Kitabı oku: «Das verborgene Netzwerk der Macht», sayfa 3

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Vorrang des höheren Einsatzes für das Ganze

Auch in Teams sind nicht alle gleich

Teams und flache Hierarchien sind in. Neue Wege zu mehr Effektivität sind sinnvoll und nützlich, aber sie bergen auch bestimmte Gefahren. Vielleicht haben Sie schon Start-up-Teams kennen gelernt, die in ihrer mitreißenden Euphorie die Gleichwertigkeit der Zugehörigkeit mit völliger Gleichberechtigung verwechseln. So schön ein Wir-Gefühl auch ist – oft schütten die Teammitglieder in ihrem Bemühen um flache Hierarchien das Kind mit dem Bade aus und werfen systemerhaltende Prinzipien wie Kompetenzvorrang und Verantwortungsvorrang achtlos über Bord. In solchem Klima gedeihen pseudo-egalitäre Ideologien, wie: »Wir arbeiten alle gleichberechtigt. Wir sind alle gleich wichtig. Jeder darf mitreden und mitentscheiden.« In Extremfällen wird der Vorschlag einer Aushilfskraft oder eines Praktikanten genauso gewichtet wie der erfahrener Kompetenzträger.

Der Chef muss Chef sein und verantwortlich führen

Auch wenn in solchen Teamsitzungen alle beifällig nicken und sich damit zu ihrer fortschrittlichen Haltung gratulieren, wird doch ein gewisses Unbehagen spürbar. Denn den wirklich Verantwortlichen bleiben nur Pflichten, keine Rechte. Wer mehr Einsatz für das Ganze bringt, hat aber in zwischenmenschlichen Systemen mehr Gewicht. Sein Wort zählt mehr. Wie kommt man aus so einer Teamfalle wieder heraus? Eine einfache Frage führt hier zu mehr Klarheit: »Wer fühlt sich für das ganze Team verantwortlich und handelt auch so?« Diejenigen, die so handeln und dazu stehen, können als Teamleiter untereinander Führungsstrukturen entwickeln. Die übrigen sind ihre Mitarbeiter.

Anders gesagt: Ein Chef muss Chef sein und sein dürfen. Nimmt er die Rolle nicht an, indem er nicht nur Aufgaben, sondern auch Chefentscheidungen wegdelegiert, hat er den Stuhl, auf dem er sitzt, schon verloren. Seine Mitarbeiter werden ihn nicht mehr ernst nehmen. Erkennt andererseits ein Mitarbeiter seinen Chef nicht als Chef an, weil er sich selbst für fähiger hält, befindet er sich im systemischen Abseits und muss »zurückgepfiffen« werden. Auch ihm hilft es, die Wirklichkeit anzuerkennen und seinem Chef beispielsweise zu sagen: »Sie sind hier der Chef. Auch wenn ich nicht immer Ihrer Meinung bin, erkenne ich das an!«

Kompetenzvorrang

Kompetenz am richtigen Platz wird anerkannt

Kennen Sie auch hoch begabte und fähige Leute, die in ihrer Firma kaum Anerkennung ernten? Dieses Dilemma kann systemische Ursachen haben. Der Produktionsleiter im obigen Beispiel »Vorrang des Früheren vor dem Späteren« saß in dieser Falle fest. Seine neuen Mitarbeiter erkannten seine hohe Kompetenz nicht an. Erst als ihm klar wurde, wie sehr er ihre Rechte als langjährige Mitarbeiter ignoriert hatte und seine Einstellung änderte, begannen sie, ihn zu akzeptieren. Das Beispiel zeigt, wie in Arbeitssystemen verschiedene Dimensionen von Vorrang koexistieren und einander bedingen.

Entscheidend für die Systemharmonie ist das Prinzip der Würdigung, das sich durch alle systemerhaltenden Prinzipien wie ein roter Faden hindurchzieht. Wenn der Spätere die Früheren als Frühere würdigt, anerkennen diese bereitwillig seine Fachkompetenz. Vorrang hat auch, wer hohe Kompetenz in ein Arbeitssystem einbringt.

Hierzu zählen besondere Fähigkeiten und Leistungen ebenso wie sichtbare Ergebnisse oder eine außergewöhnliche berufliche Erfahrung. Anerkennung und Würdigung sind also Grundprinzipien systemischen Ausgleichs und zugleich ein Mittel für diesen Ausgleich.


