Kitabı oku: «Gehen, um zu bleiben», sayfa 2
Die Krise kommt näher
Im Dezember 1981 stellte der Präsident der Volksrepublik Polen sein Land unter Kriegsrecht. Man vermutete, dass er zu dieser Maßnahme gegriffen hatte, um die Sowjetunion von einem militärischen Eingreifen in seinem Land abzuhalten, was zweifellos zu einem blutigen Krieg mitten in Europa geführt hätte.
Unglücklicherweise befand sich Bundeskanzler Schmidt zu diesem Zeitpunkt gerade bei Erich Honecker in dessen Gästehaus in der Schorfheide zu Besuch. Er konnte aber auch nicht so einfach aus Protest abreisen, wollte ja noch in Güstrow die Barlach-Gedenkstätte besuchen und auf der Orgel im Dom der Stadt dem Orgelspiel frönen. Vor allem aber wollte er die weltpolitische Situation nicht noch weiter aufheizen, die durch den Nachrüstungsbeschluss, der ja auf Schmidts Initiative zurückging, einen weiteren Höhepunkt erreicht hatte.
Dann war er aber doch in Güstrow, das keine dreißig Minuten Fahrzeit mit dem Bummelzug von Rostock entfernt liegt. Ich bin eigentlich kein Jubler, äußere meine Zustimmung zu politischen Dingen eher im privaten Kreis; dem geachteten deutschen Kanzler Schmidt wollte ich aber doch durch Anwesenheit meine Reverenz erweisen. Es fuhren an diesem Tag jedoch keine Züge nach Güstrow. Wer nach Waren oder nach Berlin löste, dem wurde gesagt, dass der Zug nicht in Güstrow hält. Wer aber glaubte, pfiffig zu sein und nach Karow oder nach Plau lösen wollte, der wurde auf den Schienenersatzverkehr verwiesen, der natürlich im weiten Bogen um Güstrow herumfuhr. Wem es aber doch gelungen war, seine Person in die Stadt hineinzuschmuggeln oder wer darin wohnte, der hatte weitere Hindernisse zu gewärtigen. Das deutsche Fernsehen hat nach der Wende mehrere eindrucksvolle Sendungen gebracht, die jene Schande besser dokumentiert haben, als es meine Zeilen jemals tun können.
Für alle Welt sichtbar, hatte die Sowjetunion durch Nach-Nachrüstung, Afghanistan-Invasion und polnische Solidarność-Bewegung gewaltige Probleme, zu Beginn der 80er Jahre kam ein weiteres Problem hinzu. In den baltischen, belorussischen und zentralrussischen Kartoffelanbaugebieten der Sowjetunion gab es eine schreckliche Missernte, die mit der Kartoffelfäule in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts in Irland vergleichbar war. Die DDR-Landwirtschaft musste in die Bresche springen. Bereits im Sommer 1981 bemerkte ich, wie man an der Küste bei Lubmin Kliffhäfen in den Bodden hineinbaute. Nun konnten die flachgehenden sowjetischen Wolgabaltschiffe, die für die Ostsee genauso wie für die großen russischen Flüsse gedacht waren, große Mengen Kartoffeln gleich vom LKW in die Laderäume kippen lassen. Bis zur Mitte der 80er Jahre habe ich diese Kartoffelexport-Praxis auch in den östlichen Hafenstädten der DDR beobachten können.
Die DDR war vom zehntgrößten Industrieland der Welt zum Lebensmittellieferanten geworden, denn auch Fleisch (Jungrinder nach Westen und Schweine nach Osten) wurde fleißig exportiert. Hafenarbeiter witzelten: „Demnächst kommen die Russen mit dem Tanker und holen sich die Soße, damit sie die Kartoffeln und das Fleisch einditschen können.“ Andere waren aber weniger pessimistisch, sagten: „Jetzt wird’s ja bald besser, auch in der DDR. Wir haben doch einen Handelsvertrag mit der Insel Dari!“ Wer nun zurückfragte, wo die Insel Dari denn gelegen sei, bekam zur Antwort: „In der Inselgruppe zwischen Soli und Tät.“
In dieser Situation brach im Frühjahr 1982 in den Nordbezirken der DDR die Maul- und Klauenseuche aus. Nach einigen Wochen machte sich in der gesamten DDR ein deutlicher Fleischmangel bemerkbar.
