Kitabı oku: «Liebeswahn», sayfa 5
5. Kapitel
Carola fühlte sich an jenem Morgen unglaublich befreit. In der Nacht wurde sie von einem schlimmen Alptraum gequält, worin Hendrik seinen ‘Hasenfratz‘ in flagranti mit einem anderen ertappte. Es folgte eine schlimme Szene, in deren Verlauf er den Mann verprügelte. Immer wieder schrie dieser um Hilfe, doch es war ihr unmöglich, einzugreifen. Wie gelähmt stand sie da und musste tatenlos zusehen, wie Hendrik ihm die Knochen brach, einen nach dem anderen. Der Traum war so intensiv, zugleich aber auch erschreckend real gewesen, dass sie am ganzen Leib zitterte. Um so erleichterter war sie, nur geträumt zu haben. Allerdings beunruhigte sie etwas anderes. Offenbar musste sie wieder das Haus verlassen haben, denn ihr Mantel und die Perücke befanden sich heute morgen an anderen Stellen. Ebenso war die Kleidung beschmutzt. Wo sie konkret gewesen war, hätte sie nicht sagen können, denn im Gegensatz zu sonst vermochte sie sich diesmal nicht zu erinnern. Das wiederum deutete auf eine Verschlechterung ihres Zustandes hin und das, obwohl sie der Medikation des Professors streng folgte.
Sicher war das der Grund ihres Durcheinanders, weshalb sie an diesem Morgen völlig untypische Dinge tat. So ging sie seit langem wieder zu Fuß zur Arbeit und grüßte sogar den muffligen Pförtner in der Eingangsetage - ein unausstehlicher Kerl, der sie immer schamlos anglotzte. Außerdem hatte sie heute wieder ihr Rouge aufgelegt, wovon sie sich ein frischeres Aussehen versprach, obgleich sie Rouge eigentlich verabscheute. Als Hendrik sie kurz darauf sogar noch um einen Kaffee bat, bemerkte er es jedoch nicht einmal. Tief in sich gekehrt machte er einen besorgten Eindruck und nahm sie kaum wahr. Der Grund war schnell ausgemacht. Sein Hasenfratz war noch nicht da und hatte sich auch noch nicht gemeldet.
Immerzu schaute er auf die Uhr und wirkte überaus gereizt. Carola konnte seine Unruhe nicht verstehen. Es war nicht einmal acht und sicher gab es für ihr Fernbleiben banale Gründe. Sie sagte ihm das auch, doch er hörte gar nicht zu. Vielmehr verlor er sich in unverständlichen Monologen, in denen er wiederholt Wörter wie ‚dumm‘ und ‚sinnlos‘ gebrauchte. Schließlich bat er sie, ihn alleine zu lassen.
Das war sehr verletzend, zumal sie es nur gut mit ihm meinte. Sie begab sich in ihr Zimmer, warf die Tür zu und rief ein paar derbe Flüche aus. Augenblicklich färbte sich ihr Gesicht kreidebleich. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Hielt er diese Schlampe wirklich für so unwiderstehlich? Warum begriff er nicht, dass sie ihn nur benutzte? Carola geriet darüber so in Rage, dass sie den Briefbeschwerer ergriff und schon gegen die Wand schleudern wollte. Aber warum eigentlich? Mochte er sich nur lächerlich machen - es geschah ihm recht. Sie würde einen Teufel tun, ihn daran zu hindern. Im Grunde kam ihr das sogar recht gut zupass. Irgendwann würde er erwachen – spätestens, wenn alles über ihn lachte und dann bräuchte er Trost. Sie aber würde sich ihm verweigern und auf ihm herumtrampeln. Ja, was würde sie!
Es mochte etwa eine Stunde vergangen sein, als das Telefon erneut klingelte und der Doktor sie zu sich bat. „Da stimmt etwas nicht“, folgerte er völlig aufgelöst am Fenster stehend und schaute besorgt auf den Parkplatz, noch immer in der Hoffnung, jeden Moment ihr Auto zu erspähen.
