Kitabı oku: «Küstengold», sayfa 3
Stuhr erfreute sich an diesem Naturschauspiel. Man sollte öfter früh aufstehen, befand er.
Mit Rücksicht auf seine Gefühlslage und den nervös pumpenden Magen beschloss er allerdings, auf ein ausgiebiges Frühstück in seinem Hotel in St. Peter-Ording zu verzichten.
Hilflos
Kommissar Hansen war sich unsicher, ob es richtig gewesen war, Stuhr vollständig über die Lage zu informieren und um Hilfe zu bitten. Aber seine Verbindungen in die Landesverwaltung waren unverzichtbar, um an interne Informationen heranzukommen.
Zufrieden konstatierte Hansen, dass sich der Leichenwagen näherte. Wenn die Leiche von Sörensen erst einmal weggeschafft wäre und das Tageslicht zunehmen würde, dann würde man auf der Weide unter dem Windrad am Nord-Ostsee-Kanal die Spuren besser sichern können.
Kaum, dass die Morgensonne begann, sich unter den Nebel zu schleichen und die Kanallandschaft in leuchtende Farben zu tauchen, eilte sein Kollege Pferdi Fingerloos heran. Ein feiner Kollege, nur hatte Kommissar Hansen ihm in einem schwachen Moment das Du angeboten. Das galt es irgendwann noch zu korrigieren, denn bei der Ansprache mit dem Vornamen zuckte Hansen nach wie vor jedes Mal zusammen.
»Konrad, halt dich fest. Wir haben den Mord fast aufgeklärt. Es gibt lediglich zwei frische Spuren. Mit mindestens Schuhgröße 47 und tiefen Abdrücken ist einer der Täter ein großer und kräftiger Mann, der die Hubkanzel mitsamt dem an die Brüstung gebundenen Opfer den rotierenden Windflügeln zugeführt haben muss. Fingerabdrücke ließen sich auf dem Steuerungspult allerdings nicht sichern. Eine zweite Spur, vielleicht Schuhgröße 45, deutet darauf hin, dass noch jemand, vermutlich auch ein Mann, auf der Weide ständig hin und her lief. Das lässt darauf schließen, dass der zweite Täter die Anweisungen gegeben haben könnte. Beide Fußspuren verlieren sich allerdings auf der Straße.
Zur Schwebefähre sind die beiden Täter sicherlich nicht gestapft, denn die erste Fahrt begann erst nach vier Uhr. Das wäre auch viel zu auffällig gewesen.«
Besser als nichts, dachte sich Hansen. »Und Spuren von Sörensen?«
»Nein. Von Sörensens Schuhen wurden keinerlei Abdrücke gefunden. Das könnte bedeuten, dass Sörensen längst tot war, bevor er geköpft wurde.«
»Oder er ist mit übersinnlichen Kräften von der intergalaktischen Flotte auf den Hubwagen gebeamt worden.« Fingerloos griente.
Wütend trat Kommissar Hansen ins Gras. Was sollte er tun? Er konnte am nächsten Wochenende schlecht jeden Energieversorger in Schleswig-Holstein bewachen.
Ein Fahrzeug mit aufgeblendeten Scheinwerfern näherte sich auf dem Wirtschaftsweg. Die hinter ihm tief stehende Morgensonne erleuchtete das fluoreszierende Nummernschild: KI-KR 313.
Das konnte nur die Kieler Rundschau sein. Hansen fluchte, denn die Presse konnte er zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gebrauchen. Ein weißer Opel hielt genau hinter dem Leichenwagen. Nun, viel zu sehen gab es zum Glück nicht mehr, denn der Tote lag bereits in einem Zinksarg hinter Milchglasscheiben mit eingravierten betenden Händen.
Im aufkommenden Tageslicht war zwar zu erkennen, dass die Kollegen vom Erkennungsdienst überall auf der Weide kleine flatternde Fähnchen aufgestellt hatten, mit denen sie die Spuren markiert hatten. Wie ein Kindergeburtstag wirkte die Szenerie dennoch nicht.
