Kitabı oku: «Gehen, um zu bleiben», sayfa 4
Mit neuem Färbemittel und einem Karton mit Essigessenz im Rucksack fuhr ich zurück nach Rostock, wo ich die Färbeprozedur mit den beiden Segeln in meiner Badewanne erneuerte. Jetzt klappte es. Die beiden Segel waren schön dunkel eingefärbt, aber klitschnass. Ich ließ die Segel abtropfen und legte sie dann in eine größere Plastewanne. Inzwischen hatte ich unsere Dachkammer, die mit einer lindgrünen Teppichware belegt war, mit einigen Lagen Zeitungspapier bedeckt. Dann brachte ich die Wanne mit den noch immer feuchten Segeln nach oben. Die Dachkammer war sommerlich aufgeheizt. Obwohl ich mich bemühte, die feuchten Polyestersegel vorsichtig über den ausgebreiteten Zeitungen auszulegen, sie waren tatsächlich nach wenigen Stunden trocken, zeigten sich blaue Flecken auf dem grünen Teppich. Wie das Penelope erklären?
Lesern, welche das DDR-System nicht erlebt haben, sei erklärt, dass die Unterlassung einer Anzeige (§ 225 [1] 4. StGB d. DDR) bei Kenntnis der Vorbereitung einer Straftat gegen die staatliche Ordnung der DDR mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden konnte. Diese Gefahr hatte ich von Penelope genommen, vom ersten Gedanken an einen Grenzdurchbruch an. Naive Leute nannten später meine „Reise“ deshalb einen Vertrauensbruch.
Ich musste Penelope also die blauen Flecken in der Dachkammer logisch erklären. Es gab damals in den HO-Textilgeschäften immer mal polnische Jeans, die aber noch nicht vor- oder ausgewaschen waren wie heute, wo diese amerikanische Arbeitskleidung gern als coole Szeneklamotte getragen wird. Ich kaufte mir also dieses Kleidungsstück und wusch es in der Badewanne vor. Dann legte ich es zum Trocknen in die Bodenkammer, so erklärte ich die blauen Flecken auf dem Fußboden meiner Lebenspartnerin, die das zwar missbilligte, doch nicht anzweifelte, während die Törnsegel nun im Segelsack einsatzbereit ihrer Verwendung harrten.
Der Segelsommer war noch nicht vorüber, ich trieb mich wieder mit meiner Jolle im Hiddenseeer Liegeplatz „Schwarzer Peter“ herum, als ein idealer Nordost als mäßige Brise über den Bodden blies. Der Wind hatte schon einige Dezimeter Hochwasser hereingetrieben. Das war die optimale Situation für einen Segeltörn in südliche Richtung. Ich dachte mir: ‚Jetzt machst du den Test mit der xy-Jolle, dicht unter Land des Gellen nach Süden zu, zwischen der Insel und der riesigen Sandbank Geller Haken hindurchzugelangen.‘ Natürlich war das alles schon Sperrgebiet, aber die Hinweis- und Verbotsschilder waren nur an Land angebracht. Dort stand auch ein verrotteter Stacheldrahtzaun, der das Vogelschutzgebiet Gellen vor den sonnenhungrigen Urlaubern abschirmte. Wenn mein Törn bemerkt werden würde, konnte ich mich immerhin mit Unwissenheit herausreden, wollte ja damals auch gar nicht den Grenzdurchbruch durchführen, war schließlich noch in der ersten Vorbereitungsphase.
Gedacht, getan, die Jolle schoss ideal mit Viertelschwert in Lee und Halbschwert in Luv in den von mir erwarteten Priel hinein. Hin und wieder schleifte das Ruderblatt im Sand des Grundes und gab einen knirschenden Laut von sich. Der Priel war aber da!
Ich dankte im Geiste meinem Heimatkundelehrer, der mir die Existenz eines Priels schon in der Schule vermittelt hatte, denn auf den mir zugänglichen Seekarten des Seehydrographischen Instituts der DDR war es nicht verzeichnet; hier gab es nur die Ein-Meter-Tiefenlinie, da geringere Wassertiefen für die Berufsschifffahrt völlig uninteressant sind.