Zu dieser Zeit lief in den Kinos der DDR die überwältigende englische Verfilmung von Swifts „Gullivers Reisen“. Darin kommt eine Szene vor, in der es um Querelen der Liliputaner mit den Bewohnern der Nachbarinsel geht. Gulliver schlichtet hier den Streit, ob man das Ei oben oder unten aufschlagen sollte, indem er den Streithähnen empfiehlt, doch aus den Eiern einfach Omelette, verlorene Eier, Spiegeleier, Rührei, Senfei oder Hoppelpoppel zu machen. Diesen Hinweis befolgten die Gaststättenleiter in den Gaststätten der DDR. Es gab fast nur noch Eiergerichte oder Broiler dort, aber trotz der Solidarität mit den darbenden Sowjetmenschen keinen Lebensmittelmangel in der DDR.
Das Lebensmittelüberangebot im Westen, das durch das Westfernsehen in die Wohnzimmer der DDR-Bürger zumindest visuell gelangte, wurde von den Leuten lange Zeit als Propaganda angesehen, man log nun mal im Fernsehen. Westwerbung galt als Westpropaganda, und sozialistische Produktionserfolge waren die Ostpropaganda. Erst als die größere Zahl von Verwandtenbesuchen im Westen möglich wurde und auch normale Menschen berichteten, dass es im Westen tatsächlich ein überquellendes Kaufangebot gab, und das in für jeden zugänglichen Geschäften, kippte diese Meinung etwas.
Erste Schritte
Für mich war aber klar, im Sommer 1982 musste ich das Segeln erlernen und ein entsprechendes Boot erwerben, machte mich schon mal theoretisch mit der Sache vertraut. Ich muss voraussagen, dass ich ein Typ bin, der aus dem geschriebenen Wort leicht Kenntnis zu erlangen vermag und der für Kräfte, Größen, Orte und Zeiten äußerst zugänglich ist. Deshalb begriff ich nicht nur die Grundlagen des Segelns aus einem einfachen Segellehrbuch heraus, sondern wurde bald, allein aus dem tagtäglichen Hören des Seewetterberichts, zu jemandem, der zuverlässig die meteorologische Navigation erkannte und bald auch beherrschte.
Seit einigen Jahren hörte ich also schon den Seewetterbericht, den das DLF auf der Mittelwelle 1.289 KHz um 6.40 Uhr zur schönsten Frühstückszeit aussendete. Von den zwanzig Wetterstationen des Seewetterberichts kannte ich elf noch aus dem Erdkundeunterricht, die restlichen neun Stationen lagen zweifellos dazwischen, denn die Orte kreisten gegen den Uhrzeigersinn um die Nordsee, um Jütland herum und im Uhrzeigersinn um die Ostsee bis zur Halbinsel Hel. Bald entstand nach der Meldung des Luftdrucks der einzelnen Stationen ein Bild in meinem Gehirn, das man wissenschaftlich die Isobaren nennt, also die Linien gleichen Luftdrucks. Es genügte nun ein Satz aus dem Segelhandbuch, das auch Grundbegriffe der Meteorologie beinhaltete, wonach der Wind auf der Nordhalbkugel aus dem Hoch heraus im Uhrzeigersinn von der Corioliskraft abgelenkt und gegen den Uhrzeigersinn ins Tief hineinweht, um die Windrichtung vorherzusagen. Als ich dann noch las, dass sich mittels der Isobaren-Abstände der Gradient berechnen ließ, war die Grundlage für die Erstellung der Seewettervorhersage gelegt. Ich kann sagen, dass derjenige, der seine gesamte Lebenszeit nicht ausschließlich mit Erwerbsarbeit vertrödelt, sondern sich ihn interessierenden Wissensgebieten intensiv widmet, durchaus entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben kann. In Umkehrung des Ergehens vieler Sanitäter während des Krieges, die mit dem Skalpell auf den Feldsanitätsplätzen agierten, Verwundete behandelten, dabei Erfolge erzielten und nach dem Krieg nicht als Chirurgen tätig sein durften, weil sie die medizinische Theorie nicht an der Universität studiert hatten, hatte ich mir bald autodidaktisch die Navigation beigebracht, ohne jemals praktisch auf der Kommandobrücke eines Schiffes gestanden zu haben und mich nun auch nicht Navigator nennen darf.
