Schöpfer der »Tannenberg«-Tragödie entdeckte seine Neigung für die große Welt. Andererseits faßte er seine Lustpartie als erhabene sittliche Sendung auf. Der mondän-poetische Agent der deutschen Diktatur im Ausland liebte es, seine suspekte Tätigkeit als »Seelsorgerberuf« zu bezeichnen und zu betonen, daß er nicht mit Bestechungsgeldern für das Dritte Reich werben wolle, wie etwa sein Chef – der Hinkende – dies tat; vielmehr mit kleinen zarten Liebesliedern. Überall hatte er Abenteuer, die so reizend wie bedeutsam waren. In Oslo zum Beispiel erreichte ihn ein Anruf aus der nördlichsten Telefonzelle Europas. Eine besorgte Stimme fragte ihn aus der Polargegend: »Wie ist es in Deutschland?« Da versuchte der seelsorgerische Globetrotter mit aller Andacht ein paar Sätze zu formen, die wie eine Handvoll Märzenbecher, Schneeglöckchen und erste Veilchen in der Dunkelheit drüben erblühen sollten. – Überall war es nett, nur in Paris fühlte der Sänger der Schlacht von den Masurischen Sümpfen sich unbehaglich. Denn dort irritierte ihn ein militaristisch-kriegerischer Geist, der ihm fremd war und den er nicht mochte. »Paris ist gefährlich«, berichtete der Dichter nach Hause, und er dachte mit ernster Rührung an den feierlichen Frieden, der in Potsdam herrscht. – Nur ganz nebenbei, zwischen all den starken Erlebnissen, die seine Reise für ihn mit sich brachte, intrigierte Herr von Muck, brieflich und telefonisch, ein wenig gegen seinen Freund Hendrik Höfgen. Der deutsche Dichter hatte in Paris durch irgendwelche Spione – Agenten der Geheimen Staatspolizei oder Mitglieder der Deutschen Botschaft – herausbekommen, daß es dort eine Negerin gab, die in unstatthaften und häßlichen Beziehungen zu Höfgen gestanden hatte und auch heute noch von ihm erhalten wurde. Cäsar überwand die ihm angeborene Aversion gegen welsche Unmoral und begab sich in das zweifelhafte Etablissement am Montmartre, wo Prinzessin Tebab als Vögelchen wirkte. Er bestellte Champagner für sich und die schwarze Dame; als diese aber erfuhr, daß er aus Berlin komme und etwas über Hendrik Höfgens erotische Vergangenheit zu wissen wünsche, sprach sie einige verächtliche und derbe Worte, stand auf, streckte ihm das schöne Hinterteil hin, von dem grüner Federnschmuck wallte, und begleitete diese Gebärde auch noch mit einem Geräusch, welches ihre gespitzten Lippen produzierten, und das die fatalsten Assoziationen hervorrufen mußte. Das ganze Lokal amüsierte sich. Der deutsche Barde war auf lächerliche und blamable Art abgefahren. Er machte drohende Stahlaugen, schlug mit der Faust auf den Tisch, äußerte mehrere sächsisch akzentuierte Sätze der Entrüstung und verließ das Lokal. Noch in derselben Nacht unterrichtete er telefonisch den Propagandaminister davon, daß mit dem Liebesleben des neuen Intendanten irgendwie nicht alles in Ordnung sein könne. Ohne Frage: hier waltete ein trübes Geheimnis, und der Liebling des Ministerpräsidenten bot Angriffsflächen. Der Propagandaminister dankte seinem Freunde, dem Dichter, aufs lebhafteste für die interessanten Mitteilungen.

Aber wie schwer war es nun schon geworden, dem ersten Theatermann des Reiches, dem großen Liebling der Mächtigen und des Publikums, etwas anzuhaben! Hendrik wurde allgemein geschätzt, er saß fest im Sattel. Auch sein Privatleben machte den günstigsten Eindruck. Auf eine gewisse nervöse und eigenwillig originelle Art hatte der junge Herr Intendant, im Rahmen seiner Häuslichkeit, geradezu etwas Patriarchalisches bekommen.