Die Jolle rauschte also durch den Priel auf die Ausfahrt zwischen Gellen und Bock zu, und ich konnte bei Tageslicht jede Windung des Wasserweges sehen. Da ich immer auf der Luvseite blieb, hätte mich auch eine Grundberührung wenig behindert, weil mich der Wind dann ins Fahrwasser zurückgetrieben haben würde.
Nach ca. einer Stunde überquerte ich die Ausfahrt in die Ostsee und passierte mit südlichem Kurs den Kontrollpunkt Bock der „Grenzbrigade Küste“. Jetzt erst hatten die Grenzsicherungsorgane mich erspäht, weil die östliche Spitze der Insel Bock von ihrem Punkt aus die eigentliche Ausfahrt in die Ostsee versperrte. So hatte ich es auf der Seekarte ermittelt, und so war es.
Die Blinkzeichen von dem Kontrollpunkt ignorierte ich, segelte völlig unschuldig in das Fahrwasser nach Barth hinein. Vor dem Grabow, dort wo kleinere Lücken zwischen den Werder’schen Inseln sind, lag eines der Kanonenboote der „Grenzbrigade Küste“ und brachte mich auf.
Das folgende Verhör an Bord des Kanonenbootes, woher und wohin, gestaltete sich moderat. Ich behauptete, dass ich, vom Neuendorfer „Schwarzen Peter“ kommend, beabsichtigte, nach Barth segeln zu wollen. „Sie sind aber durch das Sperrgebiet gesegelt!“, meinten sie. „Tut mir leid“, kam meine Entgegnung, „ich wollte mir nur den großen Umweg um den Geller Haken herum und durch die Kadettrinne ersparen.“
Telefonate hin und her, Untersuchungen meiner Utensilien und der Jolle nahmen einige Zeit in Anspruch. Nach mehreren Stunden ließen sie mich laufen, heißt, weitersegeln, mit dem strengen Hinweis, künftig das Sperrgebiet zu beachten.
Durch Grabow und Barther Bodden segelnd, war ich noch vor Sonnenuntergang in Barth. Ich hatte nun die glückliche Erkenntnis: Hier geht’s raus, ohne von einem der in der Ostseeausfahrten befindlichen Kontrollpunkte aus direkt gesehen zu werden. Aber die Grenzwächter wussten das nun auch und würden den Priel mit einem Buhnendamm versperren, fürchtete ich.
Mein Versuch, in Barth Mitglied es dortigen Segelvereins zu werden und meine xy-Jolle da über den Winter zu belassen, scheiterte an der Forderung der Vereinsleitung, die von Mitgliedern verlangte, in der Stadt zu wohnen, also hier polizeilich gemeldet zu sein, oder hier zu arbeiten.
Anfang September segelte ich also wieder nach Groß Zicker zurück, wo mich der dortige Vereinsvorstand für einen dicken Schein wieder über den Winter mit meiner Jolle im Vereinsgelände liegen ließ.
Schon mal auf Seumes Spuren
1978 bereits hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt bei einer Sicherheitstagung der NATO-Staaten den Nachrüstungsbeschluss initiiert, der die Länder Westeuropas gegen eine sowjetische Nuklearbedrohung durch deren neue SS-20-Raketen beschützen sollte. 1983 wurde dieser Nachrüstungsbeschluss, gegen große Teile der Regierungspartei und gegen eine starke Friedensbewegung, durch den Bundestag gebracht. Bald darauf begann die Stationierung der Pershing-Raketen in der BRD, was zu einer fast hysterischen Kriegsfurcht führte und das auch in der DDR.
Heute ist die Geschichtsschreibung der Meinung, dass die Sowjetunion mit dem Sturz Nikita Chrustschows im Oktober 1964 die Weltrevolution und die Weltherrschaft aufgegeben habe und von da an, unter der neuen Herrschaftsschicht um Leonid Breschnew, nur noch das alte russisch-moskowitsche Herrschaftsgebiet erhalten bzw. an der Peripherie ausdehnen und sicherstellen wollte. Gegen ein wehrloses Westeuropa, das nur den strategischen Schutz der USA hatte, waren die sowjetischen SS-20-Raketen durchaus ein wirksames Mittel zur atomaren Erpressung, und wenn es nur zum ökonomischen Erhalt der Sowjetsystems wäre.
