Kitabı oku: «Kykladen», sayfa 3
Epilog – Die Zeiten verdüstern sich
Seit der Teilung des Imperium Romanum in ein West- und ein Ostreich (395 n. Chr.), gehörten Griechenland, Makedonien und die ägäischen Inseln zum Ostreich, aus dem das Byzantinische Reich hervorging. Vom 8. Jh. an häuften sich Überfälle von Seeräubern, islamischen Sarazenen und christlichen Normannen. Die Inseln wurden nach und nach entvölkert.
1054 trennten sich dann die griechische Kirche des Ostens und die lateinische Kirche des Westens voneinander. Als 1204 die „Franken“ auf ihrem 4. Kreuzzug, unter der Führung des venezianischen Dogen Enrico Dandolo, Konstantinopel eroberten und plünderten, gründeten sie auf dem Gebiet des Byzantinischen Reichs ein „Lateinisches Kaiserreich“. Diesen Herrschaftsumschwung ausnutzend errichtete Marco Sanudo, ein Neffe des Dogen, 1207 auf der Insel Naxos ein eigenes Herzogtum, das er „Archipelagos“ (aigaion pelagos, Ägäisches Meer) nannte und dem u. a. Paros, Thera und Mykonos angehörten. Sanudo residierte auf Naxos, während er mit den anderen Inseln seines Herrschaftsbereichs einflussreiche venezianische Familien belehnte.
Die Eroberer bildeten allerdings nur eine kleine Oberschicht, die in den Städten wohnte. Sie verhielten sich tolerant und ließen den griechischen Untertanen ihren orthodoxen Glauben. Wie alle Herren forderten aber auch sie hohe Abgaben, mit denen sie den Bau ihrer Burgen finanzierten. Viele Kykladengriechen verlegten sich deshalb auf das Geschäft der Piraterie, andere wanderten nach Kreta aus.
Schon in der ersten Hälfte des 14. Jhs. wurden die Inseln mehrfach von muslimisch-türkischen Verbänden geplündert und viele Einwohner verschleppt. 1537 eroberte Chairedin, ein zum Islam konvertierter Christ, der wegen seines roten Vollbarts „Barbarossa“ genannt wurde, im Dienst des Sultans die Inseln und machte sie tributpflichtig. Wiederum verließen viele der Bewohner daraufhin ihre Heimat.
Eine der versklavten Frauen, die auf Paros geborene vornehme Venezianerin Cecilia Venier-Baffo, verschlug es in den Harem des Sultans Selim II. (1566–1574). Sie wurde Mutter des Sultans Murat III. (1574–1595), der den Inseln dank seiner Herkunft großzügig Privilegien gewährte.
Bis 1577 regierte noch ein vom Sultan eingesetzter Herrscher, ein portugiesischer Jude, Jussuf Nassy, anschließend übernahmen die Türken endgültig selbst die Herrschaft und Verwaltung. Sie waren keine Seefahrer, deshalb siedelten sich nur wenige von ihnen auf den Inseln an. Sowohl den griechisch-orthodoxen als auch den römisch-katholischen Christen gegenüber verhielten sich die Türken tolerant. Kirchen durften gebaut werden und geistliche Orden konnten sich betätigen.
Trotz dieser relativen kulturellen Unabhängigkeit spielten die Kykladeninseln im griechischen Freiheitskampf mit ihren Schiffen, erfahrenen Seeleuten und Kapitänen eine wichtige Rolle. 1830 schlossen sie sich folgerichtig dem neu gegründeten griechischen Staat an.
Die Reise geht los: Eine besondere Beziehung – Athen und der Nordwind

Abb. 6 Turm der Winde, Römische Agora Athen, 1. Jh. v. Chr.
