Kitabı oku: «Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland», sayfa 29
Da ging es wie ein Ruf von Ekeby über ganz Wermland:
»Kevenhüller hat zu arbeiten begonnen!«
Und man lauschte atemlos den Hammerschlägen aus der verschlossenen Werkstatt, dem Kreischen der Feile, dem Stöhnen des Blasebalgs.
Jetzt werden wir ein neues Wunder sehen. Was es wohl werden mag? Wird er uns lehren, auf dem Wasser zu gehen oder eine Leiter an das Siebengestirn zu setzen? – Nichts ist unmöglich für einen solchen Mann. Wir haben ihn mit eigenen Augen von Flügeln durch die Luft tragen sehen. Wir haben seinen Wagen durch die Straßen brausen sehen. Er hat die Gabe der Hulder erhalten: nichts ist ihm unmöglich.
Eines Nachts, die erste oder die zweite im Oktober, hatte er das Wunder fertig. Er kam damit in der Hand aus der Werkstatt heraus. Es war ein Rad, das unaufhörlich rotierte; wenn es sich drehte, leuchteten die Speichen wie Feuer, und Licht und Wärme gingen davon aus. Kevenhüller hatte eine Sonne geschaffen. Als er damit aus der Werkstatt herauskam, wurde die Nacht so hell, daß die Spatzen zu zwitschern begannen und die Wolken sich röteten wie bei Sonnenaufgang.
Es war die herrlichste Erfindung. – Keine Finsternis, keine Kälte würde es fortan mehr auf Erden geben. Es schmeichelte ihn, wenn er den Gedanken ausdachte. Die Sonne des Tages sollte nach wie vor auf- und untergehen, aber wenn sie verschwand, sollten Tausende und aber Tausende von seinen Feuerrädern über dem Lande aufflammen, und die Luft sollte vor Wärme zittern wie an dem heißesten Sommertage. Da sollte man reifes Korn unter dem Sternenhimmel des Hochwinters ernten; Erdbeeren und Heidelbeeren sollten die Waldhügel das ganze Jahr hindurch bedecken; nie sollte Eis das Wasser in Fesseln schlagen.
Jetzt, wo die Erfindung fertig war, sollte sie eine neue Erde erschaffen. Sein Feuerrad sollte ein Pelz für den Armen und eine Sonne für den Grubenarbeiter werden.
Es sollte den Fabriken Treibkraft verleihen, der Natur – die jetzt vom Herbst bis zum Frühling schlafen mußte – neues Leben spenden, der Menschheit ein besseres, glückliches Dasein schaffen. Aber er wußte nur zu gut, daß das alles Träume waren und daß die Hulder ihm niemals erlauben würde, sein Feuerrad zu vervielfältigen. Und in seinem Zorn und seiner Rachlust dachte er, daß er sie totschlagen wollte, und dann wußte er wohl kaum mehr, was er tat.
Er ging in das Wohnhaus hinauf, und auf die Diele, gerade unter die Treppe stellte er das Feuerrad. Es war seine Absicht, daß das Haus in Brand geraten und das Ungeheuer verbrennen sollte.
Dann ging er wieder in seine Werkstatt und saß dort still und lauschte.
Auf dem Hofe entstand Lärm und Rufen. Jetzt fing man an zu merken, daß eine Heldentat ausgeführt war.
Ja, lauft ihr nur und schreit und läutet mit den Glocken! Jetzt verbrennt sie doch, die Hulder, die ihr auf Samt und Seide gebettet habt!
Ob sie sich in Qualen windet, ob sie aus dem einen Zimmer in das andere läuft? Ach, wie wird die grüne Seide flammen, wie werden die Flammen in dem dicken Haar spielen! Frischen Mut, ihr Flammen! Frischen Mut! Fanget sie, zündet sie an, verbrennet die Hexe! Fürchtet euch nicht vor ihren Zauberworten, ihr Gluten! Laßt sie brennen! Da sind Menschen, die um ihretwillen ihr ganzes Leben haben brennen müssen!
Glocken läuteten, Wagen rasselten, Spritzen kamen dahergefahren, Wassereimer wurden vom See heraufgereicht, aus allen Dörfern stürmten Leute herbei. Da war ein Schreien und Jammern und Kommandieren; Dächer stürzten herab, da war ein fürchterliches Knistern und Heulen von Flammen.