Kommissar Hansen ließ die Scheinwerfer ausschalten, denn das Licht der Morgensonne war inzwischen so hell geworden, dass es für die weitere Spurensicherung ausreichen würde. Zudem würde der Fotograf der Rundschau bei diesem kräftigen Gegenlicht kaum zu einem brauchbaren Foto kommen.
So war Kommissar Hansen überrascht, dass dennoch ein riesiges Objektiv aus dem Seitenfenster des Opel auf das Windrad gerichtet wurde. Am vielfachen Klacken bemerkte er, dass ganze Serien von Fotos geschossen wurden. Anschließend wurde er selbst einige Male abgelichtet. Nun erst stieg der Fahrer aus dem Wagen. »Presse, Kieler Rundschau, wir hätten einige Fragen.«
Der Kommissar giftete zurück: »Ausgeschlossen. Bitte bleiben Sie hinter dem Absperrband zurück. Wir sichern noch die Spuren. Unsere Öffentlichkeitsabteilung wird Sie früh genug informieren. Jetzt lassen Sie uns bitte in Ruhe weiterarbeiten.«
Die Reporter machten allerdings keinerlei Anzeichen abzuziehen. Jetzt brüllte der Fotograf: »Die Leute werden wissen wollen, was hier passiert ist. Die vielen Blutspuren.«
Der Kommissar versuchte, die Sache herunterzuspielen. »Wir untersuchen den Fall akribisch. Vielleicht ein Schafmord. Es ist nicht auszuschließen, dass es ein Unfall war.«
Das Lachen des Reporters klang nicht besonders belustigt. »Herr Kommissar, dann erklären Sie unseren Lesern doch bitte einmal, wie das Blut vom Schaf dort oben hinkommt.«
Hansen biss sich auf die Lippen, ihm schwante Böses. Er drehte sich um und schaute nach oben. Mit zunehmendem Tageslicht konnte man gut erkennen, dass die Spitzen der jetzt blockierten Flügel mit Blut besprenkelt waren. Dieses ruhige Bild wurde lediglich vom mechanischen Klicken des Fotoapparates gestört.
So unternahm Hansen gar nicht erst den Versuch, sich herauszureden. »Wissen Sie, Sie halten sich an den Falschen. Für Verlautbarungen zu unseren Ermittlungen gibt es bei uns einen Pressesprecher. Sie verschwenden hier Ihre Zeit.«
Die Reporter schienen wenig Lust zu haben, sich mit Hansen herumzuärgern. »Sie werden schon sehen, was wir Montag auf der Titelseite bringen. Wenn Sie uns noch irgendetwas zu sagen haben, dann sollten Sie es jetzt tun. Es ist Ihre letzte Gelegenheit. Wir haben Informanten.«
»Das würde ich gern machen, meine Herren. Ich darf aber nicht. Die Ermittlungen laufen schließlich erst an. Unser Erkennungsdienst ist in vollem Gange, wie Sie sehen. Spätestens am Montagmorgen wird es eine Pressekonferenz geben, wie immer um zehn Uhr. Die wird unser Pressesprecher leiten, dafür bezahlen wir ihn schließlich. Das ist mein letztes Wort für heute.«
Die Reporter bemerkten, dass für sie nichts mehr zu holen war. Angesäuert stiegen sie wieder in ihren Opel und entschwanden auf der Landstraße.
Sein Kollege Fingerloos hastete herbei. »Wir haben vielleicht eine wichtige Entdeckung gemacht, Konrad. Auf dem Schild auf der anderen Seite der Schwebefähre ist das N bei Rendsburg eingekreist. Sieht ziemlich frisch aus.«
Kommissar Hansens Laune verbesserte sich nicht merklich. Was konnte ihm schon zu N einfallen? New York, Nürnberg, Norderstedt, Nortorf, Neustadt, Neumünster, Nie-zum-Ergebnis-Kommen? Möglicherweise war es nur eine Kritzelei von Kindern, und selbst eine bewusste Irreführung durch die Täter war nicht auszuschließen. Nein, das war keine richtige Spur.
