Kitabı oku: «Auf zwei Planeten», sayfa 41
Unter den Drucksachen, die auf dem Tisch lagen, fiel La ein Flugblatt auf, das in mehreren Exemplaren vorhanden war. Es trug die Überschrift: ›An die Menschheit!‹ und begann mit den Worten: »Numenheit ohne Nume! Das sei der Wahlspruch des allgemeinen Menschenbundes, den wir aufrichten wollen unter allen Kulturvölkern der Erde.«
La las weiter. Der Inhalt fesselte sie. In feurigen Worten war die ideale Kultur der Martier gepriesen, aber ebenso entschieden eifriger Protest erhoben gegen die Form, welche ihre Herrschaft auf der Erde angenommen hatte. »Ergreifen wir«, so hieß es, »was sie uns bieten, mit klarer Einsicht und offenem Herzen, so werden wir ihrer selbst nicht mehr bedürfen. Zeigen wir, daß wir das große Beispiel ihres Planeten begriffen haben, eine Gemeinschaft freier Vernunftwesen zu bilden, in der die Ordnung herrscht nicht durch die egoistische Gewalt einzelner Klassen, sondern durch das lebendige Gemeinschaftsgefühl aller. Das neue Zeitalter ist vorbereitet. Der Mars hat uns den gewaltigen Dienst geleistet, uns zu zeigen, wie die Not des Daseins bezwungen werden kann durch eine reichere Ausbeutung der Natur und eine größere Selbstbeherrschung der Menschen. Er hat die historischen Fesseln gebrochen, die uns verhinderten, die neuen Ideen in der Menschheit lebendig zu machen. Er hat die Völker geeint in dem gemeinsamen Bewußtsein, daß sie als Kinder der Erde zusammengehören und ihre häuslichen Streitigkeiten zu begraben haben, um die Kräfte des Planeten zusammenzufassen; er hat uns gezeigt, daß es gilt, dem überlegenen und geeinten Planeten zu begegnen, nicht um ihn zu bekämpfen als einen Feind, sondern um seiner Freundschaft würdig zu werden und ihn als Bundesgenossen zu begreifen. Menschliche Wissenschaft und menschliche Arbeit möge unser Leben mit dem Bewußtsein durchdringen, daß es nur nötig ist, dem Gesetz der Vernunft zu folgen, um auch unsern Willen auf der Höhe des sittlichen Ideals zu halten. Wagen wir es zu denken und an uns selbst zu glauben! Fahren wir fort zu lehren und zu lernen, damit wir verstehen, was menschliche Freiheit erfordert! Und aus der Vertiefung des befreiten Menschengefühls heraus einigen wir uns in einem großen geistigen Bund, daß wir von uns sagen können: Hier ist die Menschheit, hier ist die Gemeinschaft des Willens, uns frei unterzuordnen dem Gesetz der Vernunft, hier ist die Erde, um dem Mars die Bruderhand zu reichen! Und dann, das laßt uns mit Gewißheit glauben, wird der ältere Bruder uns ebenso frei die Hand entgegenstrecken und sprechen: Ihr seid würdig der Freiheit, die Ihr Euch gewonnen habt, nehmt sie hin, wir verzichten freiwillig auf unsre Herrschaft. Unser Ziel ist erreicht, wenn Ihr Menschen seid.« – Daran waren Mitteilungen über die Organisation des Bundes geknüpft.
Indessen hatte Se in den Zeitungen geblättert, als sie plötzlich ausrief: »Höre, La, hier steht etwas, das dich interessieren wird, von Oß und Saltner –«
La griff nach dem Blatt. Noch hatte sie kaum die Stelle gefunden, als die Tür sich öffnete und Isma eintrat.
Ihre Überraschung war groß und die Begrüßung lebhaft. Und doch fühlte sich Isma befangen. Warum hatte ihr Ell nichts von dem bevorstehenden Besuch gesagt? Sie fühlte sich freier, als sie im Lauf des Gespräches vernahm, daß Ell gar nichts von dem Eintreffen Las wußte, und gewann bald die Überzeugung, daß es nicht der Wunsch war, Ell wiederzusehen, der La nach der Erde geführt habe. La erzählte von ihren Eindrücken und Erlebnissen auf dem Weg vom Hotel zu Isma, und Se erhielt die ersehnte Kräftigung. Dann brachte Se das Gespräch auf den Zeitungsartikel über Oß und Saltner.