Zeitparallel zu meinen theoretischen, nautischen Vorbereitungen eines Grenzdurchbruchs über die Ostsee unternahm ich auch legale Versuche einer Ausreise. Im Dezember 1981 bereits stellte ich einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Liga für Völkerfreundschaft, Sektion „Italien“. Das neue Jahr war erst wenige Wochen alt, als ich schon ein Ablehnungsschreiben in meinem Briefkasten fand. Mir wurde darin mitgeteilt, dass die Liga für Völkerfreundschaft nicht für private Interessen gedacht sei, sondern für Delegierte der gesellschaftlichen Massenorganisationen der DDR, welche die Politik von Partei und Regierung in den entsprechenden Ländern zu vertreten hätten. Mir war schon vorher klar, dass ich auf legalem Wege nie aus dem Käfig hinauskommen würde, ich führte aber auch später noch meine Antragsflut fort, nicht in der Hoffnung auf Erfolg, sondern um das Bild des naiven Antragstellers zu festigen, der, unfähig zur couragierten Tat, leicht abzuwimmeln, weil harmlos ist.
Mit dem hereinbrechenden Frühjahr rückte die praktische Vorbereitung meines Planes immer dringlicher in den Fokus. Private Segelschulen gab es in der DDR nicht, ich musste mich also zeitweise einer sogenannten Betriebssportgemeinschaft (BSG) anschließen. Diese gab es jedoch als Segelsparte in den direkt an der Ostsee gelegenen Orten nicht. Der Rostocker Universitätssegelclub oder die in Warnemünde ansässigen Segelvereine waren für mich nicht zugänglich. Ich wollte das Segeln natürlich auch nicht in binnenländischen Gewässern oder in mitteldeutschen Talsperren erlernen und praktizieren.
Es hieß für mich, in den Boddengewässern entsprechenden Anschluss zu finden. In der Betriebssportgemeinschaft des Fischereikombinats Saßnitz, die im Großen Jasmunder Bodden einen kleinen Seglerhafen hatte, wurde ich schon bei meiner freundlichen Begrüßungsrede von einem schrecklichen Rüpel, der dort wohl Vereinsvorstand war, ‚weggebissen‘. In den Rostock nahen, kleinen Hafenstädten Ribnitz und Barth verlangte man von mir, den Hauptwohnsitz im Ort zu haben, was ich in beiden Fällen freilich nicht wollte.
Mehr Erfolg zeigte sich für mich in Groß Zicker, wo die Fischereiproduktionsgenossenschaft (FPG) des Mönchgutes in ihrer BSG ein halbes Dutzend 420er Jollen und eine Baracke für das Segelzubehör zu liegen hatte. Der hier Zuständige machte mir Hoffnung, als vorübergehendes Mitglied am Boddensegeln teilnehmen zu können, wenn ich im Kreis Rügen eine Saisonarbeiterstelle annehmen würde. Das war für mich die Chance. Ich bemühte mich daraufhin um einen Job beim HO-Kreisbetrieb Rügen, das heißt, ich fuhr zum Saisonbeginn in Binz vor und bekam spontan die Barleiterstelle in der Binzer Nachtbar „Fass“. Hier musste ich den Bartresen mit allen in der DDR gängigen Barangeboten und die ca. dreißig Tischplätze des Ladens bedienen. In einer Ecke des dunklen Raumes ‚schaffte sich‘ ein Einzelmusiker mit einem Synthesizer, lärmte aber nicht allzu sehr. Wie überall in den Nachtläden des Ostens war das Haus vom ersten Tag an bis auf den letzten Platz gefüllt. In Binz gab es damals, 1982, schon eine Türsteherszene, welche die Gewalttätigkeiten, die nun mal zum Nachtlokalgeschäft gehören, von mir fernhielt. Binz war schon von jeher das bevorzugte Seebad der Berliner Schickeria, auch zu DDR-Zeiten. Es gab einen Seebädersonderzug, der die Liebhaber des Seebades Binz in zweieinhalb Stunden vom Berliner Bahnhof Lichtenberg nach Binz brachte, er fuhr gegen 18 Uhr in Berlin ab und brachte die Leute kurz vor der Öffnungszeit des „Fass“ nach Binz. Besonders hauptstädtische Künstler und ihr Umfeld, aber auch andere Gestalten der Berliner Lebewelt fielen pünktlich um 21 Uhr vom Bahnhof Binz aus im „Fass“ ein. Die meisten Gäste dort waren aber im Ort ansässige Stammurlauber.
