Kitabı oku: «Stiefelschritt und süßes Leben», sayfa 3
Frühjahrsmanöver
Der Winter war noch nicht vorüber, da begann im März 1965 das große Frühjahrsmanöver. Nach dem ersten Ton des Regimentsalarms schnappte ich meine Kiste mit den geheimen Gefechts-DVs und schleppte sie zum Führungsfahrzeug des Regiments. Anschließend musste ich um eine andere Kiste bemüht sein, die Spirituosen und Kaffee enthielt, aber genauso geheimnisumwittert war.
In einem weiteren Fahrzeug der Führungsgruppe fuhr ich dann, quasi als Stabsordonnanz, durch den Militärbezirk 5 und besuchte alle Feldherrnhügel daselbst.
Besonders martialisch ging es auf dem Feldherrenhügel zu, auf dem Generaloberst Stechbarth sein Zelt hatte aufstellen lassen. Unser Regimentskommandeur, Oberstleutnant Meyer in Eggesin, ein Gott, stand hier stumm wie ein Lakai herum, durfte erst seine Meldung brüllen, wenn er gefragt wurde. Unaufgefordert huschten immer mal Kuriere durch das Zelt, trugen Papierstreifen in der Hand, auf denen zweifellos wichtige Meldungen standen.
Plötzlich brüllte der Oberkommandierende los wie Agamemnon, als der von der Weissagung des Kalchas betreffs seiner Tochter Iphigenie hörte: „Man muss sich ja regelrecht schämen als deutscher Soldat; da gehen die Amis in sechs Stunden über die eisführende Donau, und diese Lahmärsche“ – er meinte die Pioniertruppen der NVA – „brauchen fast einen ganzen Tag für die pisswarme Elbe!“ Als wolle er den Zorn seines Herrn beschwichtigen, kam ein Hauptmann an mich heran und zischte mir zu: „Sofort Tee für den Generaloberst und eine Runde Wodka für die Genossen Stabsoffiziere!“
Ich warf sofort den Teesieder an, der wohl durch einen Feldgenerator mit Strom versorgt wurde, stellte die Tasse mit Teebeutel und acht Gläser auf ein Aluminiumtablett, wie es bis zum Ende der DDR auch in den HO-Gaststätten verwendet wurde, steckte den Spirituosenausgießer auf die 500 ml fassende Wodkaflasche und wartete kurze Zeit, bis das Teewasser kochte. Dann goss ich den Tee auf, balancierte das Tablett mit Tasse und den acht Wodkagläsern auf drei Fingern der linken Hand nach oben, fasste die Wodkaflasche zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten, schritt auf den Feldherrntisch zu und riss die Wodkaflasche, wie ich es oft bei Monsieur Vernon im „Berghof Zschertnitz“ gesehen hatte, zwischen den beiden Fingern nach oben, wobei der Wodkastrahl genau ein einzelnes Glas traf und es mit abgemessenen 60 ml füllte. Spitze der Servierkunst: Nun setzte ich die Flasche nicht etwa ab, um das nächste Glas zu füllen, sondern führte die ausgestreckte Hand mit der Flasche ruckartig nach unten und führte sie gleichzeitig, wenn sich der Wodka in der Schwerelosigkeit befand und daher nicht mehr austrat, über das nächste Wodkaglas, wo die Schankprozedur aufs Neue begann.
Als alle Gläser gefüllt waren, klemmte ich die fast leere Wodkaflasche – sie enthielt einen Rest von 20 ml – zwischen die freien Mittel- und Ringfinger der linken Hand unter dem Tablett und servierte dem staunenden Feldherrn mit der nun wieder freien rechten Hand seinen Tee. Dann reichte ich das Tablett mit dem Wodka in die Runde der Stabsoffiziere. In dem Feldherrnzelt herrschte während meiner Prozedur mit der Wodkaflasche gespannte Aufmerksamkeit; solche Eleganz und Perfektion waren diese Leute in ihren Trinkstuben bisher nicht gewohnt.