Nach dem gewiss anstrengenden Schnellkurs in Sachen Inselgeschichte ist es Zeit, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen und endlich die Überfahrt zum ersten kykladischen Reiseziel anzutreten. Dabei sollte man die Warnungen so mancher Reiseführer nicht leichtfertig sprichwörtlich in den Wind schlagen. Denn zu Recht wird einem geraten, zu jeder Reisezeit einen Windschutz einzupacken. Besonders im Juli/August sind die von Norden wehenden Winde, der Meltemi oder die Etesien, besonders stark spürbar. „Meltemi“ ist ein türkisches Wort, das die Winde euphemistisch als „lind“ bezeichnet, Etesien nannten sie die Griechen (Herodot, 6, 140), weil sie Jahr für Jahr (etos heißt Jahr) mit zuverlässiger Regelmäßigkeit aufzutreten pflegten. Die Griechen wären nicht die Griechen, wenn sie den Wind nicht als Gott personifiziert, mit einem Namen versehen und mit einem Mythos ausgestattet hätten: Sie nannten ihn Boreas. In Athen ist er auf dem Fries des sogenannten „Turms der Winde“ aus dem 1. Jh. v. Chr., ein Bauwerk der römischen Agora, als ein geflügelter, bärtiger Mann abgebildet, der einen Mantel trägt und in eine Muschel bläst (Abb. 6). Der Mythos weiß von seiner Liebe zu Oreithyia, einer der Töchter des attischen Königs Erechtheus. Der römische Dichter Publius Ovidius Naso (43 v. Chr.–17 / 18 n. Chr.) erzählt die Geschichte in den „Metamorphosen“, den „Verwandlungsgeschichten“, obwohl in diesem Fall niemand seine Gestalt ändert:

Lange entbehrte der Gott die geliebte Orithyia,
während er um sie warb und lieber den Bitten als roher
Kraft vertraute. Als er aber mit Schmeicheleien
nichts erreichte, ergriff ihn heftiger Zorn – nach seiner
Art und nach der Gewohnheit von Winden –, und er sagte:
„Das geschieht mir recht! Denn warum habe ich auf meine
Waffen verzichtet, auf die Grausamkeit, die Gewalt, den
Zorn und die Drohung und habe mich auf das Bitten verlegt, das
gar nicht zu mir passt. Gewalt ist meine Domäne.
Mit Gewalt vertreibe ich die finsteren Wolken,
wühle mit Gewalt das Meer auf, knorrige Eichen
knicke ich, härte Schnee und schlage die Erde mit Hagel.
Treffe ich am heiteren Himmel meine Brüder,
das ist nämlich mein Schlachtfeld, dann strenge ich mich an und
ringe mit ihnen so, dass von unseren Kämpfen ein Donner
mitten durch den Äther dröhnt und Feuerstrahlen
aus den hohlen Wolken herausgeschleudert werden.
Steige ich hinab in die Tiefe der gewölbten
Erdengänge und lege ungestüm den Rücken
unter die untersten Höhlungen, scheuche ich die Toten
auf und lasse den ganzen Erdkreis erzittern. Mit solcher
Mühe hätte ich um die Ehe werben sollen.
König Erechtheus hätte ich nicht um die Tochter bitten,
sondern handelnd zum Schwiegervater machen sollen.“
So oder ähnlich – aber gewiss nicht weniger trotzig –
sprach der Windgott, spannte die Federn aus und schlug die
Flügel; die ganze Erde spürte den Luftzug. Die weite
Fläche des Meeres wogte, und hoch über alle Gipfel
zog er seinen staubigen Mantel und fegte mit ihm den
Boden. Im Schutz der Finsternis traf und umarmte er liebend
Orithyia mit seinen goldenen Flügeln. Sie war zu
Tode erschrocken. Die Flammen seiner Liebe wurden
durch die Bewegung immer stärker entfacht. Der Räuber
hat seinen Flug durch die Lüfte erst dann beendet, als er
bis zum thrakische Volk der Kikonen und bis zu ihrer
Stadt gelangt war. Die attische Jungfrau wurde dort die
Gattin des Herrschers und Mutter zweier Kinder, Söhne,
Zwillinge, die vom Vater die Flügel geerbt hatten und der
Mutter Orithyia in allem anderen glichen (6, VV. 683–714).
Am Ende hat der wilde Gott sein Ziel erreicht und die Windsbraut erobert. Das wird ihn beruhigt haben. Da aber, wie es heißt, heftiger Zorn zu seinem Wesen gehört, findet er immer wieder neue Gründe, sich zu erregen, über die Erde zu fegen, Staub aufzuwirbeln und das Meer wogen zu lassen. Zum Glück weht er nicht immer so heftig wie in dieser Geschichte, aber er fackelt nicht lange. Er nimmt sich nicht die Zeit, sich anzukündigen, er ist ganz plötzlich da. Athen, der Startort unserer Reise, und er haben schließlich eine besondere, geradezu verwandtschaftliche Beziehung.
Mit Sturmgebraus übers Meer – Von Seenot und Schiffbrüchen
Es liegt uns fern, den interessierten Reisenden, die sich anschicken die Kykladen zu erkunden, Angst zu machen, wenn wir – sozusagen zur literarischen Einstimmung auf die anstehende Fährfahrt – zusätzlich von einem gewaltigen Seesturm sowie einem veritablen Schiffbruch berichten. Wir tun es, um unsere Leserinnen und Leser mit der ältesten und sehr eindrucksvollen Schilderung eines derartigen Ereignisses bekannt zu machen. Sie steht in Homers Odyssee (ca. 700 v. Chr.). Es mag zur Beruhigung beitragen, dass Odysseus, bevor der Sturm losbricht, 17 Tage bei ruhiger See unterwegs war und dass die Geschichte gut ausgeht: Odysseus wird gerettet. Und schließlich durchqueren wir das Meer auch nicht mehr auf Flößen.