* Siehe zu dieser wichtigen Entdeckung über die Funktionsweise des systemischen Gewissens auch die Veröffentlichungen Bert Hellingers. Nähere Angaben im Literaturverzeichnis.

* Siehe dazu auch: Hellinger, »Organisationsberatung und Organisationsaufstellungen.« In: Weber (Hg.), 2000.

2. Systemische Aufstellung – das Verborgene sichtbar machen
2.1 Entwicklung der Methode

Entwicklungsprozesse sind keine Schnellschüsse

Vom »systemischen Denken« hören Sie vermutlich nicht zum ersten Mal – es kommt in Mode, vor allem in der Organisationsentwicklung. Diese ist bislang allerdings bei wirtschaftlich denkenden Menschen noch wenig anerkannt. Woran liegt das? Entwicklungsprozesse brauchen ihre Zeit – die viele Unternehmensführer nicht haben bzw. sich nicht nehmen. Wer sich im Zugzwang sieht und glaubt, jetzt sofort handeln zu müssen, hat verständlicherweise wenig Geduld. Oft greifen Manager in solch einer Situation zu einem der auf dem Beratungsmarkt angebotenen Schnellverfahren. Diese befriedigen zwar den Handlungsdruck ihrer Anwender, lösen aber oft das Problem nicht. Denn Pragmatismus und Tempo einer Maßnahme entscheiden nicht über ihren Erfolg. Wem ein Setzling zu langsam wächst, der kann natürlich entschlossen daran ziehen, damit es schneller geht. Allerdings verkürzt er damit die Pflanze und verlängert so den Wachstumsprozess aufs Neue.

Auch der Schwenk zum systemischen Denken hat den Trend zu ähnlichen Vorgehensweisen in unserem Wirtschaftsleben noch nicht umkehren können. Die Betonung liegt dabei allerdings weniger auf »systemisch« als auf »Denken«. Denn neues Denken allein ändert praktisch nicht viel.

In unseren komplexen Unternehmensstrukturen, die sich heute in einem atemberaubenden Tempo ständig wandeln, kann Klarheit nicht »herbeigedacht« werden. Neue Lösungen erfordern nicht nur Umdenken, sondern konkrete Einsicht in die Wirkungsmechanismen des Systems sowie konsequentes Handeln. Genau dabei leistet die Methode der systemischen Aufstellung wertvolle Hilfe.

Denn die systemische Aufstellung beschränkt sich nicht aufs Denken, sondern sie bewegt, und zwar in einem Tempo, das mit den schnellen Informationstechnologien der »Generation-@« locker mithalten kann. So bringt sie Gegensätze zusammen, die zuvor völlig unvereinbar schienen: Sie ist lösungs- und prozessorientiert, sie ist schnell und ganzheitlich, sie ist präzise und symbolisch. Weil sie genaues Denken, differenziertes Fühlen und konsequentes Handeln erfordert und fördert, sind mit ihr gefundene Lösungen keine Schnellschüsse, sondern Auslöser lang anhaltender, gewollter Entwicklung.

Wie ist diese Methode entstanden? Wie andere Managementansätze und -modelle hat auch sie ihre Wurzeln in der modernen Psychologie und ihrer Anwendung auf aktuelle menschliche Probleme. In einem kurzen Ausflug zu diesen Ursprüngen möchten wir Ihnen diese Zusammenhänge verdeutlichen.

Historische Entwicklung der systemischen Aufstellung

Die 60er- und 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren reich an Veränderungen. Sie bescherten uns nicht nur die Mondlandung, die legendären »68er«, die Beatles und Flower-Power. Auch im Wissen um den Menschen und seine Welt erlebten wir bahnbrechende Veränderungen. Um zu verstehen, wie grundlegend sich wirtschaftliche Betrachtungsweisen gewandelt haben, müssen wir einen Blick auf ihre psychologischen Wurzeln werfen.