Nichts aber brachte Kevenhüller aus seiner Fassung; er saß auf dem Haublock und rieb sich die Hände.
Da vernahm er ein Krachen, als wenn der Himmel herabstürzte, und er sprang jubelnd auf. »Jetzt ist es geschehen!« rief er aus. »Jetzt kann sie nicht entkommen, jetzt ist sie unter den Balken zermalmt oder von den Flammen verzehrt. Jetzt ist es vollbracht!«
Und er dachte an Ekebys Ehre und Macht, die geopfert werden mußten, um sie aus der Welt zu schaffen. Die stolzen Säle, wo so viel Wonne und Freude gewohnt hatte, die Zimmer, die widergehallt hatten von der Freude der Frauen, die Tische, die sich schier gebogen hatten unter leckeren Gerichten, die kostbaren alten Möbel, Silber und Porzellan, das nie wieder beschafft werden konnte …
Und dann fuhr er mit einem Schrei in die Höhe. Sein Feuerrad, seine Sonne, das Modell, von dem alles abhing, hatte er das nicht unter die Treppe gestellt, damit es die Feuersbrunst verursachen sollte?
Kevenhüller sah sich selbst an, versteinert vor Schrecken.
»Bin ich von Sinnen?« sagte er. »Wie konnte ich nur so etwas tun?«
Im selben Augenblick tat sich die verschlossene Tür der Werkstatt auf, und die Grüngekleidete trat ein.
Da stand die Hulder auf der Schwelle, hold und lächelnd. Ihr grünes Gewand hatte weder Fleck noch Makel, kein Brandgeruch haftete an ihrem dicken Haar. Sie war so, wie er sie in den Tagen seiner Jugend auf dem Marktplatz zu Karlstad gesehen hatte, der Schwanz schleifte zwischen ihren Füßen, und sie führte die ganze Wildheit und den Duft des Waldes mit sich.
»Jetzt brennt Ekeby!« sagte sie und lachte.
Kevenhüller hatte den großen Hammer erhoben und wollte ihn ihr an den Kopf werfen, da aber sah er, daß sie sein Feuerrad in der Hand hielt.
»Siehe, was ich für dich gerettet habe,« sagte sie.
Kevenhüller warf sich vor ihr auf die Knie nieder. »Du hast meinen Wagen zertrümmert, du hast meine Flügel zerbrochen und hast mein Leben zerstört. Erzeige mir jetzt eine Gnade, erbarme dich meiner!«
Sie kletterte auf die Hobelbank hinauf und saß dort genau so jung und so schelmisch wie damals, als er sie zum ersten Male auf dem Marktplatz zu Karlstad gesehen hatte.
»Ich sehe, du weißt, wer ich bin,« sagte sie.
»Ich kenne dich, und ich habe dich immer gekannt,« sagte der unglückliche Mann. »Du bist das Genie. Aber gib mich jetzt frei. Nimm deine Gabe von mir! Nimm die Wundergaben von mir! Laß mich ein gewöhnlicher Mensch werden! Warum verfolgst du mich? Warum vernichtest du mich?«
»Tor!« sagte die Hulder. »Ich habe dir niemals Böses gewollt. Ich gab dir eine große Belohnung, aber ich kann sie dir wieder wegnehmen, wenn sie dir nicht behagt. Aber bedenke dich wohl – du wirst es bereuen!«
»Nein, nein!« rief er aus, »nimm die Wundergaben von mir!«
»Zuerst mußt du dies hier zerstören!« sagte sie und warf das Feuerrad vor ihn an die Erde.
Er besann sich nicht. Er schwang den großen Hammer über der strahlenden Feuersonne, die nichts weiter war als häßlicher Zauberkram, wenn sie nicht zum Nutzen für Tausende angewendet werden konnte. Die Funken stoben in der Schmiede umher, Flammen und Scherben umtanzten ihn, und dann lag auch sein letztes Kunstwerk in Trümmern da.
»Ja, dann nehme ich meine Gabe von dir,« sagte die Hulder.
Als sie in der Tür stand, um zu gehen, und der Schein der Feuersbrunst da draußen sich über ihre Gestalt ergoß, sah er ihr zum letztenmal nach.
