Kitabı oku: «Ein Stück Lebensgeschichte, und andere Erzählungen», sayfa 13
Oceola
Es gibt ein Buch, das Oceola heißt. Obgleich es möglich sein kann, das ich mich nicht recht erinnre, und daß es irgendeinen andern prächtigen exotischen Namen führt. Es ist ein Indianerbuch, wie man heutzutage sagt, aber es ist wohl ursprünglich nicht für Kinder geschrieben, sondern war bestimmt, von großen Leuten gelesen zu werden. Ich weiß nicht, wer es verfaßt hat, ich weiß auch nicht, wann es geschrieben wurde, aber es ist wohl recht alt, da es mehr als vierzig Jahre her ist, seit ich es zum ersten Male gesehen habe.
Ich kann auch nicht sagen, wie es kommt, daß das Buch seinen Weg in mein Heim dort oben in Värmland fand. Es gehörte nicht zu dem Bücherschatz des Hauses, der hauptsächlich aus Versdichtungen bestand und nur ganz wenige Romane umfaßte. Vielleicht hatte es ein Besucher mitgebracht, oder auch hatte es sich meine Tante, die eine große Romanvertilgerin war, von irgendeinem der Nachbarn ausgeliehen. Aber wie dem auch sein mag, – eines ist sicher, daß es an einem schönen Tage, als ich etwa sieben, acht Jahre alt bin, daheim auf einem Tische liegt, und daß meine Augen darauf fallen.
Ich lese gerne. Ich pflege jeden Tag auf einem Schemelchen neben Mutter zu sitzen, wenn sie an ihrer Näherei arbeitet, und ihr aus Nösselts »Weltgeschichte für Frauenzimmer« vorzulesen. Wir sind durch alle sieben Teile gekommen, aber am besten verstehe ich den ersten Teil mit den vielen Sagen. Ich kann nie aufhören, mich zu freuen, wenn Odysseus heimkehrt und die Freier totschießt; aber Hektors und Andromaches Abschied übergehe ich am liebsten, weil ich ihn nicht lesen kann, ohne zu weinen.
Die Frithjofsage und Andersens Märchen und Fähnrich Ståls Erzählungen sind auch meine guten Freunde, aber einen Roman habe ich noch nie zu lesen versucht. Ich beabsichtige auch garnicht, mich durch dieses dicke Buch durchzuarbeiten. Es kommt mir vor, als müßte man mehrere Jahre brauchen, um es zu Ende zu lesen; ich will nur hineingucken. Aber das Glück will es, daß ich es gerade an der Stelle aufschlage, wo die Heldin des Buches, die junge, schöne Tochter eines Plantagenbesitzers, beim Bade von einem Alligator überrascht wird. Ich lese, wie sie entflieht und verfolgt wird und in Todesgefahr schwebt. Nie zuvor hat mich ein Buch in solche Spannung versetzt. Ich stehe atemlos und lese, bis der junge heldenmütige Indianer zu ihrer Rettung herbeieilt und nach einem furchtbaren Kampf mit dem Alligator diesem sein Messer in das Herz stößt.
Nun lese ich Seite um Seite, solange man mich in Frieden läßt. Und sowie ich wieder frei bin (denn ich bin ja viele Stunden des Tages damit beschäftigt, bei einer Lehrerin Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen), kehre ich zu dem Tisch zurück, wo der Roman noch immer liegt, und lese darin.
Ich bin ganz benommen, ganz bezaubert. Tag und Nacht denke ich nur an das Buch. Es ist eine neue Welt, die sich mir ganz plötzlich eröffnet hat. Der ganze Reichtum des Lebens strömt mir zu. Da sind Liebe, Heldenmut, schöne, edle Menschen, niedrige Schurken, Gefahren und Freuden, Glück und Schmerz. Da sind kunstvoll verschlungne Ereignisse, die mich in Spannung und Schrecken versetzen. Da ist alles mögliche, wovon ein kleines, siebenjähriges Kind, das auf einem stillen Herrenhof in Värmland aufgewachsen ist, nie zuvor hat reden hören. Man versetze einen der erwachsenen Bewohner der Erde auf einen Stern im Weltenraume. Ich glaube kaum, daß er diese neue Welt mit glühenderem Eifer untersuchen könnte, mit größerem Interesse, mit einem stärkeren Gefühl, wie wunderbar glücklich er sei, weil er all dies Ungeahnte kennen lernen dürfe.