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Zum Militärbezirk 5 gehörten auch die ausschließlich von den Sowjettruppen genutzten Übungsplätze im Norden der DDR. Die Stäbe und Führungszüge der NVA-Regimenter waren jedoch mitunter dort auch präsent. Wir besuchten in der Nähe von Wittenberge einen solchen Truppenübungsplatz, wo ich ein höchst unappetitliches Erlebnis hatte, das ich, der Vollkommenheit meiner Erinnerungen halber, erzählen will, obwohl ich in meinen Kindheitserinnerungen, aus den desolaten Jahren nach dem Krieg, versprochen hatte, keine Fäkalienepisoden mehr zu Papier zu bringen. Das große Interesse an meinen Lebenserinnerungen, die ja nun zeitlich die Kindheit weit hinter sich gelassen haben, zwingt mich aber, das Folgende zu erzählen.
Die Führungsabteilung des Regiments hatte auch ein Küchenzelt für die Beköstigung des Stabes errichtet. Hier trieb ich mich herum, weil von deren Fahrzeug meine Schnapskiste und meine Person transportiert wurden. Wo gekocht und gegessen wird, müssen auch die durch die Verdauung entstehenden, mit Kolibakterien versetzten Stoffwechselprodukte möglichst hygienisch ausgeschieden werden.
Das geschah auf deutschen Truppenübungsplätzen und in Feldstellungen des Heeres auf zu diesem Zweck errichteten Latrinen, deren Aufstellung und Betrieb in der Dienstvorschrift DVA052/1/005 genauestens geregelt war. In diesen Einrichtungen, manche sogar überdacht, hatte, wenn schon nicht Häuslichkeit, so doch Hygiene zu herrschen, um die Gefahren des Krieges nicht auch noch durch Sepsis zu erhöhen. Im Trommelfeuer und beim Sturmangriff beherrschen viele Soldaten ihren Schließmuskel nicht mehr, so dass bei Verletzungen, die im Kampf ja nicht ausbleiben, leicht Darminhalt aus dem Hoseninneren in offene Wunden gelangen kann, was Feldärzten und Armeeführung schon seit Generationen große Sorgen bereitete. Deshalb war der Latrinengang vor dem Kampfeinsatz obligatorisch im deutschen Kriegswesen.
Russische Kriegsführung, überhaupt russisches oder sowjetisches Militär, kennt solche Vorsorge um das Menschenmaterial nicht. Latrinen im oben beschriebenen Sinne gab es hier also nicht, aber eines ihrer Scheißhäuser stand einsam im Walde.
Ich musste nun dringend dorthin. Das einsame Haus, eigentlich nur eine Laube, hatte die Tür nur angelehnt, hatte auch keine Verriegelung. Im Innern befand sich ein Loch, das in einem ungehobelten Bretterboden war. Da viele der sowjetischen Genossen das Loch mit ihren Ausscheidungen nicht getroffen hatten, war die Umgebung des Loches, eigentlich die gesamte Hütte, mit Kot beschmiert, in den ich mit meinem Kampfstiefel, im Jargon „Knobelbecher“ genannt, nicht hineintreten wollte. Ich entdeckte aber an der Innenseite der Tür eine Lederschlaufe, die ich als Haltegriff ansah. Also, Kampfanzug runter, mit den Stiefeln auf die Türschwelle getreten, den Haltegriff erfasst und den bloßen Hintern langsam in die Nähe des Loches gesenkt.
Die Lederschlaufe war aber nur zum Ausbalancieren beim Stuhlgang gedacht. Als die Schlaufe nun mein ganzes Körpergewicht zu tragen hatte, riss sie aus der Befestigung und ich krachte mit dem nackten Hintern in die Scheiße.
Ich hangelte mich wieder nach oben, hatte zum Glück eine ganze Rolle Toilettenpapier bei mir, mit der ich mir nun um den beschmutzten Unterleib quasi eine Toilettenpapierunterhose wickelte. Nun Kampfanzug wieder hoch, ins Küchenzelt gegangen und dem Koch mein Malheur erzählt. Der Koch stellte mir eine Schüssel mit heißem Wasser in das Zelt, in der ich mich nun, mittlerweile splitternackt ausgezogen, mit einem Stapel Küchenhandtücher säuberte. Ich bemerkte noch, als ich frisch gewaschen das schmutzige Wasser in den Wald kippte, wie der Koch ungerührt die dreckigen Handtücher in den Wäschesack warf.