Es war darin gesagt, daß auf Veranlassung des Instruktors für Bozen, Oß, der bekannte Forschungsreisende Saltner steckbrieflich verfolgt werde wegen öffentlicher Anreizung zum Ungehorsam gegen die Gesetze, Widerstands gegen den vorgesetzten Numen, Bedrohung des Instruktors, Mißbrauchs amtlicher Papiere und Befreiung von Gefangenen. Es war noch hinzugefügt, daß hoffentlich die Schwere der Anklage sich nicht bestätigen werde, da es bekannt sei, daß gegen den Instruktor Oß selbst eine Untersuchung wegen Überschreitung der Amtsgewalt schwebe und seine Abberufung bevorstehe. Saltners Aufenthalt sei unbekannt, doch werde von allen Behörden aufs angelegentlichste nach ihm geforscht.
La sagte kein Wort. Sie suchte ihre Erregung zu beherrschen. Aber das Herz schlug ihr in Angst und Sorge. Gewiß hatte Oß Saltner gereizt, um seine Rache an ihm nehmen zu können. Und sie fühlte sich schuldig als die geheime Ursache dieser Gegnerschaft. Sie horchte mit Bangigkeit auf die Erklärungen, die Isma jetzt auf Ses Frage gab.
Ell hatte Isma am Tag vorher besucht, an demselben Tag, an welchem er genauere Nachricht über die Vorgänge in Bozen erhalten hatte und auch die ersten Mitteilungen an die Zeitungen gelangt waren. Die Klagen über Oß waren zuerst beim Unterkultor in Wien erhoben worden. Dieser befand sich in der schwierigen Stellung, daß er amtlich dem Kultor des gesamten deutschen Sprachgebiets in Berlin verantwortlich, in der Durchführung seiner Anordnungen aber an die Zustimmung der politischen Oberbehörde, nämlich an das österreichische Ministerium gebunden war. Infolgedessen konnte er nicht ohne weiteres die Suspendierung des Oß von seinem Amt verfügen, sondern es wurden Verhandlungen mit der Wiener Regierung notwendig. Von dort aus konnte erst an Ell berichtet werden.
So waren mehrere Tage seit der Flucht Saltners vergangen, ehe Ell von derselben erfuhr. Nun wurde auf Grund der Klage der Behörden und der Einwohner des Bozener Instruktionsbezirks die Disziplinaruntersuchung gegen Oß erhoben und der Unterkultor in Wien angewiesen, sich persönlich nach Bozen zu begeben. Man konnte annehmen, daß er heute daselbst eintreffen würde. Aber für Saltner wurde der Stand der Sache dadurch nicht gebessert. Seine Selbsthilfe war vom Standpunkt der Martier aus eine Gesetzesverletzung, die eine eindringliche strafrechtliche Verfolgung erforderte, weil man die Autorität der Nume unbedingt aufrechterhalten wollte. Ell konnte daher nicht anders handeln, als die Maßregeln zu bestätigen, durch welche die Verhaftung Saltners erzielt werden sollte. Isma berichtete ausführlicher über die Beschuldigung, die von dem Instruktor gegen Saltner erhoben wurde. Danach erschien es, als hätte Saltner den Instruktor auf offner Straße insultiert, die Einwohner zum Widerstand aufgefordert, seine Mutter und die Magd endlich durch einen raffinierten Betrug aus dem Laboratorium entführt.
Se dachte im stillen: Wie gut, daß man nicht weiß, was er schon auf dem Mars verbrochen hat! La jedoch sagte mit künstlicher Ruhe: »Man wird doch erst hören müssen, wie sich die Sache von Saltners Seite aus ansieht.«
»Gewiß«, erwiderte Isma »und ich kann Ihnen auch darüber Auskunft geben. Ell hat nämlich gestern einen Brief von Saltner selbst erhalten, worin er ihm offen seine Handlungsweise darlegt und ihn um Hilfe gegen die ihm drohende Verfolgung angeht.«
»Einen Brief? So weiß man also, wo er sich aufhält? So ist er in Sicherheit?«
»Das kann man nicht sagen. Der Brief ist auf einer Station zwischen Bozen und Trient aufgegeben. Die dortigen Einwohner sind natürlich alle auf Saltners Seite und werden ihn nicht verraten. Jedenfalls hat einer der Führer oder Träger, die ohne Zweifel bei Saltners Flucht beteiligt waren, den Brief zur Station gebracht. Saltner selbst hält sich wahrscheinlich im Hochgebirge auf irgendeiner versteckt liegenden Hütte auf.«
Isma erzählte nun, was Saltner getan hatte, nach seiner eigenen Schilderung in dem Brief, den Ell ihr gestern vorgelesen hatte.