Unauffällig beobachtete er von der Seite Pferdi Fingerloos. Schließlich war er seit letztem Sommer mit der Verlegerin der Kieler Rundschau liiert, dieser Petra Bester. Sollte er …?«
Hansen würgte den Gedanken ab. Seine Hilflosigkeit verschlechterte seine Stimmung.
Die sollte sich noch weiter verschlimmern, denn jetzt bog eine schwere dunkle Limousine mit aufgeblendeten Scheinwerfern auf den Wirtschaftsweg ein.
Hansen fluchte lauthals. »Noch mehr Vollidioten! Wer kommt nun schon wieder? Auf diesem Acker herrscht mehr Betrieb als auf dem Hamburger Hauptbahnhof.«
Forsch trat er dem ankommenden Fahrzeug entgegen und hob die Arme als eindeutige Geste zum sofortigen Anhalten.
Erst jetzt konnte er das Nummernschild erkennen. Es war Polizeidirektor Magnussen, sein Chef.
Kein Bier vor vier
Viel zu früh rissen schreiende Möwen Stuhr aus seinem Schlaf. Konnten sie nicht wenigstens am heiligen Sonntag einmal Ruhe geben? Vermutlich suchten sie Beute hinter den Reinigungsfahrzeugen, die wie Heinzelmännchen frühmorgens den Sand vor Sankt Peter säuberten.
Schlaftrunken schlurfte Stuhr zur Terrasse seines Hotel-Apartments. Sein Kopf schmerzte. Dieses Mal aber nicht vom Alkohol, denn er hatte nach dem gestrigen frühmorgendlichen Auftakt mit Kommissar Hansen beschlossen, den Samstag über die Finger davon zu lassen. Er hatte einen lockeren Tag im Strandkorb verbracht und sich dabei gehörig den Pelz verbrannt. Selbst in der Spiegelung der Terrassenscheibe war zu erkennen, dass er sich tüchtig verbrannt hatte. Aber was sollte es? Er cremte sich nach dem Duschen gründlich ein und schritt gemächlich die Treppen zum Frühstücksraum hinunter. Die Rezeptionistin stoppte seinen Gang mit erhobener Sonntagszeitung.
»Moin, Herr Stuhr. Da sollten Sie einmal hineinschauen. Im hinteren Teil gibt es einen umfassenden Bericht über das Strandleben in St. Peter-Ording mit aufschlussreichen Fotos. Eine lohnende Strandlektüre.«
Augenzwinkernd übergab sie ihm die Postille. Stuhr dankte und schlurfte zum Frühstücksraum, in dem er seinen Morgenkaffee einnahm. Lesen mochte er nicht, Essen auch nicht. Nachdenklich schaute er auf die Strandterrasse seines Hotels.
Gestern auf dem Sand hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Es war ein langer kalter Winter ohne Jenny gewesen. So schwer, wie sie manchmal zu ertragen war, so sehr fehlte sie ihm. Er müsste in seinem Leben vermutlich einiges ändern, wenn er eine zweite Chance bei ihr bekommen würde. Nur was? Er musste herausbekommen, was Frauen wie Jenny denken.
Die freundliche Bedienung lenkte ihn kurzfristig ab.
»Nichts gegessen? Herr Stuhr, Sie dürfen nicht immer nur Ihren Gedanken nachhängen. Gehen Sie doch einmal an unser leckeres Frühstücksbuffet.«
Der ungnädige Blick von Stuhr lehrte sie, sich auf ihre Dienstleistungsfunktion zurückzuziehen. »Soll ich das Kaffeegeschirr abräumen?«
Stuhrs Entscheidung stand fest. Er würde in seiner Strandbuchhandlung einen dieser bunten Frauenromane erstehen, die der selbstbewussten Frau eine lebenswerte Zukunft versprachen – selbstverständlich ohne Mann.
Die Bedienung wich noch nicht von der Stelle. »Kann das weg?«
Stuhr schüttelte gedankenverloren den Kopf, ergriff die Sonntagszeitung und verließ dankend den Frühstücksraum. Gegen den Strom der Strandgänger gelangte er zur Buchhandlung und holte tief Luft, bevor er den Laden betrat. Es fiel ihm schwer, sich an das Regal der Frauenromane mit den farbenfrohen Buchumschlägen heranzutasten, ohne von den Verkaufskräften bemerkt zu werden. Aber es musste sein.
