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Kitabı oku: «Auf zwei Planeten», sayfa 40
50 - Die Luft-Yacht
Die Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldeten ein prachtvolles Luftschiff, das aus den äußersten Höhen des Luftmeers von Norden her herabschießend jetzt seine Geschwindigkeit mäßigte und seine glänzenden Schwingen ausbreitend langsam und majestätisch, in geringer Höhe über den Wogen, der nördlichen Küste von Rügen entgegenschwebte.
Die Fischer in ihren Booten und die Badegäste, die am Strand lustwandelten, verfolgten das Schiff mit erstaunten Blicken. An den Anblick von Luftschiffen waren sie gewöhnt, denn der direkte Weg vom Nordpol nach Berlin führte hier vorüber, wenn auch freilich diese Schiffe in viel größeren Höhen zu ziehen pflegten. Aber ein derartiges Fahrzeug hatten sie noch nicht gesehen. Es war keines der furchtbaren Kriegsschiffe, deren farblose Einfachheit nur die drohenden Öffnungen der Repulsitgeschütze unterbrach, es war auch keines der langen und breiten Postschiffe, die den Personenverkehr vermittelten. Für eines der Boote, die den höheren Beamten der Nume zur Verfügung standen, war es zu groß und prächtig. Es war in der Tat ein Schiff, wie es bisher auf der Erde nicht verkehrt hatte, eine Privatyacht, von einem reichen Numen zu Vergnügungsreisen erbaut. Seine glatte Oberfläche schimmerte rot und golden, auf beiden Seiten wie auf den jetzt ausgebreiteten Flügeln glänzte weithin sichtbar der Name des Schiffes, als wäre er von riesigen Edelsteinen gebildet, ein nach rechts offener Halbkreis. Wer martisch zu lesen verstand, erkannte darin den Namen ›La‹.
In der Mitte des Schiffes, auf dessen unterer Seite, befand sich ein kleiner Salon, ausgestattet in einer ebenso kostbaren als einfach wirkenden Eleganz und mit jeder Bequemlichkeit, die martische Kunst zu erdenken vermochte. Eine hier zum erstenmal angewandte Konstruktion ließ nach beiden Seiten erkerartige Ansätze so hervortreten, daß sie, ohne die Bewegung des Schiffes zu verhindern, eine freie Aussicht nach den Seiten und nach unten gestatteten. Auf einem freihängenden Polster, wie auf einer Schaukel halb liegend, ruhte hier eine graziöse weibliche Gestalt in bequemem Morgenanzug, den der mit glänzenden Deli-Kristallen bedeckte Lisschleier umhüllte. Es war Se. Sie beugte den schlanken Hals herab, um das Meer zu betrachten. Sobald sie den Kopf bewegte, spielten die braunen Locken in den lichten Farben des Regenbogens. Von Zeit zu Zeit betrachtete sie Einzelheiten durch ein Glas, dann ließ sie wieder den Blick rückwärts über die schaumgekrönten Wogen in die uferlose Ferne schweifen. Sie konnte sich an diesem Schauspiel nicht sattsehen. Daß es so viel Wasser gab, Wasser und immer Wasser auf dieser Erde, wie wunderbar kam es ihr vor, die bis jetzt nur das eisschollenbedeckte und beschränkte Meer am Nordpol erblickt hatte.
Eine leise Berührung ihrer Schulter ließ sie aufblicken. Die Herrin dieses fliegenden Wunderbaus stand vor ihr.
»Da bist du ja, La«, rief sie, sich aufrichtend, der ihr zunickenden Freundin entgegen. »Hast du endlich ausgeschlafen?«
»Ich bin auch nicht so früh eingeschlafen wie du. Ich glaube, du träumtest schon, als wir gestern vom Pol abreisten.«
»Ich war furchtbar müde. Ich hatte ja den ganzen Tag gearbeitet, um mich noch rechtzeitig für dich freizumachen. Ach, La, das war doch einer deiner gescheitesten Gedanken, mich zu dieser Reise einzuladen. Aber diese Eile! In der Nacht kommst du mit dem ›Glo‹ an, ganz unerwartet. Früh läßt mich dein Vater nach dem Ring holen, und abends muß ich schon mit dir fort nach Deutschland. Ich habe noch gar keine Zeit gehabt, dich irgend etwas zu fragen.«
»Weil du gestern gleich eingeschlafen bist.«
»Ich bin ganz starr über diesen fabelhaften Luxus, das heißt für ein Luftschiff. Sonst ist es ja gerade so wie zu Hause, aber das auf einem Schiff zu haben, das ist eben das Überraschende. Wie bist du nur dazu gekommen?«
»Das hat mir alles der Vater geschenkt.«
»Und das konnte er?«
La nickte.