„Was soll bitte nicht stimmen?“, fragte Carola, der dieser Umstand inzwischen schon wieder entfallen war.
„Frau Kosinski! Sie ist noch immer nicht da!“, erinnerte er und machte eine fahrige Geste.
„Aber ich bitte Sie! Es ist gerade mal neun! Sie wird bestimmt gleich kommen oder sich zumindest melden.“
„Aber warum reagiert sie auf keinen Anruf?“, brauchte er ungehalten auf, nahm sich aber gleich wieder zusammen. „So etwas ist für sie völlig untypisch! Ich komme darüber nicht zur Ruhe.“
„Ach so“, bemerkte Carola unterkühlt. Fiel ihr doch ihre kürzlich zurückliegende Erkrankung ein. Erst nach zwei Tagen hatte er sie realisiert und nicht mal Genesung gewünscht. So viel zu ihrer eigenen Wertigkeit. Natürlich übersah er ihre Enttäuschung. Dazu war er viel zu beschäftigt. Stattdessen ging er fortwährend alle nur denkbaren Varianten durch, die das Ausbleiben seiner Geliebten erklären könnten. Und was fiel ihm nicht alles ein, Krankheit, Autopanne, Kind krank - nur eines nicht, dass sie schlichtweg die Nase voll haben könnte und eine Auszeit nahm.
„Vielleicht wäre es angeraten, Herrn Hövelmann zu befragen“, schlug sie plötzlich vor und rührte damit an eine schlimme Wunde. Munkelte man doch schon seit langem von einer Beziehung zwischen beiden, was auch dem Doktor nicht entgangen sein dürfte. Im Gegensatz zur Mehrheit hielt er das aber für eine billige Intrige all der Neider, die bei Mako nicht landen konnten. Und doch befiel ihn beim Nennen dieses Namens jedes Mal ein Magendrücken.
„Wie? Was meinen Sie?“, reagierte er mit einer Verzögerung.
„Herr Hövelmann, dieser Lockenkopf aus der Nachbarabteilung, der immer so ein vorlautes Mundwerk hat. Vielleicht weiß er etwas“, wiederholte sie unbeeindruckt.
„Was soll dieser Kerl schon wissen?“
Aha, Kerl, dachte sie und musste unwillkürlich grinsen. Im selben Moment begriff er jedoch die Unsinnigkeit dieser Frage und stimmte verdrießlich zu. „Ja, vielleicht haben Sie Recht. Tun Sie das!“
Carola griff zum Hörer und bestellte ihn kurzerhand ein. Tatsächlich klopfte es bald darauf und der Herbeigerufene trat nach entsprechender Aufforderung herein. Schnell wurde deutlich, wie sehr das dem Doktor missfiel und so gestaltete sich die folgende Szene auch überaus peinlich. Denn während Hövelmann wie ein begossener Pudel vor ihnen stand und immerfort zur Seite oder nach unten guckte, bloß um niemanden anzusehen, maß ihn Hendrik überaus wütend. Und in der Tat - was bot dieser Bursche nur für einen jämmerlichen Anblick! In seinen labberigen Jeans und dem braunen, an den Ellbogen bereits abgewetzten Cordhemd, glich er mehr einem Milieutrinker als einem Behördenangestellten. Nach Hendriks Meinung sollte man so etwas schlichtweg rauswerfen, da er dem Ansehen des Amtes nur schade. Was Mako an einem solchen Proleten finden könnte, blieb ihm schleierhaft. Kein Wunder, dass der Doktor die Nase rümpfte und kein Wort der Begrüßung fand. Erstaunlicherweise machte er aber auch keine Anstalten, die ihn so quälende Frage endlich zu stellen. Vielmehr schien er diesen Anblick sogar noch zu genießen.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte der Besucher schließlich, zweifellos um diese unmögliche Situation zu beenden. Und doch senkte er dabei beschämt die Augen, gleichsam darüber rätselnd, was man von ihm wollen könnte.
Hendrik starrte ihn noch immer wütend an, als wollte er sagen: ‚Halt nur dein Maul, du Lumpenhund! Ein falsches Wort und du kannst was erleben‘.