Mich persönlich hatte die Sowjetunion nie bestohlen, betrogen oder geschlagen (diese drei Attacken, welche ich ohne inneren Zorn dulde, da sie immer nur Folgen meiner eigenen Fehler gewesen wären: Ich hätte Taschen und Türen schlecht verschlossen haben, Geschäfte töricht anstellen oder mich mit Stärkeren handgreiflich einlassen müssen), sie hat mir aber immer durch ihre Kraftmeierei und ihre bloße Existenz Angst gemacht. Es ist daher logisch, dass ich dem Westen bei seiner Kontrastellung zu den sowjetischen SS-20-Mittelstreckenraketen Standhaftigkeit wünschte.
Die vermeintliche Unbesiegbarkeit des in den eigenen Augen so gesehenen Bösen hat in den späten 30ern bis hin zur Wende im Zweiten Weltkrieg viele Nazi-Gegner zum Suizid getrieben: 1935 Kurt Tucholsky, 1939 Ernst Toller, 1940 Walter Benjamin, 1942 Stefan Zweig und andere. Die Gefahr des freiwilligen Aus-dem-Leben-Gehens bestand bei mir nie, doch bereiteten mir militärische Demonstrationen der Stärke der Sowjetunion stets Depressionen (wenn sich ‚fortwährendes Missvergnügen‘ so bezeichnen lässt). Erst die Erfolglosigkeit der Sowjetarmee in Afghanistan machte dieser Gemütsverfassung ein Ende; ich wurde wieder fröhlicher.
In jenem Jahr 1983 hatte Franz Josef Strauß mit seinem „Milliardenkoffer“, wie der Volksmund sagte, die DDR noch für ein reichliches halbes Jahrzehnt finanziell über Wasser gehalten. Viele Leute, auch ich, glaubten damals, dass die pathologische Geschäftemacherei des zum Finanzhai aufgestiegenen bayerischen Kleinbürgers es nicht lassen konnte, selbst mit dem politischen Feind zu handeln und zu kungeln. Später vermutete ich eher, dass der weitsichtige CSU-Chef über seine Kontakte nach Moskau von der bevorstehenden Perestroika und dem Aufstieg Gorbatschows eine gefühlsmäßige Ahnung bekommen hatte und den Zusammenbruch der DDR bis in diese Zeit hinauszögern wollte. Denn im Jahre 1983 waren noch die alten Militärkader im Kreml an der Macht, und deren Reaktion auf einen Aufstand in ihrer ostdeutschen Satrapie war nicht zu übersehen.
Für mich stand aber ein völlig anderes Problem im Vordergrund. Ich musste unbedingt meine DM-Beträge aus der DDR in den Westen bringen, damit ich sie nicht bei meinem unsicher geplanten Grenzdurchbruch am Mann tragen musste. Schließlich wollte ich meine Pilgerreise zu den Quellen des Abendlandes durch Westdeutschland und Italien aus der eigenen Tasche bezahlen, war mir auch nicht sicher, ob ich nach kurzem Arbeitsaufenthalt in der BRD das Geld für meine Reise verdienen würde.
Ich kannte aber keinerlei Menschen im Westen. Kurz vor ihrer Übersiedlung in den Westen, im Sommer 1957, hatte ich die Nichte meiner Stiefmutter flüchtig kennengelernt, sie war also meine Stiefcousine. Wir beide hatten uns aber wenig zu sagen gehabt, die Bekanntschaft blieb damals sehr oberflächlich. Jetzt, nach 26 Jahren, erinnerte ich mich wieder an meine Westcousine.
Wie aber mit ihr in Verbindung treten? Telefonisch war das, ohne von der Stasi abgehört zu werden, nicht möglich, und der Post traute ich genauso wenig. Ich dachte also wieder an Prag oder die böhmische Provinz.
Ende Oktober 1983 holte ich mir mein sicheres Valutadepot aus dem Stolteraer Wald und fuhr mit der Eisenbahn nach Dresden, wo ich das tschechische Reisegeld und die Fahrkarte nach Prag löste. Dann fuhr ich mit dem Vorortzug nach Königstein in der Sächsischen Schweiz und von da mit dem Bus zu Freunden nach Rosenthal.