»Aber du siehst gar nicht so vergnügt aus, wie es sich für eine solche Prinzessin schickt. Komm, setz dich her und gestehe! Was ist eigentlich mit euch vorgegangen? Ich versuchte vorhin in dein Zimmer zu kommen, aber ich glaube gar, du hast es mit einer akustischen Tür geschlossen, die nur auf das Stichwort aufgeht.«
La lehnte sich auf die schwebenden Polster und blickte zur Erde hinab. Dann sagte sie:
»Du siehst, wir sind reiche Leute geworden. Der Vater hat eine wichtige Erfindung gemacht, eine Verbesserung am Fortbewegungsmechanismus der Raumschiffe.«
»Das weiß ich natürlich, den Fru’schen Gleitrepulsor, der das Repulsit noch einmal so stark ausnutzen läßt. Das erspart dem Staat Hunderte von Millionen im Jahr.«
»Nun ja, und einige davon haben wir als Ehrengabe bekommen. Dafür hat mir der Vater dies schöne Schiff geschenkt und ein Reisejahr für die Erde. Ich freue mich sehr darüber.«
»Wenn du es nicht sagtest, würde man es kaum glauben. Was hast du also noch für Sorgen?«
»Weißt du, Se, schreiben oder in die Ferne sprechen kann man solche Sachen nicht. Drum hab ich dich vor allen Dingen abgeholt, denn das mußt du doch erfahren, daß wir mit Oß nicht mehr verkehren.«
»Aber Oß ist doch an der Erfindung deines Vaters beteiligt, er war ja sein Assistent bei den Versuchen?«
»Ja, leider. Er hat auch vom Staat seine Million bekommen, und das ist eben das Unglück, das ist ihm in den Kopf gestiegen.«
»Wieso? Ein bißchen exzentrisch freilich war er ja immer. Weißt du noch? Damals am Pol, als Ill die Versammlung abhielt und Grunthe und Saltner fortgegangen waren, da beantragte er doch, den Menschen die persönliche Freiheit abzusprechen. Aber was hat er denn getan?«
»Es war damals nach dem Friedensschluß mit der Erde, als der Vater die Versuche machte, und Oß war deshalb viel bei uns, wir hielten uns auf der Außenstation am Nordpol des Mars auf. Und da wollte er mich binden.«
»Im Spiel? Ja? Nun, das ist doch noch kein Größenwahnsinn. Wer war denn dabei?«
»Ich wollte aber nicht.«
»Und das hat er übelgenommen, das kannst du ihm nicht verdenken. Warum wolltest du nicht?«
»Ich – ich war nicht in der Stimmung. Aber er hat das falsch verstanden. Ich machte mir eben gar nichts aus ihm, und er bildete sich ein, mir wäre das Spiel zu wenig. Er kam mit einem Antrag
»Im Ernst?«
La bewegte den Kopf bejahend. Ihre Augen blickten in die Ferne hinaus, aber sie sah nichts von der anmutigen Landschaft, den buchengekrönten Kreidefelsen zu ihren Füßen.
»Und du hast ihn abgewiesen? La! Das ist freilich schlimm. Das geht doch nicht. Du mußtest das Spiel annehmen und dann so unausstehlich sein, daß er von selber –. Aber La, du Liebling, ich glaube gar, du weinst?«
Sie zog sie an sich und streichelte ihr die Wangen.
»Warum regt dich das so auf, macht dich so traurig? Du bereust? Du liebst ihn? Darf ich es wissen?«
»Wirklich nicht«, sagte La mit so ruhiger Stimme, daß Se an ihrem Wort nicht zweifeln konnte. »Ich konnte nicht anders, ich mochte nichts von ihm wissen.«
»Ach so!« Se faßte ihre Hand und drückte sie leise. »Also ein anderer.«
Und bei sich dachte sie: »Also Ell!« Aber das sagte sie nicht. Vor solchen Gewissensfragen blieb auch die Freundschaft stehen.
La erhob sich heftig. »Lassen wir das nun«, sagte sie. »Es ist nichts daran zu ändern. Ich hätte auch jeden andern abgewiesen – das zu deiner Beruhigung. Ich wollte dir das nur mitteilen, damit du dich nicht wunderst, wenn ich von Oß nichts mehr hören mag.«
»Und wo ist er denn jetzt?«
»Ich weiß es nicht, ich habe mich nicht darum gekümmert. Der Nu ist groß. Er ist aus unserer Umgebung verschwunden.«
»Und deine Reise nach der Erde, nach Berlin? Hängt die damit zusammen?« fragte Se etwas neugierig.