Obwohl diese Leute mir schon in den ersten Tagen meines Jobs bedeutende Einnahmen brachten, haben sie bei mir wenig Eindruck hinterlassen, ich hatte ja andere Ziele im Blick. Nur die „Römerin“ ist mir heute noch gut in Erinnerung. Sie war eine große, stolze Mittvierzigerin, trug eine füllige schwarze Mähne auf dem Haupt, zeigte ein tiefes Dekolleté über ihrem beeindruckenden Busen und wurde immer von einem Halbdutzend blonder Jünglinge begleitet, die der Größe nach geordnet lächelnd wie ein Schwanz hinter ihr hertänzelten, wenn sie das Lokal betrat und später ihre Herrin devot umschwärmten.
Es war also für mich wieder viel zu tun, das Geschäft ging bis zum Morgen um vier Uhr, ich war danach erst immer gegen fünf Uhr im Bett. Nach diesem Knochenjob schlief ich auch zumeist bis in den frühen Nachmittag. Danach fuhr ich mit meinen klapprigen „Mossi“ nach Groß Zicker, wo ich mir bei dem Vorstand des Segelvereins den Barackenschlüssel holte, um mir eine der 420er Jollen aufzutakeln und nach meinem theoretischen Segelwissen die ersten selbstständigen Einhand-Segelversuche im Zicker See zu unternehmen. Von Mal zu Mal wurde das besser. Ich hatte zuerst nur das Großsegel gesetzt, um das Grundgefühl des Segelns zu beherrschen, Gefühl für den Winddruck am Segel und die Balance auf dem kiellosen Boot, aber auch beim Ab- und Anlegen der Jolle, den Druck aus den Segeln nehmen, immer die Windrichtung im Blick, zu erlangen.
Dann setzte ich zusätzlich die Kreuzfock als zweites Segel, was schon schwieriger war. Als ich die Jolle sicher beherrschte, verlangte es mich natürlich nach einem längeren Törn in die größeren Boddengewässer hinein. Doch dazu musste ich auf einen Ruhetag warten, hatte ja jeden Abend noch vor 20 Uhr meinen Dienstpflichten und Vorbereitungsarbeiten zu genügen. Der Job im „Fass“ war natürlich wieder eine Goldgrube für mich, früher hätte ich ihn für einen ausgesprochenen Glücksfall angesehen. Jetzt hatte ich aber andere Ziele, zumal der „Mossi“, nun schon elf Jahre alt, zusammenzubrechen drohte.
Auf meinem Fahrweg zwischen Binz und Groß Zicker kam ich immer in Lobbe, ganz nah am Strand, an einem barackenähnlichen Gasthaus namens „Leuchtfeuer“ vorbei. Eines Tages machte ich hier Halt und ging hinein, traf dort einen ruppigen Typ, der mir aber sofort sympathisch war. Er betrieb den Laden gemeinsam mit seiner Frau, hatte aber kaum Angebote, weil die Maul- und Klauenseuche warenmäßig schon unerbittlich zugeschlagen hatte. Es gab kaum noch etwas, was man in einer Küche zu einem vollwertigen Mittagsgericht zusammenquirlen konnte. Der Typ, der Jochen hieß, nahm das aber locker, zeigte schon die richtige Endzeitstimmung, die sich immer weiter in der DDR ausbreitete. Der Laden befand sich kurz hinterm Strand, war also ideal gelegen, und hier war wenig zu tun. Nach einiger Zeit fragte ich Jochen, ob er für mich hier Quartier und Job hätte. Er war höchst erfreut von meinem Angebot, meinte: „Gern, wenn du auf die dicke Kohle verzichten willst, die das ‚Fass‘ abwirft, kannst du hier immer mal das Abendgeschäft machen und in dem Bungalow am Strand wohnen!“
Die Binzer wollten es erst nicht glauben, dass ich die Goldgrube im „Fass“ mit dem traurigen „Leuchtfeuer“ vertauschen würde, hielten mich wohl für einen verrückten Naturliebhaber.