Odysseus hatte viele angenehme und entspannte Jahre bei der schönen Nymphe Kalypso verbracht. Als er endlich nach Hause strebt, stellt sich ihm Poseidon, der Gott des Meeres, in den Weg: Ein Sturm soll ihm die Heimkehr, wenn nicht verwehren, so doch erschweren. Es ist nicht das einzige Unwetter, in das der Held auf seiner Irrfahrt gerät, zudem ist er auf einem Floß unterwegs.

Da ergriff der Gott mit den Händen den Dreizack, führte
alle Wolken zusammen, wühlte das Meer auf, ließ aus
all den verschiedenen Winden Wirbel entstehen und hüllte
Meer und Land in Wolken. Vom Himmel breitete sich die
Nacht aus. Zusammen stürzten die Winde aus dem Osten,
aus dem Westen herab, der widrige Südwind und der
aus dem heiteren Äther geborene Nordwind (Boreas), und sie
wühlten das Meer auf. Odysseus wurden die Knie schwach,
und sein Mut sank, bekümmert sprach er zu seinem stolzen Herzen:
„Ach, ich Armer, was soll denn am Ende aus mir noch werden?
Welche Wolken hat Zeus gesammelt, den weiten Himmel
zu umgeben! Er erregte das Meer, aus vielen
Winden entstandene Wirbelstürme drängen heran, ich
werde jetzt dem jähen Verderben nicht mehr entgehen. …“
Kaum hatte er gesprochen, da drängte eine große
Woge furchtbar gegen ihn an, sie traf ihn und warf das
Floß im Wirbel um. Er fiel in weiter Entfernung
von dem Floß ins Meer, und das Steuerruder entglitt den
Händen, ein starker Windstoß brach den Mastbaum mitten
durch, der Stoß war aus unterschiedlichen Winden entstanden.
Weit entfernt ins Meer fiel das Segel, fiel die Segelstange
der Wind stieß Odysseus unter Wasser.
Lange tauchte er nicht auf, so groß war die Kraft der
großen Woge. Ihn beschwerten die Kleider. Spät erst
tauchte er wieder auf und spie das bittere Wasser
aus, das ihm in reichlicher Menge vom Kopf herabfloss.
Trotzdem dachte er an das Floß, so erschöpft er war, er
schwamm ihm nach in den Wogen, ergriff es, setzte sich mitten
in das Floß. So entging er gerettet dem Schicksal des Todes.
Wogen trugen das Floß mit der Strömung bald hierhin, bald dorthin.
Wie im Herbst der Nordwind (Boreas) Disteln, die aneinander
haften, über die Ebene trägt, so trugen nun die
Winde das Floß bald hierhin, bald dorthin. Jetzt warf der Südwind
es dem Nordwind zu, es vor sich her zu treiben,
jetzt überließ es der Ostwind dem Westwind zur Verfolgung.
(5, VV. 291–332 mit Auslassungen).
Dank dem Rat, die Kleider auszuziehen, das Floß zu verlassen und schwimmend der Kraft der Arme zu vertrauen, wurde Odysseus durch göttlicher Hilfe gerettet. Wer im Ägäischen Meer von Insel zu Insel reist, tut gut daran, es mit Muße zu tun. Ab und zu müssen selbst die großen robusten Fähren im Hafen bleiben. So groß ist Macht der Windgötter.
Ein Selbstmörder gibt dem Meer seinen Namen
Bei der Fahrt über das Meer hat man ausreichend Zeit zum Nachdenken. Wir nutzen es, um uns Gedanken über seinen Namen zu machen. Die Ägäis ist ein Arm des Mittelmeers, der das griechische Festland und die kleinasiatische Küste voneinander trennt und zugleich miteinander verbindet. Im griechischen Mythos kommen zwei Figuren vor, die mit dem Meer in Verbindung gebracht werden.