»Indirekt ja. Ich habe mich über die ganze Sache geärgert. Ich war, ich weiß nicht warum, in diesem Jahr recht wenig zufrieden mit mir. Die Ärzte schickten mich hier- und dahin, aber ich war gar nicht krank, ich war nur – ich weiß nicht. Da kam der Vater auf die Idee, mich nach der Erde kommen zu lassen. Er mußte wieder hierher zu den Erweiterungsbauten an der Außenstation. Und da schenkte er mir vorher das schöne Schiff. Ich wollte die Mutter gern mitnehmen, aber es wäre für sie zu anstrengend gewesen. Da dachte ich an dich. Und nun hab ich dich ja.«
Sie küßte Se auf den Mund und sprach weiter: »Sei mir gut und tu mir den einen Gefallen, wundere dich nicht über mich, ich weiß, was ich tue, auch wenn es dir seltsam vorkommt. Ich will nämlich einmal versuchen, wie es sich auf der Erde lebt, ob man überhaupt hier leben kann.«
Se lächelte still für sich.
»In einem solchen Luftschiff läßt es sich schon leben«, sagte sie. »Und im Palast des Kultors wird es sich wohl auch leben lassen. Dort wirst du sicherlich diese La, ich meine die fliegende, in der wir sitzen, unterbringen.«
»Nein, das werde ich nicht, ich will dir’s gleich verraten. Ich habe nur dem Vater nicht widersprochen, als er es vorschlug. Aber ich habe ganz andre Dinge vor. Ich will mir einmal die Bate in ihrer Heimat ansehen, nicht als Nume, sondern wie ein Mensch möchte ich unter Menschen verkehren. Wir wollen nicht in dem Schiff wohnen, sondern in einem Hotel wie gewöhnliche Menschen.«
Se sah die Freundin erstaunt an.
»Was für Ideen du da ausheckst«, sagte sie. »Zur Abwechslung wäre es vielleicht nicht übel, und ich wäre ganz gern dabei – wenn es nur ginge. Aber die Schwere, La, die Schwere! Wenn wir als Menschen auftreten wollen, können wir doch nicht mit den Helmen über dem Kopf herumlaufen.«
»Könnten wir uns nicht ein bißchen an die Erdschwere gewöhnen? Ein bißchen nur?« fragte La, indem sie Se schelmisch ansah.
»Nein«, rief Se abwehrend, »dazu bekommst du mich nicht! Es ist ja gar nicht dein Ernst!«
»Höre einmal«, sagte La, indem sie sich neben Se setzte und den Arm um sie schlang. »Ich habe mir etwas ausgedacht und mir in Kla in aller Stille anfertigen lassen. Darauf bin ich gekommen, wie ich in einem Blatt die neuesten Moden auf der Erde gesehen habe. Sieh einmal her.«
Sie holte vom Bücherbrett ein Journal der Erde und schlug es auf.
»Siehst du«, sagte sie, »man trägt jetzt diese merkwürdigen Hüte mit breiten Krempen, die bis über die Schultern hinausragen, und an beiden Seiten fallen Bänder herab. Ich vermute, daß unsre diabarischen Glockenhelme das Muster dazu geliefert haben, unschön genug sind sie dazu. Da dachte ich mir, so ein Hut müßte sich diabarisch herstellen lassen, und ich ließ einige Modelle aus Stellit anfertigen. Ich werde sie dir dann zeigen. Sie sehen aus wie diese Hüte. Die Verbindung geht durch diese Bänder, die allerdings an der Schulter befestigt werden müssen. Von dort geht sie an den Seiten unter den Kleidern fort bis an die Stiefel, die man aber unter den langen menschlichen Frauenkleidern nicht sieht. Dieser Anzug schützt zwar nicht so gut wie der übliche Erdanzug mit Helm, aber in der Hauptsache genügt er völlig. Nur die Oberkleider und die Arme bleiben ohne Schutz, indessen das kann man schon aushalten, es ist nicht so schwer; wir brauchen ja die Arme nicht zu bewegen, sondern können sie meist am Gürtel oder an einem Seitentäschchen aufstützen. Außerdem habe ich auch diabarische Schirme gegen Sonne und Regen, die wir durch eine Stellitkette mit dem Anzug verbinden können. Auf der Straße können wir also überall ohne Beschwerde gehen, nur dürfen wir die Hüte nicht abnehmen. Aber bei den menschlichen Damen ist es ja Sitte, bei vielen Gelegenheiten auch im Zimmer die Hüte aufzubehalten.«