Nun segelte ich täglich mit der 420er Jolle, war doch das Sommerhalbjahr 1982 wettermäßig eines der schönsten des 20. Jahrhunderts, nur in der zweiten Augustdekade regnete es ungewöhnlicherweise fast ununterbrochen. Hin und wieder blies bei klarem Himmel starker bis steifer Wind (Bf 6 und 7); „Kaiserwetter“, sagt der Seemann, hierbei sollte man aber Jollen an Land lassen. Ich wollte es aber doch wissen und ging mit der 420er Jolle in den Zicker See.
Der Wind blies steif aus Westen, und ich segelte, nachdem ich nur das Großsegel gesetzt hatte, mit diesem in Richtung Süd auf die Halbinsel Klein Zicker zu, hatte das Großschot weit gefiert. Eine hohe See konnte sich in dem kleinen Gewässer natürlich nicht aufbauen, es blies mir aber reichlich Gischt gegen Brust, Rücken und ins Gesicht. Als ich mitten im Zicker See wenden wollte, warf der steife Wind die Nussschale um, ich lag, glücklicherweise ohne Verletzung, aber auch ohne Lifejacket im Wasser. Das Segel drückte mich unter Wasser, ich versuchte, unter dem Segel herauszutauchen, was aber schwierig war, da ich es in der ganzen Länge nach abtauchen musste. Endlich war ich draußen und konnte wieder Luft schnappen.
Kurzzeitig hatte ich Todesangst empfunden, war aber nun belehrt, wie man sich im Falle des Kenterns verhält. Nach dem losgeworfenen Großschot gelang es mir, die Jolle mit Hilfe des Schwertes vor dem Wind wieder aufzurichten, mich in die Plicht zu schwingen und das Boot ans Ufer zu segeln.
Einige Tagestörns, wiederum im „Einhand“ (engl. „single-hands“) um die Insel Vilm herum und durch den ziemlich großen Greifswalder Bodden gaben mir das Selbstbewusstsein; ich war auf dem besten Wege, ein passabler Segler zu werden, der sich später auch auf die hohe See wagen konnte.
In dieser Zeit fochten die Briten im Südatlantik den „Falklandkrieg“ aus, von dem ich aber auf meiner westfernsehenlosen Insel fast nichts mitbekam. Nur bei einem Besuch im heimatlichen Rostock sah ich die Bilder im Fernsehen: von den Kämpfen im winterlichen Südatlantik und später, wie die siegreichen Männer der Royal Navy durch die Straßen Londons marschierten. Ich freute mich, dass eine westliche Macht den exotischen Tyrannen einmal siegreich die Zähne gezeigt hatte.
Ende August 82 teilte mir der Vorstand des Seglervereins mit, dass in den nächsten Tagen ein Instrukteur der BSG hier erscheinen und allen, die sich dafür interessierten, die praktische Segelprüfung für den Segelschein abnehmen würde. Natürlich wollte ich das!
Ich bestand die Prüfung und bekam das entsprechende Zertifikat ausgehändigt, so dass ich mich im Winter 1982/83 in Rostock nur noch um den theoretischen Teil des Segelscheins zu bemühen brauchte. Diesen Schein wollte ich aber auf alle Fälle erwerben.
Jetzt benötigte ich nur noch eine eigene Jolle, um mich auch real an meinen großen Plan zu machen. In einer Sportzeitung, die in der Segelzubehör-Baracke herumlag, fand ich die Anzeige eines Berliners, seine xy-Jolle für 8.200 Mark verkaufen zu wollen. Das war genau das richtige Segelboot für mich. Ich schrieb dem Anbieter und kam mit ihm für die Übergabe noch im laufenden Jahr überein.