Se schüttelte den Kopf und sagte: »Das sieht alles Saltner ganz ähnlich. Aber die Sache steht doch recht schlimm. Wenn man ihn bekommt, wird es ihm sehr übel ergehen.«
»Warum?« fuhr La plötzlich auf. »Ich glaube jedes Wort, was Saltner schreibt, und dann hat er sich gar nichts zuschulden kommen lassen. Er hat Oß nicht angegriffen und sich seinen Befehlen nicht widersetzt, denn es waren ihm noch keine zur Kenntnis gekommen; und die Befreiung seiner Mutter hat er auf einem Weg bewirkt, der rein formell nicht anzugreifen ist.«
»Ell ist doch anderer Ansicht«, erwiderte Isma. »Er entschuldigt zwar Saltner, der in seiner Lage und nach seinem Charakter nicht wohl anders handeln konnte, aber er glaubt doch, daß man ihn verurteilen wird. Und jedenfalls muß er dem Gesetze freien Lauf gestatten, und, so leid es ihm tut, Saltner aufheben lassen.«
La erblaßte in heimlicher Angst. »Und wie glaubt man seiner habhaft zu werden?« fragte sie.
»Ganz leicht wird es ja nicht sein, aber in einigen Tagen bekommt man ihn sicher. Nur wenige der dortigen Führer kennen seinen Aufenthalt, und von ihnen verrät ihn keiner. Auch die Kenner der dortigen Berge werden sich nicht dazu hergeben. Nume können überhaupt nicht auf diese Höhen steigen und die verborgenen Schluchten durchsuchen. Aber der Wiener Unterkultor hat ein Luftboot zur Verfügung, und auch Ell würde nicht anders können, als ein solches bereitzustellen. Dann lassen sich die Berge mit Leichtigkeit absuchen, und es ist nicht denkbar, wie Saltner entkommen sollte.«
»Wenn er aber doch entkäme?«
»Wohin reichte die Macht der Nume nicht?«
»Es handelt sich zuerst nur um die Behörden des Mars auf der Erde. Auf dem Nu selbst hört jede obrigkeitliche Gewalt der Kultoren oder Residenten auf. Dann müßte erst der Zentralrat selbst die Auslieferung beschließen. Und selbst dieser könnte nicht in den Privatbesitz, in das Haus eindringen, um den Besitzer zu verhaften.«
»Ich weiß wohl, aber wie sollte Saltner auf den Nu gelangen? Und wenngleich, die Frage ist ja eben, ob man dem Paß, den Saltner besitzt, die Bedeutung zuerkennt, daß ihm auch jetzt noch die Rechte eines Numen zukommen. Man könnte ihn für ungültig erklären.«
»Es gibt ein unverletzliches Asyl«, sagte La leise, den Blick wie in weite Ferne gerichtet.
Isma verstand sie nicht. Se sah die Freundin an, als traute sie ihren Ohren nicht. Dann legte sie ihr liebkosend die Hand auf die Schulter und sagte lächelnd:
»Ich glaube, du siehst nun wieder zu schwarz. Saltner kann überhaupt nur so weit verfolgt werden, als das martische Schutzgebiet auf der Erde effektiv ist. Er wäre also in außereuropäischen Staaten schon sicher, denn um von dort eine Auslieferung zu erzwingen, wären Maßregeln erforderlich, die man um einer solchen Kleinigkeit willen nicht ergreifen wird. Und was Ell nicht geradezu tun muß, das wird er auch nicht tun.«
»Das glaube ich ja«, sagte Isma. »Unter uns gesagt, Ell äußerte sich gestern: ich wünschte nichts mehr, als daß wir Saltner nicht fänden, dann wird der Prozeß in absentia geführt, und in einem Jahr kann bei der Amnestie die Sache eingeschlossen werden.«
»Nun denn, so wollen wir uns nicht weiter Sorge machen. Saltner wird sich schon zu helfen wissen. Sagen Sie uns lieber, was wir bei dem schönen Wetter hier machen sollen.«
»Ich möchte doch wissen«, sagte La zögernd, »wann etwa die Verfolgung Saltners durch die Luftschiffe aufgenommen werden könnte.«
»Heute und morgen sicher noch nicht, das weiß ich«, entgegnete Isma. »Denn Ell sagte, daß der Kultor erst die Verhandlung gegen Oß zu führen hat, und solange behält er sein Schiff bei sich. Soll ich noch einmal bei Ell anfragen?« Sie wies auf das Telephon.