»Das ist fein. Man wird zwar gräßlich aussehen, doch wir sind ja auf der Erde, da nimmt man es nicht so genau. Aber ich bitte dich, wir können doch nicht zu Hause immer in Hüten sitzen und damit zu Bett gehen.«
»Nein, das ist nicht zu verlangen. Trotzdem, im Schiff möchte ich nicht wohnen, es braucht vorläufig niemand zu wissen, daß wir da sind. Aber es gibt ja in Berlin Hotels für Nume, mit Zimmern, die abarisch gemacht werden können. Dort mieten wir uns ein, daß wir uns zu Hause erholen können. Das Schiff geht sofort weiter, daß die Leute meinen, wir sind mit irgendeinem Mietschiff angekommen. Die Schiffer nehmen mit dem Schiff in einem der Vororte Quartier, so daß wir sie jederzeit herbeirufen können.«
»Das hast du alles sehr hübsch ausgedacht. Aber wie kommen wir denn zu der nötigen menschlichen Toilette?«
»Das ist das wenigste! Es gibt doch in Berlin große Magazine, wo man alles haben kann, was Menschen brauchen. Sobald wir im Hotel angekommen sind, lassen wir uns von dort jemand kommen, und ich bin überzeugt, in einer Stunde sind wir aufs Eleganteste ausstaffiert.«
»Du bist gelungen! Was hast du für Ansichten von meinem Geldbeutel!«
»Sei doch nicht töricht, Liebling. Du bist mein Gast, und ich habe für dich zu sorgen. Das ist ganz selbstverständlich.«
»Nun, meinetwegen. Ich will dir deine Freude nicht verderben.«
»Ich danke dir, gute Se. Und nun komm, ich will dir die Hüte zeigen. Wir wollen sie einmal probieren. Auf dem Verdeck ist Erdschwere, und wir sind dennoch gegen den Luftzug geschützt.«
Die Probe wurde unter Lachen und Necken gemacht. Es ging alles nach Wunsch, und Se erklärte, daß sie es wohl wagen würde, so spazieren zu gehen. Aber Gesicht und Haar müßten unter einem Schleier verborgen werden, und wenn sie so ein bißchen gebückt einherhumpelten, werde man sie ja wohl für zwei alte Erdmütterchen halten.
»Aber wenn wir Ell besuchen«, sagte sie fragend zu La, »da wirst du doch nicht in diesem Aufzug hingehen?«
Sie waren wieder in den Salon getreten, und La war gerade damit beschäftigt, ihren Hut abzulegen. Währenddessen antwortete sie unbefangen: »Ell zu besuchen ist gar nicht meine Absicht. Wenigstens nicht eher, als es die Höflichkeit unbedingt erfordert. Weißt du, wen wir zuerst aufsuchen werden?«
»Nun dann vielleicht Grunthe?«
La lachte. »Das ist wahr«, sagte sie, »den müßten wir eigentlich auch einmal heimsuchen. Aber im Ernst, ich will zuerst zu Isma. Wir haben uns einigemal geschrieben.«
»Mir ist alles recht«, antwortete Se. Und nach einer Pause begann sie ein wenig zögernd, indem sie La nur verstohlen betrachtete: »Hast du denn eigentlich wieder einmal etwas von Saltner gehört? Er ist doch so ohne Abschied vom Mars verschwunden.«
La ergriff das neben ihr liegende Fernglas und richtete es auf die Landschaft. Dabei sagte sie mit möglichst gleichgültiger Stimme:
»Nur indirekt, hin und wieder. Er lebt, soviel ich weiß, bei seiner Mutter da irgendwo in den Bergen. Übrigens hat er sich bei mir verabschiedet, aber, du weißt ja, er hat sich damals auch mit Ell überworfen wegen der Briefe –«
Se sah, wie Las Hand, die das Glas hielt, leise zitterte. Es war unmöglich, daß sie etwas durch das Glas zu erkennen vermochte.
»Ach ja«, sagte Se, »ich weiß.«
Beide schwiegen. La sah wieder angelegentlich nach der Landschaft. Se blickte zu ihr hinüber. Sie konnte aus der Freundin nicht klug werden. Endlich sagte sie: »Übrigens, wenn wir ihn wiedersehen sollten, die Bindung ist aufgehoben. Ich will nicht mehr.«
La antwortete nicht. Es war ganz still, man hörte das leise Zischen der treibenden Maschine.
Plötzlich unterbrach der laute Pfiff einer Lokomotive die Stille. Hundegebell wurde vernehmbar.