In Psychologie und Sozialwissenschaften wendete sich die Forschergemeinde vom rein quantitativen, analytischen Sezieren ab und sah plötzlich die Welt durch eine neue Brille: Das Ganze rückte in den Blick und veränderte radikal die Perspektive. Zusammenhänge, Wechselwirkungen und Verbindungen zwischen den Menschen und ihrer Umwelt wurden erkannt. Die Forscher schauten von ihren Mikroskopen auf und blinzelten erstaunt auf dieses neue Ganze, das mehr zu sein schien als die Summe seiner Teile. Zwar hatten schon antike Kulturen Tausende von Jahren zuvor dieselbe Einsicht gewonnen, aber wir Menschen scheinen unser Wissen ab und an zu vergessen. Deshalb ist die Feststellung nicht falsch, dass die systemische Sichtweise in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. In den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen entwickelte sie sich rasant weiter. Besonders bekannt wurde der Soziologe Niklas Luhmann mit seiner Systemtheorie.

Herkunft aus der Familientherapie

Die psychologischen Forscher Gregory Bateson, Paul Watzlawick, Ronald Laing und ihre Kollegen standen für eine umfassendere Sicht menschlicher Seelenlandschaften und inspirierten Therapeuten wie I. Boszormenyi-Nagy, H. Stierlin und andere, ihren psychologischen Blick vom Einzelnen auf sein unmittelbares Bezugssystem, die Familie, zu erweitern. Schnell kam es in der Familientherapie, wie so oft bei neuen Entwicklungen, zu Schulbildungen. Binnen kurzer Zeit entstanden die Mailänder Schule, die Heidelberger Schule und verschiedene amerikanische Ansätze. Bei aller kontroverser Diskussion stimmten die Familientherapeuten aber hierin überein:

• Die Probleme Einzelner müssen im Wirkungszusammenhang des Familien-Systems betrachtet werden.

• Jedes Verhalten, sei es auch noch so verrückt, ist in seinem Systemkontext sinnvoll.

• Der Blick des Therapeuten richtet sich nicht mehr auf das Problem, sondern auf die Lösung.

• Lösungen sind auch in Kurzzeit-Therapien erreichbar.

Diese revolutionären Neuerungen krempelten die bis dahin überwiegend psychoanalytisch orientierte Therapiewelt, in der man auf jahrelange individuelle Prozesse der Ursachenerforschung eingestellt war, gründlich um.

Um einen besseren Überblick über Familiensysteme zu erhalten, begannen die Familientherapeuten, das System abzubilden. Sie benutzten zunächst Grafiken und Figuren, um die Beziehung der Systemmitglieder zueinander anschaulich zu machen. Im nächsten Schritt lag es nahe, diese Figuren zum Sprechen zu bringen. Also wurden die Familienmitglieder gebeten, sich zueinander in Beziehung zu stellen und sich zu äußern, um Klärung zu schaffen. Als sich das als zu schwierig herausstellte, begann man, sie durch Stellvertreter zu ersetzen. Man experimentierte mit verschiedenen Ansätzen. So tat sich z. B. die amerikanische Therapeutin Virginia Satir durch ihre so genannten »Skulpturen« hervor, in denen sie Rollenspieler wie lebendige Statuen in Pose setzte und pantomimisch Beziehungen und Gefühle ausdrücken ließ. Das erwies sich zwar als recht dramatisch, erschwerte aber den Blick auf das Wesentliche.

Aufstellungen beschränken sich auf das Wesentliche

In Systemaufstellungen von Familien und Organisationen beschränkt man sich heute auf das Minimum.

Wer eine Lösung sucht oder ein Ziel klären möchte, stellt neutrale Repräsentanten für Organisationsteile bzw. Familienmitglieder so zueinander in Beziehung, wie es der eigenen Wahrnehmung entspricht. Damit wird die Realität des zwischenmenschlichen Systems nicht fotografisch, sondern symbolisch verdichtet abgebildet.

Ein Aufstellungsbild ist insofern einem Kunstwerk vergleichbar, das mit einfachen Mitteln sehr komplexe Inhalte verdeutlichen kann. Dieses unspektakuläre und verblüffend effektive Vorgehen verdanken wir der Pionierarbeit Bert Hellingers (siehe Literaturverzeichnis).

Familien und Organisationen unterscheiden und ähneln sich

Sie fragen sich an dieser Stelle vielleicht, wie eine familientherapeutische Methode zu Unternehmen und ihren wirtschaftlichen Fragestellungen passt. Schließlich sind Unternehmen keine Familien, selbst dann nicht, wenn es sich um traditionelle Familienunternehmen handelt. Es gibt in der Tat tief greifende Unterschiede zwischen Familien und Unternehmen, aber auch eine Reihe tragender Gemeinsamkeiten, die es ermöglichen, die systemische Aufstellungsmethode für Unternehmen und Organisationen zu adaptieren.

Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass Sie die Zugehörigkeit zu Ihrer Firma kündigen können, die zu Ihrer Familie dagegen nicht. Familien sind Schicksalsgemeinschaften, Unternehmen aber aufgabenorientierte Systeme. Wie Familien sind allerdings auch Unternehmen menschliche Systeme und funktionieren deshalb nach ihren eigenen systemerhaltenden Regeln und Prinzipien, die Sie im ersten Kapitel kennen gelernt haben. Natürlich ist die Arbeit an Unternehmensthemen meist nicht mit der emotionalen Intensität familiärer Verwicklungen vergleichbar. Das praktische Vorgehen aber unterscheidet sich bei der Aufstellung von Familien und Unternehmen wenig.

Aufstellungen geben Einblick in die Ist-Situation

In beiden Fällen ist systemische Aufstellung zunächst eine Möglichkeit, in kurzer Zeit einen Überblick über eine Ist-Situation zu erhalten. Wer in einer Unternehmens-Aufstellung stellvertretend für die Produktion, den Vertrieb, die Geschäftsleitung oder eine Auslandstochter steht, spürt unmittelbar, ob die Stellung im Gesamten richtig ist oder in welche Richtung sie verändert werden müsste, damit das Ganze gut funktioniert. Schwierige Ist-Situationen werden als Spannung erlebt – Lösungen als Entspannung. Diese Wahrnehmung ist jedem Menschen in einer Stellvertreterrolle möglich und fällt den meisten überraschend leicht. Sie ist nicht das Resultat besonderer Ausbildung oder Qualifikation, sondern so einfach wie Sehen oder Hören. Im Abschnitt 2.3 dieses Kapitels erfahren Sie mehr darüber.

2.2 Zwei Wege, ein Ziel: die Lösung

Die Lösung im Fokus

Nun ist es zwar bereits von beträchtlichem Nutzen, innerhalb einer Stunde Einblick in eine Ist-Situation zu erhalten. Das ist konkurrenzlos schnell! Welche konventionelle Methode der Unternehmensanalyse könnte da mithalten? Aber das ist nicht alles. Nicht Analyse und Ursachenforschung sind Ziel einer systemischen Aufstellung, sondern die Lösung ist es! Daher fragen systemische Berater nicht: »Warum hat die Geschäftsleitung so spät auf die Veränderungen im Markt reagiert?« Oder: »Warum ist die Zusammenarbeit von Entwicklung und Vertrieb so unkoordiniert?« Sie fragen vielmehr: »Wie können wir die gegenwärtige Krise überwinden und uns strategisch am besten auf dem Markt positionieren?« Oder: »Wie müssen wir aufgestellt sein, damit wir schneller auf Veränderung reagieren können?«

Aufstellungen sind anwendungsbezogen

Sie merken es bereits an der Fragestellung: Es geht nicht darum, den Schuldigen an einer Misere zu finden – was oft mit einer »Warum-Frage« ausgelöst wird. Stattdessen ist die »Wie-Frage« hier hilfreich: »Wie können wir es besser machen?«

Was Sie brauchen, ist die richtige Lösung, die optimale Aufstellung Ihrer Mannschaft! Denn es ist ein wenig wie beim Fußball: Auch die besten Spieler können nicht gewinnen, wenn Störungen im Mannschaftssystem ihre Leistung zunichte machen.

Plötzlich laufen lang geübte Pässe ins Leere und die Torjäger müssen, statt dem Gegner gefährlich zu werden, gemeinsam mit der Abwehr das Schlimmste im eigenen Strafraum verhindern helfen. Aber wie erreicht ein Fußballcoach die optimale Aufstellung? Ob sich ein Startrainer darüber nun in geheimnisvolles Schweigen hüllt oder ein verbales Feuerwerk abbrennt, ist eine Frage seiner verkäuferischen Präsentation. Das Zauberwort dahinter heißt immer Lösungsorientierung. Der Blick richtet sich also nicht auf das Problem, sondern auf das Ziel bzw. die Lösung.