Hendrik hatte sich seine Eltern und Schwester Josy aus Köln nach Berlin kommen lassen. Mit ihnen bewohnte er eine große, schloßartige Villa im Grunewald. In der Etage am Reichskanzlerplatz, über die der Mietvertrag noch für einige Monate lief, logierte vorläufig Nicoletta. Die Villa mit Park, Tennisplatz, schönen Terrassen und geräumigen Garagen gab dem jungen Intendanten das Relief, den hochherrschaftlichen Hintergrund, den er nun brauchte und wollte. Wie lange war es her, daß er auf leichten Spangenschuhen, mit flatterndem Ledermantel, das Monokel vorm Auge – eine auffallende und beinah komische Erscheinung – durch die Straßen geeilt war? Noch am Reichskanzlerplatz war er Bohemien gewesen, wenn auch Bohemien mit luxuriösem Lebensstil. Im Grunewald aber wurde er Grandseigneur. Geld spielte keine Rolle: wenn es sich um ihre Favoriten handelte, war die Hölle nicht geizig, die Unterwelt zahlte, der Schauspieler Höfgen, der vom Leben nichts beansprucht hatte als ein reines Hemd und eine Flasche Eau de Cologne auf dem Nachttisch, konnte sich Rennpferde, große Dienerschaft und einen ganzen Park von Automobilen leisten. Niemand, oder fast niemand, nahm Anstoß an dem Pomp, den er entfaltete. In allen Illustrierten war das schöne Milieu zu sehen, in dem der junge Herr Intendant sich von anstrengender Arbeit erholte – »Hendrik Höfgen, im Garten seiner Besitzung den berühmten Rassehund Hoppi fütternd«, »Hendrik Höfgen, im Renaissance-Speisezimmer seiner Villa mit seiner Mutter beim Frühstück« – und die meisten Leute fanden es recht und billig, daß ein Mann, der sich um das Vaterland derartige Verdienste erwarb, auch seinerseits stark verdiente. Übrigens war ja all die Pracht, mit welcher der Intendant sich umgab, klein und bescheiden, verglichen mit dem märchenhaften Aufwand, den sein gewaltiger Herr und Freund, der Fliegergeneral, sich vor den Augen der Volksgemeinschaft provokant und prahlerisch gönnte …

Die Grunewaldvilla war das Eigentum des jungen Intendanten; er nannte sie »Hendrik-Hall« und hatte sie einem jüdischen Bankdirektor, der nach London übersiedelt war, für eine relativ niedrige Summe abgekauft. In Hendrik-Hall war alles höchst fein und gewiß ebenso großartig, wie es im Palais des »Professors« gewesen war. Die Diener trugen schwarze Livreen mit silbernen Borten, nur der kleine Böck durfte ein wenig schlampig umhergehen. Meistens zeigte er sich in einer schmutzigen, blau und weiß gestreiften Jacke; zuweilen in der braunen SA-Uniform. Der törichte Bursche mit den wäßrigen Augen und dem harten Haar, das ihm immer noch wie eine Bürste vom Schädel stand, genoß eine besondere und bevorzugte Stellung in Hendrik-Hall. Ihn bewahrte der Schloßherr wie ein drolliges kleines Andenken an vergangene Zeiten. Der kleine Böck war im Grunde eigens dafür engagiert, um sich beständig über die wundersame Verwandlung seines Meisters zu erstaunen und entzücken. Das tat er denn auch und sagte täglich mindestens einmal: »Nein, wie schön und reich wir geworden sind! Es ist doch nicht zu schildern! Wenn ich daran denke, daß wir uns einmal sieben Mark fünfzig haben pumpen müssen, um abendessen zu können!« Der kleine Böck kicherte ehrfurchtsvoll und gerührt bei der Erinnerung. – »Ein braves Tier«, sagte Höfgen von ihm. »Er ist mir auch in schlechten Zeiten treu gewesen.« Die betonte Freundlichkeit, mit der er vom kleinen Böck sprach, schien einen geheimen Trotz zu enthalten. Wem galt er, gegen wen richtete er sich? War es nicht Barbara gewesen, die ihm seinen Böck, den ergebenen Knecht, nicht hatte gönnen wollen? In der Hamburger Wohnung war nur ein Fräulein geduldet worden, das ihren zehnjährigen Dienst auf dem Gute der Generalin hinter sich hatte – damit sich nur ja nichts änderte im Leben der gnädigen Frau, der Geheimratstochter. Hendrik, in all seinem Glanz, konnte die kleinsten Niederlagen der Vergangenheit nie vergessen. »Jetzt bin ich Herr im Hause!« sagte er.

Jetzt war er Herr im Hause, über dessen Schwelle beinah nur noch Menschen kamen, die mit Bewunderung und Ehrfurcht auf ihn blickten. Die Familie, die er an seines Daseins festlicher Schönheit teilhaben ließ, bekam auch seine Launen zu spüren. Hendrik veranstaltete zuweilen gemütliche Abende am Kaminfeuer oder reizende Sonntagvormittage im Garten. Häufiger aber geschah es, daß er sein fahles, beleidigtes Gouvernantengesicht zeigte, sich in seine Gemächer verschloß und vorwurfsvoll behauptete, er leide an schwerer Migräne, »weil ich so sehr viel arbeiten muß, um für euch das Geld herbeizuschaffen, ihr Nichtstuer.« Dies sagte er nicht, deutete es jedoch drastisch an durch leidendes und gereiztes Wesen. »Kümmert euch nicht um mich!« riet er den Seinen, und nahm es dann nachhaltig übel, wenn man wirklich ein paar Stunden lang nicht nach ihm sah.