»Oh«, rief Se, »das ist Lärm, das ist die Erde!«
»Ich glaube, wir müssen schon weit über dem Binnenland sein. Ich sagte dem Schiffer, er solle von Sonnenaufgang an ganz tief und langsam fahren. Aber wir wollen nun etwas schneller vorwärts, die Landschaft da unten ist recht eintönig.«
La rief den Schiffer. »Können wir in einer Stunde am Ziel sein?«
»In einer Viertelstunde, wenn Sie wollen.«
»Eine Stunde genügt.« Der Schiffer ging.
»Wir wollen frühstücken und Toilette machen, ganz einfach«, sagte sie zu Se.
Das Schiff zog die Flügel ein. Wie ein Pfeil durchschoß es die Luft.
51 - Martierinnen in Berlin
In der glänzend ausgestatteten Vorhalle des neuen ›Marshotels‹ an der Straße ›Unter den Linden‹ in Berlin standen zwei elegant gekleidete Damen. In ihren gemessenen Bewegungen, mit denen sie die Einrichtungen des Hotels aufmerksam musterten, machten sie einen ebenso vornehmen Eindruck, als er dem Reichtum ihrer Toilette entsprach. Ihr Gesicht war von einem dichten Schleier bedeckt, so daß es schwer war, über ihr Alter ein Urteil zu gewinnen.
Als sie im Begriff waren, auf die Straße zu treten, näherte sich ihnen ein Kellner und fragte ehrerbietig: »Befehlen die Damen Plätze zur Table d’hôte?«
Se trat, entsetzt über diese Zumutung, einen Schritt zurück. Schnell gefaßt sagte La:
»Wir können darüber noch nicht entscheiden.«
»Wagen gefällig?« fragte der Portier.
La schüttelte nur den Kopf und ging vorüber.
Der Kellner und der Portier tauschten einen Blick, aus dem wenig Hochachtung für die beiden Gäste sprach.
Die Damen schritten die Straße entlang nach dem Opernplatz zu. Sie spannten ihre Sonnenschirme auf, und ihre Bewegungen wurden sichtlich freier und lebhafter.
»Du hast doch nicht etwa die Absicht«, sagte Se leise, »wirklich mit diesen Baten essen zu wollen? Das ist doch unmöglich.«
»Mit dem Hut und dem Schleier wird es nicht gehen, sonst aber – man muß sich an alles gewöhnen.«
»Aber das ist doch zu unanständig.«
»Wir sind auf der Erde. In irgendeine der Restaurationen, die hier, wie es scheint, in jedem Hause sind, wollen wir jedenfalls einmal eintreten. Sieh nur, wo man hinblickt, sitzen Leute und trinken Bier. Das nennen sie Frühschoppen.«
Sie schritten weiter durch das Gewühl der Menschen, über breite Plätze, dann in engere, noch dichter belebte Straßen hinein. Ihre Blicke schweiften über Gebäude und Denkmäler, über die begegnenden Personen und Wagen oder verweilten auf den glänzenden Auslagen in den Schaufenstern.
»Es gefällt mir gar nicht«, sagte Se. »Alles ist nüchtern, klein und eng. Man sieht förmlich, wie die Schwere die Gebäude zusammendrückt, die Dächer herabklappt. Die Wände, die Erker, alles ist vertikal gezogen, eine horizontale Schwingung ins Freie scheint es gar nicht zu geben. Sieh nur, wie dieser Balkon mühsam von unten gestützt ist! Und wie ärmlich und geschmacklos all dies Zeug in den Läden! Und das ist nun die Hauptstadt! Wie mag es auf dem Lande aussehen? Denn diese ganze Herrlichkeit reicht nicht weit, selbst wenn man zu Fuß geht, ist sie in ein paar Stunden zu Ende.«
»Du mußt doch nicht immer unsre Verhältnisse zum Vergleich heranziehen«, entgegnete La. »Im ganzen ist es staunenswert, was die Leute für ihre Kulturstufe leisten. Sie haben doch eine Industrie. Natürlich müssen sie sich nach der Schwere richten und können nicht wie wir in die Luft hinausbauen. Aber wie angenehm kann man dafür hier im warmen Sonnenschein gehen, ohne verbrannt zu werden. Und sieh nur, diese entzückenden weißen Wölkchen, wie sie über den blauen Grund ziehen. Das gefällt mir besser als unser ewiger grüner Baumschimmer oder der fast schwarze Himmel darüber.«