Im Verteidigungsministerium
Ende April 1965, das zweite Halbjahr des Grundwehrdienstes war fast herum, mahnte mich der Spieß, ich solle meinen Urlaub einreichen.
Mein Batteriechef und ich kamen aber zu der Übereinkunft, dass ich die sieben Tage Urlaub, die nun für mich anstanden, an meinen Resturlaub vor der Entlassung anhängen könne. Dieser Geniestreich machte mich zum Zeugen eines welthistorischen Ereignisses. Ein oder zwei Tage später, es müsste der 21. oder 22. April gewesen sein, bekam ich einen Marschbefehl nach Strausberg. zum Ministerium für Verteidigung der DDR; sollte mich dort bei einem Hauptmann so und so melden.
Als ich in Strausberg ankam, stellte sich heraus, dass der Hauptmann so und so für die Ausrichtung von Empfängen und Feierlichkeiten in den Gebäuden des Ministeriums und den umliegenden Gästehäusern zuständig war. Ich sollte, mit drei weiteren Abkommandierten, die alle als Berufsbezeichnung „Kellner“ angegeben hatten, als Ordonnanz bei einer Reihe von Staatsempfängen und Feierlichkeiten mitwirken, deren Durchführung bis zum 8. Mai 1965, dem 20. Jahrestag der Befreiung, geplant war.
Zuerst trieb der Hauptmann zur Eile. Wir wurden in einer Baracke in der Nähe jenes stalinistischen Kulturhauses, das an eine Akropolis erinnern sollte, einquartiert. Dann verkündete der Hauptmann, dass in wenigen Tagen eine hochrangige indonesische Militärdelegation eintrifft, zu deren Bedienung wir vorrangig eingeteilt wären. Dazu wurden als Erstes aus einem auf dem Ministeriumsgelände befindlichen Magazin Konserven, Getränke, aber auch Geschirrteile in die Fest- und Tagungsräume transportiert.
Es war das Jahr 1965, in der DDR-Provinz herrschte noch das Kundenkartensystem. Das Magazin war auch keineswegs überfüllt, viele Regale standen halbleer. Ich bemerkte, wie sich die anderen Abkommandierten die eine oder andere Dose Ananas oder Ölsardinen in die Taschen steckten, was damals ausgesprochene Delikatessen waren. Der Hauptmann schien das aber geflissentlich zu übersehen.
Ich entdeckte zwei Flaschen Beaujolais in einem ansonsten völlig leeren Regal. Beaujolais rangierte damals, noch vor sowjetischem Sekt, als höchste Delikatesse. Mich erinnerte er an genussvolle Abende mit Bruni, aber auch an das Weinstädtchen Clochemerle mit seinen sympathischen Bewohnern, die ich allerdings nur aus dem bekannten Roman von Gabriel Chevalier kannte, und das ich, da es auf NATO-Gebiet stand, nach dem Willen der Armeeführung zu gegebener Zeit, bei der „Vernichtung des Aggressors auf seinem eigenen Territorium“, mit meiner Haubitze zerdeppern sollte.
Die beiden einsamen Flaschen standen in Griffhöhe; ich würgte also eine davon in meine Hosentasche. Das ließ der Hauptmann jedoch nicht durchgehen, befahl mir, die Rotweinflasche sofort wieder ins Regal zu stellen. In versöhnlichem Tone erläuterte er, das seien die beiden letzten, denn die Franzosen lieferten nicht mehr; nun seien sie ausschließlich für den Genossen Walter Ulbricht reserviert, wenn der zur Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates im Ministerium erscheine.
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Dann erschien der indonesische Luftmarschall mit großem Gefolge, wurde mit allem militärischen Brimborium empfangen: mit Ehrenkompanie, Salutschüssen und lärmendem Militärorchester. Er war ein mickriges kleines Kerlchen in einer exotischen Phantasieuniform, seine Begleitung war nicht anders.