Am besten verstand es seine Mutter Bella, mit ihm auszukommen. Sie behandelte ihren »großen Jungen« sehr sanft, aber nicht ohne zärtliche Bestimmtheit. Ihr gegenüber wagte er es selten, sich gar zuviel herauszunehmen. Übrigens hing er wirklich an ihr und war auch stolz auf seine distinguierte Mama. Sie hatte sich sehr zu ihrem Vorteil verändert und zeigte sich ihrer neuen, anspruchsvollen Situation durchaus gewachsen. Den großen Haushalt ihres berühmten Sohnes verstand sie mit würdevollem Takt und erfahrener Umsicht zu führen. Hätte der eleganten Matrone noch irgend jemand ansehen können, daß sie der Gegenstand übler Klatschereien gewesen war, als sie aus wohltätigen Gründen im Sektzelt ihres Amtes gewaltet hatte? Das lag weit zurück, niemand wußte mehr von den dummen alten Geschichten. Aus Frau Bella war eine dezent zurückhaltende, aber doch nicht zu übersehende Figur der Berliner Gesellschaft geworden. Sie war dem Herrn Ministerpräsidenten vorgestellt und verkehrte in den wichtigsten Häusern. Unter der adretten grauen Dauerwellen-Frisur hatte ihr intelligentes, fröhliches Gesicht, dem das Antlitz ihres berühmten Sohnes so sehr glich, immer noch frische Farben. Frau Bella kleidete sich einfach, aber mit Sorgfalt. Sie bevorzugte dunkelgraue Seide im Winter, perlgraue während der warmen Zeit. Perlgrau war das Kostüm gewesen, das Frau Bella vor Jahren an der schönen Großmutter ihrer Schwiegertochter bewundert hatte. Mutter Höfgen bedauerte es von Herzen, daß die Generalin nicht in der Grunewaldvilla verkehrte. »Ich würde die alte Dame gerne bei uns empfangen«, äußerte sie, »obwohl sie ja etwas jüdisches Blut haben soll. Darüber könnten wir uns hinwegsetzen – findest du nicht auch, Hendrik? Aber sie hat es noch nicht einmal der Mühe wert gefunden, Karten bei uns abzugeben. Sind wir ihr etwa immer noch nicht fein genug? – Viel Geld scheint sie doch auch nicht mehr zu haben«, schloß Frau Bella und schüttelte, halb mitleidig, halb pikiert, den Kopf. »Sie sollte froh sein, wenn eine anständige Familie sich noch ihrer annehmen will.«

Leider war mit Vater Köbes nicht derselbe Staat wie mit Frau Bella zu machen. Er hatte sich zum Sonderling entwickelt, lief tagaus, tagein in einer alten Hausjacke aus Flanell herum, interessierte sich hauptsächlich für Kursbücher, in denen er stundenlang blätterte, und für eine kleine Sammlung von Kakteen, die er auf dem Fensterbrett hegte; er rasierte sich zu selten und versteckte sich, wenn Gäste kamen. Sein rheinischer Witz war ihm total abhanden gekommen. Meistens schwieg er und starrte etwas blöde vor sich hin. Er hatte Heimweh nach Köln, obwohl ihm doch dort der Gerichtsvollzieher nicht mehr aus der Wohnung gewichen war und all seine geschäftlichen Unternehmungen ein so übles Ende gefunden hatten. Aber der Kampf, den er mit Leichtsinn und Zähigkeit um seine Existenz hatte führen müssen, war ihm besser bekommen als das Nichtstun am Herde seines arrivierten Sohnes. Hendriks Ruhm und Glanz waren ein Gegenstand der beständigen Verwunderung, fast des Grames für den alten Mann. »Nein, wie konnte das nur passieren!« murmelte er, als hätte ein Unglücksfall sich ereignet. Jeden Morgen betrachtete er sich bestürzt den Stoß von Briefen, der für seinen mächtigen und vielgeliebten Sprößling eingetroffen war. Wenn Johannes Lehmann sich mit Arbeit gar zu überlastet fand, bat er zuweilen Vater Köbes darum, ihm diese oder jene Kleinigkeit abzunehmen. So verbrachte der Alte manchen Vormittag damit, Photographien seines Sohnes zu signieren; denn er konnte Hendriks Handschrift besser nachahmen, als der Sekretär es fertigbrachte. Wenn der Intendant besonders sanfter Stimmung war, geschah es wohl, daß er seinen Vater einmal fragte: »Wie geht es dir denn, Papa? Du wirkst oft so niedergeschlagen. Es fehlt dir doch nichts? Du langweilst dich doch nicht in meinem Hause?«