Fortab lese ich alle Romane, die mir in die Hände fallen. Es läßt sich schwer sagen, wieviel ich von ihnen verstand, aber ein unerhörtes Vergnügen bereiteten sie mir. Jetzt sind sie meiner Erinnerung entschwunden, die allermeisten wenigstens.
Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, wundert es mich wohl, daß man mich alles lesen ließ, was ich nur fand. Aber ich begreife, daß es Vater und Mutter schwer fiel, mir etwas abzuschlagen. Jene Kränklichkeit, die Tante Wennervik mir prophezeit hatte, war schon eingetreten. Das eine Bein war schwach, und lange Zeit hindurch konnte ich gar nicht gehen. Man fand es nicht zuträglich für mich, daß ich mich mit körperlichen Übungen und Spielen belustigte wie andre Kinder; sondern die Eltern sahen es am liebsten, wenn ich mich still verhielt. Und da sie nun merkten, daß ich mich glücklich fühlte, wenn ich nur ein Buch in der Hand hatte, waren sie froh, daß ich mich auf diese Weise zerstreuen konnte.
Aber für mich wurde die Bekanntschaft mit diesem Indianerbuche Oceola entscheidend für das ganze Leben. Es erweckte in mir die tiefe, starke Sehnsucht, einmal etwas ebenso Herrliches schaffen zu können. Dieses Buch bewirkte, daß ich von den frühesten Kindheitsjahren an wußte, daß, was ich in kommenden Tagen am liebsten tun wollte, Romane schreiben war.
Ich hatte wohl durch Geschwister und Dienstleute gehört, was die alte Tante Wennervik mir an dem Abend, an dem ich geboren wurde, über meine Zukunft prophezeit hatte. Niemand wurde der Weissagung froh; nur ich selbst, – ich war zufrieden, weil sie mir versprach, daß ich viel mit Büchern und Schreiben zu tun haben würde. Nach etwas anderm fragte ich damals nicht. —
Ich will auch erzählen, daß es sich vor einigen Jahren, als ich schon ein paar Bücher geschrieben hatte, zutrug, daß ich in dem Bücherstand einer Eisenbahnstation ein kleines, dickes Büchlein erblickte, das »Oceola« hieß. Es war schlecht gedruckt, auf häßlichem grauem Zeitungspapier und in einen schäbigen braunen Umschlag geheftet; es wurde für einen geringen Preis feilgeboten. Ich kaufte es, und als ich im Zuge saß, begann ich darin zu lesen, um zu sehen, ob es wirklich das Wunderbuch meiner Kindheit wäre, das ich hier wiedergefunden hatte. Ich entdeckte auch die Szene mit den Alligator, – es mußte also dasselbe Buch sein.
Aber es war es doch nicht. Dies war ein armseliges, langweiliges, schlecht übersetztes, veraltetes Buch. Es war etwa so, wie wenn man den Geliebten seiner Jugend als hinfälligen Kranken wiedersieht. Ich hatte Angst davor, Angst, daß es das Bild der rechten, der strahlenden Oceola verdunkeln könnte. Ich hatte die größte Lust, es zum Kupeefenster hinauszuwerfen.
Aber das konnte ich doch nicht tun. Es ging nicht an, dieses Buch zum Fenster hinauszuwerfen. Genau bedacht, war etwas Rührendes darin, daß mir ein solches Buch damals soviel Freude hatte schenken können.
Es durfte mit nach Hause kommen, aber dann steckte ich es ganz tief unten in den Bücherschrank, und ich wage es nie mehr anzusehen.
Meine Rose im Walde
Als ich neun Jahre alt bin, geht eine andre von den bösen Prophezeiungen der Pastorin Wennervik in Erfüllung. Da mache ich eine lange Reise. Ich werde nach Stockholm geschickt, um Heilung für mein krankes Bein zu suchen, und es wird mir verordnet, eine Kur im gymnastischen Institut durchzumachen. Ich bleibe einen ganzen Winter in Stockholm, und die Behandlung tut mir sehr gut. Als ich im Frühling heimkomme, bin ich ebenso gesund wie andre Kinder, und man merkt es beinahe gar nicht, daß ich hinke.