»Mir scheint, du willst dich zur Erdschwärmerin ausbilden. Mich stößt schon dieser entsetzliche Lärm ab. Die Leute unterhalten sich ja so laut, daß man es auf mehrere Schritte hört. Und dort zanken sich gar zwei auf offener Straße. Auch die Wagen sind unausstehlich geräuschvoll, man hört das Rollen der Räder auf weithin. Wie muß das erst gewesen sein, als noch Pferde vor die Wagen gespannt waren. Höre nur das unanständige Rufen der Wagenführer: He! He! Das Klingeln und Pfeifen! Ich möchte mir die Ohren verstopfen.«
»Man gewöhnt sich daran.«
»Was kommt denn dort? Hoch oben sitzen Menschen, und unten ist ein Tier mit vier Beinen. So was habe ich noch nie gesehen, das müssen wir uns betrachten.«
»Es sind Reiter«, sagte La. »Sie sitzen auf Pferden. Es sieht gut aus.«
»O nein, abscheulich! Diese Tiere, wie häßlich. Und wie das riecht! O pfui! Komm, komm, das halte ich nicht aus.«
Aus der Tür eines Hauses trat ein Nume, mit dem großen, glänzenden Glockenhelm über dem Kopf. Er schritt bis in die Mitte der Straße, um sich nach seinem Wagen umzusehen. Ein Teil der Vorübergehenden wich ihm in einem Bogen aus, andre, die gelbe Marken an der Kopfbedeckung trugen, gingen zwar dicht an ihm vorüber, blickten aber finster nach der andern Seite. Gerade jetzt waren die Reiter bis hierher gelangt. Das Pferd des ersten scheute vor dem Helm des Martiers, der, ohne an ein Ausweichen zu denken, in der Mitte der Straße stand. Kerzengerade stieg es in die Höhe. Der gewandte Reiter behauptete sich im Sattel, er wollte das Pferd an dem Martier vorüberbringen. In unregelmäßigen Sätzen sprang es hin und her und schlug aus. So drängte es in die Zuschauermenge hinein, die sich schnell angesammelt hatte. Diese stob erschrocken auseinander, auch La und Se wurden gestoßen, allgemeines Geschrei entstand. Schreckensbleich sahen sie, in die Ecke einer Haustür gedrückt, der Szene zu. Von den Sporen des Reiters getroffen, machte jetzt das Pferd einen gewaltigen Satz nach vorn. Es streifte den Helm des Martiers und riß diesen zu Boden. Die Reiter galoppierten davon, und ein Hohngeschrei der angesammelten Straßenjugend begleitete die Niederlage des Numen.
Wütend sprang der Nume in die Höhe, das Publikum beeilte sich, aus seiner Nähe zu kommen. Ein Schutzmann hatte sich inzwischen eingefunden und war dem Numen behilflich, in seinen Wagen zu steigen.
»Wer waren die Reiter?« fragte der Martier.
»Es waren Herren vom Rennklub.«
»Gut, diesem Unfug muß gesteuert werden.«
Der Nume fuhr davon.
»Das geht ja hier entsetzlich zu«, sagte Se schaudernd. »Man ist seines Lebens nicht sicher. Ich gehe nicht weiter.«
»Nur noch bis an jene Ecke. Dort in der Restauration hinter den großen Scheiben sehe ich Damen in Hüten sitzen, da wollen wir uns ein wenig erholen. Und dann fahren wir direkt zu Isma.«
Sie traten in das reich ausgestattete Lokal ein und schritten zwischen den Tischen, die Gäste musternd, hindurch, bis sie neben einem der Fenster an einem noch unbesetzten kleinen Tisch Platz fanden. Obwohl ihnen alle Verhältnisse fremd und ungewohnt waren, so machte sie das doch in keiner Weise befangen; es waren ja nur ›Bate‹, die hier ihren barbarischen Sitten huldigten, und sie wollten sich das nur einmal ansehen. So dachte wenigstens Se. Sie rümpfte das Näschen und sagte:
»Eine furchtbare Luft! Diese Gerüche und dieser Lärm – wie kannst du es nur hier aushalten.«
Das Gemisch von Düften nach Bier, Tabak und geräucherten Würstchen, in Verbindung mit dem Geräusch der Stimmen, war für martische Sinne betäubend.
»Wir können hier ein wenig das Fenster öffnen«, sagte La.
Sie befanden sich in dem großen Ausschank einer süddeutschen Brauerei. Ein Kellner setzte unaufgefordert zwei Glas Bier vor sie hin, und eine Kellnerin brachte ihnen die Speisekarte.
Se amüsierte sich. »Diesen Topf soll man austrinken?« sagte sie. »Aber wie macht man denn das, es ist ja kein Saugrohr dabei?«
La warf einen etwas verzweifelten Blick umher, dann hob sie das Glas und sagte: »Wir müssen eben trinken wie die Menschen.« Und sie nahm einen tüchtigen Zug.