Im September fuhr ich dann mit dem „Mossi“ und einem geliehenen Trailer nach Berlin- Köpenick, wo der Anbieter in unmittelbarer Nähe des Müggelsees wohnte. Wir testeten gemeinsam die Jolle bei idealer Brise (Bf 4) auf dem nahen Gewässer, wobei der Verkäufer besonders die Geschwindigkeit des Bootes herausstrich. Er hielt mich wohl eher für einen Sportstypen als für einen Erkenntnissucher, der mit dieser Plasteschale die Seegrenze der DDR durchbrechen wollte.
Die Jolle, eigentlich eine Wanderjolle, hatte zwei Schwerter und zwei Schwertkästen, so dass auf dem Boden des Fahrzeuges eine rechteckige Fläche entstand, auf der eine größere Luftmatratze leicht Platz fand. Zudem hatte die xy-Jolle eine große, die gesamte Decks- und Plichtfläche überspannende Persenning, die wie ein geräumiges Zelt wirkte. Es war also das ideale Fahrzeug für meine Zwecke.
Mit dem Trailer hinter meinem klapprigen „Russenpanzer“ brachte ich die Jolle nach Groß Zicker, wo sie bis zum Segelsaisonbeginn 1983 bleiben sollte. Ich hatte im Jahr 1982 alles erreicht, was ich mir für mein Vorhaben vorgenommen hatte; das Jahr war aber noch nicht vorüber, und es würden sich noch gefährliche Situationen ergeben, die mich zu weiterer Vorsicht veranlassen sollten.
Eine Nachlässigkeit bringt große Gefahr
Noch vor dem Beginn von Penelopes Jahresurlaub war die Wartezeit für meinen PKW Škoda 105 (Nachfolger des MP 1000, den die Tschechen mit „1.000 kleine Fehler“ übersetzen) vorüber, nach elfjähriger Wartezeit konnte ich den Wagen in der DHZ-Zentrale auf der Dresdener Bremer Straße abholen. Das bescheidene Gefährt kostete 16.800 Mark, verbrauchte auf 100 Kilometer nur 6,5 bis 9 Liter Normalbenzin und besaß einen Heckmotor.
Unglaublicherweise gelang es mir damals, meinen ruinösen, von Rostlöchern zerfressenen, aber noch immer fahrbereiten „Moskwitsch“ für 2.200 Mark zu veräußern. Mit dem neuen Škoda gedachte ich nun, meine liebe Gefährtin Penelope durch die peripheren Gebiete unseres wunderschönen „Käfigs“ zu karren.
Mitte Oktober begann die Urlaubsreise. Ich wollte den Käfig möglichst dicht an der Staatsgrenze zur BRD entlang abfahren, ohne allerdings die strengen Bestimmungen, die dort herrschten, zu verletzen. Ich steuerte den neuen PKW also bei Salzwedel und bei Ilsenburg so nahe an die Grenze heran, bis Schilder am Straßenrand darauf hinwiesen, dass die Weiterfahrt nur mit Sondergenehmigung erlaubt sei.
Südlich des Harzes machten wir in Sondershausen Zwischenstation, einem gediegenen Residenzstädtchen mit völlig verrotteter Bausubstanz. Während Penelope in den leeren Geschäften des Ortes nach Brauchbarem Ausschau hielt, begab ich mich in ein hübsches kleines Kaffeehaus am Markt. Das Lokal gab einen wunderschönen Blick auf das Städtchen frei und hatte eine charmante Bedienung. Ich musste daran denken, dass der Tag unseres Aufenthaltes hier zugleich der Tag war, an dem im Bundestag das konstruktive Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt abgehalten werden sollte. Ich fragte deshalb die Kellnerin: „Haben Sie schon gehört, wie es im Bundestag ausgegangen ist?“ Da traten der Frau Tränen in die Augen, und sie sagte: „Der Andere hat gewonnen!“
Um sich nicht vor mir, dem fremden Gast, die Tränen aus dem Gesicht wischen zu müssen, zog sie sich wortlos in den Hinterraum des Cafés zurück. Ich musste zwar nicht weinen, war aber genauso traurig, dass der große Hoffnungsträger Schmidt aus dem Bundeskanzleramt scheiden musste.