Carola hingegen zeigte sich erstaunlich gelassen, was den Besucher offenbar noch mehr irritierte. Gerade ihre Anwesenheit schien ihn zu verunsichern, denn er hatte sie bisher noch nicht ein einziges Mal angesehen. Nach einigem Zögern kam der Doktor endlich zur Sache und erkundigte sich kurz und trocken über die Möglichkeiten für das heutige Ausbleiben seiner Sekretärin. Immerhin bestünde ja die Möglichkeit, dass er davon Kenntnis haben könnte.
Der Angesprochene wirkte sichtlich überrascht. Aber die berechtigte Frage, wieso ausgerechnet er etwas dazu wissen sollte, kam ihm nicht von den Lippen. Stattdessen erkundigte er sich mit der gleichen Betroffenheit: „Ja, wie denn? Ist sie noch nicht da?“
„Hätte ich dann gefragt?“, polterte Hendrik sofort los, denn das Letzte, was er jetzt vertrug, waren irgendwelche Zynismen.
Verstört und ohne etwas zu erwidern, rang der Gast um Fassung.
„Dr. Willberg und ich meinen, Sie könnten dazu vielleicht etwas wissen, da Sie mit Frau Kosinski bekanntermaßen befreundet sind“, erklärte Carola noch einmal, ohne sich im Geringsten dabei etwas zu denken.
„Leider nein“, ereiferte sich der Angesprochene sofort, allerdings wiederum ohne sie anzusehen. „Aber ehrlich gesagt, bin ich jetzt auch etwas verwundert und zugegeben ebenso beunruhigt, dass ausgerechnet Sie mich das fragen.“
„Ach ja? Das ist interessant“, sprang Hendrik sofort ein.
„Was bitte ist daran interessant?“, wollte sein Widerpart wissen.
„Wie Sie das sagen. Es klingt, als wüssten Sie mehr. Vielleicht haben Sie uns etwas zu sagen?“, ergänzte der Doktor spitz.
„Wie kommen Sie darauf?“
„Intuition!“
„Was gehen mich Ihre Intuitionen an?“, polterte Hövelmann zurück. „Ich bin genauso betroffen wie Sie! Nur verstehe ich diesen Unterton nicht! Was wollen Sie damit sagen?“
„Ich will gar nichts sagen! Ich hatte Ihnen lediglich eine Frage gestellt! Und diese haben Sie bis jetzt noch nicht beantwortet!“
„Tut mir leid, aber das war keine Frage, sondern eine Unterstellung.“
„Was erwarten Sie denn? Soll ich Ihnen einen Blumenstrauß überreichen? Ich verstehe Ihre Aufregung nicht!“
„Wer regt sich denn auf? Sie sind es doch, der hier die Stimme hebt! Im Übrigen möchte ich Sie daran erinnern, dass ich zu arbeiten habe!“
„Nun spielen Sie mal hier nicht den Emsigen, Herr Hövelmann!“ Hendrik war dabei, sich zu vergessen. „Wenn Sie dazu nichts sagen können, kann man das auch auf andere Weise tun! Aber offenbar hat man Ihnen das nicht beigebracht. Ich danke für Ihre Auskunft!“
„Keine Ursache“, erwiderte Hövelmann, kam darüber aber nicht zur Ruhe. Zu sehr wühlte ihn das Gespräch auf. Noch mehr aber beunruhigte ihn, dass er ebenfalls keine Erklärung für Makos Ausbleiben fand. Gestern jedenfalls deutete nichts auf eine mögliche Krankschreibung hin. Im Gegenteil, gerade jetzt, wo es ihrer Meinung nach in die ‚entscheidende Phase‘ ging, wollte und durfte sie nichts verpassen. Er kannte sie. Dafür war sie viel zu engagiert. Schon deshalb hätte sie jetzt anwesend sein müssen. Und wenn sie es nicht war, musste etwas passiert sein! Bei diesem Gedanken wurde er blass.