Schöner denn je zuvor erschien sie ihm und nicht mehr ganz so boshaft, nur strenge und stolz.
»Tor!« sagte sie, »habe ich dir je verboten, deine Kunstwerke von andern nachmachen zu lassen? Was bezweckte ich weiter, als den Mann des Genies vor den Mühseligkeiten des Handwerks zu bewahren?«
Und dann ging sie. Kevenhüller aber war mehrere Tage wahnsinnig. Dann wurde er wieder wie ein gewöhnlicher Mensch.
Das Hauptgebäude von Ekeby war niedergebrannt. Menschen waren jedoch nicht zu Schaden gekommen. Aber es war ein großer Kummer für die Kavaliere, daß das gastfreie Haus, wo sie so viel Gutes genossen hatten, zu ihrer Zeit so großen Schaden erleiden sollte.
Ach – ihr Kinder später Zeiten! Wäre ich es gewesen oder ihr, die der Hulder auf dem Marktplatz zu Karlstad begegnet wäret! Glaubt ihr nicht, daß ich in den Wald gegangen wäre und gerufen hätte: »Hulder, Hulder! Ich bin es, Kevenhüller!« Aber wer sieht sie heutzutage? Wer klagt in unseren Zeiten darüber, zuviel von ihren Gaben erhalten zu haben?
Der Markt zu Broby
Am ersten Freitag im Oktober beginnt der große Markt von Broby, der acht Tage währt. Das ist das größte Fest im ganzen Jahr. Demselben geht ein großes Schlachten und Backen in jedem Hausstand voraus; dann sind die neuen Winterkleider fertig und können zum erstenmal angezogen werden; die Festgerichte – Käsekuchen und Schmalzgebäck – stehen den ganzen Tag auf dem Tisch, und die Branntweinrationen werden verdoppelt; die Arbeit aber ruht. In jedem Gehöft wird ein Fest gefeiert; die Dienstboten und Tagelöhner nehmen von ihrem Lohn auf und erwägen genau, was auf dem Markt gekauft werden soll. Von weither kommen die Leute in kleinen Scharen die Landstraße entlang gewandert, den Ranzen auf dem Rücken, den Stock in der Hand. Viele müssen auch ihr Vieh zu Markt treiben, um es in diesen schlechten Zeiten zu verkaufen. Kleine, eigensinnige Stierkälber und Ziegen, die stillstehen und die Vorderbeine steif vorsetzen, schaffen dem Besitzer viel Not und den Zuschauern viel Kurzweil. Die Fremdenzimmer auf den Gütern sind voll willkommener Gäste; es werden Neuigkeiten ausgetauscht, die Preise für Vieh und Inventar werden erwogen. Die Kinder gehen einher und träumen von Jahrmarktsgeschenken.
Und am ersten Markttag – wie wimmelt es da auf den Brobyer Hügeln und auf dem ganzen großen Marktplatz von Marktbesuchern! Es sind Zelte errichtet, in denen Kaufleute aus den Städten ihre Waren ausgebreitet haben, während Dalekarlier und Westgotländer ihr Hab und Gut auf langen Reihen von »Scheiben« aufstapeln, über denen die weiße Zeltleinwand flattert. Seiltänzer, Drehorgel- und blinde Violinspieler gibt es zur Genüge, ebenso Wahrsagerinnen, Brustzuckerverkäufer, Branntweinschenken. Hinter den Buden ist steinernes und hölzernes Geschirr aufgehellt. Zwiebeln und Meerettich, Äpfel und Birnen werden von den Gärtnern der großen Herrenhöfe feilgeboten. Große Strecken des Marktplatzes sind mit rotbraunem, innen weiß verzinntem Kupfergeschirr bedeckt.
Aber an dem Umsatz kann man wohl merken, daß in Svartsjö und in Bro und in den andern Ortschaften am Löfsee Not herrscht. Der Handel in den Zelten und an den Scheiben geht nur schlecht. Der größte Umsatz wird auf dem großen Viehmarkt gemacht, denn gar mancher muß Kuh und Pferd verkaufen, um selber durch den Winter kommen zu können. Dort findet auch der wilde, spannende Pferdetausch statt.