»Ach nein«, sagte La, »wir wollen uns noch gar nicht beim Herrn Kultor melden. Nun machen Sie Ihre Vorschläge.«
»Das Wetter ist eigentlich zu schön für Berlin.«
»Ach ja«, rief Se. »Wir wollen lieber hinaus. Haben Sie heute nachmittag für uns Zeit?«
»Bis heute abend, gewiß.«
»Was meinst du, La, dann sehen wir uns einmal Ihren deutschen Wald dort in der Nähe von Friedau an, den Sie uns so schön geschildert haben.«
La sann nach. Dann nickte sie und sagte: »Das ist mir sehr recht.«
»Aber wohin denken Sie«, rief Isma. »Dazu brauchen wir ja allein fünf bis sechs Stunden Eisenbahnfahrt, um nur bis hin zu kommen.«
Jetzt lächelte La. »In zwanzig, in fünfzehn Minuten, wenn Sie wollen, sind wir da. Machen Sie sich nur zurecht, Sie sollen sogleich unsre Reisegelegenheit sehen.«
»Sie haben ein Luftschiff?«
»Und was für eins!« lächelte Se. »Wenn wir wollen, holt uns das größte Kriegsschiff nicht ein.«
52 - Im Erdgewitter
Aus den Wipfeln des weiten Bergwaldes ragt ein Felsvorsprung und blickt hinab auf das grüne Tal und die sanften Höhenzüge, die es gegen die Ebene abschließen. Hier, zwischen dem blühenden Heidekraut, hatten La und Se sich gelagert, während Isma, auf den Ast einer verkrüppelten Fichte gelehnt, träumerisch in das Land hinausblickte.
»Dies gefällt mir am besten von allem, was ich bis jetzt auf der Erde gesehen habe«, sagte Se, die violetten Blüten der Erika zu einem Kranz zusammenfügend. »Und zwar darum, weil es so still, ganz still ist, fast wie auf dem Nu.«
»Und vieles ist noch schöner«, fügte La hinzu. »Daß wir im milden Sonnenschein hier sitzen können, über uns das wunderbare Licht des Himmels! Wie leichte Federn ziehen die weißen Wolkenstreifen dort oben ihre zierlichen Figuren, und wie seltsam es sich da hinten ballt über der dunklen Wand, die der sinkenden Sonne entgegensteigt. Ach, seht doch, was ist das, drüben auf der Wiese am Rande des Waldes? Ein vorsintflutliches Geschöpf.«
»Es ist ein Hirsch«, sagte Isma, »der auf die Wiese tritt. Sehen Sie, wie er den Kopf hebt und die Luft einzieht, ob alles sicher ist. Ach, er verschwindet wieder, vielleicht hat er uns bemerkt. Übrigens, die Wolken gefallen mir am wenigsten. Es sieht aus, als sollten wir ein Gewitter bekommen.«
»Ein Gewitter? Oh, davon haben wir gelesen. Das möchte ich einmal erleben. Ich kann mir keine Vorstellung davon machen. Aber was blicken Sie denn immer dort hinüber in die Ebene?« fragte La.
»Sehen Sie dort hinten jenen dunklen Streifen?« erwiderte Isma. »Links davon erblicken Sie zwei Türme, das ist das Schloß von Friedau. Und über dem Streifen – es ist ein bewaldeter Hügelrücken – glänzt ein heller Punkt in der Sonne. Das ist die Sternwarte Ells –«
»Wo?« rief La eifrig, nach ihrem Glas greifend. »Ja, ich sehe es ganz deutlich. Den Turm und die Plattform des Hauses. Das möchte ich einmal in der Nähe sehen. Es ist ja gar nicht weit.«
»Doch mehr als zwanzig Kilometer.«
»In drei Minuten sind wir drüben. Hätten Sie nicht Lust, Ihre Heimat wieder einmal zu besuchen?«
»Jetzt?« sagte Isma. »Was sollte ich dort? Alles würde mich nur traurig stimmen. Nein, auf keinen Fall. Und noch dazu mit dem Luftschiff, bei welchem die ganze Stadt zusammenlaufen würde. Oh, Sie wissen nicht, wie man in Friedau über mich denkt.«
»Das ist schade. Ich möchte so gern –« La zögerte einen Augenblick und fuhr dann fort: »Ich möchte, offen gestanden, gern einmal mit Grunthe sprechen. Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, ihn zu besuchen, nicht wahr, Se?«
»Natürlich«, sagte Se lächelnd. »Wir wollen einmal sehen, was er für Augen macht. Und vielleicht weiß er, wo Sal –«
Sie unterbrach sich auf einen Blick von La.