„Was werden Sie jetzt tun?“ wollte Lucas wissen, als er bereits an der Tür stand und sich noch einmal umwandte. „Ich meine nur, falls ich Ihnen helfen kann, stehe ich Ihnen natürlich zur Verfügung.“
„Nein danke, nicht nötig“, wehrte Hendrik ab und wies ihn hinaus.
Diese Abfuhr befriedigte ihn nicht, denn ihm lag noch einiges auf der Zunge, vor allem das unbestimmte Gefühl, dass Carola etwas wusste. Längst war ihm klar, dass nur sie ihn niedergeschlagen haben konnte. Sie hatte ihm aufgelauert, weil sie ihn dort erwartete. Bei dieser Vorstellung beschlich ihn ein sehr ungutes Gefühl. Wieso hatte sie gewusst, wo er herkam? Und plötzlich dachte er nicht mehr daran, sich zurückzunehmen. Er wollte endlich Klarheit, selbst auf die Gefahr eines Eklats. „Ich möchte Ihnen nur sagen, dass es mir leid tut, Frau Ritter, aber das war wirklich nicht nötig“, warf er ihr ungewöhnlich deutlich entgegen, indem er sich provokant den Hinterkopf rieb und auf eine verräterische Reaktion hoffte.
Und tatsächlich schien es zunächst so. Sie wirkte für einen Augenblick verlegen. Doch es war nur ein Reflex auf seine laute Aussprache, was auch beim Doktor zu beobachten war. Vielmehr sah sie ihn nur verwundert an, wie man es tut, wenn man nichts versteht und nichts begreift. Das war nicht zu fassen! Nein, das war ungeheuerlich! Oder hatte er am Ende alles nur geträumt? Zutiefst verwirrt verließ er das Zimmer.
Kaum war er fort, ging Hendrik erneut zum Fenster und starrte auf den Parkplatz hinab. Doch noch immer war nichts von ihr zu sehen. Ebenso schwieg sein Handy, und das nach nunmehr zahllosen Anrufen. Schon bereute er, diesen Kerl gefragt zu haben, der ihm jetzt noch unverschämter vorkam. Noch mehr aber bereute er diesen ganzen Zeitverlust. Da hielt er es nicht länger aus und drängte auf einen Hausbesuch. Erstaunlicherweise bat er sie dafür um Begleitung, als Zeugin, wie er es nannte. Warum, war nicht ganz klar. Dennoch kam sie seiner Forderung nach.
Kurz darauf saßen sie beide in seinem Wagen und brausten los. Wie war er doch aufgeregt, redete die ganze Zeit wie aufgezogen von allerlei unwesentlichen Dingen, nur um sich abzulenken, nahm die Kurven scharf und überfuhr schon mal eine Ampel. Diese Stadt war aber auch ein Moloch und der Verkehr quälend.
Was hupte dieser Drängler hinter ihnen? Sah er denn nicht, dass es nicht schneller ging? Der nachfolgend aufgereckte Finger war nur ein weiteres Indiz seiner Nervosität. Wieso war da eine Baustelle? Die war doch gestern noch nicht da? Hatte der Senat wieder mal zu viel Geld oder wollte man nur den Verkehr beruhigen? Doch er vergaß - diese Stadt war arm, aber sexy2 und um das zu bleiben, musste man seine Armut überdecken. Es folgte ein längerer Umweg, welchen nur Frauen oder Sonntagsfahrer benutzten. „Diese Affen!“, schimpfte er und hämmerte wütend aufs Lenkrad, weil er eine Kreuzung nicht schnell genug überqueren konnte. Dann endlich - nach geschlagenen fünfzig Minuten – waren sie am Ziel. Mit quietschenden Reifen bog er in die Straße ein, holperte über die Bordkante und parkte gleich schräg gegenüber auf dem Bürgersteig.