Se versuchte es gleichfalls, aber sie kam nicht recht damit zu Rande. »Woher kannst du das nur?« fragte sie lachend. »Ich glaube, du hast dich auf deine Erd-Expedition vorbereitet!«
»Ich habe es wirklich eingeübt«, antwortete La. »ich habe mir nun einmal vorgenommen, unter den Menschen so wenig wie möglich aufzufallen.«
»Und das sagst du so ernsthaft – man möchte es wirklich glauben. Nun, was steht denn auf dieser wunderbaren Speisekarte, die man mit beiden Händen halten muß?«
»Ich werde nicht klug daraus. Doch, da –« sie hielt inne, »– ich werde mir – dies da –«
Ein wehmütiges Lächeln ging flüchtig über ihre Züge, dann wandte sie den Kopf ab und blickte sinnend zum Fenster hinaus.
Se las die Stelle, die La mit dem Finger bezeichnet hatte, und warf dann einen verwunderten Blick auf die Freundin. Sie suchte in ihrem Gedächtnis, und nun hatte sie es gefunden. Ihre Augen blitzten schelmisch auf, und plötzlich sagte sie, ganz mit Saltners Akzent:
»Ein Paar Geselchte mit Kraut, die wenn i’ hätt’, ’s wär’ schon recht.«
La zuckte zusammen. Sie sah Se mit einem flehenden Blick an. Diese ergriff ihre Hand und sagte, ihr Lachen unterdrückend: »Sei nicht böse, liebe La, aber eine Nume, der bei der Erinnerung an ›ein Paar Geselchte‹, die sie noch dazu nie mit ihren Augen gesehen hat, die Tränen in diese schönen Augen treten, das ist doch ein Anblick, um Götter zum Lachen zu bringen. Aber es ist wahr, diesen würdigen Gegenstand müssen wir kennenlernen, aus Dankbarkeit an die lustigen Zeiten. Und heute habe ich schon viel daraus gelernt«, setzte sie im stillen für sich dazu.
Se bestellte. Und wieder mußte sie leise lachen. Sie sah sich mit La und Saltner auf der Aussichtsbrücke des Raumschiffs stehen, als sich die leuchtenden Flächen des Mars zum erstenmal vor den Ankommenden im Sonnenschein ausbreiteten, und der Kapitän Oß, der zu Saltners Ärger La nicht von der Seite wich, sagte: »Morgen werden wir landen. Es ist ein hübscher Raumschifferglaube, daß der Wunsch in Erfüllung geht, den man bei der Landung ausspricht; es muß aber etwas Praktisches und etwas Kleines sein. Was werden Sie denn sagen?« Er blickte La schmachtend an, die aber nicht antwortete. Da tat Saltner in seinem trockenen Ton den klassischen Ausspruch von den Würstchen. La und Se hatten lange gefragt, was denn dies sei, und er hatte sie immer mit diesem Geheimnis geneckt, bis er es ihnen einmal erklärte, und dann war es eine scherzhafte Redensart geworden.
»Das sind ein paar patente Frauenzimmer«, sagte ein Herr am Nebentisch zu seinem Nachbar.
»Es sind Tirolerinnen, ich hab’ vorhin die eine sprechen hören«, sagte der andre. »Sie sind gewiß von der Stürzerschen Sängergesellschaft.«
Das Essen war gebracht worden. Die Würstchen dampften verlockend auf den Tellern, nur nicht für die Freundinnen. Sie tauschten verzweifelte Blicke miteinander.
»Es ist keine Waage unter dem Teller«, sagte La, »man weiß nicht, wieviel man eigentlich zu sich nimmt. Willst du dir vielleicht lieber etwas Chemisches geben lassen?«
»Ich bringe es überhaupt nicht fertig, vor allen diesen Leuten zu essen. Ich schäme mich halbtot.«
»Es kommt ja kein Nume herein, und niemand kennt uns. Ich will dir etwas sagen – entweder, oder! In dem Schleier können wir überhaupt nicht essen. Wir drehen dem Publikum den Rücken zu und nehmen die Schleier ab. Ich stelle mir jetzt vor, ein Mensch zu sein!«
Und mit einem kühnen Entschluß löste La den Schleier von ihrem Gesicht und begann zu essen.
»Es ist wirklich gut«, sagte sie. »Es ist fett und schmeckt wie Al-Keht. Versuch es nur!«
Se sah ihr gespannt zu. Sie bewunderte die Seelengröße der Freundin, aber sie konnte sich nicht zu dem gleichen Opfer für die Menschheit entschließen.