Am nächsten Tag ging es weiter an der „Zonengrenze“ entlang, Treffurt, Vacha und Römhild blieben für uns verbotene Ortschaften. Im „Kunstführer durch die DDR“ (Urania Verlag, 4. Auflage 1973) wurde das Schloss Heldburg gepriesen, es lag jedoch in einem südlichen Zipfel der DDR, wo die Fünf-Kilometer-Sperrzone wenig Platz für Besucher ließ. Dort wollte ich aber mit meiner verängstigten Begleiterin natürlich hin. Und hier geriet ich, trotz großer Vorsicht, doch in das Sperrgebiet hinein. Ein hämisch-freundlicher Mensch, den ich nach dem Schloss Heldburg fragte, teilte mir mit, dass der gesamte Zipfel bis Heldburg Sperrgebiet sei und wir schleunigst umkehren sollten. Ich sah noch, wie er mein Kfz-Kennzeichen notierte, als ich mich wieder entfernte.
Weiter ging die Fahrt nach Sonneberg, wo wir ein Hotelzimmer bestellt hatten. Man muss wissen oder sich wieder in Erinnerung rufen, dass alle Kleinstädte im Fünf-Kilometer-Bereich zur Grenze, wie etwa Dassow, Zarrentin, Ilsenburg, Ellrich, Treffurt, Vacha und jenes Heldburg bis zum Ende der DDR nur mit Sondergenehmigung zu betreten waren. So ging es nach dem Mauerbau in den 60er und den frühen 70er Jahren auch der Mittelstadt Sonneberg mit ihren 28.000 Einwohnern. In der Stadt führte diese Situation natürlich zu gewaltigen wirtschaftlichen Nachteilen, so dass die SED-Machthaber nach einiger Zeit Sonneberg wieder aus dem Sperrgebietsstatus lösten, weshalb wir nun auch offiziell wieder die Stadt besuchen durften.
Auf der Straße von Hildburghausen nach Sonneberg sahen wir dann auf der rechten Seite erstmalig die Grenzsicherungsanlagen der DDR vom eigenen Land aus, sonst konnten wir sie nur im Westfernsehen von außerhalb betrachten. In Sonneberg, das zwar offiziell jedermann in der DDR zugänglich war, herrschte aber eine regelrechte Grenzsicherungsstimmung, man spürte das überall.
Nachdem wir unser Hotel bezogen hatten, es war gegen Mitternacht und wir hatten schon einige Zeit geschlafen, donnerte es gewaltig gegen die Zimmertür. Nachdem ich, im Pyjama, die Tür geöffnet hatte, brach eine waffenstarrende Grenzpatrouille, ein Offizier und zwei Mann in Stahlhelm und Munitionstaschen mit Kalaschnikows, in unser Zimmer ein. Der Offizier verlangte harsch Personaldokumente und die Fahrzeugpapiere. Der Anführer der Patrouille beanstandete, wir hätten beide eine Rostocker Adresse angegeben, der PKW hingegen habe ein Dresdener Kennzeichen.
„Können Sie diesen Widerspruch erklären?“, lautete die törichte Frage. Ich hatte also gegen keinerlei Bestimmungen dieses perversen Polizeistaates verstoßen, war ein völlig loyaler und legaler Untertan, konnte mir eine kesse Antwort leisten.
„Ich habe den PKW kürzlich von der DHZ Dresden, nach elf Jahren Wartezeit, erworben und gleich dort angemeldet. Das steht doch alles in meinen Dokumenten, die ich der Hotelrezeption vorgelegt habe. Und deshalb brechen Sie in kriegsmäßiger Ausrüstung in unser Schlafzimmer ein, lärmen uns aus dem Schlaf und verängstigen meine Frau!“, brüllte ich den Offizier an, war ja nun auch echt zornig.