Auch zu Beginn einer systemischen Aufstellung lautet deshalb die Frage: »Was möchten Sie erreichen?« und »Woran werden Sie konkret merken, dass sich die Situation verbessert hat?« Mit dieser konkreten, anwendungsbezogenen Ausrichtung kann sich in der letzten Phase einer systemischen Aufstellung, dem »Lösungsbild«, der Stress einer Problemsituation in Energie zum Handeln umwandeln.

Erfinden wir die Wirklichkeit?

In der systemischen Arbeit haben sich zwei unterschiedliche Ansätze entwickelt, die beide lösungsorientiert vorgehen. Der eine firmiert unter dem Titel »konstruktivistisch«, der andere ist als »phänomenologisch« bekannt. Konstruktivisten vertreten die Meinung, Realität werde von den Menschen sozusagen erfunden und konstruiert. Die Phänomenologen verneinen dies nicht, erweitern aber ihr Realitätsverständnis um ein größeres Ganzes, das wir nicht »erfinden«, sondern »vorfinden«. Deshalb betrachten sie ein System ohne Konzept oder Änderungsabsicht – eben wie ein unbekanntes »Phänomen«.

Bevor wir einer Lösung zustimmen können, sagen die Phänomenologen, muss die Wirklichkeit wahrgenommen und als gegeben anerkannt werden. Systemdynamiken sind den physikalischen Naturgesetzen vergleichbar, die sich bekanntlich ebenso wenig beliebig verändern lassen, wie wir sie konstruiert haben. Ziel ist deshalb die Lösung im Einklang mit den grundlegenden Ordnungsprinzipien des ganzen Systems. Auf den Punkt gebracht, steht für Phänomenologen die Wahrnehmung dessen, »was ist«, im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit, für Konstruktivisten die Vorstellung, »was sein könnte«.

Die konstruktivistische Sichtweise

Wenn es also einem Unternehmen schlecht geht, ist das nach konstruktivistischer Auffassung das Ergebnis bestimmter, z.B. sorgenvoller Vorstellungen, die sich die Systemmitglieder mitteilen und so lange gegenseitig verstärken, bis ein äußeres Ergebnis (z. B. Umsatzrückgang) erreicht ist. Das ist dann natürlich der Beweis für die Richtigkeit ebendieser besorgten Vorstellungen. Die Lösung liegt in konstruktivistischer Sicht nun darin, dass die Beteiligten lernen, sich eine »bessere«, also erfolgreichere Realität zu erwählen, um diese dann nach gleicher Vorgehensweise zu erschaffen. Konstruktivisten gehen davon aus, dass sämtliche Ressourcen für die Lösung innerhalb des Systems vorhanden sind – sie lagern nur vergessen in irgendeinem Nebenraum und können mit Hilfe eines systemischen Beraters gefunden werden. Seine Aufgabe ist es, Auskünfte und Anstöße für die gemeinsame kreative Neugestaltung der Unternehmensrealität zu geben.

Die phänomenologische Sichtweise

Ihre phänomenologisch arbeitenden Kollegen untersuchen hingegen zuerst, wo systemische Grundordnungen verletzt wurden, um diese wieder in Ordnung zu bringen.

Tatsachen zu verleugnen schwächt – Realität anzuerkennen stärkt.

Deshalb ermutigen Phänomenologen die Beteiligten, diese erst einmal als Realität anzuerkennen.

Ein Konflikt zwischen zwei Abteilungen wird aus phänomenologischer Sicht nicht dadurch gelöst, dass sich beide Abteilungsleiter zusammensetzen und gemeinsam Strategien für eine harmonische zukünftige Zusammenarbeit ausarbeiten. Nein, erst muss sich zeigen, worin der Konflikt besteht. Die Beschreibung der Beteiligten kann das eigentliche Thema auch verdecken, statt es auf den Punkt zu bringen. Das ist ein Grund, weshalb man in Aufstellungen nicht mit den betroffenen Personen, sondern mit Stellvertretern arbeitet.

Konflikt zwischen Vertrieb und Produktion

Angenommen, es handelt sich um eine ähnliche Auseinandersetzung wie die zwischen Vertriebschef und Produktionsleiter. Letzterer fühlt sich von seinem Vertriebskollegen bei der Planung übergangen, während dieser die Anerkennung seiner Leistung für das Unternehmen vermisst. In einer Aufstellung schlägt der Coach kurze Dialoge vor, die helfen sollen, Realitäten anzuerkennen.