Die bekannteste Gestalt ist Aigeus. In der 431 v. Chr. im Dionysostheater aufgeführten Tragödie „Medea“ des Euripides lernen wir ihn als einen weisen, hilfsbereiten, rechtlich denkenden Menschen kennen. Er galt auch als eine Erscheinungsform des Poseidon: Aigai war der Name eines mythischen Ortes, der mit dem Meeresgott in Verbindung gebracht wurde (Homer, Ilias, 13, VV. 21 / 22). Seinem Sohn Theseus werden wir auf Naxos begegnen. Auf Kreta besiegte er mit Hilfe der Königstochter Ariadne den Minotaurus, auf Naxos verließ er sie schließlich, was schlimme Folgen nach sich zog. Wir wenden uns dem Schluss der Erzählung zu, die wir dem Werk des römischen Lyrikers C. Valerius Catullus (ca. 84–54 v. Chr.) entnehmen:

Theseus nimmt von Naxos aus Kurs auf Athen.
Theseus, von dunklem Nebel verblendet, entfielen alle
Weisungen aus dem vergesslichen Herzen, die er bis dahin
standhaft im Gedächtnis bewahrt hatte, und so zeigte
er auch nicht, die glückverheißenden Segel hissend,
seinem bangen Vater, dass er wohlbehalten
heimkehre in die Stadt des Erechtheus. Denn – so erzählt man –
einst, als Aigeus den Sohn, der die Mauern Athens mit seiner
Flotte verließ, den Winden anvertraute, umarmte
er den jungen Mann und gab ihm folgenden Auftrag:
„Du, mein einziger Sohn, den ich bei weitem mehr noch
liebe als mein Leben, den ich jetzt in Gefahren
schicken muss, der du mir kürzlich erst in meinem
hohen Alter wiedergeschenkt worden bist, nun, da dich
gegen meinen Willen mein Geschick und deine
feurige Tapferkeit mir entreißen, obwohl die müden
Augen noch nicht gesättigt sind vom Anblick des lieben
Sohnes, wisse: Traurig lasse ich dich ziehen,
und ich will nicht dulden, dass du Zeichen des Glücks trägst,
sondern ich will zuerst, laut klagend, meine grauen
Haare mit Erde und Staub verunstalten, dann gefärbte
Segel an dem schwankenden Mastbaum hissen, damit das
dunkle Tuch den brennenden Schmerz meines Herzens anzeigt.
Wenn die Athena, die dem Geschlecht und Haus des Erechtheus
Schutz versprach, erlaubt, dass du deine Rechte mit dem
Blut des Minotaurus besprengst, dann achte darauf, dass
dieser Auftrag fest in deinem Herzen verankert
bleibt und keine Zeit ihn auslöschen kann: Wenn deine
Augen unsere Hügel erblicken, dann sollen die Masten
von dem traurigen Kleid befreit werden und die gedrehten
Taue weiße Segel hissen, damit ich sie so
schnell wie möglich sehe und Grund zur Freude habe,
wenn eine glückliche Zeit dich in die Heimat zurückbringt.“
Theseus behielt bis jetzt diesen Auftrag in seinem Herzen.
Jetzt entglitt er aber seinem Gedächtnis wie Wolken,
die, vom Wind verjagt, des schneebedeckten Berges
luftigen Gipfel verlassen. Der Vater spähte ängstlich
von der Höhe der Burg. Die ständig fließenden Tränen
hatten die Augen getrübt. Kaum sah er das rot gefärbte
Segel, stürzte er sich hinab von der Höhe des Felsens.
Glaubte er doch, ein gnadenloses Schicksal habe
Theseus vernichtet. So also war das Haus befleckt vom
Tod des Vaters, als der todesmutige Theseus
es betrat. Wie er der Minostochter einst mit
rücksichtslosem Herzen Leiden zugefügt hatte,
so empfing er selbst nun Schmerzen. (64, VV. 207–248).
Der Mythos von Aigeus als dem Herrscher, dem die Ägäis ihren Namen verdankt, verbindet Athen mit dem Meer, mit Kreta und Naxos. Mit dieser Erzählung konnten die Athener ihren Herrschaftsanspruch begründen, und in ihr spiegelt sich vielleicht das von den Mykenern herbeigeführte Ende der kretisch-minoischen Seeherrschaft.
Aigeion, der gestürzte Riese – Symbol der Bedrohung
Die Griechen kannten aber noch eine zweite Mythengestalt, deren Name auf das Meer verweist. Aigeion nannten die Menschen das hundertarmige Wesen, das bei den Göttern Briareos hieß (Homer, Ilias, 1, VV. 403 / 4). Von ihm erzählt Hesiod, der im 7. Jh. v. Chr. ein Werk über die Entstehung der Götter mit dem Titel „Theogonia“ verfasste. Nachdem die Erdgöttin Gaia und der Himmelsgott Uranos aus dem Chaos entstanden waren, brachten sie die Titanen, deren jüngster Kronos war, und die Kyklopen hervor, die in der Mitte der Stirn ihr einziges Auge trugen. Weiter fährt er fort:

Aber noch andere waren von der Erde und dem
Himmel entsprossen. Drei Söhne, Riesen, unnennbaren Namens:
Kottos, Briareos und auch Gyges, Kinder voll Hochmut.