Kaum angehalten, stieß er die Tür auf und stürmte zum gegenüberliegenden Wohnhaus, einem fünfgeschossigen überaus hässlichen Plattenbau mit Hochparterre und elektrischem Türverschluss. Carola hatte Mühe zu folgen, denn er war in solcher Rage, dass er alles um sich vergaß. Zu ihrer Verwunderung war Hendrik im Besitz eines Schlüssels, so dass sie sofort in den Hausflur gelangten. Vor der Wohnungstür, gleich Parterre rechts, blieb er plötzlich stehen, legte den Finger auf die Lippen und gebot ihr mit angstvollem Gesicht, still zu sein. Dann lauschte er. Da sich drinnen jedoch nichts tat, klopfte er nach einem offenbar bekannten Zeichen. ‚Mieses Schwein‘ dachte Carola in diesem Moment. Als aber daraufhin wiederum nichts passierte und er mit dem mitgeführten Schlüssel auch noch die Wohnungstür öffnete, war alles klar. Seine Vertrautheiten reichten also sogar bis in ihre Wohnung. Schämte er sich nicht, das so offen zu bezeigen? Ihre Verachtung für ihn wurde immer größer.
Doch für längere Erklärungen blieb jetzt keine Zeit, denn schon hatte er die Tür aufgedrückt und rief ihren Namen in den dunklen Flur. Da es aber nach wie vor still blieb, wagte er sich langsam voran, immerzu den ängstlichen Blick in alle Winkel gerichtet, welche er - so wollte es Carola scheinen – ebenfalls bestens kannte. „Maren!“ rief er immer wieder und vernahm jetzt das Wimmern eines Kindes aus dem hinteren Zimmer. Sogleich hastete er hin und fand ihren kleinen Sohn in seinem Bettchen vor. Offenbar war er lange nicht gewindelt worden, denn er war ganz durchnässt und roch schon etwas streng.
Mit dem schreienden Kind auf dem Arm eilte er sich ins Wohnzimmer – einem spärlich möblierten Raum mit einer gegenüber befindlichen Tür zu einem kleinen Balkon. Überall herrschte Unordnung. Der Tisch war umgeworfen und die Sesselkissen lagen durcheinander. Offenbar hatte es eine Auseinandersetzung gegeben, denn auf dem Boden lagen neben einem zerrissenen Tuch mehrere umgestoßene Flaschen, deren Inhalt über Teppich und Diele gelaufen war und jetzt unter den Schuhsohlen klebte. Ein süßlicher Dunst von Alkohol und Erbrochenem lag in der Luft und versetzte Hendrik in Panik.
„Maren!“, rief er mit sich überschlagender Stimme. Dann aber blieb er plötzlich wie vom Blitz gerührt stehen und starrte zum linken Couchende. Dort ragten zwischen Fensterseite und Stehlampe zwei bleiche Beine hervor. Augenblicklich übergab er Carola das Kind und riss wie von Sinnen die Couch zurück. Hier entdeckte er den leblosen Körper der Gesuchten. Sie war lediglich mit einem schwarzen Slip und einem im Brustbereich zerrissenen Negligé bekleidet, lag auf dem Rücken, hatte Arme und Beine ausgestreckt. Der Kopf war etwas zur Seite geneigt. Um ihren Hals befand sich ein Seidengürtel, offenbar Bestandteil ihres Oberteils, der zweifellos als Strangulationsmittel verwendet wurde. Ihre Augen waren halb geöffnet und ihre Zunge aus dem Mund gequollen.
Mehrere Speichelfäden zogen sich über ihr Kinn zum Boden und ließen keinen Zweifel an einem gewaltsamen Tod. Bei diesem Anblick entfuhr Hendrik unwillkürlich ein Schrei und er wankte völlig apathisch zurück. Die Hand auf die Stirn gelegt, als könne er nicht begreifen, stieß er rücklings gegen den Sessel und warf dabei noch ein kleines Schränkchen um.