Die Feierlichkeiten anlässlich des hohen Besuches, bei denen auch einige sowjetische Generäle zugegen waren, verlief wie gewöhnlich. Ansprachen wurden gehalten, wobei der Luftmarschall, über seinen Dolmetscher, bittere Klage über die imperialistischen Kolonialherren führte, die ihm auf der Militärakademie nur Englisch, kein Deutsch beigebracht hätten. Natürlich wurde die antiimperialistische Solidarität beschworen.
Das Blabla ging noch eine Weile, dann hob ein Besäufnis an, das den leichtgewichtigen Asiaten nicht gut bekommen sollte.
Hier kommt bei mir wieder der Mathematiker durch, eigentlich nur der Grundschüler, der das Einmaleins gepaukt hat: Wenn sich ein großer, dicker russischer General von 125 Kilogramm Lebendgewicht 100 Gramm („sto gramm“) Wodka von 45 Volumenprozent hinter die Binde kippt, hat er gerade mal 0,36 Promille intus, wenn hingegen der winzige Indonesier, mit gerade mal 88 Pfund, die gleiche Menge Wodka konsumiert, ist er mit 1,02 Promille schon längst fahruntüchtig. In diesem Verhältnis befand sich auch der Trunkenheitsgrad der Teilnehmer dieser antiimperialistischen Veranstaltung, zumal bei Toasts in Militärkreisen immer ausgetrunken werden muss. Wir vier Abkommandierten schenkten wahrlich immer fleißig ein.
Am nächsten Tag setzte sich das Treffen der Militärs erst am frühen Nachmittag fort; der Alkohol wollte und wollte aus den Körpern der Indonesier nicht weichen. Nach der Mittagstafel zog sich die Generalität – Armeegeneral Heinz Hoffmann war jetzt mit dabei – in die Tagungsräume zurück, zu denen wir Ordonnanz-Kräfte keinen Zutritt hatten.
Nach dem Abendessen, das wir in der Art eines russischen Buffets auf der U-förmigen Tafel angerichtet hatten, wollten die Gäste abreisen. Über seinen Dolmetscher beklagte sich der Luftmarschall über die Unzuverlässigkeit der westlichen Flugzeugtechnik, die bislang in seinen Hangars steht; von diesen Jets fielen ihm jedes Jahr mehrere vom Himmel. Der Landsknechttyp Stechbarth brüllte über die Tafel: „Das passiert bei uns auch, dafür sind wir ja Soldaten!“
Die Gäste erhoben sich, machten in strammer Haltung noch einige nichtssagende Bemerkungen über die Freundschaft und die antiimperialistische Solidarität und entfleuchten in ihr fernes Inselreich.
Danach eilte unser Hauptmann auf uns zu und sagte, noch bevor wir die Tafel ordnen konnten: „Jetzt für jeden Wodka, nur General Riedel und Stechbarth trinken Kognak!“
Die Sauferei hob wieder an, und die Zungen der hochrangigen Militärs lösten sich. Nach einem kräftigen Schluck Wodka meinte Hoffmann gewichtig: „Wenn jetzt dieses große Land auch noch auf unsere Seite tritt, sieht es weltpolitisch ganz anders aus!“
Ich dachte mir, dieser Barnabas mit seinem jämmerlichen Heer hat weltpolitische Tagträume.
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Ich muss hier zeitlich einen fünfmonatigen Sprung nach vorn machen. In der ersten Septemberwoche 1965 las ich im „ND“ vom Untung-Putsch in Indonesien und dessen blutiger Niederschlagung, bei der fast alle indonesischen Kommunisten ausgerottet wurden und die Suharto an die Macht brachte. Die Brutalität dieser Niederschlagung hatte amerikanische Filmemacher zu einem vielbeachteten filmischen Meisterwerk inspiriert.