Obwohl ich schon ziemlich müde war, ging ich nach dem Abendessen noch über Ottomühle und durch die „Dürre Biela“ hoch zur tschechischen Grenze. Es war schon stockdunkel. Ich wusste aber, dass unterhalb des Schneeberges, von Tissa herführend, eine Straßenbiegung ist, an der ich meinen Valutaschatz kurzzeitig deponieren wollte, um am folgenden Tag mit dem Zug über die Grenze in die ČSSR zu fahren, ohne die wertvolle Contrebande bei mir zu tragen.
Das Unterholz des Grenzwaldes war so dicht, dass ich es nicht im Ulster passieren wollte. Ich hatte mich für Prag schon stadtfein gemacht, deshalb ging ich über den Grenzweg zu jener Straßenbiegung, die von Tissa nur zweieinhalb Kilometer entfernt ist, und legte hier mein Valutadepot an.
Am nächsten Tag stieg ich in Bad Schandau in den Prager Zug und wurde nach kurzer Fahrt in Děčín vom DDR-Zoll wieder aus dem Zug geholt. Man hatte mich noch in der Fahndungsliste vermerkt. Hier wurde ich aber kaum behelligt, man ließ nur ohne mich den Zug abfahren; dem Zoll war klar, dass ich nichts Verbotenes bei mir führen würde. Der Zoll durchsuchte nicht einmal meine Umhängetasche, das „Kleine Sturmgepäck“. Als der Zug weg war, ließen sie mich laufen.
Ich fuhr nach zwei Stunden Wartezeit mit dem nächsten Zug bis Aussig, dort nahm ich einen Zubringerbus, der die Dörfer am Gebirgshang abfuhr, nach Tissa. Immer scharf nach eventuellen Verfolgern Ausschau haltend, ging ich die zweieinhalb Kilometer zu meinem Kurzzeitdepot auf der Landstraße und grub dort mein Geldpaket wieder aus.
Das Wichtigste des Tages war erledigt, ich hatte mein Valutadepot über die Grenze gebracht, mit dem nächsten Bus, der gerammelt voll war, fuhr ich kurz nach 16 Uhr zurück nach Aussig, wo ich in den nächsten Zug nach Prag stieg.
Der Zug war mäßig besetzt, ich fand ein freies Abteil neben dem Speisewagen und nahm dort Platz. Nach einiger Zeit trat eine hübsche, junge und deutsch sprechende Blondine in mein Abteil, die einen stark bezechten Herrn um die fünfzig, auf ihn ständig französisch einplappernd, in mein Abteil bugsierte. Bald fragte sie mich nach Prag und dessen Hotels aus, die beiden waren auf Europarundreise und wollten in den nächsten Tagen nach Wien. Das gab mir die Möglichkeit für eine ausführliche Unterhaltung, an der sich der Franzose, von seiner Begleiterin gedolmetscht, fleißig beteiligte. Ich erfuhr, dass die beiden in Frankreich ein nobles Landhotel betrieben. Als sie merkten, dass ich ein weltinteressierter, eingemauerter Ostdeutscher war, sprühten sie geradezu von Berichten aus dem göttergleichen Frankreich.
Ich ertappte mich, daran zu denken, diese Frau, die sich durchaus sympathisch mir gegenüber zeigte, vielleicht doch als Valutakurier und als meine Bezugsperson im Westen aufzubauen. Sie schwärmte gerade von der herrlichen hügeligen Landschaft nahe der Garonne, in der sich das Landhotel befand, da sagte ich: „Sie meinen das Perigord?“
Sie fragte sofort hastig zurück: „Sie sagten doch, dass Sie Ostdeutscher sind. Woher kennen Sie denn das Perigord?“ „Das steht doch in jedem Schulatlas!“, sagte ich.
Darauf tuschelte sie mit ihrem Begleiter, stand hastig auf und zerrte den Bezechten aus dem Abteil, obwohl wir noch gar nicht im Hauptbahnhof Prag eingefahren waren. Lange machte ich mir Gedanken darüber, wie Menschen so hysterisch reagieren können, nur weil andere mehr wissen, als man ihnen zugetraut hatte.
Kurz darauf war der Zug in Prag angekommen. Es war schon nach 20 Uhr, die Stadt war schmuddelig vom Bauschutt, denn in den frühen 80er Jahren baute man die Metro in Prag. Ich fuhr mit der Straßenbahn nach Smíchov. Von der Haltestelle am Clam’schen Palais, das nun eine hässliche Vorstadtfabrik war, ging ich über einen steilen Weg hinauf nach U Blaženky, wo meine vertraute Prager Quartiergeberin in einem geräumigen Haus lebte.