Ich wohne bei nahen Verwandten, die sehr gut gegen mich sind, aber das kann nicht hindern, daß ich mich ein wenig nach Hause sehne. Es fällt mir schwer, mich an das Stadtleben zu gewöhnen. Es ist mir eine Last, daß ich jedesmal, wenn ich ausgehe, Hut und Mantel anziehen muß. Ich mag diese Welt von Steinstraßen nicht, wo die Kinder ebenso ordentlich und still wie die Erwachsenen ihrer Wege gehen müssen. Ich verstehe mich auch nicht auf die Spiele der stockholmer Kinder. Ich kann nicht in ihren kleinen Schlitten fahren, und ich mache mir nichts daraus, mit Puppen zu spielen. Ich fühle mich dumm und ungeschickt in Gesellschaft dieser niedlichen und lebhaften Kinder, und ich habe große Angst, ausgelacht zu werden, weil ich mit värmländischem Akzent spreche.
Aber es gibt Dinge in der Hauptstadt, die über alle Beschreibung herrlich sind und für alle Unannehmlichkeiten Ersatz bieten. So zum Beispiel hat mein Onkel alle Romane von Walter Scott in seinem Bücherschrank, und er leiht sie mir, so daß ich im Laufe des Winters die ganze Sammlung durchlesen kann. Und dann das Theater!
Bei meinen Verwandten wohnt eine alte treue Dienerin, die dem Haushalt meines Onkels vorgestanden hat, bevor er sich verheiratete. Sie ist zu alt, um an irgendwelchen Arbeiten teilzunehmen; sie sitzt tagaus, tagein in einem schönen Lehnstuhl in ihrem eignen Zimmerchen und strickt und häkelt. Onkel ist sehr gut gegen sie. Er ist besorgt, daß ihr die Zeit zu einförmig werden könnte, und steckt ihr nicht selten eine Theaterkarte zu. Aber wenn die Alte ins Theater geht, darf ich mitkommen. Meine Verwandten haben schon entdeckt, welches ungeheure Vergnügen mir dies bereitet, und sie sind vielleicht auch ein klein wenig ängstlich, die Alte ganz allein fortzulassen. Meine Theaterbesuche kosten überdies nichts. Die alte Ursula sagt dem Theaterdiener nur ein gutes Wort, und ich darf mit hinein. Ich bekomme keinen Sitzplatz, sondern muß vor ihr stehen, aber das hat nichts zu bedeuten. Im Theater vergeht die Zeit so rasch, daß ich gar nicht müde werde, ehe alles schon vorbei ist.
Es gibt wohl noch heute Menschen, die sich an die ausgetretnen Stufen und die schmalen Gänge im alten Opernhaus erinnern. Und es gibt auch wohl noch den einen oder andern, der sich entsinnt, wie es in den Korridoren roch. Ich komme manchmal im Ausland in irgendein altes Schauspielhaus, wo derselbe Theatergeruch noch herrscht. Und wenn ich ihn spüre, dann werde ich von der Seligkeit der Erwartung erfüllt. Es kommt mir vor, als ob ich wieder als ein kleines Kind vor der Logentür stünde und darauf wartete, daß der Diener komme und aufschließe.
Ulla und ich, wir sitzen stets in der ersten Reihe der zweiten Galerie. Wir gehen übrigens nicht immer in die Oper, sondern wir gehen auch in das dramatische Theater, aber auch dort haben wir denselben Platz.
Auf diese Weise sehen wir »Die Afrikanerin«, »Robert den Teufel«, den »Freischütz«, »Die Värmländer«, »Die schöne Helena«, »Die Frauenschule«, »Die Blumen im Treibhaus«, »Meine Rose im Walde«. Das ist wieder eine neue bunte Welt, in die ich geführt werde. Es ist wirklich gut, daß ich am Nähtisch meiner Mutter gesessen und Nösselts Weltgeschichte gelesen habe. Wie hätte ich mich sonst zurechtfinden können!
Aber eigentlich ist sie nicht ganz neu. Es ist ja meine ganze Romanwelt, die so illustriert und mir in lebenden Bildern vorgeführt wird. So also sehen sie aus, meine edeln Wilden, meine geharnischten Ritter. So geht ein König gekleidet. So nimmt sich ein Klosterhof aus. In solchen langen, grauen Mänteln wandeln Mönche und Nonnen umher. Ich lerne sturmgepeitschte Meere, leuchtende Rittersäle und tropische Landschaften kennen. Und ich nehme natürlich alles blutig ernst. Ich verstehe nicht, daß die schöne Helena ein einziger großer Scherz ist. Ich glaube, daß es wirklich so zugegangen sei, als Helena von Paris geraubt wurde, obgleich Nösselt es zu erzählen vergessen hat.