Carola, ebenfalls völlig fassungslos, wusste im ersten Moment gar nicht, was sie tun sollte. Völlig verstört betrachtete sie dieses grausige Bild, von dem das vorangegangene Drama zu erahnen war. Zweifellos war es zu einem Kampf gekommen, nachdem das Opfer eine bekannte Person eingelassen hatte. Denn weder Türen noch Fenster wiesen Beschädigungen auf, was auf ein gewaltsames Eindringen hätten hindeuten können. Weiterhin schien keine Bereicherungsabsicht vorzuliegen, denn sämtliche Schränke und Fächer waren - soweit erkennbar – geschlossen.
„Ist es denn möglich?“, hörte sie den Doktor jammern, der jetzt völlig zusammenbrach und sich immer wieder die Haare raufte, als könne er das alles nicht begreifen.
Dann aber nahm Carola ihr Handy und rief über den Notruf die Polizei. Kurz darauf erschien eine Streife und begann, den Sachverhalt aufzunehmen. Alles ging dabei so schnell, dass Carola später den genauen Ablauf gar nicht mehr rekapitulieren konnte. Erst jetzt begann sie, das ganze Ausmaß der Katastrophe zu realisieren. Mako war nicht nur tot, sie war zweifellos Opfer eines Gewaltverbrechens geworden und der Mörder lief noch frei herum. Das war schon sehr beklemmend.
Die bald darauf eintreffenden Beamten in Zivil trennten die beiden wichtigen Zeugen und unterzogen sie vor Ort einer Erstbefragung. In allen Einzelheiten erkundigten sie sich nach den genauen Umständen des Auffindens der Leiche sowie der Vorgeschichte und hier insbesondere zum Grund ihres heutigen Erscheinens.
Während ein Uniformierter ihr ständig irgendwelche Anweisungen gab, wohin sie sich zu bewegen und zu setzen habe, zeigte sich der hinzugekommene Beamte in Zivil überaus freundlich und erkundigte sich nach allen möglichen Kleinigkeiten. Diese konnte sie in ihrem Durcheinander gar nicht alle benennen, wunderte sich aber über die ihrer Meinung nach zuweilen erschreckende Sinnlosigkeit. So verstand sie einfach nicht, weshalb es wichtig sein sollte, wer von ihnen beiden als erster die Wohnung betrat und mit welcher Hand welche Tür geöffnet wurde oder wo wer genau wie lange nach dem Eintritt ins Wohnzimmer gestanden und was getan hatte.
Die Erforschung des Modus operandi4 verlange das, erklärte ihr der Beamte in Zivil, wohlwissend, dass ein Außenstehender damit nichts anfangen konnte. Nachdem man sie auch noch fotografiert hatte, verbrachte man die Zeugin zum Zwecke einer weiteren Vernehmung ins Polizeipräsidium. Hier wurden ihr noch einmal die gleichen Fragen von einem anderen Zivilbeamten gestellt, nur intensiver, ja geradezu quälend pedantisch. Jede Kleinigkeit schien dabei relevant und manchmal hatte sie sogar den Eindruck, als suche man nur nach irgendwelchen Widersprüchen, um sie damit zu verunsichern. Alles schien dabei von Interesse, selbst das normalerweise Uninteressante.
Warum sie der Vernehmer dabei immer so komisch angrinste, erschloss sich ihr nicht, denn die Antworten auf die gestellten Fragen waren ihrer Meinung nach durchweg logisch und keineswegs witzig. Nichts kam spontan und unüberlegt. Im Gegenteil, manchmal ließ sie sich mit einer Antwort sogar ein wenig Zeit, um konzentrierter zu wirken. Aber sicher war dieses Grinsen nur Taktik, um über eine möglichst große Verunsicherung die Glaubhaftigkeit einer Aussage zu testen. Sie hatte dazu mal etwas in einem Beitrag über forensische Psychologie gelesen und war erstaunt, was man an einzelnen Reaktionen alles herauslesen kann. Schon deshalb war eine zeitweise Verunsicherung ihrerseits nur natürlich.