Hundert Arme streckten sich aus ihren Schultern vorwärts,
klotzig und ungefüge, und fünfzig Köpfe entsprossen
jedem aus seinen Schultern, die auf starken Gliedern
ruhten. Grausig waren ihr Wuchs und ihre Kräfte.
Diese waren von allen, die dem Uranos und der
Gaia entsprossen, die schrecklichsten Kinder. Sie waren von Anfang
an dem Vater verhasst. Sobald sie geboren wurden,
hinderte er sie daran, ans Licht zu gelangen, und barg sie
tief im Schoß der Erde, Uranos. An seinem Frevel
hatte er seine Freude. (VV. 147–159).
Das Chaos, am Anfang die Abwesenheit der Ordnung und dann ihre stete Bedrohung, wurde durch die Herrschaft des Uranos überwunden. Doch diese Herrschaft währte nicht ewig. Kronos, der Sohn, stürzte den Vater, indem er ihn kastrierte. Die Kastration ist die mythische Figur des Vatermordes. Durch diesen Frevel ging die Herrschaft vom Vater auf den Sohn über. Aber auch die Herrschaft des Kronos währte nicht ewig. Seine Kinder, Zeus und seine Geschwister, erhoben sich gegen ihn, stürzten ihn und warfen ihn sowie die anderen Titanen in den Tartaros, in dem sie, da sie unsterblich waren, gemeinsam mit den Hundertarmigen und den Kyklopen weiter existierten.

Der früher groß war, Uranos,
der gewaltige, alles besiegende Herrscher
am Anfang der Welt –
keiner spricht mehr von ihm. Er war.
Der nach ihm kam und ihn bezwang, Kronos,
der Krummes Sinnende,
auch er fand seinen Bezwinger
und ist nicht mehr.
Wer aber an Zeus denkt, den Sieger,
der gewinnt Einsicht, Verständnis des Ganzen.
Er brachte die Menschen auf den Weg zum Denken,
zum richtigen Denken.
Er gab das Gesetz: Durch Leiden lernen.
Tun, leiden, lernen.
Selbst in den Schlaf tropft die Sorge
und rinnt zum Herzen, Sorge,
die das Leiden nicht vergessen kann,
und es wächst wider Willen weiser Sinn.
Irgendwie aufgezwungen
ist die gütige Gabe der Götter,
die erhaben am Weltruder thronen.
(Aischylos, Agamemnon, VV. 167–183; Übersetzung: Peter Stein).
Der Mythos berichtet, wie aus dem Chaos der Kosmos entsteht, und zugleich, wie der Kosmos ständig von den im Tartaros lebenden unsterblichen dämonischen Kräften bedroht ist. Die Titanen, die Kyklopen, der hundertarmige Aigeion – sie leben, und sie wirken in den aufgewühlten, Menschen verschlingenden Fluten der Ägäis, in den Städte vernichtenden Eruptionen der Vulkane. Sie erinnern den Menschen an seine und seiner Welt Vergänglichkeit.
Mythen begegneten den Menschen nicht nur in der Literatur, sie waren in der Antike allgegenwärtig. In den Friesen, Metopen, Giebeln der Tempel wurden Mythen dargestellt, auf Gegenständen des täglichen Gebrauchs, Vorratsgefäßen und Trinkbechern, auf Mosaiken sowie Bildern in den Häusern.
Mythen sind zeitlos. Sie argumentieren und beweisen nicht, sie erzählen. Sie sind wahr und gültig. Sie führen auf den Ursprung zurück. Sie deuten die Welt, suchen Zugang zu ihrem Verständnis. In ihnen äußert sich die Vernunft nicht weniger als in der Wissenschaft und Philosophie, nur anders.
Auf unserer Reise durch die Inselwelt der Kykladen werden wir auf weitere mythische Geschichten stoßen und erleben, wie sehr der Mythos das Denken der antiken Griechen geprägt hat. Insofern sind die Kykladen vor allem auch Schauplätze der heidnischen Götter- und Sagengestalten. In ihren Geschichten entfaltet sich ein reiches Panorama griechischer Kultur und Geschichte, das wir auf unsere Reise kennenlernen wollen.