»Es ist zu viel«, sagte La.
»So wollen wir gehen. Die Leute sehen uns zu. Himmel, da draußen geht ein Nume vorüber.«
Se drehte sich schnell um, indem sie den Schleier zu befestigen suchte. Indessen bezahlte La, und sie verließen das Lokal.
Die beiden Herren waren ihnen gefolgt. Als Se und La auf der Straße stehen blieben, um sich nach einer Droschke umzublicken, trat einer der Herren an sie heran.
»Die Damen sind fremd und wissen den Weg nicht«, sagte er, den Hut lüftend, »dürfte ich vielleicht die Ehre haben –«
Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, wendeten sie ihm den Rücken zu und setzten ihren Weg fort. Sie bemerkten alsbald, daß die beiden ihnen unter anzüglichen Bemerkungen folgten.
»Das ist ja eine unverschämte Gesellschaft«, sagte Se, »es ist wirklich recht nett hier unter den Baten, man kann sich nicht einmal frei bewegen.«
»Du mußt bedenken«, bemerkte La entschuldigend, »das sind ungebildete Leute, die nichts zu tun haben, sonst würden sie um diese Zeit nicht im Gasthaus sitzen. Dort drüben stehen übrigens Wagen.«
»Ich werde ihnen aber erst eine kleine Ermahnung geben. Paß auf, wie sie verschwinden werden.«
Se nestelte an ihrem Schleier und blieb dann stehen. Als sich die beiden Herren dicht hinter ihr befanden, drehte sie sich plötzlich um und riß den Schleier herab. Der Glanz ihrer mächtigen Augen und das Gebietende ihres Blickes zeigte den Abenteuerlustigen sofort, daß sie vor einer Nume standen. Erschrocken prallten sie zurück.
»Macht, daß ihr in die Schule kommt!« rief sie ihnen zu.
Beide entfernten sich aufs schleunigste.
Se lachte. »Aber nun habe ich wirklich Hunger«, sagte sie. »Isma muß mir etwas zum Frühstück verschaffen.«
Eine Droschke brachte sie vor das Haus, wo Isma wohnte. Enttäuscht sahen sie sich um, nachdem sie den Hof überschritten hatten. Kein Aufzug im Haus, und drei Treppen! Es war eine mühsame Partie. Se seufzte wiederholt.
»Man braucht ja nicht in einem solchen Haus zu wohnen oder nicht so hoch«, sagte La begütigend.
»Man braucht glücklicherweise überhaupt nicht auf der Erde zu wohnen, sollte ich denken.«
»Nun ja, ich meinte nur, wenn man – zum Beispiel amtlich –«
»Ach so.«
Endlich standen sie vor der Tür, welche die Aufschrift ›Isma Torm‹ trug. Sie hatten nun ihre Schleier abgenommen. Auf ihr Klingeln öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und eine ältere, freundliche Dame sagte, Frau Torm sei nicht zu Hause. Jetzt erkannte sie, daß sie zwei Damen vom Mars vor sich habe und erschöpfte sich in Entschuldigungen. Frau Torm werde sogleich nach Hause kommen, es sei jetzt ihre Zeit, und die Damen möchten nur einen Augenblick warten, es sei alles geimpft im Haus, und sie werde sie sogleich in Frau Torms Zimmer führen. Das geschah denn, und die unterhaltende Dame ließ sie nun allein.
Die beiden Martierinnen sahen sich sorgfältig in dem freundlichen und geräumigen Zimmer um. In dem lebensgroßen Porträt an der Wand erkannte Se sogleich Ismas Gatten, dessen Bild ihr in allen Schriften über die Erde begegnet war. Mit besonderem Interesse betrachtete La die Einrichtung im einzelnen, nur irrte sie sich, wenn sie glaubte, etwa hier den Typus des Wohnzimmers einer deutschen Hausfrau vor sich zu haben. Denn wenn auch die Tätigkeit der weiblichen Hand unverkennbar war, so enthielt doch die Einrichtung nicht nur viele Züge des Studierzimmers eines Mannes, sondern auch allerlei, was von den landesüblichen Gewohnheiten abwich und an den Einfluß des Mars erinnerte. Da waren zahlreiche Kleinigkeiten, die von Ismas Planetenreise erzählten, eine Fluoreszenzlampe über dem Schreibtisch hing an einem Lisfaden, so daß sie in der Luft zu schweben schien, ein Bücherbrett war ganz nach martischem Muster eingerichtet, und es fehlte sogar nicht der Phonograph, ein Geschenk Ells.