Es geht lustig her auf dem Markt zu Broby. Hat man nur Geld zu ein paar Schnäpsen, so kann man den Humor schon aufrechterhalten. Aber nicht der Branntwein allein ist der Urheber der Freude. Wenn die Menschen aus den einsamen Waldhütten nach dem Marktplatz mit seinem wogenden Gewimmel herabkommen, werden sie anfänglich ganz entsetzt, wenn sie den Lärm dieser schreienden, lachenden Scharen hören; wenn sie aber erst mitten im Gewimmel sind, werden sie gleichsam berauscht von der Freude, wild von dem brausenden Jahrmarktsleben.
Wohl ist da viel Handel zwischen so vielen Menschen, aber das ist doch kaum die Hauptsache. Das wichtigste ist, sich mit einem Kreis guter Freunde in eine Bude zu setzen und sie mit Schafwurst, Schmalzgebäck und Branntwein zu traktieren, oder sein Mädchen zu überreden, ein Gesangbuch und ein seidenes Tuch anzunehmen, oder Marktgeschenke für die Kinder daheim einzukaufen.
Alle, die nicht gezwungen sind, daheim zu bleiben und auf Haus und Hof zu achten, sind nach Broby gekommen. Da sind Kavaliere aus Ekeby und Köhler aus Nygaard, Pferdehändler aus Norwegen, Finnen aus den großen Wäldern und Landstreicher aus aller Herren Ländern.
Hin und wieder sammelt sich das ganze brausende Meer zu einem Wirbel, der sich in Ringen um einen Mittelpunkt zu drehen scheint. Niemand weiß, was sich in der Mitte befindet, bis ein paar Polizisten die Menge durchbrechen, um einer Schlägerei ein Ende zu machen oder einen umgestürzten Wagen wieder aufzurichten. Und im nächsten Augenblick schart sich die Menge von neuem – um einen Kaufmann, der mit einer munteren Dirne feilscht.
Ungefähr gegen Mittag beginnt die große Schlägerei. Die Bauern haben sich in den Kopf gesetzt, daß die Westgotländer zu knappes Ellenmaß gebrauchen; es entsteht zuerst Zank und Geschimpf um ihre »Scheiben«, bald aber geht es zu Handgreiflichkeiten über. Für die vielen, die in jenen Tagen nichts als Not und Elend sahen, war es eine Erleichterung, einmal tüchtig dreinhauen zu können, einerlei wen oder was man traf. Und sobald die Starken und Streitlustigen sehen, daß eine Schlägerei im Gange ist, stürzen sie von allen Seiten herbei. Die Kavaliere wollen gerade in den Knäuel einbrechen, um auf ihre Weise Frieden zu stiften, und die Dalekarlier eilen herbei, um den Westgotländern zu helfen.
Der starke Måns aus Fors ist der Eifrigste bei der Sache. Betrunken ist er, und wütend ist er auch; jetzt hat er einen Westgotländer umgeworfen und angefangen, ihn durchzuprügeln; auf das Hilfegeschrei aber stürzt ein Landsmann herbei und will den starken Måns zwingen, seine Beute fahren zu lassen. Da reißt der starke Måns alle Waren von einer der Scheiben herunter, ergreift die Scheibe selbst, die eine Elle breit und acht Ellen lang ist und aus dicken Planken besteht, und fängt an, sie als Waffe um sich zu schwingen.
Der starke Måns ist ein schrecklicher Mensch. Er stieß im Gefängnis zu Filipstad eine Wand ein, und er konnte ein Boot aus dem See auf die Schulter heben und nach Hause tragen. Man kann wohl begreifen, daß die ganze Schar, Westgotländer und alle, die Flucht ergreifen, als er mit der schweren Scheibe um sich schlägt. Aber der starke Måns stürzt hinter ihnen drein und schlägt drauflos. Er nimmt keine Rücksicht mehr auf Freund oder Feind, er will nur jemand haben, auf den er losschlagen kann, jetzt, wo er eine Waffe hat.
Die Leute fliehen voller Verzweiflung vor ihm. Männer und Frauen schreien und rennen. Aber wie ist es den Frauen möglich zu entfliehen – sie haben ja ihre kleinen Kinder an der Hand! Die Buden und Wagen versperren den Weg. Kühe und Ochsen, die von dem Lärm wild geworden sind, hindern ihre Flucht.