VL zu PL: Sie sind hier der Produktionsleiter und für den ganzen Produktionsbetrieb verantwortlich. Ohne Ihre Leistung können wir nichts verkaufen!

PL zu VL: Von Ihrem Verkaufserfolg als Vertriebschef hängen auch unsere Arbeitsplätze ab. Das erkenne ich an!

Wenn die Beteiligten so ihre jeweiligen Positionen und Aufgaben im Unternehmen anerkennen, können die beiden die Spielregeln ihrer künftigen Zusammenarbeit im Einzelnen aushandeln.

Wer hat also Recht: Konstruktivisten oder Phänomenologen? Beide haben Recht. Die Konstruktivisten zeigen mit ihrer »verhandelten Neuordnung« den Weg zur Machbarkeit von Lösungen. Die Phänomenologen ergänzen diese Methode, indem sie mit ihrer »Grundordnung« auf die realistischen Grenzen dieser Machbarkeit hinweisen. Fazit: Lösungen sind möglich und neue Ziele erreichbar – aber nicht beliebig, sondern nur im Einklang mit den systemerhaltenden Prinzipien.

2.3 Wie funktioniert die systemische Aufstellung?

Wenden wir uns der Praxis zu. Wie funktioniert die Methode? Was läuft eigentlich genau bei einer Aufstellung ab?

Ein klares Anliegen ist Grundvoraussetzung

Als Erstes brauchen Sie, um mit dieser Methode zu arbeiten, ein klar umrissenes Anliegen. Sie sollten also zumindest merken, wo Sie der Schuh drückt, und sich klar darüber sein, dass Sie diesen Zustand so ändern möchten, dass Ihre Zehen nicht mehr schmerzen. Oder aber Sie haben kein Problem, aber ein Ziel, das Sie erreichen wollen, und möchten herausfinden, was Sie dazu benötigen. Auch vor schwierigen Entscheidungen können Sie mit einer speziellen Aufstellungsform mehr Klarheit gewinnen. Wenn Sie Ihr Anliegen formulieren, wird Ihr systemischer Coach Ihnen helfen, es zu präzisieren. Denn ohne ein solch klares Anliegen funktioniert die Methode nicht. Ihr fehlt dann die Energie und die Richtung (Lösung/Ziel). Das wäre ungefähr so, als würden Sie sich in ein Taxi setzen und dem Fahrer sagen: »Fahren Sie bitte los!« »Wohin möchten Sie denn?«, wird er zurückfragen. »Egal«, antworten Sie, »ich werde überall gebraucht.«

Ein qualifizierter Coach

Als Zweites brauchen Sie einen ortskundigen »Taxifahrer«, einen Aufstellungsleiter also, der für diese Aufgabe qualifiziert ist. Das ist deshalb besonders wichtig, weil der äußere Ablauf einer Aufstellung sehr einfach aussieht und rein technisch gesehen leicht wiederholt werden kann. Es geht hier aber um eine sehr komplexe Aufgabe, bei der verschiedene Wahrnehmungsebenen gleichzeitig zu beachten sind – und dazu braucht es fundiertes Training und Erfahrung. Was aus unserer Sicht zur Kompetenz eines Coach oder Trainers in der systemischen Aufstellungsarbeit gehört, erfahren Sie in Abschnitt 2.5.

Mit neutralen Stellvertretern geht es am einfachsten

Als Drittes benötigen Sie Stellvertreter für die Personen, Ziele, Themen oder Funktionen, um die es bei Ihrem Anliegen geht. Am einfachsten funktioniert eine Aufstellung mit unbeteiligten Dritten, die über keinerlei interne Kenntnisse Ihres Unternehmenssystems verfügen – also z. B. Teilnehmer eines offenen Seminars. Ist diese Situation nicht gegeben, können mit entsprechender Umsicht auch Personen aus dem eigenen Unternehmen als Stellvertreter fungieren; allerdings spielt niemand dabei die eigene Rolle, sondern immer die eines anderen oder einer anderen Funktion. Um Fehlinformationen z. B. aus persönlicher Rücksichtnahme oder Animosität auszuschließen, kann man verschiedene Personen nacheinander eine bestimmte Rolle einnehmen lassen. Haben Sie weder externe noch interne Stellvertreter zur Verfügung, oder ist Ihr Anliegen so geartet, dass Sie es nur unter vier Augen klären möchten, benutzt Ihr Coach im Einzelsetting Figuren, Karten auf einer Pinnwand oder markiert Plätze am Boden, um die Stellung der Personen zueinander deutlich zu machen.