Wir haben ganz denselben Geschmack, die Alte und ich. Wir lieben prächtige Dekorationen, prächtige Kostüme und große Szenen, wo es auf der Bühne von Menschen wimmelt. Und natürlich kümmern wir uns hauptsächlich um die Handlung. Vom Gesang und von der Musik verstehen wir nicht viel. Wir werden eher davon belästigt, weil es uns schwer fällt, die Worte zu hören, und weil wir den Zusammenhang verlieren.
Aus einfachen Stücken, in denen keine Könige und Ritter auftreten, machen wir uns nicht viel, obgleich ich für meinen Teil ein Volksstück wie »Die Värmländer« sehr gerne habe, weil es mich an die Heimat erinnert. Aber die alte Ulla ist unzufrieden, wenn sie nur Bauern auf der Bühne sieht. Sie kränkt mich tief durch die Bemerkung, daß die schöne Helena mit ihrer großen Königsschar doch etwas ganz andres sei. Ich fühle mich für meine Landsleute verletzt, aber im tiefsten Grunde bin ich eigentlich ihrer Meinung.
Inzwischen geht der Winter zu Ende, und ich darf nach Hause reisen. Und natürlich verfolgt mich die Erinnerung an alles, was ich gesehen habe, und ich erzähle es meinen Geschwistern wieder und wieder.
Eines Tages, als wir aus dem einen oder andern Anlaß keine Schularbeiten haben, fällt es uns ein, daß wir Theater spielen und eines der Stücke aufführen könnten, die ich in Stockholm gesehen habe. Wir entscheiden uns für »Meine Rose im Walde«. Nicht weil es das hübscheste ist, was ich gesehen habe, aber es ist das einfachste, das einzige, das wir uns darstellen zu können getrauen.
Es wird ein anstrengender Tag für mich. Ich bin es, die die Rollen einstudiert und die Auftretenden unterweist, was sie sagen und tun sollen. Wir haben kein Textbuch, sondern alles muß so gemacht werden, wie ich es in der Erinnerung habe. Ich verwandle mit Hilfe von Decken und Tüchern die Kinderstube in eine Bühne. Ich wähle die Kostüme aus, ich erkläre, wie die Mitwirkenden frisiert und geschminkt sein müssen. Ich bin ja die einzige, die einige Erfahrung in allen diesen Dingen hat.
Noch vor dem Abend ist alles fertig, und das Schauspiel geht in Szene. Zuschauer sind Vater, Mutter, Tante, die Erzieherin, die Haushälterin und ein paar Dienstmädchen. Sie sitzen alle in einer engen Türöffnung und können nicht viel von der Bühne sehen. Aber das macht nichts. Sie unterhalten sich doch unbeschreiblich gut.
Wir haben ein junges Mädchen als Pensionärin im Hause. Sie ist sehr reizend und geht in einem alten Ballkleid meiner Mutter umher und spielt die Liebhaberin: »Meine Rose im Walde«. Meine älteste Schwester, die auch zwölf Jahre alt ist, hat sich mit Vaters allerältester Uniformjacke herausstaffiert und spielt den Liebhaber. Sie ist ganz unbeschreiblich niedlich. Sie hat wirklich Anlagen für den schauspielerischen Beruf. Unsere Kammerjungfer gibt die Rolle der Haushälterin, und ich selbst habe es übernommen, einen siebzigjährigen Greis zu spielen. Es muß ein Greis mit langem, weißem Haar im Stücke vorkommen, und ich wähle diese Rolle, weil mein Haar sehr lang und ganz weiß ist.
Wir haben einen großen, großen Erfolg. Ich möchte wissen, was der alte Franz Hedberg gesagt haben würde, wenn er sein Stück auf diese Weise aufgeführt gesehen hätte, aber auch er wäre vielleicht mit uns zufrieden gewesen.
Doch von diesem Tage an träume ich nicht nur davon, Romane zu schreiben. Jetzt will ich auch Theaterstücke verfassen. Ich sehne mich danach, erwachsen zu sein, damit ich nicht mehr am Schultisch sitzen und meine Zeit mit Lektionen und Aufgaben vergeuden muß.