In einer Ecke zwischen den Buden ist eine Schar Frauen eingeklemmt, und auf die stürmt der Riese los. Meint er doch einen Westgotländer in ihrer Mitte zu erblicken! In bleicher, schaudernder Angst nehmen die Frauen den Anfall entgegen und kriechen zusammen unter dem tötenden Schlag.
Als aber die Scheibe pfeifend auf sie herabfällt, wird ihre Kraft durch die aufwärtsgestreckten Arme eines Mannes gebrochen. Ein Mann ist nicht zusammengekrochen, er hat sich mitten in dem Menschenknäuel hochaufgerichtet, ein Mann hat aus freiem Willen den Schlag aufgefangen, um die vielen zu retten. Frauen und Kinder stehen unbeschädigt da. Ein Mann hat die Gewalt des Schlages gebrochen, jetzt aber liegt er bewußtlos am Boden.
Der starke Måns hebt seine Scheibe nicht auf, um weiterzustürmen. Der Blick des Mannes hat ihn getroffen, als die Scheibe auf seinen Scheitel herabfiel, und dieser Blick hat ihn mit Lähmung geschlagen. Er läßt sich binden und ohne Widerstand fortführen.
Aber mit Blitzeseile verbreitet sich das Gerücht über den ganzen Markt, daß der starke Måns Hauptmann Lennart erschlagen hat. Man sagt, daß er, der der Freund des Volkes war, gestorben ist, um Frauen und wehrlose Kinder zu retten.
Und es wird still auf dem großen Platz, wo das Leben soeben noch in wildem Taumel dahinsauste: der Handel stockt, die Schlägereien hören auf, die Festschmäuse in den Erfrischungsbuden lösen sich auf, vergebens lockt der Seiltänzer die Zuschauer an. Der Freund des Volkes ist tot, das Volk hat Trauer. In tiefem Schweigen drängen sich alle um den Ort zusammen, wo er gefallen ist. Er liegt ausgestreckt am Boden, ganz bewußtlos; keine Wunde ist sichtbar, nur die Hirnschale ist wie flachgedrückt.
Einige Männer heben ihn sorgfältig auf die Scheibe, die den Held hat fallen lassen. Sie glauben zu bemerken, daß er noch lebt.
»Wohin sollen wir ihn tragen?« fragen sie einander.
»Nach Hause!« antwortet eine barsche Stimme aus der Schar.
Ja, ihr guten Männer, tragt ihn nach Hause! Hebt ihn auf eure Schultern und tragt ihn nach Hause! Er ist Gottes Spielball gewesen, er ist vor seinem Atemhauch wie eine Feder hergetrieben. Tragt ihn jetzt nach Hause!
Das verwundete Haupt hat auf der harten Pritsche im Gefängnis, auf dem Heubündel in der Scheune geruht. Laßt es jetzt nach Hause kommen und auf einem weichen Kissen ruhen! Unverschuldet hat er Schande und Not gelitten, er ist von seiner eigenen Tür fortgejagt. Tragt ihn jetzt nach Hause! Ein ruheloser Flüchtling ist er gewesen, er ist auf Gottes Wegen gewandelt, wo er sie finden konnte, das Land seiner Sehnsucht aber war dies Heim, dessen Tür Gott ihm verschlossen hatte. Tragt ihn nach Hause! Vielleicht steht sein Heim dem offen, der gestorben ist, um Frauen und Kinder zu erretten.
Jetzt kommt er nicht wie ein Verbrecher, von taumelnden Zechgenossen begleitet; eine trauernde Schar folgt ihm, er hat in ihren Hütten gewohnt, er hat ihnen in ihren Leiden geholfen. Tragt ihn jetzt nach Hause!
Und sie tun es. Sechs Männer heben die Scheibe, auf der er liegt, auf ihre Schultern und tragen ihn fort vom Marktplatz. Wohin sie kommen, weichen die Leute zur Seite und stehen still: Männer entblößen das Haupt, Frauen verneigen sich wie in der Kirche, wenn Jesu Name genannt wird. Viele weinen und trocknen die Augen; andere fangen an, davon zu reden, welch ein Mann er gewesen, so gut, so heiter, so hilfbereit, so gottesfürchtig.
Es ist wunderbar zu sehen, wie, sobald einer der Träger ermüdet, sofort ein anderer kommt und stillschweigend die Schulter unter die Scheibe stemmt.