Bei jenem Vernehmer handelte es sich übrigens um einen Herrn Radke. So stellte er sich jedenfalls vor, Hauptkommissar Bernhard Radke von der fünften Mordkommission, in der letzten Dienstdekade stehend und somit keine Ambitionen mehr auf irgendein Weiterkommen, wie er scherzhaft hinzufügte. „Schicht im Schacht“, nannte er das und lachte dazu wie ein Witzbold, der sich selbst bedauert. Zweifellos sollte das etwas auflockern, obgleich er sie dabei prüfend ansah. Das fiel ihr sofort auf.
Er war ein schon etwas reiferer, pedantisch wirkender Mann von etwa Mitte Fünfzig, mit einem grauen, sorgsam gestutzten Schnurrbärtchen, dunklen, buschigen Augenbrauen und in seinen abgewetzten Jeans und dem schlabberigen Pulli für einen Ermittler recht ungewöhnlich gekleidet. Seine hellen, überaus wachen Augen schienen sie fortwährend zu taxieren und wechselten ständig ihren Ausdruck. Mal schauten sie vorwurfsvoll, dann wieder so unglaublich verständnisvoll und gutmütig drein, dass man sich seiner wahren Gedanken niemals sicher sein konnte.
Dass dies Absicht war, schien offensichtlich, ebenso wie sein ganzes Gehabe nichts weiter als eine einzige Show darstellte mit dem Ziel, sie zu verunsichern. Kein Wunder, dass ihr ganz flau im Magen wurde und sie vor Verlegenheit ständig ihre Haltung korrigierte. Aber jemandem gegenüber zu sitzen, der zweifellos schon Mörder überführt hatte und dabei seine ganze Erfahrung bezeigte, war schon sehr bedrückend. Nur, was sollte dieses fortwährende Grinsen? War das wirklich nur Taktik, weil ihm jeder sofort verdächtig erschien? Auch wenn das in ihrem Fall natürlich lächerlich war, empfand sie es doch als überaus unangenehm. Aber gerade weil er sie mit einem offenkundigen Verbrechen konfrontierte, empfand sie sein ganzes Verhalten völlig unpassend. Was sollte diese überzogene Freundlichkeit und diese ständigen Witzeleien? Besaß er so wenig Pietät vor dem Opfer? Vor allem aber, warum konnte er nicht offen sagen, was er wollte? Was sollten diese Verklausulierungen und Fangfragen?
Natürlich war sie Dr. Willbergs langjährige Assistentin und es war auch seine Idee, Frau Kosinski an jenem Morgen aufzusuchen. Aber das hatte sie doch schon gesagt, weshalb also noch einmal wiederholen? Warum Dr. Willberg ausgerechnet auf ihrer Begleitung bestand, müsse man ihn schon selber fragen. „Aber eine Verweigerung dieser Bitte wäre doch in einer solchen Situation mehr als unhöflich gewesen. Oder finden Sie nicht?“
„Oh, das missverstehen Sie jetzt“, erwiderte der Beamte lächelnd wie jemand, der zu viel zu verraten fürchtete. „Mich interessiert nur, warum gerade Sie und niemand anderes ihn begleiten sollte!“
So ein Unsinn. Und wieder begann sie sich zu ereifern. Woher sollte sie das wissen? Und wieso er im Besitz eines passenden Schlüssels war, entzog sich ebenfalls ihrer Kenntnis. Was hieß hier ungewöhnlich? Ungewöhnlich wäre doch vielmehr das Gegenteil, oder? Immerhin habe Dr. Willberg als vorgesetzter Leiter so etwas wie eine Fürsorgepflicht und diese könne nun mal auch bis in die Privatsphäre reichen.
„Hören Sie, Herr Radke“, beendete Carola sichtlich genervt ihre Ausführungen. „Ich habe Ihnen schon wiederholt gesagt, ich bin so etwas wie seine berufliche Vertrauensperson, mehr nicht. Da können Sie mir noch hundertmal die gleiche Frage stellen, ich werde Ihnen hundertmal die gleiche Antwort geben!“
„Aber aber! Ich verstehe Ihre Erregung nicht, Frau Ritter. Ich bitte Sie nur, sich auf das zu konzentrieren, was für mich wichtig ist und nicht, was Sie für wichtig halten. Das ist ein kleiner Unterschied. Sonst könnten Sie sich ja gleich die Fragen selber stellen, nicht wahr?“
„Nun gut. Dann anders herum. Was wollen Sie jetzt von mir hören?“, erwiderte die Vernommene im gleichen Zynismus, den er ihr gegenüber die ganze Zeit praktizierte und schaute ihn mit der gleichen übertriebenen Aufmerksamkeit an, wie er sie die ganze Zeit.