Mit meiner verbalen Attacke habe ich aber einen schweren Fehler begangen, den man sich in einem Polizeistaat besser verkneifen sollte. Ich war jedoch kaum noch zu bremsen, nannte das Verhalten der Patrouille polizeistaatlich. Den schwerbewaffneten Kerlen standen nun Wut und Hass im Gesicht. Wegen der Zeugen im Raum, der verängstigten Penelope, auch die Concierge des Hotels war mit im Zimmer, hielt sich die Truppe aber mit Gewalttätigkeiten zurück. Die Typen verließen nach einigen Minuten bösen Blickes den Raum, drohten nur noch, ich würde schon sehen, was ich von meiner Undiszipliniertheit hätte.
Am nächsten Tag war Penelope kaum noch in der Stadt zu halten, zumal es in Sonneberg ja auch wenig interessante Sehenswürdigkeiten gab. Um dem Besuch in diesem Nest wenigstens noch einen kleinen Sinn zu geben, gingen wir dann aber doch noch ins dortige Spielzeugmuseum, das tatsächlich eine beeindruckende Einrichtung der Volkskunst ist.
Ganz gegen ihre sonstigen Interessen an der Volkskunst war Penelope unruhig und wollte nur noch weg aus der Stadt. Was hatte mich überhaupt dorthin gezogen? Es war wohl wieder nur die Insassenmentalität bei mir, ich wollte die Grenzen des Käfigs austesten, obwohl ich nie in Erwägung gezogen hatte, mich an der mörderischen Landesgrenze zu versuchen.
Wieder in Dresden, besuchten wir beide das Albertinum, wo damals gerade die Kunstausstellung der DDR mit einigen durchaus bedeutenden Werken stattfand. Ich erinnere mich noch eines beeindruckenden Ganzkörperporträts eines jungen Kohlenträgers, der den gesamten Oberkörper voller Knasttätowierungen hatte und der, unter seinem Kohlensack, selbstbewusst aus dem Bild blickte. In diesem Repräsentationsbau waren aber auch die „Neuen Meister“ (Gemälde des 19. und frühen 20. Jahrhunderts) der Dresdener Gemäldegalerie untergebracht, besonders die Romantiker der Dresdener Schule, die mich bereits als Kind tief beeindruckt hatten, als sie noch im Schloss Pillnitz ausgestellt waren.
Romantiker heißt ja „Romfahrer“ – genau das, was ich auch werden wollte. Einer ihrer wichtigsten Vertreter, Ludwig Richter, ist hier mit seinem Monumentalgemälde „Überfahrt am Schreckenstein“ vertreten. Eine Gruppe, drei Generationen und ein Wandergeselle, überqueren in einem Fährkahn die Elbe bei Aussig, über ihnen im Hintergrund ist die Burg Schreckenstein zu sehen, wie ich sie nun auch oft schon vom Zugfester aus gesehen hatte, auf dem Weg nach Prag. Ich war aber noch nie oben auf der Burg. Nun wollte ich das nachholen und schlug Penelope vor, mit mir diesen Kurztrip zu machen, sie hatte ja noch einige Tage Urlaub. Penelope wies diesen meinen Vorschlag aber mit Nachdruck zurück, sie wollte auf keinen Fall noch einmal mit dem DDR-Grenzsystem zu tun haben, auch wenn es nur in die sozialistische ČSSR ging.
Wir kamen überein, dass Penelope mit dem Škoda zurück nach Rostock fahren sollte und ich meinen Schreckenstein-Trip allein durchführen würde, um dann einige Tage später mit der Eisenbahn nach Hause zu kommen.
Als sich Penelope mit dem neuen Auto in Richtung Norden entfernt hatte, beging ich einen zweiten Denkfehler in diesem Herbsturlaub. Schon die eigene Romreise und deren Finanzierung im Hinterkopf, hatte ich in den nächsten Tagen mein sicheres Valutadepot aus seinem unterirdischen Platz geholt, um es dann mit nach Rostock zu bringen. Glücklicherweise ließ ich die Valutasumme, immerhin 4.000 DM in eingewachsten 100-DM-Scheinen, in meiner Reisetasche in der Dresdener Wohnung stehen, als ich mich, mit Reisegeld und Zahnbürste in der Jackentasche, auf den Weg zum Hauptbahnhof machte, um nach Aussig zu fahren.