»Ich aber muß, wie Sie wissen«, sagte Isma, »gegen sieben Uhr wieder in Berlin sein, ich habe noch eine Vorlesung heute abend – und jetzt – es ist schon fünf Uhr vorüber.«
»Nun, dann müssen wir Sie freilich nach Hause bringen. Oder noch einfacher, wir können ja beides vereinigen – das Schiff führt Sie nach Berlin und holt uns dann wieder hier ab. Es ist so schön hier, und ich sitze sehr gern noch ein Stündchen im Freien.«
Isma überlegte. »Aber dann ist es doch besser«, sagte sie, »Sie suchen einen geschützteren Ort auf, daß Sie eine Unterkunft finden können, falls das Gewitter heraufkommt. Hier wäre es auch für das Schiff nicht möglich, Sie während des Unwetters aufzunehmen, denn dann ist alles dicht in Wolken gehüllt. Wollen Sie denn überhaupt mit diesem auffallenden Schiff bei Grunthe ankommen?«
»Sie haben recht«, sagte La, »er ist imstande und macht sich vor uns aus dem Staub, wenn wir ihn nicht überraschen. Sie kennen die Gegend, geben Sie uns einen Rat, wo wir uns am besten wieder abholen lassen können.«
»Sobald es dunkel ist«, antwortete Isma nach einigem Nachsinnen, »findet Sie das Schiff nirgends besser als im Garten der Sternwarte selbst. Dort hat sich Ill, als er Grunthe vom Pol zurückbrachte und dann mit mir –, dort hat das Luftschiff Ills zwei Tage unbemerkt von den neugierigen Friedauern gelegen.«
»Aber wie kommen wir dahin?«
»Wir fahren jetzt nach einer Stelle im Wald, von wo Sie in wenigen Minuten nach einem bekannten Aussichtspunkt zu Fuß gelangen können. Von dort fährt die Bahn nach Friedau, jede Viertelstunde geht ein Wagen. In fünfundvierzig Minuten kommen Sie damit nach der Stadt bis dicht an die Sternwarte. Daß auf der Sternwarte noch abends Fremdenbesuch eintrifft, ist ja nichts Ungewöhnliches.«
»Gut, so wollen wir es machen. Von halb neun Uhr an soll mein Schiff für uns im Garten der Sternwarte bereitliegen. Wenn Sie dem Schiffer bei der Rückfahrt von weitem die Stelle zeigen und die Lokalität ein wenig beschreiben, findet er sich zurecht. Er ist ein sehr geschickter Mann. Nun lassen Sie uns zum Schiff gehen.«
Ein schmaler Fußweg zwischen dichtem, jungem Fichtengebüsch, auf dem nur eine Person hinter der andern schreiten konnte, führte die drei Damen nach einer Lichtung, wo die schimmernde Luftyacht ›La‹ ruhte. Kaum hatten sie diese betreten, als sie sich in die Lüfte erhob und nach Ismas Weisung einem der bewaldeten Hügel zuflog, mit denen der Höhenzug nach der Ebene hin abfiel. Hier fand sich wieder eine Waldwiese, auf welcher das Schiff sich bequem niederlassen konnte. Isma führte La und Se durch den Wald bis nach einem sorgfältig gebauten Promenadenweg.
»Wenn Sie nun in dieser Richtung weitergehen«, sagte sie, »so sind Sie in fünf Minuten an dem großen Gasthaus ›Zur schönen Aussicht‹, und unmittelbar unter demselben liegt die Haltestelle der Bahn. Sie können nicht mehr fehlen. Halten Sie sich aber nicht auf, denn das Gewitter kommt näher, und auch ich muß mich eilen, damit ich vor seinem Ausbruch fortkommen
»Seien Sie unbesorgt und reisen Sie glücklich!« sagte La. »Wir sehen uns bald wieder. Sind Sie einmal im Schiff, so kann Ihnen kein Wetter etwas anhaben. Sie sind im Augenblick darüber oder so weit, als Sie wollen.«
Nach herzlichem Abschied ging Isma durch den Wald zurück, während La und Se auf dem bequemen Weg sanft bergab stiegen. Bald gelangten sie an eine Bank, von welcher sich ein lieblicher Blick über den Wiesengrund des Tales mit seinen Villen und kleinen Teichen und weit in die Ebene hinaus eröffnete. La ließ sich nieder und sagte: »Hier wollen wir so lange warten, bis wir das Schiff erblicken und sehen, daß Isma glücklich abgereist ist.«
Längere Zeit saßen sie schweigend, während ihre Blicke bald über das Land, bald über den Himmel schweiften. Der Sonnenglanz über der Ebene war verschwunden. Nur die fernen Höhen im Osten leuchteten noch in gelblichem Licht. Vergebens suchte La die Türme von Friedau aus dem Gewirr der dunklen Flecken und Streifen herauszuerkennen. Der Himmel hatte sich mit einer gleichmäßigen Schicht von Grau überzogen, unter welcher jetzt von Westen her dunkelbraune Wolkenmassen sich heranschoben.