„Fangen Sie doch einfach mal damit an, was Sie noch nicht gesagt haben!“, verblüffte sie ihr Vernehmer erneut, jetzt jedoch ohne Grinsen.
„Und was soll das sein?“
„Zum Beispiel, was Sie am meisten verwundert hat, nachdem Sie die Wohnung betraten“, schlug er vor und schenkte ihr einen Kaffee ein.
„Mich verwundert, dass Sie meine Ratlosigkeit verwundert“, hielt sie ihm trotzig entgegen. „Dabei kann ich doch gar nicht anders reagieren, wenn Sie mich so in die Ecke drängen.“
„Tue ich das?“
„Sehen Sie, Sie merken das nicht einmal und das ist das Problem!“, erwiderte sie unerwartet deutlich, da sich ihr zunehmend der Eindruck aufdrängte, er wollte unbedingt etwas ganz Bestimmtes von ihr hören. Aber glaubte er denn allen ernstes, ausgerechnet sie als Dr. Willbergs Assistentin würde hier irgendwelche Gerüchte wiedergeben, um sich damit reinzuwaschen? Carola war entsetzt über solch mangelnde Professionalität und sagte ihm das auch, woraufhin er jedoch nur noch unverschämter grinste.
Wieso musste sie sich so etwas bieten lassen? Und das war nicht mal alles! Was hatte diesen Kerl ihr Gesundheitszustand zu interessieren? Und ob das Verhältnis zu ihrem Chef über das gewöhnliche Maß hinausging? Das war ja wohl der Gipfel! „Ich verbitte mir solche Anspielungen und überhaupt - was hat das zu bedeuten? Wie können Sie sich erdreisten, mir eine solche Frage zu stellen! Stehe ich etwa schon unter Verdacht?“
„Aber Verehrteste, Sie sind eine wichtige Zeugin und können alle Fragen zur Zufriedenheit beantworten. Somit tragen Sie ganz wesentlich zur Wahrheitsfindung bei“, begann er, sie erneut zu beruhigen. „Natürlich verstehe ich Ihre Aufregung. Es ist immer unangenehm, sich solchen Fragen zu stellen, das gebe ich zu und es ist für jemanden wie mich auch nicht angenehm, sie zu äußern. Nur sollten Sie auch verstehen, dass in einem solchen Fall einfach alles wichtig ist, selbst das, was Ihnen nicht wichtig erscheint. Es ist eine Frage des Blickwinkels, verstehen Sie? Und der Ihre ist nun mal ein anderer als meiner. Noch einen Kaffee?“
Carola lehnte ab. Diese Tortur - etwas anderes war es nicht - dauerte noch bis weit in den Mittag hinein, wobei noch einmal alles akribisch notiert und phonetisch aufgezeichnet wurde. Erst spät kam sie nach Hause, jedoch mit einem sehr komischen Gefühl. Seltsam war das. Auch wenn sie nichts zu verbergen hatte, war ihr dieser Vernehmer suspekt. Allein die Art, mit ihr zu reden und dabei Dinge anzudeuten, die gar nicht so gesagt wurden und dann noch so zu drehen, als hätte sie es doch getan, brachte sie völlig durcheinander. Was ging ihr jetzt nicht alles durch den Kopf! Sie hatte Hendrik seit dem Morgen nicht mehr gesehen und es stand zu befürchten, dass er sich noch immer in der Vernehmung befand.
Würde er das Gleiche sagen? Wenn aber nicht - was wäre daraus zu schließen? Musste sie sich fürchten? Nicht mal das vermochte sie zu beantworten, ihre Konfusion war einfach zu groß.
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