Er spähte nach anderen Kunden, die ihn beobachten könnten, aber die waren alle selbst mit dem Stöbern beschäftigt. So konzentrierte er sich auf seine Suche. Zeit für eine inhaltliche Recherche war nicht gegeben, er musste nach pastellfarbenen Buchrücken und einschlägigen Titeln gehen.
›Endlich frei‹. Nein, dieser Buchtitel auf dem hellgelben Buchrücken entsprach nicht dem, was er sich von Jenny erwartete.
Vielleicht eher das Buch nebenan. ›Mit 50 hat man noch Träume.‹
Unbemerkt zog er das Buch aus dem Regal. Das hellblaue Cover mit den hochhackigen roten Pumps würde Jenny sicherlich ansprechen, wenngleich der Untertitel etwas martialisch klang. ›Vom Blitzschlag zum Befreiungsschlag.‹
»Das wird Ihrer Frau sicher gefallen.« Die aus dem Nichts zur Beratung herangeschwebte Verkäuferin bemerkte nicht, dass sich Stuhr erschrocken hatte. Sie rasselte ihre Verkaufsargumente herunter. »Das Büchlein haben wir schon hundertfach verkauft. Es ist diesen Sommer der Renner an der Nordseeküste. Nur 11,80, aber nicht ganz ohne.«
Stuhr zog die Augenbrauen hoch. »Nicht ganz ohne?«
»Ja, eine Bekannte von mir hat es über Ostern gelesen. Zu Pfingsten ist sie zu Hause ausgezogen und jetzt amüsiert sie sich in den Bars in Sankt Peter. Ihr Mann darf löhnen.«
Stuhr begann zu frösteln. Er versuchte den Wahrheitsgehalt einzuschätzen, aber die Verkäuferin wirkte glaubhaft. Das schien genau das richtige Buch für Frauenversteher zu sein. »Ich nehme es.«
»Einpacken, als Geschenk?«, fragte die Verkäuferin fast automatisch nach, bevor sie sich auf den Weg zur Kasse machte.
»Ja, ja, als Geschenk, natürlich«, stotterte Stuhr erleichtert und zahlte. Er bedankte sich für die gute Beratung und verließ freundlich grüßend den Laden.
Auf dem Vorplatz zur Seebrücke steuerte er den Papierkorb an, der am weitesten vom nächsten Badegast entfernt stand. Er musste das Geschenkband mit ein wenig Gewalt vom Buch ziehen. Unbeobachtet entsorgte er das Umschlagpapier und verbarg das Buch in seiner Sonntagszeitung.
Dann pilgerte er, wie immer bei schönem Wetter, über die neue Seebrücke zu den Pfahlbauten. Die Zeitung mit dem Buch hielt er fest unter dem linken Ellenbogen eingeklemmt, damit es nicht entdeckt werden konnte. Er spähte in die Taschen der anderen Strandgäste und entdeckte so manche Lektüre, aber ein weiteres Buch mit einem hellblauen Cover konnte er nicht ausmachen.
Ein seltsames Gefühl von Einsamkeit überkam ihn, wie er über die Seebrücke schlenderte, denn hier hatte er Jenny kennengelernt. Wie es ihr wohl ging? Wer weiß, in welchen Armen sie sich jetzt herumtrieb?
Oder trauerte sie um ihn? Zumindest ein wenig?
Stuhr schüttelte die trüben Gedanken ab. Bevor er den Sand betrat, zog er die Schuhe aus. Tiefe Radspuren unweit der Arche Noah ließen darauf schließen, dass Schneiders verunglücktes Flugzeug abtransportiert worden sein musste.
Nein, Schneider oder Verena, denen musste er nicht begegnen. Deswegen trieb es Stuhr heute zur Windsurfstation an der Badestelle Ording. Dieser Bau wurde zwar nur von mannshohen Stelzen getragen, aber er verfügte über eine große Terrasse, die einen prächtigen Ausblick auf das Strandleben vor der freien Nordsee gewährte.