Wie dunkel ist es doch unter der Linde
Es ist ein schöner Frühlingsabend, und ich gehe in dem kleinen Hain hinter dem Garten auf und ab. Sowie ich auf einem der geschlängelten Pfade an die Grenze des Haines komme, schlägt mir das blendendste Licht entgegen. Weite Fluren breiten sich vor mir aus, und der Sonnenschein zittert in dem feuchten Dunst, der von den frischgepflügten Feldern aufsteigt. Auf einer Seite leuchtet die Luft wie Purpur, auf der andern sieht es aus, als wäre sie von Goldstaub erfüllt.
Drinnen unter den Bäumen ist es jedoch merkwürdig finster. Sie haben sich erst ganz kürzlich belaubt, ich bin das grüne Dunkel noch nicht gewohnt, das im Sommer unter ihnen zu herrschen pflegt. Ganz plötzlich, gerade als ich aus dem Licht vor dem Hain wieder unter die Bäume trete, kommen mir ein paar Reime auf die Lippen:
Wie dunkel ist es doch unter der Linde,
Wie ängstlich still wehen die Winde.
Was nun? Was war das? Ich stehe da und wage kaum zu atmen. Das sind ja Reime. Das ist ja ein Vers. Kann ich Verse machen?
Ich bin fünfzehn Jahre, und ich habe alle Dichter gelesen, die wir zu Hause haben: Tegnèr, Runeberg, Frau Lengren, Stagnelius, Vitalis, Bellman, Wallin, Dahlgren. Aber nie zuvor ist es mir eingefallen, daß ich Verse schreiben könnte. Verse machen, – das ist ja etwas Hohes und Heiliges. Seine Gedanken in Reim und Metrum niederschreiben zu können, – das ist eine Gabe, die nur den Auserwählten der Menschheit beschieden ist.
Aber jetzt habe auch ich ein paar gereimte Zeilen zusammengestellt. Ich wiederhole sie mir einmal ums andre. Ich spreche sie halblaut. Ich singe sie leise. Aber ich versuche nicht, weitere Zeilen hinzuzufügen. Ich bin viel zu erstaunt darüber, was mir widerfahren ist.
Stelle dir vor, daß du als armes Bettelkind aufgewachsen bist und ganz plötzlich die Gewißheit erlangst, ein Königskind zu sein!
Stelle dir vor, daß du blind warst und plötzlich sehend wirst, daß du bettelarm gewesen und auf einmal reich bist, daß du ausgestoßen und freudlos warst und ganz unvermutet einer großen, warmen Liebe begegnest! Stelle dir was du willst an großem unerwartetem Glück vor, und du wirst dir doch kein größeres denken können, als das ich in diesem Augenblick empfand.
Ich konnte reimen. Ich konnte Verse machen. Ich hatte dieselbe Gabe wie Tegnèr, Runeberg, Wallin. Ich würde werden wie einer von ihnen.
Ich hatte ja schon lange daran gedacht, Romane und Theaterstücke zu schreiben. Aber das ist lange nicht so merkwürdig wie Verse schreiben. Das ist nur hübsch und vergnüglich; aber Verse, – das ist das Hohe und Edle. Das ist das Ruhmvolle und Anbetungswürdige. Das ist das Allerwunderbarste.
Ich verschweige den Meinen die große Entdeckung. Aber ich gehe den ganzen Tag wie im Taumel umher, höre garnichts, was man mir sagt, sondern antworte ganz verkehrt.
Ich sehe uns noch alle an jenem Tag beim Abendbrot vor mir. Da sitzen Vater und Mutter. Da sind meine Schwestern, die Tante, die Erzieherin. Und da bin ich selbst, klein und blaß, mit langem Haar, ganz wie alle andern Kinder. Vater führt wie gewöhnlich das Wort. Er scherzt mit der Tante und der Erzieherin. Es geht fröhlich und munter her, aber das Gespräch bewegt sich um die alleralltäglichsten Dinge. Was würden sie sagen, die anderen, wenn sie eine Ahnung von den wilden Hoffnungen hätten, die in meinem Kopfe stürmen!