Nun hörte ich die Bemerkung von Hoffmann mit anderen Ohren. Sollten diese Leute in Strausberg den Putschversuch ausgeheckt haben? Ich habe später in der Universitätsbibliothek in Rostock, wo das „Neue Deutschland“ fein säuberlich archiviert war, die Ausgaben von April und Mai 1965 nach einem Pressehinweis auf diesen Militärbesuch durchforstet. Ich fand aber nichts. Der Luftmarschall und die anderen Verschwörer waren demnach nicht in offizieller Mission in der DDR, denn sonst hätte die SED-Presse garantiert damit geprahlt. Immerhin war 1965 tiefste Hallstein-Doktrin-Ära.
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Doch wieder zurück nach Strausberg.
Es folgten das Festbankett zum erfolgreichen Abschluss der 1.-Mai-Parade und die Feiern zum Tag der Befreiung am 8. Mai, der im Jahre 1965 zum 20. Mal und auch letztmalig als offizieller Feiertag begangen werden sollte. (Durch die geplante Einführung der Fünftagewoche mit 43 dreiviertel Stunden Arbeitszeit wurden vier Feiertage gestrichen: der 8. Mai, Himmelfahrt, Ostermontag sowie Buß- und Bettag.)
Bei den obigen Festlichkeiten wurde natürlich wieder kräftig gesoffen. Wir Abkommandierten hatten zu tun, nahmen auch selbst so manchen Schluck aus der Pulle.
Bei der Sauferei der Generalität war Hoffmann nicht unbedingt der trinkfreudigste, er saß lieber auf seinem Stuhl und ließ sich von seinen devoten Generälen mit Trinksprüchen und Toasten feiern. Dieser Mann, der auch schon mal vom „gerechten Atomkrieg“ faselte, hatte ein bewegtes Leben hinter sich; war Rot-Front-Kämpfer gewesen, hatte am Spanienkrieg teilgenommen, ebenso am Fronteinsatz bei der Sowjetarmee, und war nun Armeechef der NVA. Die servilen Generäle und Obristen förderten alle naselang eine Heldentat aus dem Leben ihres Chefs zutage, auf die ein Glas geleert werden musste.
Da die Teilnehmer alle der europiden Rasse angehörten, die seit der Bronzezeit, vor 5.000 Jahren, an Alkohol gewöhnt, Alkoholverträglichkeitsgene in sich trägt, alle über 1,70 Meter maßen und wenigstens 75 Kilo wogen, blieben Volltrunkenheitszusammenbrüche, trotz der maßlosen Sauferei, aus. Ich erinnere mich noch eines alten weißhaarigen Obersten, der, aufrecht stehend, zu mir sagte: „Was ist denn das hier für eine Sauferei, die sitzen ja alle wie die Zivilisten in ihren Kneipen, damit sie nicht so weit fallen müssen, hä, hä, hä. Ein Soldat hat beim Saufen zu stehen, klar!“
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Es gab aber nicht nur Alkohol im Ministerium, es liefen auch viele ansehnliche weibliche Wesen in den Gebäuden herum; Sekretärinnen, Köchinnen und Serviererinnen für die Kantine. In der kalten Küche des Kantinentraktes hantierte ein besonders strammes und ansehnliches junges Weib von Anfang zwanzig. Anfangs tat sie unnahbar, dann gewährte sie Einblick in ihr Dekolleté mittels eines betont leger geschlossenen Kittels, bald schubste sie mich mit ihren herrlich weiblichen Hüften. Wen wundert’s, dass ich mich bei jeder Gelegenheit in der Küche herumtrieb und versuchte, mich dort nützlich zu machen. Als ich einmal für sie ein größeres Gefäß mit beiden Händen von einem hochgelegenen Bord herunterhob, schob sie mir zärtlich einen Oberschenkel in den Schritt. Ich hätte fast das Gurkenglas fallengelassen.
Jetzt war ich außer Rand und Band, wollte sie umarmen. Sie wehrte mich ab, sagte: „Jetzt nicht, ich habe zu arbeiten, komm doch heute Abend zu mir!“ Und sie nannte die Adresse.
Das kesse Weib wohnte in einem schrecklich tristen Plattenbau, gleich hinter der „Akropolis“; sie war die Tochter eines Oberstleutnants, wie ich am Türschild ersah. Dieser Baustil hat sich bei mir sonst immer negativ auf die Erotik ausgewirkt, das hier war aber eine Ausnahmesituation.