Hauptmann Lennart kommt auch an der Stelle vorüber, wo die Kavaliere stehen.
»Ich muß wohl mitgehen und acht geben, daß er gut nach Hause kommt«, sagt Beerencreutz und verläßt seinen Platz am Wegesrande, um mit nach Helgesäter zu gehen, und seinem Beispiel folgen gar manche.
Der Marktplatz wird beinahe leer; alle geben Hauptmann Lennart das Geleite nach Helgesäter. Man muß ja dafür sorgen, daß er nach Hause kommt. All das Notwendige, das durchaus gekauft werden sollte, muß unterbleiben; die Jahrmarktsgeschenke für die Kleinen daheim werden vergessen, das Gesangbuch wird nicht gekauft, das seidene Tuch, das die Begier des Mädchens erregte, bleibt auf dem Budentisch liegen. Alle müssen mit und sehen, daß Hauptmann Lennart gut nach Hause kommt.
Als der Zug Helgesäter erreicht, ist es dort leer und öde. Wieder donnern die Fäuste des Obersten an der geschlossenen Tür. Alle Dienstboten sind auf dem Markt; die Hausfrau allein ist daheim geblieben und hütet das Haus. Sie öffnet auch heute.
Und wie schon einmal zuvor, so fragt sie auch heute: »Was wollt Ihr?«
Worauf der Oberst, wie schon einmal zuvor, antwortet: »Wir sind hier mit deinem Gatten.«
Sie schaut ihn an, der steif und besonnen dasteht wie immer. Sie schaut die Träger hinter ihm an, die weinen, und die ganze Menschenmenge dahinter. Sie steht dort auf der Treppe und schaut in Hunderte von weinenden Augen, die sie betrübt anstarren. Endlich schaut sie den Mann an, der ausgestreckt auf der Bahre ruht, und sie preßt die Hand gegen das Herz.
»Das ist sein wahres Gesicht!« murmelt sie.
Ohne weiter zu fragen, beugt sie sich nieder, schiebt den Riegel zurück, schlägt die Türen weit auf und geht vor den andern her ins Schlafgemach.
Mit Hilfe des Obersten zieht sie das zusammengeschobene Doppelbett auseinander und schüttelt die Betten auf, und dann wird Hauptmann Lennart wieder auf weiche Daunen und weißes Leinen gelegt.
»Lebt er?« fragt sie.
»Ja,« antwortet der Oberst.
»Ist Hoffnung vorhanden?«
»Nein, es ist nichts dabei zu machen.«
Eine Weile herrscht tiefes Schweigen, dann fragt sie plötzlich: »Weinen alle diese Menschen um seinetwillen?«
»Ja.«
»Was hat er denn getan?«
»Das letzte, was er tat, war, daß er sich von dem starken Måns totschlagen ließ, um Kinder und Frauen vor dem sichern Untergang zu retten.«
Sie sitzt eine Weile schweigend da und sinnt.
»Was für ein Gesicht hatte er doch nur, Oberst, als er vor zwei Monaten nach Hause kam?«
Der Oberst zuckt zusammen. Erst jetzt versteht er den ganzen Zusammenhang!
»Gösta hatte ihn ja angemalt!«
»Also um eines Kavalierstreichs willen habe ich ihm mein Haus verschlossen? Wie wollt Ihr das verantworten, Oberst?«
Beerencreutz zuckte die breiten Achseln: »Ich habe wohl mehr auf dem Gewissen, weswegen ich mich verantworten muß.«
»Dies ist sicher das Schlimmste, was du getan hast!«
»Dann habe ich auch niemals einen schlimmeren Gang getan, als heute hierher nach Helgesäter. Übrigens sind noch zwei andere schuld daran.«
»Und wer denn?«
»Sintram ist der eine, die andere bist du selber, Cousine. Du bist eine strenge Frau. Ich weiß, daß mehr als einer den Versuch gemacht hat, mit dir über deinen Mann zu reden.«
»Das ist wahr!« erwidert sie. Und dann bittet sie ihn, von dem Trinkgelage in Broby zu erzählen.