Frau Nowaček lebte mit einer heranwachsenden Tochter im Erdgeschoss eines Hauses aus den 20er Jahren und vermietete die oberen Etagen an Tagesbesucher, wovon sie offenbar lebte. Als bekannter Gast wurde ich freundlich aufgenommen, sogar am Abend mit einem Becherovka begrüßt, Panova Nowaček hatte natürlich auch ein angenehmes Quartier für mich.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich in einem parkähnlichen Umfeld ein verrotteter Kinderspielplatz, auf dem ich dann tagsüber keine Kinder sah, obwohl nahebei eine große Wohnzeile war. Der Kinderspielplatz, gewiss aus der Zwischenkriegszeit stammend, hatte an den Rändern Sitzbänke, hier sollten offensichtlich die nicht berufstätigen Mütter ihre Kinder beaufsichtigen. Und hier legte ich in der nächsten Nacht, wieder hochprofessionell, mein Prager Valutadepot an.
Das Westgeld war nun erst mal aus dem Territorium der DDR rausgebracht, nun wollte ich den Kontakt zu meiner Cousine herstellen, sie eventuell sogar nach Prag oder in die böhmische Provinz einladen. Aus Prag schrieb ich ihr also einen ausführlichen Brief, in dem ich die alte, fast vergessene Verwandtschaft zu beleben suchte. Um nicht Verdächtigungen von Seiten der Stasi aufkommen zu lassen, sollte sie mir keinen Brief schreiben, die würden von den Schnüfflern der Stasi unsachgemäß geöffnet und dann nicht weitergeschickt, sondern nur offene Ansichtskarten mit nichtssagenden Texten.
In Prag gab es weit mehr westdeutsche Besucher, als in den Kulturzentren der DDR. Das war mir schon früher aufgefallen, ich hatte ja auch schon in den 70er Jahren oft Gesprächskontakte mit Landsleuten aus der Bonner Republik und hatte erfreut festgestellt, dass sie hier in Prag lockerer waren als bei den wenigen Gelegenheiten zum Gedankenaustausch in der DDR.
Nach Prag kamen die meisten als Busreisende in größeren Gruppen. Es gab aber auch immer mal Einzelreisende, schließlich ist Prag die bedeutendste europäische Stadt außerhalb des ehemaligen Imperium Romanum. Die Konversation mit meinen Landsleuten aus Westdeutschland war aber immer oberflächlichen Charakters, man befragte sich gegenseitig nach den allgemeinen Lebensumständen in den einzelnen Teilen des geteilten Vaterlandes und war an keiner längeren oder intensiveren Bekanntschaft interessiert. Von westlicher Seite war auch oft Misstrauen vorhanden. Viele sahen in ostdeutschen Fragestellern Stasiagenten, oder sie fürchteten, von ihren ärmlicheren Landsleuten angebettelt zu werden.
Jetzt war das bei mir aber anders. Ich hatte bei jedem den Gedanken im Hinterkopf: ‚Ist er vielleicht zum Valutatransfer geeignet?‘
Ich habe keinen gefunden, der dazu getaugt hätte, vergaß also schnell diesen Weg, meine „Westkohle“ in den Westen zu bringen.
Das herbstliche Wetter war ungewöhnlich verlockend, ich erlag daher der Versuchung, mich noch auf die Route Seumes nach Syrakus eine weitere Strecke durch Böhmen zu bewegen. Über Kolin, Deutsch Brod (Havlíčkův) ging ich sogar zu Fuß, nahm ich diese klassische Route, bis mich der „Eiserne Vorhang“ zwang, zurückzukehren.
Noch immer aber war der Valutatransfer in den Westen ungeklärt.
Den Winter verbrachte ich dann mit Penelope, als deren Hausmann, der seine Frau verwöhnt, und widmete mich tagsüber der Marinemalerei. In unserer sonnigen Veranda kopierte ich sogenannte „Kapitänsbilder“ (ein Zubrot, dass sich ältere oder invalide Seeleute, die natürlich künstlerische Talente aufweisen mussten, in den Häfen des frühindustriellen Zeitalters verdienten, indem sie Schiffe malten, deren Bilder sie dann den Kapitänen verkauften), was auch für mich ein beachtliches Zubrot brachte. Die Vorlagen lieferte ein repräsentativer Bildband des Rostocker Schifffahrtsmuseums, und der Technik der Malerei nahm ich mir beim Zuschauen bei einem nicht unbekannten Maler in Rostock, mit dem ich befreundet war, an, der gestalterische Teil meines Tuns lag mir einfach im Blut.