Was mich beunruhigt, ist Tante Wennerviks Weissagung. Darin kam nichts davon vor, daß ich etwas Großes und Merkwürdiges werden solle. Aber wer Verse schreibt, der ist doch eine Größe, der ist fast noch mehr als ein König. Ich bekomme Angst, daß ich mich geirrt haben könnte, daß ich doch nicht die Göttergabe hätte.
Da wiederhole ich mir selbst den kleinen Reim, und wieder fühle ich mich unendlich stolz, unendlich glücklich.
Als es endlich Nacht wird, will ich versuchen, was diese neue Gabe vermag; und ich beginne ganz getrost, ein Poem zu verfassen. Ich liege bis zum Morgen wach und binde und knüpfe Wort an Wort. Ich füge Verszeile an Verszeile und habe bis zum Morgen eine Menge Strophen fertig.
Aber das Gedicht ist nicht das Merkwürdige für mich. Das Merkwürdige ist, daß ich die Gabe habe, zu reimen, daß ich zu den Auserwählten gehöre.
In den nächsten Jahren schreibe ich zur Zeit und zur Unzeit, früh und spät, Tag und Nacht Verse. Der größte Teil von diesen Dichtungen ist vernichtet; und das wenige, was übrig blieb, ist recht schwach.
Von dieser ganzen Schriftstellerei gibt es nur ein kleines Stückchen, an dem ich meine Freude habe, und das ich mir zuweilen selbst wiederhole, wenn ich unter dem Dunkel der Bäume stehe und das Licht der Abendsonne über Flur und Tal lodern sehe:
Wie dunkel ist es doch unter der Linde
Wie ängstlich still wehen die Winde.
Die Aufnahmeprüfung
Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und befinde mich wieder in Stockholm, in demselben freundlichen Heim, das mich aufnahm, als ich ein neunjähriges Kind war. Ich bin in die Hauptstadt gekommen, um Aufnahme in dem Höheren Lehrerinnenseminar zu finden. Ich habe die Prüfung gemacht; gestern war der letzte Tag, und nun sitze ich da und warte darauf, zu hören, ob ich durchgekommen sei, ob ich in die Anstalt aufgenommen würde.
Das ist ein langer Tag. Es ist fast unmöglich, ihn zu Ende zu bringen. Wir sind beinahe eine ganze Woche geprüft worden, und das war nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Es waren Tage voll starker Spannung, aber es ist doch immer etwas vorgegangen. Es war Kampf und Wettbewerb, und bisweilen ist es sogar ganz lustig gewesen. Die Prüfer waren äußerst wohlwollend und haben keine übertriebnen Ansprüche gestellt. Im großen und ganzen glaube ich, daß ich bei den Prüfungen ganz gut bestanden habe. Aber unglücklicherweise genügt es nicht, wenn man gut besteht, – man muß es auch noch besser machen als viele andre.
Nicht mehr als fünfundzwanzig Schülerinnen können jedes Jahr ins Seminar eintreten; und es sind neunundvierzig, die Aufnahme suchen. Darin liegt das Schreckliche. Wir sind in kleinen Gruppen von drei und drei geprüft worden; und darum weiß ich nicht, wie die andern die Probe bestanden haben. Aber ich denke mir, daß diese andern in ordentliche Schulen in Städten gegangen sein würden. Sie hätten nicht ihr ganzes Leben lang auf dem Lande gewohnt und ihre ganze freie Zeit dazu verwendet, unnütze Verse zu schreiben. Es sei nur natürlich, wenn sie alle viel besser beschlagen wären als ich.
Dieses ganze letzte Jahr habe ich in Stockholm verbracht und habe einen Kurs absolviert, mich für diese Aufnahmeprüfung vorzubereiten. Aber es ist ja nur ein Jahr, in dem ich ordentlich studiert habe. Die andern haben große achtklassige Schulen durchgemacht …
Wir sollen unser Schicksal erst spät am Nachmittag erfahren. Zu denen, die die Prüfung nicht bestanden haben, kommt ein Diener mit einem Brief, der ihnen mitteilt, daß sie in diesem Jahre nicht in das Seminar aufgenommen werden könnten. Bin ich hingegen glücklich durch, so bekomme ich keinen Brief, gar keine Nachricht. Dann kann ich am nächsten Morgen ganz ruhig zum Seminar hinaufwandern und meine Studien beginnen. Aber noch ist es mitten am Tage. Es müssen noch viele Stunden hingehen, ehe ich ernstlich den Diener mit dem gefürchteten Brief erwarten kann.