Stuhr hatte sich auf den Holzplanken vor dem Windsurfshop einen der in Pastelltönen gestrichenen herumstehenden Barhocker geschnappt und ihn in die schattige Bootshalle gestellt. Er liebte es, aus dieser erhöhten abgedunkelten Position das Strandtreiben zu verfolgen. Zum Zeichen der Besitzergreifung legte er die Zeitung mit dem darin verborgenen Buch auf den Hocker und begab sich zur Bar im Surfshop, um einen Milchkaffee zu ordern.
Der wurde ungewöhnlich schnell vor ihm auf dem Tresen platziert. »Der geht auf unser Haus. Mehr Werbung für SPO geht ja kaum. Welcome und Cheers.«
Verdutzt nahm Stuhr den Milchkaffee entgegen. SPO war die trendige Abkürzung für St. Peter-Ording. Während er sich bemühte, vorsichtig das Heißgetränk zu seinem Hocker auf der Terrasse zu balancieren, wurde ihm immer wieder auf die Schulter geklopft. Das war verwunderlich, weil er hier kaum bekannt war. Zur Windsurfstation zog es ihn nur, wenn es richtig heiß war und er abtauchen musste.
Nachdenklich schlürfte er seinen Milchkaffee und beobachtete interessiert das gelangweilte Abhängen der Möwen auf der spiegelglatten Nordsee. Ab und zu verschaffte sich Stuhr ein wenig Abkühlung, indem er ein kühlendes Bad nahm.
Mittags hielt es Stuhr nicht mehr aus. Zeit für einen Konterdrink, befand er und schälte sich vom Barhocker, um ein eiskaltes Bier aus der Bar zu holen. Dort buchte er auch einen Strandkorb, den er gegen die Sonne drehte, bevor er sich genüsslich niederließ.
Die Nordseeluft tat seinem Schädel gut, das Bier auch. Vorsichtig zog er das Frauenbuch aus der Zeitung und begann, den Klappentest zu lesen. ›Powerfrau Bea stellt sich die Frage aller Fragen: Soll das mit 50 alles gewesen sein? Völlig zu Recht fragt sie sich, wo die Romantik in ihren Beziehungen geblieben war.‹
Romantik? Das kam unerwartet und klang kompliziert für Stuhr. Hatten Jenny und er eigentlich romantische Momente gehabt? Außer im Bett natürlich?
Während er darüber grübelte, schielte er zur Sonntagszeitung. Er könnte den Sportteil lesen. Oder diese Reportage über Sankt Peter. Jäh wurde er in seinen Gedankenspielen unterbrochen.
»Moin, Stuhr. Schön heiß heute, was?«
Stuhr musste nicht einmal hochblicken, denn er erkannte Oberamtsrat Dreesens dröge Stimme sofort. Er grüßte zurück. »Moin, Dreesen. Was machst du denn an der Westküste? Kleine Dienstfahrt in die Marsch?«
Nur zögerlich und unsicher antwortete sein ehemaliger Mitarbeiter. »Nö, sonntags eher nicht. Ein bisschen die Füße vertreten und abschalten. Mal herauskommen aus dem Alltagstrott, du verstehst?«
Stuhr verstand nicht, aber er hatte eine böse Ahnung. Bevor er Dreesen in die Augen blicken konnte, fegte Jenny Muschelfang um die Ecke und ohrfeigte ihn links und rechts mit ihrem Exemplar der Sonntagszeitung.
»Du Ferkel, du lernst aber auch nichts aus deinen Fehlern. Und dann noch mit Schneider, diesem Betrüger.«
Dreesen versuchte, sie von weiteren Schlägen mit der Zeitung abzuhalten. »Aber Jeanette, nun regen Sie sich bitte nicht so auf. Kommen Sie, wir gehen weiter. Der Kollege Stuhr hat doch nicht nur schlechte Seiten.«
Das ›Sie‹ nahm Stuhr mit Befriedigung zur Kenntnis. Anscheinend war Dreesen bei ihr noch keinen Fingerbreit weitergekommen.