Den Jahreswechsel hatten wir, Penelope und ich, bei Freunden im Rosenthal verbracht, bei der Rückreise nach Rostock sah ich auf dem Dresdener Altmarkt, ich traute erst meinen Augen nicht, Tietzes mit ihren drei Kindern in kampfanzugähnlicher Kleidung den Platz überqueren. Auf meine erstaunte Frage hin erfuhr ich, dass die Familie in wenigen Wochen schon nach Perth in Australien ausreisen würde, die Kriegsfurcht sei, angesichts von Nach- und Nach-Nachrüstung nicht mehr zu ertragen. Sie hätten daher einen Großonkel, der schon seit Jahrzehnten in Australien lebt, reaktiviert und der hatte die ganze Familie eingeladen und war obendrein bereit, sie vorerst aufzunehmen. Die herrliche Hangvilla in Oberwachwitz habe für sie, angesichts der Kriegsgefahr in Europa, keinen Wert mehr, die solle nun bewohnen, wer wolle.
Tatsächlich entledigte sich die DDR-Führung zu Beginn des Jahres 1984 eines großen Teils der Unzufriedenen im Lande und ließ sie kurzfristig ausreisen, wie ich dann im Februar dieses Jahres im Westfernsehen erfuhr.
Mit mir ging die Staatsführung der DDR nicht so großzügig um. Penelope hatte für uns im April ein Ferienquartier am Plattensee in Ungarn gebucht. Wir wollten, ohne besonderes Interesse, doch auch einmal einen Blick in die „fröhlichste Baracke des sozialistischen Lagers“ werfen, denn weder Penelope noch ich waren jemals in Ungarn gewesen. Der Winter war noch nicht vorbei, da steckte die Absage schon in meinem Postkasten, „die zuständigen Organe der DDR“ hätten die Reisegenehmigung für mich nicht erteilt.
In dieser Zeit starb Enrico Berlinguer, der Vater des Eurokommunismus und Kritiker des Sowjetsystems, auf den viele Leute im Ostblock große Erwartungen legten. Wir glaubten ja alle, dass die Mängel des „real existierenden Sozialismus“ nicht im System begründet seien, sondern nur der sowjetisch-moskowitischen Stupidität geschuldet wären. Wer wagte schon zu denken, dass der Geistesriese Karl Marx sich im Kern seiner Lehre geirrt haben könnte.
In diesem Sinne schrieb ich der Witwe des Modernisierers des Kommunismus und großem italienischen Denkers und Kämpfers Enrico Berlinguers einen zu Herzen gehenden Kondolenzbrief, nachdem ich mich telefonisch bei der italienischen Botschaft in Ostberlin nach der korrekten Adresse erkundigt hatte. Der Brief ist wohl nie angekommen, denn nach der Wende fand ich in meinen Stasiakten den Hinweis, dass der M. mit mehreren, der Staatsordnung der DDR gegenüber feindlich eingestellten Personen im kapitalistischen Ausland, so Erich Loest und der Witwe von Enrico Berlinguer, versucht hatte, Kontakt aufzunehmen und wo er seine feindselige Haltung gegen unseren Staat bekundete. Es ist logisch, dass die Stasi, wenn sie meine Briefe schon gelesen hat, diese nicht weitergeleitet haben wird. Meine Cousine hatte die Stasi aber nicht in ihrer Auflistung.
Ein halbes Jahr nach meinem Kontaktversuch von Prag aus bekam ich von meiner Cousine zu Ostern 1984 eine wunderschöne Ansichtskarte aus dem Schwarzwald. Darauf grüßte sie mich verwandtschaftlich und würde sich freuen, mich nach so vielen Jahren einmal wiederzusehen, stellte aber auch die entscheidenden Frage, wie ich denn einen Besuch im Westen finanzieren wolle, wo doch alles nun so teuer geworden sei.
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