Ermittlung der Fakten

Arbeitet man mit Stellvertretern, ist es wichtig, dass sie keine andere Information bekommen als nur die unmittelbar notwendigen äußeren Fakten:

• Welche Person/ Position vertrete ich?

• Wer sind die anderen aufgestellten Personen/ Positionen?

Der Coach benötigt darüber hinaus folgende Basisinformationen:

• Was genau macht das Unternehmen? (Was stellt es her, vertreibt oder entwickelt es?)

• Wie ist die hierarchische Ordnung im Unternehmen? (Diese Information wird, falls nötig, anhand des Organigramms verdeutlicht.)

• Welche entscheidenden Entwicklungen gab es (Gründung, Übernahme, Fusion, Sanierung, Restrukturierung, Entlassungswellen, Booms, Produktumstellungen)?

Wenn der Coach diese Informationen erfragt, achtet er darauf, dass keine Bewertungen oder Interpretationen von Personen oder Ereignissen hineinfließen, damit die Stellvertreter davon nicht beeinflusst werden.

Gehen wir einmal davon aus, dass Sie Stellvertreter zur Verfügung haben. Der Aufstellungsleiter stimmt zunächst mit Ihnen ab, mit welchen Systemmitgliedern (Personen) oder Systemteilen (Tochterunternehmen, Sparten, Abteilungen, Kunden, Markt etc.) die Aufstellung beginnen soll. Er bittet Sie dann, Stellvertreter aus dem Kreis der Anwesenden auszuwählen: also z. B. jemanden für den Chef, eine Person für die Kunden, jemanden für das Vertriebsteam und einen Stellvertreter für Sie selbst. Sie brauchen sich keine Gedanken darüber zu machen, welche Person am besten für welche Rolle geeignet wäre. Sie müssen also nicht für die Rolle des Chefs jemanden finden, der wie ein Chef wirkt. Jede Person kann die Rolle des Chefs genauso gut wie jede andere wahrnehmen. Wenn möglich, wählen Sie Frauen für Frauenrollen und Männer für Männerrollen. Ihr Coach bittet Sie nun – ohne zu sprechen und innerlich gesammelt – die einzelnen Stellvertreter an der Schulter zu nehmen und im Raum so zueinander in Beziehung zu stellen, wie es Ihrem inneren Bild der Situation entspricht.

Sie zeichnen also gewissermaßen durch das Aufstellen der Stellvertreter ein plakatives Raumbild, das Ihr eigenes inneres Bild eines Beziehungsgefüges nach außen widerspiegelt.

»Gesammeltes« Aufstellen ist wichtig

Das ist im Grunde sehr einfach, braucht aber eine gewisse Vorbereitung, wenn Sie noch nie vorher aufgestellt haben. Was heißt »gesammelt« und was bedeutet »inneres Bild«? Gesammelt sind Sie, wenn Sie ihre fünf Sinne beisammen haben, Ihre Wahrnehmung also ruhig auf die einfachen Sinneswahrnehmungen im Augenblick richten. Sie spüren, wie Sie stehen und wie Ihr Atem fließt, hören zugleich die Geräusche in der Umgebung und sehen die Seminargruppe und den Raum. Am Anfang eines Aufstellungssettings üben wir diese Form bewusster Wahrnehmung. Gesammelt fällt es Ihnen leichter, Ihrem »inneren Bild« oder Ihrem Gefühl zu folgen, womit nichts anderes gemeint ist, als ganz intuitiv, ohne darüber nachzudenken, die einzelnen Stellvertreter aufzustellen.

Mit dem EQ ans Ziel

Die Aufstellung ist also kein Schachspiel, bei dem Sie logisch und planmäßig vorgehen, und auch kein Mindmapping Ihrer kreativen Ideen. Sie nutzen vielmehr Ihre emotionale Intelligenz, die es Ihnen erlaubt, Ihrer gegenwärtigen Wahrnehmung zu vertrauen und zu folgen. Die emotionale Intelligenz, Ihr »EQ«, gehört zum Potenzial der rechten Gehirnhälfte, die mehr und mehr auch in den Blick wirtschaftlichen Interesses rückt. Ihr verdanken Sie Ihre Fähigkeit zur ganzheitlichen Wahrnehmung. Mit ihr erreichen Sie nicht nach sorgfältiger Analyse in logischen Schritten geplante Ergebnisse, sondern gelangen sozusagen in einem Sprung ans Ziel. Ein Bild, eine Gestalt erschließt sich Ihnen, indem Sie gesammelt Ihrer intuitiven Einsicht folgen, die das unbekannte Dunkel schlagartig erhellt.