Aber jetzt wurde Jenny zur Furie. Wütend blaffte sie Dreesen mit einem Fingerzeig auf Stuhrs Sonnenbrand an. »Nicht nur schlechte Seiten? Der hat doch noch einen hochroten Kopf vom letzten Saufgelage und trinkt schon wieder Bier um Bier in der Mittagssonne!«
Sie holte nur kurz Luft, denn sie hatte den hellblauen Frauenroman entdeckt. Jetzt kam Jenny richtig in Fahrt. »Warte nur ab, mein Freundchen, bis dein Flittchen ihre Lektüre durchgelesen hat. Dann wirst du dein blaues Wunder erleben. Wo treibt sich das Luder überhaupt herum? Ist es die aus der Sonntagszeitung? Du Schuft!«
Wieder schlug sie Stuhr die Sonntagszeitung mehrfach um die Ohren. Glücklicherweise zog Dreesen Jenny behutsam aus seinem Gesichtsfeld.
Stuhr wurde mulmig. Welches Luder meinte sie nur? Er war sich keiner Schuld bewusst.
Kurze Zeit später kehrte Dreesen alleine zurück. »Tut mir leid, Stuhr. Das wollte ich nicht. Jeanette und ich hauen jetzt besser ab. Kann ich etwas für dich tun?«
Die Schläge von Jenny hatten Stuhr nicht wehgetan, nur ihre unbändige Wut. Aber sicher, Dreesen könnte etwas für ihn tun. »Sag mal, wer ist aktuell im Wirtschaftsministerium zuständig für diesen ganzen Energiekram? Genehmigungen und so.«
»Der Kollege Meyer-Riemenscheidt. Den müsstest du noch von früher kennen. So ein jüngerer schwitziger Dicker mit roten Wangen. Er war früher für Wirtschaftsförderung an der Nordseeküste zuständig, jetzt prüft er alle möglichen Anträge im Energiebereich. Du kannst aber auch seltsame Fragen stellen.«
»Wieso seltsam?«
»Na, hör mal. Du ziehst hier über die Tische und durch die Betten und dann fragst du mich ausgerechnet nach dem Kollegen Meyer-Riemenscheidt.«
Stuhr sah Dreesen ungläubig an. Der tippte an die Sonntagszeitung.
»Das ist schon ein scharfer Feger in der Postille, Stuhr, mit dem du am Freitagabend auf der Arche Noah gefeiert hast. Da kann ich schon verstehen, dass du selbst Frauen wie Jenny abservierst.«
Stuhr bemühte sich, seriös zu erscheinen. »Hör auf Dreesen, am Freitag war ich superbreit. Ich bin abgestürzt. Eine Ausnahme.«
Dreesen beugte sich vor. »Kannst ja am kommenden Donnerstag zu meinem 50. ins Sportheim in meinem Dorf kommen. Da wird die Post so richtig abgehen.«
Skeptisch fragte Stuhr nach. »Ist Jenny auch dabei?«
Dreesen hielt den Finger vor den Mund. »Tschüß, ich muss weiter.« Dann entschwand er und eilte Jenny hinterher.
Stuhr schob den Frauenroman beiseite und begann neugierig die Sonntagszeitung von hinten aufzublättern. ›VIPs: Strandleben in SPO – Schöne Frauen und Machos‹, das musste die Reportage sein.
Bereits das erste Foto ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Schneider hielt lässig seine Overstolz im Mundwinkel, während er versuchte, mit einer brennenden 50-Euro-Geldnote Stuhrs Zigarre anzuzünden.
Aber es kam noch schlimmer, denn auf dem zweiten Foto hielt Stuhr besitzergreifend die Bedienung Verena im Arm. Eigentlich ein schönes Foto, wenn sich seine rechte Hand nicht in ihren Ausschnitt geschlichen hätte und ihre rechte Brust fest umklammerte. Daher stammten also die vielen Fotoblitze, an die er sich noch vage erinnern konnte.
Stuhr fluchte laut, bevor er begann, den Artikel genauer zu studieren.