»Nein, nein«, brummte Vater Köbes, der etwas rot wurde unter all seinen Stoppeln. »Ich habe doch soviel Freude an meinen Kakteen und an den Hunden.« Den Hunden durfte nur er zu fressen geben, er ließ keinen Diener an sie heran. Täglich machte er mit den schönen Windspielen einen großen Spaziergang, während Hendrik sich nur mit ihnen photographieren ließ. Die Tiere liebten Vater Köbes, gegen Hendrik aber waren sie scheu, weil dieser im Grunde seinerseits Angst vor ihnen hatte. »Sie sind bissig«, behauptete er; so sehr auch Vater Köbes widersprechen mochte, Hendrik blieb dabei: »Besonders Hoppi ist bissig. Er wird mir sicher plötzlich einmal etwas Scheußliches antun.«

Schwester Josy hatte ein kokett eingerichtetes Appartement im oberen Stockwerk der Villa. Aber sie war viel auf Reisen und ließ es häufig unbewohnt. Seit ihr Bruder zur Macht gehörte, ließ man Fräulein Höfgen überall am Rundfunk singen. Sie brachte flotte Piecen in rheinischer Mundart, man sah ihr niedliches Gesicht in allen Radiozeitschriften, und sie hatte häufig Gelegenheit, sich zu verloben. Das tat sie denn auch, aber nun durfte natürlich nicht mehr der erste beste um ihre Hand bitten, nur noch standesgemäße Verbindungen kamen in Frage, junge Herren in SS-Uniform wurden bevorzugt, ihre dekorativen Figuren belebten Hendrik-Hall. »Den Grafen Donnersberg werde ich wirklich heiraten«, verhieß Josy. Ihr Bruder äußerte Skepsis, Josy mußte weinen. »Du bist immer so spöttisch zu mir«, brachte sie hervor. Frau Bella tröstete sie, auch Hendrik mochte es nicht, wenn sie Tränen vergoß, alle versicherten ihr, sie sei so hübsch geworden. Wirklich sah sie jetzt viel attraktiver aus als damals, da Barbara ihre Bekanntschaft auf dem Bahnsteig der süddeutschen Universitätsstadt gemacht hatte. Es lag vielleicht auch daran, daß sie sich jetzt teure Kleider leisten konnte. Den Sattel von Sommersprossen auf dem kecken Näschen hatte sie, durch eine umständliche kosmetische Behandlung, beinahe ganz entfernt. »Dagobert hat damit gedroht, die Verlobung aufzulösen, wenn die Sommersprossen nicht verschwinden«, sagte sie.

Auch der junge Dagobert von Donnersberg hatte seine Launen, nicht nur Hendrik durfte sich welche leisten. Höfgen hatte den Grafen im Hause der Lindenthal kennengelernt, die sich gerne mit Aristokraten umgab. Dagobert – der ebenso hübsch wie unbemittelt, ebenso dumm wie verwöhnt war – wurde sofort nach Hendrik-Hall eingeladen. Fräulein Josy machte ihm den Vorschlag, mit ihr auszureiten. Hendrik bewegte seine schönen Pferde zu wenig: seine Zeit war kostbar, und übrigens machte ihm das Reiten kein Vergnügen. Er hatte es für Filmaufnahmen mit Mühe erlernt, und er wußte, daß er schlecht im Sattel saß. Die Tiere hielt er sich eigentlich nur, weil sie sich gut auf den Photos der Illustrierten ausnahmen; ganz heimlicherweise und ohne daß er sich dies selber jemals zugegeben hätte, waren vielleicht auch die Pferde, wie der kleine Böck, eine späte und verzweifelt sinnlose Rache an Barbara, die ihn mit ihren Morgenritten so oft geärgert hatte. Barbara aber war fern, sie wußte nichts von den Pferden, sie kümmerte sich in Paris um die politischen Flüchtlinge und um eine kleine aggressive Revue, für die sie Abonnenten im Balkan und in Südamerika, in Skandinavien und im Fernen Osten warb … Fräulein Josy und ihr Dagobert ritten ins Freie. Der junge Graf verliebte sich ein wenig in das muntere Mädchen. Da sie Wert darauf zu legen schien, verlobte er sich sogar mit ihr, hörte aber natürlich trotzdem nicht auf, nach Damen, die mehr Geld für seinen Titel würden zahlen können, Umschau zu halten. Zunächst jedoch hatte er es nicht eilig damit, die kleine Höfgen wieder zu verlassen, und hielt es auch nicht für ratsam, eine Familie zu brüskieren, die den persönlichen Umgang des Ministerpräsidenten genoß. Übrigens fand Dagobert es ganz amüsant in Hendrik-Hall.

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