Er erzählt alles, so gut er sich dessen entsinnen kann, und sie lauscht schweigend. Hauptmann Lennart liegt noch immer bewußtlos auf dem Bett. Das Zimmer ist ganz angefüllt mit weinenden Menschen; niemand denkt daran, diese betrübte Schar hinauszuwerfen. Alle Türen sind weit geöffnet, alle Zimmer, Treppen und Gänge sind voll schweigender, bekümmerter Menschen – bis weit auf den Hof hinaus stehen sie in dichten Scharen.
Als der Oberst seine Erzählung beendet hat, sagt die Frau des Hauptmanns mit erhobener Stimme: »Falls sich einer der Kavaliere hier im Zimmer befindet, bitte ich ihn, hinauszugehen. Es ist schwer für mich, einen Kavalier hier an dem Sterbebett meines Mannes zu sehen.«
Ohne ein Wort zu sagen, steht der Oberst auf und geht hinaus. Dasselbe tun Gösta Berling und noch ein paar Kavaliere, die Hauptmann Lennart das Geleite gegeben haben. Die Leute weichen scheu zur Seite vor dieser kleinen Schar gedemütigter Männer.
Als sie fort sind, sagt Frau Lennart: »Will jemand von denen, die meinen Mann während dieser Monate gesehen haben, mir sagen, wo er sich aufgehalten und was er vorgenommen hat?«
Und nun fangen die da drinnen an, vor Hauptmann Lennarts Frau Zeugnis abzulegen über ihn, vor ihr, die ihn verkannt und die ihr Herz in Strenge gegen ihn verhärtet hat. Jetzt ertönt die Sprache der alten Hymnen. Männer, die nie ein anderes Buch gelesen haben als die Bibel, fangen an zu reden. In Bildern, die sie Hiobs Buch entleihen, in Wendungen aus den Zeiten der Patriarchen reden sie von dem Gesandten Gottes, der umherging und allem Volk half.
Es währt lange, bis sie ausgeredet haben. Während die Dunkelheit hereinbricht und der Abend kommt, stehen sie da und reden; einer nach dem andern tritt vor und erzählt der Frau, die seinen Namen nicht hat nennen hören wollen, von ihm.
Da sind Leute, die erzählen, daß er sie auf dem Krankenbett gefunden und geheilt hat. Da sind wilde Raufbolde, die er gezähmt hat. Da sind Trunkenbolde, die er zur Mäßigung gezwungen, Betrübte, denen er Trost gespendet hat. Jeder, der in grenzenloser Not gewesen ist, hat sich an Gottes Gesandten gewendet, und er hat ihnen helfen können; wenigstens ist er imstande gewesen, Trost und Hoffnung in ihre Herzen zu gießen.
Den ganzen Abend ertönt die Sprache der alten Hymnen im Krankenzimmer.
Draußen auf dem Hofplatz stehen die dichten Scharen und warten auf »das Letzte«. Sie wissen, was da drinnen vor sich geht – was laut am Sterbebette gesprochen wird, geht da draußen als Geflüster von Mund zu Munde. Jeder, der etwas zu sagen hat, drängt sich schweigend durch die Menge. »Hier ist einer, der von ihm zeugen kann«, sagt man und macht ihm Platz. Und sie treten aus der Dunkelheit hervor, legen ihr Zeugnis ab und treten wieder in die Finsternis zurück.
»Was sagt sie jetzt?« fragen die Draußenstehenden. »Was sagt die gestrenge Frau auf Helgesäter?«
»Sie strahlt wie eine Königin, sie lächelt wie eine Braut. Sie hat seinen Lehnstuhl an das Bett gerückt und die Kleider darauf gelegt, die sie ihm eigenhändig gewebt hat.«
Aber dann wird es still unter den Leuten. Niemand sagt es, aber alle wissen es wie mit einem Schlage: »Jetzt stirbt er.«
Hauptmann Lennart schlägt seine Augen auf, er sieht, und er sieht genügend. Er sieht sein Heim und die Volksscharen, seine Frau, die Kinder, die Kleider, und er lächelt. Aber er ist nur erwacht, um zu sterben. Er seufzt einmal röchelnd auf und haucht dann seinen Geist aus.
Da verstummen die Erzählungen. Eine Stimme aber beginnt ein Sterbelied. Alle stimmen mit ein, und von Hunderten von starken Stimmen getragen, erhebt sich der Gesang zu den ewigen Höhen. Das ist der Abschiedsgruß der Erde an die fliehende Seele.