Die Intelligenz der rechten Gehirnhälfte

Viele große Entdeckungen – von der Glühbirne bis zur Relativitätstheorie – sind den Erfindern bekanntlich auf diese Weise »zugeflogen«. Diese intuitive Intelligenz ist nicht auf Genies beschränkt. Wir alle besitzen eine rechte Gehirnhälfte und können deren schöpferisches Potenzial mit dem genial einfachen Instrument der systemischen Aufstellung für die Lösung komplexer Probleme nutzen. Das hat einen enormen Vorteil: Wir umgehen die Sprache!

In Worten können wir eine Situation nur zergliedert und in zeitlicher Abfolge ausdrücken. Ein Bild aber enthält das Ganze. Sie müssten sehr lange fragen, prüfen, analysieren und hinterfragen, um auch nur annähernd die Informationen zu erhalten, die ein Aufstellungsbild liefert.

Falls Ihnen kritische Gedanken im Wege sind, seien Sie skeptisch! »Skepsis« heißt übersetzt »genau hinschauen«. Es geht nicht um Glauben – es geht um Ihre vorurteilslose, konkrete Wahrnehmung, Ihre Skepsis eben.

Sie beobachten sich selbst in Ihrem Arbeitssystem

Nachdem Sie alle Stellvertreter gesammelt aufgestellt haben, bittet Ihr Coach Sie, wieder Platz zu nehmen und den weiteren Prozess als Beobachter von außen zu verfolgen. Warum tut er das? Grochowiak und seine Mitautoren erklären es folgendermaßen:

»Indem der Klient seine innere Wahrnehmung nach außen projiziert und sich dann auf die Rolle des Zuschauers zurückzieht, werden die Stellvertreter … zum Spiegel der Beziehungs-, Bedürfnis- und Emotionsmuster, die das Klientensystem kennzeichnen« (Grochowiak/ Castella/ Klein, S. 19).

Sie haben also die Möglichkeit, von außen die eigene Rolle in Ihrem Arbeitssystem zu erleben. Die Stellvertreter bilden die verschiedenen Rollen ab, ohne die persönlichen »Brillen« der Beteiligten zu tragen. Denn sie haben nur die minimale Tatsacheninformation erhalten, die sie benötigen, um die Rolle zu übernehmen.

Systemdynamiken werden sichtbar

Im ersten Schritt lässt der Coach das gestellte Bild auf sich wirken und achtet auf die nonverbalen Reaktionen der Stellvertreter. Manchmal ermutigt er sie, eigenen Bewegungsimpulsen zu folgen und somit das Anfangsbild zu verändern. Anschließend befragt er sie über ihre aktuelle Befindlichkeit und ihr Erleben der Situation. Aus ihren Rückmeldungen und ihrer Konstellation im Raum wird die Dynamik des aufgestellten Systems deutlich. Blickrichtungen, Positionen und die Nähe- und Distanzverhältnisse machen nach außen hin sichtbar, worum es geht. Beispielsweise schaut der Stellvertreter für die neue Geschäftsleitung geringschätzig auf die Mitarbeiter, die ihn ihrerseits aus Loyalität zum alten Chef, der nach einer Fusion gehen musste, völlig ignorieren. In dieser Dynamik haben beide den Kunden, der irritiert davor steht, völlig aus dem Blick verloren.

G. Weber sieht den Nutzen der Aufstellungsmethode auch darin, dass sie gerade solche Alltagsdynamiken bewusst macht:

»Solche Prozesse laufen im Alltag fortwährend ab, werden dort aber nicht wahrgenommen und beachtet oder es wird ihnen keine Bedeutung geschenkt … In der fokussierten Aufstellungsarbeit wird ihnen Raum gegeben. Sie treten in Erscheinung, können sich entfalten und ihnen wird eine hervorgehobene Bedeutung beigemessen« (G. Weber: »Die Praxis der Organisationsaufstellungen.« In: Weber [Hg.], 2000, S. 42).

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