Die Verwandten haben Mitleid mit mir; aber was können sie tun, mir zu helfen! Es gibt nichts, was meine Unruhe zerstreuen könnte. Wir sitzen da und plaudern, aber ich kann nicht recht folgen. Die Gedanken kehren immer zu der Frage zurück, ob ich nicht die mathematische Aufgabe ganz falsch gelöst, und ob ich bei der mündlichen Prüfung im Schwedischen nicht am Ende sehr schlecht bestanden hätte.
Ich hoffe und bete, daß ich durchkomme, nicht weil ich genug weiß und kann, sondern weil ich es nötiger brauche als irgendeine andre.
Davon bin ich ganz überzeugt. Es ist nicht möglich, daß irgendeine von allen denen, die Aufnahme suchen, diese drei Jahre kostenlosen Unterricht, die das Seminar bietet, ebenso notwendig brauchte wie ich. Wenn es mir jetzt mißlingt, dann ist es aus mit mir, dann muß ich mir eine kleine Gouvernantenstelle mit ein paar hundert Kronen Lohn suchen, oder ich muß auch nach Hause zurückfahren und in der Wirtschaft mitarbeiten. Ich muß etwas lernen, sonst kann ich das Ziel meines Lebens nicht erreichen. Ich bin jetzt nicht mehr so kindisch. Ich glaube nicht, daß man etwas werden kann, wenn man nur umhergeht und wünscht und träumt. Ich weiß, daß ich Kenntnisse brauche, um Schriftstellerin werden zu können.
Ich weiß auch, daß ich Kenntnisse brauche, um leben zu können. Wir sind daheim in letzter Zeit so arm geworden. Ich weiß, daß ich es lernen muß, mir selbst mein Brot zu verdienen, wenn ich nicht ins Elend kommen soll.
Alle die andern, die Aufnahme suchen, handeln wohl kaum dem Willen ihres Vaters zuwider, sie haben sich sicherlich nicht die Erlaubnis erzwingen müssen, von daheim fortzufahren. Bei ihnen zu Hause hat man vielleicht nicht mehr den alten Aberglauben, daß ein Mädchen es nicht nötig habe, etwas Ordentliches zu können. Und wenn es ihnen heute schlecht ergeht, so dürfen sie es vielleicht nächstes Jahr noch einmal versuchen. Aber ich darf das nicht. Wenn es mir jetzt mißlingt, bekomme ich niemals die Erlaubnis von Vater, es noch einmal zu versuchen.
Die andern sind vielleicht nicht so arm wie ich. Sie können vielleicht von andrer Seite Unterstützung für das Studium finden. Aber für mich ist das unmöglich. Vater kann mir kein Geld geben; und wohl größtenteils deshalb hat er soviel Einwände dagegen, daß ich in die Welt hinausziehe. Aber komme ich nur in das Seminar, dann habe ich eine gesicherte Laufbahn vor mir, dann macht es nicht soviel, daß ich kein Geld habe, dann leiht man mir vielleicht etwas, so daß ich mich während der Kurse in Stockholm erhalten kann. Wenn ich aber nicht hineinkomme, – wer sollte mir dann helfen wollen!
Wie langsam die Zeit an diesem Tage vergeht! Ich weiß rein nicht, womit ich mich beschäftigen soll. Ich wage nicht auszugehen; denn man denke: wenn der Brief käme, während ich fort bin! Ich kann mich auch nicht hinsetzen und lesen. Die Prüfung ist zu Ende, es kann mir nichts mehr helfen, was ich auch studiere. Es bleib mir nichts übrig, als still zu sitzen und zu warten.
Mein ganzes früheres Lebenlang habe ich gewartet, aber in andrer Weise. Ich habe darauf gewartet, entdeckt zu werden, gewartet, daß jemand komme und meine Schauspiele, meine Romane, meine Verse lese und sie außerordentlich schön und genial finde. Jedesmal, wenn ich sie einem zeigte, habe ich gehofft, daß dieses Wunder geschehen würde.
Und einmal war es auch sehr nahe daran. Bei einem unserer Nachbarn fand eine Hochzeit statt, und ich war Brautjungfer. Beim Mittagessen brachte einer der Brautführer ein Gedicht auf die Kranzeljungfern zum Vortrag, und ich hielt die Rede auf die Brautführer, auch in Versen. Wir hatten natürlich alle beide großen Erfolg. Man hat ja immer Erfolg, wenn man Gelegenheitsverse vorträgt.