»Das Schiff müßte längst sichtbar sein – ich glaube, wir dürfen nicht länger warten«, sagte Se ängstlich, indem sie den drohenden Himmel musterte.
»Ich glaube auch, wir warten vergebens«, antwortete La. »Sie werden gleich bis über die Wolken gestiegen sein, und wir können sie daher nicht sehen. Horch, was ist das?«
Ein dumpfes Rollen wurde vernehmlich, verstärkte sich und kehrte, von den Bergen zurückgeworfen, mit erneuter Schärfe wieder.
Se faßte Las Arm. »Komm, komm«, sagte sie hastig.
La fühlte, wie ihr Herz lebhafter schlug, sie zwang sich, ruhig zu bleiben.
»Wie wunderbar«, sagte sie, »das muß der Donner sein. Laß uns noch lauschen.«
»Nein, nein, das ist nichts für mich.«
Ein Rauschen und Brausen kam durch den Wald. Plötzlich beugten sich die Bäume unter der Gewalt eines Windstoßes, ringsumher wirbelten Tannennadeln und dürre Zweige in einer Wolke von Staub. Die Martierinnen griffen nach ihren Hüten und banden sie fester. Sie zogen ihre fast unsichtbaren Listücher aus dem kleinen Futteral, warfen sie über den Kopf und hüllten sich hinein. Lauter warnte der Donner.
Von oben her ertönten eilende Schritte. Ein Herr, den Hut in die Stirn gedrückt, mit einem Wettermantel um die Schultern, kam schnell den Weg herab. Er grüßte, ohne die Damen genauer zu beachten. Einige Schritte nachher drehte er sich noch einmal um. Er wollte sie zur Eile mahnen, aber jetzt erkannte er, daß er Martierinnen vor sich habe, und setzte seinen Weg ohne zu sprechen fort.
Der Wind hinderte La und Se an der Bewegung. Jetzt hörte er plötzlich auf, und sie schritten schnell aus. Der Weg zog sich in engen Windungen bergab; an der Stelle, an welcher sie sich befanden, hatten sie jetzt das Wetter mit seinen finstern Wolkenmassen vor sich.
»Das sieht schrecklich aus«, sagte Se.
Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als sie sich mit einem leichten Schrei zurückwarf und an Las Arm klammerte, die ebenfalls erschrocken stehenblieb. Ein blendender Blitzstrahl war drüben jenseits des Tales niedergefahren. Während sie noch erschüttert standen, begannen einige große Tropfen zu fallen, und nun kam der Donner mit knatternden Schlägen, die sich in ein langes Rollen auflösten, und ehe noch der Widerhall geendet, zuckte ein neuer Blitz, näher und stärker –
Sie sprachen nicht mehr, sie liefen den Weg hinab. Jetzt brach der Regen in mächtigem Guß los, im Augenblick war der Weg mit rieselnden Bächlein bedeckt.
»Ich kann nicht mehr!« stöhnte Se.
La blieb stehen und sah sich um. »Da, dort!« rief sie.
Der Weg machte wieder eine Windung. Hier stand, mit dem Blick ins Tal, ein kleiner Pavillon, nur aus Fichtenstämmchen kunstlos aufgezimmert und mit Baumrinde bedeckt; aus den ausgesparten Fenstern hatte man dieselbe Aussicht wie oben, nur beschränkter, jetzt aber blickte man auf nichts als strömende Wassermassen. Hier fand man wenigstens einen notdürftigen Schutz gegen den Regen. Die Freundinnen eilten in die Hütte.
Als sie eintraten, erhob sich von der Bank an der einzigen Seite, die gegen den Regen und Wind geschützt war, der Herr, der vorhin an ihnen vorübergegangen war.
»Oh, ich bitte«, sagte La, »lassen Sie sich nicht stören, wir finden schon Platz.«
Der Herr verbeugte sich nur höflich, verließ aber die Hütte. Er stellte sich vor derselben neben die Tür unter das vorspringende Dach.