Ich läutete, sie öffnete in einem Bademantel. Als ich in die Wohnung trat, ließ das Götterweib ihren Bademantel fallen und stand nur mit Pantoffeln, Strümpfen und Strapsen bekleidet vor mir.
Ich muss einfügen, in der DDR der sechziger Jahre war das Angebot an Damenunterwäsche sehr hausbacken; der Begriff „Reizwäsche“ galt als westlich-dekadent. Die Frauen sollten ja in der Produktion arbeiten und nicht die Kerle verrückt machen.
Der hauptsächliche Zweck der Damenunterwäsche war die Gesund- und Warmhaltung der Produktionsarbeiterinnen, um deren Krankenstand wegen Unterleibserkrankungen zu senken. In den zugigen Werkhallen der VEBs und auf den Turmdrehkränen der Werft- und der Bauindustrie, wo Frauen ob ihrer Sensibilität bei der Handhabung technischer Geräte gern eingesetzt wurden, wären Strapse höchst hinderlich gewesen. Dort waren dicke, wollene Schlüpfer gefordert, die im Volksmund auch „Liebestöter“ hießen. Normale DDR-Bürger machten sich daher mit Gesten, Blicken, Worten und Zärtlichkeiten scharf, um dann beim Liebesakt alle Klamotten weit von sich zu werfen.
Nachdem ich mich einige Sekunden an diesem reizvollen Anblick geweidet hatte – inzwischen schmiss ich schon die Klamotten von mir –, schritt meine Nymphe voran ins Wohnzimmer, das mit einem großen, dicken Teppich, gewiss sowjetischer Provenienz, ausgelegt war. Die Strapse waren nur an einem ganz schmalen Gürtel befestigt und ließen, trotz dieser Andeutung von Bekleidung, das ganze göttliche Gesäß frei. Dieses Kleidungsstück, das todsicher aus westlicher Produktion stammte, war gewiss von den knappen Währungsreserven der DDR importiert worden.
Mitten in dem Wohnzimmer, das im Übrigen wie bei Hans und Franz eingerichtet war, bückte sich meine Nymphe tief nach vorn, tat so, als wolle sie einen Fussel beseitigen. Meine erzwungene Abstinenz in der Liebe (eigentlich eine Menschenrechtsverletzung, für deren Anprangerung die West-Linken jedoch nicht den Schneid aufbrachten) ließ kaum ein intensives Liebesspiel zu; wir stürzten ineinander, und ich kann sagen, dass ich die Welt draußen und meine traurige Lage als Zwangsrekrutierter völlig vergaß.
Irgendwann trat aber dann doch Erschöpfung ein. Da drehte mich das Prachtweib, das nicht nur scharf, sondern auch kräftig war, auf den Rücken und machte sich mit dem Mund über mein ermattetes Eumel her, den Hintern meinem Gesicht zugewandt. Das Panorama, das sich mir bot – ich war damals noch nicht Brillenträger – und ihre oralen Bemühungen verfehlten ihre Wirkung denn auch nicht. Als sich dieses Prachtweib im Reitersitz auf das Werk ihrer Bemühungen setzte und laut stöhnend mir die Arbeit des Liebeswerkes abnahm, kam mir erstmals der Gedanke, dass ich es nicht nur mit einem Naturtalent der Erotik, sondern mit einer Professionellen zu tun habe.
Wenige Tage später musste ich wieder zurück nach Eggesin, ins AR 9. Der Hauptmann, dem mein Techtelmechtel mit der Kaltmamsell nicht verborgen geblieben war, sagte mir beim Abschied aus Strausberg noch, entweder als Warnung oder als Trost: „Die Kaltmamsell geht an manchen Abenden bei der Generalität reihum, manchmal auch bei den sowjetischen Genossen.“
Also doch eine Professionelle, dachte ich, war aber wiederum stolz, dass dieses Prachtweib es mit mir aus freien Stücken und umsonst gemacht hatte.