Aber ein Weilchen nach dem Mittagessen kam Mutter zu mir und sagte, daß Eva Fryxell mit mir sprechen wollte.
Eva Fryxell war die Tochter des großen Historikers Anders Fryxell, der Probst in der Nachbargemeinde war. Sie war selbst Schriftstellerin und dazu eine hochgebildete Dame. Sie pflegte die Winter in Stockholm zu verbringen, wo sie in den literarischen Kreisen jener Zeit verkehrte.
Sie hatte mich die Verse sprechen hören, und nun wollte sie mit mir reden.
Sie fragte mich, ob ich zu schriftstellern pflegte, und ob ich schon viele Gedichte geschrieben hätte. Sie forderte mich auf, ihr meine besten Sachen zu schicken. Sie wolle versuchen, sie in einer Zeitung unterzubringen.
Sie war sehr freundlich, und sie machte mich sehr, sehr glücklich.
Aber dann verging der ganze Herbst, der ganze Winter, ohne daß ich etwas von ihr hörte. Endlich im Frühling kam ein großer Brief von Eva Fryxell. Sie schickte mir alle meine Gedichte zurück: keine Zeitschrift hätte sie annehmen wollen. Aber sie schrieb nicht nur davon. Sie schrieb, ich müsse es so einrichten, daß ich in die Welt hinauskomme. Ich müsse arbeiten, etwas lernen, sonst könne nie etwas aus mir werden.
Und wohl hauptsächlich auf ihre Ratschläge hin hatte ich mich vor einem Jahre von daheim losgerissen. Das ganze letzte Jahr hatte ich kaum eine Zeile gedichtet, sondern nur studiert, nur gearbeitet, all das nachzuholen, was mir fehlte.
Und die Liebe zu den Studien war in mir erwacht. Ich sehnte mich nach diesen drei Jahren auf dem Seminar, nach diesen drei Jahren der starken intensiven Arbeit und des Fortschreitens.
Ab und zu klingelt es draußen, dann schrecke ich auf und frage mich, ob das der Diener mit dem furchtbaren Brief sei. Man hat mir gesagt, er könne nicht vor fünf Uhr nachmittag kommen, aber – wer weiß! – es wäre ja möglich, daß die Entscheidung in diesem Jahre früher fiele.
Die Hoffnung sinkt mit jedem Augenblick. Natürlich wüßten alle die andern mehr als ich. Und natürlich hätte ich oft unrichtig geantwortet, wenn ich es auch selber nicht bemerkt hätte.
Es schlägt drei Uhr. Noch zwei Stunden, ehe man ernstlich eine Entscheidung erwarten kann …! Da läutet es wieder.
Die kommt, ist eine Verwandte und Kollegin von mir. Sie will auch heuer in das Seminar eintreten; so wie ich; und wir sind bei der Prüfung in derselben Gruppe gewesen.
Sie kommt ganz glücklich und atemlos, um zu berichten, daß wir alle beide durchgekommen sind, sie und ich. Sie hat es von wohlunterrichteter Seite. Sie will nicht sagen, woher sie es weiß, aber sicher sei es. Ich solle es niemand sagen, – sie sei eben nur geschwind heraufgelaufen, damit ich mich nicht länger beunruhigte.
Ich weiß nicht, was ich sage oder tue. Ich weiß nicht, ob ich ihr danke. Ich stürze nur fort, ans äußerste Ende der Wohnung, um allein zu sein.
Es ist nun ganz vorbei mit meiner Selbstbeherrschung. Ich zittre und bebe und kann mich nicht stillhalten. Und die Tränen stürzen mir aus den Augen.
Ich fühle, daß ich das Ärgste überwunden habe. Ich bin nicht mehr hilflos und abhängig. Ich habe eine Laufbahn vor mir. Ich werde imstande sein, mir selbst mein Brot zu verdienen. Ich werde selbst über mein Tun und Lassen bestimmen. Künftighin hängt es von mir allein ab, ob ich das erreichen werde, was ich erreichen will.
»Sie wird all ihr Lebtag arbeiten und sich plagen müssen,« hatte Tante Wennervik gesagt, und ich freue mich darüber und hoffe, daß es eintreffe.