Ein Blitz, dem betäubender Donner im Moment folgte, ließ die Martierinnen zusammenschrecken, sie sanken erschöpft auf die hölzerne Bank.
»Das ist schrecklich«, sagte Se mit bebender Stimme. »ich zittere am ganzen Körper. Ich will nichts mehr wissen von dieser Erde!«
La nahm ihre Hände zwischen die ihrigen.
»Zage nicht«, sagte sie. »Es ist leicht, ein freier Nume sein, wo wir herrschen über die Natur und mächtig leben wie die Götter. Aber hier, in der Gewalt der sinnlosen Mächte, die uns fremd sind und ungewohnt, müssen wir den Mut des Willens erweisen. Sieh, dieser Mensch hat uns seinen Platz eingeräumt, uns, die er vielleicht haßt, und er steht draußen im Sturm und blickt furchtlos in das tobende Wetter. Was der Mensch kann, muß auch ich können, oder ich bin nicht wert der Erde. Und das will ich sehen!«
Sie erhob sich und trat an die Brüstung des offenen Fensters, unter welcher der Fels ins Tal abfiel, so daß gerade nur noch die Wipfel der hohen Tannen bis herauf reichten. Wind und Regen schlugen von der Seite herein, La kümmerte sich nicht darum. Die Schulter an die Pfosten des Fensters gelehnt, stand sie hochaufgerichtet, den Elementen trotzend, in ihren Lisschleier gehüllt, dessen Zipfel der Sturm zerzauste. Ihre großen Augen richteten sich gegen den Himmel, als wollte sie den Wetterstrahl herausfordern. Und wie zürnend über die Verwegenheit der Nume öffnete sich die Wolke, und die feurigen Schlangen züngelten nach dem Talgrund, und gleichzeitig dröhnte ein Donnerschlag, der die Luft erzittern machte.
Geblendet und betäubt hatten alle einen Moment die Augen geschlossen.
»La, La«, rief dann Se, »was fällt dir ein, was soll das heißen?«
La stand aufgerichtet wie zuvor an ihrem Platz. Sie schüttelte stolz das Haupt und sprach heiterer als vorher, fast jubelnd:
»Ich kann es, ich kann’s!«
»Wozu das alles!« rief Se. »Komm her zu mir, du wirst völlig naß.«
»Ich will es. Dieser junge Planet tobt wie ein Jüngling in Launen und Übermut, nicht achtend der Geschöpfe, die er behüten soll. Unser Nu ist ein Greis, der uns verwöhnt hat in seiner sicheren Ruhe. So verwöhnt, daß wir die Gefahr suchen mußten draußen im Weltraum. Auf der Erde ist die Jugend mit ihrem Wetterunfug, mit ihrer blinden Torheit, mit ihrem schwankenden Wechsel von Leid und Glück. Zum Leid ward sie mir, zum Glück soll sie mir werden!«
Sie schwieg, noch einmal vom Rollen des Donners unterbrochen. Aber sie hatte den Blitz nicht mehr gesehen, das Wetter war über ihrem Haupt hinweggezogen. Se antwortete nicht. Das Geschick der Freundin stand vor ihrer Seele wie eine Frage, deren Antwort mächtiger und immer deutlicher sich ihr aufdrängte und die sie sich dennoch nicht zu geben wagte. Jetzt lauschte sie wieder auf den Donner, dessen Stärke sich verringert hatte. Sie fühlte sich freier. Der Nachlaß der elektrischen Spannung oder die Entfernung der Gefahr, sie wußte nicht, was es war, aber sie atmete auf. Ihr Blick richtete sich nach dem Weg, wo sie das Knirschen von Tritten vernahm. Der Fremde entfernte sich. Er hatte den Hut in die Hand genommen, deutlich sah sie sein Profil, als er jetzt, einen Blick nach den Wolken werfend, um die Ecke des Weges bog. Und wie ein Aufleuchten der Erinnerung durchzuckte es sie. Das Bild hatte sie gesehen, oft gesehen, und erst heute, die große Kreidezeichnung über Ismas Schreibtisch – nur freilich, älter sah dieser Mann aus, abgehärmter und dennoch, es konnte nicht anders sein ... doch es war ja nicht möglich –
Sie wollte etwas zu La sagen. Aber diese stand ganz in den Anblick der Gegend versunken. Und nun fing La aufs neue zu sprechen an, nur mit ihrem eigenen Gedankengang beschäftigt. Und Se wandte wieder der Freundin allein ihre Aufmerksamkeit zu.
Wie in einer stillen Freude begann La:
»Sieh, der Regen wird sanfter, drüben über dem Wald wird’s hell. Und dort über dem Land, o welch ein frohes Wunder, in bunten Farben flammt der Bogen über den Himmel, und grollend zieht der Donner unter ihm hinweg.«
Se stand auf und trat neben La. Die Schritte des Fremden waren längst verhallt. Sie schlang den Arm um die Freundin und fragte: »Was ist es mit dir, La? Ich verstehe dich nicht!«
La blickte schweigend in die Ferne, wo die untergehende Sonne und der abziehende Regen in wundersamer Farbenschlacht sich bekämpften. Dann zog sie Se an sich und sagte: »Ich liebe die Erde.«
Se blickte ihr in die Augen. »Es wird wohl nicht die ganze Erde sein«, sagte sie mit stillem Lächeln. »Komm, wir wollen uns auf diese Bank setzen – der Regen rieselt noch immer im Gebirge –, bis die Wasser von dem Weg sich ein wenig verlaufen haben, und du wirst mir beichten, was du darfst, oder wenigstens, was du vorhast; denn ich ahne wohl, was du fühlst, aber das Ganze, Ungeheure, was du zu wollen scheinst, vermag ich nicht zu begreifen.«
»Du vermagst es wohl nicht zu begreifen«, sprach La mit kaum hörbarer Stimme, indem sie Se folgte. »So hab ich auch eine, es ist die der Vernunft im zeitlosen Willen, daß ich sein soll und daß wir das eine, dasselbe Ich sein sollen – das ist die oft zu mir gesagt, und wer vermöcht’ es wohl, der es nicht erlebt? Aber nun weiß ich, daß es so sein muß. Glaube nicht, ich hätte vergessen, daß ich eine Nume bin. Ich habe gekämpft um meine Freiheit, um meine Würde, und mit bittern Tränen hab ich sie mir errungen, glaubt’ ich sie mir errungen mit jenem Abschiedskuß in Sei. Ein Marsjahr ist dahingegangen seitdem, zweimal hat die Erde ihren Sonnenlauf vollbracht, aber frage nicht, wie ich die Zeit durchlebte! – Ich habe mich aufgerieben in diesem nutzlosen Kampf. Ich hatte ja nicht gesiegt, ich war geflohen vor mir selbst. Freiheit und Würde hatte ich nicht gewonnen in meiner Seele, nur Weltraum und Sonne, die trennenden Mächte der Planeten, hielten mich in dem leeren Schein, daß der Nu meine Heimat und ich eine Nume sei. So lebt’ ich, mich selbst betrügend und verzehrend, bis der Morgenstern wieder leuchtete. Da trieb es mich her. Würde des Numen! Ist sie noch Würde, wenn sie erhalten wird durch den äußeren Zwang? Nein, Se, es wurde mir klar, Würde wie Freiheit wiedergewinnen konnte ich nur, wenn ich selbst mich hingab, um sie in dieser Welt des Scheines zu verlieren. Und wie ein Zeichen heiliger Bestimmung wurden mir die Mittel der Macht, die in meine Hände gegeben war. Versuchen wollt’ ich, ob ich auf der Erde das sein kann, was der Geringsten Eine unter den Menschen ihm hier sein könnte. Ihm! Se, dies eine Wort verstehst du nicht – ihm? Warum ihm? Das ist das Geheimnis, das unauflösliche, das weder Menschen noch Nume wissen. Ihm, weil ich bin, weil wir so wollten, ehe noch Mars und Erde vom uralten Sonnenschoß sich trennten. Ein lächerlicher Zufall, daß ihm der Leib gebildet ward in diesem, mir in jenem Abstand vom Sonnenball! Die Bestimmung ist nur Liebe. Dieser Bestimmung folgen ist Freiheit. Dieser Bestimmung genügen ist Würde. Ich habe die Erde versucht, ich kannihren Mächten trotzen. Und damit du’s weißt, was ich will –ich gehe jetzt hin, ich hole ihn und rede zu ihm, hier bin ich, und anders kann ich nicht sein. Als Nume oder als Mensch, wie du mich haben willst, ich bin La, deine La. Und nun, meine Se, schilt nicht, lästre nicht, es nutzt nichts. Komm mit, laß uns zur Station hinabsteigen, Grunthe soll mir sagen, wo er ist.«
»Ja, wer denn?«
»Wer? Es gibt nur einen Menschen.«